Mazzawaken
Auf dem Heimritt am Nachmittag beeilten sich die beiden Jäger nicht sonderlich, aber sie zögerten auch nicht. Sie genossen das Bewußtsein, etwas Großes geleistet, eine Gefahr überwunden zu haben und als Sieger zu ihren heimischen Zelten zu kommen. Dort würden ihnen die Jungen und Burschen jubelnd entgegeneilen und die Krieger und Alten sie mit Bewunderung empfangen.
Welch ein denkwürdiges Zusammentreffen, daß Mattotaupa das Fell des stärksten grauen Bären, der je von den Kriegern beobachtet worden war, heimbringen konnte an einem Tag, an dem Tatanka-yotanka, einer der bedeutendsten Geheimnismänner und Anführer der sieben Dakotastämme, in den Zelten der Bärenbande weilte.
Harka, der hinter dem Vater ritt, sah vor sich auf der Kruppe von seines Vaters Pferd das Bärenfell; er schaute immer wieder darauf, die Größe bewundernd, in Vorfreude auf den Empfang, den Mattotaupa bei den Tipis finden mußte. Jetzt war das Dorf von der Furcht vor dem Raubtier befreit.
Der Knabe sah in seiner Freude auch die Gräser, die sich im Wind wiegten, das Blau des Himmels, an dem weiße Wolken schnell dahinsegelten; er hörte das leise Plätschern des Pferdebaches, und mit scharfen Augen erkannte er schon fern, ganz fern den etwas dunkleren Fleck des Gehölzes, in dem die Zelte versteckt lagen.
Da – was war das? Es bewegte sich etwas auf der Prärie!
Harka spähte, und er erkannte, daß Mattotaupa die gleiche Beobachtung gemacht haben mußte, denn auch der Häuptling wandte den Kopf, und dann griff er in den Zügel und hielt den Mustang an.
»Harka, was siehst du dort?« fragte er.
»Vier Tiere, Vater. Vier Pferde. Sie laufen zwei und zwei. Mit Reitern. Aber ich weiß nicht – es scheinen nur zwei Reiter zu sein.«
Mattotaupa spähte weiter, ohne zunächst eine Antwort zu geben.
»Im Schritt reiten sie«, sagte er schließlich.
»Ja, ganz langsam. Ostwärts.«
»Komm, wir holen sie ein. Ich muß wissen, wer das ist.«
Mattotaupa und Harka setzten ihre Pferde wieder in Galopp. Die Indianer, die ohne Sattel und Steigbügel ritten, ließen die Pferde nicht traben, da dies für den sattellosen Reiter sehr unangenehm ist. Sie ritten Schritt oder Galopp.
Da die Reiter in der Ferne ihr langsames Tempo beibehielten, holten der Häuptling und sein Sohn sie rasch ein. Im Näherkommen erkannte auch Harka bald, wen sie vor sich hatten. Das waren Weitfliegender Vogel Gelbbart und Langspeer; sie führten ihre beiden Maultiere und das Gepäck mit. Die beiden hielten an, wendeten die Tiere und schauten Mattotaupa und Harka entgegen. Diese galoppierten nach indianischer Übung nahe heran, als ob sie ihre beiden Gäste umreiten wollten, und rissen kurz zuvor die Pferde zurück.
»Ho, Mattotaupa!« rief der Maler froh, und zugleich mit ihm sprach Langspeer: »Was sehen wir! Du hast das Fell des Bären! Was für ein Fell! Ja, das ist das Fell des Burschen, der uns in den Bergen erschreckt hat! Großer Jäger Mattotaupa! Dieses Prachtstück von Bären hast du erlegt!«
Der Häuptling bejahte und lachte strahlend. Auch Harka lächelte. Aber dabei betrachtete er nachdenklich den Maler, dessen Gefährten, die Maultiere und das Gepäck.
Was hatte Weitfliegender Vogel im Sinn? Er wollte doch nicht etwa die Zelte verlassen, ehe er das Bild des großen Jägers gemalt und an dem Jagdfest teilgenommen hatte? Harka hatte Langspeer und den sonderbaren Maler liebgewonnen, obgleich der letztere nur schlecht schießen konnte. Aber er hatte nach Harkas Meinung in vielem einen klaren Sinn erwiesen und dem Jungen auch erlaubt, sein Mazzawaken zu studieren. Wenn Harka sich daran zurückerinnerte, mit welchen Gefühlen und Vorstellungen er den Maler und Langspeer das erstemal vom Sandhügel aus beobachtet hatte, so mußte er über sich selbst lachen. Jetzt wußte er schon, daß der weiße Mann einen Hut auf dem Kopf trug, um sich gegen Sonne und Kälte zu schützen, deren starke Einwirkung er in den Steinhäusern der weißen Männer nicht ertragen gelernt hatte, daß die hohen Mokassins beim Durchwaten von Flüssen gute Dienste leisteten und daß ein Mazzawaken nicht ein Zauber, sondern das Werk geschickter Hände war. Er wußte auch, daß ganze Stämme von roten Männern in Gefangenschaft lebten und daß Langspeer von dem Großen Vater in Washington die Erlaubnis erhalten hatte, den Maler zu begleiten. Von dem Großen Vater in Washington konnte Harka sich nur eine verschwommene Vorstellung machen. Wahrscheinlich, dachte der Junge, hat er auch gelbes Haar und einen Hut. Er gebietet über viele Krieger, die Mazzawaken besitzen.
Aber das war im Augenblick unwichtig. Wesentlich war jetzt die Frage, warum Weitfliegender Vogel und Langspeer mit ihren Maultieren und ihrem Gepäck unterwegs waren. Es sah wie ein endgültiger Abschied aus. Aber das konnte doch nicht sein!
Vielleicht hatte Mattotaupa ähnliche Gedanken, doch auch er sprach sie nicht aus. Er fragte nur freundlich: »Wollen wir eine kurze Rast miteinander machen?«
Weitfliegender Vogel und Langspeer schienen überrascht, stimmten aber gern zu. Alle sprangen ab und ließen die Tiere frei grasen. Es gab keine Gefahr in der Nähe, und die Männer hielten es nicht für notwendig, die Tiere zu fesseln oder anzupflocken.
Mattotaupa und der Cheyenne nestelten die Pfeifen los, und der Maler griff zu der unvermeidlichen Zigarre.
»Wie hast du den großen Grauen erlegt, Häuptling?« fragten Gelbbart und Langspeer. »Berichte! Berichte!«
Mattotaupa entsprach der Bitte und erzählte anschaulich, alle seine Worte mit Gesten begleitend; er sprang auf und spielte mit Harka zusammen seinen beiden Gästen aus frischer Erinnerung die Jagdszene noch einmal vor. Die beiden erlebten diesen Bericht in voller Erregung mit.
»Ha, Mattotaupa, der größte Bärenjäger der Prärie und des Felsengebirges!«
Langspeer erhob sich und holte aus dem Gepäck die Schwanzfedern des Kriegsadlers, den er in den Bergen erlegt hatte. »Dir zum Geschenk, Häuptling der Bärenbande! Füge diese Federn in deine Federkrone ein, wenn sie dessen wert sind!«
Mattotaupa nahm das Geschenk an. »Immer wird meine Zunge den jungen Häuptling Langspeer und seine Freigiebigkeit zu rühmen wissen!«
Der Dakota verteilte etwas von dem Proviant, den er vorsorglich mitgenommen hatte. Man aß gemeinsam, nicht aus Hunger, sondern um die Zusammengehörigkeit zu betonen.
