KAPITEL ACHT

Commander James Ramshawe hatte das unheimliche Gefühl, gegen eine von Admiral Morgans Grundregeln zu verstoßen: Junge, verschwende deine Zeit nicht damit, irgendwelchen Schimären hinterherzujagen.

Vor ihm lag sein allseits griffbereiter Block, in dem er Gedanken, Theorien, Fakten und Strategien notierte. Die Seite, auf die er schon seit geraumer Weile starrte, glich den wirren Kritzeleien eines Wahnsinnigen.

Er hatte versucht, alle Hinweise und Indizien zusammenzustellen, die seit der Freilassung der vier Terroristen aufgetaucht waren. Er musste sich eingestehen, dass die von ihnen verfolgten Spuren ins Nichts führten.

Die vier waren nach England geflogen und irgendwie von dort wieder verschwunden. Sie waren nach Andalusien geflogen und ebenfalls wieder irgendwie verschwunden. Sie waren nachweislich in Mexiko aufgetaucht und hatten beim Überqueren der US-Grenze möglicherweise zwei Grenzschützer getötet. Und die Sache in der Penn Station war ein einziges Tohuwabohu, das zu absolut nichts führte.

Jetzt hatten sie dieses Mata-Hari-ähnliche Telefonat aus Islamabad mit jemandem, der vielleicht in Manhattan wohnte und in dem von König Saul und weiß Gott noch alles gefaselt wurde. Okay, vielleicht hatte das alles irgendwas zu bedeuten, aber wenn, dann ging ihn das im Moment noch nichts an. Setzt die verdammten Kryptologen darauf an, murmelte er, aber lasst mich damit in Ruhe, bis was Definitives vorliegt. Insgeheim wusste er, dass Admiral Morgan ihn auslachen würde, wenn er ihn deswegen jetzt um Rat fragte.

Außerdem hatte er sich mit wesentlich wichtigeren Dingen zu beschäftigen. Die Chinesen mischten angeblich wieder bei Pakistans Atomprogramm mit; beide Länder führten Geheimverhandlungen mit dem Iran, was das Pentagon in Rage versetzte; und die Russen wollten nicht zugeben, dass ihnen irgendwo im Nordatlantik ein U-Boot der Typhoon-Klasse mit Interkontinentalraketen abhandengekommen war.

Daneben wurde einiger Druck auf die NSA ausgeübt, das Satelliten-Kommunikationssystem der dämlichen Briten anzuzapfen, die wieder mal damit drohten, ihre teure Trident-U-Boot-Flotte stillzulegen.

Und dennoch wollten ihm Ibrahim, Yousaf, Ben und Abu Hassan nicht aus dem Kopf. Aufgrund der Handgranate glaubte er, dass sie sich irgendwo in Manhattan aufhielten.

Er schickte Mack Bedford den Text des abgefangenen Telefonats aus Islamabad, worauf die beiden eine halbe Stunde lang am Telefon die möglichen Konsequenzen besprachen. Geht es bei dem Gespräch um sie? Halten sie sich in New York auf? Was, wenn sie wirklich dort sind? Was, wenn nicht? Und wer hat das Klo in die Luft gesprengt, wie es die New York Post so schön formuliert hat?

Gegen Ende ihres Gesprächs machte Bedford eine maßgebliche Bemerkung. »Das Telefonat aus Islamabad kam höchstwahrscheinlich von jemandem, der Verbindungen zu den aufrührerischen Kräften in Pakistan hat, den Taliban oder der El Kaida. Die Verrückten im Swat-Tal können auf starke Unterstützung aus Regierungskreisen bauen. Und wenn diese Typen von Israel reden, dann haben sie nichts Friedliches im Sinn. Ich kann aus dem Telefonat nicht viel heraushören. Aber ich würde darauf wetten, dass der Mossad sehr daran interessiert wäre. Vergessen Sie nicht, der israelische Geheimdienst war im Gerichtssaal anwesend, als die Freilassung der vier Terroristen verkündet wurde.

Es ist nicht immer das Schlechteste, seiner Intuition zu folgen. Hat mir schon ein paarmal das Leben gerettet. Und im Moment denke ich, dass ich für ein paar Tage nach Manhattan umsiedeln sollte. Mal sehen, vielleicht sind die Typen ja aufzuspüren – bevor sie was Übles anstellen.«

»Sie melden sich wieder?«

»Ja. In zwei Tagen. Sagen Sie mir Bescheid, wenn das Zeugs aus Islamabad entziffert ist.«

Am folgenden Tag checkte Mack im Waldorf-Astoria ein. Er brauchte ein großes Hotel, damit er in der Masse der Gäste untertauchen konnte. Gegen Mittag schlenderte er drei Blocks hinüber zur Second Avenue und ging auf der Forty-third Street zum israelischen Generalkonsulat.

Er passierte die Sicherheitsschleuse und meldete sich mit einem verschlossenen Umschlag an der Rezeption. Auf dem Umschlag stand der Name des Colonel Benjamin Shalit, eines alten Freundes, der mit Mack in Afghanistan gedient hatte.

Ben Shalit, fünf Jahre zuvor vom Mossad rekrutiert, war für den israelischen Geheimdienst in Tel Aviv und in mehreren nahöstlichen Staaten im Einsatz gewesen. Mack wusste zwar, dass er sich jetzt in New York aufhielt, aber nicht, in welcher Funktion.

Ihm war klar, dass es sinnlos gewesen wäre, mit ihm reden zu wollen. Die Israelis hätten nie im Leben zugegeben, dass sich in ihrem hübschen Touristen-Büro ein Mossad-Agent befand. Das Generalkonsulat in der Second Avenue 800 war einzig und allein für Pässe, Visa, Hotel- und Touristenauskünfte zuständig.

Männer wie Ben Shalit arbeiteten im Verborgenen, hielten nach Gefahren Ausschau, lokalisierten Bedrohungen, beschatteten mutmaßliche Terroristen. Sie hatten ihr eigenes Netzwerk und in diesem Gebäude sogar einen eigenen Eingang an der Rückseite, weil man ja nie wusste, wer einen gerade beobachtete.

Mack Bedford gab einfach den Umschlag an der Rezeption ab und bat darum, ihn der betreffenden Person zuzustellen. Drinnen lag lediglich ein Zettel mit der Bitte, im Waldorf anzurufen. Dann schlenderte Mack zum Hotel zurück und wartete.

Um 16 Uhr meldete sich die Hotelrezeption und teilte ihm mit, dass ein Mr. Shalit eingetroffen sei und sich mit ihm an einem Tisch auf der Cocktail-Terrasse treffen wolle.

Macks ehemaliger Waffenbruder war von mittlerer Größe, von stämmiger Statur und hatte immer ein unmissverständliches Zwinkern in seinen dunklen Augen.

»Lass dir eines sagen, Benny«, begrüßte ihn der Amerikaner, »du siehst wesentlich besser aus als das letzte Mal, als wir uns gesehen haben.«

»Das Gleiche gilt für dich«, erwiderte der Israeli. Sie erinnerten sich beide nur zu gut an den Sprengsatz am Straßenrand von Kabul, der ihren Jeep getroffen und sie im hohen Bogen herausgeschleudert hatte, sodass sie danach blutüberströmt, aber relativ unverletzt zwischen den Trümmern lagen, während vier weitere Männer ums Leben gekommen waren.

Da keiner der beiden im Dienst auch nur einen Tropfen Alkohol anrührte, bestellten sie Tee und sprachen lange über die nicht sonderlich erfreuliche Lage im Nahen Osten.

Es war fast Viertel vor fünf, als Mack seinem alten Freund eröffnete, was ihm auf dem Herzen lag. »Benny, ich bräuchte Zugang zu den israelischen Informationen über die Gefahrenlage in New York.«

»Na, da bist du bei mir an der richtigen Stelle«, erwiderte der Israeli. »Dafür bin nämlich ich zuständig. Worum geht es?«

»Ich bin – inoffiziell – damit beauftragt, die vier Ex-Gefangenen zu suchen, die vor Kurzem aus Guantanamo entlassen wurden.«

»Komisch«, antwortete Ben. »Das bin ich auch. Aber ich bin vor allem an zweien interessiert.«

»Ben al-Turabi und Abu Hassan Akbar?«

»Richtig. Zwei Terroristen, die die schrecklichsten Verbrechen in der Geschichte unseres Landes begangen haben.«

Mack nickte. »Sie sind mit zwei anderen Typen unterwegs, denen unser besonderes Interesse gilt.«

»Das müssen Ibrahim Sharif und Yousaf Mohammed sein – zwei Attentäter. Schätze, ihr ward nicht sonderlich begeistert, als der Richter sie laufen ließ.«

»Nein, nicht unbedingt. Wir nehmen an, sie planen eine Art Rachefeldzug. Und halten sich im Moment hier in New York auf.«

»Habt ihr sie in Mexiko aufgespürt?«

»Ja. Wir gehen davon aus, dass sie die beiden Grenzschützer erschossen haben.«

»Das ist auch unsere Meinung. Was uns vermutlich zum Bombenanschlag in der Penn Station bringt.«

