3. Ein Wolf im Schloss

Dienstag, 28. August; später am Morgen

„Nicolasa, ich bin SCHOCKIERT!“

„Hm?!“

Nico fuhr erschrocken aus dem Schlaf hoch, völlig desorientiert, da sie nicht mehr wusste, wo sie sich gerade aufhielt. Sie blinzelte verwirrt in das gleißende Sonnenlicht, das ins Zimmer geflutet kam, da jemand die Vorhänge unbarmherzig aufgerissen hatte.
Sie rieb sich die Augen verschlafen mit dem Handballen und blinzelte erneut, bis sie den rothaarigen Wirbelwind erkannte, der sich eben mit einem ordentlichen Plumps auf ihr Bett fallen ließ, so dass sie die Vibrationen der Matratze gut spüren konnte.

„Catalina…“
Nico ließ den Kopf wieder ins Kissen fallen und verbarg das Gesicht im weichen Stoffbezug, weil sie gerade keine Energie aufbringen konnte, sich ihrer Patrona zu stellen, deren überbordende Tatkraft sie noch müder fühlen ließ. Es war gerade so schön warm und kuschelig unter der Bettdecke, sie würde den ganzen Tag im Bett verbringen.
„…Es ist noch viel zu früh.“

Cat stemmte die Hände gespielt empört in die Hüften und betrachtete ihre Sophora mit amüsierter Nachsicht. Das waren ja ganz neue Töne, die das Mädchen da von sich gab. Sonst war sie mit dem ersten Hahnenschrei auf den Beinen und ließ alle anderen wie faule Säcke aussehen.

„Ja, natürlich. Ich würde auch lieber mit dem heißen Typ hier weiter kuscheln, wenn ich an deiner Stelle wäre.“

„HM?!“
Diesmal riss Nico die Augen weit auf und warf einen Blick an sich herunter, wo der muskulöse Arm eines Mannes um ihre Mitte lag, der ihr Halt und Wärme gespendet hatte. Er spannte sich gerade an, so dass sie an eine kräftige Männerbrust gezogen wurde. Verwirrt wandte sie den Kopf und sah direkt in Brocks Augen, die von einem Kranz Lachfältchen umgeben waren, weil er mal wieder auf sie herunter grinste. Er sah ziemlich hellwach aus, ganz im Gegensatz zu ihr, deren Hirn noch voller Traumwolken zu sein schien. Nico zappelte ein bisschen, wühlte sich damit nur fester in ihre Zudecke und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass Brock nicht mit ihr darunter lag. Das wäre dann wirklich peinlich gewesen, so ertappt zu werden. Catalina würde das hier hoffentlich nicht falsch verstehen.

„Sorry, Süße, ich bin einfach eingepennt… Ich bin auch eben erst von deiner Besucherin ziemlich unsanft aus dem Schlaf gerissen worden.“
Brock grinste die hübsche Rothaarige ungerührt an, die ihren Blick anerkennend über sein halbnacktes Äußeres gleiten ließ.

„Muss ich mir Sorgen machen, Nicolasa? Ich hab dich in der Stadt gesucht und nicht bei Damon gefunden. Was muss ich da hören? Deine erste Umwandlung und das ganz allein? Ich fühle mich ein wenig übergangen. Ich habe den Eindruck, dass ich dich nicht einmal fünf Minuten aus den Augen lassen kann!“

Die Frau mit der rötlich schimmernden Wallemähne legte den Kopf schief und Brock löste seinen Arm von Nico, um sich im Bett aufzusetzen und mit beiden Händen über sein Gesicht zu fahren. Sie tat es ihm gleich und hielt dabei die Decke an sich gedrückt, obwohl sie darunter natürlich nicht nackt war.
Nach der Umwandlung hatte man Brock ein Zimmer in ihrer Nähe zugeteilt, doch er war noch einmal vorbei gekommen, um nach ihr zu sehen, bevor er sich zum Schlafen legen würde. Sie hatte geweint und er wollte sie trösten. Es war nur die Erleichterung, dass er alles gut überstanden hatte und der Sonne widerstehen konnte. Brock hatte ihr von seiner schwierigen Kindheit erzählt, als er Probleme mit dem Sonnenlicht gehabt hatte, die er mit der Pubertät überwunden hatte, einfach um sie zu beruhigen. Sie konnte ihm schlecht vorwerfen, sie in die Arme genommen zu haben und dann seiner Müdigkeit erlegen zu sein. Immerhin hatte er die Umwandlung gerade erst durchgestanden und Nico kannte die tiefe Erschöpfung, die danach von einem Besitz ergriff. Irgendwann hatte es ihn völlig ausgeknockt und jemand Weiches und Warmes dabei im Arm halten zu können, hatte allenfalls schlaffördernd gewirkt.

„Es tut mir leid, Cat… Es ist alles ziemlich überstürzt gekommen. Darf ich euch einander vorstellen? Catalina Vane ist meine Patrona und die Anführerin der Kriegerinnen. Das ist Brock Wolfe, mein… ähm…“, stockte Nico, der gerade die Worte fehlten. Wie erklärte man den Status, den Brock einnahm, ohne es wie eine Beleidigung klingen zu lassen?

„Ich denke, am besten bleiben wir bei der Bezeichnung persönlicher Leibwächter. Sehr erfreut, Ms. Vane. Ihnen muss ich ja dann den Begriff der Wolfsmeute nicht erklären?“
Brock streckte ihr die Hand entgegen, die fest umschlossen wurde, obwohl ihr fragender Blick sofort zu Nico glitt.

„Das ist die Leibgarde von Flavia Halos, Cat. Ich wusste auch nicht, dass sie als Wölfe bezeichnet werden. Wolfe gehört dazu, also nicht zu ihrer Garde. Er ist dazu bestimmt, mein Leibgardist zu sein. Auch Patronas verfügen über solche besonderen Beschützer, allerdings fällt das bei dir und Romy weg, da ihr ja selbst Kriegerinnen seid… Bei mir wird die Ausnahme wahrscheinlich wegen des Amtes der Sophora und meinen Visionen gemacht. Brock ist Inspector bei der NYPD und ich habe ihn gestern zufällig bei Romy kennen gelernt. Es wurde schnell klar, dass er Vampiranteile in sich trägt, ohne ein Breed zu sein…“

Nico fasste schnell für ihre Patrona zusammen, was passiert war, ohne die ehemalige Beziehung zwischen Romy und Brock zu erwähnen, doch Cat war viel zu scharfsichtig in diesen Dingen, um sich von ihren Auslassungen täuschen zu lassen.

„Aha… Jetzt wird mir einiges klarer. Heute nach Sonnenuntergang wird nämlich die Verbindungszeremonie zwischen Romy und Rys gefeiert werden. Deshalb habe ich dich auch gesucht. Ich habe dir Sachen zum Anziehen besorgt, weil wir hinterher natürlich feiern. Wie gut, dass ich dich dazu nicht brauche. Das Mitgebrachte müsste alles perfekt passen.“

Cat erhob sich mit einer fließenden Bewegung vom Bett und tänzelte auf ihren Highheels zum Fenster, wo sie ein flaches, langes Paket hochhob, das die Aufschrift einer exklusiven Boutique trug.

„Wie gesagt, ich bin eigentlich nur gekommen, um dir das Kleid und das passende Zubehör für die Hochzeit zu bringen. Aber du hast ja schon für ein sehr schmückendes Accessoire gesorgt. Dein Brock sieht sicher umwerfend in einem Smoking aus.“, grinste sie provokativ und stemmte eine Hand keck in die Hüfte und musterte Brock auf dem Bett, als würde sie gerade Maß an ihm nehmen. Überall. Nico hätte ihm gern die Decke übergeworfen, da sie durchaus den Ausdruck in Catalinas Augen deuten konnte. Sie war eine Löwin auf der Jagd und ihre sonstige Beute gerade nicht in Greifnähe.

Nico klappte die Kinnlade herunter, als die Informationen endlich durch den Nebel in ihrem Kopf drangen: „Die Hochzeit findet HEUTE statt?!“

Brock neben ihr brach in erheitertes Gelächter aus, in das Cat mit einstimmte.
„Mach den Mund zu, Schätzchen. An Harpers Stelle hätte ich Romy schon gestern vor den Altar gezerrt. Allerdings wird das mit dem Smoking nichts. Ich bin mit sehr wenig Gepäck angereist, Ms. Vane.“

„Hey, ich habe Sie im Bett meiner Sophora erwischt, ich finde, wir sollten uns bei den Vornamen nennen, Brock. Ich bin Cat. Jemand, der nach Nico riecht, ist entweder Freund oder Feind… Und da du noch am Leben bist, musst du wohl ein Freund sein.“, gab Cat kokett zurück, wobei Nico das dringende Bedürfnis verspürte, sich nach hinten fallen zu lassen und die Decke über den glühenden Kopf zu ziehen.
Sie hatte noch gar nicht an die Konsequenzen gedacht, die Brocks Teilnahme an ihrem Leben bringen würde. Ihre erste Sorge hatte seinem Überleben gegolten und ihn durch die Nacht zu bringen. Alles andere hatte sie irgendwie vergessen.
Hochzeit… Alle würden kommen. Nico musste einen sehr tiefen Atemzug nehmen.

„Also, Brock. Das mit dem Anzug ist kein Problem. Wir finden etwas für dich. Du willst doch deinem Schützling keine Schande machen, oder? Und zudem bin ich auch die Gesichter gespannt, die die anderen machen werden, wenn sie dich zu Gesicht bekommen. Hochzeiten sind etwas ganz Wunderbares.“, lachte Cat beschwingt auf, klatschte energisch in die Hände und war mit einem kurzen Flirren vor ihren Augen verschwunden.

„Dein Boss ist cool. Und… heiß!“, war Brocks trockener Kommentar und Nico griff sich ein Kissen, um es ihm ins Gesicht zu schlagen, weil er nicht aufhören konnte, sie auf den Arm zu nehmen.

Später am Abend; kurz vor Sonnenuntergang

Theron stand am Grab seines Onkels, den man auf dem Anwesen des Orakels beigesetzt hatte, eine Ehre, die nur Familienmitgliedern oder besonders verdienten Mitgliedern der Gesellschaft zu Teil wurde.
Seine Mutter hatte ihn gestern noch davon unterrichtet, dass Chryses und Romana ihre Verbindung besiegeln wollten und darauf verzichten würden, wenn er nicht Teil der Zeremonie sein konnte (oder wollte). Er wäre natürlich in jedem Fall gekommen, da es seine Pflicht als Anführer der Krieger war. Jemand musste die Braut schließlich übergeben und er war das Nächste, was Romana als Familienoberhaupt bezeichnen konnte, wenn man von seinem Vater absah, den sie noch nicht sehr gut kannte. Aber es freute und erleichterte ihn, dass Romy ihm mit der so ausgesprochenen Einladung ein Zeichen der Vergebung übermittelt hatte. Er konnte sie für ihren Großmut nur bewundern.
Ron sah hinauf in den schiefergrauen Himmel, wo die Wolken gerade dabei waren, sich nach einem weiteren energischen Regenguss aufzulösen. Die Sonne würde bald untergehen und der Mond würde voll am Himmel stehen, um die Zeremonie mit seinen Strahlen zu segnen. Nicht sehr viele Paare schlossen den Bund beim höchsten Stand des Mondes, weil das große Selbstbeherrschung erforderte, sich beim Bluttausch zurück zu halten.

Sein Blick senkte sich wieder auf den silbergrauen Grabstein aus Marmor mit der blutig roten Inschrift… Malakai Harpia… Geboren 1115… gestorben 1985… Warrior von 1174 bis 1517. Er war unglaublich jung gewesen, als er zum Krieger berufen worden war. Theron dachte manchmal, dass er zu jung dafür gewesen war.
Ein beinahe trauriges Lächeln stahl sich auf seinen Mund, da Malakai dasselbe über ihn gedacht hatte. Therons über dem Mantel der Kriegeruniform miteinander verschränkte Hände, verstärkten ihren Griff, als er an seine Einführungszeremonie im zarten Alter von 15 dachte. Für gewöhnliche Menschen mochte das reif genug erscheinen, aber da Vampire erst mit 25 körperlich reif wurden, konnte man mit Fug und Recht behaupten, dass er damals noch ein kleiner Junge gewesen war. Die Berufung, die spätere Riege eines Tages anzuführen, hatte ihn sehr früh ereilt. Es ging um die mentalen Kräfte, die er beinahe schon in der Wiege entwickelt hatte, was kein Wunder war, wenn man bedachte, dass beide Eltern in diesem Punkt auch sehr mächtig waren und er ein direkter Nachkomme von Godh und des Orakels war.

Sein Onkel hatte ihn durch die Prüfungen hindurch begleitet. Er verstand genau, welcher Druck auf ihm lastete. Er begann sein Training außerordentlich früh, während sein kleiner Bruder eine sorglose Kindheit verbrachte. Zehn Jahre waren kein großer Unterschied zwischen zwei Brüdern, doch seine Berufung entfernte ihn von Chryses, den er nur alle paar Monate zu Gesicht bekam, wenn er sein Zuhause besuchte. Das Training fand natürlich im Castle statt und nicht im elterlichen Zuhause.
Er erinnerte sich noch gut an den Sommertag, an dem sein Bruder mit einem hölzernen Schwert in der Hand, unsichtbare Gegner in ihrem Garten gejagt hatte. Er wollte so werden wie sein großer Bruder, ein Krieger. Seine Berufung kam allerdings erst nach der Bluttaufe. Theron war innerlich zerrissen gewesen, ob er darüber Freude oder doch lieber Trauer empfinden sollte. Er hatte wenigstens die Gewissheit, dass der Bloodrite des Übergangs noch einige Jahrzehnte in der Zukunft lag. Zeit genug, noch ein paar Jahre ein einigermaßen normales Leben zu führen, jedenfalls für Rys.

Theron ließ zum ersten Mal zu, dass Tränen der Trauer sein Gesicht benetzten. Es war immer noch ein überwältigend schmerzlicher Verlust, sich seiner Schuld zu stellen. Seine Gefühle hatten damals seinen Verstand überstimmt. Er hatte nicht mehr wie der Anführer gehandelt sondern wie der liebende Neffe und Freund, der Malakais Leiden nicht länger zusehen konnte. Den Fehler wollte er nie wieder begehen, also hatte er jegliche menschliche Regung unterdrückt, bis der Panzer um sein Herz beinahe unüberwindbar geworden war.
Und dann war jemand in sein Leben getreten, der ihn mit seinen Fäusten zerschlagen hatte. Tiponi hatte den heutigen Tag mit den anderen Frauen verbracht, die Romy bei den Vorbereitungen für die Zeremonie halfen. Sie waren gemeinsam aus Alaska angereist mit Rowtag und ihrem Wurf im Gepäck, so dass sie ein Flugzeug hatten chartern müssen.

Er hatte sich schon mit dem Orakel über die neuen Fähigkeiten seiner Soulmate unterhalten, die allerdings geraten hatte, sich vorerst um seine privaten Angelegenheiten zu kümmern. Im Castle würde Tiponi nichts zustoßen und die Frage, ob sie ebenfalls in die Kriegerriege bestimmt war, konnte nur eine Person beantworten. Theron konnte es immer noch nicht fassen, dass Tiponi ihm zur Gefährtin bestimmt war, aber es gab keinen Zweifel, nachdem ihr Blut in seinem Kreislauf zirkulierte. Nichts und niemand konnte sich mehr zwischen sie stellen, er hatte schließlich seine Lehre aus dem Unglück um Malakai gezogen. Die eingekehrte Stille in ihm war irgendwie verblüffend. Eine solche Ruhe hatte er schon lange nicht mehr empfunden. Das hatte er allein der Tatsache zu verdanken, dass Tiponi sich nicht von ihm abgewendet hatte, obwohl er ihr mehr als einen guten Grund dazu gegeben hatte.

Therons Sinne spürten Rys’ Anwesenheit, noch bevor er sich neben ihm materialisiert hatte. Bis eben war er sich nicht sicher gewesen, ob sein Bruder seinem Ruf folgen würde. Für ihn mochte es ausreichen, Romys Wunsch so weit zu erfüllen, dass sein großer Bruder die Festlichkeit mit seiner Anwesenheit beehrte. Rys hatte das Recht, wütend und enttäuscht zu sein. Es war niemals ein gutes Gefühl, sich von etwas ausgeschlossen zu fühlen, auch wenn es ein Befehl von ganz oben gewesen war.

„Rys… Danke, dass du so kurz vor der Zeremonie einem Gespräch zugestimmt hast.“, begann Ron etwas unbeholfen, obwohl ihm sonst niemals die Worte fehlten. Er nahm die Augen nicht von dem Grabstein, vor dem er jedes Jahr zu seinem Todestag stand, um Buße zu tun. Es war nie genug gewesen. Verluste waren viel unerträglicher, wenn man beinahe unsterblich war.

„Du weißt nun alles… Die Tatsachen jedenfalls. Ich wollte niemals, dass es so weit kommt und würde alles tun, um es ungeschehen zu machen. Ich habe mich selbst überschätzt. Ich, der mächtige Anführer der Warrior. Mir würde das gelingen, was keinem Familienmitglied zuvor geglückt war… Ich würde Malakai zur Vernunft bringen. Ich allein. Er war immer für mich da. Ich wollte ihm das schenken, was er sich mehr als alles andere gewünscht hat: Familie und Kinder. Das Versagen hat mich fast alles gekostet, was ich mir bis zu diesem Zeitpunkt aufgebaut hatte. Du weißt gar nicht, wie oft ich kurz davor stand, dich einzuweihen… Aber die Furcht, dich auch noch zu verlieren, hielt mich davon ab. Von dem Dekret des Orakels ganz zu schweigen. Ich möchte mich nicht herausreden, ich hätte es dir dennoch sagen sollen. Er war auch dein Onkel, dein Vertrauter und dein Freund.“
Und nun auch sehr bald schon dein Schwiegervater.