Dann erst stellte Mattotaupa die Frage, die ihm und auch Harka vom ersten Augenblick der Begegnung am Herzen und auf den Lippen gelegen hatte:
»Weitfliegender Vogel und Langspeer führen ihre Maultiere mit sich und alle ihre Habe? Wollen sie einen weiten Ritt unternehmen?«
Von den Mienen der Angeredeten schwand das Lächeln. »Wir verlassen dein gastliches Zelt, großer Häuptling Mattotaupa, um weiterzuziehen! Verzeihe uns, daß wir uns dazu entschlossen haben, als du fern auf der Jagd weiltest, und daß wir weggezogen sind, ohne in deinem Tipi von dir Abschied zu nehmen, ja, ohne zu wissen, wie dein Kampf mit dem Bären ausgegangen sein mochte. Es fiel uns selbst schwer, denn wir sind dir freund. Aber wir haben beide geglaubt, daß wir aus Freundschaft gegen dich so handeln müßten.«
»Warum das?« fragte der Häuptling peinlich überrascht und tief verstimmt. »Was treibt euch fort?«
»Die Vorsicht, Häuptling. Wir wollen dir keine Schwierigkeiten machen.«
»Wen sollte Mattotaupa fürchten? Eure Worte schmecken nicht gut.«
»Du fürchtest niemand, das wissen wir. Aber hüte den Frieden deiner Zelte. Du kehrst als Sieger von der Jagd zurück! Willst du mit eurem Geheimnismann in Streit geraten und deine Krieger dadurch beunruhigen? Hawandschita liebt uns beide nicht!«
Mattotaupa tat einige Züge an seiner Pfeife. »Du wirst also mein Bild nicht malen?« Die Wangen des Malers röteten sich in aufsteigender Verlegenheit. »Erlaube mir, Häuptling, sogleich dein Bild zu skizzieren. Hast du eine Stunde Zeit?«
»Mag Hawandschita doch warten, bis ich heimkehre! Du aber nimm deinen Geheimnisstab und mache das Bild, wie es dir gefällt!«
Der Maler zögerte nicht. Er holte seinen Skizzenblock hervor und zeichnete voll Eifer.
Mattotaupa blieb regungslos sitzen und schaute geradeaus, irgendwohin über die weiten Wiesen, in die sonnendurchflutete Ferne, in seine eigenen Gedanken und Pläne, Hoffnungen und Befürchtungen hinein.
Der Maler zeichnete fast eine Stunde.
Dann steckte er den »Geheimnisstab« wieder ein und gab den Block Langspeer, der ihn im Gepäck verstaute.
Weitfliegender Vogel nahm noch eine Zigarre zwischen die Lippen, entzündete sie, und nachdem er den ersten Zug getan hatte, sagte er:
»Häuptling, du hast in deinem Zeltdorf einen großen Triumph, aber auch eine große Gefahr vor dir. Darf ich ganz aufrichtig zu dir sprechen? Wirst du mir nicht zürnen?«
»Ich zürne euch nicht, Weitfliegender Vogel und Langspeer.«
»So mag Langspeer unsere Gedanken vortragen!«
»Er soll sprechen, hau.«
Langspeer bedachte sich einige Zeit.
»Häuptling Mattotaupa«, begann er schließlich. »Weitfliegender Vogel Geheimnisstab und ich verlassen dein gastliches Zelt und die Jagdgefilde der Bärenbande. Immer werden wir zu rühmen wissen, wie du uns aufgenommen und bewirtet hast. Wenn wir jetzt gehen, so soll das letzte Geschenk an dich sein, daß wir dir die volle Wahrheit sagen, wie es sich unter Brüdern geziemt.«
»Hau.«
Harka hörte aufmerksam zu. Wenn ein Mann so viele Worte und Versicherungen gebrauchte, ehe er das sagte, worauf es ankam, mußte es etwas Schwerwiegendes zu sagen geben. Fast konnte man sich vor einer solchen Mitteilung fürchten. Aber Harka hatte eben mit seinem Vater zusammen das gefährlichste Raubtier der Prärie und des Felsengebirges erlegt. Es konnte kaum etwas geben, was schwieriger war als eine solche Jagd, und also wollte er mit dem Vater zusammen ruhig anhören, was Gelbbart vorzubringen hatte. Mattotaupa würde immer siegen, gleich, in welche Gefahr er sich begab. So dachte Harka und lauschte.
»Mattotaupa, du und alle Krieger der Bärenbande, der Oglala, der Dakota, ja alle Völker der Sioux wissen, daß einst das ganze Land, angefangen von dem großen Wasser, aus dem die Sonne aufgeht, bis hin zu dem großen Wasser, zu dem die Sonne des Abends sinkt, den roten Männern gehört hat. Sie haben Büffel, Elche, Antilopen, Bären, Stachelschweine erlegt, sie haben Mais und Tabak angebaut, sie haben große, wunderbare und geheimnisvolle Bauwerke errichtet, die aussahen wie Berge oder Schlangen. Sie haben Wakantanka, das Große Geheimnis, verehrt, den Vogel mit den Blitzaugen und der Donnerstimme gescheut, die Hügel mit der Heiligen Tonerde haben sie nie mit Waffen betreten. Sie haben viel gesungen und viel getanzt. Sie haben die Wahrheit gesprochen, und sie waren tapfer. So ist es seit Urzeiten gewesen. Dann kamen die weißen Männer, alle wollten Land haben. Sie haben Land genommen und immer mehr Land. Die roten Männer mußten sterben oder verzichten. Jetzt stehen die weißen Männer an der Grenze der Prärien und Wälder, die zu den Jagdgründen der Dakota gehören. Sie wollen den Weg des Feuerrosses durch die Prärien der Pani an der Südgrenze des Dakotalandes bauen. Es kommt jetzt eine Zeit, in der die Krieger der Dakota nicht schlafen dürfen. Sie müssen die Augen offenhalten, ihre Ohren müssen auf jedes Geräusch lauschen, und ihre Hände müssen den Bogen und das Messer bereithalten. Eure Oberhäuptlinge und großen Geheimnismänner haben mit den Häuptlingen der weißen Krieger gesprochen und einen Vertrag mit heiligen Schwüren beschworen. Die Häuptlinge der weißen Männer haben schon viele Schwüre gebrochen, darum sage ich euch: Schlaft nicht, sondern bleibt wach!
Ihr habt einen klugen und entschlossenen Geheimnismann und Oberhäuptling, Tatanka-yotanka. Er ist kein Freund der weißen Männer, aber er denkt gerecht. Ihr habt bei euren Zelten den Geheimnismann Hawandschita. Er ist sehr alt, fast doppelt so alt wie Tatanka-yotanka. Wir haben mit Hawandschita in deinem Zelt gesprochen, Häuptling. Er hat als junger Mann die Wälder und Wiesen gesehen, die kein anderer von euch mehr gesehen hat. Er hat noch unter Tekumseh, dem Berglöwen, gekämpft, als alle roten Männer sich gegen die weißen Männer vereinigt hatten und doch besiegt wurden. Das kann er nicht vergessen. Er ist ein unversöhnlicher Feind der weißen Männer geworden und geblieben. Aber er mußte auch erkennen, daß die weißen Männer größere und wirksamere Geheimnisse besitzen als er selbst. Diesen Geheimnissen will er auf die Spur kommen, um sie auch zu beherrschen. Er will sie allein kennenlernen, ganz allein, ohne einen einzigen von euch in seine Wissenschaft hineinblicken zu lassen, so wie er auch mit den Geistern in seinem Zelt stets allein zu handeln pflegt. Er kann in die Geheimnisse der weißen Männer nicht eindringen, ohne mit weißen Männern zu sprechen. Aber er will heimlich mit ihnen sprechen. Häuptling, in allen diesen Vorgängen lauern große Gefahren. Wir haben Hawandschita gesagt, daß Weitfliegender Vogel keine Sondergeheimnisse besitzt, daß nur sein Auge tiefer in die Menschen hineinschaut und seine Hände geschickter sind als die anderer Menschen. Das glaubt Hawandschita uns nicht. Er denkt, daß Weitfliegender Vogel ein weißer Mann ist und darum ein Feind und daß er Hawandschita sein Geheimnis nicht preisgeben will – darum ist er für Hawandschita nicht nur ein Feind, sondern auch unnütz. Also mußten wir gehen, wenn nicht noch ein großer Streit in den Zelten entstehen sollte. Hau.«
Als Langspeer geendet hatte, wartete Harka darauf, was Mattotaupa wohl antworten würde. Der Junge schaute auf den Boden, auf ein paar Sandkörner und kleine Steinchen, er beobachtete ein Gras, wie es sich bewegte, und hörte das Schnauben seines Pferdes. Aber er dachte dabei nichts. Er gebot allen seinen eigenen Gedanken Halt, bis Mattotaupa gesprochen haben würde.
