39
An einem bitterkalten Februarabend lehnte sich William zurück und las zum zweitenmal Thaddeus Cohens Bericht. Henry Osborne hatte alle Informationen beigesteuert, die er brauchte, um Abel Rosnovski zu erledigen, hatte die fünfundzwanzigtausend Dollar genommen und war untergetaucht. Sieht ihm ganz ähnlich, dachte William und legte die abgegriffene Rosnovski-Mappe in den Safe zurück. Die Originaldokumente hatte Thaddeus Cohen vor ein paar Tagen an die Staatsanwaltschaft in Washington D. C. gesandt.
Als Abel Rosnovski aus der Türkei zurückkehrte und verhaftet wurde, hatte William erwartet, daß dieser, als Gegenschlag gewissermaßen, sofort seine Interstate-Aktien auf den Markt werfen würde. Diesmal war William darauf vorbereitet gewesen. Er hatte seinen Makler bereits gewarnt, daß größere Mengen dieser Aktien auf den Markt kommen könnten, und seine Anweisungen waren klar. Sie sollten sofort gekauft werden, um keinen Preisverfall zuzulassen. Er war bereit, sein Privatvermögen anzugreifen, um der Bank keine Schwierigkeiten zu bereiten. William hatte auch ein Rundschreiben an alle Besitzer von Lester-Aktien verfaßt, in dem er sie warnte, keine Interstate-Aktien zu verkaufen, ohne ihm vorher davon Mitteilung zu machen.
Als die Wochen vorübergingen und Rosnovski nichts von sich hören ließ, begann William zu glauben, daß Thaddeus Cohen recht gehabt hatte und man die Spur nicht zurückverfolgen konnte. Offenbar gab Rosnovski Henry Osborne die ganze Schuld.
Thaddeus Cohen war davon überzeugt, daß Osbornes Beweismaterial Abel Rosnovski für lange Zeit ins Gefängnis bringen würde. So könnte er niemals Paragraph 7 geltend machen und wäre weder für die Bank noch für William Kane mehr eine Bedrohung. William hoffte auch, daß das Urteil seinen Sohn veranlassen würde, nach Hause zurückzukehren. Bestimmt würde er nach dem, was jetzt über diese Familie zutage kam, Rosnovskis Tochter verachten, und er würde einsehen, daß sein Vater von Anfang an recht gehabt hatte.
William wünschte sich Richards Rückkehr. Im Vorstand der Bank gab es seit Tony Simmons’ Rücktritt und Ted Leachs Tod zwei Lücken. Richard mußte spätestens vor Williams 65. Geburtstag in zehn Jahren nach New York zurückkehren, oder es würde zum erstenmal seit mehr als hundert Jahren im Vorstand der Bank kein Mitglied der Familie Kane geben. Cohen berichtete, daß Richard in brillanten Verhandlungen einige neue Geschäfte für Florentyna gekauft hatte. Doch die Möglichkeit, nächster Präsident der LesterBank zu werden, würde ihm sicherlich mehr bedeuten als ein Leben mit dieser Rosnovski.
Noch etwas anderes machte William Sorgen: die neuen Direktoren seiner Bank gefielen ihm nicht recht. Jake Thomas, der neue Vizepräsident, war der erklärte Favorit für die Nachfolge als Präsident. Er mochte in Princeton erzogen worden sein und mit Phi Beta Kappa graduiert worden sein, dennoch war er kein wirklicher Herr, und außerdem zu ehrgeizig, fand William. Absolut nicht der Typ, den er sich als nächsten Präsidenten der Bank wünschte. Er würde bis zu seinem 65. Geburtstag weitermachen und Richard überzeugen müssen, vor diesem Zeitpunkt in die Bank einzutreten. William wußte nur zu gut, daß Kate ihren Sohn unter allen Umständen zurückhaben wollte, aber als die Jahre verstrichen, fiel ihm ein Einlenken immer schwerer. Gott sei Dank ging Virginias Ehe gut, und sie erwartete jetzt ein Baby. Falls Richard sich weiter weigerte, nach Hause zurückzukehren, konnte er immer noch alles Virginia hinterlassen - wenn sie nur einen Enkel zur Welt brächte.
