Kapitel 13
Erst im Alter lernte die Gräfin Olga Karlowna Paurier Russisch. Diese Sprache, die ihr früher barbarisch vorgekommen war, entzückte sie jetzt durch ihren Reichtum an Bedeutungsnuancen und Gefühlsschattierungen. Die russischen Wörter schillerten und leuchteten in allen Regenbogenfarben, wie die Facetten der kostbaren Edelsteine, die sie so liebte.
»Staryk, Staritschok, Starez, Star-rikaschka«, wiederholte die Gräfin mit guttural schnarrendem »r«, lachte und klatschte in die Hände wie ein kleines Kind.
Im Jahre 1880 war die Gräfin achtzig geworden – sie war genauso alt wie ihr Jahrhundert. »Starik«, »Alter«, nannte sie ihren verstorbenen Gatten, den Grafen Paurier, mit dem sie sich oft auf russisch unterhielt, wenn sie im Sessel vor dem Kamin saß.
»Du mußt den Diamanten ›Pawel‹ schleifen lassen, Liebes. Bestell bei Le Villon eine Brosche in Form einer Orchideenblüte, um den Stein herum sollen feine Blütenblätter aus Platin sein mit blaßblauen durchsichtigen Topasen darauf, wie Tautropfen am Morgen, und dazwischen ovale Smaragde als Blätter.«
»Ah, das ist magnifique, mon amour, das ist wundervoll!« Die Gräfin kniff kokett die Augen zusammen, lächelte und entblößte dabei ihre falschen Zähne. »Aber zu welchem Kleid kann ich die Brosche tragen?«
»Zu dem blauen Samtkleid. Oder zu dem weißen, dem aus Chinaseide mit den flämischen Spitzen. Das steht dir so gut, meine Liebe.«
»Genug davon, mein Schatz«, Gräfin Olga schob launisch die Lippen vor, »diese Kleider würde jetzt nicht einmal mehr mein Stubenmädchen Luscha anziehen. Ärmel à gigot trägt man schon lange nicht mehr.«
»Tatsächlich? Was trägt man denn jetzt?«
»Ach, mein Herz, alles hat sich völlig verändert. Die Tournüre hat gesiegt, das Plissé ist verschwunden, ganz enge Kostüme sind jetzt in Mode.«
»Qu’est-ce que c’est la tournure, mein Engel?«
»Oh, das ist so eine Ausbuchtung hinten, unterhalb des Rückens, sie wird durch ein spezielles Gestell aus Fischgräten gehalten.«
Die Tür wurde aufgerissen, ins Zimmer rollte ein Holzpferd auf Rädern, und hinter dem Pferd kam ein fünfjähriger dunkelhaariger Junge hereingelaufen. Er legte den Finger an die Lippen und versteckte sich hinter dem Sessel der Gräfin.
»Was geht da vor sich, Michel?«
»Oma, du mußt mich verstecken, Miss Clarke will, daß ich mir die Haare mit Pomade einschmiere.«
Eine füllige ältere Jungfer in einem karierten Kleid rauschte majestätisch ins Zimmer.
»Was ist los, Miss Clarke?« fragte die Gräfin streng auf englisch.
»Heute kommen Gäste, Euer Erlaucht, die Fürstin Sawadskaja mit ihren Töchtern, und ich wollte, daß Seine Erlaucht so aussieht, wie es sich für einen kleinen Gentleman geziemt.« Die Engländerin machte einen tiefen, respektvollen Knicks.
»Gehen Sie, Mary«, sagte die Gräfin, »und du komm raus, du Schlengel.« Sie streckte die Hand aus und streichelte über die dunklen weichen Locken ihres geliebten Urenkels.
»Schlingel, Oma, oder Bengel, aber nicht Schlengel.« Erst nachdem sich die Tür hinter der gestrengen Miss geschlossen hatte, kam der fünfjährige Michel hinter dem Sessel hervor.