Auch der Häuptling mußte das, was er gehört hatte, in sich verarbeiten. Dann erst ergriff er das Wort.
»Ist Hawandschita nicht auf dem rechten Weg? Er haßt diejenigen weißen Männer, die dem roten Mann das Land rauben. Räuber hasse auch ich. Er will die Geheimnisse der weißen Männer kennenlernen. Das ist gut. Aber er hat sich geirrt, als er glaubte, daß Weitfliegender Vogel solche Geheimnisse besitzt. Wir werden ihm erklären, daß er sich geirrt hat. Er irrt sich auch, wenn er glaubt, Weitfliegenden Vogel hassen zu müssen. Weitfliegender Vogel ist ein gerechter und kunstfertiger Mann, und er soll unser Bruder bleiben.«
»Ich bleibe euer Bruder, Häuptling. Aber auch Brüder müssen manchmal verschiedene Wege gehen. Wir haben gesagt, was wir glaubten sagen zu müssen. Nun laß uns Abschied nehmen. In den Zelten der Bärenbande wartet man jetzt auf dich! Du wirst wohl bemerkt haben, daß dich bei deiner Rückkehr von der ersten ergebnislosen Suche nach dem Bären kaum ein Mann aus dem Dorf begrüßte. Damals lag der Schatten von Hawandschitas düsteren Prophezeiungen noch über dir, und deine Freundschaft mit uns war nicht gut angesehen. Jetzt hast du den Bären erlegt und die Unkenrufe des alten Zauberers damit widerlegt. Wir aber gehen ohne Streit, in Ruhe und gutem Einvernehmen mit dir. Die Luft ist wieder klar, und du wirst im Dorf einen großartigen Empfang erleben.«
Mattotaupa war nicht glücklich über den Beschluß seiner Gäste und nicht zufrieden damit, daß die Feindschaft Hawandschitas Mattotaupas Freunde vertreiben konnte. Aber er fühlte sich nicht stark genug, dies zu ändern. Als er die Pfeife zu Ende geraucht hatte, erhoben sich alle, und man nahm Abschied voneinander. Gelbbart und Langspeer drückten Harka besonders herzlich die Hand.
Dann schwangen sich die vier auf die Pferde. Weitfliegender Vogel und Langspeer ritten in gemächlichem Tempo weiter ostwärts.
Mattotaupa und Harka trieben ihre Tiere zu einem lebhafteren Galopp als zuvor in Richtung der Zelte. Es spielte zwar keine Rolle, ob sie eine Stunde früher oder später ins Dorf zurückkehrten. Aber sie hatten beide die Empfindung, daß sie sich so schnell wie möglich von irgend etwas entfernen wollten, was sich an dem Rastplatz wie ein böser Geist unsichtbar erhoben hatte.
Das Gehölz am Pferdebach, bis dahin nur schwach wie ein Schattenfleck in der Prärie sichtbar, wuchs jetzt vor den Augen der Heimkehrenden schnell an und zeigte seine Umrisse und seinen Charakter deutlicher. Schon waren auch kleine Punkte wahrzunehmen, die sich von dem Gehölz ablösten und über die Wiesen auf die Heimkehrenden zubewegte. Es war eine ganze Schar solcher beweglicher Punkte, die sich schnell vergrößerten, da man aufeinanderzukam, und der dazwischenliegende Raum von beiden Seiten schwand, als ob er weggefressen werde. Schon vernahm das feine Gehör der beiden Indianer Hufschlag und den ausklingenden Laut von einem fernen Geschrei. Die beiden Pferde gingen ganz von selbst in einen scharfen Galopp über, da sie die Herde witterten und das Gehölz kannten.
»Hi-je-he! Hi-je-he!«
Jetzt waren die Rufe zu verstehen, und Harka erkannte schon Tschetan und Alte Antilope, die allen anderen voran den zurückkehrenden Jägern entgegensprengten. Ihnen folgten die Jungen Hunde, die Burschen vom Bund der Roten Feder und nahezu alle Krieger; kaum einer schien zu fehlen. Das Geschrei schwoll an, es erfüllte den leicht dahinwehenden Wind mit seinen Schwingungen. Endlich mußten Mattotaupa und Harka ihr Tempo mäßigen, denn sie waren von der Schar galoppierender, waffenschwingender, jubelnder Knaben, Burschen und Männer umringt.
Als Mattotaupa und Harka, selbst mitgerissen von der allgemeinen Freude, ihre Mustangs wieder antrieben, brausten alle zusammen dem Gehölz zu, so daß der Sand zwischen den Grasbüscheln hoch aufflog.
Am Rande des Gehölzes wurden die Pferde zum Halten gebracht. Es formierte sich eine lange Reihe; an der Spitze ritt Mattotaupa, als zweiter Harka. Der Häuptling lenkte in den Pfad ein, der sich durch das häufige Passieren des Gehölzes ohne besonderes Zutun gebildet hatte. Die Sonne sank schon gegen Westen zu; ihre Strahlen spielten über die Wipfel der biegsamen Bäumchen und flimmerten im Gesträuch. Sie beleuchteten den Reiter an der Spitze. Harka sah vor sich das Bärenfell, und er wurde jetzt darauf aufmerksam, daß der Vater Kratzwunden an der Schulter hatte. Das Blut war schon verkrustet.
Der Blick auf die Zelte tat sich auf. Mattotaupa ritt zum Dorfplatz und gab dort sogleich die Anweisung für die Frauen, das Fleisch des Bären noch vor der Nacht einzuholen. Die Reihe der Reiter löste sich. Einzelne ritten rechts und links zwischen den Zelten hindurch zum Platz. Andere sprangen schon ab, warfen den Jungen die Zügel zu und eilten zu Fuß zu dem großen Kreis, der sich jetzt auf dem Fest- und Tanzplatz bildete. Die Würdenträger des Dorfes, Hawandschita und die an Jahren und Erfahrung reichsten Krieger, hatten sich dort eingefunden. In ihrer Mitte erkannte Harka zwei ihm bis dahin unbekannte Personen, einen Indianer und einen Weißen.
