29. Kapitel

Sie gingen zu einem Café in der Nähe, das Hans und seine Frau empfohlen hatten.

Thomas war noch nie in einem solchen Lokal gewesen, zumindest nicht, soweit er sich erinnern konnte. Die Kunden standen am Tresen an und bestellten Kaffee und Backwaren, womit sie sich dann an einen Tisch setzten oder wieder zur Tür hinausgingen. Er beobachtete eine ältere Frau, die nervös ihren Mundschutz anhob, um an ihrem Heißgetränk zu nippen. An der Tür stand einer der Sicherheitskräfte im roten Hemd, der sich alle paar Minuten wahllos jemanden herausgriff und mit seinem tragbaren Gerät auf Den Brand testete. Er selbst trug einen unheimlich aussehenden Metallapparat über Mund und Nase.

Thomas saß mit Minho und Brenda an einem Tisch hinten in der Ecke, während Jorge ihnen etwas zu essen besorgte. Thomas’ Blick wanderte immer wieder zu einem fünfunddreißig oder vierzig Jahre alten Mann, der auf einer Bank vor der großen Fensterscheibe saß. Seit sie hereingekommen waren, hatte er seine Tasse nicht angerührt. Der Mann saß einfach nur vorgebeugt da, Ellbogen auf die Knie gestützt, Hände schlaff gefaltet, und starrte ins Nichts.

Sein Gesichtsausdruck war beunruhigend. Völlig leer. Seine Augen schienen in den dunklen Höhlen zu schweben, doch zugleich wirkten sie fast glücklich. Als Thomas Brenda auf ihn hinwies, flüsterte sie ihm zu, dass der Typ wahrscheinlich total high vom Segen war und Ärger kriegen würde, wenn er gefasst wurde. Der Anblick machte Thomas nervös, und er hoffte nur, dass der Kerl bald die Fliege machen würde.

Jorge kam mit belegten Brötchen und dampfenden Kaffeetassen zu ihnen zurück, und sie aßen und tranken schweigend. Allen war die Dringlichkeit ihrer Lage nur zu bewusst, aber sie waren froh, dass sie sich kurz ausruhen und stärken konnten.

Sie aßen auf und wollten eigentlich gehen. Doch Brenda blieb sitzen. »Tut mir leid, aber könntet ihr vielleicht einen Augenblick draußen auf uns warten?«, fragte sie. Ihr Blick machte deutlich, dass sie Jorge und Minho meinte.

»Was soll das denn jetzt?«, entgegnete Minho wenig begeistert. »Schon wieder Geheimnisse?«

»Nein. Nichts in der Art, ich verspreche es. Ich muss Thomas nur ganz kurz etwas sagen.«

Thomas war überrascht, aber auch neugierig. Er setzte sich wieder. »Geht einfach vor«, sagte er zu Minho. »Du weißt, dass ich keine Geheimnisse vor dir habe. Und sie weiß das auch.«

Sein Freund grummelte, ging dann aber mit Jorge mit, und die beiden stellten sich auf dem Bürgersteig direkt hinter die große Fensterscheibe. Minho grinste Thomas dämlich an und winkte ihm sarkastisch zu. Thomas winkte zurück und sah dann Brenda an.

»Und? Was hast du auf dem Herzen?«, fragte er.

»Ich weiß, wir müssen uns beeilen, ich fasse mich also kurz. Wir hatten noch nicht viel Zeit allein miteinander. Aber ich muss dir unbedingt etwas sagen. Das war nicht geschauspielert, was in der Brandwüste zwischen uns passiert ist. Ja, ich wurde dahin geschickt, weil das mein Job war und ich die Aufgabe hatte, dir durch die Stadt zu helfen. Aber du bist mir ans Herz gewachsen, ehrlich, und das Ganze hat mich für immer verändert. Und ich finde, du solltest über ein paar Sachen Bescheid wissen. Über mich, über Kanzlerin Paige, über –«

