7. Erziehungsmaßnahmen
Inzwischen in Damons Apartment
Die dreckigen Stiefel blieben draußen, dann
hatte Nico die Tür auch schon überwunden und lief barfüßig ins
Wohnzimmer, wo sie ein Heidenlärm erwartete. Auf dem riesigen
Plasmabildschirm ging es hoch her und die Dolby-Surround-Anlage
ließ den Eindruck aufkommen, als würde das Spektakel direkt im
Zimmer stattfinden. Das Splittern von Holz hörte sich wirklich
lebensecht an.
Nico musste lächeln, weil sie nicht ganz begriff, welche
Faszination für einen gestandenen Krieger von diesem Sport ausging.
Sie tapste zur großen Couch rüber und beugte sich über die Lehne,
um ihre Arme um seinen Hals zu legen und ihn auf die Wange zu
küssen.
„Tut mir leid, ich bin ziemlich spät dran. Cat hat mich gebraucht. War eine ziemlich aufregende Nacht.“, teilte sie ihm mit und schmiegte ihre Wange dann an seine, um seine Nähe einen Moment lang mit geschlossenen Augen zu genießen.
Damon, der lässig barfuß in Jeans und einem ausgewaschenen Shirt mit Wrestling-Aufdruck auf dem Sofa lag, um sich Monday Night RAW im Pay-TV anzusehen, erwiderte den Druck von Nicos Wange, in dem er seine ebenfalls an sie schmiegte.
„Das macht doch nichts. Es ist in jedem Fall
schön, dass du wieder da bist.“
Das sagte er, ohne den Blick wirklich vom Bildschirm zu nehmen, da
die beiden Athleten in einem Tables Match gegeneinander antraten
und sein Favorit drauf und dran war, sich den Sieg zu holen. Der
letzte Kampf des heutigen Abends, danach hatte Nico dann garantiert
seine volle Aufmerksamkeit.
Damon ließ die Fernbedienung ins Sofa fallen und hob den Arm, um
Nicos Kopf zu streicheln. Immer noch, ohne wirklich hinzusehen und
die Härte ihrer sonst so weichen, lockigen Haarsträhnen irritierte
ihn. Automatisch sah er hoch und damit auch ihren Aufzug.
„Jesus Christ!“, keuchte er überrascht, als er Frisur und Make-up bemerkte und sprang auf. Nun hatte er den vollen Ausblick auf ihre Verkleidung und die Aussage, die Nacht wäre ziemlich aufregend gewesen, beschrieb dieses Outfit nicht einmal annähernd.
„Wer sind Sie und was haben Sie mit meiner
Soulmate gemacht?“ Damon blinzelte und wusste nicht, ob er das
knappe Bustier und den kleinen Rock mit den Reißverschlüssen
aufregend, verführerisch oder doch nur ungewohnt finden sollte. Sie
war mit Brock und Romy unterwegs gewesen, um einen kranken Bastard
zu stellen, der seine helle Freude daran hatte, über unschuldige
Mädchen herzufallen, die sich auf einem Selbstfindungstrip fanden
und noch gar nicht wussten, wo sie hingehörten. Nach Hause ins Bett und nicht auf die Straße, um sich
von coolen, bösen Jungs aufreißen zu lassen, die am Ende zwar böse
jedoch alles andere als cool waren.
Nico sah gerade aber so gar nicht unschuldig aus und Damon hatte
ein ziemlich ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Mit einem Satz war er
wieder auf dem Sofa, schnappte nach der vollkommen überraschten
Nico und zog sie zu sich heran. Nur die hohe Lehne zwischen ihnen
verhinderte, dass er sie ganz an sich pressen konnte, während er
sie küsste. Er liebte Rollenspiele. Mit diesem Aufzug hatte sie
einen ganz bestimmten Nerv getroffen, den sie auch nur bei Damon
und niemandem sonst finden würde. Sie arbeiteten immer noch daran,
Nico mehr Selbstbewusstsein zu verleihen und ihre zuweilen sehr
große Schüchternheit ihm gegenüber abzubauen.
Nico hatte ihren Aufzug völlig vergessen und
nicht mit Damons Reaktion darauf gerechnet. Sein feuriger Kuss ließ
sie schwindeln und nach Luft ringen. Sie krallte ihre Hände in den
weichen Stoff seines T-Shirts und suchte nach Worten, ihm den
Verlauf des Abends zu erklären. Sie fand keine, da er viel zu nah
war und ihr Blut mit einem Mal kochend heiß durch ihre Adern floss.
Und das Gefühl hatte gar nichts mit dem Wunsch zu tun, ihre Wunde
zu einer schnelleren Heilung zu veranlassen.
Sie kam sich plötzlich vor wie ein sehr unartiges Mädchen, obwohl
sie beim Verkleiden eigentlich keine Sekunde daran gedacht hatte,
wie Damon auf diesen Aufzug reagieren könnte. Es schien ihm zu
gefallen und Nicos Hände stahlen sich vorwitzig unter sein
T-Shirt.
„Damon…“, wisperte sehnsüchtig an seinem Mund, der nur Millimeter von ihrem entfernt war. Er sollte sie weiter küssen, bis sie völlig vergessen hatte, was an diesem Abend passiert war.
„War es sehr abenteuerlich, Nico?“ , wollte er mit einem anzüglichen Unterton in der Stimme wissen und sah, ohne sich groß von ihr und ihren süßen rot geschminkten Lippen zu entfernen, an ihr herunter ganz ungeniert in ihren Ausschnitt, während seine rechte Hand schon unter ihr Röckchen geschlüpft war. Sie war schon wieder ganz atemlos und fühlte sich heiß an. Er dagegen hatte nur den Fernseher vergessen, weil sie nun das bei weitem interessantere Programm bot.
„Los, erzähl’s mir. Nein! Zeig es
mir!“
Er war schon dabei, ihren Mund noch einmal zu erobern, als er das
Pflaster an ihrem Hals bemerkte.
„Was ist das da?“ Die Anzüglichkeit war verschwunden und machte Argwohn Platz, die ihn dazu brachte, die Hand von ihrem kleinen Popo zu nehmen und an ihren Hals zu heben. Er rutschte ganz an die Rückenlehne heran und drehte ihren Kopf so, dass seine volle Aufmerksamkeit auf der vor ihm verborgenen Wunde lag.
„Es tut nicht weh!“, sagte er schnell und riss das Pflaster mit einem schnellen, geübten Ruck herunter. Nico schrie trotzdem auf. Ein Reflex.
„Jesus Christ!“,
wiederholte Damon beim Anblick der katastrophal aussehenden
Bisswunde. Ihm wurde beinahe schwummrig. Da Nicos Blut so
dickflüssig war, hatte die Wunde kaum nachgeblutet, war aber auch
langsam darin, zu verheilen. Da hatte jemand wahllos und vollkommen
unkontrolliert in ihren kleinen, schmalen Hals gebissen. Wie ein
Terrier mit Tollwut.
Für einen Augenblick sah Damon sie schon mit abgebissenem Kopf vor
sich. Eine übertriebene Vorstellung, aber ihr aufgesetztes Äußeres
und die Tatsache, dass er im Vorfeld ein paar Details zu viel über
den Fall erfahren hatte, verleiteten ihn dazu. In seinen Augen war
Nico nicht mehr nur der Lockvogel für Brock und Romy gewesen. Der
Einsatz war in die Hose gegangen. Sie war verletzt worden. Sie
hätte sterben können... sie hätte... Mit einem Mal hatte Nicos
Maskerade seinen ganzen Reiz verloren. Damon hatte sie doch viel
lieber brav und unschuldig aber vor allem unversehrt.
„Dieser verdammte Arsch!“ Damons Augen blitzten rot vor Wut und dann war er auch schon an der Tür.
„Du wartest hier auf mich!“, bestimmte er und deutete mit dem Zeigefinger auf sie, um die Nachdrücklichkeit seiner Worte zu unterstreichen. Er hatte nun ein Hühnchen mit ihrem Bewacher zu rupfen. Brock sollte auf sie aufpassen und nicht den wirklich gierigen Wölfen zum Fraß vorwerfen.
„Damon… Nicht… Lass mich doch erklären!“, rief Nico bestürzt aus.
„Trink etwas Plasma und danach gehst du am
besten duschen und ins Bett. –Ich bin gleich wieder da.“
Damon entmaterialisierte sich, noch bevor sein letztes Wort
verklungen war.
„Damon?“ Keine Antwort. Er war einfach gegangen.
Nico lief ins Badezimmer, weil sie nach der
Wunde sehen wollte, die bestimmt schon halbwegs verheilt gewesen
war. Sie hatten den Angriff gar nicht richtig mitbekommen, weil sie
in der Vision gefangen gewesen war. Sie hatte Schmerzen gespürt,
doch es waren die von Vulcan gewesen. Dagegen verblasste die
Attacke von dem blutrünstigen Ghoul beinahe schon ins Lächerliche.
Nicht sein Angriff hatte sie gelähmt, es war nur das Entsetzen über
die Brutalität des Aryaners, der den Kieferknochen des Jungen
zerbissen hatte.
Nico hatte vor Jahren einmal aus Versehen auf einen Thriller
geschaltet, in dem es um einen psychopathischen Serienmörder ging.
Hannibal, oder so ähnlich. Der Anblick, wie er jemanden attackierte
und mitten in sein Gesicht biss, hatte ihr schlaflose Nächte
bereitet, obwohl es nur ein Film gewesen war. Und nun wusste sie,
wie sich so etwas wirklich anfühlte.
Mit einem bekümmerten Seufzen stellte sie sich vor dem großen
Spiegel im Bad auf und blinzelte ihr Spiegelbild bestürzt an. Sie
sah aus, wie… wie… ein leichtes Mädchen! Der Lippenstift war
verschmiert und verstärkte den Eindruck noch, so dass Nico heiße
Scham in sich aufsteigen spürte. Sie hatte völlig vergessen, sich
etwas überzuziehen und verstand jetzt Vulcans kleinen Seitenhieb
endlich. Wie konnte man nur vergessen, dass man solche Sachen
trug?! War sie denn von Sinnen? Sie war doch kein Baby mehr. Was
hatten ihre Gäste nur von ihr denken müssen?
