e9783641087036_i0017.jpg

Zehntes Kapitel

Die morgendliche Kakophonie von Affen, Vögeln, Insekten, Fröschen und allem anderen, was eine Stimme hatte, war in vollem Gange, als Ben-Foran beschloss, sich im Becken im Tempel zu waschen. Yrons recht unbeholfene Arbeit an der Hand der Statue hatte zwar die Schönheit des Standbildes zerstört, aber den gewünschten Effekt gezeitigt. Der erheblich verstärkte Zustrom von Wasser ins Becken hatte den Schmutz von vier Dutzend schwitzenden, verdreckten Männern rasch fortgespült, und jetzt, im Zwielicht der Morgendämmerung, war es wieder kristallklar.

Yron achtete sehr darauf, dass seine Männer nicht faul wurden. Abgesehen von den Kranken und den Magiern, die sich um die Kranken kümmerten oder Schriftrollen und Pergamente in einem Raum auswerteten, der sich beim ersten Morgengrauen geöffnet hatte, waren alle anderen draußen. Genauer gesagt, alle außer Ben, der im Tempel Dienst als Aufseher hatte. Während er schwamm, waren Yron und alle anderen, die einigermaßen in Form waren, in kleinen Gruppen unterwegs, erkundeten die Rückseite des Tempels und die Umgebung, sammelten Feuerholz oder bereiteten das Frühstück vor und machten eine Bestandsaufnahme des Lagers.

Trotz der schwierigen Situation im Regenwald, obwohl sie so viele Männer verloren hatten, mit denen er gereist war, und trotz des unangenehmen Gefühls, dass dies im Grunde doch nichts weiter als ein Raubüberfall war, musste Ben-Foran sich eingestehen, dass er es genoss. Teilweise einfach deshalb, weil er mit kaum einem Kratzer überlebt hatte und sich nicht das Fieber zugezogen hatte, dem so viele zum Opfer gefallen waren. Vor allem aber, weil er bei Hauptmann Yron war, einem echten Anführer, der von seinen Untergebenen sehr geschätzt wurde. Die Männer achteten ihn, weil er seine Leute unabhängig vom Rang als Gleichgestellte behandelte, was angesichts der Tatsache, dass er ihr Vorgesetzter war, einen recht schwierigen Balanceakt darstellte. Und er war ein großartiger Lehrer, der immer wieder mit Überraschungen aufwarten konnte und sich Dinge einfallen ließ, auf die niemand außer ihm gekommen wäre. Sein unorthodoxes Vorgehen machte ihn bei seinen eigenen Vorgesetzten nicht gerade beliebt und war zweifellos auch der Grund dafür, dass er an Einsatzorten wie dem calaianischen Regenwald jede Menge Erfahrung sammeln konnte. Für seine Männer waren solche Einsätze Erlebnisse, über die sie ihr Leben lang reden konnten. Falls sie überlebten.

Ben-Foran hatte Angst, in Flüssen oder überhaupt in offenen Gewässern zu schwimmen, in denen irgendwelche Geschöpfe lauern konnten, doch dieses Becken war die reinste Erholung. Aus einer Laune heraus tauchte er und schwamm nach unten, bis er langsam über die Hand der Statue hinwegschwebte, die am Boden des Beckens lag. Den Lärm des Regenwaldes konnte er unter Wasser kaum noch hören.

Er sah, dass ein Teil des Daumens abgebrochen war, als die Hand auf den Boden des Beckens geprallt war. Das Stück steckte unter den anderen Marmorbrocken. Er stemmte sich an die Wand des Beckens und stieß die Hand zur Seite, bis der Daumen zugänglich war. Er hielt das Stück hoch wie eine Trophäe und kehrte zur Oberfläche zurück.

»Guten Morgen, Ben.« Die Stimme des Hauptmanns hallte durch den Tempel.