William saß am Schreibtisch in der Bank, als er seinen ersten Herzanfall hatte; keinen sehr ernsten, und die Ärzte versicherten ihm, daß er sich nur ein wenig erholen solle, dann hätte er noch weitere zwanzig Jahre vor sich. Er erklärte seinem Arzt, einem jungen Mann aus der neuen Generation - wie er Andrew MacKenzie vermißte! -, daß er nur zehn Jahre überleben wolle, um seine Amtszeit als Bankpräsident zu vollenden.
Während der wenigen Wochen, die er sich zu Hause erholen mußte, übertrug William widerwillig alle Geschäfte und Entscheidungen Jake Thomas, aber sobald er zurückkehrte, übernahm er, aus Angst, Thomas könnte in seiner Abwesenheit zuviel Autorität gewonnen haben, wieder die gesamte Leitung. Von Zeit zu Zeit nahm Kate all ihren Mut zusammen und bat ihn um die Erlaubnis, sich direkt mit Richard in Verbindung setzen zu dürfen, aber William blieb starrköpfig und erklärte: »Der Junge weiß, daß er jederzeit nach Hause kommen kann, wenn er will. Das einzige, was ich verlange, ist, daß er seine Beziehung zu diesem durchtriebenen Mädchen abbricht.«
An dem Tag, an dem Henry Osborne Selbstmord beging, hatte William einen zweiten Herzanfall. Kate saß die ganze Nacht an seinem Bett und bangte um ihn, doch der Prozeß gegen Abel Rosnovski hielt William am Leben. Er verfolgte tagtäglich des Stand der Verhandlung und wußte, daß Osbornes Selbstmord Rosnovskis Stellung verbesserte. Als Rosnovski schließlich mit sechs Monaten bedingt und einer Geldstrafe von fünfundzwanzigtausend freikam, war William nicht erstaunt. Natürlich konnte er sich ausrechnen, daß der Staatsanwalt mit Rosnovskis berühmtem Verteidiger einen Vergleich geschlossen hatte.
William war jedoch verwundert, daß er sich ein wenig schuldbewußt fühlte und erleichtert war, daß Abel Rosnovski nicht ins Gefängnis geschickt wurde. Als die Verhandlung vorüber war, interessierte es William nicht mehr, ob Rosnovski seine InterstateAktien abstieß oder nicht. Schließlich hatte er sich auf alles vorbereitet. Aber es geschah nichts, und als die Wochen vergingen, verlor William jedes Interesse an dem Chikago-Baron und dachte nur mehr an Richard, den er für sein Leben gern wiedersehen wollte. »Alter und Todesangst verändern ganz plötzlich die Gefühle«, hatte er einmal irgendwo gelesen. Eines Septembermorgens teilte er Kate seinen Wunsch mit. Sie fragte nicht, warum er seine Meinung geändert habe; es genügte ihr, daß William seinen Sohn wiedersehen wollte.
»Ich werde Richard sofort in San Franzisko anrufen und beide einladen«, sagte sie und war freudig überrascht, daß das Wörtchen »beide«
William nicht aufzuregen schien.
»Das wird schön sein«, sagte William leise. »Bitte sag Richard, daß ich ihn vor meinem Tod noch einmal sehen möchte.«
»Sei nicht dumm, Liebling. Der Arzt sagt, daß du, wenn du vernünftig lebst, noch zwanzig Jahre vor dir hast.«
»Ich möchte nur meine Zeit als Präsident vollenden und erleben, daß Richard meinen Platz im Vorstand einnimmt. Das genügt mir. Warum fliegst du nicht wieder hinüber und richtest Richard meinen Wunsch selbst aus?«
»Was meinst du mit wieder?« fragte Kate
unsicher.