Nico griff nach der Flasche mit dem Make-up-Entferner und machte
sich energisch daran, die Spuren des Abends aus ihrem Gesicht zu
beseitigen. Danach stieg sie unter die Dusche und wusch sich
ausgiebig unter dem harten Strahl des heißen Wassers, bis die
Kabine mit Wasserdampf angefüllt war, der nach ein paar tiefen
Atemzügen auch ihre Lungen von dem Dreck befreit hatte.
Das bin
ich!
In ein großes Handtuch gewickelt stand sie zehn Minuten später
wieder vor dem Spiegel und hatte das blasse Gesicht mit den großen
Augen vor sich. Die Haare lockten sich wieder wild und ungebändigt
und nichts wies mehr auf ihre kurze Typ-Veränderung hin. Außer der
Wunde, die Damon einen ziemlichen Schreck versetzt zu haben
schien.
Wo war Damon nur hin?
Nico tat wie Damon von ihr verlangt hatte und trank etwas Plasma,
allerdings konnte sie sich nicht ins Bett legen. Sie machte sich
Sorgen, dass sie ihn so sehr erzürnt hatte, dass er gar nicht mehr
wiederkommen würde. Sie ließ sich mutlos auf die Couch plumpsen und
schaltete den Fernseher auf einen Kanal um, auf dem eine
Naturdokumentation lief, bevor sie den Ton ausschaltete. Sie wollte
einfach nur nicht das helle Licht einschalten, das ihre Sorgen nur
allzu grell beleuchtet hätte.
Wenn sich Cat nur halb so schlimm wie sie fühlte, dann hatte sie
vorhin rein gar nichts verstanden. Sie ließ ihn mit einem
Aufstöhnen zur Seite gleiten und verbarg das Gesicht in den weichen
Sofakissen. Sollte sie ihn suchen? Und dann?
Sie hatte sich doch nicht mit Absicht angreifen lassen, das war ein
Unfall gewesen. Und trotzdem fühlte sie sich schuldig. Ihr wäre
lieber gewesen, Damon hätte ihr Gelegenheit für eine Erklärung
gegeben und für eine Entschuldigung.
In einem anderen Teil der City
Brock hatte Romy nach der mehr als
widerlichen Aufräumaktion an der Fortress abgesetzt, um die Fahrt
für ein abschließendes Gespräch zu nutzen, damit sich ihre Gemüter
beruhigen konnten. Sie konnten der Polizei kaum einen Täter
liefern, der sich nach Sonnenaufgang in Flammen auflösen würde. Es
blieb also nur der Wagen, den sie auf dem Parkplatz des Clubs
abgestellt hatten, wo er irgendwann von der Polizei entdeckt werden
würde. Brock hatte den Kopf des Täters zuvor wie ein Priester die
Weihrauchkugel im Laderaum geschwenkt, damit es ein paar auffällige
Spuren gab. Die Tatortermittler würden bei näherer Untersuchung
altes Blut von den anderen Opfern finden, so dass die Familien
erfahren würden, wer die Mädchen auf dem Gewissen hatte. Nur ein
kleiner Trost, aber wenigstens konnten sie dann sicher sein, dass
der Täter seine verdiente Strafe erhalten hatte.
Den Kadaver hatten sie in seinen Rücksitz gequetscht und zu seinem
widerlich stinkenden Apartment gefahren, wo Brock ihn samt Kopf,
den er wieder fein säuberlich aufsetzte, in die Wanne des
Badezimmers gesteckt hatte, in dem es passenderweise kein Fenster
gab. Ein wenig Benzin und schon fackelte die Leiche fröhlich vor
sich hin. Der Brandbeschleuniger sollte nur verhindern, dass man
sich wunderte, warum der Körper in Flammen aufging. Das würde
wahrscheinlich ein Fall für die Akte X werden, aber das war dann
nicht mehr sein Problem.
Es war nicht schwer, einen Kampf zu
inszenieren und genug DNA-Material zu hinterlassen, damit man den
Burschen auch fein identifizieren konnte. Natürlich trug Brock
dabei Handschuhe und achtete darauf, selbst keinen Hinweis zu
hinterlassen, jemals die Wohnung betreten zu haben. Er konnte sie
schließlich verlassen, nachdem er die Schlösser von innen
verriegelt hatte.
Auf diese Weise ersparte man sich einen langen Prozess und die
Kosten für den Gefängnisaufenthalt, auch wenn man vielleicht
versuchen würde, den vermeintlichen Mörder des Killers zu finden.
Damit musste sich dann sein Nachfolger herumschlagen. Hauptsache,
der Schweinehund konnte nicht mehr weitermachen. Brock bezweifelte,
dass er im Leben vor dem Tod ein angenehmer Zeitgenosse gewesen
war. Bestenfalls ein Junkie und Schlimmstenfalls schon ein
Vergewaltiger, da seine speziellen Neigungen sicher nicht von
ungefähr gekommen waren, also hielt sich sein Mitgefühl für dessen
Ableben in ziemlichen Grenzen. Er hatte Nico wehgetan, das war
ohnehin sein Todesurteil gewesen.
Brock saß in seinem durchgestylten Wohnzimmer
(dunkles Holz und cremige Töne), das man ihm kaum zutrauen würde,
kannte man ihn nur als Ledertypen und genoss im flackernden Licht
des Kamins, den er aufgrund der Stimmung und nicht der herrschenden
Kälte angezündet hatte, einen hochprozentigen Gute-Nacht-Trunk, um
von dem Adrenalinschub des Abends runterzukommen. Er war immer noch
wütend auf sich selbst, weil er zu spät gemerkt hatte, dass etwas
mit Nico nicht stimmte.
Das unvermittelte Donnern gegen seine Tür ließ ihn hochfahren und
so wie er war, in Jeans, barfüßig und mit bloßer Brust, an die Tür
gehen, um sie zu öffnen. Nur ganz kurz zeigte sich in einem Gesicht
die Überraschung, Damon hier zu sehen, dann landete der Junge auch
schon einen saftigen Kinnhaken mitten in seine Fresse, der ihn
tatsächlich ein Stück zurück taumeln ließ.
Ja! Treffer.
Versenkt.
Damons Faust hätte das Ziel auch im Zustand des Tiefschlafs
gefunden. Er konnte Brocks Kiefer aufeinander schlagen hören, als
der Kinnhaken traf und ein Laut der Genugtuung entschlüpfte seiner
Kehle und ließ seine Augen rot aufleuchten. Der war für Nico. Doch
Brock war offenbar kein Gegner, der sich überraschen ließ oder
klein bei gab.
Brock knurrte ungehalten und seine Augen
blitzten genauso rot auf, wie die seines Angreifers, der sich
gerade aber wirklich den falschen Zeitpunkt für so eine Nummer
ausgesucht hatte.
„Okay, der eine sei dir gegönnt, Bubi! Den konnte ich mir leider
nicht selbst verpassen! Verdient ist verdient!“, grollte Brock mit
wütend funkelndem Blick, dann packte er Damon am Schlafittchen und
warf ihn mit dem Rücken gegen die Wand seines Flurs, so dass alle
Luft aus seinen Lungen gepresst wurde und eines der gerahmten
Schwarz-Weiß-Bilder mit einem Klirren von Glas auf dem Boden
landete. Ein Bild, auf dem man einen Wolf den vollen Mond anheulen
sehen konnte, der über einem nebligen Wald auf einem Felsvorsprung
stand. Wie symbolträchtig. Inzwischen wusste er ja, warum er eine
solche Affinität zu diesen Tieren verspürt hatte.
Brocks Griff wurde fester und er drückte Damon unnachgiebig an die
Wand, wobei man das Spiel der seiner stählernen Armmuskulatur
beeindruckt verfolgen konnte. Er war noch nie in besserer Form
gewesen und testete gerade aus, welches Optimum er körperlich
erreichen konnte.
„Bubi?!“ Damons glühende Augen wurden groß und dann sah er sich auch schon unsanft der Wand von Brocks Apartmentflur konfrontiert. Mit dem Stoß entwich die zuletzt eingeatmete Luft aus seinen Lungen und Damon keuchte auf. Allerdings nicht, weil er Angst vor dem Wolf hatte, der seinem Treiben noch ein wenig maskulinen Nachdruck verlieh, in dem er versuchte, Damons Körperabdruck als Entschädigung für das zerbrochene Bild in den Putz zu pressen.
„Und wenn sie wegen der Sache weint, dann
darfst du auch noch einen zweiten setzen! Aber danach musst du dich
auf ein solches Echo gefasst machen, dass du dich von deiner
hübschen Visage, die Nico so gern anhimmelt, für ein oder zwei Tage
verabschieden kannst! Willst du das? Das würde dir doch nur den
schönen Vollmond verderben!“
Brock bleckte seine Zähne, wo man die scharfen Spitzen seiner Hauer
schon gefährlich hervor blitzen sehen konnte. Wölfe waren
gefährlich, wenn man sie reizte und ihre Loyalität anzweifelte und
natürlich besonders bei Vollmond. Seine Laune stand sowieso nicht
zum Besten. Allein der Gedanke an Nico hielt ihn noch im Zaum. Nur
sie hatte das Recht, ihn zu kritisieren, falls er sich ein Versagen
leisten sollte.
„Der Typ ist nur noch Matsch! Eine breiige Suppe in seiner Wanne… Wenn es etwas gebracht hätte, dann hätte ich ihn wieder und wieder gekillt, bis er genug dafür bezahlt hat, dass er Nico angefasst hat. Aber der Arsch hätte niemals bereut, also hab ich mir das geschenkt!“
„Spar dir das dämliche Gequatsche!“ Auch
Damons Fangzähne waren gewachsen. Noch nie hatte er sich von einem
bellenden Hund in die Flucht schlagen lassen. Wenn Brock
zurückschlagen und mit einer Prügelei die Verwüstung seines
gesamten, nagelneu eingerichteten Apartments in Kauf nehmen wollte,
bitte schön. Damon würde nicht den Schwanz einziehen. Brock besaß
schließlich nicht die mentalen Fähigkeiten von Theron oder
Jagannatha.
Und außerdem hatte er noch einen Trumpf im Ärmel, selbst wenn seine
Visage tatsächlich bis auf die Gesichtsknochen abgerieben wurde.
Ein süßes, kleines Mädchen, das sich
bereitwillig um seine Wunden kümmern würde, denn sie war nicht nur
Krankenschwester sondern auch seine Freundin.