Bei dem Indianer war er sich sofort gewiß, wen er vor sich habe. Der ernste, willenskräftige Ausdruck dieses Mannes, seine stolze, gebieterische Haltung, die Adlerfedern als Zeichen seiner Würde, die sorgfältig und reich bestickte Lederkleidung machten es gleichermaßen erkennbar, daß er kein gewöhnlicher Krieger war. Er stand neben Hawandschita in der Mitte der angesehenen Ältesten der Bärenbande in schweigender Erwartung, während die jüngeren Männer und die Burschen noch einmal in lauten Jubel ausbrachen. Dieser fremde Indianer konnte niemand anderes sein als Tatanka-yotanka.
Mattotaupa stieg ab und winkte dem Jungen, das gleiche zu tun. Tschetan nahm die Zügel der Pferde, während der Junge dem Vater half, das große Bärenfell abzunehmen. Der Häuptling, selbst zwei Meter groß, griff in das Kopfteil des Felles und hielt es mit gestrecktem Arm in die Höhe. Die Hintertatzen schleiften auf dem Boden. Rings wurden von neuem bewundernde Rufe laut. Mattotaupa ging auf Tatanka-yotanka und Hawandschita zu und breitete das Fell vor ihnen auf dem Boden aus.
»Was für ein Bär! Was für ein Bär!« riefen die Männer ringsum.
»Er ist erlegt«, sprach Mattotaupa. »Niemals mehr wird er unsere Fohlen zerreißen und unsere Männer anfallen. Er ist tot. Mit meinen Händen habe ich ihn erwürgt und ihm das Messer ins Herz gestoßen. Mein Sohn Harka Wolfstöter Büffelpfeilversender Bärenjäger aber hat diesen großen Grauen gereizt und sich ihm mit der Keule in der Hand entgegengestellt, bis ich ihn angreifen konnte!«
Der Bericht bewegte alle, die ihn hörten. Der fremde Indianer trat vor, und unter dem achtungsvollen Schweigen der ganzen Runde besah er das Bärenfell und sprach dann:
»Häuptling Mattotaupa! Du bist ein großer Jäger; noch nie sah ich, Tatanka-yotanka, einen kühneren und stärkeren. Dein Sohn aber hat nicht weniger Mut und Geschick. Wenn im Stamm der Dakota solche Männer leben und heranwachsen, werden unsere Jagdgefilde und unsere Zelte immer gut beschützt sein!«
Den anerkennenden Worten des großen Zaubermannes, die Mattotaupa und Harka das Rot der Freude in die Wangen trieben, folgten das Lob Hawandschitas und wiederum die bewundernden Ausrufe der übrigen Krieger.
Dann wurden alle auf einen neuen Vorgang aufmerksam. Der fremde weiße Mann, der auch im Kreis gestanden und den Harka schon hin und wieder mit einem Blick gestreift hatte, sprang hervor. Er war ein großgewachsener Kerl, kräftig gebaut und sicher nicht älter als zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre. Sein Rock war schmucklos, aber aus bestem Elenleder. Er trug hohe Stiefel. Der Gürtel war mit schwarzem und rotem Leder abgesetzt. Aus der Scheide schaute der Messerknauf, daneben steckte ein Tomahawk, ein von weißen Männern gefertigtes Kampf- und Wurfbeil mit blitzender Stahlschneide. Harka hatte von dieser Waffe viel gehört und sie bei den Pani auch schon gesehen. Der Mann hatte keinen Hut auf dem Kopf. Sein gebräuntes, von Wind und Wetter wie Leder gegerbtes Gesicht war von rötlich-blondem Haupthaar umrahmt, das bis um die Ohren herabwuchs; die Ohren wirkten sonderbar, da das Läppchen angewachsen war. Das Gesicht war bartlos, der Mund breit, aber die Lippen schmal, die Nase war gebogen. Er hatte blaue Augen; sie leuchteten, fast stachen sie unter den buschigen Brauen hervor.
In jeder Hand hielt der Weiße ein Mazzawaken. Er hielt die doppelläufigen Büchsen in die Höhe, so daß die Abendsonnenstrahlen die Läufe spiegeln ließen.
»Krieger der Dakota, Häuptling Mattotaupa, großer Häuptling Tatanka-yotanka!« rief er laut, volltönend in der Sprache der Dakota, wenn auch mit einem sehr fremdartigen Akzent, so daß Harka ihn nur mit Mühe verstehen konnte. »Hier diese Feuerwaffen, neu, prächtig, einen Grizzly tötend mit einem Schuß – Waffen, wie sie bei den Zelten der Bärenbande noch nie gesehen wurden – diese doppelläufigen Büchsen, Hinterlader, alles beste Konstruktion – sie schenke ich dir, Häuptling Mattotaupa, dir, großer Bärenjäger, und deinem Sohn Harka! Ich habe gesprochen, hau!«
Harka war einen Augenblick zumute, als ob er nicht mehr sehen, nicht mehr hören, nicht mehr denken könne. Ein Mazzawaken – in seiner Hand, ihm zu eigen, als Geschenk – war das Wahrheit, war das Wirklichkeit? Er wußte kaum noch, wie es zuging, daß ihm der Weiße die eine der beiden Büchsen reichte, daß er sie nahm, in der Hand hielt, ganz fest in der Hand hielt. Die Außenwelt, alles rings um ihn versank. Er fühlte nur noch die Waffe, und er schaute Bilder nur noch von innen her; den Häuptling der Pani, der auf die Mutter schoß – sich selbst schaute er, wie er das Mazzawaken des Pani während des Kampfes erbeutete, und die Trophäenstange von Hawandschita schaute er, an der das geopferte Mazzawaken zwischen Tierhäuten hing
Mazzawaken, Mazzawaken! Dies, was Harka jetzt fest in der Hand hielt, war eine »Büchse«, hatte der weiße Mann gesagt. Sie war stärker als die Flinte des Weitfliegenden Vogel, man konnte einen Bären damit töten. Sie war neuer und viel schöner als das alte Geheimniseisen, das an Hawandschitas Trophäenstange baumelte. Harka besaß diese Waffe und würde sie nie mehr fortgeben.
Unwillkürlich untersuchten Harkas Hände Schloß und Abzug. Wie aus einem Nebel der Träume auftauchend, hörte er ein rollendes, im Unterton auf irgendeine Weise aufregendes und unheimliches Lachen.
»Nun seht euch den Jungen an! Soeben hat er eine Büchse erhalten, und schon weiß er damit umzugehen! Komm her, junger Bärenjäger, du Tausendsassa, du bekommst Munition, und dann gibst du den ersten Schuß ab. Den ersten Schuß gibst du ab!«
Es war, als ob die Krieger rings alle ein Stückchen zurückrückten. Harka fing leise gesprochene Worte des Erstaunens auf. Er scheute sich, auf den Vater oder nach den Geheimnismännern zu sehen.
Vielleicht war es nicht richtig, daß er, Harka, ein Kind, den ersten Schuß abgab. Vielleicht hatte der Weiße darüber überhaupt nicht zu entscheiden. Aber in Harka brannte der verzehrende Wunsch zu schießen. Den Knall wollte er hören und den Einschlag sehen. Nach diesem ersten Schuß aber wollte er künftig noch viele tausend Schüsse abgeben, die alle ihr Ziel treffen sollten.
Der Weiße kümmerte sich nicht um die anwesenden Autoritäten. Er faßte den Knaben an der Schulter und veranlaßte ihn so kurzerhand, durch das Gehölz und auf die Prärie mitzukommen. Harka hörte dabei viele Füße neben sich und hinter sich laufen. Er hatte das Gefühl, daß das ganze Zeltdorf auf dem Weg war, um den ersten Schuß mitzuerleben, den ein Mitglied der Bärenbande aus einem Geheimniseisen abgeben sollte. Dieser Schuß aber gehörte Harka; es war entschieden.