William lächelte. »Ich weiß, daß du bereits mehrmals in San
Franzisko warst, mein Liebes. Wann immer ich in den letzten Jahren
auf Geschäftsreisen war, gabst du vor, deine Mutter zu besuchen.
Als sie letztes Jahr starb, wurden deine Ausreden immer
unglaubwürdiger. Du bist immer noch so bezaubernd wie damals, als
wir uns kennenlernten, aber ich glaube doch, daß du mit
vierundfünfzig wahrscheinlich keinen Liebhaber hast. Also war es
nicht schwer, sich
auszurechnen, daß du bei Richard warst.«
»Ja, ich war bei ihm«, sagte Kate. »Warum hast du nie gesagt, daß du es wußtest?«
»Im Innersten war ich froh darüber«, sagte William. »Ich wollte nicht, daß er den Kontakt mit uns beiden verliert. Wie geht es ihm?« »Es geht beiden gut, und jetzt hast du nicht nur einen Enkel, sondern auch eine Enkelin.«
»Nicht nur einen Enkel, sondern eine Enkelin«, wiederholte William.
»Ja, sie heißt Annabel«, berichtete
Kate.
»Und mein Enkel?« fragte William zum erstenmal.
Als Kate ihm den Namen sagte, mußte er lächeln. Es war nur eine
halbe Lüge.
»Gut«, sagte William. »Also flieg nach San Franzisko und sieh, was du ausrichtest. Sag ihm, daß ich ihn liebe.«
Das hatte er einmal einen anderen alten Mann sagen gehört, der bald darauf seinen Sohn verlor.
Kate war an diesem Abend glücklicher als seit vielen Jahren. Sie rief Richard an, um ihm zu sagen, daß sie nächste Woche zu Besuch käme und gute Nachrichten brächte.
Als Kate drei Wochen später nach New York zurückkehrte, freute sich William über die Nachricht, daß Richard und Florentyna Ende November kämen; es war die erste Möglichkeit für sie, gemeinsam fortzufahren. Kate erzählte immer und immer wieder, wie erfolgreich die beiden waren, wie der junge William Kane seinem Großvater glich und wie sich alle darauf freuten, zu Besuch nach New York zu kommen. William hörte sehr aufmerksam zu und stellte fest, daß er glücklich war und seinen Frieden gefunden hatte. Er hatte Angst gehabt, daß Richard, wenn er nicht bald käme, nie mehr nach Hause zurückkehren würde. Damit wäre das Amt des Präsidenten Jake Thomas in den Schoß gefallen. Das wollte sich William nicht vorstellen.
Am folgenden Montag kehrte William nach langer Abwesenheit gut gelaunt in die Bank zurück. Er hatte sich von seinem zweiten Anfall völlig erholt und wußte jetzt, daß er etwas hatte, wofür es sich zu leben lohnte.
»Sie müssen Ihr Arbeitspensum ein wenig einschränken«, hatte ihm der kluge junge Arzt geraten, aber William war entschlossen, wieder fest die Zügel in die Hand zu nehmen, um den Platz für seinen einzigen Sohn zu sichern. Bei seiner Ankunft wurde er vom Portier begrüßt, der ihm mitteilte, daß Jake Thomas ihn suche und bereits zu Hause zu erreichen versucht hatte. William dankte dem ältesten Angestellten der Bank, dem einzigen, der Lester länger gedient hatte als der Präsident selbst.
»Nichts ist so wichtig, daß es nicht warten
kann«, sagte er. »Ganz richtig, Sir.«
William ging langsam in sein Büro. Als er die Türe öffnete, fand
er
drei seiner Direktoren in ein Gespräch vertieft, und Jake Thomas saß auf seinem Platz.
»War ich so lange fort?« fragte William
lachend. »Bin ich nicht mehr Präsident der Bank?«
»Natürlich sind Sie das. Willkommen, William«, sagte Thomas Jake
und verließ rasch den Stuhl des Präsidenten.