»Wir sind dort nicht recht weitergekommen. Aber wir haben ein abgefangenes Telefonat zwischen Islamabad und New York.«

»Ja. Zypern hat es uns zukommen lassen. Schließlich sind wir ihr nächster Verbündeter, wenn es mal wirklich hart auf hart kommen sollte. Und als wir die Worte ›König Saul‹ gesehen haben, haben wir die Meldung gleich eine Dringlichkeitsstufe höher gesetzt.«

»Schon was herausgefunden?«

»Genauso wenig wie ihr, nehme ich an. Aber wir arbeiten daran.«

»Was habt ihr mit ihnen vor, wenn ihr sie findet?«

»Wir? Wir eliminieren sie. Alle vier. Damit sparen wir uns eine Menge Ärger. Wie steht’s mit euch?«

»Das Gleiche.«

Mack schenkte ihnen Tee nach. »Was meinst du, wie komme ich auf deren Spur?«

»Na, das sollte nicht schwer sein. Mack, wenn du den Verdacht hast, dass irgendwo ein großer Terroranschlag geplant ist, dann gibt es immer eine Spur, die zu einer Menge Bargeld führt. Solche Operationen kosten Geld. Manchmal stößt man auch auf Immobilienkäufe. Denn für große Pläne braucht man eine Art Hauptquartier. Und dann gibt es noch die Handys, Flugtickets, Fahrkarten, möglicherweise müssen Autos gekauft und zugelassen werden, Essens- und Hotelrechnungen, Käufe von Chemikalien und Elektronikbauteilen. Es summiert sich, vor allem, wenn vier Haupttäter und mehrere Helfer beteiligt sind.«

»Wie kann ich da rankommen?«

»Für dich ist das schwer. Für uns wesentlich leichter.«

»Hilfst du mir?«

»Klar. Es ist uns egal, wer sie aus dem Weg räumt.«

»Was kann ich tun?«

»Wir müssen die Sayanim kontaktieren.«

»Wen?«

»Die Sayanim.«

»Wer ist das?«

»Mack, das ist die weltweite jüdische Bruderschaft der Freunde Israels.«

»Die haben in New York ein Büro?«

»Nicht ganz. Es ist das wahrscheinlich geheimste Netzwerk der Welt. Sie unterhalten nirgendwo ein Büro, sie nehmen zu niemandem Kontakt auf, solange sie nicht angesprochen werden. Die einzelnen Mitglieder haben noch nicht einmal untereinander Kontakt.«

»Klingt nach einer ziemlich verschwiegenen Truppe.«

»Das sind sie. Eine weltweite Organisation von Juden, die über Macht, Reichtum und einflussreiche Positionen verfügen oder sich einfach nur verantwortlich fühlen. Sie leben im Ausland, sind aber immer noch dem Land Israel verpflichtet.«

»Gut«, sagte Mack. »Und was machen sie?«

»Meistens gar nichts. Aber sie sind immer da und bereit, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Israel zu helfen. Wie wir arbeiten auch sie im Verborgenen.«

»Dann sind sie eine Geheimgesellschaft?«

»Sie sind noch viel geheimer. Sie haben keine Struktur. Sie sind die unbekannten Soldaten, die für eine gemeinsame Sache kämpfen, und für den Mossad und die israelische Regierung von unschätzbarem Wert.«

»Wie finden wir sie?«

»Indem wir die Augen offen halten. Allein in New York City gibt es 2000 von ihnen. Irgendjemand kennt immer einen.«

»Gehörst du auch zu den Sayanim, Benny?«

»Ich bin noch im aktiven Dienst. Sie haben mich nicht eingeladen – noch nicht. Aber irgendwann wird es geschehen.«

»Und was passiert, wenn du ablehnst?«

»Keiner hat jemals abgelehnt.«

Mack schwieg, beeindruckt von Ben Shalits Worten. Er hatte in Israel gedient, hatte mit dem Mossad gearbeitet und mit eigenen Augen gesehen, welche Grausamkeiten gegen Israel verübt wurden. Er verstand das Leid der Israelis und ihre Entschlossenheit, um ihr Leben zu kämpfen und, falls nötig, auch zu sterben.

Bislang hatte er das immer als Außenstehender wahrgenommen. Jeder wusste, dass Israel mit dem Rücken zur Wand stand. Von der Bruderschaft nun, den Sayanim, ging eine gewisse Faszination aus. Kein Wunder, dass Israel fast immer seine Interessen durchsetzen konnte.

»Ich werde dich mit jemandem bekannt machen«, sagte Ben. »Aber überleg dir gut, welche Fragen du ihm stellst. Vergiss nicht, er hat nur mein Wort, dass dir zu trauen ist und wir auf der gleichen Seite gegen den Terror in Gaza und den afghanischen Bergen kämpfen.«

»Ich bin dir sehr dankbar«, sagte Mack. »Allerdings weiß ich nicht recht, was ich ihn fragen soll.«

»Die Person, mit der du dich treffen wirst, weiß mehr über mögliche Anschläge in New York als irgendjemand sonst. Das Telefonat aus Islamabad weist auf ein jüdisches Ziel hin – das ergibt sich aus ›König Sauls Jungen‹ und ›Abe‹. Unser Mann wird vielfältige Quellen anzapfen können. Wenn dir jemand helfen kann, dann er.«

Mack erhob sich. Ben sagte ihm, dass er ihn in einer Stunde anrufen und ihm einen Namen, Ort und Zeitpunkt durchgeben würde. Sie schüttelten sich die Hand und verabschiedeten sich.

Es war 20 Uhr, als Mack wie angewiesen in der West Houston Street in Lower Manhattan aus dem Taxi stieg und zur Wooster Street ging, einer mit Boutiquen, Kunstgalerien und Restaurants vollgestopften Straße im trendigen SoHo.

Es wimmelte von Leuten, aber es war dunkel, und hoch und unheildrohend ragten vor ihm die Gebäude auf, ehemalige Lager- oder Industriehallen, in denen nun riesige Lofts zu astronomischen Preisen vermietet wurden. Aber er war ja auch kein Stadtmensch. Städte betrat er eigentlich nur, wenn er den ausdrücklichen Auftrag hatte, jemandem den Schädel wegzublasen oder mit Waffengewalt einen Stadtteil einzunehmen, in dem Aufwiegler und Unruhestifter ihr Unwesen trieben. Heute Abend war er noch nicht einmal bewaffnet, was er, als er zu den riesigen Betonfassaden und Stahlträgern hinaufstarrte, bedauerte.

Er eilte durch die Wooster Street und suchte nach der Adresse, die Ben Shalit ihm gegeben hatte. Als er davor stand, war er überrascht. Auf dem Schild über der Tür und dem mit einem Eisengitter gesicherten Schaufenster stand BANDA FINE ARTS. Kurz glaubte Mack, er habe sich geirrt, aber die Hausnummer stimmte.

Soweit er sehen konnte, hatte die Galerie noch nicht einmal geöffnet. Irgendwo in den hinteren Räumen konnte er Licht erkennen, aber die Adresse wirkte nicht unbedingt einladend. Mack fasste zum Griff und schob die Tür auf. Er trat in einen fahl beleuchteten Galerieraum, in dem er hinten, hinter einer niedrigen Schreibtischlampe, jemanden sitzen sah.

Die Lampe erhellte die Brust und das Jackett des Mannes, das Gesicht allerdings war nicht zu erkennen. In einer Hand hielt er eine Art Zeichnung, in der anderen eine Browning-Automatik, die auf Macks Kopf gerichtet war.

Mack sah nach links und rechts und überlegte, wie er den gesichtslosen Pistolero am besten umbringen könnte. Doch dann hörte er eine weiche, leise Stimme: »Sie sind Mack Bedford?«

»Ja. Haben Sie vor, mich zu erschießen?«

Der andere lachte nur und legte die Waffe in die Schreibtischschublade. »Man kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein.«

»Wem sagen Sie das!«, erwiderte Mack.

Der Mann schaltete hinter dem Schreibtisch eine weitere Lampe an und kam nach vorn, um Mack die Hand zu geben.

»Guten Abend«, sagte er. »Ich bin John Strauss.«

Der Griff seiner Hand war hart, genau wie der Blick in seinen Augen. Strauss war groß, wirkte durchtrainiert und hatte schwarze, gelockte Haare. Seine Haltung hatte etwas Militärisches an sich, und er sprach mit einem leichten Akzent, den Mack als israelisch einordnete. Ben Shalit klang ähnlich.

Strauss ging zur Tür, verschloss sie und zog innen einen Rollladen herunter. Er verließ den Galerieraum und führte Mack zu einem großen, dahinter gelegenen Zimmer, dem vielleicht schönsten Zimmer, das Mack jemals erblickt hatte.