Er konnte nicht mehr atmen, als Brock noch einmal seine Muskeln
spielen ließ und den Druck um ein weiteres verstärkte.
Wo nahm der Typ die ganze Kraft her?
Brock griff noch fester zu, als wollte er Damon die Luft endgültig abschnüren, und ließ dann unvermittelt los, um einen Schritt zurück zu weichen, wobei er seine Hände zu Fäusten ballte, die er jedoch gleich wieder löste, um die Arme locker an den Seiten herunterhängen zu lassen. Sein Blick bohrte sich in den von Damon und forderte ihn wortlos heraus, sich auf ihn zu stürzen und sein Glück zu versuchen.
„Es wird nicht noch einmal vorkommen. Es war
mein Fehler, weil ich diese verdammten Visionen unterschätzt habe
und ihre Privatsphäre nicht unnötig verletzen wollte. Verdammte
Scheiße, wie hätte ich ihr ansehen sollen, dass sie gar nicht mehr
richtig da ist?! Sie sah wie immer aus! Es ging nur um zwei
verdammte Minuten!“
Brock stieß ein weiteres Knurren aus und biss dann die Zähne
zusammen. Nicht einmal Romy hatte etwas bemerkt und die kannte
seine Herrin schließlich länger. Sie hatte
nicht einmal um Hilfe rufen können!
Damon sah die geballten Fäuste schon vor dem
geistigen Auge fliegen, doch Brock gab sich gelassen. Allein dafür
und für die genaue Angabe der Zeit, in der er Nico verloren hatten,
sollte man ihm gleich noch eine ballern.
„Zwei Minuten zu viel, Brock Wolfe. Die Visionen können sie immer
und überall ereilen. – Gut, das mit eurer Mission war scheiße und
ich sollte großzügig sein, aber...“
Damon holte aus und rammte ihm die Faust dermaßen hart ins Gesicht,
dass Brock sich auf die Unterlippe biss, bis es blutete und Damon
das Gefühl hatte, sich mit diesem Schlag soeben die ganze Hand
gebrochen zu haben.
„...ihr Hals sieht aus, als hätte eine Gottesanbeterin versucht,
ihr den Kopf abzubeißen. – Und Bubi lass ich mich von niemandem
nennen, Bulle!“
Ziemlich heftig schüttelte er die Finger aus. In der trügerischen
Hoffnung, der Schmerz könnte nachlassen.
Selbst wenn es nur Dreißig Sekunden gedauert
hätte, die Nico ohne Bewachung aber vor allem ohne rechtes
Bewusstsein durch die Gegend getaumelt wäre, wären es dreißig
Sekunden zu viel gewesen. Die eine psychopathische Begegnung mit
Sterling, in der er schon mit seiner Aufgabe als Beschützer versagt
hatte, war vollkommen ausreichend. Nicht einmal seine Verletzung
war Entschuldigung genug für sein beinahe zu spät Kommen.
Damon hätte den Bastard so lange betteln lassen, bis er tatsächlich
bereut hätte. Jeden Moment des Quälens und der Pein, die der
eiskalte Mörder seinen Opfern zugefügt hatte, hätte er Stückchen
für Stückchen heimgezahlt. Dafür, dass er Damons Soulmate angefasst
und gebissen hatte, hätte Damon ihm jeden Zahn einzeln... Hm, er
verbat sich jeden weiteren Gedanken. Brock hatte natürlich die
bessere und bei weitem effektivere Methode gewählt. Die gleiche,
die der Krieger in Damon auch angestrebt hätte. Doch der Liebhaber
in ihm hätte eiskalte Rache genommen.
Brock hütete sich, Blut zu spucken, weil er
seinen Fußboden nicht ruinieren wollte. Schon gar nicht wegen
dieses Milchgesichts. Den Schlag steckte er weg, als wäre er ein
Bulle, gegen dessen Kopf eine lästige Schmeißfliege geknallt war.
Dafür gab es einen Bauchtreffer als Antwort, der Damon aufstöhnen
ließ und dann flog er auch schon durch die Luft, wo ihn Brock wie
ein Mehlsack auf den harten Bohlen des Holzfußboden aufknallen
ließ, den er selbst liebevoll gelegt hatte. Bastelarbeiten
beruhigten seine Nerven.
Schließlich saß er rittlings auf den Oberschenkeln seines
nächtlichen Besuchers und zog ihn erneut am Kragen zu sich hoch.
Wie denn? Fiel ihm etwa das Atmen schwer?
Brocks Augen leuchteten teuflisch auf, weil er gerade erst
angefangen hatte, Spaß an der Sache zu haben. Noch eine falsche
Bewegung oder auch nur ein Blinzeln würde Damon wirklich die Visage
kosten. Er hatte ihm schließlich nur erlaubt, noch einmal
zuzuschlagen, wenn Nico geweint hatte und das hätte er bestimmt
gespürt.
„Sieh mich an, Krieger! Sieh mich genau an!“, forderte Brock ihn mit einem dumpfen Grollen in der Stimme auf. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast und wäre einer von ihnen eine Frau gewesen, dann hätte das Spielchen vielleicht auch noch eine andere Art von Spaß gebracht.
„Von jedem anderen würde ich mich blöd
anmachen lassen, Freundchen. Aber nicht von dir! Ich hab mich
schlau gemacht. Gab es da nicht einen Vorfall, bei dem Nico beinahe
ihr Leben gelassen hätte? Sogar zwei Mal, weil sie in dem komischen
Prozess erneut um ihr Leben kämpfen musste? Die anderen Wölfe waren
da sehr mitteilsam, Bruder! Ich wusste
also, dass der kleiner Hupfer sich gut selbst verteidigen kann,
gegen einen mickrigen Ghoul sowieso! Allerdings hat sie nichts
davon gesagt, dass sie nicht um Hilfe rufen kann, wenn sie Dinge
sieht. Okay?! Ich kann sie nicht für den Rest ihres Lebens irgendwo
einsperren, auch wenn ich das manchmal für einen verlockenden
Gedanken halte… Ich würde sagen, dass wir vorerst quitt
sind!“
Brock stieß Damon zurück, so dass er wieder schwer auf den Boden
fiel und setzte sich aufrecht, ohne sein Gewicht von ihm zu nehmen,
das ihn im Zaum halten würde, da er strategisch richtig saß. Er
mochte keine dreihundert Jahre alt sein, aber ihm musste man das
Kämpfen nicht mehr beibringen. Seit der Umwandlung fühlte sich
Brock regelrecht entfesselt, als hätte sein Körper nur darauf
gewartet, sich auf diese Weise austoben zu dürfen.
Damon starrte zu Brock auf, ohne zu blinzeln oder sonst eine Miene zu verziehen. Solange er nicht atmete und den Schmerz in seinen Eingeweiden sowie das Gewicht dieses Fettsacks auf seinem Körper ausblendete, war alles gut. Ein Atemzug und die Sache verkehrte sich ins genaue Gegenteil. Damon ächzte und keuchte, hielt dem geforderten Blick aber kontinuierlich stand. Die Freude auf seiner Seite hielt sich allerdings in Grenzen. Damon hatte nur Spaß, wenn er derjenige war, der oben lag. Zumindest bei einer Prügelei.
„Quitt? Pft!“ Damon knallte hart auf das Holz und blieb, ein weiteres Mal ächzend liegend. Schön, dass man sich hinter seinem Rücken das Maul über ihn zerriss. Das war genau das, was er noch zu seinem perfekten Glück brauchte. Das Gespött anderer Leute.
„Es war ihre Idee, gegen Sterling anzutreten.
Ich habe alles versucht, um das zu verhindern. – Das haben deine
Leute dir doch sicher auch erzählt.“
Es war eine Höllenshow gewesen. Im wahrsten Sinn des Wortes. Er
schrie sich die Lunge aus dem Leib, um seine bisher aufgestauten
Gefühle loszuwerden und Sterling grinste sich eins. In der
Überzeugung, Nico alle Knochen im Leib brechen zu können, was er
beinahe geschafft hätte. Ein Tag, den man für immer vergessen
wollte, sich aber ein Leben lang daran erinnern würde. Und die Wölfe machten sich einen Spaß daraus.
Plötzlich grinste Brock diabolisch: „Du hast
nur darauf gewartet, oder? Deinen Frust abzulassen, dass
ausgerechnet ein Typ wie ich auf deine Freundin aufpasst, der das
auch noch gefällt. Du bist scheiße eifersüchtig!“
Brock warf den Kopf zurück und lachte schallend, so dass sein
ganzer Oberkörper von dem Heiterkeitsausbruch durchgeschüttelt
wurde. Das Gefühl musste für den Schönling ziemlich neu sein, dem
die Damen früher wahrscheinlich in Scharen nachgestiegen waren.
Geschah dem Casanova ganz recht, wenn er durch seine Anwesenheit
etwas aufgerüttelt wurde. Sonst würde er mit seinem aufgeblasenen
Ego bald nicht mehr durch die Tür passen.
Immer noch lachend sprang er mit einem Satz auf die Füße und stand
nun breitbeinig über Damon, wobei er ihm eine Hand hinstreckte, als
wollte er ein Friedensangebot machen. Allerdings rechnete er mit
möglicher Gegenwehr und blieb wachsam.
Eifersüchtig?! Damon erwiderte Brocks Grinsen
auf eine ganz besonders grenzdebile Art und Weise, die in weitere
Wut umschlug und seine Züge von einer Sekunde auf die andere
versteinerte.
„Das ist nicht komisch!“, gab er eingeschnappt zurück und war froh,
dass der Bulle endlich aufstand, bevor Damon eins mit dem Fußboden
wurde. Brock hatte da einen absolut wunden Punkt getroffen und zwar
genau da, wo es am meisten weh tat. Damon zögerte, das Hilfsangebot
zum Aufstehen anzunehmen. Er dachte nicht daran, sich noch weiter
zu prügeln. Brock war schließlich nicht der Feind. Trotzdem musste
er Brock zum Geburtstag keine Luftballons schenken.
„Ich hatte meine Gründe. – Mach einfach
deinen Job, wenn ich nicht da sein kann, okay?! Mehr verlange ich
nicht.“
Damon hatte aus seiner schmerzhaften Niederlage seine Lehre gezogen
und tat alles, um Nico nun Tag für Tag davon zu überzeugen, wie
sehr er sie liebte. Statt seine Zeit mit Geschwätz zu verschwenden,
sollte Brock lieber mehr mit Nico verbringen, um herauszufinden,
wie sie tickte und wie die Visionen sich auf ihren Zustand
auswirkten. Dafür würde Damon sogar bereitwillig Platz machen,
damit die beiden - natürlich nur auf platonische Art - Umgang
miteinander hatten.