Theron wandte sich um und sah seinem Bruder in die Augen, seine Hand zuckte, doch er legte sie nicht wie beabsichtigt auf dessen Schulter. Er war hier der Bittsteller und musste das Urteil von Chryses hinnehmen.

„Ich weiß, es ist viel verlangt, angesichts dessen dass du gleich den wichtigsten Schritt in deinem Leben tun wirst. Ich bitte dich um Verzeihung. Du musst nicht antworten, ich kann verstehen, wenn du und auch Romana Zeit braucht, um euch damit auseinander zu setzen. Ich werde die Entschuldigung jederzeit wiederholen. Ich wollte nur, dass ihr euren Weg so frei wie möglich gehen könnt. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich für dich und Romy bin, nachdem ich endlich selbst meine Irrtümer eingesehen habe.“

Es hatte für Chryses kein Grund bestanden, dem Ruf seines Bruders nicht nachzukommen. Im Gegenteil, er hätte selbst so schnell wie möglich auf eine Aussprache gedrängt. Sie waren schließlich Brüder. Und das nicht nur aufgrund eines Blutschwurs, mit dem sie sich dazu verpflichtet hatten, ihrer Rasse zu dienen.
Er war allein seinetwegen gekommen. Romy hatte ihn zu nichts gezwungen oder verpflichtet. Rys zürnte Ron nicht mehr. Warum auch? Die eigentliche Wut war nicht daraus resultiert, dass er seinem Bruder Versagen vorwarf, sondern dass sich Ron ihm nicht anvertraut hatte, als er es am allermeisten nötig gehabt hatte. Natürlich hatte das Orakel seine Hand gebietend über diese Angelegenheit gehalten, doch auch sie hätte ihrem Anführer mehr Freiraum für seine Gefühle lassen sollen, statt ihn dazu zu bringen, sich diesen lieber zu entsagen und für sich selbst, bis auf wenige zu verbieten. Das hatte Theron eingefroren. Nun konnte man Tränen in seinen Augen ausmachen und Rys war froh, dass das Eis im Herzen seines Bruders zu schmelzen begann.

Anders als Bekky und Romy waren sie nie groß getrennt gewesen. Theron war sein großes Vorbild. Es gab Dutzende von Tugenden, die Rys von jüngster Kindheit an in seinem älteren Bruder gefunden und in seiner Erinnerung bis heute bewahrt hatte. Auch heute noch gab es für ihn niemanden, der seiner Aufgabe loyaler, respektvoller, ehrgeiziger und vor allem pflichtbewusster nachgekommen wäre. Er war von jeher der Stolz ihrer Mutter gewesen und es hatte Rys ebenfalls stolz gemacht, nach langer Zeit des Hoffens an die Seite seines Bruders berufen und zum Krieger auserwählt worden zu sein. Rys hatte immer so werden wollen wie Ron. Zwar war das zu ihrer beider Glück niemals eingetroffen, da jeder von ihnen als eigenständige Persönlichkeit hervorragend funktionierte, doch Rys war, trotz mancher Ausbrüche und natürlicher Skepsis, die ihn einfach dazu brachte, anders als Ron manch eine Entscheidung des Orakels oder einer Patrona nicht als gegeben hinzunehmen, der Aufgabe als Krieger genauso loyal und ergeben wie sein Bruder, dessen Anweisungen und Entscheidungen er niemals angezweifelt oder infrage gestellt hatte.
Bis zu dem Abend, als er ihnen eröffnete für den Tod ihres Onkels und Romys Vater verantwortlich zu sein.

Gemeinsam mit Ron sah er auf den Grabstein herunter. Sie hatten nie viel an Sentimentalitäten oder Vertrautheiten getauscht. Zuerst ja, als Rys noch die Kleider eines Knaben von Stand trug und den Schatten im Garten hinter herjagte, um den feindlichen Strolchen eins auf die Mütze zu geben. Da hatte Theron ihm schon noch den ein oder anderen Kniff gezeigt und mit ihm die Holunderbüsche im elterlichen Garten zerhackt, aber dann war auch Rys erwachsen geworden und aus den Schatten wurden Monster und aus dem Knaben mit Holzschwert ein Mann mit einer scharfen Waffe. Ron hatte ihm nie gesagt, was er empfunden hatte, als Rys dazu berufen worden war, an seiner Seite zu kämpfen. Es war nun mal vom Schicksal so bestimmt. Persönliche Wünsche traten bis zur Nichtigkeit in den Hintergrund zurück.
Bis heute...
Es war hier draußen angenehm kühl. Der Himmel genauso bewölkt wie Chryses Augen. Ron zuliebe starrte er auf die Inschrift des Grabes und mied Blickkontakt. Sein Bruder sollte nicht wieder das Gefühl haben, erneut wie im Wohnzimmer von Rys Apartment bedrängt zu werden. Er entschuldigte sich und Rys war ihm dankbar für seine Offenheit und dafür, dass er sich endlich traute, Gefühle zu zeigen, die rein gar nichts mit Schwäche zu tun hatten, sondern nur mit seinem unglaublichen Mut, seiner Ernsthaftigkeit und dieser Strebsamkeit danach unbedingt Gutes tun zu wollen und die Welt für sie alle schlichtweg ein bisschen besser zu machen.
Als Rys klein war, hatte er tatsächlich gedacht, sein Bruder könnte die Welt verändern und den Krieg zwischen den Immaculates und den Aryanern, der schon damals seit Jahrhunderten andauerte, beenden. Er war für ihn der perfekte Krieger. Und Ron war es noch, obwohl sein Charme merklich eingerostet war und er sich inzwischen natürlich verändert hatte.

„Ich verstehe dich.“, sagte Rys schlicht und legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter.

„Ich verzeihe dir, wenn du mir verzeihst. Mein Zorn auf dich war ungerecht und ich bin es, der sich entschuldigen muss. Du bist mein Bruder, Ron. Keiner der Krieger steht mir so nah wie du und für keinen der anderen empfand ich jemals so viel Respekt wie für dich. Das wird sich niemals ändern. Nicht nach der Sache mit Malakai und zu keinem sonstigen Zeitpunkt. Die Entscheidung, die du getroffen hast, war richtig. Ich hätte es nicht anders gemacht. Ich hätte genauso feststellen müssen, dass es für eine Person allein zu schwierig gewesen ist, unseren Onkel zu retten und es wäre ebenfalls zu spät gewesen. Wenn es diesen Kampf zwischen euch nicht gegeben hätte, Ron...“
Rys machte eine kleine Pause und wandte sich nun seinem Bruder direkt zu, ohne die Hand fortzunehmen. Es erleichterte ihn, dass Ron seinen Blick fast sofort erwiderte. Ob nun aus selbiger Erleichterung oder Überraschung wusste er nicht zu sagen, da er in seinem Bruder noch nie hatte lesen können, was ihn wahrscheinlich am meisten störte, denn so war es für den Älteren immerhin ein Leichtes, seine Empfindungen im Verborgenen zu halten.

„Er hätte sich garantiert selbst gerichtet, Ducis*. Er war zu verletzt, um gesund am Leben zu bleiben und daran glauben zu können, es könnte sich doch noch alles zum Guten wenden. Mit dem Feuer in jener Nacht wurde sein Glauben daran endgültig ausgelöscht. Margas Ende war sein Ende. Der Tod seiner Soulmate und der berechtigte Verdacht, dass die Mädchen ebenfalls... er war schon davor nicht mehr ganz bei sich, Theron. Die ständigen Zurückweisungen, dann wieder das Nachgeben und der Wunsch nach Zweisamkeit und Familienleben...Das ständige Hin und Her ist für niemanden gut. Nicht einmal für einen starken Krieger. Du hast dir nichts vorzuwerfen. Du hast in unserem Ermessen alles richtig gemacht. Niemand hat wissen können, was in der Nacht wirklich mit Rebeka und Romana geschah. – Nicht einmal du mit deinem Supergehirn.“
(*lat. Anführer)

Rys zögerte nicht lange, machte einen Schritt auf Theron zu und zog ihn in eine kräftige, brüderliche Umarmung. Vergeben und vergessen. Auch wenn die Erinnerungen niemals ganz verblassen würden.

„Wenn du nicht zur Verbindung gekommen wärst, wäre die Verbindung zu dir gekommen, Bruder. Leider zwangen mich besondere Umstände, Nägel mit Köpfen zu machen. Das musst du verstehen, so gern ich sonst deinem Beispiel an Benimm und Etikette folge, aber gestern ist ein Typ aufgetaucht. Ein Cop aus Reno, der hier in der Stadt die ganz große Nummer markiert.“

Wieder eine bedeutungsschwangere Pause, in der ihn Theron neugierig musterte und von Rys nur ein vielsagendes Augenrollen zur Antwort bekam.
„Romys Ex.“

Ron pfiff anerkennend und nickte gewichtig. Das musste Rys für ihn sicher nicht weiter ausführen. Das war natürlich ein Grund von vielen, Romy sofort zu ehelichen. Der wichtigste war aber der, Romy endlich wieder den Halt und die Sicherheit einer Familie zu geben, den sie nie richtig erfahren und immer vermisst hatte. Das wussten Ron und Rys ebenfalls, ohne es laut aussprechen zu müssen. Rys nickte in Richtung des Castles.

„Lass uns wieder reingehen und noch einen trinken, bevor der Sophos den Sushi-Meister gibt, okay?! Dann erzähle ich dir bei einem ordentlichen Scotch alles, was ich bisher über Inspector Brock Wolfe herausgefunden habe. Mit allen Schikanen.“

Kurz vor der Verbindungszeremonie, nach Sonnenuntergang

Brock war ziemlich erleichtert gewesen, dass er vorerst noch nicht offiziell in sein neues Amt eingeführt war, da das Castle nach Catalinas Auftauchen auch noch von den anderen Damen aus der Kriegerriege gestürmt worden war, um sich in die Hochzeitsvorbereitungen zu stürzen.
Er selbst zog sich in sein Zimmer zurück und schlief noch ein paar Stunden, nachdem er mit Nico ein spätes Frühstück zu sich genommen hatte. Ein Privileg, das nicht jedem Mann gewährt wurde. Das war schon damit vergleichbar, mit der englischen Queen den Tee einnehmen zu dürfen. Dabei hatte er das Paket von dem Sessel von der Sitzgruppe am Fenster gehoben und gefragt, was sie denn später tragen würde.

Nico hatte es ihm aus der Hand genommen und in den Schrank getan. Das will ich jetzt lieber noch nicht wissen, hatte sie gesagt.
Sie hatte es sich stattdessen zur Aufgabe gemacht, ihm weitere Lektionen zu erteilen, obwohl sie doch eigentlich müde sein müsste, nachdem sie ihn durch die Nacht gebracht hatte. Und vor allen Dingen nach dem Schock, in flagranti mit ihm in einem Bett ertappt worden zu sein. Das würde bestimmt jede Menge Stoff für Sticheleien liefern, so wie Brock Nicos Patrona einschätzte und es würde ihm eine Freude sein, sich daran zu beteiligen. Nico hatte ihn doch dazu aufgefordert, sich ihr gegenüber ganz wie er selbst zu verhalten. Mal sehen, wann sie zum ersten Mal zum Gegenschlag ausholen würde.

Es war eine ziemliche Ehre, als Gast zu dieser Hochzeit eingeladen worden zu sein, da laut Nico nur die engsten Familienmitglieder zugegen sein würden. Nun ja, abgesehen davon, wie beschissen ihre Beziehung als Paar gelaufen war, konnte er von sich behaupten, dass Romy und er sonst ziemlich gute Freunde gewesen waren. Sie war ebenfalls eine Patrona der Immaculate, wie ihm Nico mitgeteilt hatte, so dass sie wirklich zu den höchsten Kreisen gehörte. Und eine Kriegerin. Eine der fünf auserwählten Frauen (und ein Mann), die sich gerade erst gefunden hatten. Brock stieg noch nicht ganz hinter die Bedeutung, da er ja von der Männerriege wusste, die schon seit über einhundert Jahren ihre Dienste tat. Vielleicht sollte er sich Notizen machen oder Nico um ein handliches Dossier bitten. Er war gut im Verarbeiten von Informationen, er musste eben noch mal die Schulbank drücken.

Auf jeden Fall wurde der Krieger-Patrona zu Ehren großes Geschütz aufgefahren. Die Meute der Devena Flavia (was für ein Weib) hatte ihn mit der entsprechenden Uniform ausgestattet, so dass er unter ihren Reihen nicht weiter auffiel, da der Kopf- und Körperputz aus Wolfshaupt und ebensolchem Fell ihn zu einem der ihren machte. Man sah unterhalb der Schnauze nur noch seine Mundpartie, um die Hüften trug er einen Lendenschurz - Nico hatte sich bei der Übergabe vor lauter Verlegenheit beinahe überschlagen, weil sie ihn nicht zwingen wollte, so etwas zu tragen, allerdings konnte ihn nach dem Bad mit den Jungfrauen nur noch wenig schrecken - an den Füßen flache römisch anmutendes Schuhwerk aus dunklem Leder, das bis unterhalb des Knies reichte und zudem eine Lanze, deren Ende auf dem Boden ruhte. Die Meute hatte sich gegenüber dem Eingang zum großen Saal an der Wand in einer Reihe aufgestellt, so dass Brock einen guten Blick auf die wartenden Herren hatte, die der Braut ihr Geleit geben sollten.

Rys war schon drin, wo er sich einer schmerzhaften Prozedur unterziehen musste. Der Name seiner Auserwählten würde ihm in die Brust geritzt werden, mit einer heißen Nadel. Autsch!
Aber eigentlich war das doch ein guter Test, um zu sehen, ob man die Frau wirklich ehelichen wollte. Die kriegerischen Damen verfügten ja alle über ziemlich lange Namen. Brock hätte zu gern bei der Prozedur zugesehen, um den Mann leiden zu sehen.

Der Typ mit dem kahl rasierten Schädel und den eisigen Augen musste der letzte Bräutigam gewesen sein. Ash Fontaine. Der Riese mit den Muskelbergen, die Schwarzenegger wie einen Zwerg aussehen lassen würden, war der zukünftige Familienvater, Bone, der Sohn der Devena Flavia. Das musste bei seiner Geburt ein ordentlicher Brocken gewesen sein! Aber die Mutter war ja auch nicht ohne, die konnte ihm vermutlich die Kehle zudrücken, ohne sich auch nur einen Hauch anstrengen zu müssen.
Der Anführer stand etwas abseits von den anderen, allerdings konnte Brock keine Ähnlichkeiten zu dem lieben Rys entdecken. Obwohl… Der miesepetrige Gesichtsausdruck schien in der Familie zu liegen. Dagegen kam sich Brock wie der fröhlich pfeifende Papageno vor.
Nico hatte ihm alle Krieger beschrieben, da er sie nicht vor der Zeremonie treffen würde. Die gute Cat war mit Nathan Drake zusammen, es blieb nicht viel Auswahl und da er wusste, dass es sich dabei um die Nummer Zwei im Team handelte, tippte er schwer auf den dunkelblonden Hünen, der die Ruhe weg zu haben schien. Die anderen Krieger kämen ihm für Cat wegen ihres mehr jugendlichen Aussehens nicht in Frage. Diese Frau würde wohl die Geduld eines Heiligen fordern.
Und wer war Damon? Diese Frage war nicht so leicht zu beantworten, da er ja keine genaue Beschreibung von ihm hatte. Es gab nur noch zwei zur Auswahl, dann fiel ihm ein, dass Nico gelbe Augen und Feuer erwähnt hatte. Der Dunkelhaarige war demnach Ray und der Hellbraune mit dem Babyface musste demnach Damon sein. Brock musterte ihn ungeniert hinter seiner Maske. Im Vergleich zu den anderen Kriegern hatte er die am wenigstens bedrohliche äußerlicher Erscheinung. Sogar vor seiner Umwandlung hätte Brock ihn nicht unbedingt als ernsthafte Bedrohung wahrgenommen.

Sein Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln, während er sich vorstellte, was der gute Mann dazu sagen würde, dass er nun ordentliche Konkurrenz bekam. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass Nico nicht zu den Mädchen gehörte, die wegen jedem Scheiß am Telefon hingen und ihrem Liebsten haarklein erzählten, was gerade bei ihnen abging. Obwohl sein plötzliches Auftauchen wahrscheinlich das ein oder andere erklärende Wort rechtfertigte.
Die Braut kam den langen Gang entlang geschritten, wobei sie von einer Wahnsinnsfrau in den späten Dreißigern begleitet wurde, Mutti Harper, würde er annehmen. Brock umspannte den Griff seines Speers ein wenig fester, da er Romy noch nie in einem Kleid gesehen hatte. Die Minifummel von damals fielen in eine andere Kategorie. Ihm blieb die Spucke weg und wenn er raten müsste, dann ging es den anderen hier anwesenden Männern nicht anders.

. . .