William konnte sich nicht daran gewöhnen, das Jake Thomas ihn beim
Vornamen nannte. Die neue Generation war einfach zu
unkonventionell. Sie kannten einander erst ein paar Jahre, und der
Mann war bestimmt nicht älter als vierzig.
»Wo gibt es Probleme?« fragte William.
»Abel Rosnovski«, sagte Jake Thomas ausdruckslos.
William spürte ein ungutes Gefühl in der Magengegend und setzte
sich auf den nächsten Stuhl.
»Was will er diesmal?« fragte er matt. »Will er mir nicht erlauben,
meine Tage in Frieden zu beenden?«
Jake Thomas stand auf und ging auf William zu.
»Er beabsichtigt, Paragraph 7 in Anspruch zu nehmen und eine
Konferenz mit dem einzigen Zweck einzuberufen, Sie als Präsident
abzusetzen.«
»Nein«, sagte William. »Ich habe alle Aktien fortwährend
kontrollieren lassen. Niemand würde an Rosnovski verkaufen.
Niemand.«
»Peter Parfitt«, sagte Jake Thomas.
»Nein«, William lächelte triumphierend. »Ich ließ seine Aktien vor
einem Jahr durch einen Mittelsmann kaufen.«
Jake Thomas schaute bestürzt drein, und einen Moment lang schwiegen
alle. Zum erstenmal wurde William klar, wie sehr Thomas sich
wünschte, nächster Präsident der Bank zu werden.
»Nun«, sagte Jake Thomas. »Wir müssen uns mit seiner Behauptung
abfinden, daß er morgen acht Prozent besitzt, was ihn berechtigt,
drei Direktoren in den Vorstand zu wählen und alle wesentlichen
Entscheidungen drei Monate aufzuschieben. Es sind jene
Vorkehrungen, die Sie in die Statuten aufnehmen ließen, um Ihre
Stellung auf lange Sicht zu schützen. Rosnovski beabsichtigt auch,
seine Entscheidung mittels Annoncen im ganzen Land bekanntzumachen.
Und überdies droht er, mit Hilfe der Hotelkette die ganze Bank zu
übernehmen, falls seine Pläne auf Widerstand stoßen. Er sagte ganz
deutlich, daß er nur unter einer Bedingung den ganzen Plan
fallenlasse.«
»Und die wäre?« fragte William.
»Wenn Sie als Präsident der Bank zurücktreten«, erwiderte
Thomas.
»Das ist Erpressung.«
William schrie es beinahe.
»Vielleicht, aber wenn Sie bis nächsten Montag nicht zurückgetreten
sind, beabsichtigt er, allen Aktienbesitzern seinen Entschluß
mitzuteilen. Er hat bereits in vierzig Zeitungen und Zeitschriften
den Platz für die entsprechenden Anzeigen gekauft.«
»Der Mann ist verrückt geworden«, sagte William. Er zog ein
Taschentuch hervor und wischte sich über die Stirn.
»Das ist noch nicht alles«, fügte Jake Thomas hinzu. »Er verlangt
weiters, daß kein Mitglied der Familie Kane während der nächsten
zehn Jahre Ihren Platz im Vorstand einnimmt und daß Sie Ihren
Rücktritt weder mit einem schlechten Gesundheitszustand noch mit
irgendeinem anderen Grund erklären dürfen.«
Er hielt William ein langes Schreiben mit dem Briefkopf »Die
Baron-Gruppe« hin.
»Verrückt«, wiederholte William, als er den Brief überflogen
hatte.
