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Die Räume waren klein und einfach wie Mönchszellen. Lediglich die Skelettrahmen von Pritschen und ein paar vereinzelten Metallspinde waren geblieben. Und doch wusste Logan, als er sich umsah, dass hier das Quartier der Wissenschaftler gewesen sein musste.
Es zu finden hatte sich als eine Herausforderung erwiesen: Die C-Ebene war mit so viel Plunder vollgestellt, dass es schwerfiel, alte Einrichtungsgegenstände von eingelagerten Möbeln zu unterscheiden. Doch hier in diesen Räumen standen genau acht Pritschen so angeordnet, dass es nach einem wohnlichen Arrangement aussah und nicht nach einem weiteren Lager. Vier Pritschen befanden sich im zentralen Raum, jeweils zwei übereinander, eine einzelne weitere Pritsche in einem großzügigen Raum an der Seite – zweifellos das Quartier des leitenden Wissenschaftlers. Zwei weitere Betten in einem Raum auf der anderen Seite. Und ein letztes in einer Kammer neben dem Badezimmer, kaum größer als ein Gäste-WC.
Logan schaltete jede verfügbare Lampe ein. Dann schlenderte er langsam, mit auf dem Rücken verschränkten Händen, durch die Räume, blickte sich um, spähte in die leeren Schränke und versuchte die Geister der lange Verstorbenen dazu zu bewegen, ihm ihre Geheimnisse zuzuflüstern. Er hatte gehofft, etwas zu finden: Werkzeuge oder Ausrüstung vielleicht, oder Ausdrucke, oder Fotos. Doch es war offensichtlich, dass das Quartier vor vielen Jahrzehnten gründlich durchsucht, jeder Gegenstand von Interesse geräumt und – falls man sich an die Standardprozedur der damaligen Zeit bei derart geheimen Operationen gehalten hatte – verbrannt worden war.
In einem Spind hingen verloren zwei Kleiderbügel, auf dem Boden lag ein Knopf mit einem Rest von Faden daran. Eine zerdrückte, vertrocknete Tube Zahnpasta stand auf dem Metallregal über dem Waschbecken im Badezimmer. Wie es schien, gab es nichts mehr, das ihm das Quartier verraten konnte.
Logan kehrte in den zentralen Raum zurück. Er hatte selbst früher einmal in einem so beengten Zimmer gewohnt, vor vielen Jahren, bei einer archäologischen Grabung in der Nähe von Massada. Die israelische Armee hatte der Gruppe von Wissenschaftlern und Historikern für die Dauer ihrer Arbeit vor Ort ein abgelegenes Barackenlager zur Verfügung gestellt. Logan schüttelte den Kopf, als er an die unfruchtbare Landschaft und die Einsamkeit dachte. Es hatte sich angefühlt, als wären sie eine Million Meilen von allem entfernt. Genau wie auf dieser Basis hier.
Langsam ließ er sich auf die Sprungfedern der nächsten Pritsche sinken. Leere Räume oder nicht – Forscher hinterließen ihre Spuren. Ihr Verstand arbeitete ununterbrochen. Sie führten Tagebücher. Sie sammelten Ideen und Beobachtungen – je weiter abseits der Zivilisation, von Telefonen oder Forschungsassistenten, desto fleißiger. Sie verfassten Notizen, schrieben Einfälle nieder, auf die sie später, in der vertrauten Umgebung ihrer Labors, zurückkommen konnten: Ideen für Experimente, Theorien und Thesen für Publikationen. Seine Frau Karen hatte ihn mehr als einmal wegen genau dieser Angewohnheit auf den Arm genommen und ihn einen Konzept-Messie genannt, eine geistige Packratte. «Andere Leute horten Geschirrtücher, Postkarten oder Toaster», hatte sie einmal gesagt. «Du hortest Theorien.» Die Wissenschaftler hier auf der Basis hatten sich bestimmt nicht anders verhalten.
Mit einer entscheidenden Ausnahme. Sie – und mit ihnen ihre Theorien – hatten die Basis nicht wieder verlassen.
