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Zwölftes Kapitel

Als sie das Seil erreichten, das in Höhe der Baumkronen den mächtigen braunen Fluss Ix überquerte, war Rebraal nicht mehr sicher, wer nun eigentlich wen zu retten versuchte.

Auf eine Nacht, in der sie aus reiner Erschöpfung recht lange geschlafen hatten, waren zwei Tage gefolgt, in denen Gyals Tränen auf sie herabgestürzt waren und den Wald bis auf den Boden durchnässt hatten. Manchmal ließen die Güsse nach, bis nur noch ein feiner Nieselregen fiel, doch meist schüttete es in Strömen, und über dem Blätterdach knallten zornige Donnerschläge.

Rebraals Schulter tat entsetzlich weh, und die zahlreichen Schnittwunden und Kratzer, die ihm zugefügt worden waren, als man ihn auf den Leichenhaufen geschleppt hatte, von dem Meru ihn wieder weggezerrt hatte, pulsierten im Gleichtakt. Sie hatten getan, was sie konnten – Legumia-Wurzelpaste für die tiefe Wunde vom Armbrustbolzen, Breiumschläge mit Färberwurzel für die Kratzer, Tränke aus Menispere, um das Fieber zu drücken. Er wusste jedoch, dass er trotzdem erkranken würde. Eigentlich sollte er sich ausruhen, statt zu rennen, durch Flüsse zu waten und ins Blätterdach zu steigen, um verborgene Laufstege und Seile zur Überquerung der mächtigen Flüsse und Wasserfälle zu benutzen.

Seine Muskeln waren überanstrengt, sein Rücken brannte höllisch, sein Bewusstsein trübte sich hin und wieder, und er war manchmal verwirrt. Er hatte mehr als einmal die Rufe von Vögeln und Affen missverstanden, einmal war er in einen Ameisenhaufen gelaufen und ein anderes Mal einem Krokodil nur um Haaresbreite entkommen.

Doch trotz seiner eigenen Leiden galt seine größte Sorge Mercuun. Er war an etwas erkrankt, das Rebraal nicht verstand und für das es keine Heilung gab. Aus heiterem Himmel bekam er Anfälle und musste nach Luft schnappend liegen bleiben, im nächsten Augenblick wurde er wieder von einer manischen Energie getrieben, auch wenn Letzteres jetzt immer seltener vorkam. Meru hatte angenommen, es habe mit seinem Magen zu tun, und einen ordentlichen Vorrat von Bittereschenrinde gesammelt, aus der sie einen starken Tee brauten, doch es hatte nicht geholfen.

Zwischen Mercuuns Energieausbrüchen schwand seine Muskelkraft, er verfiel zusehends und verlor oft das Gleichgewicht, und am zweiten Morgen hörte Rebraal ihn husten, als wolle er alle seine inneren Organe ausspucken. Sein Freund konnte die blutige Gischt, die bei jedem Hustenstoß aus seinem Mund spritzte, nicht verbergen.

Später am Nachmittag hatten sie am Ufer des Ix an einer Stelle gerastet, wo sie vor Gyals Tränen geschützt waren, und zu Orra, dem Gott des irdischen Lebenssaftes, darum gebetet, dass die Krankheit, die Mercuun plagte, rasch vorbei sein möge. Rebraal hatte ihn betrachtet, als sie unter den großen, breiten Wedeln einer jungen Palme eng beieinander saßen, und er hatte den Schatten des Todes im Gesicht seines Freundes bemerkt. Er schien von innen nach außen zu verfallen, und trotz ihres Wissens über Kräuter konnten sie kein Gegengift finden.

»Bist du sicher, dass dich nichts gebissen hat?«, bohrte Rebraal. Er lehnte sich an den Stamm der Palme und spürte schon wieder eine Schmerzwelle in den Beinen und im Hals.

»Ich bin sicher.« Mercuuns Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern, seine Kehle war wund vom Krampfhusten. Bei jedem Atemzug schauderte er.

»Hast du deine Haut überprüft? Wenn es keine Giftschlange war, könnte auch eine kurze Berührung eines Gelbrückenfrosches ausreichen.«

»Es ist kein Gift«, sagte Mercuun.

»Was ist es dann?« Rebraal wusste nicht mehr weiter.

