18. Kapitel

Jemand packte Thomas von hinten am Hemd und riss ihn hinter der Frachtkiste zu Boden, im selben Augenblick erfüllte schon das Getöse von zersplitterndem Glas und elektrischen Blitzen den Hangar. Mehrere Blitze zuckten um die Seiten des Containers herum und versengten alles auf ihrem Weg. Sie waren kaum verpufft, da hagelten Gewehrkugeln gegen das Holz.

»Wer hat die bloß freigelassen?«, brüllte Minho.

»Spielt ja momentan keine Rolle!«, brüllte Newt zurück.

Sie kauerten sich eng hinter der Kiste zusammen. Das Feuer aus dieser Position zu erwidern schien unmöglich.

»Die kriegen uns gleich von der Seite!«, rief Jorge. »Wir müssen zurückschießen!«

»Dann bist du also auf unserer Seite«, sagte Thomas.

Der Pilot sah Brenda an und zuckte die Achseln. »Wenn sie euch hilft, helf ich euch auch. Und falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte – mich versuchen sie auch gerade umzubringen!«

Sie konnten auf Jorge zählen. Jetzt mussten sie es nur noch bis zum Berk schaffen.

Plötzlich trat eine kurze Feuerpause ein, und Thomas konnte Schritte und knappe Befehle hören. Wenn sie einen Vorteil herausholen wollten, mussten sie jetzt handeln.

»Was tun wir?«, fragte er Minho. »Diesmal bist du der Anführer.«

Sein Freund sah ihn zweifelnd an, nickte aber rasch. »Okay. Ich schieße rechts, Newt links, Thomas und Brenda über die Kiste hinweg. Jorge, bahn dir einen Weg zu deinem beneppten Berk. Schießt auf alles, was sich bewegt oder Schwarz trägt. Alle auf ihre Posten.«

Thomas kniete sich mit Blickrichtung auf die Kiste hin, bereit, auf Minhos Signal sofort aufzuspringen. An seiner Seite war Brenda, die mit blitzenden Augen in jeder Hand eine Pistole hielt. »Willst du jemanden umbringen?«, fragte Thomas.

»Ach, Quatsch. Ich ziel auf die Beine. Aber man weiß ja nie, manchmal trifft man aus Versehen ein wenig höher.«

Sie warf ihm ein spitzbübisches Lächeln zu; Thomas mochte sie immer lieber.

»Okay!«, schrie Minho. »Jeeeeeeeetzt!«

Sie sprangen auf. Thomas riss seinen Granatwerfer hoch und über die Kiste. Er drückte auf den Abzug, ohne genau zu zielen, und als er die Granate detonieren hörte, streckte er schnell den Kopf hoch, um sich das nächste Ziel auszusuchen. Ein Mann pirschte sich von der anderen Seite des Raums heran, auf den zielte Thomas und feuerte. Das Geschoss traf die Brust des Mannes, explodierte und warf ihn in wüsten Zuckungen zu Boden.

Schüsse und Schreie und das grässliche Knacken der Stromstöße erfüllten die Flughalle. Ein Wärter nach dem anderen ging zu Boden, die Hände auf ihre Schusswunden gedrückt – zumeist in den Beinen, wie Brenda versprochen hatte. Andere stoben davon, um in Deckung zu gehen.

»Ha, sie sind auf dem Rückzug!«, schrie Minho. »Aber lang hält das nicht vor – wahrscheinlich haben sie nicht geahnt, dass wir bewaffnet sind. Jorge, welches ist dein Berk?«

»Das da.« Jorge zeigte auf die linke Ecke des Hangars. »Das ist mein Schätzchen. Das hab ich in null Komma nichts startklar.«

Thomas schaute in Richtung des Berks. Die breite Laderampe stand geöffnet und schien nur darauf zu warten, dass Passagiere die Metallschräge hochrannten. Nichts hatte je so einladend auf ihn gewirkt.

Minho feuerte noch eine Granate ab. »Okay. Als Erstes alle nachladen. Newt und ich decken euch, während Thomas, Jorge und Brenda zum Berk rennen. Jorge, du schmeißt das Teil an, Thomas und Brenda geben uns dann Feuerschutz von hinter der Ladeluke. Gut, der Plan?«

»Können die Granaten dem Berk was anhaben?«, fragte Thomas zurück. Alle steckten rasend schnell Munition in die Waffen und die Taschen.

Jorge schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Diese Gleiter sind robuster als ein Brandwüstenkamel. Wenn sie uns verfehlen und Schatzilein treffen, umso besser für uns. Los geht’s, muchachos

»Rennt, rennt, rennt!«, schrie Minho ohne Vorwarnung los. Er und Newt schossen wie irre eine Salve Granaten nach der anderen ab und deckten die freie Fläche vor dem wartenden Berk.

Ein wahnsinniger Adrenalinstoß durchströmte Thomas. Er und Brenda rannten links und rechts von Jorge, als sie aus dem Schutz der Frachtkiste heraussprinteten. Der Lärm wild feuernder Kanonen erfüllte die Luft, die so voller Rauch und Elektrizität war, dass man unmöglich auf jemanden zielen konnte. Thomas ballerte beim Rennen einfach weiter, Brenda ebenso. Haarscharf sausten die Geschosse an ihm vorbei, aber sie trafen nicht. »Schneller!«, brüllte Jorge.

