Hochzeitstag
Heute ist der siebte Mai. Wenn ich noch verheiratet wäre, hätte ich heute Hochzeitstag. Den dreiundzwanzigsten. Das ist fast Silberhochzeit. Stattdessen bin ich seit drei Jahren geschieden.
Ob ich je wieder einen Mann abkriege? Eigentlich will ich gar keinen. Beruf und Haushalt sind jetzt gut zu schaffen, aber wenn ich wieder einen Kerl im Haus hätte, wäre es für mich doppelte Arbeit. Ich kann mir nicht vorstellen, für einen Fremden die Socken zu waschen oder das Klo zu putzen. Bremsspuren von einem Fremden? Nein. Bei Manni war das was anderes, das war mein Mann. Er raucht wieder, Inge hat es neulich erzählt. Als ich ihn damals kennen lernte, hat er auch geraucht, aber das war schnell erledigt. Schließlich war die Wohnung frisch gestrichen, und ich hatte keine Lust, nach einem Jahr nikotingelbe Wände renovieren zu müssen.
Nicht rauchen. Das war das einzige Zugeständnis, das er je machen musste. Was hab ich alles für diesen Mann getan. Manni. In zwanzig Jahren hat er mich so gut wie nie ungeschminkt gesehen, nur wenn ich krank war und wenn ich Kinder gekriegt habe. Ich wollte für ihn attraktiv sein. Ich hab immer auf mein Haar geachtet, besonders später, als es grau wurde. Und als ich nach den Kindern ein bisschen dicker wurde, hat er das kaum gesehen: Wozu gibt’s diese langen Westen, die den Po bedecken. Als mein Hals die ersten Jahresringe bekam, hab ich das mit Nicki-Tüchern kaschiert. Im letzten Jahr unserer Ehe hatte ich mich sogar im Fitness-Klub angemeldet. Zugegeben, ich war nicht oft da. Die jungen Weiber mit den schlanken Taillen und den straffen Brüsten waren mir zu doof. Vor allen Dingen gingen mir ihre Blicke auf meine Speckröllchen auf die Nerven. Ich weiß gar nicht, warum junge Frauen die Älteren oft verächtlich mustern. Mit fünfundzwanzig ist es keine Kunst, gut auszusehen. Das konnten wir alle. Eigentlich hatte ich damals zehn Kilo abnehmen und Manni meine neue Figur zum Geburtstag schenken wollen. Es hatte nicht geklappt. Wer weiß, ob er es überhaupt gemerkt hätte?
Manni hat sich nicht für mich zurechtgemacht. Wie hab ich seinen bunten Trainingsanzug gehasst. Aber er liebte dieses Teil. Genau wie seine Boxershorts: Wie Miniröckchen sahen die aus, wenn sie ihm um die Beine schlabberten. Warum kriegen Männer eigentlich keine dicken Oberschenkel? Von hinten sehen auch dicke Männer oft schlank aus, die haben ihren Speck nur vorne. Mich hat Manni jedenfalls nie in nachlässiger Unterwäsche gesehen. Wenn ich einmal im Monat die Kochechten trug, weil es nicht anders ging, dann hat er mich nicht darin gesehen. Lässt sich ja leicht vermeiden, so ein Anblick.
Mittwochs, Samstag und sonntags hab ich immer die guten Dessous getragen. Das waren unsere Liebestage. In den letzten Jahren passierte das mit der Liebe nicht mehr oft, aber so ein Ritual, das sitzt fest im Kopf und dann wartet man quasi schon morgens darauf. Besonders, wenn es lange her ist. Ja, ich hatte manchmal dienstags Lust. Oder Sonntagabend statt vor dem Aufstehen. Da war aber nichts zu machen, da guckte Manni Tatort.
Ich hab fast immer mitgespielt, auch wenn mir nicht danach war. Damit er sich nicht mit den jungen Hühnern in der Firma einlassen musste. Und weil es ja auch meine Pflicht war, dafür zu sorgen, dass er ausgeglichen war. Männer brauchen das für ihren Seelenfrieden. Meine Oma hat zu mir gesagt, als ich noch ganz jung war: „Vor der Ehe muss man es mit ihnen tun, sonst rufen sie nicht wieder an. Während der Ehe muss man es mit ihnen tun, sonst rufen sie an und erzählen dir was von Überstunden.“ Ich habe es mir gemerkt.
Ich hab ihn vermisst in der ersten Zeit nach der Scheidung. Die Kinder waren erwachsen und aus dem Haus, so lange hat er wenigstens gewartet.
Was hab ich alles für ihn getan. Wie schön hab ich die Wohnung in Ordnung gehalten, damit er sich wohl fühlte. Und ich hab das nach Feierabend machen müssen, außer in den Jahren, in denen ich Erziehungsurlaub hatte.
Wir hatten diese helle Sofa-Garnitur und dazu alles in taubenblau und beige. Zeitlos und gemütlich war das. Empfindlich ist so eine Einrichtung schon. Auf dem Sofa sah man jeden Fleck und Manni war so unachtsam. Selbst wenn ich ihm jedes Mal eine Decke unter den Hintern geschoben habe, schaffte er es, einen Fleck zu hinterlassen. Er hat auch nie begriffen, wie viel Arbeit es war, den Teppichboden im Quadrat zu saugen. Nun ist er schon lange weg und ich brauch mich nicht mehr darüber zu ärgern, dass seine Socken unter dem Couchtisch liegen und dass seine dreckigen Boxershorts vor und nicht im Wäschekorb liegen.