»Guten Morgen, Sir«, erwiderte Ben. Er drehte sich im Wasser herum und sah Yron als Silhouette in der Tür stehen. Die Leinwandtür war an der Seite festgebunden.

»Schön, dass Ihr Euch während der Wache sinnvoll zu beschäftigen wisst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in den nächsten Tagen irgendetwas dringender brauchen als einen erfahrenen Taucher.«

Ben-Foran errötete und schwamm eilig zum Rand des Beckens, um sich hinaufzuziehen und sich tropfend auf den Rand zu setzen. Auf einmal schlug sein Herz sehr schnell.

»Entschuldigung, Sir.«

Zu seiner Überraschung und Erleichterung lachte Yron. »Keine Sorge, Bursche.« Der Hauptmann klopfte ihm auf die Schulter, und das feuchte Schmatzen hallte laut durch den Tempel. »Genau das hätte ich auch gemacht.«

Ben stand auf und legte seinen Lendenschurz an. Den Daumen hielt er mit einer Hand fest.

»Ich sehe aber, dass Eure Erkundung nicht ganz vergebens war.« Yron deutete auf die Beute.

»Nein, Sir. Ich sah, dass ein Stück vom Daumen abgebrochen war, und ich dachte …«

»Ihr dachtet, Ihr könntet Euch ein Andenken mitnehmen.«

»Ja, Sir.«

Yron schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. Er schnippte mit den Fingern und streckte die Hand aus. »Nun, mit einer kleinen Änderung war es gar kein so schlechter Plan.«

Ein wenig widerstrebend übergab Ben den Daumen. Yron betrachtete ihn genau. Das Stück war schön und detailliert gearbeitet und so lang wie seine Hand.

»Nun folgt eine Lektion, die ich Euch wirklich gern erteile«, sagte Yron breit lächelnd.

»Welche denn, Hauptmann?« Ben hatte den Eindruck, die Frage werde erwartet, auch wenn er keine Lust hatte, sie zu stellen.

Yron beugte sich ein wenig zu ihm. »Das ist etwas, das Ihr zweifellos in der Zukunft noch üben könnt, wenn Ihr ein eigenes Kommando führt. Man nennt es seinen Rang ausnutzen.« Er kicherte und steckte sich das Stück in die Tasche, dann breitete er die Arme aus. »So, das war es schon. Ist das nicht einfach? Und jetzt zieht Euch an, ich will Euch etwas zeigen.«

Ben nickte. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er schon trocken war. Er runzelte die Stirn und hielt einen Moment inne. Es war im Tempel eindeutig wärmer als am vergangenen Nachmittag. Seltsam. Er zuckte mit den Achseln und zog die Hosen an.

 

Er war der Anführer der Einsatztruppe und wusste, dass es folglich an ihm hängen blieb. Sytkan unternahm den längsten Spaziergang seines Lebens und wanderte den sanften Hang von Herendeneth bis zum Monument hinauf. Er ging allein, um seine friedlichen Absichten zu demonstrieren, und sein einziger Trost war, dass sie wirklich glaubten, er sei gekommen, um zu helfen.

Sie beobachteten ihn, als er an den Gräbern der Ahnen vorbeikam. Ihre Köpfe bewegten sich nicht, ihre Augen blinzelten nicht. Sytkan war sich sehr bewusst, wie winzig er war und wie leicht es einem dieser unglaublichen Geschöpfe gefallen wäre, ihn auszulöschen.

Er hatte keine wirkliche Vorstellung von ihrer Größe gehabt, er hatte nicht gewusst, wie sehr sie jeden Ort dominierten, an dem sie sich aufhielten. Erst als er näher kam, wurde es ihm klar, und dort lagen sie nun wie zwei riesige goldene Skulpturen. Jeder war von der Nase bis zum Schwanz mehr als hundert Fuß lang, ihre liegenden Körper waren höher als ein Haus, und die ungeheuren Flügel waren über den glitzernden Schuppen an der Seite zusammengefaltet.