„Irgendetwas muss ja an dir dran sein, dass
sie so in dich vernarrt ist. Ich finde, dass das ihre
unglaublichste Fähigkeit ist, sie findet in jedem -
Nicht-Durchgeknallten - noch den guten Kern. Ich kann wenigstens
von mir behaupten, nicht so ewig wie du dafür gebraucht zu haben,
zu erkennen, dass mir eine Gnade gewährt wurde, in ihrer Nähe sein
zu dürfen. Das musst du eben schlucken. Nico ist nicht nur dir
allein wichtig. Ich würde meinen rechten Arm für sie geben und
mehr!. Und jetzt steh auf, bevor das hier noch richtig eklig wird.
Erzähl mir lieber bei einem Drink, was die Sache mit Cat zu
bedeuten hatte. Ist sie krank? Ich dachte, sie wäre heute Abend
zuhause und nicht auf Patrouille.“
Da hätte er beinahe über dem ganzen anderen Trubel vergessen. Nico
war regelrecht aufgescheucht gewesen. Er glaubte nicht, dass sie da
etwas falsch verstanden hatte. In Sachen Voodoo konnte man ihr doch kaum etwas
vormachen.
Brock legte den Kopf schief und wedelte auffordernd mit den
Fingern. Oder wollte Bubi etwa einen
Nachschlag? Seine Augen blitzten auf, weil Damon das gern haben
konnte und das gleich zwei Mal, einmal von ihm und dann gleich
nochmal, wenn ihm Nico später auf die Schliche kam.
„Oh scheiße!“ Damon schlug sich mit der flachen Hand an den Kopf, um sich gleich selbst eine zu verpassen. Er wusste überhaupt nicht, was mit Cat passiert war, da er Nico keine Gelegenheit gegeben hatte, sich zu erklären. Zuerst war ihr Outfit überraschend und wichtig gewesen, danach dann diese kleine Differenz mit Brock, die den Wolf daran erinnern sollte, wo genau sein Platz im Rudel der Fortress war.
„Nimm die Drinks mit rüber, Brock. Nico hat
mir noch keine Einzelheiten erzählt. Mein Apartment ist dein
Apartment. – Es ist zwar nicht so naturbelassen wie deine Hütte hier, aber ein paar
Haare auf dem Sofa mehr machen den Kohl auch nicht
fetter.“
Bevor er für diese freche Bemerkung ein weiteres Echo kassieren
konnte, hatte sich Damon zurück in sein Apartment materialisiert.
Nico lag dort vor dem stummgeschalteten Fernseher auf dem Sofa.
Geduscht und umgezogen.
„Da bin ich wieder. Brock kommt gleich rüber.
Er will wissen, wie die Sache mit Cat gelaufen ist.“
Erst im nächsten Moment bemerkte er den traurigen Zug um ihre
Mundwinkel und den dunklen Ausdruck in ihren Augen.
„Ist irgendwas? – Hast du Schmerzen?“, fragte er leise und wunderte
sich, was er nun schon wieder falsch gemacht hatte. Immerhin war er
ehrlich damit, die Schuld für dieses Gesicht bei sich zu suchen.
Wer sonst brachte sie in diesen Zustand?
„Hör zu, wenn du dir Sorgen um Brock machst...“ Damon machte eine
wegwerfende Geste. „... er kann sich gut behaupten.“ – Besser als ich jedenfalls.
„Komm schon, ich hab ihn doch nicht gekillt. Ich will nur, dass er
so gut auf dich aufpasst wie es nötig ist.“
Nico war schon so weit gewesen, nach Hause zu
gehen. In ihr Zuhause, da sie fürchtete, Damon würde wirklich nicht
mehr zurückkommen. In dem Handtuch hatte sie schließlich begonnen
zu frieren und sich deshalb umgezogen, es war schließlich nicht
mehr Sommer und sie würde bald ihren ersten Winter in New York
erleben.
Der verspielte gelbe Pyjama mit dem gestickten Lochmuster am
Ausschnitt des Spaghettiträgerhemdchens und um die Beinabschlüsse
der luftigen Dreiviertel-Hose war jedoch nur warm genug, wenn man
sich unter eine Decke oder an jemanden kuscheln konnte, so dass sie
ein langärmeliges Shirt von Damon aus dem Schrank herausgesucht
hatte, in das sie geschlüpft war, um sich wieder auf die Couch zu
legen. Das konnte sie mitnehmen und darin schlafen, falls er
wirklich nicht mehr nach Hause kam, weil er sein Ärger auf sie zu
groß war.
Sie konnte gar nicht reagieren, als er so plötzlich wieder im
Zimmer stand und hörte mit großen Erstaunen, dass Brock ihm gleich
folgen würde. Was sollte das heißen, dass er ihren Beschützer nicht
umgebracht hatte?
Damon ging auf das Sofa zu und gab ihr einen
aufmunternden Kuss auf den wieder lockigen Haaransatz. Warum war
sie immer so unglücklich? Wo war die kämpferisch unbeschwerte Nico
geblieben, die er in der Nacht des Feuers kennen gelernt
hatte?
War er wirklich so schlecht mit ihr umgegangen, dass er diesen Zug
vollkommen erstickt hatte? Hatte sie solche Zweifel durch seine
Schlechtigkeit angenommen, dass er sie nie wieder würde ausmerzen
können. Egal, was er auch sagte?
„Nico! - Was ist los?“ Damon fragte leise aber schon fordernd, hockte sich vor die Couch, griff nach ihren feinen Händen und hoffte, sie würde nicht schon wieder anfangen, ihm auszuweichen.
Langsam setzte Nico sich auf, ohne ihm die
Hände zu entziehen, obwohl sie den Impuls dazu kurzzeitig hatte
aufflackern spüren.
„Das fragst du noch? Ich dachte, du kommst nicht mehr wieder… Du
bist gegangen, ohne mir die Chance zu geben, dir zu erklären, was
passiert ist! Zu Brock! …Habt ihr euch etwa geprügelt?!“, fragte
sie schockiert.
Nicos Stirn umwölkte sich und sie wusste gar nicht, was sie bei
dieser Vorstellung empfinden sollte, dass die beiden Männer völlig
sinnlos aufeinander einhieben. Sie konnte in seinem Gesicht keine
Verletzung feststellen, allerdings hatte er sich etwas steif
bewegt, zudem hatte ihn der ertappte Blick in seinen Augen
verraten.
„Häh?“ Damon zuckte zurück, wobei sich ein
leicht stechender Schmerz in der Region ausbreitete, auf der Brock
soeben noch gesessen hatte und verstand nicht, worauf Nico hinaus
wollte. Warum sollte er denn nicht mehr wiederkommen? Er hatte doch
gesagt, er wäre gleich wieder da. War er tatsächlich so ein
unglaubwürdiges Arschloch?
Damons Gesicht verdüsterte sich etwas. Er würde seine Verfehlungen
also nicht wieder gut machen können und verschlimmerte sie zudem
noch, indem er auf seine Art versuchte, auf Nico aufzupassen.
Tatsächlich empfand er es plötzlich als schöne Schnapsidee, zu
Brock rübergegangen zu sein und ihm Eine, nein, Zwei verpasst zu
haben.
Nico wandte den Kopf zur Tür, als sich Brock dort bemerkbar machte, indem er dezent an den Rahmen geklopft hatte. Mir plötzlich geschärftem Blick fiel ihr die kleine Platzwunden an seiner Lippe auf, die gleich verschwunden sein würde.
„Habt ihr beide komplett den Verstand verloren?! Ich bin doch keine Trophäe, um die man sich prügelt! Ich fasse es nicht! Das hätte ich niemals von dir erwartet! Und von dir auch nicht!“, wandte sie sich an den Wolf, bevor er meinte, dass er sich nicht angesprochen zu fühlen brauchte.
Brock grinste Damon entschuldigen an, da er ihm keine Gelegenheit gegeben hatte, auf seine Worte zu reagieren. Er war einfach verschwunden, bevor er mit ihm ausmachen konnte, dass die Sache am besten unter ihren beiden blieb. Er hatte gewusst, dass Nico sich darüber aufregen würde. Außerdem hatte er in seiner Wut vielleicht nicht die besten Worte gewählt, um Damon mitzuteilen, dass er nicht ganz unwissend über die Vorkommnisse war, die den Beginn seiner Beziehung zu Nico überschattet hatten. Er hatte sich gerade genug Zeit gelassen, ein Shirt überzuziehen, bevor er sich in den Flur von Damons Wohnung materialisierte. Auf die Drinks hatte er großzügig verzichtet, da er gerade nur damit rechnen würde, die Flasche über den Schädel gezogen zu bekommen. Und zwar von Nico höchstpersönlich.
Damon bedachte Brock mit einem Blick, der
Sieben Tage Regenwetter verhieß und ein Hättest
du deine Arbeit richtig gemacht, wäre das nicht passiert
hinterher schoss.
„Wir haben uns nicht um dich geprügelt, Nico. Sondern wegen dir und
eigentlich war es keine richtige Prü...“ Die spitzfindige
Rechtfertigung blieb ihm im Hals stecken, als er zurück in Nicos
vorwurfsvolles Gesicht sah. Sie wollte überhaupt nicht, dass sie
sich schlugen. Sie sollten Freunde sein. Freunde vertrugen sich.
Unter allen Umständen.
Nico seufzte frustriert auf, weil sie nicht wusste, was wie sich den beiden gegenüber verhalten sollte. Es wäre wahrscheinlich leichter gewesen, wenn sie über ein aufbrausendes Temperament verfügen würde, dann könnte sie mit einem Einrichtungsgegenstand um sich schmeißen und die Sache damit abhaken. Gerade verfluchte sie ihre Art, sich immer auch in den anderen hinein zu versetzen.
„Ich habe mich schon bei Brock entschuldigt.
