Die meisten Religionen verordnen bestimmte Nahrungsmittel und verbieten andere, sei es nun die in Vergessenheit geratene katholische Vorschrift, freitags Fisch zu essen, oder die Verehrung der Kuh als heiliges und unantastbares Tier im Hinduismus. Letztere ging übrigens so weit, dass die indische Regierung erwog, alle Rinder, die infolge der in den Neunzigerjahren in Europa ausgebrochenen BSE-Seuche geschlachtet werden sollten, ins Land zu holen und vor dem Tode zu bewahren. Einige östliche Religionen lehnen den Verzehr von Fleisch ganz ab, und manche krümmen nicht einmal einer Ratte oder einem Floh auch nur ein Härchen. Doch die älteste und hartnäckigste Marotte ist die Abscheu oder gar Furcht vor dem Schwein. Sie entstand im noch unentwickelten Judäa und war neben der Beschneidung jahrhundertelang ein Merkmal der Juden.

In Sure 5, 60 beschimpft der Koran insbesondere die Juden, aber auch andere Ungläubige, Gott habe sie zu Schweinen und Affen gemacht – ein wichtiges Motiv auch in den jüngsten muslimischen Salafistenpredigten. Dem Koran gilt Schweinefleisch als unrein, ja, als »Gräuel«. Dieses spezifisch jüdische Tabu zu übernehmen, halten die Muslime offenbar keineswegs für paradox. Die islamische Welt prägt ein regelrechter Horror vor allem Schweinischen. Ein gutes Beispiel ist das bis heutige gültige Verbot von George Orwells Buch Farm der Tiere, eine der bezauberndsten und nützlichsten Fabeln der Moderne, die muslimischen Schulkindern vorenthalten wird. Ich habe einige der mit großem Ernst formulierten Verbote arabischer Bildungsministerien gelesen, die in ihrer Beschränktheit die böse Rolle der Schweine in Orwells Geschichte völlig übersehen.

Orwell selbst mochte infolge seines Scheiterns als Kleinbauer keine Schweine, und seine Abneigung wird seit jeher von vielen Erwachsenen geteilt, die in der Landwirtschaft mit diesen schwierigen Tieren arbeiten müssen. Schweine, die in Ställen zusammengepfercht werden, neigen zu schweinischem Verhalten und lautstarken, garstigen Streitereien. Es kommt vor, dass sie ihre Exkremente und auch ihre Jungen fressen, und ihre wahllosen und ungezügelten Annäherungsversuche beleidigen das Auge des kultivierten Beobachters. Andererseits sind Schweine, denen man ihre Selbstständigkeit und ausreichend Platz lässt, sehr reinlich, schaffen sich kleine Unterstände, in denen sie ihren Nachwuchs aufziehen, und pflegen soziale Kontakte mit anderen Schweinen. Auch zeigen die Tiere deutliche Anzeichen von Intelligenz; Schätzungen zufolge ist das Verhältnis zwischen Hirn- und Körpermasse bei ihnen fast so groß wie bei Delfinen. Schweine passen sich hervorragend an ihre Umgebung an, wie man am Unterschied zwischen Wildschweinen und verwilderten Tieren auf der einen und den uns vertrauten friedfertigen Mastschweinen mit ihren munteren Ferkeln auf der anderen Seite gut beobachten kann. Doch für die Ängstlichen wurden die Schweinsklauen der Paarhufer zu einem Symbol für das Diabolische, wobei es, so wage ich zu behaupten, leicht zu erraten ist, was zuerst da war – der Teufel oder das Schwein. Die Frage, warum der Schöpfer aller Dinge so eine vielseitige Kreatur schuf und dann seiner höher entwickelten Säugetierschöpfung befahl, einen weiten Bogen um sie zu machen, wenn sie nicht sein ewiges Missfallen riskieren wolle, ist müßig und überflüssig. Und trotzdem hängen viele ansonsten intelligente Säugetiere dem Glauben an, der Schöpfer könne Schinken nicht ausstehen.