Romy schien förmlich über den Boden zu schweben und sie musste sich ziemlich konzentrieren, um nicht wirklich die Bodenhaftung zu verlieren. Nach den ganzen Turbulenzen der letzten Tage hätte sie niemals geglaubt, dass dieser Tag so schnell kommen könnte. Alles lief zugleich im Zeitraffer und in Zeitlupe ab. Ohne Cats Hilfe hätte sie schließlich doch noch den Kopf verloren. Es war eine Sache, ein Kleid im Schrank zu haben und eine andere, es so anzulegen, dass man damit dem Mann, den man heute vor dem Altar traf, den Atem stehlen konnte und am besten auch noch seinen klaren Verstand. Sie wollte einfach spektakulär aussehen und Cat hatte eben ein Händchen dafür, die besten Seiten einer Frau zu betonen.

Das Kleid war ein Traum aus meergrünem, mehrlagigem Chiffon. Es war schulterfrei und besaß lange, bauschige Ärmel, deren Manschetten aus den Goldreifen bestanden, die Romy in der Noctis Transitus noch als Fesseln wahrgenommen hatte. Sie waren mit Smaragdsplittern geschmückt worden, so dass sie zu dem Schmuck passten, den Rys ihr damals ausgesucht hatte, sie war eben praktisch veranlagt und es wäre Verschwendung gewesen, die Goldreifen einfach in einer Schublade verstauben zu lassen. Ihre Haare waren locker aufgesteckt, so dass ein paar Strähnen ihre nackten Schultern umspielten. Der Rock war bodenlang und weit schwingend, da der Stoff schon fein genug und beinahe durchscheinend war und ihre Kurven ohne jegliche Enge betonte. Das übernahm schon das breite Mieder, das sie um ihre Taille geschnürt trug. Cat hatte die goldglitzernden Fäden mit diebischem Vergnügen auf ihrem Rücken festgezurrt. Der Effekt war atemberaubend, allerdings hoffte Romy, dass es dabei nicht um ihren Atem gehen würde. Der Goldbrokat des engen Mieders rückte wirklich jede ihrer Rundungen ins rechte Licht, ohne zu offensichtlich zu sein. Irgendwie eine Mischung aus Mittelalter und Futurismus. Darunter trug sie nur ein ziemlich knappes Höschen dessen minimaler Stoff es einem erlaubte, es zusammengeknüllt in der kleinsten Hand zu verbergen. Cat meinte, dass sie während der Zeremonie daran denken sollte, was Rys zu diesem spitzenverzierten Fetzen sagen würde, wenn er es endlich zu Gesicht bekam. Das würde besser als jedes Rouge wirken und sie passend lächeln lassen.
Manchmal legte Cat wirklich einen Humor an den Tag, für den man ihr gern den Hintern versohlen würde.

Aber sie hatte Recht, Romy konnte nicht aufhören zu lächeln. Es war ein geheimnisvolles, urweibliches Lächeln, das ihr eine besondere Ausstrahlung verlieh. Sie ging an Flavias Wolfsgarde vorbei und sah die Männer regelrecht stramm stehen. Ihre bloßen, von Öl glänzenden Brustkörbe wurden durch tiefe Atemzüge betont und dann fiel ihr Blick auf ein goldenes Kruzifix, das sie nur zu gut kannte.

BROCK!

Er trug eine Wolfsmaske wie die anderen, aber seine Mundwinkel waren zu dem typischen Wolfe-Lächeln verzogen, als sie ihm langsam näher kam. Es war also wirklich und wahrhaftig passiert. Nico hatte ihn umgewandelt. Von seinen schrecklichen Verletzungen war nichts mehr zu sehen und sein Körper strotzte nur so von Kraft und Gesundheit. Nun hatte er das Alte wie sie zurückgelassen und sie konnten einen Neubeginn als Freunde starten. Romy lächelte ihn mit einem Neigen ihres Kopfes an und glaubte, ihn hinter der Maske zwinkern zu sehen.
Lilith übergab sie an Ron, an dessen Arm sie zum Altar schreiten würde. Er verneigte sich vor ihr, bevor er ihre Hand nahm, um sie auf seinen Unterarm zu ziehen. Sie spürte deutlich, dass Rys und er sich ausgesprochen haben mussten und das machte sie glücklich. Ihr Vater war schon sehr lange nicht mehr am Leben, es war eine schreckliche Tragödie gewesen, aber sie konnte nichts mehr daran ändern. Sie wusste nun, woher sie kam und ganz genau, wohin sie gehen wollte und mit wem.

. . .

Ganz langsam stieß Brock die angehalten Luft aus. Eine Mischung aus Erleichterung und Verwunderung, da er befürchtet hatte, immer noch für Romys Anziehungskraft anfällig zu sein, doch die Umwandlung hatte ihn vermutlich in so weit davon kuriert, dass er dazu in der Lage war, sie objektiv als schöne Frau wahrzunehmen, ohne dabei zum wilden Stier zu mutieren. Immerhin wollte sie heute ihren Rys heiraten und diese kleine Sache war besser vorher abgeklärt. Dennoch freute er sich auf das ein oder andere dumme Gesicht in der Kriegerrunde, wenn er ihnen vorgestellt werden würde.
Brock folgte den mentalen Anweisungen des dienstältesten Wolfes, nachdem die riesigen Türen zum Altarraum wie von Geisterhand geöffnet wurden. Die Krieger geleiteten die Braut zum Altar, wo sein alter Freund Rys mit bloßer Brust stand, auf der die blutigen Lettern zu lesen waren, aus denen Romys voller Name bestand. Wirklich autsch. Beinahe hatte er Mitleid mit dem Kerl, aber nur beinah. Immerhin hatte er sich gestern Nacht von Nico anknabbern lassen, ohne zu heulen.

Die Wölfe bildeten erneut ein Spalier hinter den Kriegern und Brock hatte durch die Lücken zwischen den riesig anmutenden Kriegern einen guten Blick auf die vier Damen, nein drei Damen und ein Herr, die offenbar ein Teil des speziellen Rituals waren. Sie trugen alle bodenlange Gewänder und Nico erkannte er zuerst an ihrer Statur, weil ihre Kutte auch noch eine Kapuze hatte, die ihre Haare verbarg.
Die geladenen Gäste wurden durch einen Seiteneingang in den Saal gelassen und dann ging es los. Es war gar nicht so anders wie bei der üblichen kirchlichen Trauung, auch wenn die Worte in seinen Ohren ungewohnt klangen.

Romy und Rys: „Ehrenwertes Orakel wir erbitten deinen Segen für diese Verbindung.“

Orakel: „Lasst uns die vier Elemente anrufen, auf dass dieser Bund zum Wohl aller erleuchtet werden möge.“

Cat: „Mit dem Segen der feurigen Sonne rufen wir die Mächte des Nordens.“

Wendy: „Mit dem Segen der heiligen Wasser rufen wir die Mächte des Ostens.“

King: „Mit dem Segen der reinen Winde rufen wir die Mächte des Südens.“

Nico: „Mit dem Segen der tiefen, fruchtbaren Erde rufen wir die Mächte des Westens.“

Gemeinsam: „Möge die Harmonie unseres Kreises für immer vollkommen sein. So wie die Verbindung dieser beiden Seelen, die auch ein Teil von uns sind.“

Orakel: „Wir stehen hier auf gesegnetem Boden im Angesicht des Himmels, um den geheiligten Bund der Ehe zwischen Romana und Chryses zu bezeugen. Wir sind als Familie und Freunde zusammen gekommen, um Höhere Mächte in unserem Kreis willkommen zu heißen, die den Bund besiegeln werden.“

Danach kam der blutige Teil, der Brock nicht unbedingt abschreckte, hier ging es ja um zwei Vampire, die ihre Verbindung besiegelten. Ein Hauch von Pfirsich und Muskat umwehte die bereitstehenden Zeugen und dann schienen die anwesenden Frauen darauf zu antworten. Brock musste sich wirklich zwingen, in der Reihe zu bleiben, da es ein ziemlich schmackhaftes Potpourri war, das er tief in die Nase einsog. Die Zimtnote erkannte er natürlich sofort, allerdings schien seine Nase sie anders wahrzunehmen, wenn er sich nicht irrte, sie schien etwas Erdiges zu enthalten. Veränderte sich der Eigengeruch etwa je nach Stimmung oder nach dem Essen, das man zu sich genommen hatte? Er musste unbedingt mit Nico darüber sprechen, bevor er deswegen in Teufelsküche geriet und da irgendetwas falsch verstand.

Zitronengras… War das die langbeinige Blondine? Es würde in jedem Fall zu ihr passen, dann Opium…? Den Geruch kannte er als Cop natürlich, er roch etwas herber, so dass er ihn dem Asiaten mit den langen Haaren zuschrieb. Vanille… Blieb nur noch Catalina, die so duften konnte, das passte zu ihr, ein Hauch Unschuld, der einen wie ein Faustschlag in die Magengrube traf. Irgendwie konträr zu Nico, deren Duft dunkler und schärfer war, so dass man, ohne sie zu kennen, wohl eher einen Vamp erwarten würde. Aber man sollte nie vom Aussehen auf spezielle Vorlieben schließen. Er musste sie erst noch viel besser kennen lernen.

„Dein Blut ist sein Blut. Der Bund wird damit untrennbar besiegelt. Nehmt den ersten Schluck eures neuen Lebens und schließt dann den ewig fließenden Quell. …Möge die Verbindung dieser beiden Kriegerseelen für immer gesegnet sein.“

Romy mit rotglühenden Augen dabei zuzusehen, wie sie ihre Lippen um die blutende Wunde ihres Mannes schloss, war ein ziemlich anregender Anblick. Da steckten kein Zögern aber sehr viel Feuer dahinter. Ihre Lippen waren nach dem kleinen Happen blutverschmiert. Wenn das nicht eine deutliche Aufforderung an den Bräutigam war.

. . .

Als Romy zu ihm an den Altar des Orakels geführt wurde, sah Chryses ihr entgegen. Unfähig, bei ihrem Anblick noch einen weiteren Atemzug zu nehmen oder sich an die Worte zu erinnern, mit denen er gleich um den Segen zu bitten hatte. Er vergaß schlichtweg, wo er sich befand und weswegen er hier war. Romy nur als wunderschön zu bezeichnen, wurde der Patrona, Kriegerin und Soulmate nicht annähernd gerecht. Chryses empfand ihren Anblick als vollkommen. Etwas, das den Segen der Elemente bereits erhalten hatte und nun bereit war, sich dem Krieger, der sich mit ihr verbinden wollte, zu übergeben.

Sein. Für die Ewigkeit.

Mit einem Blick voller Bewunderung, Liebe und ein klein wenig Erstaunen ob ihrer Makellosigkeit und dem glücklichen Strahlen auf ihrem Gesicht übernahm er seine Zukünftige von Theron, der ihm mit einem kaum merklichen Nicken alles Gute wünschte. Das konnte Rys gut brauchen. Nicht, weil er um sein Glück mit Romana fürchtete sondern um seinen Verstand, der sich aus dem Kopf zu verabschieden drohte, um in tiefere Gefilden seines Körpers einzuziehen. Dem Orakel mit einer mächtigen Erregung in der Hose gegenüberzustehen, entsprach irgendwie nicht dem feierlichen Anlass, obwohl es sie durchaus freuen würde, ihn in bester Verfassung zu sehen und die offensichtliche Bestätigung, dass er Devena Romana in ihrer Verbindung durchaus zufrieden stellte.

Stolz stand er da. Mit geschwellter Brust, auf dem Romys Name prangte. Der Sophos hatte erstklassige Arbeit geleistet, nachdem Rys den Oberkörper entblößt hatte. Der Chinese führte die heiße Nadel mit geübter Schreiberhand. Kein Zögern, kein zu frühes Absetzen und damit unschöne, knubbelige Narben in den Buchstaben anrichtend. Damit hatte er auch den Schmerz für Chryses in Grenzen gehalten, obwohl so ein Branding ganz gewiss zur höheren Kategorie der Folter gehörte. Immerhin waren es sechs Lettern auf seiner Brust und nicht nur ein schneller Stempel, der direkt aus dem Feuer auf seine nackte Haut kam.
Natürlich hatte Rys beim Brennen und der anschließenden Behandlung mit der Salbe, die die vorzeitige Heilung verhinderte, kaum mit der Wimper gezuckt. Es war eine ehrenhafte Angelegenheit, mit der man die Liebe und die Treue zu seiner Soulmate bewies. Ein echter Mann brach dabei weder in Schweiß noch in Tränen aus. Wobei sich das Schwitzen in der Nähe des Feuers und dem in Wallung geratenen Blut nicht vermeiden ließ.
Anders als Ash, der sich noch im Zaum hatte halten können, zog Rys beim Anblick der blutverschmierten, köstlichen Lippen Romy sofort in seine Arme, um sie zu küssen und ebenso atemlos zu machen, wie er es bereits war.

Ein Raunen ging durch die Gesellschaft der Hochzeitsgäste, weil er die Zeremonie noch nicht einmal bis zum Ende abwarten konnte und der eben gesprochene Segen noch mit dem magischen Band besiegelt werden musste. Die anderen Krieger dagegen blieben unbewegt. So war das eben, wenn man sein Gegenüber mit allem, was einen ausmachte, liebte und begehrte.
Wenn sie allein gewesen wären, hätte Rys sie auf der Stelle genommen. Ihr sirenengleicher Anblick, das Feuer in ihren Augen, das wissende, geheimnisvolle Lächeln auf ihrem Mund, all das machte ihn schier wahnsinnig vor Verlangen. Der aufgegangene Vollmond tat sein Übriges und er würde nicht zögern, die wenigen Minuten, die sie gleich nach der Zeremonie für sich hatten, sinnvoll zu nutzen.
Dann kamen sie beide eben wieder einmal später. Die Gäste würden es verzeihen. Rys war, anders als sein pflichtbewusster Bruder schon immer impulsiver und gefühlsbetonter gewesen. Nicht unbedingt immer positiv aber heute ganz bestimmt. Romy sollte wissen und fühlen, wie sehr er sie liebte. Sowohl ihren wohlgeformten Musenkörper als auch das, was ihr inneres Wesen ausmachte.
Für ihn war sie perfekt von der kringeligsten Locke ihrer aufgesteckten Haare bis zu ihren hübschen, kleinen Zehen. Die wunderbarste Frau, für die er dem Schicksal, trotz aller Skepsis am Anfang, unglaublich dankbar war. Eine, die er niemals mit irgendwem teilen würde.
Und sei er auch noch so sehr ein alter Freund aus Reno.

Brock hatte der Anblick des Paares gefallen, das kaum die Finger voneinander lassen konnte, obwohl die Zeremonie noch gar nicht richtig zu Ende war. Es kamen noch ein paar Feuertricks, die zum Glück nicht schmerzhaft oder zerstörerisch gewesen waren. Es wäre zu schade um das Kleid gewesen. Er hätte in Romy niemals diese urweibliche Seite vermutet und wenn Harper-Boy sie in ihr zum Klingen brachte, dann musste der Typ doch was richtig machen.
Nico hatte ihm erklärt, dass die beiden nach der Zeremonie sich kurz in einen Nebenraum zurückziehen würden, damit der Bräutigam sich wieder anziehen konnte. (Brock konnte dessen austrainierte Formen durchaus anerkennen, die wie gemeißelt aussahen, aber er selbst hatte ja nun Gelegenheit, seinen Body ebenfalls zu perfektionieren, dann konnte ja dann mal Vergleiche ziehen. Mal gucken, wer das nächste Mal auf der Matte landen würde.)

Die Gäste waren ja schon in ihrem besten Ausgehstaat, überall glitzerte es von kostbaren Steinchen, die konnten gleich zum Festsaal marschieren und sich an den Erfrischungen gütlich tun. Die Krieger blieben ebenfalls in der Montur, die ja eigentlich recht schick war und nicht so unpraktisch wie sein Tarzan-Lendenschurz. Brock hätte sich schlichtweg geweigert, in Unterhosen auf einer Party zu erscheinen. Man könnte ihn als Beilage verwechseln und ein Brötchen damit füllen wollen, da er ja auch noch so gut eingeölt worden war. Die hübschen Vampir-Grazien hatten ihren Spaß daran gehabt, aber in Anwesenheit der anderen Wölfe war das nicht mehr allzu peinlich gewesen.
Er sah Nico nach, wie sie ihren Freundinnen voran wuselte, da sie sich noch umziehen mussten. Diese Kaftane waren sicher nicht zum Feiern geeignet, darunter musste man schwitzen wie blöd, es sei denn, die Damen trugen nicht viel darunter. Brock verbarg ein breites Grinsen hinter einem Räuspern und folgte den anderen Wölfen in die Bäder, als der Saal sich geleert hatte.

° ° °

Nico war während der gesamten Zeremonie ziemlich nervös gewesen. Sie spürte Damons Anwesenheit nicht erst, seit er vor den Türen des Saales stand. Nun hatte sie ihn beinahe einen Tag lang nicht gesehen und der Vollmond machte es unmöglich, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen. Sie war mit den anderen Frauen in Romys Gemächern gewesen, um ihr Gesellschaft zu leisten und beim Schönmachen zu helfen, wobei die meiste Arbeit sowieso Catalina übernahm, die vollkommen in ihrem Element war. Es hatte Champagner gegeben und exotische Früchte auf Spießen und Nico hatte schon ein Glas getrunken gehabt, als sie so etwas wie einen elektrischen Schlag spürte.
Damon war im Castle angekommen. Ihre Haut prickelte und in ihrem Magen formte sich ein nervöser Klumpen, den sie mit einem zweiten Glas bekämpfen musste. Sie war ja heute nicht für die Inscriptio zuständig, diese Aufgabe fiel glücklicherweise King zu, dessen sichere Federführung ihn geradezu dafür prädestinierte. Diese Aufgabe angeschickert anzugehen, hätte für Rys sehr unangenehme Folgen gehabt.

