SIEBEN

Am Donnerstag kümmerte ich mich um einige andere Fälle, die ich nicht völlig vernachlässigen wollte, und las bis drei Uhr nachmittags in verschiedenen Akten. Dann tauchte Quinton auf, um mir zu helfen, in den Bürocomputer ein DVD-Laufwerk einzubauen. Ich hatte zwar einen DVD-Spieler zu Hause, aber keinerlei Lust, die ganzen Notizen und Akten ständig hin und her zu schleppen.
Nachdem das Laufwerk angeschlossen war und tatsächlich funktionierte, setzten wir uns vor den Bildschirm und sahen uns einige der DVDs gemeinsam an. Ich hoffte, dass Quinton in der Lage sein würde, die Geister produzierende Maschinerie genauer auszumachen, wenn er sie in Aktion sah.
Wir machten es uns vor dem Monitor bequem wie zwei Kids, die sich zu Halloween Gruselfilme ansehen. Im Grunde brauchten wir nur noch Decken und Popcorn.
Die erste Sitzung war uninteressant gewesen, und für eine ganze Weile blieb das auch so. Die Gruppe hatte zu dieser Zeit noch steif im Dämmerlicht um den Tisch gesessen und eine Weile meditiert, ehe sie dazu übergegangen war, über Celia zu sprechen. Es war nichts Aufregendes geschehen, auch wenn man langsam den Eindruck gewann, dass sie sich zumindest besser kennenlernten. Schließlich hatten sie versucht, die Technik der Philip-Gruppe zu imitieren, indem sie gemeinsam ein Lied sangen, das Celia vielleicht gefallen könnte – in diesem Fall eine kaum erkennbare Version des Songs »Don’t sit under the apple tree«.
»Die singen genauso schlecht wie du«, grinste Quinton. Ich rammte ihm den Ellenbogen in die Seite und schnaubte empört.
Nach einer Weile hörte die Gruppe ihr erstes klares Klopfgeräusch, von dem wir beide annahmen, dass es von einem der Teilnehmer stammen musste – vielleicht sogar aus Versehen. Es war uns jedenfalls klar, dass es sich bei dem Klopfen um kein echtes Geisterphänomen handelte, doch die Gruppe schien ziemlich zufrieden zu sein, die Teilnehmer gratulierten einander zu diesem Erfolg. Keiner wirkte durch das Klopfen beunruhigt, auch wenn die asiatisch aussehende Frau und der Mann im Anzug beide die Stirn runzelten. Die anderen waren entweder überrascht oder sogar hellauf begeistert. Auch wenn ich fand, dass der junge Mann mit dem hellbraunen Teint ein wenig zu selbstzufrieden aussah.
Es war seltsam, Mark gesund und lebendig am Tisch mitten unter den anderen zu sehen. Er schien ernster als der Rest und auch ernster, als ich ihn aus dem Old Possum’s kannte. Von Marks Verhalten einmal abgesehen, kamen mir die ersten Sitzungen allerdings sehr durchschnittlich vor.
Ich machte mir einige Notizen, und wir arbeiteten uns langsam durch die frühen Aufzeichnungen. Nach und nach entspannten sich die Gruppenmitglieder. Es schien ihnen auch nicht mehr so peinlich zu sein, bestimmte Aufgaben, die ihnen gestellt wurden, zu lösen. Vor jeder Séance plauderten sie miteinander. Mir fiel auf, dass das Paar im mittleren Alter fast immer mit dem Rücken zueinander saß und dass die Hausfrau meist finster dreinblickte, wenn sie sich nicht gerade mit einem der jungen, alleinstehenden Männer unterhalten konnte. Dann wurde sie auf einmal kokett.
In einer Sitzung unterhielt sich die Gruppe über den Beginn der Baseball-Saison. Einer der jungen Männer fragte, ob Celia wohl Baseball mochte. Sie begannen darüber zu diskutieren und überlegten hin und her, welche Interessen der Geist haben könnte.
Die Frau im mittleren Alter – auffallend hergerichtet, blond und sogar in einem grauen Kostüm noch aufgedonnert wirkend – unterbrach die anderen nach einer Weile ungeduldig: »Warum fragen wir sie nicht einfach? Celia – hast du Baseball gemocht?«
Der Tisch wackelte hin und her. Ein lautes Klopfen erfolgte, dann ein leiseres. Mark Lupoldis Augen weiteten sich sichtbar.