»Ich habe keine Ahnung.« Mercuun schüttelte den Kopf und sah Rebraal an. Er hatte Angst, seine Augen verrieten es, und er begann vor Trauer und Furcht zu weinen, ehe er die Tränen unterdrücken konnte. »Shorth kommt. Ich kann es fühlen.«

»Du wirst nicht sterben, Meru.« Rebraal streckte eine Hand aus, die sein Freund nahm und drückte. »Wir sind vor Einbruch der Dämmerung im Dorf. Dort bekommst du Hilfe.«

Mercuun ließ den Kopf hängen und starrte den schlammigen Boden an. »Die Heiler wissen nichts, was nicht auch wir wissen.«

»Aber wenn nötig, können sie Magie einsetzen«, sagte Rebraal. Er drückte beruhigend Mercuuns Hand, bevor er steifbeinig aufstand. »Komm schon. Noch einmal hochsteigen, und danach geht es nur noch bergab.«

Doch als er ins Blätterdach hinaufschaute und sah, dass sie hundert Fuß hoch klettern mussten, ließ seine Zuversicht nach. Er hatte Meru über kleine Wurzeln stolpern sehen, und er selbst konnte nur noch einen Arm benutzen. Die andere Hand war so gut wie nutzlos, weil er wegen der Schulterwunde nicht mehr zupacken konnte.

»Es ist so hoch«, sagte Mercuun. Er starrte nach oben und über den Fluss.

Hoch über dem schmutzigen Wasser, wo sich die Äste der Bäume auf beiden Seiten einander annäherten, konnte das geübte Auge zwischen den Blättern und Ästen drei straff gespannte Seile erkennen. Die gleichermaßen von Elfen und Affen benutzte Brücke überspannte den hundert Schritte breiten Ix. Stromaufwärts stürzte ein Wasserfall mehr als fünfhundert Fuß tief in ein riesiges, geschütztes Becken. Der Abfluss wurde von den langen, trägen Windungen des tiefen Flusses stark verlangsamt. Weit stromabwärts, wo der Ix schmaler wurde, rauschte das Wasser zwischen Felsen durch eine enge Schlucht, bevor er sich wieder verbreiterte und ruhiger dahinströmte. Doch überall, auf seiner ganzen Länge, lauerte der Tod unter der Wasseroberfläche.

»Wir können es schaffen«, versicherte Rebraal ihm und ließ die Tatsache unausgesprochen, dass sie schwimmend den Fluss niemals überqueren konnten. Sie waren zu schwach, und sie rochen zu sehr nach Blut. Bisher hatten sie Glück gehabt, was Panther und Jaguare anging. Dieses Glück würde sie im Wasser schlagartig verlassen. »Du gehst zuerst. Ich passe auf dich auf. Ich lasse dich nicht im Stich.«

Mercuun kam schwerfällig auf die Beine und lehnte sich einen Moment an die Palme, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dann folgte er Rebraal hinunter zum riesigen Banyanbaum, an dem die Seile befestigt waren. Sie gingen fast unter im Gewirr der Lianen und waren mit Harz, Öl und einigen Sprüchen vor Verwesung geschützt. Er atmete tief durch, ballte die Hände zu Fäusten, sah kurz nach oben und begann zu klettern.

 

»Hier stimmt was nicht«, sagte der Unbekannte. »Spürt ihr das auch?«

Hirad zuckte mit den Achseln. Sie saßen mit Darrick und Thraun in einem Esslokal im Hafen. Ilkar hatte ihnen erklärt, es sei ein typisches Lokal, wie es die Elfen bevorzugten, mit langen Tischen und Bänken, hohen Decken, vielen Fenstern und exotischen Suppen und Fleischsorten. Das Lokal war gut besucht, doch zwischen ihnen und den übrigen Gästen, die hauptsächlich Elfen waren, klaffte ein unübersehbares Niemandsland.

Der Julatsaner und Ren hatten versprochen, sie im Lokal zu treffen, während Erienne und Denser die Märkte der Stadt besuchten. Aeb, der beim Anlegen im Hafen hin und wieder neugierige Blicke auf sich gezogen hatte, war im Gasthof und hielt Kommunion mit seinen Brüdern im Seelenverband.