»Dessenungeachtet habe ich für morgen eine Aufsichtsratssitzung
einberufen«, sagte Jake Thomas. »Um zehn Uhr. Ich glaube, wir
sollten seine Forderungen im Detail besprechen, William.«
Die drei Direktoren ließen William allein in seinem Büro zurück,
und während des ganzen Tages kam kein Mensch zu ihm. Er versuchte,
einige der anderen Direktoren zu erreichen, konnte aber nur mit
einem oder zwei sprechen und war sich ihrer Unterstützung nicht
sicher. Es wurde ihm klar, daß es bei der morgigen Konferenz zu
einer harten Auseinandersetzung kommen würde, aber solange niemand
außer ihm acht Prozent besaß, konnte ihm nichts geschehen. Er ging
daran, seine Strategie vorzubereiten, um seinen eigenen
Aufsichtsrat unter Kontrolle zu halten. Er ging die Liste der
Aktienbesitzer durch; soweit er wußte, beabsichtigte niemand, zu
verkaufen. Er lachte leise; Abel Rosnovskis Coup war mißlungen. An
diesem Abend ging er früh nach Hause und bat Kate nur, Richards
Besuch zu verschieben. Dann zog er sich in sein Arbeitszimmer
zurück und überlegte, wie er Rosnovski zum letztenmal besiegen
wollte. Er ging erst um drei Uhr nachts zu Bett, aber da wußte er,
was zu geschehen hatte. Jake Thomas hatte zu verschwinden, so daß
Richard seinen Platz einnehmen konnte.
Am nächsten Morgen ging William zeitig in die Bank, saß in seinem
Büro und schaute, siegesgewiß, nochmals seine Notizen durch. Er
hatte das Gefühl, daß sein Plan alle Eventualitäten berücksichtigt
hatte. Fünf Minuten vor zehn meldete sich seine Sekretärin. »Ein
Mr. Rosnovski ist am Apparat«, sagte sie.
»Was?«
»Ein Mr. Rosnovski.«
»Mr. Rosnovski.«
Ungläubig wiederholte William den Namen. »Verbinden Sie mich«,
sagte er mit zitternder Stimme.
»Ja, Sir.«
»Spreche ich mit Mr. Kane?«
Der schwache Akzent, den William nie vergessen würde. »Ja, was
wollen Sie diesmal?«
»Nach den Statuten der Bank muß ich Ihnen mitteilen, daß ich jetzt
acht Prozent der Stammaktien besitze und Paragraph 7 geltend machen
werde, falls meine Forderungen nicht bis Montag mittag erfüllt
sind.«
»Wie haben Sie die restlichen zwei Prozent bekommen?« stammelte
William. Ein Hörer wurde aufgelegt. Rasch ging William die Liste
der Aktienbesitzer durch, um herauszufinden, wer ihn verraten
hatte. Er zitterte immer noch, als das Telefon zum zweitenmal
klingelte.
»Die Sitzung beginnt, Sir.«
Um Punkt zehn betrat William den Sitzungssaal. Er blickte um sich
und merkte plötzlich, wie wenige der jungen Direktoren er gut
kannte. Das letztemal, als er in diesem Raum zum Kampf angetreten
war, hatte er jeden einzelnen gekannt und hatte gewonnen. Er
lächelte im stillen und war immer noch ziemlich sicher, daß er Abel
Rosnovski besiegen konnte. Er erhob sich.
»Meine Herren, diese Sitzung wurde einberufen, weil die Bank eine
Forderung von Mr. Abel Rosnovski von der Baron-Gruppe erhielt; von
einem verurteilten Kriminellen, der die Unverschämtheit besitzt,
eine offene Drohung zu äußern; und zwar, daß er die acht Prozent
der Stammaktien dazu benutzen will, uns alle in Verlegenheit zu
bringen; sollte seine Taktik nicht erfolgreich sein, wird er eine
Übernahme versuchen, außer ich ziehe mich als Präsident und
Vorstand dieses Gremiums zurück, ohne eine Erklärung abzugeben. Sie
alle wissen, daß ich in neun Jahren in den Ruhestand treten werde.
Sollte ich mich früher zurückziehen, würde mein Rücktritt von der
Finanzwelt völlig falsch ausgelegt werden.«
William schaute auf seine Notizen und beschloß, seine Trumpfkarte
zu spielen.