Und das wollte ich auch bei dir tun, Damon. Ich hätte nicht damit
gerechnet, so plötzlich die Orientierung zu verlieren. Es war ein
unglücklicher Zufall, dass Cat zur selben Zeit angegriffen wurde…
Sie war schwer verletzt und Nathan hat noch schlimmer reagiert als
du, Damon. Auch deshalb war ich etwas mitgenommen, weil er noch
niemals die Beherrschung dermaßen verloren hat. Jedenfalls nicht in
meinem Beisein…“
Nico löste ihre Hände aus seinem Griff und rutschte an die Lehne
der Couch zurück, wo sie die Knie anzog und unter dem Pulli
verschwinden ließ, während Brock weiter ins Zimmer hinein lief, um
sich schließlich auf einen Sessel links von ihr zu setzen.
„Was ist passiert, Nico? Was hast du gesehen?“, fragte Brock an Damons Stelle besorgt nach, weil ihn ihre Worte ziemlich ernüchterten. Da war die kleine Flurparty, die er sich mit Damon geliefert hatte, wohl wirklich daneben gewesen, wenn es hier in der Fortress rund ging.
Damons schlechtes Gewissen jagte hinauf in
schwindelnde Höhe. Es wurde nicht besser, sondern schlimmer, weil
sich Nico nicht damit zufrieden gab, böse auf sie zu sein, sondern
auch noch das Bedürfnis hatte, sich zu entschuldigen. So ging das
jedes Mal. Dabei hatte sie sich nichts vorzuwerfen und Damon hatte
auch nichts gesagt. Brock würde das nur wieder zu seinen Ungunsten
auslegen. Gut, dass Nico ihn ablenkte. Er wollte schließlich
wissen, was mit Cat passiert war.
Damon hörte gar nicht richtig zu. Er war viel zu sehr damit
beschäftigt, sich an ihrem verletzlichen Aussehen zu stören. Der
viel zu große Pulli von ihm und die Löckchen sowie der kindlich
unschuldige Augenaufschlag brachten ihn vollkommen aus dem Konzept
und erst Recht zu der Ansicht, dass sie beschützt werden musste und
sein Angriff auf Brock vollkommen gerechtfertigt gewesen war. Das
war eben so eine Sache unter Männern. Der Wolf würde schließlich
auch nicht zögern, ihn auf einen Spieß zu stecken und über offenem
Feuer zu rösten und dann mit seinen Kumpels als Abendessen zu
teilen, wenn er Nico noch einmal verletzen oder in Gefahr bringen
sollte.
Nico berichtete von ihren unerwarteten
Hausgästen, dem Angriff des Aryaner-Lords auf Mina Harker und von
Cats Verletzung mit dem giftigen Dorn.
„…Sie hat nach mir gerufen und ihre Schmerzen dämpften meine
Verbindung zur Umwelt kurzzeitig und dann kam auch noch die Vision
über mich... Ich wurde plötzlich auf die Zinnen eines Schlosses in
Rumänien versetzt. Cat stand mir gegenüber, sie war noch ein
Teenager, aber schon in voller Montur. Ich fand das ziemlich
erschreckend, obwohl ich doch weiß, dass sie zur Jagd ging, als sie
noch viel jünger war. Es war kurz vor einem Einsatz, der Cat und
die Person, die ich war, in einen dunklen Wald führte. Es roch nach
Feuer und Tod. Sie liefen in einen Hinterhalt und dann sprang mich
auch schon ein dunkler Schatten an… Zur selben Zeit wie der Ghoul
in seinem Wagen… Ich spürte nur die Schmerzen aus der
Vergangenheit, weil sie die anderen übertönten… Der Aryaner hat…
mir das Gesicht zerbissen, ich hörte Knochen knacken und dann war
ich zum Glück wieder in der Wirklichkeit angekommen. Ich habe gar
nichts von dem Angriff des Ghouls mitbekommen, da waren auch schon
Brock und Romy zur Stelle…“
Nico hob die Arme und fuhr sich mit den Fingern durch die
inzwischen beinahe getrockneten Locken, um sie damit ein bisschen
aufzulockern. Es geschah nicht aus Eitelkeit, sie wollte ihren
Händen einfach eine Beschäftigung geben, um nicht nach Damon zu
greifen und seine Nähe zu suchen.
„Ich habe erlebt, was Cat und ihrem kleiner Bruder damals passiert ist. Ich glaube, er ist der einzige, der sie wie ein normaler Mensch behandelt hat, auch wenn er als Teenager kaum genug Durchsetzungsvermögen besessen haben kann, um für Cat einen Unterschied zu machen… Er ist von den Tatarescus zum Jäger großgezogen worden und dennoch bin ich davon überzeugt, dass er nicht deshalb auf der Suche nach ihr ist… Vulcan ist jetzt drüben bei Cat und Nathan… Der hat übrigens in seiner Raserei dem Jungen das Handgelenk gebrochen und ein paar Rippen angeknackst.“
Nico warf Brock einen vorwurfsvollen
Seitenblick zu und konzentrierte sich dann wieder auf Damon, den
sie mit einem halbherzigen Schmollen bedachte.
Was soll ich mit den beiden nur machen? Sie
kamen ihr gerade vor wie zwei unartige Welpen, die sich übermütig
aufeinander gestürzt hatten. Und dabei war ihr kleiner Hund Shai,
der ja nun ganz nah wohnte, seit Tiponi bei Ron eingezogen war,
trotz seiner Jugend wahrscheinlich der Vernünftigste von den
Dreien.
Bei den Worten Kiefer und beißen gab Damon ein unterdrückt würgendes Geräusch von sich. Das war eine ziemlich ekelige Vision gewesen. Cat hatte offenbar eine ganz schöne Scheiße durchgemacht und ihr Bruder... Moment... Damon konnte nicht mehr folgen, da er schon wieder nicht aufgepasst hatte, weil Nicos Hände nun in ihre Haare gewandert waren, um die widerspenstigen Löckchen zu ordnen, die man eigentlich nicht ordnen konnte und nur darauf warteten, von ihm zum wiederholten Mal zerwühlt zu werden. Was er besonders gern tat, denn sie waren beinahe genauso weich und schön wie ihre Haut.
„Scheiße! Nathan ist ausgeflippt?“ Damon wand sich verlegen und in vorgeblicher Scham für seinen Waffenbruder, zuckte dann aber mit den Schultern, denn das hatte rein gar nichts mit ihm und Brock zu tun, da sie ja beide keine Superhirne waren, die sich einen Spaß daraus machten, die Haut ihres Kontrahenten mittels Gedankenkraft in Stücke zu fetzen und sich dann an dem Blutmuster auf Boden und Tapete erfreuten. Das war ihm dann doch eine Nummer zu viel des Guten.
„Wir werden ja sehen, wie viele Personen
morgen früh lebend Nathans Apartment verlassen. –Die Chancen, dass
es mindestens zwei sind, stehen besonders gü...“
Brock und Nico sahen ihn so entgeistert an, als hätte er es gerade
ernst gemeint. Damon merkte, dass niemand außer ihm diesen Scherz
lustig fand und murmelte eine Entschuldigung. Nicos Blick wurde
noch vorwurfsvoller und jetzt hatte dieser Zug sogar ihr hübsches
Mündchen erreicht. Für Damon die allergrößte Folter, da er in
Brocks Gegenwart so gut wie gar nichts daran ändern konnte, es sei
denn er mutierte plötzlich zu jemandem, der vollkommen logisch und
ohne Hintergedanken gegen ihre berechtigten Vorwürfe argumentieren
konnte.
„Ich hab ihm nur eine rein gehauen, Nico.
Ehrlich. Dann hat er um Zugabe gebeten und die hat er gekriegt. Das
war alles. Ich habe eine Packung zurückgekriegt und nun sind wir
zwei quitt. Es kommt nie wieder vor und ich entschuldige mich bei
dir. Es war dumm und in Zukunft sollte ich ein bisschen länger
überlegen, bevor ich losstürme und jemanden schlage.“
Damon entschuldigte sich so reumütig wie ein Fünfjähriger und war
mindestens so verlegen.
„Brock ist sowieso viel stärker als ich. Eigentlich war es von
Anfang an eine Schnapsidee. Entschuldigung.“
Brock hätte Damon am liebsten eine Kopfnuss
verpasst, als er anfing, sich zu rechtfertigen und sich dadurch nur
tiefer in die Scheiße ritt. Nico verstand es zu gut, kleine
Stolperfallen für große Machos zu stellen und dabei tat sie so was
nicht mal absichtlich. Sie war nicht hinterhältig, aber ihre
unschuldige Art machte einen Mann gesprächiger als ein ganzes Fass
Whiskey.
Damon kassierte ernüchternde Ohrfeigen, ohne dass die Kleine auch
nur die Hand erheben musste. Autsch!
Brock beschloss für sich, mal ein Wörtchen mit seiner Herrin zu
reden, dass man einen Mann auf Knien nicht auch noch empfindlich in
seine Weichteile trat. Aber nicht so bald, das hatte noch so zehn
bis zwanzig Jahre Zeit. Schließlich wusste er nicht, wie er an
Damons Stelle gehandelt hätte. Der Sohn eines Lords, ein verwöhntes
Bübchen, dem alles zugeflogen war. Dieses dreihundert Jahre
andauernde Verhaltensmuster musste man erst sprengen und
entstauben. Und das tat weh, da musste der Junge eben
durch.
Im Gegensatz zu Damon nahm Brock kaum Notiz von Nicos Äußerem, er
fühlte sich von ihrem Bericht zutiefst getroffen. Was für eine Scheiße hatte sie da mit ansehen
müssen?! Nein, nicht nur ansehen, sie hatte es erlebt, in der
Haut dieses Jungen in der Vergangenheit gesteckt, während ein Kerl
in der Gegenwart sich an ihr vergriffen hatte. Ihm wollte sich der
Magen umdrehen, da er sich nur zu gut an den Angriff der
Ghoul-Biester in Reno erinnerte. Er hätte am liebsten laut
geflucht, unterließ das dann lieber, um Nico nicht zu
erschrecken.
Cats Bruder? War es nicht so, dass sie keine
Familie hatte? Nein, sie war als Teenager davongelaufen, wenn er
sich recht erinnerte. Vor einer berüchtigten, rumänischen
Jägerfamilie. Alter Schwede, dann war das Treffen der beiden mehr
als heikel und die Frage, ob es die Nacht einen Toten geben würde,
war vielleicht nicht einmal so dumm. Nathan war
schließlich ein anderes Kaliber als der gute Damon.