»Du meinst, die Elfen mögen uns nicht?«, sagte Hirad.

»Nein, das meine ich nicht. Bisher waren sie sogar recht freundlich, wenngleich etwas reserviert. Nein, ich meine die Atmosphäre. Es ist, als würde sich eine Angst vor irgendetwas aufbauen. Ich kann es nicht genau benennen. Spürst du denn nichts?«

»Nein.« Hirad schaufelte sich mit Suppe getränktes Brot in den Mund.

Der Unbekannte schüttelte den Kopf. »Ich weiß gar nicht, warum ich mir überhaupt die Mühe mache. Dein Fell ist dicker als das der Drachen. Darrick, was meinst du?«

»Schwer zu sagen«, erwiderte der ehemalige lysternische General. Er beugte sich vor. »Im Hafen herrscht eine Art von Unsicherheit vor, aber ich würde sagen, das liegt nur am Rückgang des Handels. Da steckt nichts Schlimmes dahinter.«

Hirad betrachtete den Unbekannten und empfand ein Unbehagen, das ihm nur zu gut vertraut war. Er kannte den großen Mann seit fünfzehn Jahren und wusste, dass er sich nur höchst selten irrte. Seit der Unbekannte, obschon nur kurze Zeit, als Protektor gedient hatte, war sein Instinkt, der ihn vor Schwierigkeiten und Gefahren warnte, sogar noch stärker geworden. Sein Gesichtsausdruck verriet Hirad, dass es keinen Zweifel gab.

Der Barbar wandte sich an Thraun. Der Gestaltwandler hatte gegessen, als hätte er seit Tagen nichts bekommen, aber jetzt starrte er den Unbekannten mit halb geöffnetem Mund an. Der Löffel war vergessen. Der Unbekannte deutete auf ihn.

»Thraun weiß, was ich meine«, sagte er. »Nicht wahr, Thraun?«

Es schien fast, als reagiere er mit einem winzigen Nicken, aber sonst war ihm nichts anzumerken.

»Was soll denn los sein?«, fragte Darrick.

»Im Augenblick ist es nur eine Ahnung«, erklärte der Unbekannte. »Es ist wie bei überreifen Früchten, wenn sie unglaublich süß sind und kurz vor der Verwesung stehen. Was es auch ist, es ist im Augenblick noch unter der Oberfläche, aber es wird nicht mehr lange dort bleiben.«

»Ich kann dir nicht folgen«, sagte Hirad.

Kurz darauf kam Ilkar mit Ren herein und bestätigte die Befürchtungen des Unbekannten.

»Überall sind Elfen erkrankt«, berichtete er, als er sich gesetzt hatte und auf die Bedienung wartete. »Es ist eigenartig. Überall das Gleiche, egal wo wir waren.«

»Eine Seuche?« Der Unbekannte zog die Augenbrauen hoch.

»Wenn es eine Seuche ist, dann ist es eine, die mir völlig unbekannt ist. Wir haben mit Magiern gesprochen, die aber keine Ursache gefunden haben. Sie sehen nur die Auswirkungen. Die traditionellen Heiler sind mit der großen Zahl der Kranken überfordert. Es hat anscheinend erst vor einigen Tagen begonnen.«

»Dann hattest du also Recht, Unbekannter«, sagte Hirad.

»Leider ja«, bestätigte er. »Was meinst du, Ilkar?«

Der Julatsaner zuckte mit den Achseln. »Die Informationen sind lückenhaft, aber anscheinend gibt es keine erkennbare Entwicklung und auch kein Epizentrum. Wie dem auch sei, ich glaube, es ist gut, dass wir morgen aufbrechen.«

»Hast du ein Boot gefunden?«, wollte Darrick wissen.

»Und einen Führer. Die Navigation ist nicht einfach, und ich bin froh, dass ich mich nicht auf meine Erinnerungen verlassen muss. Wasserläufe und die Landschaft verändern sich … du weißt ja, wie das ist.«

»Eigentlich weiß ich es nicht«, sagte Hirad. »Aber du lebst ja auch schon viel länger als wir anderen.«

»Das kann man wohl sagen.« Ilkar lächelte. Es war immer ein etwas trauriges Lächeln, dachte Hirad, wenn Ilkar an seine relative Unsterblichkeit erinnert wurde.