Nico hatte Romy unter vier Augen erzählt, dass Brock nun einer der ihren war und zudem eine besondere Aufgabe übernehmen würde, damit sie sich keine Sorgen mehr machte. Er würde mit den anderen Wölfen draußen auf den Einzug der Braut warten und konnte ihr später seine Glückwünsche aussprechen, so dass Nico wenigstens in diesem Punkt beruhigt war. Sie wusste immer noch nicht, wie sie Damon erklären sollte, was gestern Nacht passiert war.
Würde es ihm nicht irgendwie demütigend vorkommen, wenn sie ihm eingestand, dass sie den Akt der Umwandlung genossen hatte? Nein, das klang völlig falsch und sehr missverständlich. Aber der Moment des Gebens, als Brock den ersten Schluck genommen hatte… Es war befreiend und erhebend gewesen, dabei zuzusehen, dass auch ihr Blut fähig war, Leben zu spenden. Sie schien so voll davon gewesen zu sein, dass es unbedingt hinaus wollte.

Der Zeremonie beizuwohnen, war auch nicht unbedingt förderlich gewesen, um die innere Ruhe wieder zu erlangen. Nico war einfach hingerissen, obwohl sie das Kleid zuvor schon gesehen hatte. Romy war wunderschön und der Blick, den ihr Rys schenkte, war einfach unglaublich romantisch. Sie wünschte sich manchmal, dass sie das auch könnte: Jeden Gedanken aus Damons Gehirn verbannen, damit er endlich… Und wenn es nicht das war, was er wollte? Suchte er nur einen Weg, ihr schonend beizubringen, dass diese Art von Beziehung nicht seinen Wünschen entsprach?
Er war bestimmt sehr erleichtert gewesen, dass er sie gestern nicht mehr in seiner Wohnung aufgefunden hatte. Dann musste er ihr nicht sagen, dass er sie nicht wollte.
Die Tränen, die über ihre Wangen flossen, würde man hoffentlich ihrer Ergriffenheit zuschreiben, da Romy und Rys sich gerade in den Armen lagen und den ersten Kuss als Mann und Frau tauschten.
Nico tupfte sie mit dem Stoff des Ärmels weg und nutzte die erste Gelegenheit zur Flucht, als das Brautpaar sich zurückzog, damit sich Rys umziehen konnte. Sie musste sich ebenfalls umziehen und sich wieder beruhigen. Damon sollte nicht denken, dass sie ihm irgendwie Vorwürfe machte oder plante, ihm eine Szene zu machen. Sie war eben doch nicht die Richtige für ihn. Sie hatte das von Anfang befürchtet.

Nico ließ die Tür ihres Zimmers ins Schloss fallen und lehnte sich schwer atmend dagegen, bis ein Mädchen aus dem Haushalt des Orakels an die Tür klopfte, die ihr beim Fertigmachen helfen wollte. Nico ließ sie hinein und suchte die Schachtel heraus, die sie am Morgen noch im Schrank verstaut hatte. Sie hatte keine Ahnung, was Catalina ausgesucht hatte. Es würde ja garantiert nichts Provokatives sein, sie gingen schließlich nicht auf einen Clubabend und bei der letzten Hochzeit hatte sie ein ziemlich braves Kleid getragen. Und beide Outfits hatte sie ruiniert.

Als sie in ein Handtuch gewickelt aus der Dusche kam (Nico hoffte. irgendwie ihren Duft abwaschen zu können, obwohl das natürlich unmöglich war), lag das Kleid auf dem Bett zurecht gelegt. Granatapfelrot. Es sah eigentlich ganz harmlos aus, bis das Mädchen meinte, sie könnte darunter nichts tragen, weil es sich unschön unter dem Stoff abzeichnen würde. Ihr wurde mulmig zumute und als sie in das Kleid gestiegen war, wusste sie warum.
Das Oberteil war aus Seidensamt und wie ein Mieder mit Fischbein verstärkt, so dass man darunter wirklich keinen BH benötigte. Die Träger waren fingerbreit und der Ausschnitt harmlos rund aber tief, so dass der Effekt für Nico ziemlich ungewohnt war. Sie trug sonst niemals so enge Sachen, bei jedem Atemzug wurde ihr Dekolleté noch extra betont. Der Rockteil des Kleides war aus glänzendem Seidenstretch, der so eng anlag, dass sich wahrscheinlich auch das kleinste Höschen darunter abgezeichnet hätte. Und dann hatte es einen langen Schlitz über dem rechten Bein, der den Schenkel bis knapp eine Handbreit unter der Saumlinie des Corsagenoberteils entblößte. Das war doch bestimmt etwas zu luftig, auch wenn es ein warmer Sommertag war?

Die niedlichen Pumps waren ebenfalls mit Samt überzogen und hatten einen geschwungenen, erträglich hohen Absatz und eine goldene Schnalle. Nico ließ sich kraftlos auf den Stuhl vor der Frisierkommode gleiten und ihre Hilfe legte ihr das Seidenkropfband um, an dem ein mit roten Strasssteinen besetztes Kreuz befestigt war. Als nächstes wurden ihre zerwühlten Haare in ordentliche Locken gelegt, um dann ein Diadem, ebenfalls mit roten Glitzersteinen geschmückt, darauf zu setzen, das die Frisur an ihrem Platz halten würde. Nico ließ es einfach über sich ergehen, sie war davon überzeugt, dass das Mädchen nach Cats Anweisungen handelte und die wollte ihre Ergebnisse später sicher bewundern oder kontrollieren. Sie hatte die Augen geschlossen gehabt und sah überrascht in den Spiegel, als sie sie wieder öffnen durfte, nachdem man ihr einen Lidstrich gezogen hatte. Die Wirkung war verblüffend. Nico würde beinahe sagen, dass sie damit nicht mehr so mädchenhaft aussah. Auf ihre Lippen wurde noch rötlich schimmernde Lippenpomade getupft, dann war sie endlich bereit, sich unter die Gäste zu mischen.
Oder auch nicht. Nico hatte ihre Hilfe verabschiedet und tigerte unruhig in dem kleinen Salon vor ihrem Schlafzimmer auf und ab. Sie konnte unmöglich in diesem Kleid unten einfach in die versammelte Gästeschar platzen. Sie war spät dran und alle würden sie ansehen, wenn sie den Raum betrat.

„Herein.“, ertönte die etwas zittrige Stimme von Nico, als Brock probeweise an ihre Tür geklopft hatte, um zu sehen, ob sie noch da war.
Er hatte schließlich etwas länger gebraucht, um die Ölschicht loszuwerden und war dann oben in seinem Zimmer in einen perfekt geschnittenen Smoking gestiegen, der wie angegossen saß. Damit würde er zwar nicht wie ein Krieger aussehen aber vielleicht wie ein cooler Salonlöwe oder vielmehr Salonwolf.

„Du bist das, Brock!“, sagte Nico irgendwie erleichtert und schien zur Statue erstarrt zu sein, als er die Tür hinter sich zumachte.

Brock sagte eine ganze Weile lang gar nichts. Er musste erst einmal zusammenkriegen, dass hier die kleine Nico vor ihm stand. In einem sündhaften Kleid, das sich wie eine zweite Haut an ihren Körper schmiegte.

„Sag mal, Süße. Ich hab doch mit dieser Wolf-Sache, nicht das Zölibat abgelegt, oder? Das würde mich gerade ziemlich kratzen.“, grollte er leise und ging auf sie zu, wobei sie ihn aus weit aufgerissen Augen anstarrte, die heute anders aussahen. Aufregend anders.

Er umrundete sie, wobei er jedes Detail mit Kennermiene würdigte. Okay, heute Abend würde er kein Leib- sondern Powächter sein. Der kam unter diesem Stoff besonders gut zur Geltung und er hatte heute Morgen völlig zu Unrecht angenommen, dass dessen ausgeprägte Rundung eher dem neckisch bauschigen Stoff ihres Baby-Dolls zu verdanken war. Perfekt gerundete Apfelbäckchen, die ihrer sonst gertenschlanken Figur zu widersprechen schienen. Sexy.
Als er wieder vor ihr stand, stieß er einen lang gezogenen und sehr anerkennenden Pfiff aus, der Nico die Lider gen Boden richten ließ. Durch den schimmernden roten Stoff entstand tatsächlich der Eindruck, als wäre ihre Haut von einem rosa Hauch überzogen. Das war eine sehr geschickte Wahl gewesen. Catalina sollte ihre Berufswahl überdenken, die hatte eindeutig ein Händchen für Klamotten, wie es schien.

„Darf ich bitten?“, fragte Brock artig und reichte ihr in einer galanten Geste den Arm. Nico legte ihre kleine Hand in seine Armbeuge und lächelte schüchtern zu ihm auf, obwohl die kleinen Make-up-Tricks ihr einen fraulicheren Anstrich gaben.

Unten angekommen hielt ihn Nico vor der Tür des Festsaales zurück und sah weiterhin unsicher zu ihm auf.
„Brock… Ich… Ich kann da nicht rein! Nicht so!“

Er schnalzte leise mit der Zunge, umfasste ihre Schultern vorsichtig und drehte sie zu sich herum, so dass sie einander gegenüberstanden. Er musterte sie erneut von Kopf bis Fuß und sah ihr dann tief in die Augen, damit sie sehen konnte, dass er jedes Wort ernst meinte, auch wenn sie nicht so klingen mochten.

„Doch, das kannst du! Da drin werden jedem Kerl die Augen ausfallen. So wie mir vorhin. Sie werden sich gar nichts denken, außer vielleicht „Allmächtiger Gott“! Du siehst absolut verschärft aus. Wie eine moderne Saloon-Schönheit. Ich brauche dringend was zu trinken, um mich abzukühlen, also hab Erbarmen und lass uns reingehen.“

Nicos Mundwinkel zitterten, dann lächelte sie dankbar zu ihm auf, während sie das Einstecktuch mit ihrer Hand zurecht zupfte und sie sie ihm schließlich flach auf die Brust legte.
„Danke, Brock, das ist wirklich…“

„Sag bloß nicht lieb, Süße. Ich kneif dich sonst in deinen knackigen Po.“, drohte er ihr und grinste zufrieden, als sie nach Luft schnappte und dann verlegen kicherte, weil er seine Drohung auf jeden Fall wahr machen würde. Freund oder nicht, das musste wohl sein, damit sie endlich glaubte, dass er seine Griffel nur mit Mühe bei sich behielt.

„Pia Sophora, Nicolasa D’ Amores und… Begleitung.“, wurde in dem Moment verkündet und die Türen schienen schon kurz zuvor von einem diensteifrigen Angestellten des Orakels geöffnet worden zu sein. Er nahm Nicos Hand und zog sie erneut auf seinen Arm, um sie in den Saal zu begleiten, in dem ihnen wirklich jeder Gast neugierig entgegensah.
Brock steuerte das Brautpaar zuerst an, damit Nico ihrer Freundin gratulieren konnte, was er selbst ebenfalls vorhatte. Es machte ihm nicht das Geringste aus, so mit Blicken durchbohrt zu werden. Immerhin hing ja eine kleine Schönheit an seinem Arm, deren Erscheinung sich keineswegs hinter irgendeiner der anwesenden Damen verstecken musste.

. . .

Damon konnte der Unterhaltung mit Ray und Nathan gar nicht folgen. Immer wieder drifteten seine Gedanken ab und befassten sich mit den Schmerzen auf der rechten Seite seines Oberkörpers. Gut, dass die Gala-Uniform der Krieger schwarz war. Das steif gestärkte Hemd unter der Jacke mit dem kleinen Stehkragen war sicher schon blutgetränkt. Zumindest fühlte es sich so an, konnte aber auch daher rühren, dass er stark schwitzte. Leider war gestern auf der Jagd eine Kleinigkeit schief gelaufen und er war von einem Aryaner mit einem Messer auf Nierenhöhe verletzt worden. Es heilte nur schleppend. Seine eigene Schuld. Er hatte Nicos Angebote, von ihr zu trinken schließlich mehrfach ausgeschlagen.
Gestern Nacht hätte er sie brauchen können, aber sie war nicht mehr da gewesen. Sie hielt sich immer noch nicht gern bei ihm auf. Sein Apartment war für sie wahrscheinlich trotz der Aufräumaktion, bei der jeder Hinweis auf eine Verflossenen verbannt und gegen neutrale Gegenstände ausgetauscht worden waren, immer noch eine Lasterhöhle. Vergleichbar mit einem schlechten Bordell, in dem Damon seine Liebschaften empfangen hatte.
Jetzt gab es für ihn nur noch sie. Vielleicht sollte er ihr vorschlagen, sich außerhalb der Fortress etwas Gemeinsames zu suchen. Ein Ort, zu dem sie all ihre hübschen Sachen mitnehmen und sich wohlfühlen konnte. Nichts lag ihm ferner, als sie ein weiteres Mal zu verletzen. Er würde ihr also keine Vorwürfe machen. Heute Morgen hatte er in aller Frühe eine weitere Ladung Plasma bei Ash abgeholt, der sichtlich übernächtigt aber auch höchst zufrieden die Tür geöffnet hatte.

Damon beneidete ihn und die anderen, für die ihre Beziehung ein Geben und Nehmen war. Sie mussten keine Angst haben, ihre Soulmate zu verletzen oder am Rande der eigenen Beherrschung einen Schluck zu viel zu nehmen. Nicos Blut war sicher bei weitem gehaltvoller als das der anderen Frauen. Es war dick und dunkel und köstlich und so berauschend, dass man einfach nicht mehr aufhören konnte, wenn man einmal angefangen hatte, es zu trinken. Aber trotzdem war sie klein und besaß nicht allzu viel davon. Zudem hatte er immer im Hinterkopf, was sie ausmachte, was ihre Fähigkeiten waren und wie sehr sie unter der Schwäche litt, die sie nach ihren Visionen stets ereilte und die er ihr nicht abnehmen konnte.
Nico war in seinen Augen schwach, ohne es böse zu meinen. Von einer Verbindung mit den anderen Kriegern wäre sie schlichtweg überfordert gewesen. Damon war der Jüngste und am wenigsten furchteinflößend. Noch dazu kaum fordernd, da der Stich mit der Sichel ihm einen gewaltigen, unbedingt nötigen Dämpfer verpasst hatte. Mit ihm hatte sie es am leichtesten. Was man umgekehrt nicht sagen konnte. Damon litt gewaltig unter seiner selbstauferlegten Beherrschung, die ihm früher niemals zu eigen gewesen war und die nicht einmal Virginie erfahren hatte. Aber Nico zuliebe würde er durchhalten. Egal, was es ihn kostete.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete er sich aus dem leichten Diener auf, mit dem die Krieger Romanas kleine Schwester und Gloria Burton begrüßten. Die beiden waren als Verwandtschaft der Braut und als Gäste der Fortress ebenfalls anwesend. Die beiden Breeds sahen ganz entzückend aus in ihren Designerroben, die sogar Rebeka diesmal freiwillig angezogen hatte. Sie hatte für sich eine hübsche, dezent rosafarbene Seidenkreation mit bodenlangem Rockteil gewählt, während Gloria eine schulterfreie mit Swarovski-Steinen besetzte nachtschwarze Chiffonrobe trug.

„Alles in Ordnung, Damon?“, fragte Gloria besorgt und versuchte gleichzeitig, in den verschlossenen Gesichtern von Nathan und Ray eine Antwort zu finden, die ihr der Angesprochene sicher nicht freiwillig geben würde.

„Sicher, Gloria. Alles bestens.“, antwortete der Krieger auch prompt. Awendela, Catalina und die Tri’Ora waren neben der Braut ebenfalls schon anwesend. So sehnsüchtig hatte er Nico noch nie erwartet.

Er brauchte sie. Ihm war schon wieder schwindelig und lange würde er die Lüge, die nicht einmal seine Waffenbrüder beruhigen konnte, aufrecht erhalten. Ihm ging es gar nicht gut, zuckte aber dennoch zurück, als sich Morrigans Schützling dazu veranlasst fühlte, ihm mit kühler Hand über die Stirn zu streichen und ihn daraufhin zu fragen, ob er Fieber hatte und sich nicht schon mal an den Tisch setzen wollte. Ihr Haselnussgeruch biss ihm in die Nase.

„Mir geht es gut, Miss Burton.“, sagte er schärfer als beabsichtigt und entschuldigte sich aus der Runde, da er keineswegs Mitgefühl sondern ganz dringend Blut brauchte.

Nico musste ihm noch vor dem Essen zur Verfügung stehen. Sofort. Länger konnte er nicht warten und wollte es auch nicht. Oh Gott, was dachte er da nur? Damon schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln und sich auf eigenmächtige Heilung zu konzentrieren. Letztendlich waren die Schmerzen nicht schlimmer als sonst. Womit er sich schön in die eigene Tasche log.
Die Türen öffneten sich. Damon hatte Hoffnung und wurde nicht enttäuscht. Dahinter im Flur, bereit hinzukommen, stand Nico.
Doch seine Gesichtszüge entgleisten erneut, als er gewahr wurde, dass sie nicht allein kam. Da war jemand bei ihr. Ein Fremder, den Damon nicht kannte. Jemand, der ganz schön vertraut mit ihr umging und ungefähr Rys’ Ausmaße hatte. Er strich ihr liebevoll über die Wange, lächelte dabei grenzdebil vor sich hin und Nico zupfte ebenso verzückt sein Einstecktuch zurecht. Ganz so, als wären sie schon seit Ewigkeiten die allerbesten Freunde oder mehr. Viel mehr.