Brock räusperte sich und erhob sich dann aus dem Sessel, um auf
Nico zuzugehen, ohne auf Damon zu achten. Der war ja gerade dabei,
schön auf den Knien zu schmoren, das würde nur seinen Charakter
weiter bilden.
„Reg dich nicht so auf, Kleine. Du hast für
heute schon genug Schrecklichkeiten gesehen. Das zwischen uns war
eine ganz harmlose Rangelei. Wir sind Männer, die müssen halt
manchmal Klartext reden. Bei Gelegenheit können wir ja vielleicht
deine Herangehensweise ausprobieren und ein bisschen
kuscheln.“
Er beugte sich über sie und küsste sie zum Abschied auf die Wange,
wobei er ihr empörtes Schnappen nach Luft mit einem wölfischen
Grinsen quittierte. Zumindest war sie nun auch zu einem kleinen
Teil auf ihn sauer, soweit sie so etwas überhaupt fertig brachte.
Er klopfte Damon gönnerhaft auf die Schulter, wohlwissend dass der
Druck in dieser Position ihn erneut seine Knochen spüren lassen
würde.
Angewidert verzog Damon das Gesicht. Mit
Brock kuscheln würde er in gar keinem Fall. Das Klopfen auf seiner
Schulter holte ihn allerdings ganz schnell aus dieser schrecklichen
Fantasie zurück in die Wirklichkeit. Brocks Kraft war etwas, das er
nicht unterschätzen sollte. Also wurde aus der Antipathie ein
angestrengt zustimmendes Lächeln, wobei der Ausdruck in seinen
Augen eindeutig das Wort Arschloch
wiedergab.
Mit der dicken Freundschaft konnten sie sich getrost noch eine
Weile Zeit lassen. So zehn bis zwanzig Jahre. Wenn sich Damon daran
gewöhnt hatte, nicht allein für Nicos Wohlergehen zuständig sein zu
können und Brock die Vision von der Vision hatte und wusste, wann
genau seine Herrin in Gefahr sein würde.
Bis dahin war noch jede Menge Zeit für weitere Montagnacht-Matches
in Brocks Wohnzimmer und dafür, herauszufinden, wo der Wolf seine
Schwäche hatte. Dann würde er es sein, der sich in die schicken
Holzbohlen niedergestampft wiederfand und Damon würde auf ihm
sitzen und es genießen.
Der Gedanke ließ ihn gehässig lächeln. Wohlwissend, dass es nur ein
Gedanke bleiben würde, denn er hatte nicht vor, sein Versprechen
gegenüber Nico zu brechen. Brock und er würden sich nicht mehr
prügeln. Es sei denn, Training stand auf dem Plan. Und Freundschaft
würden sie wohl auch schließen. Da ging kein Weg dran vorbei und im
Grunde steckte ja in beiden Männern ein guter, motivierter
Kern.
„Jederzeit wieder! Ich geh mal rüber und schauen, ob ich helfen kann, wenn ihr so plötzlich einen Haufen Hausgäste zu betreuen habt. Da kann ich dann vielleicht einen Drink abstauben. Jäger sind doch bestimmt ein trinkfestes Völkchen, oder nicht?“ Und schon hatte sich Brock in die Fortress materialisiert, um sich die Leute anzusehen, da er neugierig war, gewöhnliche Menschen kennen zu lernen, die einen so gefährlichen Job ausübten.
Nico starrte einen Moment sprachlos in die
Luft, die Brock hinterlassen hatte, da er sich ja aus dem Staub
gemacht hatte und wandte sich dann mit einem leicht pikierten
Gesichtsausdruck an Damon, der sich tatsächlich beinahe wie ein
unartiges Hündchen ansah, dem ein Malheur in der Wohnung passiert
war.
Sie setzte sich gerade auf und schob ihre Hände unter ihre
Oberschenkel, weil sie nicht sicher sein konnte, sie nicht nach ihm
auszustrecken, da sie nun unter sich waren und sie ihm niemals
lange böse sein konnte. Sie war ja auch gar nicht böse oder sauer.
Aber irgendwie musste sie klare Verhältnisse zwischen ihnen
schaffen. Brock hatte sie beschützt, wie es seine Aufgabe war. Der
Rest lag nur an ihr.
„Damon…“, begann sie nach einem tiefen Atemzug, der sie beruhigen sollte, und versuchte, ein bisschen energischer als sonst zu wirken.
„Nico...?“ Automatisch erwiderte er ihren
Namen auf die gleiche Weise, wie sie ihn ansprach. Darauf gefasst,
die Predigt seines Lebens zu erhalten, obwohl ihm immer noch nicht
genau klar war, wofür. Mit einem Mal hatte sich die Betroffenheit
in ihrer Miene zu etwas Trotzigem verändert und die Art, wie sie
auf ihren Händen saß, damit sie ja nicht in Versuchung kam, ihn
anzufassen (oder ihm eine zu knallen?), ließ ihn etwas vom Sofa
abrücken. Nicht weit, denn da war immer noch der Couchtisch und
seine Körpergröße, die ihn an allzu viel Bewegung
hinderte.
Wirklich, er wusste nicht, warum sie sich so aufregte. Er hatte
gedacht, die Dinge zwischen ihnen waren mittlerweile geklärt. Der
letzte Vollmond und die Tage dazwischen waren bis heute so
vielversprechend gewesen. Und jetzt das.
„Ich verstehen ja, dass du mich beschützen möchtest. Und das war ja auch nötig, solange ich nicht selbst dazu in der Lage war. Gut, der heutige Vorfall spricht gegen mich, aber so etwas kann auch dir passieren, oder nicht? Beim letzten Vollmond wurdest du auch verletzt.“, argumentierte sie und senkte dann blinzelnd den Blick, weil die Ereignisse der Vollmondnacht nur allzu präsent in ihrem Gedächtnis verblieben waren. An sein Blut zu denken, war gerade keine besonders gute Idee.
„Das ist ein Risiko, das wir beide eingehen
müssen. Ich bin eben nicht nur eine Sophora. Es ist mir schwer
genug gefallen, meine Berufung zur Kriegerin zu akzeptieren… Ich
bin bestimmt nicht so mutig wie die anderen in unserer Riege, weil
ich noch ein Anfänger bin. Ich baue auf dein Vertrauen in mich,
selbst für mich einstehen zu können. Ich muss noch so viel lernen
und bestimmt noch einiges einstecken, bis ich mit den anderen
mithalten kann… Du hast dich nicht so aufgeregt, als Romy im
Alleingang Rukhs Sohn gestellt hat… Mal abgesehen davon, dass du
mir natürlich andere Gefühle entgegen bringst. Würdest du dich
anders verhalten, wäre ich mehr wie Cat oder Wendy? Damit kann ich
leider nicht dienen. Um es mit Brocks Worten zu sagen, ich kuschele
lieber, als dass ich mich schlage.“
Nico verdrehte die Augen über sich selbst, weil sich dieser Satz
sogar in ihren eigenen Ohren seltsam aus ihrem Mund
anhörte.
„Aber ich bin trotzdem eine Kriegerin und werde mich auch in
Zukunft bemühen, dieser Aufgabe so weit gerecht zu werden, wie es
mir möglich ist.“
Sie nickte abschließend und hob den Kopf mit Stolz an, um Damons
Blick entschlossen zu begegnen.
Damon seufzte gedehnt, erhob sich vom Fußboden und ließ sich mit einem weiteren, ächzenden Laut neben ihr auf das Sofa fallen. Wie ein nasser Sack ohne Rückgrat saß er da, starrte ein dickes Loch in die gläserne Oberfläche des Tisches und wandte Nico dann in einem plötzlichen Anfall von Bewegungsmotivation den Kopf zu.
„Du könntest mir binnen Sekunden so wehtun, dass ich den Tag meiner Geburt bereue, Nico. Wenn du so wie Wendy, Romy oder gar Cat wärst, dann säße ich nicht mehr hier neben dir, sondern dauerhaft auf der Krankenstation. Denk bloß nicht, ich würde unterschätzen, was in dir steckt. Ganz im Gegenteil. Das habe ich dir beim letzten Vollmond schon gesagt. Ich bin verletzt worden, weil ich verweigert habe, von dir zu trinken und somit meine Kraft eingebüßt habe. Du könntest sogar Brock die Knochen brechen, ohne groß ins Schwitzen zu kommen, Schätzchen. Wir beide wissen das. Genauso wissen wir, dass du so etwas niemals tun würdest, weil kein Grund dazu besteht und ich sehr froh darüber bin, dass du nicht diese kleine sadistische Ader besitzt, mit der Wendy oder Romy ihre Männer zuweilen piesacken.“
Damon streckte die Hand aus und legte sie auf eines von Nicos Knien, da sie immer noch auf ihren Händen saß und ihn ansah, als hätte er kein bisschen verstanden, was sie hatte sagen wollen. Doch er verstand sehr gut. Er war nicht taub und nur halb so blöd wie es den Anschein hatte.
„Ich bin nicht Ash oder Rys oder Nathan. Wenn die anderen Blödsinn machen, dann ist es ihr eigenes Risiko. Damit müssen sie selbst klar kommen oder sich von ihren Soulmates trösten lassen. Warum sollte ich mich darüber aufregen? Du aber gehörst zu mir. Du bist für mich jemand Besonderes, Erstklassiges. Natürlich kann ich dich nicht vor allem beschützen und das will ich ehrlich gesagt gar nicht. Das wäre auf Dauer viel zu anstrengend, weil du eben immer in Schwierigkeiten gerätst.“
Nico öffnete im Sinne eines Protests ihren
Mund, doch Damon legte ihr blitzschnell einen Finger auf die
Lippen. Er war noch nicht fertig.
„So ist das nun mal mit Kriegern. Da geht kein Weg dran vorbei,
Nico. Ich erwarte dann auch keine Entschuldigungen von dir, weil du
getan hast, was du tun musstest oder eine Vision hattest, die du
aber ganz bestimmt nicht freiwillig herbei rufst. – Ich weiß auch,
das Brock sein Bestes getan hat, um dich zu schützen und noch nicht
weiß, wie du reagierst, wenn du die Bilder empfängst, aber ich
will, dass das auch weiterhin so bleibt. Ich will, dass er sein
Bestes gibt und das mit der Herrin in
hundert Jahren noch wörtlich nimmt. Du warst verletzt. Nicht
schlimm, aber für mich in diesem Augenblick, als ich eigentlich mit
dir schlafen und meine Zähne selbst in deinen hübschen Hals graben
wollte, unerträglich. Jemand musste dafür büßen und du konntest mit
Sicherheit nichts dafür.“
Er rutschte näher an sie heran, um sie auf die Schläfe zu küssen
und die Hand, die eben noch ihr Gesicht berührt hatte, in ihr Haar
gleiten zu lassen, während er noch näher an sie heranrückte.