»Müssen wir uns Sorgen machen?«, fragte der Unbekannte.

»Die Leute haben Angst«, erklärte Ren. »Es ist hier in der Umgebung nicht ganz so schlimm, der Hafen scheint noch nicht betroffen, aber die Angst breitet sich aus. Früher oder später werden sie nach Schuldigen suchen, und man braucht nicht viel Phantasie, um zu sich zu überlegen, auf wen sie mit den Fingern zeigen werden.«

»Lasst euch möglichst schnell Elfenohren wachsen«, riet Ilkar.

»Da lasse ich mich lieber beschimpfen«, sagte Hirad.

»Darf ich um Gehör bitten?« Der Unbekannte klopfte mit der Gabel auf den Tisch. »Erzählt mir, wer diese Krankheit bekommt und was dann geschieht.«

»Nach allem, was wir gesehen haben, kann es jeden treffen. Jung und Alt, Männer und Frauen, Reiche und Arme«, sagte Ren. »Ich glaube nicht, dass es mit den Lebensumständen zu tun hat. Äußerliche Zeichen gibt es auch nicht, keine Geschwüre oder Entzündungen.«

»Die Betroffenen haben auch kein Fieber«, ergänzte Ilkar. »Wir konnten herausfinden, dass die Erkrankung den Gleichgewichtssinn stört und mit Anfällen von Übelkeit und Muskelschwäche einhergeht. Eine Magierin, die wir getroffen haben, meinte, es gäbe organische Schäden, aber es ist noch zu früh, um wirklich etwas zu sagen.«

»Eigenartig«, meinte Darrick. »Und wie viele sind bisher gestorben?«

»Bisher noch niemand, aber es hat ja gerade erst begonnen«, antwortete Ren. »Vielleicht nimmt es einen harmlosen Verlauf, und die Leute erholen sich wieder. Aber wenn es Todesfälle gibt und keine Heilung in Sicht ist, dann wird sich die Panik, die gerade beginnt, noch verschärfen.«

»Habt ihr wirklich noch Hoffnung, Magier zu finden, die bereit sind, nach Balaia mitzukommen?«, fragte der Unbekannte. »Wir können schon von Glück reden, wenn überhaupt noch ein Schiff auslaufen darf, falls es tatsächlich eine Seuche ist.«

»Der Gedanke kam mir auch schon. Kein Magier wird das Land verlassen, solange er glaubt, er könne hier etwas tun.«

»Ich dachte, diese Seuche wäre ein sehr guter Grund, das Land zu verlassen«, sagte Hirad. »Sie könnten sich damit in Sicherheit bringen.«

Ilkar schüttelte den Kopf. »Hirad, du verstehst die elfische Gesellschaft nicht. Sie beruht auf Ehre und ist nicht von Profitstreben und Magie bestimmt wie in Balaia.«

»Dann müsstest auch du hier bleiben?«, fragte der Unbekannte.

»Das ist schwierig«, erklärte Ilkar. »Wenn es ernst wird, muss ich darüber nachdenken, aber ich gehöre nicht hierher. Meine Heimat ist Julatsa. Ich fühle mich den Elfen, die ihr ganzes Leben hier verbracht haben oder nur zur Ausbildung in Julatsa waren, nicht sehr verbunden. Es wäre nicht unehrenhaft, das Land zu verlassen, aber das heißt nicht, dass es mir leicht fiele.«

»Denk nicht weiter darüber nach«, sagte der Unbekannte. »Wir müssen Magier finden, die dir helfen, das Herz von Julatsa zu bergen. Wenn uns das nicht gelingt, ist diese Krankheit, was immer auch dahintersteckt, im Vergleich nur eine kleine Unbequemlichkeit.«

Hirad konnte sehen, dass sie die Aufmerksamkeit einiger anderer Gäste in der Nähe erregt hatten.

»Wir sollten die Stimmen dämpfen«, sagte er leise.

