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Der vierundsiebzig Jahre alte Mann, der in dem großzügigen Arbeitszimmer in Sindele hinter dem Mahagonischreibtisch saß, hatte seine Laufbahn als Dorfschullehrer begonnen, in derselben bescheidenen Schule, wo er selbst bei anglikanischen Missionaren seine Ausbildung erhalten hatte. Wäre sein Leben dem vorgezeichneten Kurs gefolgt, wäre Henderson Gushungo nun pensioniert und würde als geachtetes Mitglied seiner kleinen Gemeinde seine Tage unter einem schattigen Baum zubringen, mit den anderen alten Männern plaudern, nörgeln, wie sehr sich die Welt verändert hatte, und sich über seine Enkel freuen.
Gushungo hatte jedoch andere, radikalere Vorstellungen gehabt. Er hatte sich der Widerstandsbewegung gegen die weiße Minderheit angeschlossen, die das Land beherrschte, als wäre es noch immer eine britische Kolonie. Wie Nelson Mandela in Südafrika hatte er seinen Ruf unter seinen Anhängern und Radikalen in der ganzen Welt gepflegt, indem er für seine Überzeugungen ins Gefängnis ging. Aber im Gegensatz zu Nelson Mandela hatte er bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis nicht den Willen zur Versöhnung gehabt, sondern nur an Rache gedacht. Jahrelang hatte er an zwei Fronten gekämpft: in der Öffentlichkeit gegen die Weißen und verdeckt gegen seine Rivalen in der Befreiungsbewegung. Nun hielt er das Schicksal des ganzen Landes in seinen Händen. Als er Premierminister gewesen war, hatte er sich zum Präsidenten gemacht und sich nie einer Wahl gestellt, deren Resultat nicht schon festgestanden hatte, bevor eine einzige Stimme abgegeben war.
Gushungo bezeichnete sich als den Vater der Nation. Doch er war ein sehr strenger, grausamer Familienvorstand.
Seine Soldaten kämpften im kongolesischen Urwald. Seine Schergen zwangen weiße Farmer, ihren Besitz zu verlassen, und vertrieben Hunderttausende schwarzer Malember aus Gebieten, wo sie nach seiner zunehmend paranoiden Vorstellung eine ernsthafte Opposition bilden könnten. Seine entmutigten Gegner waren nicht imstande, ihn aus dem Amt zu werfen, und beteten daher zu Gott, er möge das für sie erledigen. Doch der alte Gushungo hatte nicht die Absicht, in nächster Zeit vor seinen Schöpfer zu treten. Sein Haar war noch dicht und schwarz, sein Gesicht bemerkenswert faltenlos, seine Haltung aufrecht. Seine Mutter war über hundert Jahre alt geworden. Er hatte noch viel vor sich.
Auf seinem Schreibtisch klingelte eines der Telefone.
»Die Sache ist angelaufen«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Ausgezeichnet«, sagte Henderson Gushungo. »Geben Sie mir Bescheid, wenn die Operation beendet ist.«