Figaro

Die Idee ist klasse und ich hab mich auch wirklich gefreut. Obwohl ich zuerst nicht wusste, wie das Geschenk gemeint war. Schließlich kommt man schon ins Grübeln, wenn einen die eigenen Kollegen zum Friseur schicken. Auch wenn es ein Promifriseur ist. „Tante Maria“, hat Tamara am Telefon gesagt, „freu dich über das schöne Geschenk und lass dich verwöhnen. Du hast es dir verdient. Außerdem solltest du ruhig mal was Neues ausprobieren. Bei deinem Gesicht kannst du fast alles noch tragen. Lass dich beraten und vertrau Gilbert, er versteht sein Handwerk und dafür ist er berühmt.“ Ja, berühmt ist Gilbert, das stimmt. Alle möglichen Prominenten gehen dahin. Ich kenne Gilbert aus dem Fernsehen, wenn er auf irgendeiner Schickimicki-Party rumschwarwenzelt. Ob der anders kämmt als meine Monika in Lisas Frisierstübchen? So schlecht liegen meine Haare gar nicht. Jedenfalls heute nicht. Das ist immer so: Wochenlang sieht mein Haar aus wie brünetter Schnittlauch und wenn ich einen Termin beim Friseur habe, hat es über Nacht plötzlich Volumen und sitzt einwandfrei.

Dieser ist ja kein Friseur. Dieser ist ein Coiffeur. Ich weiß gar nicht, wie man das richtig ausspricht. Wie viel mag der Gutschein gekostet haben? „Organischer Haarschnitt, Coloration, Wellness Haarpflege, indonesische Kopfmassage und Föhnen“ steht auf dem Beauty-Coupon.

Zu Deutsch: waschen, schneiden, tönen, trocknen. Trocknen ist doch logisch, oder? Wer geht denn mit nassen Haaren nach Hause? In Lisas Frisierstübchen ist Haare trocknen immer im Preis drin. Und was ist indonesische Kopfmassage? Von außen ist der Salon nichts Besonderes.

Sechs Wochen hab ich auf den Termin warten müssen. Vorher hatte der Meister nichts frei. Können die Promis auch nur alle sechs Wochen zu ihm kommen?

„Guten Tag, mein Name ist Jesse und ich habe um fünfzehn Uhr einen Termin. Was gemacht werden soll? Das weiß ich nicht, meine Kollegen haben mir einen Gut… einen Beautycoupon geschenkt. Nein, ich weiß nicht, wer es mir machen soll, ich bin ja zum ersten Mal hier.“

Das ist er, das ist er! Der sieht viel älter aus als im Fernsehen, der ist bestimmt schon Ende fünfzig. Monsieur Gilbert kommt direkt auf mich zu, na, das ist aber ein Service. Was sagt er zu mir? Gnädigste? Wie vornehm! Aber ja, ich folge ihm gern.

„Ja, der Platz ist mir sehr angenehm. Nein danke, keinen Champagner, keinen geeisten Tee, aber gerne Cappuccino.“

Angelina ist meine persönliche Farb- und Stilberaterin und Fatima ist ihre Assistentin. Nett, dass hier der Chef seine Leute persönlich vorstellt.

Aishe wird mir dann später die Fasson schneiden. Verstehe. Die Friseusen sehen aus wie Teilnehmerinnen einer Miss-Wahl. Alle tragen golddurchwirkte Gewänder, jede hat so eine Art Kaftan an: die Stil-Beraterinnentragen Rot, die, die schneiden, blau und die Assistentinnen grün.

Gute Idee, wirklich. Da weiß man als Kundin gleich, woran man ist.

In Lisas Frisierstübchen sind die Angestellten normale Friseusen im pastellfarbenen Kittel. Da gibt’s auch keine Assistentin, sondern eine Azubine. Und bei Lisa nennen sie meinen Haarschnitt nicht Fasson, sondern „im Ganzen kürzer“.

Jetzt stehen die hier zu dritt um mich rum und begucken sich meine Haare. Der Meister sieht die kümmerliche Strähne zwischen seinen Fingern mit einem Blick an, als würde er in eine Zitrone beißen. Wie peinlich. In dieser Umgebung liegen meine Haare irgendwie doch wieder nicht.

