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Allmählich verließen sie die Innenstadt und gelangten in ein Gewerbegebiet mit flachen Bürohäusern, Lagerschuppen und unbebauten Grundstücken. Die beiden SUV bogen an einer Kreuzung auf den umzäunten Hof eines Bauunternehmens ein. Parkes’ Männer sprangen aus den Wagen und begrüßten sich mit Handschlag und Triumphgeheul. Justus rannte zu seinen Kindern.
Carver ließ ihnen ein paar Sekunden Zeit, damit Justus sich überzeugen konnte, dass ihnen nichts passiert war. Dann fasste er ihn an der Schulter und sagte: »Ich muss mit Ihnen reden.«
»Klar, sicher!«, sagte Justus. »Ich kann kaum glauben, dass Sie uns rausgeholt haben. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
Carver verzog das Gesicht. »Tja, ich schon. Das ist das Problem.«
»Alles, was Sie wollen. Nur raus damit.«
»Ich möchte, dass Sie Canaan und Farayi Sonny Parkes da drüben anvertrauen. Er wird sie sicher außer Landes bringen. Ich weiß, Sie möchten eigentlich bei ihnen sein. Wenn Sie darauf bestehen, sie zu begleiten, verstehe ich das natürlich. Aber ich brauche wirklich Ihre Hilfe.«
Justus’ Überschwang erlosch. »Was verlangen Sie?«
»Mabeki hat Zalika Stratten. Ich weiß, das klingt wie ein schlechter Witz. Die erste Entführung war ein Unglücksfall, die zweite sieht nach Nachlässigkeit aus. Und ich war tatsächlich nachlässig. Die Sache ist meine Schuld. Aber Tatsache ist, dass er sie in seiner Gewalt hat, und ohne Ihre Hilfe, habe ich keine Chance, sie zu befreien.«
Justus vergeudete keine Zeit mit dem Versuch, Carver zu beruhigen. Er kam sofort zur Sache. »Wo ist sie?«
»Ich vermute, dass er sie in das ehemalige Stratten-Reservat gebracht hat. Ich bin mir sogar ganz sicher.«
»Aber Sie wissen es nicht?«
»Nein.«
»Und Sie brauchen mich, weil …?«
»Weil Sie sich dort auskennen. Wir müssen unbemerkt zum Haus gelangen und dann über die Grenze fliehen.«
»Es ist lange, sehr lange her, dass ich dort gearbeitet habe. Da hat sich bestimmt vieles verändert.«
»Mag sein, aber Sie wissen trotzdem mehr über die Gegend als wir anderen. Und das Land selbst hat sich nicht verändert. Sehen Sie, mir ist klar, dass das eine große Bitte ist. Aber ich rechne nicht damit, dass Sie in einen Kampf verwickelt werden. Ich habe kein Recht, Ihr Leben aufs Spiel zu setzen.«
»Sie wollen also, dass ich mitkomme, aber Sie verweigern mir die Chance zu kämpfen?«
Carver brauchte eine Sekunde, um den leisen Humor herauszuhören.
»Sie werden es also tun?«
»Natürlich. Ich stehe in Ihrer Schuld. Ich muss es tun. Und nicht nur Ihretwegen. Wegen Leuten wie Mabeki ist meine schöne Nyasha tot, die Liebe meines Lebens. Ich will sie rächen.«
»Ganz sicher? Ihre Kinder haben schon die Mutter verloren. Ich will nicht, dass sie auch noch den Vater verlieren.«
»Sie sind jetzt fast erwachsen und werden bald ihr eigenes Leben führen, ob ich bei ihnen bin oder nicht. Sollen sie lieber an einen Helden zurückdenken als mit einem Feigling leben.«
»Dann sollten Sie besser gehen und ihnen das sagen. In ein paar Minuten sind sie schon auf dem Weg zur Grenze. Wenn alles gut geht, werden sie uns zusammen mit Zalika in Empfang nehmen. Auf jeden Fall wird die Rechnung heute Nacht beglichen.«
Justus nickte und ging zu seinen Kindern, während Parkes zu Carver kam.
»Er hat sich bereit erklärt?«, fragte er.
»Ja.«
»Und Sie wollen das lediglich zu zweit durchziehen? Denn wenn Sie wollen, dass ich oder einer meiner Männer –«
»Danke, aber mir ist lieber, Sie sorgen für die Kinder und bringen sie lebend außer Landes. Ich habe ihnen die Ausbildung bezahlt. Ich will nicht erleben müssen, dass ich mein Geld zum Fenster rausgeworfen habe.«
Parkes lächelte. »Ja, das ist ein Grund. Keine Sorge, wir schaffen sie heil hier raus. Haben Sie sich wegen der Waffen entschieden? Ich hab noch ein paar volle Magazine für eine AA-12, wenn Sie sie wollen.«
»Nein, danke. Hier ist mehr Präzision als Feuerkraft vonnöten.«
»Stimmt, aber ich dachte, ich frag trotzdem, falls Sie nach der kleinen Vorführung vorhin Ihre Meinung geändert haben. Also, ich habe Ihnen zwei M4-Karabiner mit Schalldämpfer und je drei Dreißiger-Magazinen besorgt. Die nehmen wir bei solchen Operationen, und das Resultat schmeckt uns. Ich habe auch eine M11 für Sie. Hörte gerüchteweise, dass Sie die bevorzugen. Mit Schalldämpfer natürlich.«
Carver nickte. »Danke.« M11 war die amerikanische Bezeichnung für die Sig Sauer P226. »Ich fühle mich immer wohler, wenn ich eine dabeihabe.«
»Ich persönlich habe gern ein gutes Messer bei mir«, sagte Parkes. »Vorzugsweise ein Bowiemesser mit schwarzer Klinge aus Kohlenstoffstahl. Ich habe angenommen, dass Sie und Mr. Iluko auch so denken. Sie können sie vielleicht gebrauchen.«
Bei dem Gedanken, jemandem damit die Kehle durchzuschneiden, verzog Carver das Gesicht. Das war eine entsetzlich intime Art, einen Menschen zu töten. Aber Parkes hatte recht: Leiser und effektiver ging’s nicht.
»Die Ausrüstung ist da drüben im Defender«, sagte Parkes und deutete mit dem Kinn auf einen staubigen, olivgrünen Land Rover. »Er ist vollgetankt und hat einen zusätzlichen Reservekanister für alle Fälle. Ob Sie’s glauben oder nicht, der Sprit war schwerer zu beschaffen als die Waffen. Außerdem haben Sie Wasser, Proviant und eine Winde für die vordere Stoßstange, falls Sie sich mal irgendwo rausziehen müssen.«
»Scheint, Sie haben an alles gedacht.«
»Schließlich wollen Sie die Nichte meines Chefs rausholen. Da ist das Beste gerade gut genug, hm?«
»Ich weiß das zu schätzen. Danke.«
»Keine Ursache«, sagte Parkes. »Also, ich mache mich jetzt besser auf den Weg. Das Flugzeug wartet.«
Er wandte sich zum Gehen und hielt noch einmal inne.
»He, Carver … viel Glück.«
»Danke«, sagte Carver, »aber eins haben Sie wohl doch vergessen.«
»Was?«
»Kaltes Bier. Das sollten Sie bereithalten, wenn ich heute Nacht über die Grenze komme.«
»Verlassen Sie sich drauf«, sagte Parkes.