»Warum willst du denn kein Gentleman sein, du Schlingel?«
»Mir gefällt diese klebrige Pomade nicht, und ich will nicht riechen wie ein Barbier. Und außerdem mag ich es nicht, wenn die Fürstin mit ihren Töchtern kommt. Kann ich nicht ein bißchen hier bei dir sitzen, Oma?«
»Maman wird unzufrieden sein. Du mußt zu den Gästen hinausgehen. Das sind kleine Fürstentöchter.«
»Ich langweile mich mit ihnen«, seufzte Michel, »das sind solche Zieräffchen. Ich will lieber bei dir bleiben, Oma. Erzählst du mir von dem Hühnerstein?«
»Davon habe ich dir schon so oft erzählt, die Geschichte kennst du längst auswendig. Morgen werde ich einen Juwelier kommen lassen, den besten und berühmtesten von Moskau. Er wird den Diamanten schleifen und aus ihm eine Brosche in Form einer Orchideenblüte machen, mit feinen Blütenblättern aus Platin. Auf jedem Blütenblatt werden wie Tautropfen durchsichtige zartblaue Topase funkeln, und dazwischen stecken kleine, längliche Smaragde als Blätter. Die Blütenblätter werden beweglich befestigt sein und an dünnen, elastischen Stielen sitzen, wie in dem großen Brillantenstrauß Ihrer Majestät, der Zarin.«
»Steckst du dir die Brosche dann ans Kleid und gehst auf einen Ball?«
»Nein, mein Engel. Ich bin für eine solche Brosche zu alt.«
»Schenkst du sie Maman?«
»Nein. Deine Maman ist zu leichtsinnig. Warum muß ich sie denn unbedingt jemandem schenken? Viele Jahre werden vergehen, ein neues Jahrhundert wird anbrechen, das zwanzigste Jahrhundert, Michel. Mich wird es dann nicht mehr geben, aber du wirst ein erwachsener Mann sein. Du wirst heiraten.«
»Wen, Dolly Sawadskaja? Niemals! Sie fiept wie eine Maus, und bei jeder Gelegenheit rennt sie zur Fürstin, um zu petzen, und die Fürstin zischt wie die Scheite im Kamin, wenn man sie mit Wasser bespritzt. Ich werde niemals heiraten, Oma.«
»Außer Dolly gibt es noch viele andere Mädchen, eins wird dir schon gefallen. Und jetzt hör mir gut zu und merk dir, was ich sage.« Sie beugte ihr runzliges, weiß gepudertes Gesicht zu ihrem Urenkel hinab und flüsterte: »Es wird ein glückliches, vernünftiges Jahrhundert sein. Die Menschen werden endlich lernen, erst zu denken und dann zu handeln. Die Gewissenlosen werden sich schämen, die Erbarmungslosen werden Mitleid mit ihrem Nächsten haben, die Hand des Mörders wird innehalten, aus dem Mund des Lügners wird statt menschlicher Worte Hundegebell ertönen.«
»Heißt das, unser Küchenmeister Fjodor wird dann nur noch bellen und kann gar nichts mehr sagen? Er lügt ja die ganze Zeit, behauptet, daß die Marmelade schimmlig geworden ist, der Käse hart und der Kalbsbraten trocken.«
»Michel, was hat Fjodor damit zu tun?« Die alte Frau runzelte die Stirn, und auf den Samtbezug des Sessels rieselte der Staub der trockenen weißen Schminke von ihrem Gesicht. »Ich spreche vom zwanzigsten Jahrhundert, von jenem wunderbaren, vernünftigen Zeitalter, in dem du leben wirst, mein Engel. Du wirst ein erwachsener Mann sein, dein edles Herz wird in Liebe entflammen, und ich hoffe, daß der Gegenstand deiner Verehrung deines Titels und deiner gesellschaftlichen Stellung würdig sein wird.«
»Oma, was ist das, ein Gegenstand der Verehrung?« flüsterte Michel erschrocken.
»Sei so gut, unterbrich mich nicht. Nach der Trauung wirst du einer jungen, schönen Frau die Orchideenbrosche ans Kleid stecken. Und deine Frau wird nie aufhören, dich zu lieben.«
Lisa nahm eine Dusche und hüllte sich in den warmen Hotelbademantel. Endlich war ihr nicht mehr kalt. Sie schaltete das Radio ein, suchte nach einem Sender mit ruhiger klassischer Musik und begann sich zu kämmen. Das Klopfen an der Tür hörte sie zuerst gar nicht.
»Jelisaweta Pawlowna, auf eine Minute, bitte«, rief Krassawtschenko vor der Tür.