Kein Volumen, kein Glanz. Das liegt vielleicht am Licht. Weiße Lackwände, weißer Marmorboden, Kronleuchter und verspiegelte Tische.

Die arme Putzfrau. Man hat in diesem Licht schäbig viele Falten. Klassische Musik. Klaviergeklimper. Eigentlich find ich Klavier doof. Besonders Stücke von Mozart sind mir viel zu hibbelig. Ich weiß gar nicht, was die Leute an Mozart finden. Aber wenn es hier richtig voll ist und an allen Plätzen geföhnt wird, hört man davon sowieso nix mehr. „Nein, ich habe keine Idee, was wir machen wollen. Ich möchte mich beraten lassen.“ „Wir schneiden organisch“, sagt Gilbert. Ich lächele fragend, der Meister lächelt gequält. „Wir schneiden so, wie das Haar wächst.“

Das will ich aber gar nicht, geschnitten wie es wächst! Wegen der Wirbel im Nacken und am Scheitel.

„Asymmetrisch? Nein, das steht mir nicht. Flott? Pfiffige Eleganz? Also links kurz bis zum Ohransatz und rechts kinnlang? Hm. Ich weiß nicht. Braun mit burgunderroten Kammsträhnchen? Blaustichiges Burgunder? Sieht das nicht aus wie Rotkohl? Ja, zu meiner Garderobe passt das schon, ich trage ja immer gedeckte Farben, aber ob so was auch zu meinem Gesicht passt?“ Um Himmels willen, sind Strähnchen überhaupt im Beautycoupon mit drin? Nachher muss ich was zuzahlen, und wer weiß, was das hier kostet. Dass sie um mich herumstehen und so tun, als gäbe es nichts Interessanteres als meine Haare, ist sicher im Preis einkalkuliert. Alles Berechnung. „Wir waschen ihr Haar mit einem amerikanischen Produkt, das es auf dem deutschen Markt nur in sehr ausgesuchten Salons gibt.“ Aha. „Danach arbeiten wir mit exakt dosierter Wärme, damit die Pflege optimal einziehen und die komplette Wirkung perfekt entfaltet.“ Aha. „Dann werden wir die Intensive-Nature-Coloration auftragen. Wir vermischen die Nuancen Cappuccino, Goldnougat und Burgund in verschiedenen Variationen. Wir beginnen mit der helleren Farbe in den Längen, damit das Deckhaar nicht noch weiter strapaziert wird.“ Angelina erklärt mir jeden Schritt und was sie sagt, klingt therapeutisch. Ihre Assistentin steht daneben und hört aufmerksam zu und nickt. Fräulein Aishe wird später zu mir kommen, sie frisiert drüben noch Frau Bergmann-Köhler. Die Dame ist mir wohlbekannt.

Die Leserinnen der Zeitschrift „Frau im Leben“ haben sie kürzlich zur Frau des Jahres gewählt. Weil sie sechs Kinder hat und trotzdem als Politikerin arbeitet. Kunststück!

Frau Irene Bergmann-Köhler ist mit dem Herzchirurgen Professor Dr. Alf Bergmann verheiratet. Der stinkt vor Geld. Und Madame hat mit Sicherheit ein Au-pair-Mädchen, eine Haushälterin und eine Putzfrau – dann kann ich auch sechs Kinder in die Welt setzen und Karriere machen und mich von der Presse bejubeln lassen. Diese Spiegel hier sind prima, jeder kann jeden sehen. Schade, dass die Föhne so laut sind, ich könnte sonst vielleicht verstehen, worüber die sich unterhalten. Vielleicht sollte ich mal lernen, von den Lippen zu lesen? Das muss man irgendwo lernen können, denn die Taubstummen können das auch nicht von Natur aus. Gibt es dafür Kurse an der Volkshochschule? Abgesehen davon, dass es vielleicht mal lebensrettend sein kann, so was zu können - was weiß ich, in welcher Situation - zum Beispiel hier beim Friseur wäre Lippenlesen sehr interessant. Man müsste mal, wenn man von den Lippen lesen könnte, einen ganzen Tag im Salon aufpassen, was die Prominenten vertrauensvoll ihrem Friseur erzählen und dann alles an die Zeitung verkaufen.