Soll er doch sehen, wie er klar kommt. Er wird nie wieder eine finden, die sich so für ihn aufopfert. Wie oft hab ich ihm das gesagt. Er hat es nie begriffen. Dabei wollte Manni es doch auch schön haben, dann muss man seine Sachen eben pflegen. Außerdem soll ein Haushalt immer so ordentlich sein, dass man jeden reinlassen kann. Was soll einer denken, wenn einer überraschend kommt und es sieht aus wie bei Hempels unterm Sofa? „Sei nicht so pingelig, Maria“, hat Manni gesagt. „Lass dich mal gehen“, hat er gesagt, „und lass wenigstens am Wochenende den blöden Haushalt liegen!“
Das konnte ihm so passen. Ich hab ihm genau erklärt, wie mein Tag aussieht: Zwei Kinder, ein Hamster, ein Sittich, ein Streifenhörnchen. Ein Haushalt, ein Ehemann und ein Job.
Irgendwas lag immer an. Die Kinder mussten zum Friseur. Was sollten die Leute denken, wenn ihnen die Haare ins Gesicht hingen.
Die Kinder mussten zum Kieferorthopäden. Nein, Manni hatte nicht Recht, als er sagte, das wäre doch bloß fürs Auge. Grade Zähne sind heutzutage wie eine Eintrittskarte zur besseren Gesellschaft. Kann sich einer Tom Cruise mit schlechten Zähnen vorstellen? Ich nicht.
Wie viele Jahre hab ich den Kindern bei den Hausaufgaben geholfen, und das hat er auch nicht verstanden, der liebe Manni.
„Die Kinder müssen das alleine können, sie müssen lernen, alleine zu lernen“, hat er gesagt. Er wollte einfach keine Verantwortung übernehmen. Ich schon. Ohne Abitur wird heute keiner mehr was. Die Kinder haben beide Abitur.
Wessen Verdienst ist das? Meiner. Wie oft hab ich Manni erklärt, dass so ein Tag Nerven kostet, zumal ich, wenn er Feierabend hatte, zuhause sein musste. Dann ging das ja noch weiter, weil der Herr sein Essen haben wollte und ich für ihn kochen musste.
„Lass es doch, Schätzelein“, hat er gesagt. „Setz dich mit deiner Freundin ins Café und genieß mal eine ruhige Stunde. Du musst mir nicht jeden Tag was kochen.“ Na, der hatte Nerven. Wenn ich nicht jeden Tag vernünftiges Essen auf den Tisch gebracht hätte, wovon hätte er sich ernährt? Richtig, von Mettwurstbrot, Currywurst und Bier. Und das bei seinen Cholesterinwerten, die er ständig ignorierte. Wenn ich Manni nicht um zehn daran erinnert hätte, dass um sechs die Nacht vorbei war, er hätte bis Mitternacht vor der Glotze gelegen und wäre auf dem Sofa eingeschlafen. Gift für seinen Rücken wäre das gewesen, er hat’s jahrelang mit dem Rücken gehabt. Und wer hätte sich sein Gejammer anhören und ihn einreiben müssen?
Am Wochenende war alles anders. Dann brachte Manni den Müll raus, die Kinder machten ihre Betten selbst und ich hatte Zeit, um richtig zu kochen. Vorsuppe, Fleisch, Gemüse, Kartoffeln, Sauce, Salat, Nachtisch. Als die Kinder größer wurden, gingen wir sonntags zum Italiener oder zum Chinesen. Immer abwechselnd. Die letzten Jahre hatte ich sonntags kochfrei. Samstags hatten wir Besuch. Nachbarn oder Kollegen, Freunde und Verwandte. Ich hab darauf geachtet, dass wir nie mehr als acht Leute waren und dass alle zusammenpassten.
„Sage mir, mit wem du umgehst und ich sage dir, wer du bist“, hat meine Mutter immer gesagt. Ich hab was aus „Meine Familie und ich“ nachgekocht. Und den Tisch schön gedeckt. Und mich in Schale geworfen. Man will sich ja nichts nachsagen lassen.
Wenn ich Manni nicht seine gute Hose rausgelegt hätte, der wäre auch vor dem Besuch in seinem Glanz-Trainingsanzug herumgelaufen. Überhaupt hab ich erst dafür gesorgt, dass er vernünftig aussah. Als ich ihn kennen lernte, war er geradezu peinlich angezogen. Ich habe von Anfang an seine Garderobe eingekauft. Und zum Friseur hab ich ihn geschickt. Die Vokuhila-Frisur war in seinem Alter wirklich nicht mehr schön. Tja, und dann hat Manni das Rauchen aufgehört. Meine Oma fragte mich damals: „Was hast du eigentlich an ihm geliebt, als du ihn kennen gelernt hast?“ Ich wusste gar nicht, was sie meint. „Wenn du ihn erst von vorn bis hinten umkrempeln musstest, kannst du ihn ja so, wie er war, nicht geliebt haben!“ Ich hab’s ja nur gut gemeint. Es war doch für ihn, was ich getan habe, und nicht gegen ihn.
Er hat ja auch zuviel getrunken. Unter Woche am Abend vier Bier und am Wochenende schon mal vierzehn. „Denk an dein Cholesterin!“ hab ich immer wieder gesagt. „Denk ich dran, Schätzelein“, hat er gesagt und mir zugeprostet.
Nie wieder wird er eine finden, die es so gut mit ihm meint. Aber er wollte es ja nicht wahrhaben. Eines Tages war er einfach weg und es lag dieser Brief auf dem Küchentisch. Manni hatte geschrieben: „Wenn Du mal gestorben bist, lasse ich auf Deinen Grabstein schreiben:
Sie hat nicht gelebt.
Sie hat nicht geliebt.
Sie hat nicht genossen.
Sie hat sich niemals gehen lassen.
Aber es war immer alles sauber“.