Er erhob sich von der Pritsche und blickte sich erneut um. Vier Betten – in diesem Raum hatten die Geselligeren der Forscher gewohnt und miteinander Poker oder Bridge gespielt. Er bewegte sich langsam durch die anderen Räume und blieb schließlich in der winzigen, an einen Wandschrank erinnernden Kammer stehen. Dieser dunkle, höhlenähnliche Raum musste der am wenigsten begehrte gewesen sein – und doch war es der, den Logan für sich gewählt hätte: privat, abgeschieden und wie geschaffen, um sich auf die eigenen Gedanken zu konzentrieren.
Oder ein Tagebuch zu schreiben.
Als er dort stand in der absoluten Stille, sämtliche Sinne angespannt, durchlief ihn ein unerwartetes und zugleich eigenartig wohliges Erschauern. Ganz plötzlich fühlte er sich unglaublich lebendig.
Selbst wenn ich hier keinen Erfolg habe, dachte er, selbst wenn sich das hier als Jagd nach Hirngespinsten herausstellen sollte, so sind es Augenblicke wie dieser, die all die Mühen wert machen. Die Jagd selbst hatte etwas undefinierbar Wunderbares an sich: der Versuch, hier in diesem Raum tief unter der Erde und dem ewigen Eis die Gedanken und Anstrengungen dieser Männer zu rekonstruieren, die vor fünfzig Jahren gelebt hatten, sich in sie hineinzuversetzen und vielleicht – nur ganz vielleicht – etwas Wertvolles, eine Goldader zu entdecken.
Der Raum war völlig leer mit Ausnahme des nackten Bettgestells und eines Metallspinds. Logan kniete sich nieder und musterte das Gestell von unten. Nichts. Er zog den leeren Spind von der Wand und blickte dahinter. Blickte darunter, schob ihn zurück an seinen Platz.
Der hintere Teil des Raums war durch einen Vorhang abgetrennt. Er hob den Metallstab, der den Vorhang spannte, und spähte in das hohle Innere. Nichts. Ein schmales Sims verlief entlang den Wänden, dicht unter der Decke. Er griff nach oben und strich mit den Fingern darüber, doch er fand nichts außer Staub. Er wandte sich um und starrte auf die kahlen Wände und die Decke mit der einzelnen nackten Glühlampe.
Wenn ich hier wohnen würde ..., dachte er … wenn ich hier wohnen würde und Kopien meiner Entdeckungen behalten wollte – und das würde ich –, wo würde ich sie verstecken?
Er zog das Bettgestell von der Wand. Die Metallfläche dahinter war so nackt und kahl wie der Rest von allem, bis auf eine Steckdose in der Nähe des Bodens. Mit einem leisen Seufzer schob er das Bett zurück gegen die Wand.
Dann stockte er. Er zog das Bett wieder nach vorn, kniete sich zwischen Bett und Wand, nahm ein Kombiwerkzeug und eine Taschenlampe hervor, schraubte die Blende der Steckdose ab und leuchtete mit der Lampe in das Innere. Was er dort sah, überraschte ihn dann doch. Die Steckdosenkontakte waren nicht mit dem Stromnetz verbunden und lösten sich mit der Blende. Dahinter war nichts außer einem großen, dunklen rechteckigen Hohlraum. Bei näherem Hinsehen bemerkte Logan ein Stück geschwärzte Schnur, das um den altmodischen Verteiler gewickelt war. Ein Ende der Schnur verschwand in der Dunkelheit hinter der Metallwand. Als er ganz behutsam an der Schnur zog, entdeckte Logan ein kleines schwarzes Notizbuch, das an das andere Ende gebunden war: die Seiten vergilbt, brüchig, der Einband bedeckt mit Stockflecken.
So behutsam, als wäre er ein Fabergé-Ei, löste Logan den Knoten der Schnur und klappte das Notizbuch auf. Die erste Seite war in einer kleinen, krakeligen Schrift vollgekritzelt.
Logan lächelte vor sich hin. «Karen, Liebste», murmelte er, «ich wünschte, du könntest das hier sehen.» Doch Karen antwortete nicht.