»Wir sollten sogar noch mehr tun«, sagte der Unbekannte. »Wir sollten zum Gasthof zurückkehren und bis zur Morgendämmerung in unseren Zimmern bleiben. Was ich hier spüre, gefällt mir nicht. Hat jemand eine Ahnung, wann Denser und Erienne zurückkommen wollen?«

Ilkar schüttelte den Kopf. »Ihretwegen brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Sie sind Magier, und das kann jeder Elf erkennen. Man wird ihnen nichts tun. Vielleicht bittet man sie um Hilfe, aber man wird ihnen nichts tun.«

Sie standen auf und gingen. Ilkar entschuldigte sich bei dem Jungen, der gerade eine Platte mit Fleisch und Käse servieren wollte. Er bezahlte alles und führte seine Freunde nach draußen.

»Was meinst du, werden wir uns auch diese Seuche einfangen?«, fragte Hirad.

»Keine Ahnung«, sagte Ilkar. »Aber darüber können wir uns jetzt wirklich nicht den Kopf zerbrechen.«

Er zuckte mit den Achseln und ging weiter. Er versuchte, sich unbefangen zu geben, doch Hirad konnte sehen, dass Ilkar sehr besorgt war. Nicht nur seinetwegen, sondern auch wegen ihrer Suche nach Magiern. Hirad hoffte, die Morgendämmerung würde ein freundlicheres Licht auf alles werfen, doch irgendwie bezweifelte er es.

 

Mercuuns Sturz war ebenso erschreckend wie vorhersehbar. Nachdem sie entsetzlich langsam zur Seilbrücke hinaufgeklettert waren, hatten sie die unbeholfene, nervenaufreibende Überquerung des Ix in Angriff genommen. Mercuuns Schwäche und sein gestörter Gleichgewichtssinn gefährdeten sie beide.

Fünfmal musste Rebraal sich an die Seile der schwankenden Brücke klammern, als sein Freund ausglitt oder stolperte. Er ignorierte das Stechen in der linken Schulter und half Mercuun, während er Atem schöpfte.

Es war schrecklich anzusehen. Mercuun war der Trittsicherste von ihnen allen gewesen. Er hatte sich mit der Eleganz eines Panthers und der Gewandtheit eines Affen bewegt. Er hätte ein TaiGethen sein können. Jetzt hatte ihn irgendetwas, das man nicht ergründen konnte, binnen drei Tagen in ein schlotterndes Trampeltier verwandelt, das Höhenangst hatte.

Rebraal hatte, offenbar voreilig, erleichtert aufgeatmet, als sie das gegenüberliegende Ufer erreicht hatten und Mercuun schwitzend und zitternd die Arme um einen Ast schlingen konnte. Rebraal hatte, obwohl benommen vor Fieber und Anstrengung, sofort mit dem Abstieg begonnen und Mercuun gesagt, er solle ausruhen, bis er sicher war, dass er sich bewegen konnte, so lange es auch dauern mochte. Rebraal hätte selbst Tage auf seinen Freund gewartet, doch Mercuun sah so aus, als hätte er nicht mehr so viel Zeit. Meru spürte es selbst. Deshalb setzte er sich viel zu schnell wieder in Bewegung.

Rebraal war noch zwanzig Fuß über dem Boden, als über ihm ein dicker Ast brach. Eine dunkle Gestalt stürzte an ihm vorbei, Blätter und Holzsplitter flogen in alle Richtungen. Mercuun stürzte geräuschlos an ihm vorbei, er hatte Arme und Beine ausgebreitet, um seinen Sturz so gut wie möglich abzubremsen. Dies und die Schlaffheit seines Körpers, als er unten aufschlug, rettete ihm zweifellos das Leben.

So fand Rebraal ihn mit gebrochenen Knochen, aber noch lebendig unten vor.

»Meru, sprich mit mir.«

»Es tut weh, Rebraal, es tut weh.«

»Natürlich tut es weh. Du bist achtzig Fuß tief gefallen.«

Rebraal musterte ihn, er konnte fast nicht glauben, was er sah. Mercuun bewegte sich und war bei Bewusstsein, aber sein linkes Bein war in einem unnatürlichen Winkel verdreht. Der linke Arm lag unter ihm, und aus dem Mund rann ein Blutfaden.