Eine allgemeine Unruhe verbreitete sich. Die Hunde liefen umher und jaulten auf, die Pferde rührten sich, die Männer, Burschen und Jungen flüsterten im Gehen flüchtig miteinander. Dazwischen ertönten kurze Rufe.
Harka sah sich jetzt nach dem Vater um und erkannte ihn rechter Hand unmittelbar neben sich. Links ging der große weiße Mann mit den rötlichen Haaren. Der Knabe glaubte einen Blick in seinem Nacken zu spüren und wendete rasch den Kopf. Er begegnete den Augen Hawandschitas und Tatanka-yotankas. Auch diese hatten sich angeschlossen. Eine solche Gewalt hatte der weiße Mann mit den Mazzawaken.
Die Bärenbande und ihre Gäste erreichten durch das Gehölz die freie Prärie. Der Himmel leuchtete rot, in einem dunklen Purpur, der nichts Gutes verhieß. Das Felsengebirge wirkte wie eine ausgebrannte Mauer am Grunde eines überwältigenden Himmelsfeuers. Der Sonnenball senkte sich von Wolkenbank zu Wolkenbank, auftauchend und sich verbergend. Ein rascher Witterungswechsel war in der Prärie nichts Ungewöhnliches. Aber die Männer hatten, von den Vorgängen im Dorf gefesselt, nicht auf Wolken und Wind geachtet. Sie waren jetzt überrascht, daß der lichte und strahlende Tag in einer unwetterbrauenden Dämmerung endete.
»Hallo!« rief der große rothaarige Bursche, machte halt, hob seine eigene Büchse zum Zeichen, daß er sprechen wolle, und brachte damit alle zum Stehen. »Hallo! Krieger der Bärenbande! Jetzt werdet ihr den ersten Schuß aus eurer Mitte hören, und ihr werdet den besten Schuß in der Prärie von Kanada bis Mexiko erleben! Habt acht! Macht Platz!«
Mit großen Schritten, in seinen hohen Stiefeln fest auftretend, schuf der Weiße eine Gasse zwischen den Versammelten und maß auf einer Linie zwei Strecken ab; eine von 200 Metern und eine von 50 Metern. Dann kehrte er zu seinem Standplatz zurück. »He, Bursch!« rief er Schonka an. »Richte die Ziele auf. Als erstes hänge einen Büffelfellrock auf, als zweites einen büffelledernen Schild. Mach schnell, ehe die Sonne ganz schwindet!«
Schonka lief weg, um das Gewünschte zu holen. Es ist seltsam, dachte Harka, ich werde schießen, und Schonka muß mich bedienen und mir das Ziel aufrichten, weil der weiße Mann es so befohlen hat. Dieser Fremde ist ein großer Häuptling.
Schonka kehrte bald zurück, brachte den Büffelpelzrock eines Jungen und hing ihn in 50 Meter Entfernung von dem Standplatz des Weißen an einem Stock auf, den er in die Erde rammte. In 200 Meter Entfernung hängte er den Schild an einen Stock, den die Krieger inzwischen eingerammt hatten. Es war einer der runden bemalten Schilde aus mehrfach übereinandergeklebter Büffelnackenhaut.
»Männer der Dakota!« rief der Weiße jetzt wieder laut. »Ich schieße zuerst. Ich treffe den Pelzrock an der Stelle, hinter der das Herz seines Trägers schlagen würde, und den Schild treffe ich in der Mitte – und durchlöchere ihn. Ich habe gesprochen, hau!«
Der Weiße wog seine Büchse in der Hand, ging auf das linke Knie nieder, legte die Waffe am rechten Schenkel an und schoß. Der Knall des Schusses zerriß die Abendstille. Der Pelzrock bewegte sich ein wenig. Der Weiße stand auf, rührte sich aber nicht vom Platz. Die Krieger sprangen hinzu.
»Getroffen! Getroffen!« schrien sie außer Fassung gebracht vor Erstaunen, daß der Weiße in der beschriebenen Haltung hatte zielen können. Um die Lippen des Schützen spielte nur ein Lächeln, ein Ausdruck jenes Überlegenheitsbewußtseins, das immer wie Spott wirkt. Er legte jetzt die Büchse an die Wange, um den zweiten Schuß abzugeben. Wieder krachte es. Wieder eilten die Krieger zur Zielscheibe, dem starken Büffelhautschild. Die Kugel hatte genau in der Mitte durchgeschlagen. Einige laute Rufe ertönten, aber noch mehr Stimmen flüsterten: »Wakan, Wakan! Geheimnis.«
Der rothaarige Bursche ließ ein kurzes »He!« von den Lippen und wandte sich Harka zu. »So lernst auch du schießen, mein Junge! Du hast das Zeug dazu. Nun komm – wir laden beide – so, und jetzt leg an!«
Harka gehorchte gern, aber er war sehr aufgeregt. Mit Mühe zwang, er sich zu der Ruhe, die für einen guten Schuß unerläßlich ist. Die Waffe war noch reichlich groß und schwer für ihn, und er fürchtete, schlecht abzuschneiden.
Der Schuß krachte. Harka hatte mit dem Rückstoß gerechnet und hielt stand.
Schonka – ja, ausgerechnet Schonka! – lief zu dem Büffelrock, auf den Harka gezielt hatte. Der Rock war getroffen. Der Schuß, wäre nicht genau ins Herz des Trägers gegangen, aber in die Herzgegend. Schonka mußte das zugeben.
»Nicht schlecht!« sagte der Weiße. »Du bekommst Munition von mir, junger Bärenjäger, mehr als genug, damit übst du morgen weiter!«
Harkas Wangen wurden heiß. Er kehrte aus dem Traumzustand ganz in die wirkliche Welt zurück, und er war sich bewußt, daß er, Harka, Anführer der Jungen Hunde, künftig in einem noch ganz anderen Maße als bisher der ausgezeichnetste Junge des ganzen Zeltdorfes sein würde. Seine Vorstellung davon war so klar wie der Himmel am Morgen und der Bach an der Quelle.
Harka lachte, denn er merkte jetzt, daß die vierbeinigen Hunde, der krachenden Schüsse ungewohnt, in die Wiesen hinein flüchteten und daß die Pferde ängstlich waren und ausbrechen wollten.
Der Weiße sprach Mattotaupa an. »Was kann dir Besseres geschehen, Häuptling, als einen solchen Sohn zu haben? Ich werde dir heute nacht noch die Waffe genau erklären, dann beginnst auch du am morgigen Tag das Übungsschießen. Ich habe gesprochen, hau!«
Der Fremde trat einen Schritt zurück und machte vor Hawandschita und Tatanka-yotanka eine Verbeugung, von der niemand genau sagen konnte, ob sie ernst gemeint war oder nicht.
»Verzeiht, große Geheimnismänner«, sagte er, »daß meine Geschenke in die Hand eines simplen Häuptlings und seines zwölfjährigen Sohnes gegangen sind. Aber ich weiß wohl, daß ich ein zu geringer Krieger bin, um euch beschenken zu können. Wenn ihr meine Dienste benötigt, bitte, ich stehe zur Verfügung!«
Tatanka-yotanka nahm von dem Weißen und seiner merkwürdigen Art, sich zu geben, keine Notiz. Über Hawandschitas Gesicht zuckte es.
»Wir werden sehen!« antwortete er kurz, aber nicht unfreundlich.
Die Dämmerung ging in Dunkelheit über, und da sich die Wolken über das Firmament verbreiteten, drang das Sternenlicht nicht bis zur Erde. Es wurde finster. Die Männer, Burschen und Jungen strömten zu den Zelten zurück. Vorsichtig näherten sich auch die Hunde wieder.