Obwohl es keine Fenster hatte, verströmte es eine klassische Atmosphäre. Die Wände waren mit Teak getäfelt, der Boden war mit einem glänzenden Eichenparkett belegt, auf dem ein wunderbarer, dunkelrot und blau gemusterter persischer Läufer lag. Mack kannte sich mit Teppichen nicht sonderlich aus, aber ihm war sofort klar, dass der hier mehr gekostet hatte als sein Auto.

In einem breiten gemauerten offenen Kamin knisterte ein Feuer, an einer Wand stand ein französisches Sideboard, das sicherlich teurer gewesen war als Macks ganzes Haus. Es war nicht ersichtlich, womit dieser Strauss seinen Lebensunterhalt verdiente, aber er wurde auf jeden Fall verdammt gut bezahlt.

Über dem Sideboard hingen drei exquisit gerahmte Zeichnungen, die einen sehr wertvollen Eindruck machten. Mack betrachtete sie, während Strauss zu einem Dekanter auf dem Sideboard ging und zwei Gläser gekühlten Weißweins einschenkte. Mack zögerte erst, nahm das Glas dann aber an. »Kommen Sie, Mack«, sagte der Kunsthändler, »sogar ein Navy-SEAL kann mit seinem neuen Freund ein Glas israelischen Dessertwein genießen.«

Mack lächelte. »Das sind wunderbare Zeichnungen, John. Ich bin hin und weg.«

»Vorskizzen zu Tizians Bacchus und Ariadne«, sagte er. Mack kannte sich mit der Kunstgeschichte nicht aus, aber selbst er hatte schon mal von Tizian gehört.

»Er gehört zu den Künstlern, die man am leichtesten erkennen kann«, sagte Strauss. »Wegen seiner idyllischen Landschaften nämlich, die in all seinen Bildern vorkommen. Und wissen Sie auch, warum?«

»Tut mir leid, John, auf diesem Gebiet bin ich nicht sehr bewandert.«

»Na, ich weiß, dass Sie nicht hier sind, um einen Druck oder eine Zeichnung zu kaufen, ich sage es Ihnen trotzdem. Tizian wurde in den Dolomiten geboren – den südlichen Alpenausläufern, die zur Ebene nördlich von Venedig abfallen. Sie haben sein gesamtes Werk beeinflusst.«

»Komisch, nicht?«, erwiderte Mack, »dass wir nie vergessen, woher wir kommen.«

Strauss nickte und nippte am Wein. »Und jetzt, Mr. Bedford«, sagte er und wurde plötzlich sehr förmlich, »sagen Sie mir, was Sie wollen.«

»Als Erstes möchte ich wissen, wer Sie sind. Ich nehme an, Benjamin hat Ihnen alles über mich erzählt.«

»Er hat mir erzählt, woran Sie arbeiten. Und ich kann Ihnen nur sagen, Sie haben allen Grund, wegen der vier aus Guantanamo entlassenen Typen besorgt zu sein. Sie nehmen an, sie sind in New York?«

»Sind Sie anderer Meinung?«

»Nein.«

»Darf ich wissen warum?«

»Na, wer zum Teufel sollte sonst mit einer Handgranate in der Penn Station hantieren? Und wo sonst würden Sie absteigen, wenn Sie einen größeren Anschlag auf die USA planen? Außerdem glaubt einer meiner verlässlichsten Männer, einen von ihnen gesehen zu haben, diesen Ben al-Turabi, als er einen Buchladen in der Fifth Avenue verließ. Das ist der Hurensohn, der das Park-Hotel in Netanya in die Luft gejagt hat. Wir hatten ihn schon, aber dann habt ihr ihn wieder laufen lassen.«

»Hat Ihr Mann ihm folgen können? Gibt es weitere Informationen?«

»Nein. Unser Mann befand sich auf der Straße gegenüber. Al-Turabi kam aus dem Laden und stieg in einen schwarzen Wagen, der bei der nächsten Ampel nach Westen abbog. Aber unser Mann war sich ziemlich sicher, dass es al-Turabi gewesen ist.«

Mack nahm einen Schluck vom Wein. »Sie reden, als wären wir auf verschiedenen Seiten. Kommen Sie, John, wer sind Sie?«

»Man hat mir gesagt, dass ich Ihnen unbesehen trauen kann, deswegen werde ich es Ihnen sagen. Ich bin der Leiter der Sayanim in New York.«

»Ex-Mossad?«

»Richtig.«

»Toller Kunsthändler.«

»Das ist mein Hobby. Eine sehr nützliche Tarnung für meine wahre Tätigkeit.«

»Wollen Sie mir sagen, worin diese besteht?«

»Ich habe damit zu tun, jene zu verfolgen, die Verbrechen gegen mein Land begangen haben. Killer, die Sprengsätze in Supermärkten, in Bussen, Synagogen und Hotels gelegt haben. Viele von ihnen landen irgendwann, zeitweilig oder für immer, in New York. Meine Aufgabe ist es, sie aufzuspüren.«

»Und dann?«

»Dafür zu sorgen, dass sie keine Verbrechen mehr begehen können. Nie mehr.« Die letzten beiden Wörter kamen mit so viel Hass, dass Mack tatsächlich zusammenzuckte.

»Sie meinen, Sie machen es selbst?«

»Wenn ich sie aufspüre? Nein. Ich habe jemanden, der das erledigt. Einen ausgebildeten Killer, dem ich vertrauen kann wie sonst niemandem.«

»Benny?«

»Richtig.«

»Mein Gott, John, ich stehe hier vor einem zweiten Simon Wiesenthal.«

»Na ja, es gibt durchaus Parallelen. Simon allerdings war ein reiner Nazi-Jäger, ein Gelehrter, der sich durch alte Aufzeichnungen wühlte und Nazi-Verbrecher vor Gericht bringen wollte, um ihre Taten der Öffentlichkeit bekannt zu machen.«

»Ihre Ziele sind andere?«

»Aber sicher. Terroristen vertreten keinen Staat. Sie stehen für lockere Organisationen und genießen es regelrecht, für ihre Mordtaten öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen. Es hat also keinen Sinn, sie öffentlich zu brandmarken. Man kann sie nicht demütigen. Unser Ziel ist schlicht, alle zu liquidieren, die auf israelischem Boden gemordet haben. Und davon gibt es eine ganze Menge.«

»Die einzige Gemeinsamkeit zwischen Ihnen und Wiesenthal ist also, dass Sie beide Jäger sind – aber er hat seine Opfer der Öffentlichkeit präsentiert, während Sie sie umbringen.«

»Genau. Wenn ich mich recht erinnere, hatte der Wiener Buchhändler aber auch nichts gegen eine Exekution einzuwenden, wenn die Mühlen der Justiz zu langsam mahlten.«

»Ja. Haben Sie ihn jemals kennengelernt, John?«

»Nein, was ich sehr bedauere. Ich habe mit ihm einige Male telefoniert, aber ihn nie persönlich gesehen. Es wäre mir eine große Ehre gewesen.«

»In den USA kennt man ihn kaum«, sagte Mack. »Aber ich weiß, wie wichtig er für Israel war.«

»Ich denke jeden Tag an ihn«, sagte Strauss. »Stellen Sie sich nur vor, er war derjenige, der Karl Silberbauer aufgespürt hat, den Gestapo-Schergen, der Anne Frank verhaftet hat. Dazu Franz Stangl, den Lagerkommandanten von Treblinka. Er hat Adolf Eichmann gesucht und zur Strecke gebracht, der verantwortlich war für die Deportation und Vernichtung der Juden unter Hitler.«

»Wiesenthal ist sehr alt geworden?«, fragte Mack.

»Er war 96, als er starb. Er sagte, seine Arbeit sei abgeschlossen.«

»Außer dass Sie sie fortführen.«

»Für uns ist kein Unterschied zwischen Nazis und denen, die israelische Bürger ermorden. Stangl, Eichmann, al-Turabi, Abu Hassan – sie sind alle gleich. Sie haben den Tod verdient. Und sie werden ihn bekommen.«

»Werden wir die vier in New York schnappen?«

»Ich gehe davon aus. Und es wird mir ein Vergnügen sein, Sie zu ihnen zu führen.«

»Wo soll ich anfangen?«

»Beim Geld. Ich halte die Augen auf. Sobald etwas Verdächtiges auftaucht, rufe ich Sie an. In der Zwischenzeit sollten wir herausfinden, welches jüdische Ziel im abgefangenen Telefongespräch gemeint ist.«

John erhob sich, teilte seinem Gast mit, dass er in einer Viertelstunde mit jemandem verabredet sei und daher das Gespräch beenden müsse. »Es hat mir gefallen«, sagte er. »Und ich glaube, dass wir bald mehr wissen. Wenn diese Männer in der Stadt sind, können sie sich nicht mehr lange verstecken. Einer meiner Leute wird sie irgendwo entdecken. Ich habe ihre Fotos verteilt. Wir finden sie.«

Mack stand auf und reichte ihm die Hand.