Ich hoffe, der werte Leser hat mittlerweile erraten, was er ohnehin schon wusste: dass dieses wunderbare Tier ein relativ naher Verwandter ist. Seine Erbanlagen haben viel mit unserer DNS gemein, und in jüngster Zeit wurden Haut, Herzklappen und Nieren von Schweinen auf Menschen transplantiert. Wenn ein neuer Dr. Moreau die jüngsten Fortschritte im Klonen zu seinen Zwecken missbrauchen und einen Hybriden schaffen würde – was, wie ich inständig hoffe, nicht geschehen wird –, so würden viele als wahrscheinlichstes Ergebnis einen »Schweinemenschen« fürchten. Fast alles am Schwein ist nützlich, von seinem nahrhaften und köstlichen Fleisch über die Haut, die zu Leder gegerbt wird, und seine Borsten, die man zu Bürsten verarbeitet. Upton Sinclair beschreibt in Der Dschungel, seinem Roman über ein Schlachthaus in Chicago, plastisch, wie die Schweine an einem Haken nach oben gehievt werden und schreien, wenn ihnen die Kehle durchgeschnitten wird. Diese Erfahrung rührt an den Nerven der abgestumpftesten Arbeiter. Dieser Schrei hat etwas...

Kinder, die nicht von Rabbis oder Imamen negativ beeinflusst wurden, fühlen sich zu Schweinen hingezogen, vor allem zu Ferkeln, und Feuerwehrleute essen für gewöhnlich nicht gerne Schweine- oder Krustenbraten. In der Landessprache Neuguineas und andernorts war der barbarische Ausdruck für gegrilltes Menschenfleisch »langes Schwein«: Ich selbst habe dieses Geschmackserlebnis nie gehabt, doch offenbar schmecken wir, als Gericht, ganz ähnlich wie Schweine.

All das führt die üblichen »säkularen« Erklärungen für das einstige jüdische Verbot ad absurdum. Gern wird argumentiert, das Verbot sei damals sinnvoll gewesen, weil Schweinefleisch im heißen Klima schnell ranzig wird und sich Trichinen bilden können, also parasitäre Fadenwürmer. Diese Erklärung – die vielleicht im Falle der nicht koscheren Schalentiere zutreffen könnte – ist angesichts der tatsächlichen Bedingungen hinfällig. Erstens kommen Trichinen in allen Klimaten vor, in kalten sogar mehr noch als in warmen. Zweitens erkennen Archäologen alte jüdische Siedlungen im Land Kanaan daran, dass im Abfall keine Schweineknochen zu finden sind, ganz im Gegensatz zu anderen Siedlungen, wo es solche Knochen gibt. Die Nichtjuden erkrankten oder starben also nicht etwa nach dem Verzehr von Schweinefleisch; andernfalls hätte – das nebenbei bemerkt – der Gott des Alten Testaments ja auch keine Veranlassung gehabt, die Nichtschweinefleischesser zu ihrer Ermordung zu drängen.

Es muss also eine andere Lösung zu diesem Rätsel geben. Ich beanspruche für meine eine gewisse Originalität, wäre allerdings ohne die Hilfe von Sir James Frazer und dem großen Ibn Warrak wohl nicht darauf gekommen. Vielen alten Zeugnissen zufolge war die Einstellung der frühen Semiten zum Schwein ebenso von Verehrung wie von Abscheu geprägt. Der Verzehr von Schweinefleisch galt als etwas Besonderes, ja, als Privileg und Ritual – eine unsinnige Vermengung des Heiligen mit dem Profanen, die sich zu allen Zeiten in allen Religionen findet. Dass der Mensch sich zum Schwein hingezogen und von ihm abgestoßen fühlte, hatte einen anthropomorphen Ursprung: Das Aussehen des Schweins, der Geschmack des Schweins, die Todesschreie des Schweins und die offensichtliche Intelligenz des Schweins erinnerten allzu unangenehm an den Menschen. Die Porcophobie – und die Porcophilie – hat demnach wahrscheinlich ihren Ursprung in der düsteren Zeit der Menschenopfer und sogar des Kannibalismus, auf den die »heiligen« Texte verschiedentlich recht deutlich hinweisen. Alles Erdenkliche – von der Homosexualität bis hin zur Inzucht – wird nur dann unter Strafe gestellt, wenn diejenigen, die das Verbot aussprechen (und die grausamen Strafen festlegen), den unterdrückten Wunsch verspüren, es selbst auszuprobieren. In Shakespeares König Lear heißt es, der Polizist, der die Hure auspeitsche, wolle am liebsten eben das mit ihr tun, wofür er sie bestrafe.