Tatanka-yotanka war der Gast Hawandschitas. So nahm der alte Geheimnismann den Berühmten mit in sein Zelt. Den fremden Weißen bat Mattotaupa zu sich.
Der Häuptling und sein Gast ließen sich im Zelt am Feuer nieder, während die Kinder und Frauen sich im Hintergrund hielten. Auch Harka kehrte insofern in seine alte bescheidene Rolle zurück. Untschida hatte schon vorsorglich die Tatzen eines Braunbären, den Mattotaupa auf der Jagdexpedition mit Langspeer zusammen zur Strecke gebracht hatte, zugerichtet und an den Spieß gesteckt, und Mattotaupa drehte jetzt das röstende Fleisch. Der Weiße lachte vor sich hin und holte eine kurze Pfeife aus seinem Jagdrock. »Großer Häuptling Mattotaupa«, sprach er, »der Bratenduft in diesem Zelt gefällt mir. Du bist kein schlechter Wirt! Ein guter Wirt bist du und ein guter Jäger! Laß uns Freunde sein. Hör meinen Namen: Ich heiße Der Rote. The Red bin ich.«
»Du schießt gut, und deine Hand ist freigebig«, erwiderte Mattotaupa ruhig, und Harka hörte aufmerksam zu. »Ja, laß uns Brüder sein.« Mattotaupa drehte nochmals die Tatze am Spieß. Als sie gar war, nahm er sie ab und legte sie seinem Gast in den Tonteller, während Untschida eine zweite Tatze für den Häuptling selbst über das Feuer hing. »The Red« schien hungrig zu sein. Er zog sofort sein Messer, um das Fleisch zu zerteilen und ohne viel Umstände hinunterzuschlingen. Während des Essens wurde nicht gesprochen. Erst als auch Mattotaupa sich gesättigt hatte, nahm der Weiße wieder das Wort.
»Großer Häuptling! Die beiden Mazzawaken sind nicht die einzigen Geschenke, die ich in dein Zelt zu bringen habe. Hier« – er deutete auf einen kleinen Schlauch »habe ich noch ein wildes Geheimnis gut eingesperrt. In diesem Schlauch wohnt der Feuergeist. Schwache Männer überwältigt er. Starke werden noch stärker dadurch, ja, sie werden unüberwindlich.«
»Die weißen Männer haben viele Geheimnisse in ihrem Besitz«, erwiderte Mattotaupa vorsichtig und zurückhaltend. »Wo hat der weiße Mann mit dem Namen Der Rote ein so großes Geheimnis in seinen Schlauch eingefangen?«
»Wo? Mann, Krieger, Häuptling, weit, weit von hier! Solche Gegend hast du dein Lebtag noch nicht gesehen! In einer kleinen, dunklen Zauberbude in einer großen, großen Stadt. Was eine Stadt ist, weißt du, ja? Hat der Weitfliegende Vogel euch davon erzählt? Von dorther habe ich das Geheimnis mitgebracht. Erst zu den Männern, die den Weg des Feuerrosses bauen wollen was hast du denn? Ach, die magst du nicht leiden? Verstehe, verstehe. Bei denen wollte ich auch nicht bleiben. Ich bin ein großer Freund der roten Männer. Als ich von dir hörte, Häuptling Mattotaupa …«
»Wer hat dem weißen Mann von mir berichtet?«
»Wer? Alle, die ich traf! Die Prärie ist doch voll von deinem Namen und deinem Ruhm. Ja, da staunst du! Die Pani haben Angst vor dir. Als sie von dir und deinen Taten und von deinem Sohn plapperten, habe ich beschlossen, dich aufzusuchen und dich kennenzulernen. So kam ich hierher. Da bin ich nun. Und du bist der erste Indianer, dem ich den Feuergeist im Schlauch zeigen will.«
»Ah«, sagte Mattotaupa nur.
»Oder hast du Angst vor Geheimnissen? Es ist ein Zaubertrank, um die Starken noch stärker zu machen.«
»Oh!«
»Ah und oh! Wahrscheinlich hast du doch Angst. Dann lassen wir es lieber sein. Denn schwache Gemüter überwältigt der Feuergeist, und das will ich dir nicht antun.« Der Weiße streckte die Beine auf den Decken aus, mit denen der Boden belegt war, und stützte sich auf den Ellenbogen, während er mit der Pfeife im Mundwinkel wippte. Mattotaupa saß in ruhiger und würdiger Haltung mit untergeschlagenen Beinen ihm gegenüber. The Red holte einen kleinen Becher aus einer der vielen Taschen seines Rocks.
»Siehst du, aus einem solchen kleinen Becher trinkt man kleine Schlückchen des feurigen Tranks.«
»Geheimniswasser«, sprach Mattotaupa. »Die alten und weisen Krieger warnen uns davor, denn es hat schon viele unserer Männer krank gemacht.«
»Das hier? Das ist nicht das Geheimniswasser, von dem du gehört hast, Mattotaupa. Aber lassen wir das. Erzähle mir noch einmal von der herrlichen Jagd!«
Das tat der Häuptling auf lebendige Art. Der Weiße folgte mit leidenschaftlicher Anteilnahme. Sie mochte ehrlich oder sie mochte auch nur sehr gut gespielt sein. Als Mattotaupa geendet hatte, fragte er: »Bin ich heute allein dein Gast?«
»Es kommen noch einige Krieger, um heute abend mit uns am Feuer zu sitzen. Morgen, wenn das Fleisch des Grizzly von den Frauen eingebracht und zubereitet ist, werden wir das große Mahl halten, und auch Tatankayotanka und Hawandschita werden Gäste in meinem Zelt sein.«
»Ausgezeichnet.«
Der Weiße hatte seine Zustimmung eben ausgesprochen, als fünf Krieger, unter ihnen Alte Antilope, der Rabe und der älteste seiner drei Söhne, der drei Rabenbrüder, ins Zelt kamen. Alle waren froh gestimmt und wißbegierig. Rasch nahmen sie am Feuer Platz.
Es wurde geplaudert, von der Jagd, von den Mazzawaken, von der Kunst des weißen Mannes, ein Ziel zu treffen. Schließlich riß der Weiße das Wort wieder an sich.
»Hört, ihr Krieger, ich möchte euch eines der wertvollsten Geheimnisse der weißen Männer vorführen, das ist die Kunst, sich selbst stärker zu machen, als man ist. Aber euer Häuptling hat Angst!«
Die Männer lachten laut. »Angst? Wann hat Mattotaupa je Angst?«
»Das wollen wir erproben. Paßt auf! Ich öffne diesen Schlauch! Ich trinke selbst von dem Geheimnistrank, der den starken Mann noch stärker macht, den schwachen aber noch schwächer. Ihr werdet sehen, wie der Trank auf mich wirkt! Danach müßt ihr dann eure eigenen Entschlüsse fassen. Gut?«
»Gut, gut!« riefen alle, auch der Häuptling. »Aber halt, eines habe ich noch nicht bedacht, Frauen und Kinder dürfen bei Geheimnissen nicht anwesend sein. Oder haltet ihr es anders?«
»Nein, so ist auch die Sitte der roten Männer.«
Mattotaupa machte die Frauen und Kinder mit einer leichten Kopfbewegung darauf aufmerksam, daß sie sich alle entfernen sollten.