Als Sytkan bis auf dreißig Fuß heran war, wurde er nervös, und seine Schritte wurden zögernd. Er hatte schon ihren scharfen Geruch nach Holz und Öl in der Nase. Köpfe, die so hoch waren wie er, wurden auf langen, anmutigen Hälsen zu ihm herumgedreht und zeigten ihm erneut, wie unbedeutend er war. Er konnte nichts weiter tun als stehen bleiben.

»Äh …«, begann er. Die sorgfältig geplante Ansprache war vergessen. Er starrte die oberen Reißzähne des größeren Drachen an, als dieser das Maul öffnete. Bei den brennenden Göttern, diese Zähne.

»Ich bin Sha-Kaan, der Große Kaan meiner Brut. Hier bei mir ruht Nos-Kaan. Mein Drachenmann und Freund Hirad Coldheart unterrichtete mich, dass du Sytkan bist, ein Magier aus Xetesk. Du bist mit deinen Leuten gekommen, um für uns einen Weg aus dieser unschönen Dimension in unsere Heimat zu suchen.«

»Ich … ja«, sagte Sytkan. »Ich … also, teilweise, wenigstens. Und deshalb müsste ich … müssten wir euch vielleicht einige Fragen stellen. Ist es … äh … wäre das akzeptabel?«

Der große Drache lachte. Der Atemstoß warf Sytkan von den Beinen; die Luft donnerte um seine Ohren, erschütterte den Boden und die Atmosphäre.

»Das wird erwartet«, sagte Sha-Kaan. »Wie sonst könntet ihr verstehen, wo man Beshara findet?«

Sytkan stand langsam wieder auf und klopfte sich den Staub ab. »Beshara?«, fragte er.

»Unsere Heimat«, erklärte Sha-Kaan.

»Entschuldigung, natürlich«, sagte Sytkan. Er hatte den Namen noch nie gehört. Er erwiderte Sha-Kaans Blick, er blickte tief in die unergründlichen Augen, erkannte die Macht, die in ihnen lag, und verlor die Fassung. »Nun, äh, ich bin hergekommen, um mich vorzustellen. Ich bin der Anführer der Xeteskianer, und ich kann euch versichern, dass wir gute Absichten haben und auf die bestmögliche Art mit euch zusammenarbeiten wollen. Ich möchte fragen, ob es einen besseren oder schlechteren Augenblick gibt – wenn du verstehst, was ich meine –, um mit euch zu reden?«

Sytkan schnappte nach Luft. Sha-Kaan betrachtete ihn lange, die riesige schlitzförmige Pupille verengte sich eine Spur. Er blinzelte langsam und öffnete seinen Mund. Der Magier kämpfte gegen den Impuls an, sich einfach umzudrehen und wegzulaufen.

»Sehr zuvorkommend«, sagte Sha-Kaan ohne jede Spur von Wärme. »Frage uns, was du willst und wann du willst, obwohl ich der Ansicht bin, dass es sinnvoll sein könnte, darauf zu achten, dass wir uns am Boden befinden.« Sha-Kaan lachte über seinen lahmen Scherz. »Nun geh, falls du nichts weiter zu sagen hast.«

»Gerne«, sagte Sytkan. Er war ungeheuer erleichtert. »Vielen Dank.«

Er drehte sich um und hatte kaum einen Schritt gemacht, als er schon wieder Sha-Kaans Augen vor sich sah. Der lange Hals des Drachen hatte ihn einfach in einem Bogen überholt.