Die Sophora, nebst Begleitung.

Sie sah unglaublich aus. So erwachsen und stark. Rot betonte ihre Vorzüge. Niemals hätte er gedacht, dass sie jemals so ein Kleid tragen würde. Etwas Buntes und wesentlich Verspielteres ja. Sie mochte es eher mädchenhaft. Heute aber sah sie aus wie all die anderen anwesenden Frauen. Unglaublich weiblich und unglaublich sexy. An der Seite eines anderen.
Damons Augen glühten rot und wütend.
Plötzlich nahmen die negativen Gefühle in ihm Überhand. Alles kam zusammen und schoss wie glühende Lava in einem Vulkan aus ihm heraus. Schmerz, Wut, Eifersucht, Angst.
Trotzdem rührte er sich keinen Millimeter, um auf Nico und ihre Begleitung zuzugehen. Er ließ sie kommen. Obwohl das Beglückwünschen des Brautpaares noch mehr an seinen geschundenen Nerven zerrte. Nun tat es ihm leid, in letzter Zeit so nachsichtig und zurückhaltend mit Nico umgegangen zu sein. Der Typ an ihrer Seite war es ganz bestimmt nicht.

. . .

Brock fühlte sich pudelwohl. Er hatte absolut Recht behalten, Nico galten bewundernde und wohlwollende Blicke, die sie sich redlich verdient hatte. Cat und er tauschten ein verschwörerisches Lächeln aus. Die kleine, rothaarige Hexe hing tatsächlich an dem dunkelblonden Krieger, den er ihr vorhin zugedacht hatte.
Sie trug einen eng anliegenden trägerlosen Dunkelvioletten Schlauch aus Satin, der so tief angesetzt war, dass man befürchten musste, er würde sich bei den ausdrucksstarken Gesten der Frau gen Boden verabschieden. Sie als lebhaft zu beschreiben, war beinahe schon untertrieben. Sie himmelte den Mann neben sich an, als wäre sie ein verliebter Teenager, aber der Typ machte nicht den Eindruck, als würde er das nur mit Nachsicht hinnehmen, auch wenn er äußerlich völlig gelassen schien. Brock würde ihm sogar unterstellen, dass er der gefährlichste unter den Kriegern war. Im Angesicht eines solch anhänglichen Schmusekätzchens noch die Fassung zu bewahren und die Hände nicht besitzergreifend auf sie zu legen, bedurfte bestimmt einiger mentaler Stärke.

Dann standen sie dem strahlenden Brautpaar gegenüber. Brock überließ Nico den Vortritt bei der Braut, so dass er zuerst Harper gratulierte. Der nahm die dargebotene Hand und sie sahen sich einen Moment mit unbewegter Miene in die Augen, bevor sie beide beinahe gleichzeitig ein belustigtes Grinsen zur Schau stellten. Hochzeiten und vor allen Dingen die kleine wohlgenutzte Pause danach machten das Gehirn von Kriegern bestimmt schön matschig.

„Pass gut auf sie auf. Es würde mich ernsthaft aus der Ruhe bringen, wenn ich deine Frau nicht immer mit diesem Strahlen auf ihrem Gesicht wie heute sehen würde. Nico hat ganze Arbeit geleistet, ich flieg nicht mehr so leicht durch die Gegend. Herzlichen Glückwunsch, Rys.“
Nur ein minimales Langziehen des Vokals, aber es reichte, um Harper dazu zu bringen, fester zuzudrücken, doch Brock hielt dagegen und ihrer beider Augen blitzten auf, als sie eine unausgesprochene Herausforderung ausdrückten, die sie nach den Flitterwochen angehen konnten. Das könnte bei den beiden wahrscheinlich länger gehen und so würde er genug Zeit haben, sich auf das Treffen in der imaginären Arena vorzubereiten.

Nico trat neben sie, so dass sich die kleine Versunkenheit zwischen den Männern auflöste. Das Mädchen gratulierte schon etwas persönlicher und reckte sich, um den Krieger in die Arme zu nehmen. Was die beiden miteinander sprachen, hörte er nicht mehr, da er sich Romy stellen musste.
Er nahm ihre kleine Hand in seine und umschloss sie mit seinen Pranken.

„Mir ist bei deinem Anblick die korrekte Anrede entfallen, Sugar.“, grinste Brock schelmisch.

Romy lachte gelöst und zog ihn an der Hand zu sich herunter, wo sie ihm dann links und rechts ein Küsschen verpasste.
„Du darfst weiterhin Romy sagen. Immerhin hast du dir eine ziemlich auserwählte Stellung ergattert. Das hast du nicht einfach so getan, oder? Sie ist nicht so wie wir anderen, Brock.“

Er wurde sofort ernst, da er die Besorgnis in ihrem Blick erkannte.
„Du kennst mich, Romy. Ich war schon immer schnell in meinen Entschlüssen, aber es ist nicht einfach aus einer Laune heraus geschehen. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann ist meine Verbindung mit Nico mit dieser Soulmate-Sache zu vergleichen. Es hat irgendwie Klick gemacht. Ich werde so gut auf sie aufpassen, wie dein Rys das hoffentlich bei dir auch tun wird. Danke, Romy. Ohne dich hätte ich diesen Neuanfang nicht angehen können. Du siehst umwerfend glücklich aus, du verdienst das wirklich. Freunde?“

Romy hatte gerührt gelächelt und seine Hand noch einmal fest gedrückt.
„Gute Freunde! Und Familie, Brock. Du wirst so wie ich mit offenen Armen aufgenommen werden. Wenn du es schaffen solltest, deine große Klappe ein bisschen im Zaum zu halten.“

Brock nahm Nico wieder unter seine Fittiche und trat lachend von den Brautleuten weg. Romy hatte vielleicht nicht ganz Unrecht, aber er war ebenso geschnitzt, sein Vampirdasein würde daran wohl nicht viel ändern. Die Hauptsache war ja, dass Nico sich damit wohlfühlte.
„Was ist denn Schätzchen? Du siehst aber gerade nicht glücklich drein, dabei ist das doch eine Party!“

„Ich möchte dir jemanden vorstellen, Brock… Das ist etwas… Ich hätte gern, dass ihr euch versteht. Tut mir leid, wenn ich dir etwas konfus vorkomme, aber es ist Vollmond… Das ist sehr schwer, wenn… Ich bin sehr froh, dass du dich mit Romy vertragen hast.“, schloss sie dann, vermutlich um ihn abzulenken, weil er zu gern gefragt hätte, wo das Problem lag.

Eindeutig bei Babyface. Nico schien plötzlich einen Stock verschluckt zu haben, ihre Anspannung wurde größer, je näher sie dem Milchgesicht kamen, der ihm wütend entgegenblickte, obwohl Brock sich seiner Meinung bisher gesellschaftlich einwandfrei verhalten hatte. Wenn ihn das störte, dass seine Freundin von einem anderen in den Saal geführt wurde, hätte er sie ja oben abholen können. Oder erwartete er von Nico, ein braves Schoßhündchen zu sein? Brocks Miene wurde demonstrativ herablassend, das würde ihm gerade reinlaufen, sollte das Bürschchen ihm dumm kommen. Er brannte darauf, sich als Wolf zu beweisen.

Damon sah mit düsterer Miene dabei zu, wie das Pärchen auf ihn zukam. Der Typ stellte ein selbstgefälliges Lächeln zur Schau, das eigentlich sich eigentlich auf Damons Gesicht hätte zeigen sollen und den Stolz ausdrückte, den der andere empfand, weil er die Sophora begleiten durfte und niemand sonst. Nicht einmal der kleine Hampelmann in Schwarz, der aussah, als würde er jeden Moment einem Herzinfarkt erliegen. Damon wusste ganz genau, was dieser Typ wahrscheinlich über ihn dachte. Er war nicht blöd.
Nico begrüßte ihn. Schüchtern und zurückhaltend wie immer. Gar nicht mehr so glücklich und gelöst wie dort draußen an der Tür. Er ließ seinen Blick von ihr zu ihrem Begleiter wandern. Sich fragend, ob ihn gefletschte Fangzähne und Besitzanspruch in die Flucht treiben würden, beließ es aber bei einer kaum bewegten Miene.
Dann gestattete er sich trotz der Schmerzen und der Wut im Leib einen weiteren Atemzug. Ein imaginärer Blitz traf ihn, legte auch den Rest seiner Nerven blank und ließ ihn dann wund und bloß in seiner Fantasie zusammengebrochen liegen.

Damons Mundwinkel bebten vor Entsetzen. Nico roch nach Zimt und ein bisschen nach Pflaume. Darüber hinaus aber hatte sich ein anderer, bei weitem hartnäckigerer, männlicher Duft an ihr festgesetzt, den er eindeutig ihrem Begleiter zuschreiben konnte, der schließlich neben ihr stand und an dem Nicos Duft haftete wie Fliegen an einem klebrigen Band.

„Wer sind Sie?“, verlangte er in dumpfen Tonfall zu wissen. Jetzt bebte sein ganzer Kiefer, weil er Mühe hatte, nicht einfach herauszuschreien, dem Typen eine zu verpassen und Nico nach ihrem Betrug an ihm und ihrer Seelenverbindung gehörig die Meinung zu sagen. Von wegen zart und schüchtern.
Er streckte die Hand nach ihr aus, fasste sie beim Handgelenk und zog sie rüde an seine Seite, wobei seine Augen ein weiteres Mal rot leuchteten. Es war ihm egal, ob sie von allen Seiten beobachtet wurden. Das hier war eine private Angelegenheit zwischen ihm und diesem Scheißkerl, der seine Griffel an seiner Freundin gehabt und sie wahrscheinlich dazu überredet hatte. In seiner Eifersucht schoss ihm nicht einmal annähernd ein harmloser Hintergrund in den Sinn. Dafür grinste der Fremde viel zu unbescheiden in die Welt hinein.

„Damon!“, hauchte Nico erschrocken, als Babyface sie an seine Seite zog.

Brock fletschte die Beißerchen (ohne Fänge) in einem beinahe nachsichtigen Lächeln. Da war jemand aber sehr angepisst, wollte ihm erscheinen.

„Es ist schon gut, Herrin.“, begann Brock mit einem dumpfen Grollen in der Stimme, als würde er kurz davor stehen, tatsächlich zu einem Wolf zu mutieren. Seine eigenen Augen blitzten sicher ebenso rot wie die seines Gegenübers, so dass ihm Nicos betroffene Miene mit einem roten Schleier überzogen schien. Er betonte den Titel einem natürlichem Impuls heraus folgend. Es fiel ihm gar nicht schwer, sich plötzlich in der offiziellen Rolle des Beschützers zu sehen.

„Damon… Das ist Inspector Brock Wolfe… Romy kennt ihn von früher, sie sind Freunde. Gestern Abend habe ich ihn kennen gelernt und ihm bei einem medizinischen Notfall beigestanden… Brock, das ist Damon Archer…“ Nico wusste anscheinend nicht, wie sie ihn bezeichnen sollte. Krieger, Freund oder doch lieber Waschlappen? Ups, Letzteres wäre sein Vorschlag gewesen.

„Sehr erfreut, Mr. Archer. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, noch vor der Party auf Sie zu treffen, damit wir bestimmte Dinge zwischen uns klären können.“, fuhr Brock an Nicos Stelle fort, deren Blick ängstlich zwischen den beiden Männern hin und her flog. Das war der einzige Grund, warum er sich zurückhielt. Wo war der Sack gestern Nacht gewesen? Nico hätte sich nach der anstrengenden Umwandlung bestimmt lieber an ihren Partner geschmiegt als an ihn, obwohl er sich darüber kaum beschweren wollte.

Damon wäre bei dem Wort Herrin fast an die Decke gegangen vor Wut. Ganz fest hielt er Nico am Handgelenk gepackt, damit sie ja nicht auf die Idee kam, sich zurück auf die Seite dieses Bastards zu stellen, der hier glaubte, auch nur den geringsten Anspruch auf die Sophora zu haben. Das Vergnügen war vollkommen einseitig auf Seite dieses Inspectors, der Damon nicht im Geringsten sympathisch war, weil er Nico schon wieder mit einem derart anzüglichen Schlafzimmerblick anglotzte, für den Damon ihm gern eine verpasst hätte.
Medizinischer Notfall. Das glaubte Nico doch selbst nicht, so wie sie roch und wie dieser Wolfe roch.
Damon glaubte, sein Hirn würde stottern und er hätte da gerade etwas ganz Gewaltiges verpasst. Die Dinge, die dieser Cop mit ihm besprechen wollte, konnten ganz schnell zu Damons Vorteil geklärt werden. Nicos Ängstlichkeit war zur Nebensache verkommen. Hier ging es ganz offenbar um eine Sache unter Männern. Brock sah ihn an, als wollte er ihm am liebsten Weggegangen, Platz vergangen an den Kopf schmettern.

„Es ist noch nicht offiziell verkündet worden, da man nicht von der Hochzeit ablenken wollte, aber ich werde in Zukunft auf Nico aufpassen. Ihnen muss ich die Bedeutung der Wolfsmeute nicht erklären, oder Mr. Archer? Entschuldigst du mich, Nico? Ich möchte nur gern deiner Patrona zu der phantastischen Wahl gratulieren. Das Kleid steht dir fast noch besser als dieses neckische Babydoll.“
Brock hob ungeniert die Hand und strich Nico sanft mit dem Daumen über die blasse Wange, die jedoch vor Hitze brannte. Locker angelte er sich einen Drink von einem vorbeischwebenden Tablett und steuerte Catalina und ihre Eskorte an, auf die er schon mächtig gespannt war.

Damon hielt den Atem an, als Brock sich als Nicos neuer Aufpasser aufspielte. Das klang fast so, als wäre er nun überflüssig. Warum brauchte sie einen aus der Wolfsmeute, wo er doch der Mann an ihrer Seite war. Damon sah sich um, ob das Orakel irgendwo auszumachen war, um sie zur Rede zu stellen. Aber das hier war kaum der richtige Ort für eine ungehörige Szene.
Und dann folgte auch noch ein Kompliment der unverblümten Sorte, was nicht einmal er zu tun wagte, wenn sie nicht ganz unter sich waren. Noch dazu diese liebevolle Berührung. Dabei hatte Damon immer noch seine Hand an Nico gelegt und es war schlichtweg dreist von Wolfe, sich nicht zurückzuhalten. Und das allerschlimmste war, dass es ihr ganz offenbar gefiel.

Nico sah Brock sehnsüchtig nach und wagte nicht, zu Damon aufzusehen.
„Ich muss mich erst noch daran gewöhnen, dass er ständig solche Dinge sagt… Es ist alles so schnell passiert… Ich wollte mit dir über Brock sprechen, aber du warst so spät dran… War die Jagd sehr anstrengend?“
Sie wusste nicht, was sie sonst sagen sollte. Sie stand so nah bei ihm, dass sie die Wärme seines Körpers von seiner Hand über ihr Handgelenk in jeden Winkel ihres Körpers zu kriechen schien. Der Mond machte sie schwach, sie wollte sich an ihn schmiegen, seine Nähe suchen, ihm endlich alles von sich geben, doch dann fiel ihr der lieblose Abschied von gestern ein und die Sehnsucht fiel in sich zusammen, um mutloser Traurigkeit Platz zu machen. Sie atmete tief ein und hob schließlich tapfer den Kopf, um die Augen zu ihm aufzuschlagen.
Ihre Lippen teilten sich schon erwartungsvoll, weil sie nichts anderes wollte, als ihn zu küssen oder zu sagen, wie sehr sie ihn vermisst hatte, doch die Worte blieben in ihrer atemlosen Kehle stecken.
Ihr war gar nicht bewusst, dass sie Brocks Geruch an sich trug, da er das Blut mit ihr getauscht hatte und Damon sich schon viel zu lange zurückhielt, um es mit seiner Präsenz in ihr zu übertönen. Sie dachte nicht eine Sekunde, dass Damon eifersüchtig auf Brock reagieren könnte, da er ja ein Immaculate war und ihn die Sache mit dem Wolf nicht überraschen dürfte.

„Die Jagd war...“, presste er gequält hervor, da es sie ganz sicher nicht besonders interessierte, was ihm widerfahren war, wie hart er gekämpft hatte und dass er verletzt worden war. „...erfolgreich. – Wie immer.“

Eine Lüge, da er ihr ihre tolle Nacht nicht verderben wollte. Ganz offenbar war sie dem Wolf ein Stück näher gekommen als üblich. Konnte er ihr nicht verübeln. Der Herr sah gut aus, war durchaus als männlich zu bezeichnen und was seinen Charme anging ganz bestimmt unschlagbar.
Damon wandte ihr den Kopf zu und dachte ebenfalls daran, sie zu küssen. Sie vereinnahmen und diesen fremden Geruch an ihr auszulöschen. Jeden Gedanken an diesen neuen Leibwächter, den sie nicht brauchte, weil er doch für sie da war. Es tat ihm weh zu sehen, dass sie ihn ganz offenbar nicht wollte oder brauchte.
Er hatte ihr ja schon all das gegeben, was sie sich jemals von ihm gewünscht hatte. Doch kampflos würde er sie nicht gehen lassen. Er mochte der Jüngste sein und in Brocks Augen vielleicht nicht viel wert, aber er würde ihm Nico nicht einfach so überlassen. Weder zur Bewachung noch sonst einem Zweck. Sekundenlang blitzten seine Augen rot auf. Doch er kam nicht dazu, seine Eifersucht weiter in Worte zu fassen oder ihr zu sagen, wie sehr er sie die letzte Nacht vermisst hatte und wie sehr er sich wünschte, es wäre umgekehrt ebenso der Fall gewesen.
Ein Glöckchen wurde geläutet. Das Dinner zu Ehren von Romy und Rys konnte beginnen. Damon fragte sich, ob er mit Nico an seiner Seite jemals so etwas feiern würde.