Harka stand zugleich mit den Geschwistern, mit Schonka und den Frauen zusammen auf. Sie gingen hinaus. Untschida schien die Absicht zu haben, Mattotaupa im Vorbeigehen noch etwas zu sagen. Aber er gab ihr keine Gelegenheit dazu. Sie senkte die Augen, zog die Mundwinkel herab und verließ als letzte das Zelt.
Draußen bemerkten die Kinder und Frauen, daß bald ein Unwetter niedergehen würde. Über den Gipfeln des Felsengebirges wetterleuchtete es, und die Stimme des Donnervogels grollte von ferne.
Harka hatte seine Büchse mitgenommen. Er konnte sich nicht von ihr trennen.
Wohin jetzt?
Untschida und Scheschoka wechselten ein paar Worte, aus denen hervorging, daß sie sich in das Zelt von Fremde Muschel begeben wollten.
Schonka ging allein seines Wegs.
Wo sollte Harka unterschlüpfen?
Bei Schwarzhaut Kraushaar schreckte ihn die Großmutter. Also zu Tschetan! Tschetan hatte den Vater und dann auch den Pflegevater verloren. Es war gut, ihn zu besuchen. Ob Kraushaar mitkommen würde? Ja, er sollte mitkommen, das war die beste Lösung.
»Hole Kraushaar!« bat Harka Harpstennah. »Wir gehen alle zusammen zu Tschetan.«
Harpstennah rannte sofort zu Kraushaars Tipi und fand den Jungen schon vor dem Zelt stehen. Kraushaar schloß sich den anderen an, und endlich saßen die drei Jungen und Uinonah zusammen in Tschetans Tipi.
Da es hier keinen Krieger mehr gab, konnten sich die Knaben ums Feuer setzen. Uinonah zog sich zu Tschetans Mutter und den beiden kleinen Mädchen in den Hintergrund des Zeltes zurück.
Draußen grollte der Donner heftiger, und Blitze fuhren herab; ihr Licht drang mit seinem grellen, zuckenden Aufleuchten durch die Zeltschlitze. Noch regnete es nicht.
Die Jungen fingen nicht gleich an zu sprechen. Sie hatten zusammengefunden, aber nach den Ereignissen dieses Tages mußte jeder einzelne erst seine Gedanken sammeln, ehe man sich gemeinsam aussprechen konnte. Es war vieles anders geworden, seit die Sonne aufgegangen und wieder untergegangen war.
Die Gäste im Dorf hatten gewechselt. Der freundliche Maler und der stille Langspeer waren gegangen, gekommen waren der ehrfurchtgebietende Tatankayotanka und The Red, dem man gehorchte wie einem Häuptling, obgleich er es nicht war. Schüsse hatten gekracht. Ein Knabe besaß ein Mazzawaken. Im Tipi des Häuptlings lag das Fell des großen grauen Bären. Dieser Schrecken des Dorfes war tot. Man konnte sich freuen, aber mitten in der Freude hatte sich auch schon eine neue Unruhe gebildet, die jeder empfand, aber keiner empfinden wollte. Vielleicht entstand Gutes, vielleicht entstand Böses daraus. Daran wollte niemand denken. Die Freude über den großen Jagdsieg lag wie eine schöne Decke über allen den schweren Fragen, die Weitfliegender Vogel und Langspeer ausgesprochen hatten.
Harka schaute in die Flämmchen, die an den Zweigen leckten, bis diese Stück um Stück in Asche zerfielen.
Tschetan weckte ihn aus seinem Nachdenken. »Erzähle uns von der Bärenjagd, Harka Büffelpfeilversender Bärenjäger!«
Die Augen aller Jungen in der Runde leuchteten auf.
Harka selbst fiel es zu seinem eigenen Verwundern etwas schwer, das große Erlebnis noch einmal zu schildern. Aber als er damit begonnen hatte, wurde das Wiedererleben in ihm selbst doch so stark, daß er den großen Grauen noch einmal zu sehen und sein heiseres, bösartiges Gebrumm noch einmal zu hören glaubte. Wieder schaute er den Vater vor sich, dessen Arme sich um den Hals des furchtbaren Raubtiers schlangen, dem Schweiß und Blut ausbrachen, dessen Adern und Muskeln schwollen! Wieder glaubte Harka mit der Steinkeule nach der furchtbaren Pranke des Bären zu schlagen. Seine Erzählung wurde so lebendig, daß seine Gefährten am Feuer die Jagd mitzuerleben glaubten mit aller Erregung, allem Triumph. Als Harka geendet hatte, riefen die Freunde:
»Bärenjäger! Bärenjäger!« und sie freuten sich miteinander.
Dann unterhielten sie sich weiter in der gleichen Weise wie die Männer im Häuptlingszelt von Jagderlebnissen, von den neuen und erstaunlichen Feuerwaffen, von den Schießübungen, die am kommenden Morgen stattfinden sollten, und Harka versprach Tschetan und Kraushaar, daß sie mit ihm erlernen durften, wie man ein Mazzawaken handhabte. Auch Harpstennah sollte, wenn er zwei Sommer älter war, ein Mazzawakenschütze werden. Die Jungen waren gemeinsam begeistert und spannen Pläne, wieviel leichter sie künftig Bären und Büffel jagen und die Pani besiegen würden.
Sie befanden sich noch mitten im Gespräch, als Schonka eintrat. Er ließ sich bei den Jungen nieder. Dawider konnte niemand etwas einwenden. Er wohnte im Zelt Mattotaupas und gehörte zu den Geschwistern Harkas. Aber seine Gegenwart störte, und das Gespräch stockte, um dann auf eine gleichgültige Weise weitergeführt zu werden. Daran war nicht einmal so sehr die Tatsache schuld, daß es Schonka war, der jetzt mit im Kreis saß. Seine merkwürdige Miene störte, diese etwas überlegene, etwas herablassende Miene, mit der er sich selbst aus dem allgemeinen fröhlichen Einverständnis ausschloß. Er wollte wohl ganz bewußt den Eindruck hervorrufen, daß er etwas viel Wichtigeres zu sagen hatte, als die anderen zu sagen wußten.
»Was schluckst du denn immerzu hinunter?« bemerkte Tschetan schließlich zu ihm. »Spei es doch aus!«
»Ich spucke nicht in deinem Zelt.«
»Soviel hast du also doch schon gelernt.« Tschetan hatte nicht die Absicht gehabt, Schonka zu reizen. Er hatte ihm eher auf eine etwas burschikose Art die Zunge lösen wollen. Aber durch die Antwort Schonkas fühlte er sich selbst gereizt, und sein Ton klang angriffslustig.
»Vielleicht müssen andere auch noch einiges lernen«, erwiderte Schonka weniger spöttisch als selbstsicher.
»Ein Fehler ist nur, wenn einer nicht mehr lernen will.«
»… oder kann.«
»So alt ist in unserem Kreis keiner.«
»Wer hat dir gesagt, daß ich von uns hier spreche?«
»Niemand. Aber du kannst mir sagen, von wem du sprichst.«
»Wenn ich will.«
»Ob du willst oder nicht, das ist mir gleich. Kaue allein an deinen Gedanken, wenn es dir so besser gefällt.«
»Und wenn ich auch jetzt allein daran kaue, morgen wird es schon die Ratsversammlung sein, die darüber spricht.«
»Ach, so wichtig sind deine Meinungen! Davon weißt allerdings du allein.«
»Morgen spottest du nicht mehr, Tschetan.«
»Je nachdem es mir beliebt.« »Das werden wir sehen. Ich jedenfalls habe genug gesehen – heute.«
»Willst du nicht einmal Geheimnismann werden? Dunkle Worte zu sprechen, das hast du schon gut gelernt.«
»Worte so dunkel wie das Tun, dem sie gelten.«
Kraushaar wollte anfangen, über den Wortstreit zu lachen, aber da er mit seiner Heiterkeit allein blieb, erstarb sie wieder, und er blickte ebenso forschend wie Harka auf die beiden großen Burschen, die sich jetzt mißtrauisch, nicht eben freundlich maßen.