„Brock sagte mir, ich sei eifersüchtig.“, flüsterte er jetzt ganz nah bei ihr und sah mit Wohlwollen dabei zu, wie sein warmer Atem sie ein klein wenig erschauern ließ und sie ungläubig die Augen niederschlug, als könnte sie nicht ertragen, dies zu hören. Damon lächelte in der Gewissheit darüber, dass sie wahrscheinlich immer noch glaubte, so ein Gefühl hatte man sicher nicht bei jemandem wie ihr. Wie falsch sie doch lag.
„Er hat Recht. Es geht mir nicht nur um
deinen Schutz, Nicolasa. Du bist mein. Niemand nimmt sich etwas von
dir, ohne mich zu fragen.“
Notfälle natürlich ausgenommen.
„Und sag mir nicht, es würde dir nicht gefallen. – Du kannst es
leugnen, aber ganz tief in dir drin hast du dir das immer
gewünscht. Ich bin nicht wie die anderen Krieger, wenn es darum
geht, einen kühlen Kopf zu bewahren oder besonders intelligente
Reden zu schwingen, aber für unsere Soulmates fühlen wir alle
gleich. Wir würden alles für sie tun, selbst vollkommen unmögliche
Dinge und wir zögern nicht, unsere Schwächen vor ihnen
einzugestehen. Du bist meine größte Schwäche, Nicolasa und das ist
das Beste, was mir jemals passieren konnte. Entschuldige dich nie
wieder dafür, anders zu sein als die anderen. – Ich liebe dich und
ich bin absolut davon überzeugt, dass du eine hervorragende
Kriegerin bist.“
Er sollte sie küssen, bevor sie wieder zu protestieren gedachte,
aber vielleicht sollte er ihre Zweifel, wenn sie denn immer noch
welche hatte, nicht immer auf diese Art und Weise zerstreuen. Also
hielt er sich vorerst zurück.
Schätzchen… Das sagte
Damon sonst nicht zu ihr. Nico verlor den Faden und es war ein
Leichtes für ihn, sie zum Schweigen zu bringen. Sie steckte
wirklich in Schwierigkeiten. Sie wusste nun gar nicht mehr, wie man
predigte, um einen reuigen Sünder zur Vernunft zu bringen. Mit
großen Augen lauschte sie seinen Worten und hätte sich auch einen
anderen Fortgang des Abends gewünscht.
Damon war eifersüchtig?
Eifersüchtig!
Nico musste den Blick senken, weil sie das noch vor kurzem in einem
Gespräch mit Cat vehement abgestritten hatte. Sie hatte beleidigt
reagiert, weil es sich für sie anhörte, als würde sie Brock zu
unangemessenem Verhalten auffordern. Cat hatte sie ausgelacht und
sich auf den Matten des Trainingsraumes gerollt, während sie sich
den Bauch hielt. Sie hatte Tränen gelacht.
Brock würde dir zu Willen sein, wenn du auch
nur mit einem deiner hübschen kleinen Zehen einen Wink geben
würdest. Das würden sehr viele Männer sein, meine Süße. Sie würden
dir die Füße küssen und deine Zehen am liebsten…
Bevor Cat diese Anzüglichkeit aussprechen konnte, hatte sich Nico
auf sie gestürzt, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie glühte immer
noch bei dem Gedanken daran, was sie sonst noch hätte sagen können.
Ganz außer sich hatte sie immer wieder betont, dass nur Damon
allein dieses Privileg hätte, wenn überhaupt.
Sie hatte Cat noch niemals zuvor im direkten Zweikampf ohne Waffen
besiegt und hatte Cat danach das Versprechen abgerungen, ja nicht
darüber zu sprechen, warum sie plötzlich zur Furie mutiert war.
Manchmal erschreckte sie ihre eigene Courage.
„Oh… Damon…“ Diesmal klang sein Name nicht
mehr energisch vorwurfsvoll. Sie sprach ihn voller Sehnsucht und
Liebe und Unglauben aus.
Sie suchte seinen Mund mit ihrem und küsste ihn zärtlich
ausdauernd, während sie rittlings auf seinen Schoß kroch, um ihm
näher zu kommen. Er konnte sie viel besser wärmen als der Pulli,
den sie ihm aus dem Schrank stibitzt hatte und nur ein sehr magerer
Ersatz für seine Nähe gewesen wäre.
Ziemlich atemlos löste sie sich von ihm, bevor sich ihr Verstand
endgültig verabschiedete. Ihre Hände umspannten sein Gesicht und
glitten liebkosend in sein Haar, während sie ihm tief in die Augen
sah.
„Ich will auch keinem anderen gehören. Nur
dir!“, begann sie mit heftig klopfendem Herzen.
„Gewünscht nicht… aber gehofft… Ich wusste nicht, dass ich jemals
so heftig für dich empfinden würde… Ich war nur so erschrocken,
dass Cat Recht behalten hat… Sie hat es mir vor ein paar Tagen im
Training an den Kopf geworfen… Ich meine das mit Brock und deiner
möglichen Reaktion darauf... Ich bin wirklich, wirklich wütend
geworden und habe dasselbe getan, was du getan hast. Ich habe
zugeschlagen. Es hat mich so unglaublich zornig gemacht. Ich mag
Brock wirklich, ich weiß, dass ich ihn sehr gern haben werde. Wir
werden zusammenwachsen und es wird bestimmt nicht mehr vorkommen,
dass er meine Reaktionen falsch interpretiert. Es ist sein Schutz,
den ich brauche, weil es leichter ist, wenn diese Aufgabe jemandem
zufällt, der mir nicht so nahe steht wie du. Ich hatte nie
Geschwister, Babu und ich waren immer eine sehr kleine Familie. Ich
finde es absolut wunderbar, den Kreis weiter ausbauen zu können.
Meine Welt hat sich so sehr zum Guten verändert und du bist das
strahlende Zentrum darin. Manchmal fühle ich mich unsicher und
ängstlich, weil ich mein Glück kaum fassen kann… Es fühlt sich
alles wie ein Traum an, aus dem ich jederzeit aufwachen könnte,
wenn ich eine falsche Bewegung mache… Das möchte ich in keinem Fall
und vielleicht brauche ich einfach ein wenig mehr Zeit als du, um
in das alles hinein zu wachsen. Es hilft mir sehr, wenn du einfach
für mich da bist und etwas Geduld mit mir hast. Ich werde mich auch
bemühen, sie nicht übermäßig zu strapazieren!“, flüsterte sie an
seinem Mund und löste sich nach einem gehauchten Kuss von ihm, um
den Kopf zurück zu legen und ihn fragend anzusehen.
„Ich hätte es dir nicht übel nehmen sollen…
Und vielleicht sollte ich darauf etwas typisch weiblicher
reagieren, aber ich kann das eben nicht… Mir ist es lieber, dass du
dir meiner Gefühle für dich sicher bist! Obwohl… Ich hab immerhin
die Ausrede, dass die Auseinandersetzung im Training stattfand und
Cat mich wohl absichtlich gereizt hat, damit ich endlich die
Zurückhaltung im Kampf vergesse.“
Nico biss sich auf die Unterlippe und grinste dann verschmitzt.
Eigentlich hatte sie diese Geschichte ja für sich behalten wollen,
aber das wäre bestimmt unfair gewesen, sich hier als Unschuldsengel
hinzustellen, wenn sie das gar nicht war.
„Da steckt also auch ein kleines Wildkätzchen in dir, hm?“ Damon tippte Nico neckend unters Kinn, verkniff sich aber das Lachen, das ihm im Hals steckte, weil sie nicht das Gefühl bekommen sollte, er machte sich über sie lustig. Es war gut, wenn sie aus sich heraus kam. Vor allem beim Training. Egal, aus welchem Grund. In einem richtigen Kampf durfte es keine Überraschungsmomente bezüglich ihrer Kräfte geben. Da musste Nico absolut sicher sein, die Sache unter Kontrolle zu haben. Von plötzlichen Visionen einmal abgesehen. Da konnte sie nur hoffen, rechtzeitig von den anderen den Rücken freigehalten zu bekommen und ansonsten hieß es einfach schneller zu sein als der Gegner. Natürlich schmeichelte es ihm ungemein, dass es seinetwegen passiert war, doch er war nicht so vermessen, ihre Fortschritte immer nur als sein Werk zu verbuchen.
„Brock und ich werden schon miteinander
auskommen, Nico. Darum musst du dich nicht sorgen. Solange er weiß,
wo sein Platz ist, ist alles in Ordnung.“
Damon dachte gerade gar nicht so ungern an den letzten Vollmond
zurück, als Nico mit Brocks Duft an ihrem Körper ihm gegenüber
getreten war und er den Kerl am liebsten einen Kopf kürzer gemacht
hätte. Sollte er auch nur einmal diesen Geruch so stark wie nach
der Umwandlung an seiner Soulmate vorfinden und feststellen, dass
es dabei nicht um Brocks Leben gegangen war, das Nico durch eine
weitere Blutspende hatte retten müssen, konnte das durchaus noch
passieren.
„Ich für meinen Teil rede ihm dafür nicht mehr in seine Arbeit rein und mache dir sicher keine Vorschläge mit wem du dich anfreunden sollst und mit wem nicht. Das ist allein deine Entscheidung. Du hast eine gute Menschenkenntnis, Nico. Obwohl ich da was mich angeht noch nicht so sicher bin. Nicht du solltest dich jeden Tag aufs Neue fragen, wie zerbrechlich das Ganze hier sein kann, sondern ich. Womit habe ich eine so gute Seele wie dich verdient? Warum bietet ausgerechnet mir das Schicksal diese wunderbare Chance mit jemand ganz Besonderem glücklich zu werden, wenn es mich eigentlich übers Knie legen und richtig leiden lassen sollte, hm?“
Zärtlich streichelte er die warme weiche Haut ihrer linken Wange und verlor sich in der wunderbaren Dunkelheit ihrer Augen, die niemals kalt sondern nur voller Wärme und Zuneigung blicken konnten.