»Sage mir, Sytkan«, grollte Sha-Kaan. »Es gibt nur noch zwei Al-Drechar und nur zwei Drachen der Kaan auf dieser Insel. Um zu forschen und Informationen zu sammeln, hast du jedoch dreißig Magier und einhundert Protektoren mitgebracht. Vielleicht könntest du dies erklären.«

Sytkan wurde es innerlich eiskalt. »Nun ja, es sind viele verschiedene Disziplinen vertreten«, stammelte er. »Viele Richtungen, in die man forschen muss. Die Protektoren sind lediglich …«

Sha-Kaan schnaubte verächtlich, und Sytkan setzte sich noch einmal auf den Hintern. »Versuche nicht, meine Intelligenz zu beleidigen.« Sein Kopf schoss vorwärts, und seine Schnauze hielt nur wenige Handbreit vor Sytkans Gesicht inne. Der Magier sah nur noch Schuppen, Zähne und Zorn. »Meine Flammenkanäle sind trocken, aber die hier«, er knackte drohend mit dem Kiefer, »sind noch völlig in Ordnung. Ich werde euch beobachten. Euch alle. Gebt mir keinen Grund, Enttäuschung zu empfinden.«

 

Selik hätte beinahe schallend gelacht. Sie waren nach ihrem Aufbruch in Erskan scharf geritten und hatten erst nach Einbruch der Dunkelheit für wenige Stunden ein Lager aufgeschlagen, ehe sie in frühester Morgendämmerung wieder aufgebrochen waren. Dennoch hätte er nicht erwartet, seine Beute vor dem folgenden Tag zu sehen. Doch bereits am späten Vormittag erblickte er sie, kaum mehr als zwei Meilen voraus, auf dem Weg. Der Staub, den sie aufgewirbelt hatten, stieg deutlich sichtbar in den Himmel.

Sie fuhren auf der Hauptstraße, die zum zerstörten Denebre und dann ins Land der Magier führte, nach Norden. Diese Landschaft war einst eine fruchtbare Region gewesen, doch wie so vieles in Balaia war auch sie zerstört worden. Bäume waren umgeknickt oder entwurzelt, Bauernhöfe waren aufgegeben worden. Felder verwilderten oder trugen noch die verfaulenden Früchte, die niemand geerntet hatte. Es war eine sanft gewellte Landschaft mit lieblichen Hängen und Tälern, durch die sich zahllose Bäche und Flüsse zogen. Im Westen nahmen die Blackthorne-Berge den ganzen Horizont ein. Den hageren, majestätischen Bergen standen im Osten die Varkawk-Klippen gegenüber, der Schauplatz eines der berühmtesten Siege über die Wesmen.

Selik nahm jedoch die Landschaft kaum wahr. Er und seine Männer hatten auf einer Anhöhe die Pferde gezügelt und blickten auf die mit Gras bewachsene Ebene hinunter. Mitten darin rollte ein einziger gedeckter Wagen langsam dahin, und jetzt war klar, warum die Magier so langsam vorankamen. Trotz Erskans Versicherung, er zähle Magier zu seinen Freunden, war er mit diesen hier, wie viele es auch sein mochten, nicht sehr freundlich verfahren. Die Kutsche wurde von einem einzigen, recht kleinen Pferd gezogen.

Selik wandte sich an Devun. »Was schätzt du, wie viele es sind?«

Der Mann blies die Wangen auf. »Sie sind sehr langsam, aber von hier aus kann man nicht erkennen, in welcher Verfassung das Pferd ist. Ich würde annehmen, dass die Kutsche überladen ist. Wenn zwei vorne sitzen, dann könnten drinnen bis zu vier sein, dazu käme noch das Gepäck.«

»Vorausgesetzt, es waren jemals so viele Magier in Erskan.«

Devun zuckte mit den Achseln. »Es ist sicherer, wenn wir ihre Zahl überschätzen.«

»Also gut.« Selik nickte und wandte sich mit erhobener Stimme an seine Männer. »Wir wollen annehmen, dass dort sechs Magier sind. Ich glaube nicht, dass sie Krieger haben, die sie beschützen. Ihr wisst alle, was ihr zu tun habt. Wir wollen es nicht überstürzen, damit sie uns erst hören, wenn es schon fast um sie geschehen ist. Es ist mal wieder Zeit, ein klares Zeichen zu setzen. Los jetzt.«

Auf der Straße gab es kaum Deckung, und die Magier würden sie bemerken, sobald jemand sich umdrehte. Da die Schwarzen Schwingen keine magische Verteidigung besaßen, waren sie magischen Angriffen schutzlos ausgeliefert. Doch sie waren fünfzig Kämpfer, die wussten, wie gefährlich es war, feindliche Magier anzugreifen, und ihre Taktik war denkbar einfach.