»Meine Herren, ich bin bereit, der Bank mein ganzes Aktienpaket
sowie weitere zehn Millionen Dollar aus meinem Privatvermögen zur
Verfügung zu stellen, so daß Sie jeden von Mr. Rosnovskis Schritten
abwehren können, ohne die finanzielle Situation der Bank zu
gefährden. Ich hoffe, meine Herren, daß ich unter diesen Umständen
Ihrer Unterstützung in meinem Kampf mit Abel Rosnovski sicher sein
kann. Ich bin überzeugt, daß Sie sich nicht einer Erpressung beugen
werden.«
Im Saal wurde es sehr still. William war überzeugt, gewonnen zu
haben, doch dann fragte Jake Thomas, ob der Aufsichtsrat ihn über
seine Beziehung zu Abel Rosnovski befragen dürfe. Auf diesen Wunsch
war William nicht vorbereitet, doch willigte er sofort ein. Vor
Jake Thomas hatte er keine Angst.
»Diese Vendetta zwischen Ihnen und Abel Rosnovski besteht seit
dreißig Jahren«, sagte Jake Thomas. »Glauben Sie, daß die Affäre
erledigt wäre, wenn wir Ihren Plan annehmen?«
»Was kann der Mann sonst noch tun? Was sonst kann er tun?«
stammelte William und sah sich im Saal nach Unterstützung
um.
»Das wissen wir vorläufig noch nicht, aber mit acht Prozent ist er
ebenso mächtig wie Sie«, sagte der neue Schriftführer - er war
nicht nach Williams Geschmack und redete zuviel. »Das einzige, was
wir wissen, ist, daß keiner von Ihnen imstande zu sein scheint,
diese alte Geschichte zu begraben. Obwohl Sie zehn Millionen
angeboten haben, um unsere finanzielle Situation abzusichern, würde
es zweifellos zu einer Panik führen, wenn Rosnovski fortwährend
Entscheidungen blockierte, Sitzungen einberiefe und
Übernahmsangebote machte, die nicht im Interesse der Bank liegen.
Die Bank und ihre Tochtergesellschaften, denen wir als Direktoren
verpflichtet sind, wären im besten Fall in großer Verlegenheit und
könnten im schlimmsten Fall zusammenbrechen.«
»Nein, nein«, versicherte William, »mit meiner persönlichen
Unterstützung können wir Rosnovski frontal
entgegentreten.«
»Die Entscheidung, die wir heute zu treffen haben«, fuhr der
Schriftführer fort, »lautet, ob es Umstände gibt, die eine direkte
Konfrontation mit Rosnovski rechtfertigen. Vielleicht werden wir à
la longue die Verlierer in diesem Kampf sein.«
»Nicht, wenn ich die Kosten aus meinem Privatvermögen bestreite«,
sagte William.
»Das können Sie natürlich tun«, sagte Jake Thomas, »aber es geht
hier nicht nur um Geld. Für die Bank gibt es größere Probleme.
Jetzt, da Rosnovski imstande ist, Paragraph 7 geltend zu machen,
kann er mit uns Katz und Maus spielen. Die Bank müßte ihre ganze
Zeit damit verbringen, alle Schritte von Abel Rosnovski im
vorhinein zu erraten.«
Jake Thomas wartete, bis alle seine Worte verdaut hatten. Dann
schaute Thomas William direkt an und fuhr fort: »Ich muß jetzt eine
sehr persönliche Frage an Sie richten, Mr. President, die jedem von
uns hier Sorgen macht, und ich hoffe, daß Sie uns ehrlich antworten
werden, auch wenn das für Sie unangenehm sein sollte.«
William schaute auf und fragte sich, worum es ging. Was hatte man
hinter seinem Rücken besprochen? Für wen, zum Teufel, hielt sich
dieser Jake Thomas? William fühlte, daß er die Initiative verloren
hatte. »Ich werde jede Frage beantworten, die der Aufsichtsrat
stellt«, sagte William. »Ich habe nichts und niemanden zu
fürchten.«
Er schaute Jake Thomas scharf an.