„Ich war nie einer von den Guten. Ich habe
genommen, was ich kriegen konnte und meinen Status als Krieger bei
jeder Gelegenheit ausgenutzt. Mein Charakter ist schwach,
unselbstständig und vulgär. Das genaue Gegenteil von dir. Geduld
einzufordern liegt ganz allein bei mir. Du lässt dir nur selten,
wenn überhaupt, etwas zuschulden kommen, das mich strapazieren könnte. In der kurzen Zeit, die wir
zusammen sind, hast du mich so viel gelehrt. Such die Schuld in
meinem Verhalten nicht mehr bei dir, Nico. Es sind ganz allein
meine Verfehlungen. Du musst wissen, dass ich nicht an dir zweifle.
Niemals. Ich zweifle an mir und an den anderen, die dir auf deinem
Weg begegnen werden. Sie könnten genauso schlecht sein, wie ich es
bin. Ich will einfach nicht, dass du verletzt wirst. – Ich weiß,
ich kann dich nicht davor bewahren. Das haben wir ja schon
festgestellt. Aber ich will zumindest versuchen, dich niemals
wieder richtig unglücklich zu sehen.“
Damon nahm die Hand von Nicos Wange, um damit eine der ihren zu
umfassen. Mit einem Mal war er vollkommen ernst und trug einen in
sich gekehrten Ausdruck auf dem Gesicht zur Schau, den man sonst
nur von den anderen Kriegern kannte.
„Nico, vielleicht ist es für uns beide
besser, wenn wir nicht mehr allzu lange warten. Ich glaube nicht,
dass du sicherer wirst, wenn mein sprunghafter Charakter gerade
wieder losstürmt, um dich vermeintlich zu rächen oder etwas zu
deinem Wohlergehen tut, was dir eigentlich Übelkeit bereitet. Ich
möchte nicht, dass du weiterhin an einen Traum glaubst, der sich
vielleicht auf diese Weise, wie es jetzt ist, niemals für dich
erfüllt.“
Das klang ziemlich negativ und Damon konnte sich bei seinen Worten
nicht einmal ein schwaches, für ihn sonst so typisches Lächeln
abringen.
„Du sollst die Familie haben, die du dir
immer gewünscht hast. Du sollst glücklich sein und dich nicht für
das, was du bist, rechtfertigen müssen. Du sollst das Gefühl haben,
auf einer Ebene mit uns allen zu stehen, wenn nicht sogar eine
darüber, weil du so jemand Besonderes und Starkes bist. Du sollst
dich nicht mehr wie eine Außenseiterin unter Gleichartigen fühlen
müssen, Nico. Egal, wie viel Zeit du auch bekommen magst, es wird
so nie genug sein.“
Der Ausdruck auf ihrem Gesicht gefiel ihm gar nicht, aber er musste
sagen, was zu sagen war und offen mit ihr sprechen.
„Das geht noch ein oder zwei Vollmonde gut
und dann sind alle Zweifel wieder da. Wir können nicht so weiter
machen. Das ist nicht gut für dich. – Ich werde deinen Vater im
Castle aufsuchen und ihn darum bitten, dich...“
Mit einem Mal schnürte sich Damons Kehle zu und er hatte das
Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Es war nicht der gleiche
Schmerz, den er verspürt hatte, als Brock auf ihm drauf saß. Es tat
im Herzen weh und machte ihm klar, wie viel Liebe er der Frau
entgegen brachte, die nun den Platz auf seinem Schoß im Guten
eingenommen hatte.
Nicos Herz krampfte sich ängstlich zusammen
und die alte Angst kehrte mit aller Macht zurück.
„Worum möchtest du Babu bitten…?!“, hauchte sie ängstlich und
starrte ihn verständnislos aus weit aufgerissenen Augen an. Die
beiden Männer verstanden sich erstaunlich gut, obwohl sie ihrem
Vater nach seiner Umwandlung natürlich alles erzählt hatte. Er war
nicht böse geworden, das war auch gar nicht seine Art. Nur sehr,
sehr ernst, weil sie ihren Kummer zuerst nicht mit ihm geteilt
hatte. Babu sah in Damon vielleicht nicht so viel wie sie, aber er
hatte Verständnis für ihn und war bereit, ihn den heutigen Taten zu
messen und nicht an vergangenen Verfehlungen. Ihm war am
Wichtigsten, dass seine Tochter glücklich war.
„Verbinde dich mit mir, Nico!“ Damons Stimme klang alles andere als fest. Zu groß war die Angst, dass sie seinen ungeschickt formulierten Antrag ablehnen könnte und nur die Zeit allein für sie beide sprechen lassen wollte. Trotz aller Zweifel war er sicher, die Ewigkeit mit ihr verbringen zu wollen und es war der einzig mögliche Weg, ihr die Sicherheit über all ihre Freundschaften und Leibwächter hinaus zu geben, die sie brauchte und für ihn die Gewissheit, sie nicht doch noch an einen anderen zu verlieren.
Nico war so überwältigt von diesem Satz, dass
sie beinahe von seinem Schoß gefallen wäre. Sie konnte nicht atmen,
kaum denken und bestimmt nicht fassen, was er da eben gesagt hatte,
wo sie doch gerade so sehr davon überzeugt gewesen war, dass er um
etwas völlig anderes bitten würde. Ihr Griff um seine Hand wurde
stärker, weil sie sonst meinte, den Boden unter den Füßen zu
verlieren. Tränen füllten ihre Augen, die seinem Blick nicht
ausweichen wollten.
Er schien irgendwie unsicher und Nico wusste nicht, warum. Ihr Kopf
fühlte sich wie leer gefegt an. Sie blinzelte ein Mal und dann noch
mal, doch alles blieb wie es war. Es war kein Traum. Damon wartete
auf eine Antwort!
„Du und ich…?!“
Die Vorstellung, diese besondere Verbindung mit ihm einzugehen, sie
von Menschen bezeugen zu lassen, die ihre Freunde und ihre Familie
waren. Nico schwindelte und sie streckte die freie Hand aus, um
sich in den Stoff seines Oberteils zu krallen, weil sie einen Halt
in der sich drehenden Welt suchte.
Damon schluckte schwer und konnte nur wortlos
nicken. Zu groß war seine Angst, sie könnte ablehnen oder wieder
auf die Zeit verweisen, mit der sich ihrer Meinung nach alles
bessern würde. Damit hatte Nico wohl Recht. Er konnte sie unmöglich
dazu zwingen, für immer mit ihm zusammen sein zu wollen.
Er zuckte empfindlich zusammen, als sie sich an ihm festkrallte und
rechnete fast schon mit einer Ohrfeige, weil er eine vollkommen
blödsinnige Frage gestellt zu haben glaubte, die sie nie... nie,
nie, nie mit einem Ja beantworten würde. Er hatte sich einfach zu
viel in der Vergangenheit geleistet. Für so etwas wie eine
Verbindung war…
„Ich liebe dich über alles, Damon! Ich könnte
mir nichts Schöneres vorstellen, als zusammen mit dir diesen
Schritt zu gehen. Du bist der Mann, dem mein Herz gehört, mit dem
ich leben möchte, mit dem ich eines Tages Kinder haben möchte…
Meine Antwort wird also immer Ja lauten. Immer!“, wisperte sie von
dem Glück überwältigt, das er mit seinem Antrag ausgelöst
hatte.
Es gab in diesem Punkt nicht den geringsten Zweifel für sie und das
fühlte sich so unglaublich gut an. Endlich ließ die Anspannung von
ihr ab und auf ihren Lippen erblühte ein scheues Lächeln, das sich
in ihren strahlenden Augen widerspiegelte. Sie hatte keine konkrete
Vorstellung darüber gehabt, wie es eines Tages sein könnte, diese
Worte aus seinem Mund zu hören. Natürlich hatte sie nun schon zwei
Verbindungszeremonien beigewohnt und dabei vor sich hin geträumt,
wie es sein würde, wenn sie… Aber die Wirklichkeit stellte alles in
den Schatten.
„Ja, du willst?!“ Damon riss ungläubig die
Augen auf und wurde nicht mal verlegen, als sie davon sprach,
Kinder mit ihm haben zu wollen. Es motivierte ihn höchstens noch
mehr dazu, sich Nico gegenüber Mühe zu geben und sie glücklich zu
machen. Kinder, um die man sich dann auch kümmern musste, waren
eine ziemlich ernste Sache. Davor sollte er erst einmal lernen,
selbst erwachsen zu werden. Aber Nico würde ihm schon zeigen, wie
das ging.
Sie lächeln und sie vollkommen erleichtert zu sehen, ließ ihn
ebenfalls vor Erleichterung strahlen. Ganz fest drückte er sie an
sich und hatte mehr denn je das Bedürfnis, sie niemals wieder
loszulassen.
„Ich werde mit Aubrey sprechen. Wenn du willst, wird er dir ein Kleid machen. Natürlich können wir die Auswahl auch wieder Cat überlassen, aber ich glaube, es wäre eine besondere Ehre für ihn, wenn du dich mit ihm zusammensetzt. Er hat dich vom ersten Augenblick an gemocht.“
Dabei galt es zuerst einmal zu entscheiden,
wann Nico die Zeremonie mit ihm feiern wollte. Und er musste mit
ihrem Vater reden. Ein schwieriges Gespräch, bei dem er ordentlich
auf die Probe gestellt werden würde, doch Damon hatte nicht vor,
sich dem zu entziehen.
Nico und sich selbst zuliebe.
Wenn er schon den Schritt gewagt hatte, ihr einen Antrag zu machen,
dann sollte alles andere eigentlich kein Problem mehr sein. Zudem
freute er sich auf das Gesicht, das Brock machen würde. Natürlich
würde Nico das Vorrecht genießen, ihre Freunde selbst von ihrer
„Verlobung“ zu unterrichten, aber an den mit Sicherheit
überraschten Reaktionen würde er auch teilhaben wollen. Und es genießen.
Sie würden sehr glücklich miteinander werden. Ganz sicher. Damon
schloss Nico fest in seine Arme und suchte ihren Mund für einen
innigen Kuss, der ihre Antwort für die Ewigkeit besiegeln
sollte.