»Übrigens, Commander Bedford«, sagte Strauss, »meine Freunde nennen mich Johnny. Vergessen Sie das nicht.«

Mack lachte. »Einen schönen Abend noch, Johnny«, sagte er und eilte hinaus in die dunklen Schluchten von New York.

Es war zwei Uhr morgens in den Cotswolds, als die Kryptologen einen ersten wirklichen Durchbruch erzielten. Tief im Inneren des »Donut« kamen sie zu dem Schluss, dass es das Wort »Nalseb« nicht gab. Es gab keinen Ort auf der Welt dieses Namens und auch nichts in den Lexika; die beiden Wörter davor, »zurück nach«, könnten somit auf ein Anagramm hinweisen.

Keine 30 Sekunden später war man bei »Beslan«, der Stadt im Nordkaukasus, wo am 1. September 2004 einer der brutalsten El-Kaida-Anschläge überhaupt verübt worden war. Der Angriff auf die dortige Mittelschule Nr. 1 endete mit dem Tod von 385 Menschen, viele von ihnen waren Kinder, weitere 780 Menschen wurden verletzt, als das Dach einstürzte. Eine Terroristengruppe des tschetschenischen Rebellenführers Schamil Bassajew hatte die Schule gestürmt und drei Tage lang gegen die russische Armee besetzt gehalten. Die Nachtschicht in Cheltenham, zu denen nicht unbedingt Militärhistoriker gehörten, lasen mit zunehmender Unruhe, dass die Operation von El Kaida unterstützt und finanziert worden war. »Seit 2001 hatte keine Militäroperation«, so die Meinung der El Kaida, »der Dschihad-Revolution solchen Ruhm und solche Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit eingetragen.«

In einem Zusatz zu dem Bericht, der Cheltenham vorlag, war die Meinung dreier hochrangiger US-Navy-SEALs wiedergegeben, die Beslan nur als Generalprobe werteten. Cheltenham schickte seine eigenen Schlussfolgerungen an die CIA und NSA und fügte hinzu, dass die Wörter »erster Klasse« und »bei Abe« auf eine Bildungseinrichtung mit jüdischer Konnotation verwiesen.

Man hatte nach einer Schule oder Universität in Amerika gesucht, in deren Namen »Abraham« vorkam, aber nichts gefunden – obwohl es über 800 jüdische Schulen, Colleges und Universitäten in den USA gab.

Das Wort »Beslan« sorgte für Nervenflattern. Die britische JSSU richtete ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf weitere Telefonkontakte zwischen Islamabad und New York. Aber es kam nichts mehr. Abgefangene Nachrichten dieser Qualität waren selten und wertvoll.

Außerdem lernte die El-Kaida-Führung von Jahr zu Jahr hinzu und machte kaum einen Fehler zweimal. So wäre Captain Simon zum Beispiel überrascht gewesen, wenn sie mittlerweile nicht selbst herausgefunden hätten, dass ihr Gespräch belauscht worden war – die Scheißer haben überall ihre Maulwürfe sitzen.

Faisal al-Assad gehörte in New York nicht unbedingt zu den bekanntesten Personen, aber er war auch nicht gänzlich unbekannt. Er nahm gelegentlich an diplomatischen oder an Wohltätigkeitsveranstaltungen teil und pflegte Umgang mit Managern der Ölindustrie. Was er nicht brauchte, waren die vier meistgesuchten Terroristen der Welt, die sich in seinem luxuriösen Apartment in der East Side versteckten. So war er überaus froh, als er in den frühen Morgenstunden über seinen Festnetzanschluss aus Boston, Massachusetts, neue Befehle erhielt: »Verlegung der Gäste zum temporären Hauptquartier in der Nähe von Norfolk, nordwestliches Connecticut. Kaufen oder mieten Sie umgehend ein kleines Haus. Und eröffnen Sie in Torrington, ebenfalls nordwestliches Connecticut, zwei Bankkonten.«

»Verstanden«, erwiderte Faisal. Er weckte die vier Gäste und teilte ihnen mit, dass sie um sieben Uhr aufbrechen und sich auf eine längere Fahrt einstellen müssten. Allerdings sollten sie ihre Pässe bei ihm lassen, da sie noch unbedingt mit dem Stempel der US-Einwanderungsbehörde und dem Datum ihrer Einreise sowie dem Datum versehen werden mussten, an dem sie nach einer Höchstaufenthaltsdauer von sechs Monaten wieder ausreisen mussten. Dies musste anständig gefälscht werden, sollten sie jemals wieder die USA verlassen wollen, ohne tausend Fragen über sich ergehen lassen zu müssen.

Mack Bedford, ebenfalls nachts noch aktiv, rief Commander Ramshawe zu Hause an, nachdem ihm dieser im Hotel eine Nachricht hinterlassen hatte – Cheltenham habe eine Verbindung zwischen der Botschaft aus Islamabad und dem Massaker in Beslan im Jahr 2004 hergestellt. Ein SEAL-Teamführer, der persönlich zwei El-Kaida-Killer festgenommen hatte, hatte ihm einmal erzählt, dass der nächste große Anschlag auf Amerika eine Schule oder Universität treffen könnte – das weiche, ungeschützte Herz der USA. Dieser Teamführer war so sehr davon überzeugt gewesen, dass er die Operation in Beslan nur als Generalprobe angesehen hatte. Und jetzt bestätigte Commander Ramshawe diesen Verdacht. Mack schwieg eine Weile, bevor er sagte: »Jimmy, unsere Jungs vermuten das seit Jahren. Wir sollten mal lieber in die Gänge kommen.«

»Das sind wir schon«, antwortete Jimmy. »Wir überprüfen sämtliche jüdische Bildungseinrichtungen, schließlich verweist die abgefangene Meldung darauf. Sie wissen schon, König Saul und Abraham. Aber es ist nicht einfach. Es gibt kein Abraham College, nur so eine Landwirtschaftsschule irgendwo in Georgia, und da findet sich ›Abraham‹ auch nur als Vorname des Gründers. Aber wir suchen weiter, und alle warten darauf, dass weitere Meldungen abgefangen werden.«

»Jimmy, ich habe mich letzten Abend selbst ein wenig umgehört und bin vielleicht auf eine ganz gute Spur gestoßen. Ich halte Sie auf dem Laufenden. Aber diese Beslan-Sache hat den Druck auf uns alle ein wenig erhöht.«

»Das kann man so sagen. Wir sprechen uns später.«

Um sieben Uhr fuhren Faisal al-Assad und seine vier Gäste in seinem schwarzen SUV nach Norden. Von Manhattan hatte er den Cross Bronx Expressway genommen und dann den Hutchinson River Parkway, von dort ging es direkt zur Grenze nach Connecticut und weiter nach Danbury und Waterbury. Bis dahin hatten sie gut 150 Kilometer zurückgelegt und befanden sich in der hügeligen Landschaft Neuenglands, die zu den fernen Berkshires führte. Die Route 8, die sie von dort aus nahmen, führte durch die Ausläufer der Berge, es kamen keine Städte mehr, nur mehr Wald und Farmland, 50 Kilometer weites Grün, das vielleicht die Augen müder New Yorker erfreuen mochte. Der Städter Faisal allerdings konnte dem nicht viel abgewinnen, und seinen Beifahrern war es ziemlich egal, ihnen ging anderes durch den Kopf.

Es ging auf 10.30 Uhr zu, als sie die steile Straße zur alten Sägemühlenstadt Torrington im Herzen des Naugatuck-Tals hinunterfuhren. Die Außenbezirke erstreckten sich bis zu den umliegenden Bergen. Die florierende Kleinstadt war von einer herrlichen Landschaft und nicht allzu hohen Bergen umgeben und beherbergte eine große Zahl von Banken und Immobilienmaklern, wie man sie in den Gemeinden im Einzugsbereich von New York überall fand.

Faisal parkte den Wagen im Stadtzentrum und wies sein Team an, auf der Main Street frühstücken zu gehen; in einer Stunde würde er zu ihnen stoßen. Er griff sich seinen Aktenkoffer und schritt über die Straße zur Connecticut State Bank, wo er ein neues Konto eröffnete. Er erklärte, er trage sich mit der Absicht, in der Gegend eine Farm mit Anwesen zu kaufen, und legte Sozialversicherungsnummer, New Yorker Adresse, Führerschein, US-Pass und das Briefpapier seines Arbeitgebers vor, der Anglo-Saudi Oil Corporation, zu deren Direktorium er gehörte, weshalb sein Name im Briefkopf verzeichnet war. Als weitere Referenzen zückte er zwei Kreditkarten und gab Namen und Telefonnummer eines saudischen Prinzen der Washingtoner Botschaft an.

Er ließ sich 300 Dollar in bar auf einen Wechsel der Citibank über 10000 Dollar auszahlen. Er füllte die Unterschriftenkarte aus und trug in ihr einen weiteren Namen ein, für den er eine zweite Karte mitnahm, um sie später ausgefüllt der Bank zurückzuschicken. Sie war auf Ibrahim Sharif ausgestellt, der, wie er erklärte, ein Kollege aus Saudi-Arabien sei, der für ein Jahr nach New York abgestellt würde.