Im raschen Trab verringerten sie die Distanz zu dem Wagen, der über den unebenen Boden holperte und rumpelte. Selik ritt im Zentrum der lockeren Gruppe. Er spürte einen Kitzel, als sie sich dem Ziel näherten. Dies sollte ein Schlag für Balaia werden. Ein Schlag für die Gerechtigkeit.

Etwa eine halbe Meile bevor sie die Kutsche erreichten, wurden sie bemerkt. Die hintere Leinwand des kastenförmigen Aufbaus wackelte, und auch wenn er es nicht hören konnte, stellte Selik sich den Alarmruf vor; er konnte beobachten, wie das einsame Pferd zu einem Galopp angetrieben wurde.

Die Kutsche entfernte sich, doch Selik konnte sofort sehen, dass sie das Tempo nicht halten konnte. Er verzichtete darauf, seine Schwarzen Schwingen schneller reiten zu lassen, und folgte der Kutsche beinahe gemächlich, bis sie von selbst wieder langsamer wurde. Er weidete sich an der Verzweiflung, die sie jetzt empfinden mussten. Selbst wenn die Magier nicht wussten, wer ihnen folgte – fünfzig Berittene waren in Zeiten wie diesen selten ein Anblick, der Gutes verhieß.

Eine Viertelmeile voraus wurde das Kutschpferd deutlich langsamer, bis der Wagen in einer Staubwolke auf dem Weg stehen blieb. Vorne und hinten sprangen Gestalten herunter, knieten nieder und bewegten sich nicht mehr. Sie wirkten Sprüche.

Das war zu erwarten gewesen. Selik ließ den Arm mit gespreizten Fingern über dem Kopf kreisen, das Signal zum Ausschwärmen und zum Angriff im Galopp. Die Schwarzen Schwingen hinter ihm beschleunigten und zogen sich zu einer halbmondförmigen Doppelreihe auseinander. Die vier an den Spitzen, seine besten Reiter, legten Pfeile in die Bogen und lenkten ihre Pferde allein mit Steigbügeln und Schenkeldruck.

Das Blut rauschte durch Seliks Körper und zwickte sogar die abgestorbenen Teile seines Gesichts und seiner Brust mit Nadelstichen. Er atmete tief durch und stieß einen triumphierenden Schrei aus.

Die Magier vor ihnen blieben ruhig bis auf einen, der aufschaute und die Arme weit ausbreitete. Die Bogenschützen an den Flanken nahmen das Ziel, verschossen ihre Pfeile und drehten sofort wieder ab. Selik sah, wie die Pfeile vom harten Schild des Magiers abprallten.

Orangefarbene Blitze zuckten über den Himmel.

»Formation auflösen«, brüllte Selik. Ein halbes Dutzend Feuerkugeln rasten ihnen entgegen.

Die Schwarzen Schwingen verteilten sich, als die Kugeln aus Mana-Feuer, jede so groß wie ein Schädel, durch den Himmel geflogen kamen. Die Magier waren gut, die einzelnen Kugeln fanden ihre Ziele schneller, als die Pferde galoppieren konnten. Zwei oder drei Reiter und Pferde wurden von ihnen erfasst, und der geräuschlose Einschlag wirkte umso schrecklicher, weil Männer und Pferde zu kreischen begannen.