»Danke«, sagte Thomas. »Mr. President, hatten Sie irgend etwas mit
der Übersendung eines Dossiers an die Staatsanwaltschaft in
Washington zu tun, das die Verhaftung Abel Rosnovskis und einen
Prozeß wegen Bestechung auslöste, obwohl Sie wußten, daß er einer
der bedeutenderen Aktienbesitzer unserer Bank ist?«
»Hat er Ihnen das gesagt?« fragte William.
»Ja, er behauptet, er habe seine Verhaftung nur Ihnen zu
verdanken.«
William schwieg eine Weile und überlegte die Antwort, während er
seine Notizen studierte. Sie halfen ihm nicht. Auf diese Frage war
er nicht vorbereitet, andererseits hatte er den Aufsichtsrat in
dreiundzwanzig Jahren nie belogen. Er konnte nicht jetzt damit
anfangen.
»Ja«, sagte er und brach das Schweigen. »Ich bekam die
Informationen und hielt es für meine Pflicht, sie an die
Staatsanwaltschaft weiterzuleiten.«
»Wie erhielten Sie die Informationen?«
William antwortete nicht.
»Ich glaube, wir alle kennen die Antwort auf diese Frage, Mr.
President«, sagte Jake Thomas. »Überdies informierten Sie die
Behörden, ohne den Aufsichtsrat zu informieren, und damit haben Sie
uns alle gefährdet - unseren Ruf, unsere Karrieren, alles, wofür
die Bank steht, alles, für eine persönliche Rache.«
»Aber Rosnovski wollte mich zugrunde richten«, sagte William und
merkte, daß er schrie.
»Und um ihn zugrunde zu richten, setzten Sie den Ruf und die
Sicherheit der Bank aufs Spiel.«
»Es ist meine Bank«, sagte William.
»Nein«, widersprach Jake Thomas. »Sie besitzen acht Prozent der
Stammaktien, ebenso wie Mr. Rosnovski, und im Augenblick sind Sie
Präsident und Vorsitzender von Lester, aber Sie können die Bank
nicht für Ihre persönlichen Launen benützen, ohne die andern
Direktoren zu informieren.«
»Dann muß ich die Vertrauensfrage stellen«, sagte William. »Ich
bitte Sie, mich gegen Abel Rosnovski zu unterstützen.«
»Darum geht es nicht«, sagte der Schriftführer. »Wir müßten
abstimmen, ob Sie unter den gegebenen Umständen der richtige Mann
sind, diese Bank zu leiten. Sehen Sie das nicht ein, Mr.
President?«
»Einverstanden«, sagte William mit abgewandtem Blick. »Der
Aufsichtsrat soll entscheiden, ob er meine Karriere nach beinahe
fünfundzwanzig Jahren schmachvoll beenden und den Drohungen eines
verurteilen Kriminellen nachgeben will.«
Jake Thomas nickte dem Schriftführer zu, und die Stimmzettel wurden
verteilt. William hatte den Eindruck, daß alles bereits vor der
Sitzung entschieden worden war. Er blickte die neunundzwanzig
Männer an, die um den Tisch saßen; viele von ihnen hatte er selbst
ausgewählt, manche kannte er kaum. Einmal hatte er gehört, daß eine
kleine Gruppe von Direktoren offen die Demokraten und John Kennedy
unterstützte. Einige schauten ihn an, andere wandten den Blick ab.
Bestimmt würden sie ihn unterstützen; sie konnten es nicht
zulassen, daß Rosnovski ihn erledigte. Nicht jetzt. Bitte laßt mich
meine Jahre als Präsident vollenden, dann werde ich stillschweigend
und ohne Aufhebens verschwinden aber nicht auf diese
Weise.