»Entschuldigen Sie, Anatoli Grigorjewitsch, aber ich schlafe schon.«
»Nur einen Augenblick, es ist sehr wichtig. Ich muß Ihnen etwas geben, und morgen früh fliege ich ab.«
Wieso habe ich eigentlich Angst vor ihm? dachte Lisa aufgebracht.
Sie zog Jeans und T-Shirt an, lief barfuß über den Teppich und riß die Tür auf.
»Verzeihen Sie bitte.« Krassawtschenko trat ins Zimmer. »Ich ging gerade zum Lift zurück, als ich dies hier auf dem Boden bemerkte.« Er hielt ihr ein weißes rechteckiges Kärtchen entgegen. »Haben Sie das vielleicht verloren, als Sie zum Telefon liefen?«
Es war die Visitenkarte eines Antiquitätengeschäftes, wahrscheinlich des Ladens, in dem sie gestern die Spieldose für ihren Mann gekauft hatte.
»Danke, aber das brauche ich nicht mehr. Deswegen hätten Sie sich nicht bemühen müssen. Gute Nacht, Anatoli Grigorjewitsch.«
»Übrigens ein sehr gutes Geschäft.« Krassawtschenko nahm die Karte wieder an sich. »Dort gibt es eine wunderbare Auswahl an antikem Schmuck. Interessieren Sie sich für Juwelen, Lisa?«
»Nicht sehr.«
»Ach, und ich dachte immer, Sie interessieren sich dafür. Sie haben so schöne Ohrringe, die sind mir gleich aufgefallen. Amethyst, wenn ich mich nicht irre?«
»Brasilianischer Topas.«
»Was Sie nicht sagen! Darf ich mal einen Blick darauf werfen?« Krassawtschenko drängte sie ins Zimmer zurück, dorthin, wo das Licht heller war, und faßte ungeniert an ihr Ohr. »Tatsächlich, blauer brasilianischer Topas. Ein sehr seltener und wertvoller Stein. Schliff ›Marquis‹. Eine außergewöhnlich feine Arbeit, Jugendstil, Anfang zwanzigstes Jahrhundert. Haben Sie die Ohrringe gekauft, oder sind es Erbstücke?«
»Anatoli Grigorjewitsch, entschuldigen Sie, aber ich habe ehrlich gesagt nicht die geringste Lust, mit Ihnen über meine Ohrringe zu sprechen. Ich bin sehr müde und möchte schlafen.« Sie streckte den Arm aus, um die Tür zu schließen, aber er faßte nach ihrer Hand und hielt sie fest.
»Ah, diesen Ring habe ich vorher gar nicht bemerkt. Die Stücke gehören doch zusammen? Ist der blaue Topas Ihr Glücksstein? Er entspricht sicher Ihrem Sternzeichen? Sind Sie etwa Skorpion? Oder war Ihre Urgroßmutter Skorpion?«
»Würden Sie jetzt bitte auf Ihr eigenes Zimmer gehen?« Lisa riß heftig ihre Hand weg und trat ans Fenster. Krassawtschenko ließ sich in den Sessel fallen und schlug selbstsicher die Beine übereinander.
»Jelisaweta Pawlowna, Sie sind doch eine erwachsene, gut erzogene, zurückhaltende Dame. Wieso plötzlich solch ein Ton? Habe ich Sie vielleicht irgendwie beleidigt? Lassen Sie uns ruhig ein Viertelstündchen zusammensitzen, nicht länger, etwas trinken, und dann verschwinde ich. Ehrenwort.«
»Na gut.« Lisa seufzte. »Wenn Sie sich unbedingt mit mir unterhalten wollen, können wir in die Bar im siebten Stock gehen. Die ist rund um die Uhr geöffnet.«
»Wozu? Alles, was wir brauchen, ist hier im Zimmer. Erlauben Sie.« Ohne ihre Antwort abzuwarten, stand Krassawtschenko auf und öffnete die Minibar. »Was darf ich Ihnen einschenken? Kognak, Whisky, trockenen Rheinwein …«
»Ich habe doch schon gesagt, ich trinke nicht, und außerdem finde ich, Anatoli Grigorjewitsch, für einen Diplomaten benehmen Sie sich etwas seltsam. Die Bar ist übrigens nicht kostenlos.«
»Keine Angst, die Rechnung bezahle ich. Also, was wollen wir trinken? Und worauf? Vielleicht auf den glücklichen Stern, unter dem Sie geboren sind. Wenn ich gestern nicht zufällig in der Nähe gewesen wäre, hätte Ihr Ausflug ein trauriges Ende nehmen können. Und statt sich bei mir zu bedanken, kränken Sie mich und meiden mich wie die Pest.«
»Verzeihen Sie, Anatoli Grigorjewitsch. Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar und wollte Sie bestimmt nicht kränken.« Lisa wurde die Situation peinlich. »Trinken Sie, was Sie am liebsten mögen. Ich trinke in Gedanken mit.«
»Aber natürlich!« Er brach in Lachen aus. »Allein kann ich auch auf meinem Zimmer trinken. So hat man sich früher bei Klempnern und Elektrikern bedankt – ihnen ein Glas Wodka eingeschenkt. Jetzt fehlt nur noch, daß Sie mir Geld dafür anbieten, daß ich Ihnen aus der Klemme geholfen habe! Ich habe doch wohl ein Recht darauf, wenigstens mit Ihnen anzustoßen! Lassen Sie uns den trockenen Weißwein nehmen. Der hat nicht mehr Alkohol als Traubensaft.«
Er öffnete die Flasche und goß den Wein in zwei große Kristallgläser.
