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Zalika Stratten hoffte weiter auf Rettung vonseiten ihres Vaters. Später würde er ihr wie immer mit seinen kräftigen braunen Fingern, die rau wie Baumrinde waren, durch die Haare wuscheln und sagen: »Nimm dir nicht so sehr zu Herzen, was Mummy sagt. Sie meint es gut. Sie macht sich nur Sorgen um dich, mehr nicht.« Aber Zalika wollte kein »Später«. Er sollte jetzt eingreifen und sagen: »Hör auf, Jacqui, es reicht.«

Dick Stratten herrschte über ein großes Reich – er besaß nicht nur das Reservat, sondern auch Farmen und Viehzuchtbetriebe im ganzen Land, und viele Menschen waren, was ihre Arbeit, ihre Familien, sogar was das unmittelbare Sattwerden betraf, von ihm abhängig. Wieso konnte er seine eigene Frau nicht im Zaum halten? Wieso musste er dasitzen, an seinem Lammkotelett kauen und absichtlich aus dem Fenster schauen, um den Streit, der neben ihm vonstattenging, zu ignorieren?

Und warum wollte ihre Mutter sie nicht einfach in Ruhe lassen?

»Im Ernst, Liebling«, sagte Jacqui Stratten, »es tut dir doch nicht weh, wenn du ab und zu mal ein hübsches Kleid anziehst. Wenn du ein Mal diese garstigen Turnschuhe nicht anziehst und stattdessen Absätze trägst oder eine Winzigkeit Make-up auflegst, das würde schon so viel ausmachen. Du hast so schöne blaue Augen. Sie sind das Hübscheste an deinem Gesicht, doch niemand wird sie bemerken, wenn du sie nicht ein bisschen betonst. Und was deine Haare angeht: René fragt mich immer wieder, wann ich dich in den Salon mitbringe. Er würde dir gern ein paar Strähnchen machen. Er sagt, das würde dich geradezu verwandeln.«

»Ich will keine Strähnchen«, fauchte Zalika. »Stundenlang dasitzen, mit Alufolie in den Haaren, und sich zu Tode langweilen, während dieser schreckliche Kerl mit seinem unechten französischen Akzent um einen herumzappelt – das ist doch die Hölle.«

»Wenn du so weitermachst, wirst du nie einen Freund abkriegen, das steht fest«, erwiderte ihre Mutter.

»Ich will auch gar keinen.«

»Ach, sei nicht albern. Du bist ein siebzehn Jahre altes Mädchen; natürlich willst du einen Freund. Als dein Bruder so alt war, war er von Mädchen umringt. Allerdings ist es Andrew nie schwergefallen, sich von seiner besten Seite zu zeigen.«

Zalika verdrehte die Augen. »Fängst du schon wieder von meinem ach so perfekten Bruder an …«

»Nun, du hast ja gesehen, wie viele Briefe er bekommen hat, seit er von New York zurückgekehrt ist, alle von Mädchen. Meine Freunde reden nur noch davon, welchen Eindruck er gemacht hat. Jedes hübsche Ding in Manhattan wollte ihm vorgestellt werden.«

»Du lieber Himmel, Mummy, weißt du überhaupt nicht, wie Andy eigentlich ist? Er wird diesen blöden Amerikanerinnen Geschichten erzählen, dass er auf Safaris geht, wo er angeblich auf Elefanten reitet und mit bloßen Händen Löwen erlegt, und dann träumen sie alle nur davon, dass er sie nach Afrika mitnimmt, und überlegen sich, was sie dazu einpacken werden. Und sobald er einer an die Wäsche durfte, erzählt er einer anderen die gleiche Geschichte. Das macht er immer. Tu nicht so, als hättest du das noch nicht mitbekommen.«

»Ehrlich, Zalika, du redest manchmal kompletten Unsinn. Und du solltest zu deinem Bruder nicht so gemein sein. Schließlich ist er es, der hart gearbeitet hat, um an der Columbia Business School einen Platz zu erhalten. Angesichts deiner letzten Zeugnisse kannst du von Glück reden, wenn du deinen Abschluss schaffst. Dabei bist du wirklich nicht dumm. Wenn du nur wolltest, könntest du glatt –«