Flach im Sattel kauernd, sah Selik sich über die Schulter um. Wütend verengten sich seine Augen. Weitere vier Männer verbrannten in ihren Sätteln, Pferde kreischten und sprangen panisch umher, stolperten und stürzten, als sie versuchten, ihre Reiter abzuwerfen. Drei Kämpfer lagen bereits am Boden und schlugen vergeblich auf die magischen Flammen ein, die Rüstungen und Fleisch verzehrten. Ein Stück entfernt rannte ein reiterloses Pferd über die Ebene in den sicheren, qualvollen Tod. Seine Mähne, der Schweif und der ganze Leib brannten lichterloh.

Wenn die Magier jedoch erwartet hatten, dass ihre Angreifer sich durch die ebenso mühelose wie tödliche Gegenwehr beeindrucken ließen, dann hatten sie sich sehr geirrt. Die Schwarzen Schwingen hatten sie bereits erreicht. Wieder wirkte eine Magierin einen Spruch, ihr Kraftkegel raste hinaus, traf drei Pferde und riss die Reiter aus den Sätteln. Selik hörte die Knochen der Pferde brechen, schob den Schmerz beiseite und stürzte sich mit gezogenem Schwert auf den Feind.

Er beugte sich seitlich aus dem Sattel, führte das Schwert niedrig und traf mit der Klinge das Gesicht der Magierin, deren Kopf so heftig mitgerissen wurde, dass sie sich mehrmals überschlug. Ohne innezuhalten, ritt er den Magier über den Haufen, der den harten Schild kontrollierte. Dann erst zügelte er sein Pferd und riss es herum.

Seine Männer hatten genau das getan, was sie hatten tun sollen. Ein dritter Magier war tot und lag mit unnatürlich verdrehtem Körper am Boden, das Blut versickerte unter seiner Brust in der Erde. Die anderen beiden wurden festgehalten und geprügelt, bis sie keine Sprüche mehr wirken konnten. Einer von ihnen brach zusammen.

Selik trabte zum Wagen, den zwei seiner Männer bereits plünderten. Er lächelte, zog die Kapuze zurück und stieg ab. Das Keuchen und das scherzerfüllte Grunzen der Gefangenen klang ihm süß in den Ohren. Er sah sich zu den Bränden um, die hundert Schritt entfernt noch nicht erloschen waren, und das Lächeln verschwand.

»Genug«, befahl er.

Die Schläge, die Knüffe mit den Schwertgriffen und die Tritte hörten auf. Beide Männer mussten gestützt werden, damit sie überhaupt noch aufrecht stehen konnten.

Er nickte. »Gute Arbeit«, sagte er, als er das Blut aus Nase und Mündern rinnen sah, dazu die verquollenen Augen und die zerfetzten Ohren. Doch das Blut in ihren Gesichtern konnte die Angst in ihren Augen nicht verdecken.

»Schon wieder Magier, die vor ihrer Verantwortung fliehen«, sagte er. Er baute sich vor ihnen auf und ließ dem Gift seiner Gedanken freien Lauf. »Rennen vor dem weg, was sie erschaffen haben. Wohin wolltet ihr eigentlich? Wolltet ihr euch euren Armeen anschließen und einen neuen Angriff auf die Unschuldigen in Balaia beginnen?«

Er zuckte mit den Achseln. »Abschaum seid ihr. Wertloser, feiger Abschaum.«

»Wir wären geblieben und hätten geholfen, aber Eure Anhänger wollten uns vertreiben«, sagte einer der Magier. Er konnte mit seinen aufgeplatzten, geschwollenen Lippen kaum noch sprechen.

Selik trat vor, packte ihn am Hals und drückte seinen Kopf zurück. »Der Schaden war bereits angerichtet, Narr. Welche Hilfe hättest du da noch leisten können?«

»Was wollt Ihr dann von uns? Sollen wir bleiben oder gehen?«, fragte der Magier, dem die Verzweiflung anzumerken war.