»Warten Sie, gleich fällt Ihnen eine Wimper ins Glas.« Er streckte die Hand aus und berührte ihr Gesicht.
»Nicht nötig, das kann ich selbst.« Sie stand abrupt auf und ging ins Bad. Das Licht dort war sehr hell, aber wie aufmerksam Lisa auch in den Spiegel schaute, sie konnte keine ausgefallene Wimper entdecken. Sie zupfte sich das Haar zurecht und kehrte ins Zimmer zurück.
»Auf Sie, Jelisaweta Pawlowna, auf Ihre Schönheit, auf Ihren Glücksstern!« sagte Krassawtschenko, feierlich flüsternd.
Lisa nippte an ihrem Wein.
»Sie haben mir noch gar nicht auf meine Frage geantwortet, ob Sie Ihren Schmuck in einem Antiquitätengeschäft gekauft haben oder ob es Erbstücke sind.«
»Warum wollen Sie das unbedingt wissen? Interessieren Sie sich ernsthaft für Astrologie und Juwelen?«
»Nein. Ich interessiere mich für Sie, Jelisaweta Pawlowna. Ich weiß, ich benehme mich dumm und auch nicht sehr höflich. Aber immer wenn ich Sie sehe, geschieht etwas mit mir. Ich verliere den Kopf. Ist Ihnen so etwas noch nie passiert?«
»Anatoli Grigorjewitsch, gehen Sie zurück in Ihr Zimmer. In unserem Alter haben solche Spielchen keinen Reiz mehr.«
»Lisa, das ist kein Spiel. Ich frage Sie ganz im Ernst, haben Sie noch nie den Kopf verloren? Haben Sie sich noch nie so verliebt, daß Sie alles vergessen haben, alle guten Manieren, allen gesunden Menschenverstand?«
»Sie sind doch nicht etwa betrunken?« erkundigte sich Lisa vorsichtig.
»Ich bin stocknüchtern. Aber Sie, was geht mit Ihnen vor? Ihre Wangen glühen, Ihre Augen glänzen. Eine heimliche Affäre, ein starkes, spätes Gefühl. Habe ich richtig geraten? Sie brauchen nicht zu antworten, ich sehe Ihren Augen an, daß ich ins Schwarze getroffen habe. Aber leider können Sie sich über diese Affäre gar nicht freuen. Sie fühlen sich nicht wohl dabei, Sie schämen sich. Sie befürchten, daß über kurz oder lang Ihre Kollegen, Ihre Familie davon erfahren. Sie gehören nicht zu dem weitverbreiteten Typ Frauen, die mit Begeisterung sämtliche Details ihres Privatlebens ausbreiten und bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit von ihren Eroberungen erzählen, weil sie meinen, auf diese Weise in den Augen der Öffentlichkeit ihren Wert zu erhöhen. Sie brauchen diese Art von Selbstbestätigung nicht. Sie sind ernsthaft verliebt, aber statt glücklich und zufrieden zu sein, leiden Sie unter inneren Konflikten und Gewissensbissen.«
»Sie sind ganz offensichtlich nicht bei Verstand, Anatoli Grigorjewitsch«, sagte Lisa mit lautem, unnatürlichem Lachen, »was reden Sie da für einen Schwachsinn?«
»Nun gut.« Er seufzte traurig und breitete die Arme aus. »Ich habe mir schon gedacht, daß Sie mir widersprechen würden. Nebenbei, die Verliebtheit steht Ihnen ausgesprochen gut. Sie sind richtig hübsch geworden.«
»Ich habe gar nicht die Absicht, Ihnen zu widersprechen«, sagte Lisa scharf und bemühte sich, die Fassung zu bewahren, »es geht Sie nur einfach nichts an. Ich werde mit Ihnen nicht über mein Privatleben diskutieren.«
»Aha, es gibt also etwas, worüber man diskutieren könnte?« Krassawtschenko kniff listig die Augen zusammen. »Ich wollte Ihnen eigentlich nur mal auf den Zahn fühlen. Ich schwöre, ich weiß gar nichts über Ihr Verhältnis. So, damit wären jetzt also herzliche und vertraute Beziehungen zwischen uns hergestellt. Lassen Sie uns darauf trinken.«
Mechanisch stieß Lisa mit ihm an und nahm einige große Schlucke Wein. Ihr war der Mund ganz trocken geworden.