»Bleib still liegen. Ich hole etwas Casimir gegen die Schmerzen.«

»Beeil dich.«

Rebraal rannte los und suchte die breiten, hellgrünen Blätter und die gelbgrünen kugeligen Früchte. Er achtet kaum auf seinen eigenen Zustand, das Adrenalin verbannte die Schmerzen und das Fieber. Er musste sich beeilen. Nicht nur weil Mercuun solche Qualen litt, sondern auch, weil der Regenwald voller Raubtiere und Aasfresser war. Und in diesem Augenblick war sein Freund eine leichte Beute.

Mercuun hatte, was vielleicht eine Gnade war, das Bewusstsein verloren, als Rebraal zu ihm zurückkehrte. Fliegen krochen über sein Gesicht, und eine Eidechse schnüffelte am Blut herum, das aus seinem Mund rann. Droben in den Bäumen hatten sich bereits Vögel versammelt.

»Tual, verschone ihn«, betete Rebraal flüsternd zur Göttin der Waldbewohner. Er suchte in Mercuuns Ledersack nach dem Metallbecher und dem kleinen Medizinbeutel.

Er eilte zum Flussufer, schöpfte etwas Wasser, sammelte auf dem Rückweg kleine Zweige und machte ein winziges Feuer aus feuchtem Holz, das er mit Mercuuns Zunder in Gang brachte. Er erhitzte das Wasser über der spuckenden Flamme und schützte seine Hände mit einem Tuch vor dem heißen Metall.

Als das Wasser kochte und dampfte, gab er einige Blätter in den Becher. Der kräftige, frische Geruch stieg ihm in die Nase.

»Es ist fast bereit, Meru«, sagte er, obwohl sein Freund es nicht hören konnte. Doch er bewegte sich und würde wohl gleich wieder zu sich kommen. Er stöhnte leise.

Als der Aufguss fertig war, kippte Rebraal die trübe Flüssigkeit in einen Lederbeutel, gab einige Samen von der Casimirfrucht dazu und hielt den Bodensatz zurück. Während die Flüssigkeit abkühlte, schöpfte er den Bodensatz mit einem Palmblatt aus dem Lederbeutel, blies darauf, bis er ihn gerade eben berühren konnte, und verteilte ihn auf Mercuuns Brüchen, nachdem er, wo es nötig war, die Kleidung aufgeschnitten hatte. Den Rest schmierte er sich auf seine eigene Schulter.

Mercuun öffnete flatternd die Augen. »Ich sterbe, Rebraal.«

»Nein, du stirbst nicht. Lass mich deinen Kopf stützen, während du das hier trinkst.«

Er kniete nieder und legte Mercuuns Kopf auf seinen Schoß. Der schwer verletzte Elf schluckte bereitwillig den Aufguss. Er wusste, dass das starke Betäubungsmittel seine Schmerzen lindern würde.

»Was willst du jetzt machen?«, fragte er, als das Leder leer war.

»Dich nach Hause tragen, Meru. Du musst behandelt werden.«

»Aber deine Schulter.« Mercuun hob schwach einen Arm.

»Das wird schon. Vertrau mir.«

»Yniss möge dir beistehen, Rebraal.«

»Und dir auch, Meru. Wie fühlst du dich?«

»Die Schmerzen lassen nach.«

»Gut, dann lass uns aufbrechen.«

Rebraal packte Mercuuns Ledersack und schlang ihn sich über die rechte Schulter. Dann bückte er sich und hob seinen Freund hoch. Er spürte, wie seine eigene Wunde aufplatzte und zu bluten begann, doch der Schlamm der Blätter dämpfte die Schmerzen zu einem dumpfen Pochen.

Mercuun hing wie tot in seinen Armen. Sein Kopf lag an Rebraals Brust.

»Es ist jetzt nicht mehr weit«, sagte Rebraal. »Ruh dich aus.«

Mercuun kicherte. »Lüge mich nicht an. Ich bin verletzt, aber ich bin noch bei Verstand. Du bist derjenige, der sich ausruhen müsste.«

Rebraal knirschte mit den Zähnen und machte sich auf den Weg. Es waren noch fast zehn Meilen bis zum Dorf, und sie mussten durch dichten Regenwald, steile Hügel hinauf und durch schlammige Senken an einem gefährlichen Fluss entlanglaufen. Rebraal sandte ein Gebet an Yniss und bat um Kraft, um zu überleben, und ließ den Fluss Ix hinter sich.