Faisal nahm ein vorläufiges Scheckbuch in Empfang und die Daten seines neuen Kontos, sodass er in den folgenden Tagen eine größere Summe darauf überweisen konnte. Daraufhin ging er die Main Street weiter zu den neuen Büros der Bank of New England, wo er die Prozedur wiederholte. Als er wieder auf die Straße hinaustrat, war die Stadt Torrington um einiges reicher geworden.

Er machte sich auf die Suche nach Ibrahim, Yousaf, Ben und Abu, die sich im Sugarloaf Café niedergelassen und sich über Blaubeer-Pancakes mit Vermont-Ahornsirup hergemacht hatten. Faisal setzte sich zu ihnen und bestellte Obstsalat, Toast und schwarzen Kaffee. Er erklärte ihnen, dass er einen Immobilienmakler aufsuchen müsse, sie sich aber weder dort noch in der Nähe einer Bank blicken lassen sollten. Er wies sie an, zum Wagen zurückzukehren und dort auf ihn zu warten. Niemand widersprach. Faisal zahlte und machte sich wieder allein auf den Weg.

Soweit er es überblicken konnte, gab es hier mehr Immobilienmakler als Diamanthändler in der West Forty-Seventh Street. Viele von ihnen boten allerdings lediglich Objekte in der Innenstadt und den umliegenden Straßen an. Faisal entschied sich für Cutlers and Sons, das älteste, 1903 gegründete Maklerbüro, das im Schaufenster auch Bilder von Häusern und Farmen auf dem Land ausliegen hatte.

Faisal trat ein und stellte sich vor. Er erzählte der Maklerin, einer fröhlichen jungen Frau Anfang 20, dass er eine kleine Farm mit höchstens hundert Hektar Land in einem ganz bestimmten Gebiet suche. Eine Karte der Umgegend wurde vor ihm ausgebreitet, und er wurde gebeten, sein gewünschtes Gebiet anzuzeigen. Faisal deutete auf den Abschnitt nahe des 511 Meter hohen Haystack Mountain in der Nähe des Dorfes Norfolk.

»Sir«, fragte die junge Frau, die, wie sich herausstellte, Miss Aimee Cutler war, die Ur-Enkelin des Gründers, »wollen Sie das Anwesen bewirtschaften, oder suchen Sie es nur wegen der Abgeschiedenheit? Die Landwirtschaft hier ist nämlich ein hartes Brot.«

»Ach ja?«, erwiderte Faisal, der sein Lebtag noch keinen Pflug oder ein Getreidefeld gesehen hatte. »Warum ist es so hart?«

»Wissen Sie, wie man Norfolk noch nennt?«, fragte Aimee lächelnd. »Den Kühlschrank von Connecticut – es liegt sehr hoch, die Winter sind kalt und die Sommer kühl. Die meisten mögen das nicht.«

»Dann wird es mir gefallen«, sagte Faisal. »Ich bin Hitze gewöhnt, aber New York im Juli und August ist einfach zu stickig.«

»Ihnen sollte klar sein, dass Immobilien hier überraschend teuer sind, auch wenn die Preise mittlerweile sehr gefallen sind. Wir reden hier von Millionen. Wir haben eine Farm mit 65 Hektar Grund und ein Farmhaus aus dem 18. Jahrhundert für 1,5 Millionen. Und ein sehr schönes Haus, einen Neubau, auf zehn Hektar Land, sehr abgelegen, für 1,3 Millionen. Andere kosten bis zu 3,5 Millionen, wenn Sie eher eine herrschaftliche Residenz bevorzugen.«

»Eigentlich geht es mir mehr um die Abgeschiedenheit«, erwiderte er. »Da ich Mitbesitzer einer Baufirma bin, habe ich nichts gegen ein bescheideneres Objekt, das ich ausbauen kann. Solange es über Außengebäude verfügt.«

»Fast alle Anwesen besitzen Außengebäude, das ist kein Problem. Man kann wegen der Kälte und des Schnees im Winter nichts draußen stehen lassen.«

»Im Winter, kann ich Ihnen versichern, werde ich nicht hier sein«, sagte Faisal. »Aber ich werde wohl Traktoren und Rasenmäher anschaffen, die ich gern sicher unterbringen möchte.«

»Genau«, sagte Aimee. »Dann würde ich gern Ihre Personalien aufnehmen und Ihnen einige Broschüren zur Ansicht geben. Damit wir einen Termin ausmachen können, um uns einige Anwesen anzusehen. Wie eilig haben Sie es denn?«

»Sehr eilig«, sagte Faisal. »Ich bin es gewohnt, schnelle Entscheidungen zu treffen. Vielleicht könnten wir schon heute Nachmittag oder morgen früh etwas anschauen?«

»Natürlich. Werden Sie in bar bezahlen, oder müssen Sie erst verkaufen oder eine Hypothek aufnehmen?«

»In bar«, antwortete Faisal und sprach damit das Zauberwort aus, das jedem Immobilienmakler eine Rakete unter den Hintern pflanzte.

»Darf ich fragen, warum die Eile?«

»Natürlich«, antwortete der saudische Finanzier. »Meine Tochter wird in den nächsten zwei Wochen die Canaan Academy besuchen. Sie fliegt aus Riad ein. Deshalb hätte ich gern etwas in der Nähe, damit ihre Mutter und ich sie besuchen können und wo sie auch ihre Freunde einladen kann.«

Aimee Cutler konnte ihr Glück kaum fassen. Großes Objekt, große Eile, große Provision. Das Paradies eines Immobilienmaklers.

»Überlassen Sie alles mir«, sagte sie. »Nehmen Sie doch bitte am Kamin Platz, ich bringe Ihnen Kaffee und etwas zu lesen.«

Faisal setzte sich mit Blick zum Fenster. Er sah nach Westen in Richtung der fernen Gipfel der Canaan Mountains, die sich über der genannten Academy erhoben, über die er soeben eine solch aberwitzige und in gewissem Sinn auch ironische Lüge aufgetischt hatte.

Weit entfernt von den üblen Machenschaften im Schatten der Canaan Mountains tätigte eine der New Yorker Filialen der Gotham National die täglichen Überweisungen. Und wie bei allen Banken gab es Mitarbeiter, die ein wachsames Auge auf diese Überweisungen hatten.

Im Allgemeinen hielten sie Ausschau nach Indizien, die auf Geldwäsche hindeuteten, auf Drogengelder, die zwischen mutmaßlichen Dealern und Banken in Kolumbien und Panama hin und her wanderten. Sie achteten auf große Bargeldsummen, die irgendwo eingezahlt wurden, und auf US-Staatsbürger, die hohe Beträge in die Steuerparadiese der Karibik transferierten.

Sie waren nicht scharf darauf, das FBI zu informieren, außer in Fällen eklatanter Untreue oder wenn Gefahr für die Bevölkerung der USA bestand. Aber sie wussten gern, was so vor sich ging, weil sie sich als hilfreich erweisen wollten, wenn gewisse Staatsorgane auf sie zutraten, um Informationen einzuholen.

Unter der gegenwärtigen Finanzkrise riskierte es kein Banker, lächerlich oder naiv zu erscheinen oder sich gierig oder heimlichtuerisch zu geben. Stattdessen war es angesagt, auf Zack zu sein. Und die Mitarbeiter der Gotham National, die beim Crash 2008 fast pleitegegangen wäre, stellten absolut sicher, dass sie immer und über alles im Bilde waren.

Auffälligkeiten gab es bei einer an diesem Morgen vorgenommenen Überweisung, die telefonisch angewiesen und vom Direktor der Filiale, Jarvis Goldman, veranlasst wurde. Goldman verwaltete persönlich dieses Konto, das dem saudischen Geschäftsmann Faisal al-Assad gehörte.

Faisal hatte insgesamt zwei Millionen Dollar überwiesen – 1,5 Millionen an eine kleine Filiale der Connecticut State Bank in Torrington, und 500000 Dollar an die Bank of New England in der gleichen Stadt.

Es handelte sich nicht um Geschäftsgelder. Das Geld stammte aus Mr. al-Assads Privatkonto, auf das alle paar Monate von der Anglo-Saudi Investment Bank in der Olaya Street, Riad, drei bis vier Millionen Dollar eingezahlt wurden.

Es war nicht ungewöhnlich, dass Mr. al-Assad große Summen hin und her transferierte, aber hier handelte es sich um höhere Beträge als sonst. Jarvis Goldman fragte sich, was sich in den Bergen des nordwestlichen Connecticut abspielte, was so kostspielig war.

Dennoch, es ging ihn nichts an, wenn ein saudischer Geschäftsmann und Multimillionär meinte, er müsse sich in den kalten Bergen an der Grenze zu Massachusetts etwas Teures anschaffen. Trotzdem verzeichnete er die Überweisungen und trug sie in seiner Computerdatei ein, die einfach nur mit »Ungewöhnlich« überschrieben war.