Auch Porcophilie kann im Dienste von Unterdrückung und Verdrängung stehen. Im mittelalterlichen Spanien, wo Juden und Muslime unter Androhung von Folter und Tod gezwungen wurden, zum Christentum zu konvertieren, vermutete die Kirchenführung zu Recht, dass viele der Übertritte nicht von Herzen kamen. Tatsächlich war die Inquisition zum Teil der Furcht der Kirche geschuldet, dass Ungläubige an der Messe teilnehmen könnten, wo sie natürlich, und das war noch abscheulicher, Menschenfleisch und Menschenblut zu sich zu nehmen vorgaben, das Jesu Christi nämlich. Aus dieser Furcht erwuchs unter anderem der Brauch, zu den meisten formalen und informellen Anlässen eine Wurstplatte zu reichen. Wer schon das Glück hatte, Spanien zu bereisen oder in einem guten spanischen Restaurant zu essen, wird mit dieser Geste der Gastfreundschaft wohl vertraut sein. Die Platte umfasst Dutzende verschiedener Sorten Schweinswurst unterschiedlichster Form. Ihren grausigen Ursprung hat diese Sitte indes in der ständigen Suche nach Ketzern, nach einer verräterischen Geste der Abneigung gegen Schweinefleisch. In den Händen eifernder christlicher Fanatiker wurde selbst der köstliche »jamón ibérico« zu einer Art Folterinstrument.

Heute hat uns die Dummheit von anno dazumal wieder eingeholt. In Europa fordern muslimische Eiferer, man müsse unschuldige Kinder vor den Drei Schweinchen, Miss Piggy, Ferkel aus Pu der Bär und anderen beliebten Tierhelden bewahren. Die verbissenen Kämpfer des Dschihad sind wahrscheinlich nicht belesen genug, um von Wodehouse und dem Schwein des Earl of Emsworth, der »Kaiserin von Blandings«, gehört zu haben oder dem von ihm verehrten Handbuch der Schweinehaltung aus der Feder des unvergleichlichen Mr. Whiffle. Sollten sie eines Tages darauf stoßen, ist Ärger vorprogrammiert. Eine alte Wildschweinstatue in einem Arboretum in Mittelengland war bereits vom hirnlosen islamischen Vandalismus bedroht.

Diese scheinbar triviale Hysterie zeigt im Kleinen, wie Religion, Glaube und Aberglaube unser Weltbild völlig verzerren. Das Schwein ist so eng mit uns verwandt und in vielerlei Hinsicht so nützlich, dass sich Humanisten heutzutage dafür aussprechen, es nicht mehr industriell zu halten, eingepfercht, von seinen Jungen getrennt und dazu verdammt, in seinem eigenen Kot zu hausen. Ungeachtet des bereits Gesagten hat das rosafarbene und leicht schwammige Fleisch aus dieser Massenhaltung ja auch wirklich etwas Abstoßendes. Doch wie jede Entscheidung, die wir über Lebewesen und erst recht über nahe Verwandte fällen, sollten wir auch diese im klaren Licht des Verstandes und des Mitgefühls treffen, statt uns von Zauberformeln aus der Eisenzeit leiten zu lassen, an deren Lagerfeuern noch erheblich schlimmere Verbrechen im Namen Gottes begangen wurden. »Schweinskopf auf einem Stock«, sagt Simon in Goldings Herr der Fliegen, als er vor dem verrottenden, vor Fliegen summenden Götzen – erst erlegt, dann verehrt – steht, den die grausamen und verängstigten Schuljungen aufgestellt haben. »Schweinskopf auf einem Stock.« [FUSSNOTE9]

Und damit lag er der Wahrheit näher, als er ahnte, und war schlauer als die Erwachsenen oder seine kriminellen Altersgenossen.