Thomas hielt die Hand hoch. »Bitte hör einfach auf.«

Sie wirkte überrascht. »Was? Warum denn?«

»Ich will das alles gar nicht wissen. Nichts mehr. Für mich zählt nur noch, was wir ab jetzt tun werden, kein Zeug mehr über meine Vergangenheit oder deine oder die von ANGST. Wir müssen an die Zukunft denken. Ab sofort.«

»Aber –«

»Nein, Brenda. Ich meine das ganz ernst. Wir sind hier, und wir haben ein Ziel, und etwas anderes interessiert nicht mehr. Schluss mit dem ewigen Gerede.«

Sie sah ihm in die Augen, schweigend, dann blickte sie hinunter auf ihre Hände, die auf dem Tisch lagen. »Dann will ich nichts weiter sagen, als dass du das Richtige tust. Du schlägst die richtige Richtung ein. Und ich werde dir dabei helfen, so gut ich kann.«

Thomas konnte nur hoffen, dass er ihre Gefühle nicht verletzt hatte. Brenda musste die Vergangenheit loslassen, auch wenn es ganz offensichtlich etwas gab, das sie ihm unbedingt erzählen wollte. Sein Blick wanderte wieder hinüber zu dem seltsamen Typen auf der Fensterbank. Er hatte etwas aus der Tasche gezogen und drückte es in seine rechte Ellenbeuge. Er schloss die Augen, blinzelte sehr langsam und wirkte etwas betäubt, als er sie wieder öffnete. Sein Kopf kippte langsam nach hinten, bis er an der Fensterscheibe lehnte.

Der Brand-Tester im roten Hemd trat vom Bürgersteig ins Café hinein, und Thomas beugte sich vor, um besser zu sehen, was als Nächstes passierte. Rothemd stiefelte direkt auf die Bank zu, auf der der unter Drogen stehende Mann saß. Eine kleine Frau flüsterte dem Seuchentester etwas zu, wobei sie nervös zappelte.

»Thomas?«, fragte Brenda.

Er legte einen Finger an die Lippen und machte eine Bewegung mit dem Kinn in Richtung der kurz bevorstehenden Konfrontation. Brenda drehte sich um, um zu sehen, was da vor sich ging.

Rothemd trat dem Typen auf der Bank gegen die Zehen, der daraufhin zusammenzuckte und aufblickte. Die ersten Worte flogen zwischen den Männern hin und her, aber im Stimmengewirr und Betrieb des überfüllten Cafés konnte Thomas nicht verstehen, was sie sagten. Der Mann, der eben noch so friedlich vor sich hin gedöst hatte, bekam es mit der Angst zu tun.

Brenda drehte sich zu Thomas um. »Wir müssen hier raus. Auf der Stelle.«

»Warum?« Ärger lag in der Luft, und Thomas war neugierig, was jetzt passieren würde.

Brenda war schon aufgesprungen. »Komm einfach!«

Sie ging in forschem Tempo auf den Ausgang zu, und Thomas setzte sich endlich in Bewegung, um ihr zu folgen. Er war gerade von seinem Stuhl aufgestanden, als der Aufpasser im Rothemd eine Pistole herauszog und auf den Mann auf der Bank richtete, dann drückte er ihm die Testapparatur ins Gesicht. Der schlug sie jedoch weg und warf sich auf den Wachmann. Vor Schreck erstarrt stand Thomas da, während die Pistole zu Boden fiel und unter den Tresen rutschte. Miteinander ringend krachten die beiden Männer erst in einen Tisch und dann zu Boden.

Rothemd fing an zu schreien; durch die schützende Metallmaske, die er vor Mund und Nase trug, klang seine Stimme fast wie die eines Roboters. »Wir haben einen Infizierten! Das Gebäude augenblicklich räumen!«

Wilder Tumult brach im Café aus, Schreie gellten, während alle auf den einzigen Ausgang zustürzten.