"Gehen wir essen."
Er ließ ihr Handgelenk los und hakte sie bei sich unter, um sie mit sich an die festliche Tafel zu führen, ohne auch nur einen Kommentar, der vielleicht ungerecht vorgebracht sein könnte, über den Polizisten abzugeben. Zu seinem Leidwesen saß Brock aber ebenfalls neben Nico und es fiel Damon sehr schwer, sich auf das köstliche Menü zu konzentrieren.

Nico sah mit inständigem Blick zu Damon auf. Sie verstand nicht, warum er sich so merkwürdig zurückhaltend verhielt. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass er über Brock lachen und einfach darüber hinweggehen würde, weil er ihr niemals unterstellen würde, dass ein Mann wie er auch nur einen zweiten Gedanken an sie verschwenden würde. Brock war Romys Ex-Freund und man musste sie ja nur am Ende der Tafel residieren sehen, um zu sehen, wo Brocks Geschmack lag.

„Ja, setzen wir uns…“, murmelte Nico und folgte Damon geknickt an ihren Platz, obwohl ihr der Sinn nicht nach Essen stand. Er hatte nicht einmal etwas zu dem Kleid gesagt. Wahrscheinlich gefiel es ihm gar nicht. Es war zu auffällig oder zu aufregend für ihren Typ. Sie konnte ihn eben keine Sekunde lang täuschen. Er kannte sie schließlich in ihren schwächsten Momenten.

° ° °

„Inspector Wolfe…“, begrüßte ihn Cat gedehnt und stellte sich gleich aufrechter hin, da sie scheinbar immer noch in anhänglicher Stimmung war und sich wahrscheinlich am liebsten um ihren Begleiter gewickelt hätte. Sie trug sehr hohe Absätze, so dass sie ihm gut in die Augen sehen konnte. Gegen den Krieger kamen allerdings weder er noch sie an. Über 1,90 m und der Mann hing nicht da wie ein nasser Sack.

„Cat!“, Brock neigte den Kopf und hoffte, dass er die Erlaubnis der Vertraulichkeit immer noch besaß.
„Das mit dem Inspector werde ich wohl in nächster Zeit ändern müssen… Vorerst bleibe ich im Dienst, also…? Womit kann ich dienen?“

Cat lächelte wieder das kokette Lächeln, das ihre Augen aufblitzen ließ und ihre lebhafte Schönheit nur noch weiter unterstrich. Man hatte bestimmt alle Hände voll zu tun, mit dieser Frau mitzuhalten. Ein kleiner Teil in ihm war ziemlich erleichtert, dass er nicht gerade für ihre Sicherheit verantwortlich war. Der Mann an ihrer Seite schien mehr als fähig, die Sache völlig unaufgeregt unter Kontrolle zu haben.

„Nathan, das ist Brock Wolfe, ich hab dir nicht zu viel versprochen, oder? Er sieht mehr als fähig aus, ein wachsames Auge auf Nico zu haben. Hätte ich gewusst, dass es da jemanden gibt, der auf sie aufpassen soll, hätte ich dich schon früher gesucht.“, stellte Cat die Männer einander vor, so dass sich Brock dazu veranlasst sah, sich leise zu räuspern. Mit diesem Krieger würde er bestimmt nicht so locker umgehen wie mit Harper oder Babyface. Sie schüttelten einander die Hände, wobei ihn ein abschätzender grüner Blick erfasste.

„Ich werde mir Mühe geben, meiner neuen Aufgabe gerecht zu werden.“
Brock wollte nicht, dass ein falscher Eindruck aufkam, obwohl ihn dieser Vampir wahrscheinlich mit einem Blinzeln seelisch sezieren konnte. Er hatte keine Probleme, sich in eine Hackordnung einzufügen. Er war schon ganz unten und ganz oben gewesen. Natürlich war er lieber der Leitwolf, aber dieser Mann hier war mehr Alpha als er, das war klarer als klar.

„Wenn dem nicht so wäre, dann hätte das Orakel dich schon auf den Mond geschossen. Also bitte, ersparen wir uns die „Ich bin ein harter Kerl“-Reden! Ich hab schon gehört, dass man mit dir rechnen muss. Du entschuldigst uns doch kurz, Nathan?“

Cat hängte sich bei ihm ein und zog ihn ein Stück fort, um ihn und sich dann in die passende Position zu bringen, so dass sie einen guten Ausblick auf Nico und ihren Freund hatten, der von ihr angehimmelt wurde und so aussah, als hätte deswegen Zahnschmerzen.

„Jeder andere Krieger hätte dir ganz unverblümt die Faust in die freche Fresse gerammt, mein Lieber.“ säuselte Cat mit einem kleinen, gemeinen Lächeln auf den schimmernden Lippen.

„Dein Nathan etwa auch?“, fragte Brock, nachdem er das überraschtes Auflachen einigermaßen unter Kontrolle gebracht hatte.

„Oh, das hat er gar nicht nötig. Ich bin nicht der Typ „Unschuld vom Lande“, deren Ehre man verteidigen muss. Außerdem braucht er weder Hände noch Waffen, um dich fertig zu machen. Du wirst sicher noch Bekanntschaft mit den Kriegertricks machen. Die können nicht nur ordentlich zuhauen. Ich hab das Fachwort wieder vergessen, aber Nathan kann dich Kraft seiner Gedanken ausschalten. Du hast ja schon beim Orakel erlebt, dass Illusionen sehr überzeugend sein können und bei ihm spürst du sie auch noch, aber darum geht es gar nicht. Nathan wird dir sicher kein Haar krümmen, das kann ich selbst ganz gut, wenn es nötig werden sollte. Die ganzen Erklärungen überlasse ich aber der süßen Nico, die ist in so was viel besser als ich. Nein, mir geht es darum, was dir gerade auffällt… Bei den beiden, meine ich.“
Cat nickte in die Richtung von Nico und ihrem Freund.

„Wiedersehensfreude stelle ich mir ein wenig anders vor, wenn Nico mich so ansehen würde, dann…“ Brock grinste dreckig und zuckte zur Seite, als ihn der spitze Ellenbogen der Patrona in den Rippenbogen traf.

„Ganz meine Meinung! Wenn ich das richtig verstanden habe, dann wirst du mit Nico eine ziemlich enge Beziehung haben. Großer Bruder mäßig, das braucht sie. Ich kann ihr gut zureden und alles, aber du bist ein Mann mit einiger Erfahrung, würde ich meinen, und das nicht nur Romana betreffend. Ja, ja, schon gut, ich will nicht indiskret werden, passé ist passé. Nico umgibt noch diese Aura der Unschuld und das soll natürlich so bleiben, es ist ein Teil von ihr, allerdings sollte das nicht ihr Privatleben überschatten. Deine Art gefällt mir. Wenn man ihr einen steifen Miesepeter zur Seite gestellt hätte, dann hätte ich aber ordentlich protestiert.“
Cat schnaubte leise, als das Glöckchen bimmelte und damit das Zeichen fiel, dass das Essen gleich aufgetragen werden würde.

„Es ist Vollmond. Immer die beste Zeit, um Veränderungen anzugehen. Das hast du ja schon perfekt verinnerlicht. Nicht jeder an deiner Stelle hätte sein Leben einfach riskiert. Nicht mit der Meute und nicht bei der Umwandlung. Dein Handeln spricht für sich. Wusstest du eigentlich, dass man zuerst meint, du und Nico, ihr beide… Also, dass ihr beide gestern Nacht eine Menge Spaß gehabt habt?“

Brock spuckte beinahe den letzten Schluck seines Drinks zurück ins Glas und stellte es dann geleert auf ein Tablett ab, das ihm einer der Bediensteten hinhielt, bevor er sich mit einem Stirnrunzeln an Cat wandte.

„Okay, ich bin für jeden Spaß zu haben, aber… Egal, wie attraktiv ich Nico finde oder eine andere Frau, da läuft sicher nichts, solange sie mit einem anderen Mann zusammen ist. Und aus dem Alter, in dem ich blind durch die Betten gehopst bin, bin ich auch heraus. Und ehrlich gesagt, würde ich Nico - rein hypothetisch gesprochen natürlich – niemals nur für eine Nacht wollen. Natürlich ist das heute Morgen etwas verfänglich gewesen, aber ich hab die Kleine nur getröstet. Ich dachte, sie ist wegen der Umwandlung mit den Nerven fertig, aber wenn ich darüber nachdenke, steckt noch mehr dahinter. Ist damit alles geklärt?“

Cat grinste spitzbübisch: „Uuuuh! Ich mag es, wenn du energisch wirst. Ich zweifle keine Sekunde an eurer Integrität, Nico würde niemals so etwas Gedankenloses tun. Glaubst du, ich habe sie aus reinem Spaß an der Freude so ausstaffiert? Damit wollte ich nur Damon aus der Reserve locken. Der hat irgendwie ein falsches Bild von Nico. Verständlich, wenn man bedenkt, wie die beiden sich gefunden haben. Und nun bist du aufgetaucht, ich möchte das nur zu Nicos Vorteil einsetzen, also sei weiterhin ein braver Junge und kümmer dich, wie es sich für einen Wolf gehört, um sie. Ich glaube, dein Platz ist zu ihrer linken Seite. Alles klar?“
Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu und tänzelte dann an die Seite ihres Mannes, der in unmittelbarer Nähe des Brautpaares um das Kopfende der Tafel saß.

Brock schüttelte den Kopf und suchte seinen Platz zwischen Nico und dem Krieger Ray auf. Er fing Cats Blick noch einmal kurz auf, deren Lippen ein feines Lächeln umspielte.
-Du hast ihr Blut getrunken und sie deines, das kann man an euch riechen. Deshalb denkt Damon bestimmt, dass du und Nico eine sehr wilde Nacht miteinander verbracht habt. Auf die naheliegendste Erklärung kommt er in seinem verkommenen Gehirn natürlich nicht… Männer!-

Brock stellte sich erst mal dem Krieger zu seiner Linken vor, um diese kleine Information zu verarbeiten, bevor sich ein fieses Grinsen in sein Gesicht brannte. Diese Vampir-Männer hatten anscheinend alle einen Komplex bezüglich feschen NYPD-Inspektoren. Interessant. So viele schmeichelhaften Unterstellungen würden ihm noch zu Kopf steigen, wenn das nicht bald aufhörte. Wen würde er denn als Nächste von den Damen verführt haben?

° ° °

Nervös zupfte Nico immer wieder an dem aufgeklafften Schlitz ihres Rockes herum, der im Sitzen weit aufgegangen war und immer wieder zurückrutschte, egal wie oft sie ihn wieder über ihre Schenkel zog. Irgendwann gab sie es auf. Damon wäre es wahrscheinlich auch egal, wenn sie gar keinen Rock tragen würde.
Er sah sie nicht einmal richtig an und ihr fiel es schwer, ihm ein belangloses Gespräch aufzuzwingen, da sie lieber über private Dinge gesprochen hätte, die kein Thema für diesen Festschmaus waren.
Sag mir doch, wie ich für dich sein soll… Ich würde dich so gerne glücklich machen. Aber an ihrem Aussehen würde sie niemals etwas ändern können.
Nico legte die Gabel beiseite und war in größter Versuchung nach Damons Hand zu greifen, damit er sie ansah und sie wenigstens ein einziges Mal noch anlächelte. Ihr ganzer Körper prickelte vor Sehnsucht, ihr wurde immer wärmer und wärmer. Bilder von der Nacht ihrer Umwandlung stiegen in ihr auf und sie wünschte sich, mit ihm immer auf dieser Insel geblieben zu sein. Danach war alles irgendwie nur noch schief gelaufen. Was hatte sie falsch gemacht? Wollte sie zu viel?

Nico wandte sich aus den Gedanken gerissen an Brock, der zu ihrer Linken saß und ihr eine Frage stellte, so dass er sie praktisch vor einer Dummheit gerettet hatte. Sie war so kurz davor gestanden, sich an Damons Seite zu schmiegen und ihn anzubetteln…Bitte, Damon, lass uns irgendwohin gehen, wo wir beide ganz allein sind.
Sie atmete etwas schwerer und griff nach ihrem Wasserglas, um die trockene Kehle mit ein paar Schlucken zu benetzen, bevor sie Brock Rede und Antwort stand.
Nach dem Hauptgang wurde auf das Wohl des Brautpaares angestoßen und Theron erhob sich von seinem Platz, um eine kleine Rede zu halten. Nico versuchte wirklich, sich auf die Worte zu konzentrieren, die ihr sonst sehr zu Herzen gegangen wären, weil Ron diesmal nicht so steif daherredete, wie man es sonst von ihm gewohnt war. Tiponi würde ihm gut tun, sie würde ihm Wärme und Liebe spenden und er würde sie annehmen. Nico seufzte leise und man würde es sicher als Ergriffenheit von ihrer Seite aus deuten. Sie hob ihr Champagnerglas mit den anderen an und trank, ohne zu merken, wie viel. Es wurde immer wieder diskret nachgeschenkt.
Schließlich kam der Nachtisch oder vielmehr ein Arrangement an kleinen Nachspeisen, die kunstvoll auf einem Teller mit Goldrand angerichtet worden waren. Normalerweise hätte sich Nico wenigstens daran gütlich getan, doch irgendwie stand ihr der Sinn mehr nach süßen Pflaumen. Auf dem Teller lagen zur Dekoration kandierte Kirschen, die sie herauspickte, weil sie sonst zu sehr auffallen würde, während die anderen ihr Essen genossen.

„Du scheinst die Dinger zu mögen… Komm schon, mach das Mündchen auf, für Onkel Brock. Du hast ja kaum etwas gegessen. Keine Widerrede, Schätzchen. Sei ein liebes Mädchen!"
Nico wandte sich Brock überrascht zu und da sie den Mund schon leicht geöffnet hatte, war es ein Leichtes für ihn, die süße Frucht über ihre Lippen zu schieben. Sie hatte einfach keine Kraft mehr, sich allzu sehr zur Wehr zu setzen und der Alkohol in ihr bewirkte, dass sie sich leicht benebelt fühlte und ihr gar nicht bewusst wurde, wie Brocks Gesten wohl auf eventuell scharfsichtige Zuschauer wirken würden. Es war nur nett gemeint, er wollte sich kümmern und er konnte nichts dafür, dass sie sich wünschte, es wäre nicht er sondern Damon, der das tat.

Nico wusste nicht mehr viel über die letzte Hochzeitsfeierlichkeit, sie war ja nach dem Vorfall mit der Sichel Hals über Kopf geflohen, aber nun wurde nach dem Essen die Wand zum angrenzenden Raum beiseitegeschoben, wo ein kleines Orchester Aufstellung genommen hatte und die Möbel aus dem Zimmer geräumt worden waren, um damit eine Tanzfläche zu schaffen.
Als sich Rys erhob und Romy die Hand reichte, um sie somit zum ersten Tanz aufzufordern, folgte dem Paar leiser Applaus von den übrigen Gästen und einige Neckereien von seinen Waffenbrüdern. Vor dem Orchester war ein einzelnes Mikro aufgebaut worden, das nun mit einem Spot angeleuchtet wurde. Der übrige Raum war in schummriges Kerzenlicht getaucht, bestimmt um das Paar in seiner Versunkenheit nicht zu stören. Sie waren immer noch Kreaturen der Nacht und fühlten sich in der Dunkelheit am besten aufgehoben. Zudem konnte man den vollen, tief hängenden Mond zu den großen Bogenfenstern, die bis zum Boden reichten, hinein scheinen sehen.

In den Spot trat eine Frau unbestimmbaren Alters, deren dunkle Haare streng aus dem Gesicht gekämmt waren und die ein bodenlanges, schwarzes Kleid trug, das sich eng an ihre schlanke Silhouette schmiegte, die beinahe schon knochig zu nennen war. Ihre Haut war schneeweiß und ihre Lippen waren mit blutrotem Lippenstift betont. An den Ohren trug sie schwere Diamanthänger, die im Licht glitzerten. Dann setzte sie Musik ein und sie sang dazu. Es war ein langsames Lied, nicht der übliche Walzer, und ihre rauchige Stimme wob dazu geheimnisvolle Wörter unter die hypnotische Melodie. Es klang beinahe wie eine Beschwörung und dann wurde Nico klar, dass es sich um die alte Sprache handeln musste und es tatsächlich ein alter Zaubergesang sein könnte.