»Auf unsere Freundschaft«, sagte Krassawtschenko lächelnd. »Mit dem Recht des Freundes werde ich Ihnen jetzt ein ausgezeichnetes Mittel gegen unglückliche, überflüssige Liebe nennen. Wissen Sie, was Sie tun müssen? Sie müssen mit mir schlafen. Dann wird es Ihnen sofort besser gehen.«
»Mit Ihnen?« Lisa musterte ihn kritisch und sagte dann mit ruhigem Lächeln: »Eigentlich gar keine so schlechte Idee. Ich werde darüber nachdenken.«
»Darüber denkt man nicht nach. Das tut man.« Er stand langsam auf und zog sich das Jackett aus. »Alle Ihre Komplexe werden sofort verschwinden, und die Probleme lösen sich wie von selbst.«
»Es gibt aber eins, das sich kaum lösen läßt. Sie gefallen mir nicht, Anatoli Grigorjewitsch. Sie sind ein ordinärer Flegel. Ich fürchte, es wird nichts werden mit uns. Und jetzt seien Sie so gut und verlassen mein Zimmer.«
Krassawtschenko räusperte sich und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
»Tja, wirklich schade. Gute Nacht. Danke für den Wein. Machen Sie sich keine Sorgen wegen der Rechnung. Ich bezahle sie morgen früh.« Er ging zur Tür und faßte nach der Klinke.
»Sie haben Ihr Jackett vergessen, Anatoli Grigorjewitsch.«
»Ach ja, danke.« Er kam zurück, nahm das Jackett, zog es aber nicht an, sondern holte aus der Innentasche einen kleinen Umschlag und sagte leise: »Ich habe noch etwas vergessen. Hier, schauen Sie.«
Auf den Couchtisch flatterten mehrere Farbfotografien. Lisa erblickte sich selber neben einem männlichen Prostituierten, im Hintergrund eine Leuchtreklame: »Die unvergeßlichen Freuden des oralen Sex«.
»Die Leser der Yellow Press werden sicher bereitwillig glauben, daß Sie gerade über den Preis verhandeln«, bemerkte Krassawtschenko seufzend. »Und hier die Wonnen der lesbischen Liebe. Sehen Sie, wie zärtlich diese üppige blonde Farbige Sie an der Hand hält. So also amüsiert sich unsere ehrenwerte Jelisaweta Beljajewa im Ausland. Das Ärgerliche daran ist, daß nicht einmal nachgewiesen werden kann, daß die Fotos gefälscht sind. Wir wissen ja beide, die Aufnahmen sind echt. Die Leser der Boulevardpresse werden ihre helle Freude daran haben, ganz Moskau wird davon reden. Und irgendwer wird diesen Schmutz bestimmt auch mit in die Schule bringen, in die Ihre Kinder gehen.«
»Was wollen Sie eigentlich, Krassawtschenko?«
»Nur ein bißchen Aufmerksamkeit für meine bescheidene Person. Aufmerksamkeit und Respekt.«
Lisa stand abrupt auf und ging zum Fenster. Ihr war heiß und kalt zugleich, sie zitterte wie im Fieber. Aber auf keinen Fall wollte sie, daß Krassawtschenko etwas davon merkte.