»Das Flugzeug!«, schrie Zalika ihre Mutter ignorierend und schaltete so schnell, wie es nur ein Teenager kann, von wütender Empörung auf höchstes Entzücken. Sie sprang auf, rannte nach draußen die Stufen der schattigen, schilfgedeckten Veranda hinab und sauste auf langen, schlanken, karamellbraunen Beinen über den sattgrünen Rasen, während Jacqui Stratten hinter ihr herrief: »Zalika, Zalika! Komm sofort an den Tisch zurück!«

Frustriert durch das plötzliche Verschwinden der Tochter wandte Jacqui sich ihrem Gatten zu. »Dieses Kind bringt mich noch ins Grab. Und du hättest mir beipflichten können, Liebling, anstatt nur dazusitzen und dich vollzustopfen, während deine Tochter so ungezogen war.«

Dick Stratten erwiderte nichts. Er hatte längst gelernt, dass es Situationen gab, wo ein Ehemann schweigen sollte, weil er sowieso nicht das Richtige von sich geben würde. Es war das Beste, seiner Frau nicht zu widersprechen, damit sie sich die Dinge von der Seele reden konnte.

Draußen auf dem Rasen blieb Zalika abrupt stehen und drehte sich zu ihren Eltern um, die weiter bei ihrem Mittagessen saßen. »Da!«, rief sie und zeigte zum Himmel. »Könnt ihr es sehen? Da kommt Andy! Er ist aus Buweku zurück! Er hat Moses abgeholt!«

Stratten runzelte die Stirn, während er dem ausgestreckten Arm seiner Tochter folgend zum Horizont spähte.

»Meine Güte, das Mädchen hat recht«, sagte er. »Ich werde noch blind auf meine alten Tage.«

Nun stand auch er auf und trat an das Geländer der Veranda. Seinen Bewegungen sah man sofort an, dass von Altersschwäche keine Rede sein konnte.

»Ach, so schlecht siehst du doch gar nicht … wenn man dein hohes Alter bedenkt«, neckte Jacqui.

Sie hatten sich kennengelernt, als Dick dreißig und sie ein junges Mädchen von achtzehn Jahren gewesen war, nur ein Jahr älter als Zalika jetzt. Seine Familie und Freunde, lauter Stützen der malembischen weißen Oberschicht, waren entsetzt gewesen: Sie war viel zu jung und vor allem viel zu gewöhnlich für den Erben der Strattens. Dick kümmerte es nicht, was die anderen dachten. Seine Weltsicht war mehr vom Gesetz des Dschungels geprägt als von gesellschaftlichen Konventionen. Was ihn betraf, so war Jacqui Klerk das begehrenswerteste Mädchen, das er je erblickt hatte, und er würde sie zur Frau nehmen. Sechsundzwanzig Jahre später waren sie noch immer zusammen, und die jugendliche Leidenschaft war zu einer lebenslangen Partnerschaft geworden.

»Sei nicht so hart zu ihr«, sagte Stratten.

»Ja, ich weiß«, seufzte seine Frau. »Es ist nur, nun, ich mache mir Sorgen, dass sie sich in ein Mauerblümchen verwandelt. Wenn man sie so anschaut, sieht man nur diesen tristen Haarwust und die große Strattennase.«

»Eine prachtvolle Nase«, betonte Stratten überaus stolz.