Wir lehnten uns beide nach vorn und starrten interessiert auf den Monitor. »Kannst du da mal kurz anhalten?«, bat ich Quinton.
Er drückte auf die Tastatur, und das Bild blieb stehen.
»Ein wenig zurück, bitte. Ich will genau sehen, was passiert ist.« Quinton spulte etwas zurück und ließ die Aufzeichnung dann langsam, Bild für Bild, wieder vorwärts laufen. Der Tisch wackelte auf die gleiche Weise wie am Mittwoch, als Quinton die Bewegung erzeugt hatte. »Der Tisch wird doch von dem Beobachtungsraum aus ins Wanken gebracht – oder?«, wollte ich wissen.
»Ja. Du siehst doch, wie sich die Tischbeine auf dieselbe Weise bewegen wie am Mittwoch. Außerdem verzeichnet die Infrarotkamera ein leichtes Ansteigen der Temperatur in den Kabeln im Teppich«, bestätigte er. Er spulte etwas weiter vor. Als Nächstes sah man, wie Mark seine Ellbogen ein wenig hochhob, kurz bevor der erste Schlag ertönte. »Der Kerl mit den langen Haaren hat das gemacht.«
Ich nickte. Er spulte weiter vor. Die Gruppe verharrte für einen Moment in Schweigen. Dann kam das zweite Klopfen. »Aber das nicht«, sagte ich.
Quinton betrachtete das Bild auf dem Monitor genauer. »Nein, stimmt. Hat er nicht. Ich kann auch niemanden sonst sehen, der sich bewegt. Das Geräusch kann also von keinem stammen, der am Tisch sitzt. Und außerdem klingt es irgendwie anders. Warte. Das muss ich mir genauer ansehen …«
Er begann etwas einzutippen und suchte dann in den Dateien. Mit dem Cursor wählte er einen Bereich der Abspielleiste aus, den er in eine Ecke des Monitors zog. Dort zeigte sich ein wellenartiges Gebilde. Das vergrößerte er und gab weitere Anweisungen in den Computer ein.
»Okay. Sieh dir das mal an und höre genau zu.« Er klickte, und der Rechner begann, die Klopfgeräusche abzuspielen, während eine rote Linie über die Wellen lief und sie so sichtbar machte.
»Das ist das Klopfen des Inders aus der vorherigen Sitzung.« Die Aufzeichnung auf dem Computer sah aus wie eine Kaulquappe, und das Geräusch klang tief und hölzern.
Ich warf Quinton einen fragenden Blick zu. »Wieso Inder?«
»Na ja, für mich sieht er irgendwie indisch aus. Er könnte natürlich auch arabischer oder asiatischer Herkunft sein … was weiß ich.«
Ich dachte darüber nach und beschloss, dem Ganzen später nachzugehen. Aus irgendeinem Grund wäre ich nie auf die Idee gekommen, den Mann mit der bronzefarbenen Haut und dem koboldhaften Grinsen als Inder zu bezeichnen. Keiner auf Tuckmans Liste hatte zudem einen indisch oder pakistanisch klingenden Namen.
Quinton brachte mich wieder auf Kurs. Er zeigte auf die nächste Wellenform. »Und hier ist das Geräusch, das der langhaarige Typ fabriziert hat – das erste Klopfen in dieser Sitzung.« Wieder schaute ich auf den Monitor. Vorne schien es dicker zu sein, doch ansonsten hatte es eine ähnliche Kaulquappenform wie das vorherige Klopfen. Es klang auch beinahe gleich.
»Und jetzt das zweite Klopfen dieser Sitzung, das anders klingt.« Die Wellenform sah nun wie ein Kleiner Tümmler aus. Dem langen, flachen Anstieg – dem Maul – folgte ein runder Kopf und Körper, der langsam zu einem kurzen, scharfen Schwanz auslief. Das Geräusch klang hohler als die anderen und endete in einem leisen Knall, der so kurz war, dass man ihn kaum bemerkte.