Das Orakel hob die Tafel auf und sie folgten ihr zur Grenze des Raumes, wo sie einen besseren Blick auf das tanzende Paar haben würde, das eine wundersame Aura einzuhüllen schien. Nico blieb das Mündchen offen stehen und sie starrte wie gebannt auf die Tänzer, da die Worte sie bis auf den Grund ihrer sehnsüchtigen Seele zu erreichen schienen. Sie spürte das unglaublich starke Verlangen danach, von Damon in die Arme genommen zu werden. Er sollte unbedingt ihre erhitzte Haut berühren, um ihr Erleichterung zu verschaffen. Sie war nicht die einzige, die heftig auf die Musik reagierte. Nach und nach formten sich weitere Pärchen auf der Tanzfläche. Nico hatte Mühe, ihre schweren Lider nicht über die Augen fallen zu lassen.
Tanzen… Ich muss tanzen…
Sie sah sich suchend nach Damon um, doch sie konnte ihn in den plötzlich verdunkelten Räumen nicht entdecken, obwohl sie doch eigentlich sehr gut in der Dunkelheit sehen müsste.

„Was ist das nur für ein Gesang? Der macht einem die Birne ja ganz weich.“, flüsterte eine tiefe Stimme an ihrem Ohr und Nico sah verwirrt zu Brock auf, der sich unbemerkt von ihr hinter sie gestellt hatte.

„Ich weiß nicht…“, wisperte sie zurück und lehnte sich unwillkürlich haltsuchend an seine breite Brust. Ihre Knie fühlten sich weich wie Butter an. „Es ist die alte Sprache der Immaculate… Ich verstehe sie leider nicht… Es klingt wie eine Beschwörung… magisch… Ihre Stimme ist unglaublich…“

Nico seufzte voller Sehnsucht auf und ihr Blick klebte förmlich an den vorbei tanzenden Paaren, die in ihrer eigenen Welt gefangen schienen.
Brock schien zu spüren, dass sie sich nicht mehr sicher auf den eigenen Beinen fühlte und deshalb legte er einen Arm um ihre schmale Taille, damit sie nicht taumelte. Er schob es auf etwas zu viel Champagner und die kleine Dissonanz zwischen den Liebenden. Er konnte nicht wissen, dass hinter dem Mikro eine Sirene sang, die alle verbundenen Paare bis tief ins Mark erschüttern würde. Es war ein ganz besonderer Hochzeitstanz.

° ° °

Romy folgte Rys beinahe wie in Trance auf die Tanzfläche, sie hörte gar nicht, was genau man ihnen nachrief. Während des Essens hatte sie sich einigermaßen entspannt, obwohl das kleine Intermezzo, während Rys sich angekleidet hatte, sie kaum genügend gesättigt hatte. Der Mond stand voll am Himmel und das Verlangen nach mehr wurde immer eindringlicher. Der Anblick der in seine Haut eingebrannten Buchstaben war wie ein sinnlicher Schock gewesen. Romy wagte sich nicht vorzustellen, wie schmerzhaft das Einbringen der Nadel für ihn gewesen sein mochte.
Sie waren nun untrennbar auf ewig miteinander verbunden und die Lettern würden auch noch nach dem Verblassen für immer auf seine Haut und in sein Herz gebrannt sein. Romy schmiegte sich an seine muskulöse Gestalt, ohne ihn aus den Augen zu lassen und ließ sich über die Tanzfläche führen. Noch niemals hatte sie sich von allem so losgelöst und doch sicher und geborgen gefühlt.
Jedes weitere gesungene Wort ließ ihr den Atem stocken, ihr war gar nicht bewusst, dass der Gesang eine magische Wirkung zu haben schien. Die zusehenden Gäste traten vollkommen in den Hintergrund und sie merkte nicht einmal, dass die anderen sich ihnen auf der Tanzfläche anschlossen. Sie fühlte sich, als würde sie auf Wolken tanzen und schaffte es nicht, ihren Blick von ihrem nun angetrauten Mann zu nehmen. Mein… Auf ewig!

Erst als Theron und Tiponi neben ihnen zum Stehen kamen, erwachte sie aus ihrer seligen Trance und ließ es geschehen, dass sie die Partner tauschten. Nicht ohne Rys einen letzten feurigen Blick zuzuwerfen.
Die Sängerin schien die Sprachen des Liedes zu variieren, obwohl sich Romy nicht sicher war, da sie nicht genau zuhörte. Mit einem erstaunten Blinzeln nahm sie wahr, dass Theron sie anlächelte und dabei die Spitzen seiner Fangzähne durchblitzten. Dann hörte sie ihn leise lachen, was sie noch erstaunter dreinblicken ließ, weil sie ihn noch nie so entspannt erlebt hatte und noch niemals so anziehend, was sie bei ihm wohl kaum auf den Mond schieben konnte. Oder doch? Rys tanzte mit einer strahlenden Tiponi.

„Oh…“, entfuhr es ihr sachte und ein wissendes Lächeln erblühte auf ihren Lippen.

„Ja, oh. Das ist Mutters Werk. Nein, nicht die Entwicklungen in meinem Privatleben. Sie hat wahrscheinlich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um die Sängerin für den heutigen Abend zu engagieren. Sie ist eine Luscinia, eine Nachtigall. Gesegnet mit einer bezaubernden Stimme vergleichbar mit den Sirenen aus der griechischen Mythologie. Shahana ist die erstgeborene Tochter der Prinzessin Scheherazade, sie kam zur Welt, während ihre Mutter den König mit ihren Erzählungen bezirzte… Sie ist wie Nico eine Sophora, da ihre gesungenen Beschwörungen sehr wirksam sind. Entschuldige bitte, Romana. Ich versuche nur, vergebens an meinem sonst so klaren Verstand festzuhalten. Ich sollte dir lieber sagen, wie bezaubernd du heute Abend aussiehst. Mein kleiner Bruder ist ein sehr glücklicher Mann.“

Romys Augen wurden groß, doch dann strahlte sie ihn erfreut an, um dann auf die Zehenspitzen zu gehen und ihm einen kleinen Kuss auf die Wange zu hauchen, der ihn veranlasste, ziemlich überrascht dreinzublicken.

„Das ist nur ein kleiner Dank dafür, dass du heute gekommen bist, um mit uns zu feiern. Und ein Ausdruck meiner Freude für dich. Du weißt schon, die Entwicklung in deinem Privatleben.“ Sie wies mit dem Kinn in die Richtung, in der Rys und Tiponi tanzten.

Therons Miene wurde kurz teuflisch und seine blauen Augen blitzten verschlagen auf.
„Ja… solche Entwicklungen kommen gern überraschend, wenn man nicht mit ihnen rechnet. Förmlich mit allen Schikanen!

Romy schnappte nach Luft und schlug ihrem Tanzpartner empört gegen den Oberarm, bevor sie leise auflachte: „Theron Harper, man soll es nicht für möglich halten, aber du hast tatsächlich Sinn für Humor! Unglaublich!“

Nun war sie absolut davon überzeugt, dass Rys auf Brock mehr als eifersüchtig gewesen war, wenn er sich schon seinem Bruder in diesem Punkt anvertraut hatte. Sie musste sich wahrscheinlich für dessen provozierendes Benehmen bedanken, das ihren Ehemann dazu veranlasst hatte, Nägel mit Köpfen zu machen. Ohne ihn stünde sie nun nicht hier und wäre die glücklichste Frau auf der Welt. Allein der Gedanke bewies eindeutig, dass sie unter einer vollen Breitseite der Mondbestrahlung stand und absolut nicht mehr zurechnungsfähig war.

° ° °

Nur die jahrelang selbstauferlegte Zurückhaltung hielt Cat davon ab, mitten auf der Tanzfläche über Nathan herzufallen, nachdem sie sich den tanzenden Paaren angeschlossen hatten. Immerhin hatte sie die letzten Tage an den Einsätzen teilgenommen und sich deshalb ordentlich zurückgehalten, obgleich sie ihren Gefährten am liebsten gar nicht mehr aus dem Bett gelassen hätte. So eng sie konnte, schmiegte sie sich an Nathan und genoss dessen Nähe mit einem kleinen zufriedenen Schnurren, das sie nicht unterdrücken konnte, da die Löwin in ihr schon seit Stunden tobte und endlich ihre Wildheit ausleben wollte.

„Gott, Nathan… diese Musik!“, stöhnte Cat leise auf und hob die Hand, um sie auf sein Gesicht zu legen und ihm mit kaum verhüllten Verlangen in die Augen zu sehen. Sie spürte deutlich, wie ihre Sicht schärfer wurde und sich ihre Pupillen veränderten.

Sie war sich jeden Zentimeters Haut nur zu bewusst, die sich unter dem störenden Stoff an seinem Körper rieb, während er sie sicher über die Tanzfläche führte. Ihre Haare fielen offen und schwer über ihre bloßen Schultern und es fühlte sich an, als würde Nathan ihr über die erhitzte Haut streicheln, was er vielleicht auch tat, da er sie ja dazu gar nicht berühren musste. Dieser Teufel! Er wusste genau, wie er ihr den Kopf verdrehen konnte, bis sie keines klaren Gedankens mehr fähig war.

Cat lächelte katzenhaft zu ihm auf und benetzte ihre Lippen mit der Zunge, wobei ihr der Blick nicht entging, mit dem er ihr Tun scheinbar gleichgültig beobachtete.
„Mach nur weiter so, Nathan…“, hauchte sie drohend und dann fing der Irisring um ihre Augen Feuer. Heißes Verlangen brandete in ihr auf, das sie beinahe dazu veranlasst hätte, die Hochzeitsgesellschaft zu schockieren, dann wurde die Wildheit durch den beruhigenden Gesang besänftigt, da die Sängerin die Sprache wechselte. Die Luscinia wusste genau, wann ein Wechsel zwischen Beschwörung und Gesang nötig war, bevor jemand innerhalb ihrer Zuhörerschaft darüber noch den Verstand verlor.

Nathan hatte in der Tat seine mentalen Fühler nach Cat ausgestreckt, um die Löwin bei Laune und an ihrem Platz zu halten. An seiner Seite. Ein süffisantes Lächeln umspielte kaum sichtbar seinen attraktiven Mund, als Cat ihn mit rotglühenden Augen und dem gefährlichen Blick des Tiers in ihr ansah. Wenn er so weiter machte, würde garantiert etwas passieren. Da war er sich sicher. Aber niemand hier schwebte in Gefahr und er selbst lachte ihr einfach ins Gesicht. Ganz so wie sie es am liebsten hatte, da sie dann am ehesten jegliche Deckung fallen und ihren aufgestauten, leidenschaftlichen Gefühlen freien Lauf ließ. So kam sie am ehesten über die Symptome der Affectio hinweg und konnte nach ausreichender Befriedigung müde, satt und äußerst zufrieden schlafen.
Natürlich musste er auf sie beide achtgeben, da sie hier immer noch auf einer Feierlichkeit und nicht unter sich waren. Ganz herauskommen durfte das wilde Tier natürlich nicht. Aber er hatte seine Soulmate gut unter Kontrolle. Trotzdem hatte er besitzergreifend eine Hand auf ihr Kreuz gelegt, während er die andere mit ihrer zu Führungszwecken verschränkt hielt. Es machte in höchstem Maße Spaß, mit ihr zu tanzen. Besonders wenn sie so anschmiegsam und willig war wie in diesem Augenblick. Cat würde ihm nichts tun. Die Drohungen gehörten zu nur zu ihrem gemeinsamen Spiel.

° ° °

Nico unterdrückte ein leises Wimmern, während die wunderschöne Sängerin die geheimnisvollen Worte in die sinnliche Melodie einwebte. Ihr Kopf lehnte schwer gegen Brocks Brust, wobei sie unter halb gesenkten Lidern das Gesicht der Frau studierte, die im Scheinwerferlicht stand und überirdisch schön erschien. Ihre Pupillen weiteten sich und ihr schien die Luft zum Atmen zu fehlen. Gebannt verfolgte sie die sanft fließenden Bewegungen der schmalen Hände der Sängerin, die einen geheimnisvollen Tanz aufzuführen schienen. Ihre Nägel waren lang und genauso blutrot wie ihre vollen Lippen. Die einzige Farbe an ihr, da ihre Haut ebenfalls blass war, beinahe so blass wie ihre eigene.

„Sie ist… so… wunderschön…“, flüsterte Nico ergriffen und sehnsüchtig, da sie davon überzeugt war, Damon auf diese Weise für sich einnehmen zu können. Wenn sie so wäre wie diese geheimnisvolle Frau. Aber sie besaß leider keine solch betörende Stimme. Und das Schlagen der Trommel war viel kraftvoller und wenn sie sich in dem daraus resultierenden Entrücken verlor, dann wurden ihre Gesten wild und unkontrolliert, so dass sie niemals die Eleganz dieser Künstlerin ausstrahlen könnte.

Brock hinter ihr, riss sich von dem betörenden Anblick auf der Bühne los, als er diesen Tonfall hörte, der von Nicos Unsicherheit kündete. Er nahm ihre linke Hand in seine und hob sie zu sich an die Lippen an, um ihr einen Kuss auf die Knöchel zu hauchen, wie er das gestern Nacht auch getan hatte.
„Genau wie du, Nico… Und das ganz ohne Magie und Musik, glaub mir ruhig.“, sagte er ernsthaft, ohne seinen sonst eher frotzelnd klingenden Tonfall zu benutzen.

Nico krallte ihre Finger unwillkürlich in den Stoff seines Jacketts, da sein Arm immer noch um ihre Taille lag und ihr Unterarm auf seinem ruhte. Sie drehte den Kopf zu ihm hoch, so dass sie ihn unter schweren Lidern immer noch atemlos einen hoffnungsvoll unsicheren Blick zuwarf, wobei ihre Lippen sich teilten, als wollte sie ihm gleich widersprechen.
Brock schluckte schwer und war froh, dass die Musik in diesem Augenblick etwas an Eindringlichkeit verlor, sonst hätte er bestimmt seinen Kopf verloren und etwas gemacht, was ihn wirklich in Teufelsküche gebracht hätte. Er biss die Zähne zusammen und ließ seine Kiefer aufeinander mahlen, um nicht dem Impuls nachzugeben und seine Herrin zu küssen. Sie war nicht ganz bei Sinnen, das konnte er spüren und noch viel mehr. Das ausgetauschte Blut verband sie tatsächlich miteinander, er würde vermutlich immer spüren, wenn sie etwas ängstigte oder beunruhigte.

° ° °

„Sieh sie dir an. Das Mädchen scheint vernünftig geworden zu sein.- Endlich.“
Rys entging ebenfalls nicht, wie vertraut Rebeka mit dem jungen Lancaster umging. Da hatten sich offenbar zwei vor ihrer Zeit gefunden. Es würde noch eine Weile dauern, bis Rebeka für die Umwandlung bereit sein würde. Theodor schien sich trotz Vollmond und Sirenengesang nicht daran zu stören. Sicher und beinahe zärtlich wie ein Liebhaber führte er Romys glückselig lächelnde Schwester beim Tanz und strahlte dabei eine ähnlich beständige Ruhe aus, die Nathan verinnerlicht hatte und höchst selten ablegte. Die würde der Enforcer auch brauchen, sollte sich die Kleine tatsächlich als seine Soulmate herausstellen. Sie schienen immerhin etwas gemeinsam zu haben. Rys wusste zwar nicht, was einen ausgerechnet mit Bekky verbinden könnte, aber irgendetwas musste es ja wohl sein. Vielleicht die Vorliebe für Tätowierungen? Rys glaubte beim Essen ein kleines, rotes Sternchen hinter Rebekas linkem Ohr ausgemacht zu haben, das sie geschickt mit einer ihrer Löckchen verdeckt hielt. Ein Andenken vom Sonnenkönig? Immerhin war sie gestern Nacht dort gewesen. Aber da hatte er sich sicher getäuscht. Bekky war mehr Hasenfuß als er. Sie würde sich niemals freiwillig für die Ewigkeit stechen lassen. Das tat er schließlich auch nicht. Das Piercing hatte er nur, weil er eine Wette gegen Damon verloren hatte und dies der Einsatz gewesen war. Die schlimmste Nacht seines Lebens.

„Es würde sicherlich auch helfen, wenn du ihr nun hin und wieder die Freiheit lässt, selbst zu entscheiden, statt sie zu ärgern und zu bedrängen, Chryses.“ Tiponi lächelte wissend zu ihm herauf und sein pikierter Kriegerblick, den er mit seinem großen Bruder gemeinsam hatte, ließ sie leise lachen.

Er konnte sie mit seiner eigentlichen Sorge um Romys Schwester nicht täuschen. Immerhin hatte ihre Familie eine bewegte Vergangenheit. Er täuschte seine Verärgerung nur vor. Niemals wäre es zu der heutigen Verbindung gekommen, wenn Rebeka oder Theron gefehlt hätten. Zwar mochte man sich mit der einen Hälfte der Familie besser verstehen als mit der anderen, aber es war Familie, Rebeka gehörte dazu und sie würde ihren Platz in den Reihen der Immaculates schon finden. Tiponi sah sie ganz klar als Frau des Enforcers mit einem Haufen entzückender, blonder Babys, die sie so sehr auf Trab halten würden, das sie nie wieder herum zu jammern gedachte.
Der Gedanke an Kinder ließ sie in die andere Richtung zu Theron blicken, der sich tanzend mit Romy unterhielt und dessen Züge längst nicht mehr so angestrengt aussahen wie beim letzten Vollmond, als sie sich noch unter dem Dach dieses Hauses einer Meinungsverschiedenheit hingeben hatten. Wenn sie endlich Gewissheit hatte, was das Schicksal neben dem plötzlichen Auftreten ihrer neuen Fähigkeit bereit hielt, würden sie Pläne diesbezüglich treffen. Sie würden ebenfalls Kinder haben und mindestens eines von ihnen würde zum Krieger berufen werden wie sein Vater. Das fühlte sie schon jetzt. Sein starkes Blut in ihren Adern versicherte es ihr.