Er gab die Überweisungen an die beiden Banken in Torrington frei, rief dann aber die Connecticut State Bank an und ließ sich die Einzelheiten zum fraglichen Konto bestätigen – es handelte sich in der Tat um ein Konto auf den Namen Faisal al-Assad, die persönlichen Angaben stimmten mit denen in den Gotham-Unterlagen überein. Er ließ sich die Sozialversicherungsnummer geben und bescheinigen, dass Mr. al-Assad der einzige Kontoinhaber war. Der Torrington-Angestellte bekräftigte dies, fügte aber hinzu, das in den nächsten Tagen eine zweite Unterschriftenkarte, die eines Mr. Sharif aus Saudi-Arabien, eintreffen sollte.

Jarvis Goldman wusste, dass es bei sämtlichen al-Assad-Konten nur einen Verfügungsberechtigten gab. Außerdem hatte er noch nie von jemandem namens Sharif gehört, außer von Omar Sharif aus Lawrence von Arabien. Er fügte dies seinem Eintrag in seiner »Ungewöhnlich«-Datei hinzu. Und erneut fragte er sich, was der elegante und weltläufige Faisal al-Assad in den abgelegenen und unwirtlichen Bergen Connecticuts zu suchen hatte.

Wahrscheinlich hätte er sich darum keine großen Gedanken gemacht, hätte es sich beim zweiten Verfügungsberechtigten um einen Amerikaner gehandelt. Nach dem Bombenanschlag auf die Penn Station war für New York City aber eine allgemeine Terrorwarnung ausgesprochen worden. Und John Strauss hatte Hunderten von Leuten die Namen und Fotos von vier Arabern gemailt, die er zu lokalisieren versuchte.

Zu diesen Hunderten gehörte eine ausgewählte Gruppe von 30 New Yorker Bankern, darunter Goldman. Er hatte die vier Namen nicht im Kopf, aber Jarvis Goldman war ein überzeugtes Mitglied der Sayanim. Vier Minuten später klingelte im Ausstellungsraum von Banda Fine Arts das Telefon.

Kurz vor Mittag brachte Faisal sein Vier-Mann-Team im Royal Inn in Torrington unter. Er bestellte Hühnchen-Sandwiches und Kaffee für ein Uhr auf ihr Zimmer und bat sie, das Hotel den gesamten Nachmittag nicht zu verlassen. Unter keinen Umständen sollten sie sich in der Stadt blicken lassen.

Er kehrte zum Immobilienbüro zurück und wartete auf Aimee Cutler, die ihn dort mit dem Wagen abholte. Aimee nahm nicht die Hauptstraße nach Norfolk, sondern kleine Land- und Nebenstraßen, legte die Strecke trotzdem relativ zügig zurück, bevor sie vor einer großen Farm am Südrand des Dorfes anhielt.

»Das ist das Anwesen, das Ihnen in der Broschüre gefallen hat«, sagte sie. »Ein sehr schönes Haus mit gut 30 Hektar Land. Die Eigentümer wollen zwei Millionen aufwärts, das werden sie aber wahrscheinlich nicht bekommen.«

Al-Assad heuchelte Interesse, aber das Anwesen lag für seinen Geschmack zu nah an mehreren anderen Häusern am Dorfrand. Er wollte etwas Abgeschiedenes, etwas, wo nicht bemerkt werden würde, wer kam und wer ging. Der Preis war ihm im Grunde gleichgültig, es sollte aber nicht übermäßig teuer sein.

Das nächste Grundstück wäre ideal gewesen, von der Einfahrt abgesehen. Das Haus selbst lag am Ende einer langen Auffahrt und war auf allen Seiten von alten Bäumen umgeben. Es verfügte über vier Schlafzimmer, und die Außengebäude waren perfekt. Die Auffahrt allerdings mündete in die nach Norfolk führende Hauptstraße und lag keine fünfhundert Meter von einem Neubaugebiet entfernt, außerdem besaß sie ein gewaltiges schwarzes schmiedeeisernes Tor mit goldbemalten Spitzen.

Der Preis belief sich auf 1,4 Millionen Dollar, und hätte es ein altes, verwittertes Tor besessen, hätte al-Assad es wahrscheinlich gekauft. Das neue Tor allerdings war so auffällig, genauso gut hätte es mit einer Neonröhre beleuchtet sein können, und es wurde elektrisch betrieben. Da es ziemlich lange dauerte, bis sich der Öffnungsmechanismus in Bewegung setzte, würde es unweigerlich auffallen, wenn jemand kam oder ging. Aime und Faisal hatten fast eine Minute warten müssen, bis sie in die Auffahrt konnten.

Damit kam auch dieses Anwesen nicht infrage, und sie fuhren weiter zum nächsten Haus, das, wie Aimee ihm sagte, ein Liebhaberobjekt sei – Maklercode für »völlig heruntergekommen«. Die Mountainside Farm lag an den Hängen des Haystack Mountain, der sich nördlich vom Anwesen erhob. Das Haus stand auf zwölf Hektar Land am Südufer des Blackberry River, der auf der Straße von Norfolk überquert wurde, und lag keine vier Kilometer von der Canaan Academy entfernt.

Das Anwesen erfüllte alle Bedingungen. Es gab noch nicht einmal ein Tor, die Anfahrt führte auf einem einsamen Schotterweg durch ein zu beiden Seiten mindestens 50 Meter breites Waldstück; erst im Wald war die Straße geteert, 300 Meter weiter lag dann das Haus, das, wie erwartet, eine Ruine war.

Aimee erklärte, das Haus sei jahrelang von einem auf Botanik spezialisierten New Yorker Sachbuchautor genutzt worden, der sich nur an den Wochenenden im Sommer hier aufgehalten hatte. Das Gebäude war niemals neu gestrichen worden und wurde mit sämtlichem Inhalt zum Verkauf angeboten, mit Möbeln und Bildern, Teppichen und Vorhängen, die nach Faisals Einschätzung insgesamt keine 12 Dollar 40 wert waren.

Aber es gab zwei Sofas, einen 300 Jahre alten Fernseher, einen Esstisch und acht Stühle, die schon bessere Tage gesehen hatten. Die Küche mit ihrem gefliesten Boden war noch der beste Raum im Haus und verfügte über einen relativ modernen Herd und einen Kühlschrank. Die Warmwasserleitung, erklärte Aimee, sei vor Kurzem, »auf jeden Fall nach dem Vietnamkrieg«, erneuert worden.

Die Außengebäude waren heruntergekommen, aber geräumig. In der großen, hohen Scheune standen noch aufgereiht einige Rindertröge, es mussten früher also Rinder gehalten worden sein. Aber das war schon lange her, denn der Traktor in der Maschinenscheune war vermutlich Baujahr 1930. Der angestrebte Verkaufspreis lag bei 900000 Dollar plus 25000 Dollar für das Inventar.

»Ich werde hier einiges einrichten müssen«, überlegte Faisal. »Wann kann ich es haben?«

»Noch heute Nachmittag, wenn Sie wollen und sofort zahlen. Mein Bruder ist Anwalt in der Stadt, er vertritt auch den Kunden. Er steht jederzeit zur Verfügung.«

»Ich biete 875000, die Summe kann durch einen Bankwechsel der Connecticut State sofort eingelöst werden.«

»Ich ruf mal Danny an«, sagte Aimee. »Er ist seit Jahren mit Roger befreundet. Er hat die Vollmachtsurkunde und kann das Geschäft sofort abwickeln. Das Anwesen ist seit fast einem Jahr auf dem Markt.«

Sie verließ die Scheune, und Faisal sah sie draußen telefonieren und lächeln. Dann hörte er das Wort »bar« und »gut, mach ich« und schließlich »wir sehen uns in einer Stunde«.

Das Geschäft sei abgemacht, erklärte sie Faisal, als sie zu ihm zurückkehrte. Sie müssten sofort nach Torrington zurück. Unterwegs könne er ja bei der Bank anrufen, und sie wolle sich in ihrem Büro melden, damit die nötigen Dokumente vorbereitet werden konnten.

Der Bankdirektor war ein wenig überrascht, dass am Morgen 1,5 Millionen Dollar eingetroffen waren und drei Stunden später 875000 davon wieder ausgegeben wurden. Aber er kam allen Anweisungen nach. Der Bankwechsel wurde ausgestellt, und um 16.45 Uhr war Faisal al-Assad Besitzer der Mountainside Farm, deren jährliche Grundsteuer von 2400 Dollar im Voraus zu entrichten war.

Faisal wusste, dass das Gelände in der Umgebung der Canaan Academy von einer Schläferzelle in Boston ausgekundschaftet worden war, einer Gruppe, die vor Angst fast umkam, seitdem der American-Airlines-Flug 11 an jenem Septembermorgen 2001 in den Nordturm des World Trade Center gerast war. Ihr Bericht aus Boston hatte eindeutig klargestellt, dass das Anwesen in Sichtweite des Haystack Mountain liegen müsse, ansonsten wäre es zu weit vom Zielobjekt entfernt.