Thomas mobilisierte seine letzten Reserven, seine Beine brannten. Dolche aus Licht schossen aus allen Richtungen über den Boden; Pistolenkugeln knallten pfeifend von den Metallwänden des Hangars zurück, Rauch stieg in zwirbelnden Nebelfingern auf. Alles verschwamm, es gab nur noch ein einziges Ziel, das Berk, wenige Meter entfernt.

Fast hatten sie es geschafft, da erwischte eine Granate Brenda am Rücken. Sie schrie auf und stürzte mit dem Gesicht voran auf den Betonboden, während der Stromschlag wie Spinnweben über ihren Körper tanzte.

Thomas kam schlitternd zum Stehen, rief ihren Namen und ließ sich zu Boden fallen, damit er keine so große Zielscheibe abgab. Ein verästeltes Geflecht aus reinster Elektrizität zuckte über Brendas Körper und verlor sich dann in kleinen Rauchwölkchen, die über den Boden rasten. Thomas lag ein, zwei Meter entfernt auf dem Bauch, wich den um sich greifenden weißen Blitzen aus und suchte nach einer Möglichkeit, an Brenda heranzurobben.

Newt und Minho hatten das katastrophale Geschehen mitbekommen und rannten auf ihn zu, während sie weiter wie wild um sich schossen. Jorge hatte es in das Berk geschafft und verschwand hinter der Ladeluke, tauchte dann aber sofort wieder auf: Jetzt schoss er mit einer anderen Art von Werfer, dessen Granaten beim Aufprall in einem Flammenmeer explodierten. Mehrere Wachen schrien laut auf, als sie in Flammen aufgingen; die anderen wichen zurück, als sie die neue Bedrohung sahen.

Thomas lag ängstlich neben Brenda am Boden und verfluchte seine Unfähigkeit, ihr zu helfen. Er wusste, dass er warten musste, bis die Elektrizität sich verflüchtigte, bevor er sie packen und zum Berk ziehen konnte, aber er wusste nicht, ob ihnen so viel Zeit blieb. Ihr Gesicht war leichenblass geworden, Blut tropfte aus ihrer Nase und Speichel rann ihr aus dem Mundwinkel, während ihre Gliedmaßen in Krämpfen zuckten und ihr Rumpf sich aufbäumte. Die Augen hatte sie vor Schock und Qualen weit aufgerissen.

Newt und Minho ließen sich neben ihnen zu Boden fallen.

»Nein!«, brüllte Thomas. »Rennt zum Berk, sucht Deckung hinter der Ladeluke. Wartet, bis wir uns hier in Bewegung setzen, und gebt uns dann Feuerschutz. Ballert so lange, bis wir bei euch sind!«

»Mensch, komm einfach!«, brüllte Minho zurück. Er packte Brenda an den Schultern, und Thomas hielt die Luft an, als er seinen Kumpel zusammenzucken sah – gezackte Lichtblitze rasten an seinen Armen empor. Aber die Elektrizität hatte schon viel an Kraft verloren, und Minho konnte aufstehen und schleifte Brenda hinter sich her.

Thomas schob die Arme unter Brendas Rücken, Newt nahm ihre Beine hoch. Rückwärts bewegten sie sich auf das Berk zu. Der ganze Hangar war ein Inferno aus Lärm und Rauch und aufblitzendem Licht. Plötzlich streifte eine Gewehrkugel Thomas am Bein: Ein qualvoller Schmerz, dann quoll Blut hervor. Er stieß einen mörderischen Schrei aus; für ihn war jetzt jeder in Schwarz derjenige, der ihn getroffen hatte.

Er warf Minho einen schnellen Blick zu, der das Gesicht vor Anstrengung verzerrt hatte. Heißes Adrenalin durchströmte Thomas – ihm war jetzt alles egal. Grimmig riss er seinen Granatwerfer mit einer Hand hoch und feuerte in alle Richtungen um sich, mit der anderen half er dabei, Brenda über den Boden zu schleifen.

Sie erreichten die Laderampe. Jorge ließ seine monströse Waffe auf der Stelle fallen und rutschte die Rampe herunter, um einen von Brendas Armen zu greifen. Thomas ließ sie los, so dass Minho und Jorge sie hoch in den Gleiter zerren konnten, wobei Brendas Fersen über das Stahlprofil holperten.

Newt schoss jetzt auch wieder wie ein Wilder um sich, bis ihm die Munition ausging. Thomas gab nur noch einen Schuss ab, dann war sein Granatwerfer auch leer.

Die weiter in den Hangar vorgedrungenen Wachen wussten offensichtlich, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb, und eine ganze Horde sprintete auf das Gefährt zu und eröffnete wieder das Feuer.

»Nicht nachladen!«, schrie Thomas. »Weg!«

Newt stolperte die Rampe nach oben. Thomas war direkt hinter ihm. Er hatte gerade die Schwelle zum Berk erreicht, als etwas in seinen Rücken schlug und zerbarst. Im selben Augenblick traf ihn die Wucht von tausend Blitzschlägen auf einmal. Solche rasenden Schmerzen hatte er noch nie im Leben verspürt. Er war machtlos, stürzte nach hinten, fiel, rollte und überschlug sich immer wieder, bis er auf dem Boden des Hangars liegen blieb. Sein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt, bis er bewusstlos wurde.