»Ihr sollt euch dem stellen, was euresgleichen in meiner Welt angerichtet hat«, sagte Selik, ohne seinen Griff zu lockern. »Weißt du, was ich in Erskan gesehen habe? Drei Kinder, die sich gegenseitig wegen einer Brotkruste töten wollten, die selbst eine Ratte liegen gelassen hätte. Ihr habt denen, die euch vertraut haben, die Kraft und den Willen genommen. Ihr habt ihren Geist gebrochen. Ich werde ihnen das alles zurückgeben, und du und deinesgleichen werdet nie wieder eure Macht einsetzen können.«

»Wir hätten helfen können, wenn man uns zu bleiben erlaubt hätte«, flehte der Magier. »Wir hätten die Menschen heilen können. Auch das Land.«

Selik ließ ihn los und trat einen Schritt zurück. »Du verstehst nicht, was ihr Balaia und seinem Volk angetan habt, was? Wie blind seid ihr doch, dass ihr glaubt, die Menschen würden euch erlauben, ein paar Sprüche zu wirken, damit alles wieder in Ordnung ist, nachdem ihr so viel zerstört habt. Ihr habt das Vertrauen der Menschen verloren, aber ihr glaubt immer noch, es wäre alles so einfach wie ein Händewedeln.«

Er wandte sich an den zweiten Magier, der ihn trotzig ansah.

»Hast du nichts zu sagen?«

»Was soll ich jemandem sagen, der dem ganzen Volk die Magie wegnehmen will, nur weil es einen einzigen Übeltäter gibt? Ihr seid derjenige, der blind ist, Selik. Ihr und die Affen, die Euch sklavisch folgen.«

»In diesem hier ist immerhin noch ein wenig Kampfgeist vorhanden«, sagte Selik, und die Männer in Hörweite kicherten. »Das Problem ist nur, dass ich deine Stimme auf der Straße nicht hören will. Du zeigst ja sowieso keine Einsicht. Also wirst du als Warnung zurückbleiben, und unser Freund hier wird uns begleiten.«

Er winkte den Männern, die die Magier hielten. »Setzt ihn auf das Kutschpferd und schafft ihn fort.«

»Es tut mir Leid«, sagte der Magier zu seinem todgeweihten Gefährten.

Der Mann schüttelte den Kopf. »Nicht doch. Diese Bastarde können uns niemals besiegen.«

»Aber du wirst nicht lange genug leben, um zu erkennen, ob es auch wirklich so kommt, nicht wahr?«, sagte Selik.

»Ich bin stolz darauf, dass du mich für so gefährlich hältst, dass du mich töten musst.«

»Dich töten?« Ein Lächeln kroch in Seliks Gesicht. »Nein, nein, das wäre zu einfach. Ich kann dir nur versprechen, dass du sterben wirst, wenn du nicht sehr, sehr großes Glück hast.«

Der Hauptmann der Schwarzen Schwingen sah das Flackern in den Augen des Magiers, dessen Tapferkeit ins Wanken geriet, während sein Kollege mit gefesselten Händen aufs Kutschpferd gesetzt und, von sechs Männern bewacht, abgeführt wurde. Unterdessen konnte er nur ohnmächtig zuschauen, welches Schicksal ihn selbst erwartete.

Der Wagen wurde rasch aufs Heck gestellt und festgezurrt, die Räder zeigten in Richtung des Magierlandes im Nordwesten. Dann wurden die Zügel und das Geschirr in vier Teile geschnitten, und der Magier wurde aufrecht zwischen die Räder geschnallt, nachdem man ihn bis auf den Lendenschurz entkleidet hatte. Selik sah leidenschaftslos zu und empfand ein wenig Enttäuschung über das Verhalten des Magiers, der sich weder sträubte noch protestierte. Als er festgebunden war, zog Selik einen Dolch aus der Scheide und ging langsam zu ihm. Der Magier ließ ihn nicht aus den Augen.