Gut, er hatte das richtige, passende Farmhaus gefunden und erworben; es lag abgeschieden von der Straße und dem Dorf und bot eine Menge Platz in den Scheunen. Aimee reichte ihm die Schlüssel und sagte ihm, er solle sie am nächsten Morgen im Büro aufsuchen, damit er einen weiteren Schlüsselbund sowie Anleitungen und Garantieunterlagen für die Küchengeräte in Empfang nehmen könne. In der Zwischenzeit könne er ja sein neues Eigentum schon mal in aller Ruhe inspizieren. Faisal al-Assad dankte ihr und sammelte seine Mannschaft ein.

Bevor sie zum Haus fuhren, legten sie einen Zwischenstopp bei einem Landwirtschaftshändler ein, bei dem Faisal fünfhundert Heuballen bestellte, lieferbar am folgenden Morgen.

»Sie haben eine Scheune, die groß genug dafür ist?«, fragte der Händler.

»Kein Problem«, antwortete Faisal. »Mountainside Farm an der East Norfolk Road.« Er zahlte mit seiner American-Express-Card, dann ging es weiter zum Supermarkt, wo er Ibrahim und seinen Männern sagte, sie sollen sich besorgen, was sie wollten, er würde an der Kasse auf sie warten.

Als Nächstes machten sie sich auf zu ihrem neuen Domizil, verzichteten auf Aimees Landstraßenlabyrinth und nahmen die Hauptstraße. Es wurde bereits dunkel, als sie auf der Mountainside Farm eintrafen. Sie packten schnell aus, sahen sich die Zimmer oben an, überprüften das Warmwasser, fanden einige trockene Scheite im breiten gemauerten Kamin und machten es sich bequem.

Faisal erzählte ihnen, am Morgen würde Verstärkung auf alten Pick-ups eintreffen, und in zwei Tagen würde auch er wieder zurück sein. Darauf verabschiedete er sich und ging.

Er fuhr nach New York City zurück und würde, wie er wusste, nicht mehr hierherkommen. Seine Arbeit war getan.

Das Telefonat zwischen John Strauss und Jarvis Goldman dauerte nur drei Minuten. Er hatte eine hohe Meinung vom Banker in der Park Avenue und schon in der Vergangenheit wertvolle Informationen von ihm erhalten. Wenn Goldman beunruhigt war wegen der zwei Millionen dieses Arabers, die plötzlich von Manhattan in die Bergwildnis Connecticuts transferiert worden waren, dann würde er dieser Spur nachgehen.

Er rief Mack Bedford im Waldorf an und bat ihn zu Banda Fine Arts. Dort erzählte er ihm von Goldmans Verdacht und schlug vor, dass sich Mack die Sache vor Ort ansehen solle.

Macks nagelneuer schwarzer Nissan Titan Pro4X wurde im ländlichen Maine mit einiger Ehrfurcht bestaunt, in der Park Avenue galt er aber eher als das Fahrzeug eines Klempners. Mack hatte nie vergessen, wie ihn ein SEAL-Ausbilder im SPECWARCOM-Stützpunkt in Coronado in Annes Pontiac angehalten hatte.

»Was zum Teufel treibst du in dieser roten Schwuchtel-Karre?«, hatte dieser wissen wollen. »Männer fahren Pick-up, Junge. Und darunter machen es SEALs nicht.«

Mack musste bei der Erinnerung daran schmunzeln. Er sagte Strauss, er habe seinen Wagen in der Waldorf-Garage abgestellt und benötigte sämtliche Einzelheiten zum fraglichen Geldtransfer. Morgen früh würde er dann in Torrington sein und sich Faisal al-Assad an die Fersen heften. Er wusste nicht, ob es dort etwas zu finden gab, aber wenn, dann würde er es herauskriegen.

Der El-Kaida-Anschlag auf die Canaan Academy war in Peshawar von Shakir Khan und drei hochrangigen Bin-Laden-Vertrauten, unter ihnen Musa Amin, geplant worden. Wie immer bestand das größte Problem darin, geeignetes Personal in die USA zu bringen. Das war das Haupthindernis während der Regierungszeit von George W. Bush gewesen, als jeder geplante Anschlag von den Sicherheitskräften im Keim erstickt wurde. Die Eingangstüren waren nach wie vor fest verriegelt. El-Kaida-Leute mussten die Killer entweder über die mexikanische Grenze schleusen oder auf Leute zurückgreifen, die bereits in den Staaten lebten. Eine Grenzüberquerung von Kanada aus war ungefähr so vielversprechend wie der Versuch, Osama Bin Laden auf einen Spaziergang über die Fifty-First Street zur Lexington Avenue zu schicken, vorbei an der Polizeidienststelle des 17. Reviers.

Mittlerweile waren mehr Schläferzellen aktiv als jemals zuvor seit 9/11. Der Telefonverkehr von den Staaten in die afghanischen Berge, nach Teheran und Peshawar hatte zugenommen, weil die Dschihadisten in den USA versorgt, bezahlt und bewaffnet werden mussten.

Zwei Pick-ups mit fünf dieser Mörder waren von Boston nach Connecticut unterwegs mit dem ausdrücklichen Auftrag, Ibrahim und seinen Männern beizustehen. Sie würden sich als Bodyguards nützlich machen, als Bedienstete, Fahrer und, in der letzten Phase, als bewaffnete Kämpfer bei ihrem Angriff auf die unbewachte Canaan Academy mit ihren vorwiegend jüdisch-amerikanischen Studenten.

Die Pick-ups, bewusst älteren Baujahrs, waren verbeult und zerkratzt, schlammverschmiert und verdreckt. Damit wurde kaschiert, dass beide Fahrzeuge mit einem nagelneuen Dodge-Chrysler-Motor und belastungsfähigen Goodyear-Reifen ausgestattet waren. Unter der Ladefläche waren vier AK-47 Kalaschnikows verstaut, die Werkzeugkästen waren mit zehn voll geladenen SIG-Sauer-9-mm-Pistolen gefüllt.

Der erste Wagen hatte dazu noch 40 weiße 25-kg-Säcke mit Kunstdünger geladen, Ammoniumnitrat, das einen hochgradigen Sprengstoff ergibt, wenn es mit Dieselöl, reinem Diesel, Kerosin oder auch Kohlestaub vermischt wird. Die Mischung, allgemein unter dem Namen ANFO bekannt, wird zu friedlichen Zwecken bei der Sprengung von Bergen oder im Bergbau benutzt. In der Welt des Terrorismus kennt man es als USBV, als Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung, die sich unter Gewalttätern globaler Wertschätzung erfreut. Und natürlich gibt es Mittel und Wege, ihre Wirkung noch zu verstärken. Eingesetzt wird in diesem Fall ein »Booster« in Form von zwei Dynamitstangen. Eine noch höhere Wirkung lässt sich erzielen, wenn man Aluminiumpulver beimischt; die Sprengkraft wird dadurch so gesteigert, dass beim Objekt des Anschlags nicht nur die Frontfassade herausgesprengt wird, sondern das gesamte Gebäude in sich zusammenkracht. So fanden sich hinter den Sitzen des zweiten Pick-ups zwei große Säcke mit Aluminiumpulver. Dieser zweite Wagen enthielt alles, was man zur Herstellung mehrerer gewaltiger USBVs brauchte – Dynamitstangen, Zünder, Zündschnüre und, hinten auf der Ladefläche, zwölf leere, speziell verstärkte, 1,2 mal 0,6 Meter große und 0,3 Meter hohe Holzkisten.

Sechs dieser Kisten würden später mit Ammoniumnitrat gefüllt, das großzügig mit Dieselöl gemischt – 25 Kilo auf drei Liter – und mit Aluminiumpulver plus zwei TNT-Stangen verstärkt werden würde. Damit verfügten die Auserwählten über Sprengsätze mit enorm hoher Detonationsgeschwindigkeit, die ausreichen würde, um einen Manhattan-Wolkenkratzer flachzulegen.

Die zweiten sechs Kisten würden eine noch speziellere Mischung beinhalten, das stärkste waffenfähige Ammoniumnitrat, das zu bekommen war. Nitromethan war der Zusatz, den Timothy McVeigh in den Kunstdünger in seinem Van gemischt und mit dem er im April 1995 das Alfred P. Murrah Federal Building in Oklahoma City zerstört hatte. Durch die Explosion wurden damals 168 Menschen getötet, 680 weitere verletzt. 324 Gebäude in der Umgebung wurden zerstört oder beschädigt, 86 Fahrzeuge brannten aus.

1993 detonierte unter dem World Trade Center in einem Pick-up ebenfalls ein Kunstdünger-Sprengsatz, und die eine Tonne schwere IRA-Autobombe in der Londoner Innenstadt im gleichen Jahr bestand aus dem gleichen Material. Kunstdünger wurde 2003 bei dem Anschlag auf einen Nachtklub auf Bali verwendet, und mit Kunstdünger wurden in Istanbul zwei Synagogen und das britische Konsulat zerstört. Bei einer der größten Razzien gegen islamische Extremisten fand die britische Polizei in London und Bradford unter anderem insgesamt eine halbe Tonne Ammoniumnitrat.

