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Während der Versammlung auf dem Krankenrevier hatte sich Conti still verhalten und es vorgezogen, seine Beobachtungen für sich zu behalten. Als die Gruppe aufbrach, blieb er für einen Moment zurück und sah dabei zu, wie Gonzalez und der zurückgekehrte Corporal Phillips den Leichnam sorgfältig einpackten, um ihn für die Lagerung vorzubereiten. Aus den Unterhaltungen der Soldaten hatte Conti erfahren, dass sie den Toten in ein unbenutztes Kühlhaus im Südflügel bringen wollten. Nun verließ auch Conti das Krankenrevier und kehrte langsam und nachdenklich zur Zentralsektion der Basis zurück.

Dort angekommen, sah er, wie ihm die beiden Kameraleute, Fortnum und Toussaint, entgegenkamen.

«Emilio», sagte Fortnum. «Wir haben gehört, Sie wollen uns sprechen?»

Conti warf einen hastigen Blick in die Runde, bevor er antwortete. Die Eingangshalle lag verlassen, und selbst die Wachstation war vorübergehend unbesetzt. Trotzdem sprach Conti mit gesenkter Stimme.

«Ich habe einen Spezialauftrag für Sie beide», sagte er. «Ich brauche besonderes Filmmaterial.»

Die beiden Kameraleute nickten.

«Betrachten Sie dieses Projekt als geheim. Unter dem Radar, quasi. Überraschungssegmente, die ich einzubauen gedenke, um die Dramatik zu erhöhen. Nehmen Sie niemanden sonst mit. Und niemand darf es erfahren – nicht Kari Ekberg und nicht Wolff.»

Die beiden Kameraleute sahen sich an, dann nickten sie erneut, ein wenig langsamer diesmal.

«Haben Sie schon die Neuigkeit gehört?»

«Welche Neuigkeit?», fragte Fortnum.

«Josh Peters ist tot.»

«Josh?», riefen die beiden Männer unisono.

«Wie das?», fragte Toussaint.

«Die Wissenschaftler denken, dass er von einem Polarbären erwischt wurde. Es ist draußen passiert, vor der Einzäunung. Wolff glaubt, dass es der gleiche Kerl war, der die Katze mitgenommen hat.»

«Herr im Himmel!», stieß Fortnum aus. Er war totenbleich geworden.

«Genau. Und wir müssen das ausnutzen, solange wir können.»

Die Männer sahen ihn verständnislos an.

«Kari geht gegenwärtig herum und informiert die Mannschaft über den Unglücksfall.» Conti wandte sich an Fortnum. «Allan, Sie müssen Kari finden. Sehen Sie zu, dass Sie die Emotionen der Mannschaft einfangen. Je extremer, desto besser. Aber bleiben Sie unauffällig, lassen Sie Kari nach Möglichkeit nicht merken, worauf Sie aus sind. Und falls Sie nicht die Reaktionen bekommen, die Sie brauchen, warten Sie, bis Kari weg ist, und schmücken dann Ihre Beschreibung aus, während die Kamera läuft. Ich will nacktes Entsetzen sehen. Hysterische Tränen wären noch besser.»

Auf Fortnums blasse Gesichtszüge hatte sich ein verwirrter Ausdruck geschlichen. «Wir reden hier von unserer eigenen Mannschaft, die Sie filmen wollen – richtig?»

«Aber natürlich. Sie sind die Einzigen im Bereich der Basis, die noch nichts von Peters gehört haben.» Conti winkte ungeduldig ab. «Sie müssen sich beeilen. Kari ist schon unterwegs und verbreitet die blutige Neuigkeit.»

Fortnum öffnete den Mund, als wollte er einen weiteren Einwand erheben, doch dann schloss er ihn wortlos wieder und ging mit einem letzten merkwürdigen Blick auf Conti in Richtung der Quartiere davon.

Conti sah ihm hinterher. Als der Kameramann außer Sicht war, drehte er sich zu Toussaint um. «Für Sie habe ich einen noch wichtigeren Auftrag», sagte er. «Der Leichnam wird gegenwärtig im Krankenrevier aufbewahrt. Das ist im Südflügel, ich gebe Ihnen eine Wegbeschreibung mit. Man wird ihn in ein Kühlhaus bringen, aber ich habe gehört, wie sie gesagt haben, dass vorher ein paar Reparaturen durchgeführt werden müssen und dass es nicht vor morgen einsatzbereit und kalt ist. Das ist unsere Gelegenheit.»

«Unsere Gelegenheit», wiederholte Toussaint ein wenig unsicher.

«Verstehen Sie denn nicht? Wenn der Leichnam erst im Kühlhaus ist, kommen wir nicht mehr an ihn heran!» Conti versuchte, seine beinahe fieberhafte Ungeduld und die Frustration im Zaum zu halten, die sich in ihm aufgestaut hatten, seit er vom Verschwinden der Katze erfahren hatte. «Es ist folgendermaßen. Wolff will nicht, dass wir den Leichnam von Peters filmen.»

«Natürlich nicht.» Toussaints Stimme klang geistesabwesend, weit entfernt.

«Aber wir müssen ihn filmen. Diese Situation ist in Bewegung, sie ändert sich ständig. Die Dokumentation muss sich anpassen, muss sich ebenfalls ändern.» Conti packte den Kameramann am Revers. «Unsere Existenzgrundlage und unsere Reputation stehen hier auf dem Spiel. Wir haben ein elend schlechtes Blatt in der Hand. Diese Katze war Herz und Seele unserer Produktion – und jetzt ist sie verschwunden. Dafür geschieht etwas Neues. Was heute Morgen als ein Rätsel angefangen hat, wurde zu einem Kriminalfall. Sehen Sie das? Wenn wir es richtig anfangen, könnte die Dokumentation noch viel größer werden als Das Erwecken des Tigers. Wir werden viel mehr Zuschauer anziehen. Weil wir ihnen etwas geben können, das sie noch nie zuvor bekommen haben: eine Dokumentation, die sich plötzlich in etwas ganz anderes verwandelt. Ein Drama, ein Krimi, der sich in Echtzeit vor den Augen der Zuschauer abspielt!»

Toussaint blinzelte wortlos.

«Aber man kann keinen Krimi drehen ohne wenigstens eine Einstellung von der Leiche. An diesem Punkt kommen Sie ins Spiel. Ich möchte, dass Sie bis zum Abendessen warten. Bis dahin werden sich die Dinge ein wenig beruhigt haben. Ich kümmere mich darum, dass die Soldaten abgelenkt sind – niemand wird Sie belästigen. Es geht ganz schnell. Betrachten Sie es als eine Art Aufklärungsmission: Gehen Sie rein, filmen Sie die Einstellung, verschwinden Sie wieder. Machen Sie sich keine Sorgen um die Belichtung oder den Hintergrund oder sonst irgendwas. Die Einstellung selbst ist wichtig. Machen sie eine einzige lange Aufnahme, den Rest bearbeite ich daheim in New York auf der DataCine. Okay?»

Toussaint nickte langsam.

«Guter Mann. Und hören Sie – denken Sie daran, zu niemandem ein Wort. Nicht mal zu Fortnum. Es bleibt unser Geheimnis – bis zum letzten Schnitt und dem Applaus der Senderbosse. Verstanden?»

«Verstanden», sagte Toussaint mit beinahe unhörbar leiser Stimme.

Conti nickte. Es war eine schnelle Bewegung, die an einen pickenden Vogel erinnerte. «Und jetzt gehen Sie und bereiten Ihre Ausrüstung vor. Ich skizziere in der Zwischenzeit den Weg.»