„Achte gut auf ihn, Tri’Ora. Mehr verlange ich nicht von dir. Mach ihn einfach nur glücklich.“
Rys hatte sich ein klein wenig zu ihr heruntergebeugt und flüsterte ihr diskret ins Ohr, obwohl alle um sie herum zu versunken waren um zu lauschen. Tiponi fühlte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief.

„Das werde ich, Krieger. Das werde ich.“
Es erfüllte sie mit stolzem Ehrgefühl, ohne Fragen oder Argwohn von Chryses an der Seite seines Bruders akzeptiert zu werden. Anders als früher, schien er mit Romy als Gefährtin ganz in dieser Soulmatesache aufzugehen. Wenn sie Theron nur halb so glücklich machen und dafür sorgen konnte, dass er zeigte, was er fühlte, wenn es notwendig war, dann würde auch ihre Verbindung wahrhaftig gesegnet sein.

° ° °

Damon hatte keine Lust auf Spielchen. Dieser Brock fand für seinen Geschmack viel zu sehr Gefallen an dieser Herrin-Geschichte. Das stieß dem Krieger wiederholt sauer auf. Und Nico war entweder plötzlich in höchstem Maße freigiebig mit ihren Gefühlen oder in höchstem Maße vom Vollmond beeinflusst. Was auch immer sie dazu brachte, diesen Cop so anzusehen, hätte Damon ihr gerne ausgetrieben. Genauso wie den fremden Geruch, der ihrem Körper anhaftete und den er unbedingt mit seinem zu überdecken gedachte. Je schneller desto besser.
Sie gehörte ihm. Ihm allein und kein Wolf der Welt hatte das Recht, Nico von ihm zu distanzieren oder sie für sich einzunehmen. Das würde Damon ihm notfalls auch mit Gewalt einbläuen. Die offensichtlich stattgefundene Umwandlung hatte rein gar nichts zu bedeuten. Damon war Nicos Soulmate. Daran bestand kein Zweifel. Sollte sie bisher keine ausreichenden Gefühle für ihn gehabt und deswegen die Intimität mit Brock gesucht haben, damit er sie gehen ließ, dann würde er sie zu ihrem Glück zwingen und ihren neuen Bewacher ins absolut Leere laufen lassen.

Nie zuvor hatte Damon solch eine Eifersucht in sich verspürt. Nie zuvor hatte er auch nur eine Sekunde ernsthaft daran verschwendet, dass sich ein Mädchen beziehungsweise die Frau seiner Wahl von ihm ab und einem anderen zu wenden konnte. Brocks und Nicos Blicke sprachen aber für sich. Da hatten sich gestern Zwei kennen gelernt und gefunden, wie es schien. Damon selbst verschmolz mit dem Hintergrund, wurde mit Belanglosigkeiten abgespeist wie beispielsweise die nichtige Unterhaltung beim Essen vorhin. Nico war erst aufgetaut, als ihr persönlicher Sklave sie mit zuckersüßen Worten mit ebenso süßen Cocktailkirschen fütterte. Dafür hätte Damon ihn am liebsten gewürgt. Nico brauchte keine Kirschen. Nico brauchte Blut. Heute Nacht mehr denn je. Wie fütterungsfreudig war der neue Leibwächter, wenn es darum ging, diese Art von Lust zu stillen?

Damon grollte wuterfüllt in Richtung des neuen Pärchens. Diesen Gedanken hätte er sich nicht gestatten dürfen. Wölfe waren bis zum Tod in höchstem Maße ergeben. Sie würden alles tun, was ihre Herrin verlangte und nicht eine Sekunde zögern, ihr alles von sich zu geben.
Nun ja, das Meiste hatte Nico schon letzte Nacht bekommen. Niemals hätte Damon das für möglich gehalten. Niemals und doch… Nico klammerte sich an Brock, als könne er sie davor bewahren, zu fallen, an ihren schrecklichen Visionen zu zerbrechen oder auch sonst vor jeglichem Leid, das ihr widerfahren könnte, beschützen. Also genauer gesagt vor ihm. Vor Damon. Vor dem Krieger, der sich solche Mühe gegeben hatte, es ihr recht zu machen, aber offensichtlich als einziger in der Runde hier nicht Mann genug war, um zu genügen.
Zwischen den beiden schien ganz offenbar viel mehr als die bloße Verbundenheit durch das Blut zu liegen. Das durfte nicht sein. Das konnte nicht sein.

Damon sparte sich den Champagner, den man ihm anbieten wollte, um sich die Zeit des Nichttanzens angenehm zu vertreiben, für eine spätere Gelegenheit auf. Er wollte in diesem Moment glasklar bleiben. Er wollte, dass er die Antwort auf seine Frage, warum Nico daran dachte, ihn zu verlassen, ganz genau mitbekam. So wie alles andere um ihn herum. Sollten seine Brüder Brock aus irgendeinem Grund zu Hilfe eilen, dem Damon sicher nicht ohne Grund eine knallen würde, da er von Seiten seiner Eltern immerhin als englischer Gentleman und nicht als Bauernbrut erzogen worden war, wollte er rechtzeitig Schlimmeres vermieden sehen. Schließlich war das hier eine Hochzeit. Man prügelte sich nicht auf einer solch feierlichen Zeremonie. Auf der letzten war schon genug für die Zukünftigen geflossen. Sein Blut.
Auch das hatte Nico offenbar schon längst in Brocks Armen vergessen.

„Entschuldigung, bitte!“ Damon materialisierte sich direkt hinter Nico, packte sie mehr oder weniger galant um die Taille und zog sie von Brock weg, ohne auf den Laut der Überraschung zu achten, der ihrem hübschen rotgeschminkten Kussmund entschlüpfte.

„Ihre Dienste werden heute Abend nicht mehr benötigt.“
Wenn sie unbedingt küssen wollte, dann ihn und niemanden sonst. Sobald sie wieder sicher auf den ausnahmsweise mal hohen Absätzen ihrer entzückenden Schuhe stand, drehte er sie zu sich herum, sah sich zunächst mit den üppig gepushten Brüsten konfrontiert, die sich bei jedem schnellen Atemzug heftig über dem Fischbein hoben und senkten und dann mit ihrem kokett erwartungsvollen Schlafzimmerblick, der ihm ein weiteres Grollen entlockte und ihn dazu brachte, Brock noch einmal so gleichgültig wie möglich für seine Begleitung der Sophora zu danken. Mit heiser belegter Stimme. Er durfte nicht zu zornig klingen, um ja keine Szene heraufzubeschwören.

Hochzeit, Damon. Denk daran, es ist eine Hochzeit. Das Orakel ist anwesend und du möchtest dein Leben schon noch eine Weile genießen. Vorzugsweise mit dieser Frau hier, sofern du sie dazu bringen kannst, sich dem Wolf zu entziehen.

Brock verzog keine Miene, als der kecke Bursche plötzlich vor ihnen auftauchte und Nico in einer verwegenen Geste an sich zog, die direkt aus „Vom Winde verweht“ hätte stammen können. Nur seine Augen glommen amüsiert auf, was er aber geschickt verbergen konnte, weil Nicos Freund nicht besonders auf ihn achtete. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, die Auslage zu bewundern.
Nach ihrem erstauntem Ausruf zu urteilen, hatte sich der Kleine noch niemals so verhalten, was Brock eindeutig als gelungene Mission für sich verbuchen würde. Hatte Cat ihm eigentlich eine Belohnung versprochen? Er sollte sie später zum Tanzen auffordern, um diese Option zu besprechen. Vorerst würde er das holde Paar im Auge behalten, bis er sicher sein konnte, wirklich Erfolg auf der ganzen Linie verbucht zu haben. Das war immerhin sein Job, oder nicht?

Gebieterisch und mit eisernem Gesichtsausdruck sah Damon auf Nico herab. Brock, der immer noch ein Auge auf seine Herrin hatte, geflissentlich ignorierend. Er würde jetzt mit Nico tanzen. Ob sie nun lieber mit ihrem Wolf hätte tanzen wollen, interessierte ihn herzlich wenig. Mit einer Geste, die keinen Widerstand gegen ihn dulden würde, zog er die überraschend geschmeidige Nico erneut in seine Arme und dann auf die Tanzfläche zu den anderen Paaren.
Diesmal gab er sich keine Mühe, seine empfundene Leidenschaft vor ihr im Zaum zu halten. Er tanzte nicht mit ihr, als wäre sie zerbrechlich. Im Gegenteil. Seine Augen brannten feurig rot. Leuchtend wie die unglaublich sündige Farbe ihres Kleides. Seine Führung war nachdrücklich und direkt, ohne dass er sich zu allzu intimen Gesten hinreißen ließ. Er war schon immer ein guter Tänzer gewesen und er hatte das Sagen. Er war in diesem Augenblick ihr Herr und Meister. Der Titel der Sophora just in diesem Moment nichtig und Nico nur die Frau, die ihm ohne wenn und aber auf dem Tanzboden zu folgen hatte. Es war ihm egal, welche Kräfte in ihr schlummerten und das sie mit Leichtigkeit den Spieß hätte umdrehen können, wenn ihr die Sache zu viel wurde.

Vielleicht war er zu nachsichtig mit ihr gewesen. Oder er hätte mehr Beweise seiner Liebe erbringen müssen, wenn sie immer noch an seiner Standhaftigkeit zweifelte. Wenn ihr der Stich der Sichel doch nicht genug gewesen war und sie nach ihrer Umwandlung nicht mehr an sie beide glaubte.
Aber war es nicht ihr gutes Recht an jemandem wie ihm zu zweifeln? Hatte er ihr nicht Grund genug gegeben, sich nun nach erhaltener Macht einem anderen zuzuwenden? Was konnte er ihr schon bieten? Er war der Jüngste und zweifellos Unbeständigste der Krieger. In ihr hatte er gehofft, seine Ruhe und seine Kraft wiederzufinden. Stattdessen hatte er sich in den vergangenen Wochen beinahe selbst aufgegeben und erneut das Risiko auf sich genommen, auf der Jagd verletzt zu werden. Bei jedem Schritt und jeder Drehung mit Nico in seinem Arm waren ihm die Schmerzen in seiner Seite nur allzu bewusst und das verhinderte vermutlich Schlimmeres. Ganz in der Musik und dem Gesang der Nachtigall aufzugehen, war gefährlich. Besonders dann wenn man die reinste Versuchung in den Armen hielt.

Ein erneuter Blick zu Damon herauf ließ jeden Gedanken an Brock oder andere Hochzeitsgäste in Nicos Kopf zu Staub zerfallen, da sie sich einem Damon gegenübersah, den sie kaum wieder erkannte. Hatte er sie jemals so angesehen? Ihr Herz klopfte zum Zerspringen und irgendwie verspürte sie das Bedürfnis, sich für nicht begangene Schandtaten zu entschuldigen.
Habe ich etwas falsch gemacht?
In ihrem Kopf drehte sich alles und sie ergab sich seiner unmissverständlichen Führung, ohne den faszinierten Blick von ihm lassen zu können. Seine Augen glühten und Nico versank in dem Blick, obwohl sie nicht zu glauben wagte, sie hätte ihn irgendwie dazu veranlasst, sich auf diese Weise zu verhalten. Wir tanzen nur… Es hat sich nichts geändert… Du bist immer noch dieselbe.
Der zauberhafte Gesang durchdrang jede Faser ihres Körpers und verstärkte die Empfindungen, die seine harmlosen Berührungen in ihr auslösten, beinahe bis ins Unerträgliche.
Nico wollte so viel sagen, doch ihr fehlte die Luft zum Atmen, sie war eine Gefangene der aufwallenden Affectio, die nun ihren Höhepunkt erreichte und sie nur zu bewusst empfinden ließ, nicht alles für ihn sein zu können. Die Umwandlung Brocks hatte daran nichts geändert, da sie mehr als er genommen hatte. Er musste schließlich bis zur Todesgrenze ausgeblutet werden und sie im Gegenzug viel weniger für ein neues Leben geben. Es hätte sie vielleicht geschwächt, wenn sie Damon nicht regelmäßig genährt hätte. Sie hätte so gern die Freude mit ihm geteilt, ein neues Leben geschenkt zu haben. Sie hatte doch schon so viele verloren…

Damon nutzte die Gelegenheit, als nur das Orchester spielte, um Nico nach draußen auf den dunkel daliegenden Flur zu führen, der nur von ein wenig Kerzenlicht und den Strahlen des weißen, runden Mondes durch die hohen Glasfenster erhellt wurden. Die Musik begleitete sie hinaus und war dort immer noch gedämpft zu vernehmen. Unglaublich romantisch, wäre er nicht verletzt und im Grunde unglaublich wütend. Nicht auf Nico sondern auf die gesamte Situation. Brock machte seine Anwesenheit überflüssig. Seinen Schutz, obwohl Nico jeden brauchen konnte, der auf sie aufpasste. Allerdings sollte es dann jemand sein, der keine Hintergedanken hatte und der auch keine in seiner Soulmate auslöste.
Ohne etwas zu sagen, hob er beide Hände in ihren Nacken und löste das Band um ihren Hals. Achtlos ließ er es zu Boden fallen, sah ihr sekundenlang mit unbestimmtem Ausdruck in die Augen. Dann packte er sie plötzlich mit festem Griff an beiden Oberarmen, presste ihren kleinen festen Körper erneut an sich, stieß einen grollenden Laut aus und biss ihr kräftig ohne Vorankündigung in den Hals, um endlich, endlich zu trinken. Dabei hüllte er sie komplett in eine dicke, dichte Wolke seines Duftes, mit dem er ihr den Wolf im Leib auf relativ humane Art und Weise auszutreiben gedachte.

Nico konnte nicht in ihrem Zustand nicht schnell genug reagieren, sie war zu langsam, um den fallenden Schmuck aufzuhalten. Sie sah verständnislos zu Damon auf, weil sie nicht verstand, was er damit bezweckte. Der hübsche Anhänger, sie wollte ihn nicht verl
Bevor sie auch nur seinen Namen äußern konnte, hatte er sie an den Armen gepackt und so fest an sich gezogen, dass ihr der Atem wegblieb. Ein lang gezogenes Aufstöhnen entschlüpfte ihren aufgeworfenen Lippen, als seine Zähne sich beinahe schon unangenehm schmerzhaft in ihren Hals gruben und dann wurden ihr die Knie schwach, als er die ersten tiefen Schlucke nahm und sie in eine schwere Wolke seines Duftes eingehüllt wurde. Nico schnappte nach Luft, tat es wieder und wieder, während ihr Kopf schwer zur Seite fiel und sie sich dem ersehnten Ansturm ergab, der sie bis ins Mark erschütterte.

„Damon… oh, Damon…“, hauchte sie mit hingebungsvoll klingender Stimme, während ihre Hände Halt auf seinem Oberkörper suchten. Sie klammerte sich in den unnachgiebigen Stoff seiner Uniformjacke, schob sie ungeduldig zur Seite, weil die Wärme seiner Haut sie lockte, sie wollte ihn spüren, während er endlich - endlich - seinen Hunger stillte.
Das hatte sie sich so sehr gewünscht, dass ihn die Gier überkam und er nicht mehr fähig war, sich zurückzuhalten, weil er sie so sehr wollte, dass er keine Rücksicht mehr auf ihre zarte Konstitution nehmen konnte. Freudige Erregung schoss einer Fontäne gleich in ihr hoch, die ihr beinahe die Tränen in die Augen trieb.

. . .

Brock zog sich gerade wieder in den Festsaal zurück, nachdem er einen kurzen Blick auf die Szene riskiert hatte, die sich im Flur abspielte, wobei ihm die neu gewonnen Sehschärfe in der Dunkelheit mehr Details lieferte, als gut für ihn war. Er hatte schon genug Stoff bekommen, der seine Fantasie anregen würde, als er letzte Nacht diese ziemlich intimen Momente mit Nico verbracht hatte. An der Stelle ihres Kriegers hätte er sich eine geballert, am Kragen und am Hosenbund gepackt und in hohem Bogen in den malerischen See draußen geworfen. Selbst diese besondere Aufgabe und die nötige persönliche Umwandlung hätte ihn nicht von einem Racheakt abgehalten. Wenn er eine Frau für sich beanspruchte dann mit Haut und Haaren und wehe, ein anderer Kerl wagte es, sich ihr zu nähern, selbst wenn sie ihm bis zum Erbrechen schöne Augen gemacht hatte und solange mit den Wimpern geklimpert hatte, bis der andere gar nicht mehr konnte. Pech für den Konkurrenten.

Brock hatte ein sehr altmodisches Verständnis von Partnerschaft und wusste nun auch, worauf das gründete. Es klang sehr nach Macho, doch darum ging es gar nicht. Er wollte Frauen schließlich nicht unterdrücken, aber eben untrennbar an sich binden. Nico brauchte diese Art der Bestätigung, da konnte wohl selbst ein alter Krieger noch von ihm lernen. Brock grinste zufrieden in sein Glas hinein, während er die schwere Tür hinter sich zuzog. Seine Dienste wurden schließlich nicht mehr gebraucht. Vorerst jedenfalls nicht, so dass er ein paar Tänze mit den anwesenden Grazien riskieren konnte. Er wollte unbedingt ausprobieren, ob er es schaffen konnte, Devena Flavia zu führen.