1
Die Frau lag auf dem Rücken am Strand und blickte
still in den wolkenlosen Himmel. Ihr hellblondes Haar trocknete in
der heißen Sonne zu kleinen Locken. Sandspuren auf ihrem Bauch
wirkten wie ein Stück hauchzarter Stoff, aber die braunen Höfe
ihrer Brustwarzen und das Haar zwischen ihren Schenkeln verrieten,
daß sie nackt war. Sie hatte einen Arm entspannt um ihren Kopf
gelegt, der andere ruhte mit der Handfläche nach oben auf dem Kies,
und ihre Finger schienen mit den flachen Wellen der steigenden Flut
zu spielen.
Über ihr türmten sich die abweisenden Felsen des
Houns-tout-Kliffs, an dessen Vorsprüngen robuste Pflanzen
wurzelten. In Herbst und Winter so oft von Nebel und Regen
verhüllt, wirkten die schroffen Schieferwände nun im leuchtenden
Sommerlicht warm und freundlich. Anderthalb Kilometer weiter
westlich, auf dem Küstenwanderweg, der sich an den Felshöhen
entlang nach Weymouth zog, näherte sich langsam eine Gruppe
Wanderer, die ab und zu haltmachte, um die wie kleine Geschosse ins
Meer eintauchenden Kormorane zu beobachten. Im Osten, auf dem
Fußweg nach Swanage, passierte ein einzelner Wanderer die
normannische Kapelle auf dem St.-Alban’s-Kap; von hier führte der
Pfad zum felsenumschlossenen Kessel des Chapman’s Pool, der mit
seinem klaren blauen Wasser bei leichtem, ablandigem Wind ein
beliebter Ankerplatz war. Da er von Steilwänden umgeben war,
verirrten Fußgänger sich nur selten zu seinen Stränden, doch an
einem schönen Sonntag wie diesem lagen dort mittags oft zehn Boote
und mehr vor Anker.
Ein Boot, eine zehn Meter lange Princess, hatte
sich bereits durch den Zufahrtskanal in die Bucht hineingeschoben,
und das Klirren seiner Ankerkette übertönte das Geräusch der
leerlaufenden Motoren. Nicht weit dahinter durchschnitt der Bug
einer Fairline Squadron die starke Strömung vor dem St.-Alban’s-Kap
und schlug auf ihrer Fahrt zur Bucht einen weiten Bogen um die
Jachten, die träge schaukelnd in der leichten Brise lagen. Es war
Viertel nach zehn an einem der heißesten Sonntage des Jahres, doch
die nackte Sonnenanbeterin, außer Sicht hinter dem Egmont Point,
schien weder die flirrende Hitze zu kümmern noch die Aussicht auf
ungebetene Gesellschaft.
Die Brüder Paul und Daniel Spender hatten die
nackte Frau entdeckt, als sie mit ihren Angeln um die Landspitze
herumgekommen waren. Jetzt kauerten sie waghalsig hundert Meter
weiter oben etwas rechts von ihr auf einem unsicheren Sims und
beobachteten sie durch das teure Fernglas ihres Vaters, das sie in
einem Bündel T-Shirts und Angelzeug aus dem gemieteten Ferienhaus
geschmuggelt hatten. Ihr zweiwöchiger Urlaub war gerade zur Hälfte
vorbei, und für den älteren der beiden Brüder war das Angeln von
Anfang an nur ein Vorwand gewesen. Dieser abgelegene Teil der Insel
Purbeck konnte einem zwölfjährigen Jungen wenig Verlockendes
bieten; hier lebten nur wenige Menschen, es gab kein
Freizeitangebot und noch nicht einmal schöne Sandstrände. Das
einzige, was ihn interessierte, waren die jungen Mädchen in ihren
knappen Bikinis, die sich auf den teuren Motorjachten im Chapman’s
Pool aalten.
»Mama hat extra gesagt, wir sollen nicht auf die
Felsen klettern, weil das gefährlich ist«, flüsterte Danny, der
gehorsame Zehnjährige, der am Anblick nackter Haut noch nicht so
viel Gefallen fand wie sein Bruder.
»Ach, halt die Klappe.«
»Sie würde ganz schön schimpfen, wenn sie wüßte,
daß wir eine nackte Frau anglotzen.«
»Du hast ja nur Angst, weil du noch nie eine
gesehen hast.«
»Du doch auch nicht«, gab der Jüngere aufgebracht
zurück. »Und überhaupt - die ist unanständig. Hier kann sie doch
jeder sehen.«
Paul ignorierte die Bemerkung, schließlich waren
sie auf dem Weg um den Chapman’s Pool herum keiner einzigen
Menschenseele begegnet. Er konzentrierte sich lieber auf den
nackten Körper dort unten. Vom Gesicht der Frau konnte er nicht
viel sehen, weil sie mit den Füßen zum Land hin lag, aber das Glas
vergrößerte so stark, daß er sonst jede Einzelheit erkennen konnte.
Wenig vertraut mit dem nackten weiblichen Körper, machte er sich
über die blauen Flecken auf ihrer Haut keine Gedanken, aber er
hätte sich, das wurde ihm später klar, auch keine Gedanken darüber
gemacht, wenn er gewußt hätte, was sie zu bedeuten hatten. Von so
einer Situation hatte er immer geträumt - daß er irgendwo eine
reglos daliegende Frau entdecken würde, die ihm erlaubte, sie in
aller Ruhe zu erforschen, wenn auch nur durch das Fernglas. Er fand
den weichen Fall ihrer Brüste unglaublich aufregend und verweilte
lange bei ihren Brustwarzen. Er stellte sich vor, wie es wäre, sie
zu berühren, und was geschähe, wenn er dies täte. Genüßlich
wanderte er ihren Körper abwärts, hielt beim Grübchen ihres Nabels
inne, bevor er zu dem vordrang, was ihn am meisten interessierte,
nämlich ihre gespreizten Beine und das, was zwischen ihnen lag. Er
kroch auf seinen Ellbogen vorwärts und begann zu juckeln.
»Was machst du da?« fragte Danny argwöhnisch und
kroch neben ihn. »Schmuddelst du rum?«
»Quatsch, natürlich nicht.« Er gab seinem Bruder
einen wütenden Stoß gegen den Arm. »Das ist alles, was du im Kopf
hast. Rumschmuddeln. Paß lieber auf, sonst erzähl ich’s Dad, du
Idiot!«
Es folgte die unvermeidliche Prügelei, in deren
Verlauf dem älteren Bruder das Zeiss-Glas aus der Hand rutschte.
Erschrocken gaben die Jungen den Kampf auf, krochen vom Abgrund
zurück und starrten fassungslos nach unten. Beide ahnten die
drohende Strafpredigt ihres Vaters.
»Wenn’s kaputtgeht, ist es deine Schuld«, heulte
der Zehnjährige. »Du hast es fallen lassen.«
Aber ausnahmsweise ließ Paul sich nicht von ihm
reizen. Sein Interesse galt bereits wieder der jungen Frau, die
seltsamerweise noch immer völlig reglos am Strand lag. Mit einem
schrecklichen Gefühl dunkler Vorahnung dämmerte ihm, daß er sich am
Anblick einer Toten befriedigt hatte.