»Es gibt im ganzen Land Leute wie dich. Wir haben sie als Warnung an die anderen von deiner Art zurückgelassen, dass die Schwarzen Schwingen stärker werden. Dass wir euch erbarmungslos verfolgen werden, dass ihr für eure Taten büßen werdet, und dass wir erst aufhören werden, wenn das Übel der Magie in Balaia ausgerottet ist. Du wenigstens wirst an diesem Krieg nicht mehr teilnehmen können.«

Der Magier spuckte ihn an, der mit Blut durchsetzte Speichel traf Seliks Wange und lief sein Gesicht hinunter. Selik lächelte nur.

»Das wirst du noch bereuen, wenn der Durst unerträglich wird.«

»Komm näher, und ich tue es noch einmal. Ich habe keine Angst vor dem Tod.«

»Wie schön für dich.« Seliks Mund verzog sich zu einem grotesken Grinsen. »Unser Problem ist nur, dass es keine Warnung ohne eine entsprechende Botschaft gibt. Und da wir leider kein Pergament mehr haben, müssen wir auf etwas anderes schreiben.« Er wandte sich an seine Männer. »Haltet ihn ruhig und verschließt ihm den nutzlosen Mund.«

Die Schwarzen Schwingen gehorchten und pressten dem Magier ihre Hände auf den Kopf, auf die Schultern, die Knie und die Oberschenkel und hielten ihn fest. Selik kam langsam heran und sah dem Magier tief in die Augen, in denen die Furcht wuchs. Er war kurz davor, die Fassung zu verlieren.

Mit der Dolchspitze zwischen Daumen und den ersten beiden Fingern ritzte er Buchstaben auf die Brust des Magiers. Er ließ die Klinge tief eindringen und spürte, wie sich seine menschliche Leinwand aufbäumen wollte. Aus dem verschlossenen Mund drangen erstickte Schreie.

»Haltet ihn fest, ich versuche zu schreiben«, sagte er.

Er machte sich wieder ans Werk, ritzte mit der Messerspitze Buchstaben und hielt die Brust und den Bauch des Magiers mit der anderen Hand straff gespannt. Bald war er fertig. Er richtete sich auf, wischte den Dolch ab und steckte ihn ein, um sein Werk zu betrachten, das im strömenden Blut etwas unterging. Mit einer knappen Handbewegung winkte er seine Männer zu sich. Der Magier atmete schaudernd, sein Gesicht war bleich und schweißüberströmt. Er schluckte.

»Ihr werdet durch die Hand eines Magiers sterben, Selik«, quetschte er hervor. »Und wenn Ihr sterbt, wird mein Tod im Vergleich ein schmerzloser sein.«

Selik antwortete nicht direkt. »Ich hätte damit gerechnet, dass du wissen willst, was ich geschrieben habe.«

»Das ist mir egal«, sagte der Magier, der allmählich die Kontrolle über seinen verstümmelten Körper zurückgewann. »Ihr seid wertloses Ungeziefer, Selik. Ich bin überrascht, dass Ihr überhaupt schreiben könnt.«

»Die Inschrift lautet: ›Magier, fürchtet die Schwarzen Schwingen.‹ Ich glaube, das fasst es ganz gut zusammen. Es ist gewissermaßen genau auf den Punkt gebracht.« Er lachte. »Natürlich ist es nicht leicht zu lesen, aber ich denke, wer dich findet, wird es früher oder später schon herausfinden. Wenn du großes Glück hast, kannst du es sogar selbst weitererzählen.«

Er drehte sich um und ging zu seinem Pferd. »Aufsitzen, Schwarze Schwingen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns und einen Magier, den wir unterweisen müssen.«

»In der Hölle sollst du schmoren, Selik!«, brüllte der Magier, der sich gegen seine Fesseln wehrte.

Selik lachte wieder. »Nein, mein guter Magier, das werde ich nicht. Denn die Gerechten werden gesegnet und nicht verflucht.«

Er ließ sein Pferd die Hacken spüren und führte die Schwarzen Schwingen nach Nordwesten, während hinter ihm die Schreie des Magiers verklangen. Es war ein wirklich erbaulicher Tag gewesen.