Die Bergmann-Köhler hat auch dünne Haare. In der Zeitung sieht sie immer aus, als hätte sie Volumen.

Jetzt kommt Aishe für meinen organischen Haarschnitt. Wenn ich bloß sehen könnte, wie meine Coloration gewirkt hat. Solange das Haar nass ist, kann ich die Farbe nicht erkennen. Diese Aishe macht richtige Kunststücke. Wie die mit der Schere umgeht, ist beängstigend! Als wollte sie jonglieren und nicht Haare schneiden. Wir sind doch hier nicht im Zirkus.

Die Bergmann-Köhler kriegt Strähnchen. Man müsste jetzt ein Foto von ihr machen. Mit der Alu-Folie auf dem Kopf ist der ganze Glamour nämlich weg. Früher war sie dunkelhaarig, genau wie ich. Alle Dunkelhaarigen werden im Alter langsam immer blonder, damit man die grauen Haare nicht sieht. Uschi Glas ist das beste Beispiel. Als sie damals das Schätzchen war, war sie noch keine Blondine. Die Bergmann-Köhler ist Anfang fünfzig. Bei dem Geld, das die hat, ist die mit Sicherheit geliftet. Kein Mensch über fünfzig sieht so unnatürlich glatt aus. Ich wette, dass ihre Zähne auch künstlich sind. Solche Leute können sich noch Zähne leisten. Wenn meine mal hinüber sind, muss ich sehen, womit ich zubeiße. Zähne und Autos gehen immer ohne Vorwarnung kaputt. Keine Ahnung, ob mein Notgroschen dann schon reicht. Und wenn, dann bestimmt nur für billigen Kunststoff, und nicht für so ein edles Gebiss, wie die Bergmann-Köhler eins hat. Sie zeigt es aber auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Aishe wäscht meine Intensive-Nature-Coloration aus. Jetzt wird’s spannend. Sobald sie mit dem Fönen fertig ist, kann ich mir mein cappuccino-goldnougat-burgund-farbenes Haar ansehen. Wo geht sie denn jetzt hin, die Bergmann-Köhler? Aha, Richtung Klo. Das müsste mal einer fotografieren: Die berühmte Politikerin mit stinkender Chemiematsche und silbernen Folien auf dem Kopf, einem wallenden rosa Umhang überm Designer-Outfit und lächelnd auf dem Weg zum Klo. Da ist nix mehr mit Dame spielen. Warum grinst die mich im Spiegel so an?

Politikerinnen tun das sicher automatisch. Leute angrinsen. Damit man sie wählt, wenn es wieder soweit ist. Mich fängt man nicht mit einem Grinsen ein, da muss schon mehr kommen. Ich glaube, meine Farbe ist ganz schön. Wenn ich mir zuhause auch mit zwanzig Bürsten das Haar föhnen würde, hätte ich viel zu tun. Aber dann hätte ich auch jeden Tag Volumen. Da kommt die Dame ja schon zurück. Sie kommt direkt auf mich zu. Jetzt reicht es aber. „Guten Tag? Ja, Sie dürfen mich was fragen. Die Farbe gefällt Ihnen? Dankeschön. Steht mir gut? Finden Sie? Man muss mal was Neues wagen, nicht wahr? Das ist Cappuccino, Goldnougat und Burgund. Aber nein, Sie sollten nichts Dunkles nehmen, die blonden Strähnchen sind ganz wunderbar zu ihrer hellen Haut. Ich seh Sie manchmal im Fernsehen und fand schon immer, dass Sie ihr Haar so schön haben. Ich hab ja nicht gewusst, dass wir beide denselben Friseur haben. Ja, Gilbert ist fantastisch. Vielen Dank noch mal, Frau Bergmann-Köhler und alles Gute für Sie und Ihre Familie.“