»An einem Mann vielleicht, Liebling, aber nicht an einem jungen Mädchen. Zalika heißt zwar auf Arabisch ›wunderschön‹, aber wir müssen einsehen, dass unsere Tochter dem Namen nicht entspricht. Sie könnte aber weit weniger unscheinbar erscheinen, wenn sie wenigstens einen meiner Ratschläge befolgen würde.«

»Ich finde sie überhaupt nicht unscheinbar.«

»Natürlich nicht; du bist ihr Vater.«

»Trotzdem, ich bin sicher, das ist nur eine Phase. Sie versucht herauszufinden, wer sie wirklich ist. Es ist nur natürlich, dass sie ein bisschen rebelliert. Alle Kinder tun das.«

»Andrew nicht.«

Stratten warf ihr einen fragenden, um nicht zu sagen skeptischen Blick zu. »Vielleicht ist es dir bloß nicht aufgefallen. Jedenfalls bist du die schönste und bestgekleidete Frau im ganzen Süden« – Jacqui Stratten sonnte sich in dem liebevollen Kompliment ihres Gatten – »also rebelliert sie gegen dich, indem sie so tut, als würde es sie nicht interessieren, wie sie aussieht. In dem Moment, wo sie einem Jungen begegnet, den sie wirklich mag, wird sich das ändern. Warte nur ab.«

Jacqui dachte darüber nach, während sie zusah, wie Zalika ein paar weitere Schritte über den Rasen ging. Als das Flugzeug näher kam, schwenkte ihre Tochter die Arme über dem Kopf. Kurz darauf waren die Schwankungen der Tragflächen zu erkennen. Zalika jubelte vor Freude, dann rannte sie los und rief über die Schulter: »Ich hole sie an der Landebahn ab!«

Sie verschwand aus dem Blickfeld vor der Veranda. Kurz danach hörte man einen Wagen starten und die Räder auf dem staubigen Schotter knirschen.

Jacquis Gedanken wandten sich den Jungen zu, denen ihre Tochter entgegenlief, ihrem Sohn Andy – wie stattlich er mittlerweile geworden war, dachte sie stolz – und Moses Mabeki, seinem Freund seit Kindertagen, der der Sohn des Gutsverwalters war. Moses sah genauso gut aus wie Andrew, hatte ein fein geschnittenes Gesicht, das durch den rasierten Kopf umso mehr hervorstach, und volle Lippen, die ein kurz geschnittener Bart einrahmte. Doch wie die Hornbrille rings um seine hellen braunen Augen nahelegte, betrieb er sein Studium mit größerem Ernst. Er hatte die Universität von Malemba besucht, bevor ihm eine Promotionsstelle an der London School of Economics’ Department of Government angeboten wurde. Nachdem ihm als Erstem in seiner Familie eine Collegeausbildung vergönnt gewesen war, hatte er nicht die Absicht, seine Zeit mit Mädchen und Partys zu vergeuden.

Dick Stratten hatte es sich nicht nehmen lassen, dem jungen Mann das Schulgeld und den Lebensunterhalt zu zahlen. »Moses ist für mich wie ein Sohn«, sagte er damals zu Isaak Mabeki, dem Vater des Jungen, während sie gemeinsam eine Flasche mit dreißig Jahre altem Glenfiddich leerten, was sie von Zeit zu Zeit taten. Er sprach nicht wie ein Arbeitgeber mit seinem bewährten Angestellten, sondern er redete von Mann zu Mann. »Ich weiß, er wird eines Tages für dieses Land große Dinge vollbringen. Mit deiner Erlaubnis würde ich ihm auf seinem Weg dahin gern unter die Arme greifen. Es wäre mir ein Vergnügen und eine Ehre.«

Moses hatte die vergangenen drei Jahre in London verbracht und war nur gelegentlich zu Besuch nach Malemba gekommen. Jetzt hatte er die Promotion in der Tasche und kam endgültig heim.

Das Dröhnen der Cessna, die niedrig über das Haus hinwegflog und die Landebahn ansteuerte, riss Jacqui Stratten aus ihren Überlegungen. Blinzelnd schüttelte sie den Kopf und dachte: Ja, es ist noch ein wenig Zeit. Dann lächelte sie einer Hausangestellten zu, die ein paar Schritte vom Tisch entfernt wartete. »Den Kaffee bitte, Mary«, sagte sie. »Mr. Stratten und ich werden eine Tasse trinken, bis die Jungs hier sind.«

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