»Du spielst mit Nebeln«, nahm Tschetan das Gefecht wieder auf. »Ich kann warten, bis sie sich verziehen.«
»Warte, wenn du willst. Aber du kannst sie auch sogleich durchschauen, wenn dir der Sinn danach steht. Gehe doch hinüber ins Tipi des Häuptlings Mattotaupa.«
»Das tue ich nicht.«
»Nein, das tust du nicht, weil er uns alle hinausgeschickt hat. Er wußte schon, warum er uns nicht brauchen kann.«
»Schonka«, warf Kraushaar erzürnt ein. »Warum sprichst du so von unserem Häuptling? Das kommt dir nicht zu.«
»Sei still, du kleines Ringelhaar.«
»Kraushaar hat recht!« betonte Tschetan. »Du hast zuviel gesagt, Schonka. Jetzt mußt du alles sagen!«
»Ich sage nicht mehr, als ich sagte. Hau. Wenn ihr etwas erfahren wollt, geht hinüber und lauscht.«
»Wir mißachten die Befehle des Häuptlings nicht, und wir belauschen nicht unsere Brüder und Väter. Merk dir das, Schonka. Sonst wirst du nie ein Krieger in unseren Reihen werden!«
»Prrr.«
Tschetan fuhr auf.
Schonka machte eine abwehrende Handbewegung, als wollte er beschwichtigen. Als Tschetan ihn weiterhin drohend anblickte, sagte er leise: »Reden wir von etwas anderem. Was denkt ihr über den weißen Mann?«
Kraushaar ging zur Überraschung seiner Gefährten sehr schnell auf die Frage ein. »Er hat böse Augen«, meinte er ablehnend.
»Das stimmt«, antwortete Schonka.
»Aber er hat eine gute Hand!« warf Harka ein. »Er ist freigebig, und seine Schüsse treffen! Du hast viel Übles durch weiße Männer erfahren müssen, Kraushaar, das wissen wir. Aber nicht alle weißen Männer sind schlecht.«
»Der weiße Mann besitzt große Geheimnisse!« fuhr Kraushaar fort, argwöhnisch, sorgenvoll.
»Geheimnisse der weißen Männer können giftig sein.« Tschetan sagte das. Harka war darüber verwundert.
»Aber ihre Mazzawaken nicht«, antwortete er dem Freund.
»Im Häuptlingszelt verschenkt er keine Mazzawaken, sondern …«, deutete Schonka an.
»Was sondern?« wollte Tschetan wissen.
»Sondern Miniwaken, Geheimnistrank.«
Schwarzhaut Kraushaar erschrak. »Der Geheimnistrank der weißen Männer ist gefährlich. Wenn die weißen Männer diesen Trank zu sich genommen haben, werden sie wie Narren und Tiere. Sie schlagen Frauen und Kinder und Sklaven!«
»Was heißt dieser Trank«, rief Harka empört. »Hast du den Trank, den The Red mitgebracht hat, schon erprobt, Kraushaar? Nein! Dann rede nicht darüber und sage nicht, daß er wirke wie Geheimniswasser. Kann ein Mann, der uns Mazzawaken schenkt, uns überhaupt etwas Böses zufügen wollen?«
Tschetan und Kraushaar senkten die Augen. Was sollten sie auf Harkas Frage antworten? Es trat eine Pause ein. Endlich sagte Schonka: »Der Fischer muß Würmer an die Angel stecken, sonst beißen die Fische nicht an.« Harka schob einen Zweig tiefer ins Feuer hinein. »Es ist, als ob du nicht mit deiner eigenen Zunge sprächest, Schonka.«
»Mag sein. Aber geh doch hinüber und sieh dir an, was im Zelte Mattotaupas geschieht!«
»Ich gehe nicht!« sagte Harka bestimmt. »Hast du vergessen, wie Tschetan dich mahnte?«
»Ich habe es nicht vergessen. Verstopft euch nur die Ohren. Wenn ihr wollt, verschließe ich auch die meinen. Ich habe gesprochen, hau!«
Schonka erhob sich und verließ das Zelt.
Tschetan und die Jungen blieben aufgestört und mißmutig zurück. Harka war erbittert, am meisten darüber, daß es nicht gelungen war, Schonka eine vollständige Niederlage beizubringen. Die Bemerkungen des Burschen waren wie Giftpillen, die die Jungen geschluckt hatten. Sie sprachen aber nicht weiter darüber, sondern beschlossen, schlafen zu gehen.
»Ihr könnt alle hierbleiben!« lud Tschetan ein. »Wir schlafen zusammen!«
»Mit Harka, dem Bärenjäger!« rief Kraushaar, dem es leid tat, daß er den Freund gekränkt hatte.
Die Kinder wickelten sich in die Decken.
Draußen ging das Gewitter nieder, ohne den Zelten Schaden zu tun.
Harka war müde wie ein abgetriebenes Pferd. Er schlief schnell ein. Aber noch im Einschlafen faßte er den Entschluß, daß er um Mitternacht wieder aufwachen und sich vergewissern wollte, was Schonka tat. Vielleicht schlief dieser Hund nicht, sondern schlich wieder um das Häuptlingszelt herum, um Böses anzustiften. Das mußte Harka wissen, und wenn es der Fall war, mußte auch Mattotaupa davon erfahren. Harka wollte nicht dem Befehl des Vaters ungehorsam sein, aber er wollte den Vater vor Spinnen beschützen, die unsichtbar ihre Fäden um ihn zogen. Harka erwachte kurz vor Mitternacht, wie er beim Einschlafen beschlossen hatte. Er schlich sich aus dem Tipi. Nur Uinonah bemerkte es, aber Harka konnte sich darauf verlassen, daß die Schwester schweigen würde. Wenn sie wollte, konnte sie ganz still und scheinbar ohne Leben sein wie die Prärie in Frost und Schnee.
Der Junge war unter einer Zeltplane durchgekrochen und stand jetzt zwischen den nächtlich-schwarzen Schatten der vielen Tipis. Langsam, mit dem lautlosen Schritt des Indianers, näherte er sich dem Dorfplatz und den Zelten Hawandschitas und Mattotaupas. Die Schlitze des Häuptlingszeltes ließen einen hellen Schein durch, dort war das Feuer im Innern noch angefacht. Seltsame Geräusche drangen heraus. Hawandschitas Zelt aber blieb dunkel und stumm …
Der Knabe schlich umher und spähte nach Schonka. Er konnte ihn nicht entdecken.
Schließlich ging er auf das väterliche Tipi zu.
Er kämpfte schwer mit sich. Schonka war ungehorsam gewesen. Harka wollte das nicht sein. Aber es war, als ob das Böse, das Schonka getan hatte, auch Harka zum Bösen zwinge. Harka wollte sichergehen. Er glaubte, daß er unbedingt und sicher wissen müsse, was Schonka gewußt zu haben schien und nicht ausgesprochen hatte. Wenn Harka den Vater beschützen wollte, durfte er nicht unwissend bleiben.
Harka kämpfte noch immer mit sich, aber dann war es plötzlich geschehen. Er legte sich beim Zelt auf den Boden und spähte und horchte nach einer Stelle, die er kannte, unter der Plane der Zeltrückwand ins Innere hinein.