Mit federnden Schritten kam Steve Doherty den Flur entlang, der vom hinteren Parkplatz in die Polizeiwache führte. Er wollte nur im Garderobenraum mit den Spinden ein altes Paar Turnschuhe holen, das er dort deponiert hatte. Angeekelt verzog er das Gesicht. Dass sie ziemlich verschlissen waren, damit konnte er leben. Aber sie rochen denn doch ein wenig zu streng.
»Was ich nicht alles für die Polizei tue«, grummelte er vor sich hin.
Drei Abende nacheinander war er joggen gegangen, zum Glück stets nach Einbruch der Dunkelheit. Er wollte lieber nicht gesehen werden, wie er mit seinen Riesenlatschen über die Gehsteige trabte, ganz besonders nicht von irgendeinem Klugscheißer in Uniform. In Gedanken verfluchte er denjenigen, der auf die Schnapsidee gekommen war, einen Gewaltverbrecher den Rest seiner Strafe im offenen Vollzug absitzen zu lassen. Prompt war der Gefangene entkommen, und jetzt hielt er sich irgendwo in Bath auf – und zwar nur, weil Doherty hier war. Auf den hatte er es nämlich abgesehen.
Während des Schichtwechsels war im Garderobenraum immer sehr viel los. Doherty hatte es daher so eingerichtet, dass er genau zwischen zwei Wechseln hier eintraf. Dann wäre der Raum hoffentlich leer, und niemand würde sehen, wie er die Turnschuhe aus dem Spind nahm und zum Kofferraum seines Autos trug. Mit etwas Glück würde er so Kommentaren wie »Gut gegen den Stau am mittleren Ring« oder »Sport mit der knackigen Karin« entgehen, wie die Jungs in Uniform seine Begleiterin nannten.
Nur Sergeant Packer war im Umkleideraum. Er hatte einen Fuß auf die Bank gestellt und befestigte gerade seine Fahrradklammern |67|an den Hosenbeinen. Die traurigen Reste seiner Haarpracht fielen ihm schlapp und grau in die Augen. Er schaute hoch und grinste. »Hallo, hallo, hallo! Wenn das man nicht Detective Inspector Doherty ist. Was hab ich da gehört, Sie haben mit dem Joggen angefangen?«
»Wer hat Ihnen das denn erzählt?«
»Guy Fawkes und Beau Bridges.«
Die beiden Kollegen hießen eigentlich Guy Ford und Tony Bridges, aber der Vorname des einen und der Nachname des anderen waren einfach zu verlockend. So hatten sie eben ihre Spitznamen bekommen – Guy nach dem Verschwörer, der versucht hatte, im siebzehnten Jahrhundert das britische Parlament in die Luft zu sprengen, und Tony nach dem amerikanischen Schauspieler.
Steve schloss seine Spindtür auf und versteckte sich dahinter. »Ich muss wieder fitter werden«, sagte er schlicht.
Sergeant Packer gab keinerlei Kommentar zur Wahl der sportlichen Betätigung ab. Stattdessen sagte er: »Ihre Freundin war vorhin hier.«
»Ja, ja«, meinte Steve, der keine Lust hatte, sich noch mehr blöde Bemerkungen über kostenlose Hotelzimmer anzuhören, und wie schön es doch wäre, wenn jemand die andere Hälfte des Bettes anwärmte.
»Sie hat eine Tasche dabei gehabt, die irgendeine Frau im Garrick’s Head zur Aufbewahrung hinterlassen hatte. Klingt so, als wäre eine durchgeknallte Tante mit Adelstitel ein bisschen zerstreut gewesen.«
Beim Wort »Adelstitel« horchte Steve auf. Er wollte gerade die Turnschuhe aus dem Spind holen und hielt mitten in der Bewegung inne. Den Tretern haftete inzwischen der aromatische Duft eines überreifen Stilton-Käses an. »Wann war das?«
»Heute Morgen«, antwortete Packer. Ein listiges Grinsen breitete sich auf seinem glänzenden sommersprossigen Gesicht aus. »Na, das ist doch die perfekte Entschuldigung, oder?« Packer zwinkerte anzüglich.
Das saß. Der verdammte Kerl konnte wohl Gedanken lesen.
|68|Mit den Turnschuhen unter dem Arm flitzte Doherty an seinem Büro vorbei zum Empfangstresen.
Es war halb fünf am Nachmittag. Noch herrschte hier keine fieberhafte Aktivität. Gewöhnlich brach erst zwischen elf Uhr nachts und Mitternacht hektische Geschäftigkeit aus.
Eine Sergeantin tat am Empfang Dienst. Er schaute ihr über die Schulter und überflog rasch die Einträge des Morgens.
Sein Blick wanderte über die Seite hinunter und kam plötzlich zum Halten. Lady Templeton-Jones. Da war der Name!
Die Sergeantin wandte sich zu ihm um und bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Schauen Sie mir etwa in den Ausschnitt, Detective Inspector Doherty?«
»Aber nein«, beteuerte er, zog sein Mobiltelefon aus der Tasche, die Augen immer noch auf den Eintrag im Register gerichtet. »Ich schau auf etwas viel Interessanteres.«