Die größte Detonation allerdings ereignete sich, als sich das französische Frachtschiff SS Grandcamp, bis oben hin mit 2300 Tonnen Kunstdünger beladen, 1947 im Hafen von Texas City zu stark erwärmte und explodierte. Der Knall war noch in 400 Kilometern Entfernung zu hören, die schwarze Rauchwolke erhob sich 600 Meter hoch in den Himmel. Gewaltige, glühend-weiße Trümmer des Schiffsrumpfs landeten in den riesigen, Hunderte Meter entfernten Erdöl- und petrochemischen Becken. Durch deren Nachfolgeexplosionen wurden ganze Gebäude weggefegt. Der Schiffsanker, eineinhalb Tonnen schwer, wurde aus seiner Befestigung gerissen und drei Kilometer weiter in die Pan-American-Raffinerie geschleudert, wo er sich wie ein Asteroid aus dem Weltall drei Meter tief in den Boden bohrte. Die Explosion ist bis heute der katastrophalste Industrieunfall in der Geschichte der USA.

Dennoch wird Ammoniumnitrat von den US-Behörden nicht sonderlich ernst genommen und gilt noch nicht einmal als Gefahrengut im Straßenverkehr. Es lässt sich zwar nur mit einer besonderen Lizenz erwerben, wird aber nicht als gefährlich eingestuft und gilt beim Transport lediglich als »Oxidationsmittel«.

Bei Chicopee bog der Fahrer im ersten Pick-up, der unter dem Namen Mike firmierte, obwohl er vor langer Zeit in einem Dorf im Pandschab als Mustapha auf die Welt gekommen war, nach Süden ab. Von Springfield aus hatten sie noch 50 Kilometer auf der Route 57 zurückzulegen, bevor es über eine schmale Bergstraße über die Grenze nach Norfolk in Connecticut ging. Das Haus war nicht schwer zu finden.

Die Herstellung von Sprengsätzen erfordert einiges an Geschick, lässt wenig Spielraum für Fehler und hat grausige Folgen für jene, die es verpatzen. Yousaf kannte sich leidlich damit aus, Ben und Abu galten als einigermaßen kompetent. Ibrahim aber war ein Meister darin. Er öffnete das breite Scheunentor und wies die Pick-ups an, hineinzufahren.

»Wie steht es mit der Sicherheit?«, fragte Mike sofort.

»Ziemlich gut«, antwortete Ibrahim. »Das Haus ist von der Straße aus nicht zu sehen. Man kann es höchstens vom Wald aus beobachten, der aber gehört zum Anwesen.«

Er drehte sich um und zeigte zu einer langen Baumreihe am nördlichen Ende einer ehemaligen Rinderweide. »Aber selbst von dort kann man nicht in die Scheunen sehen, beide haben nämlich eine gemauerte Rückwand.«

Mike nickte. »Und was sieht man, wenn man sich im Wald an der Zufahrt verstecken würde?«, fragte er stirnrunzelnd.

»Zu viel«, erwiderte Ibrahim. »Ich bin das Anwesen heute Morgen abgeschritten. Wenn sich dort jemand mit einem Fernglas postiert, können wir nicht viel dagegen unternehmen.«

»Aber es weiß doch niemand, dass wir überhaupt hier sind?«, sagte Mike. »So ist es doch, oder?«

»Ja. Uns hat keiner beobachtet, soweit ich weiß.«

»Ich würde eine bewaffnete Wache mit Handy an der Einfahrt vorschlagen – im Waldstück versteckt, damit sie jeden registrieren kann, der unerwartet auftaucht.«

»Dafür fehlen uns die Leute«, sagte Ibrahim. »Wir waren heute schon vollauf damit beschäftigt, eine Strohburg zu bauen.«

»Eine was zu bauen?«

»Komm und sieh es dir an«, lachte Ibrahim. Er ging voraus zur größeren der beiden Scheunen und schlüpfte durch den engen Spalt der fast geschlossenen Tür. Von der Scheunenrückwand aus erstreckten sich im Abstand von fünf Metern zwei jeweils drei Meter hohe und sechs Meter lange Wände aus Strohballen, die eine Art nach vorne offene Garage bildeten.

Vorn am Eingang war quer dazu eine dritte Wand errichtet, fünf Meter lang und vier Meter hoch. Sie war frei stehend und verdeckte den Blick in die Garage.

Mike war fasziniert. »Wow!«, entfuhr es ihm. »Was soll hier rein?«

»Ein großer gelber amerikanischer Schulbus«, erwiderte Ibrahim. »Passt wunderbar in unsere Strohgarage. So können wir ungestört arbeiten.«

»Woher kommt der Bus?«, fragte Mike.

»Aus dem Bundesstaat New York, gar nicht weit entfernt. Jeden Samstag findet dort eine Fahrzeug-Auktion statt. Zwei Busse stehen zum Verkauf, ausgezeichnete Modelle mit 150000 Kilometern auf dem Buckel.«

»Und wie weit soll der noch laufen, wenn wir ihn haben?«

»Vier Kilometer.«

»Das ist alles?«

»So ist es geplant«, sagte Ibrahim.

Mack Bedfords Nissan Titan rollte etwa zwei Stunden später, nachdem Mike und seine islamistische Sprengstoff-Abteilung nach Süden Richtung Norfolk abgebogen waren, durch das Naugatuck-Tal. Gegen 10.30 Uhr steuerte er in Torrington den gleichen Parkplatz an, den am Tag zuvor die vier Dschihadisten benutzt hatten.

Mack konnte sich nicht unbedingt auf erdrückende Beweise stützen. Er wusste lediglich, dass ein 42-jähriger saudischer Ölmanager, Faisal al-Assad aus der East Sixty-Ninth Street in New York, zwei Millionen Dollar von seinem Konto bei der Gotham National in der Park Avenue auf zwei kleine Banken in Torrington überwiesen hatte – 1,5 Millionen auf die Connecticut State und 500000 auf die Bank of New England. Vom Bürgersteig neben dem Parkplatz konnte er am anderen Ende der Main Street beide Geldinstitute erkennen.

Natürlich war es völlig zwecklos, die beiden Banken aufzusuchen und zu fragen, was Faisal al-Assad mit seinen Überweisungen vorhatte. Strauss hatte Goldman ausgefragt und erfahren, dass der Saudi es mit dem Geldtransfer sehr eilig gehabt hatte; außerdem habe er sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass sich sein Kunde bereits in Torrington aufgehalten habe, als er die Anweisungen erteilte.

Mack konnte also nur davon ausgehen, dass al-Assad bereits einen großen Teil seines Gelds in Connecticut ausgegeben hatte oder kurz davorstand – möglicherweise mit der Absicht, einen Stützpunkt einzurichten, von dem aus der Anschlag durchgeführt werden konnte. Der New Yorker Sayanim-Chef hatte darauf hingewiesen, dass El Kaida immer eine Basis errichtete, allerdings nicht notwendigerweise in unmittelbarer Nähe des Anschlagziels. Der Angriff auf das World Trade Center war von Boston aus gesteuert worden, von einigen Wohnungen im Stadtzentrum, die Bin Ladens Verwandten gehört hatten. Nicht umsonst bedeutete El Kaida im Arabischen Stützpunkt, Fundament.

Mack schlenderte den Gehweg entlang und besah sich die Geschäfte. Ihm fiel die Vielzahl an Immobilienmaklern auf, die fast alle mit gewerblichen Objekten zu tun hatten. Sollte Faisal al-Assad groß investieren und sogar ein ganzes Bürogebäude oder andere gewerbliche Immobilien erwerben, wäre daran nichts Auffälliges, überlegte Mack. Schließlich gehörte er zum Vorstand einer saudischen Ölfirma mit Sitz in Riad und New York. Eine Investition in einer aufstrebenden Gemeinde wie Torrington, wo man sogar hoffte, die Eisenbahnlinie nach New York wieder in Betrieb zu nehmen, konnte aus wirtschaftlichen Gründen durchaus sinnvoll sein.

Mack allerdings hatte den Verdacht, dass mehr dahintersteckte. Er musste herausfinden, ob der Saudi ungewöhnliche Schecks ausgestellt, ob er einen neuen Stützpunkt finanziert hatte. Als ihm das Schaufenster eines alteingesessenen Maklerbüros auffiel, Cutlers and Sons, beschloss er, dass man die Dienste genau eines solchen Büros in Anspruch nehmen würde, wenn man auf der Suche nach einem abgeschiedenen Landsitz war.

Daneben stellte er sich die Frage, ob es in dieser pittoresken Ecke von Connecticut möglicherweise ein großes jüdisches College gab.

Er drückte die Eingangstür auf, schloss sie leise hinter sich und wurde von Miss Aimee Cutler begrüßt.