Er beobachtete, wie die Mitglieder dem Schriftführer die
Stimmzettel zurückgaben. Der Schriftführer öffnete sie langsam. Es
war still im Saal; alle Blicke waren auf den Mann gerichtet, der
die Zettel entfaltete und jedes Ja und jedes Nein auf einem mit
zwei Spalten versehenen Bogen Papier eintrug. William konnte sehen,
daß die eine Namenliste wesentlich länger war als die andere, aber
seinen schwachen Augen gelang es nicht, auszunehmen, welche welche
war. Er war nicht imstande, sich damit abzufinden, daß der Tag
gekommen war, an dem in seinem eigenen Sitzungssaal zwischen ihm
und Abel Rosnovski abgestimmt wurde.
Der Schriftführer sagte etwas. William konnte nicht glauben, was er
hörte: Mit siebzehn gegen zwölf Stimmen hatte er das Vertrauen des
Aufsichtsrates verloren. Es gelang ihm, aufzustehen. Abel Rosnovski
hatte ihn im Endkampf besiegt. Niemand sprach, als William den Saal
verließ. Er ging in sein Büro zurück, nahm seinen Mantel, warf
einen letzten Blick auf Charles Lesters Porträt, und ging durch den
langen Korridor zum Ausgang.
Der Portier sagte: »Schön, daß Sie wieder zurück sind, Mr.
President. Auf morgen, Sir.«
William wußte, daß er ihn nie mehr sehen würde. Er drehte sich um
und reichte dem Mann, der ihm vor dreiundzwanzig Jahren den Weg zum
Sitzungssaal gezeigt hatte, die Hand.
Der erstaunte Portier sagte: »Gute Nacht, Sir«, und sah William zum
letztenmal in sein Auto einsteigen.
Der Chauffeur fuhr William nach Hause. Als sie die 68. Straße
erreichten, brach William vor seinem Haus zusammen. Der Chauffeur
und Kate halfen ihm herein. Kate sah, daß er weinte, und legte den
Arm um ihn.
»Was ist geschehen, William? Was ist los?«
»Man hat mich aus meiner Bank geworfen. Mein eigener Aufsichtsrat
hat kein Vertrauen mehr zu mir. Als es darauf ankam, unterstützten
sie Rosnovski.«
Er weinte.
Irgendwie gelang es Kate, ihn ins Bett zu bringen. Sie saß die
ganze Nacht bei ihm. Er sprach kein Wort. Und er schlief auch
nicht.
Die Mitteilung im Wall Street Journal am
folgenden Montag lautete einfach: »William Lowell Kane, Präsident
und Vorsitzender der Lester-Bank, trat nach der gestrigen
Aufsichtsratssitzung zurück.«
Für seinen plötzlichen Abgang wurde keine Erklärung gegeben, und
die Möglichkeit, daß sein Sohn seinen Platz einnehmen könnte, wurde
nicht erwähnt. William wußte, welche Gerüchte in Wall Street
kursieren würden; man würde das Schlimmste annehmen. Er saß allein
im Bett, und alles auf dieser Welt hatte seine Wichtigkeit
verloren.
Abel Rosnovski las die Mitteilung von William Kanes Rücktritt am selben Tag im Wall Street Journal Er nahm den Telefonhörer, rief die Lester-Bank an und verlangte den neuen Präsidenten. Ein paar Sekunden später meldete sich Jake Thomas. »Guten Morgen, Mr. Rosnovski.«
»Guten Morgen, Mr. Thomas. Ich rufe nur an, um Ihnen mitzuteilen, daß ich heute morgen alle meine Interstate-Aktien zum Marktpreis der Bank und meine acht Prozent Anteil an den LesterAktien Ihnen persönlich für zwei Millionen Dollar überlasse.«
»Vielen Dank, Mr. Rosnovski. Das ist sehr großzügig von Ihnen.« »Kein Grund, mir zu danken, Mr. President. Es ist nicht mehr, als wir vereinbarten, als Sie mir Ihre zwei Prozent der Stammaktien verkauften«, sagte Abel Rosnovski.