Quinton führte den Cursor zu einer weiteren Wellenform auf dem Bildschirm. »Dieses Geräusch habe ich aus dem Vergleichsbericht herausgeschnitten. Die Datei heißt ›Celia‹. Das ist doch der Name des Poltergeists, um den es hier geht – oder nicht?«
»Genau.«
Quinton vergrößerte die letzten beiden Wellenformen. »Sie sind zwar nicht identisch, aber einander doch sehr ähnlich. Die Länge des Anstiegs ist in der Vergleichsversion kürzer, und auch der Ausklang ist etwas kürzer. Aber insgesamt sind die Wellenformen fast gleich, einschließlich des kurzen Knalls am Ende.«
»Dann stammt das Klopfen also von Celia.«
Quinton nickte. »Ja. Was auch immer Celia sein mag – sie hat dieses Geräusch gemacht.«
Ich biss einen Augenblick lang nachdenklich auf meiner Unterlippe herum. »Und wieso sind die beiden Klopfgeräusche unterschiedlich?«, fragte ich schließlich.
»Ich vermute, das hat sich im Laufe der Zeit so ergeben. Der Anstieg zu Beginn ist sozusagen der Einsatz, den man bei normaler Lautstärke nicht hören kann. Aber die Mikrofone unter dem Tisch haben ihn trotzdem aufgenommen. Und der leise Knall am Ende ist sozusagen der Shutdown – als würde man den Stecker herausziehen. Je besser die Leute beim Produzieren des Geräusches wurden, desto weniger konnte man das langsame Anlaufen und das ruckartige Abbrechen am Ende hören.«
Ich überlegte. Im Grunde stimmte ich mit Quintons Analyse überein, auch wenn ich dabei nicht auf die Idee gekommen wäre, von herausgezogenen Steckern oder so etwas zu sprechen. »Aber was ist das für ein Geräusch?«, fragte ich. »Es ist doch wohl kein Gegenstand, der auf den Tisch knallt.«
Quinton schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich auch nicht. Wenn etwas auf den Tisch geschlagen wäre, hätte das eine ähnliche Wellenform wie die anderen beiden ergeben. In denen spiegelt der Kopf der Kaulquappe das Aufschlagen einer Faust oder etwas Ähnliches auf Holz wider. Und der Rest ist die Resonanz und das Ausklingen auf der Holzoberfläche. Die beiden Celia-Wellenformen aber sind von einer gänzlich anderen Natur. Sie haben diese kaum hörbare Komponente am Anfang, und auch ihre Resonanz und ihr Ausklang sind ganz anders strukturiert. Das Geräusch scheint sich eher im Holz als darunter oder darauf abzuspielen.«
Ich legte den Kopf schief und blickte ihn fragend an. »Und was könnte so etwas hervorrufen?«
Er zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung.«
»Meinst du … Könnte es vielleicht wirklich ein Geist sein?«
Quinton sah mich scharf an und runzelte die Stirn. »Das meinst du wirklich ernst – oder?«
»Ja. Was denkst du?«
»Ich habe schon zu viele seltsame Dinge in dieser Stadt gesehen, als dass ich einfach behaupten könnte, dass es kein Geist ist. Aber ich weiß es nicht.«
Ich sah wieder auf den Bildschirm und zeigte auf Mark. »Der Typ, der für den Trick mit dem Tisch verantwortlich ist, der mit dem langen dunklen Haar – er ist gestern auf ziemlich schreckliche Weise ums Leben gekommen.«
Quinton musterte Mark und sah dann mich an. »Was willst du damit sagen?«
»Ich bin mir nicht sicher. Aber ich habe bei dieser ganzen Sache ein schlechtes Gefühl.«
»Na ja, der Mann ist ja auch tot. Das kann ich schon verstehen.«
»Tuckman glaubt, dass jemand mehr Geistererscheinungen fabriziert als vom Projekt beabsichtigt. Aber wenn dieses Klopfen echt ist, dann irrt er sich vielleicht. Wenn das also nicht künstlich hervorgerufen wurde, dann stellt sich doch die Frage, was wirklich los ist. Du hättest sehen sollen, was gestern in diesem Raum passierte. Das war wesentlich eindrucksvoller als die paar Klopfgeräusche.«
»Du hältst es also für echt? Oder meinst du, sie erfinden das alles?«
»Ich weiß es einfach nicht.«
»Na gut. Dann schauen wir uns doch einmal an, was sie sonst noch so draufhaben, bevor du deine Entscheidung fällst.« Er drückte auf eine Taste, und die Aufzeichnung lief weiter.
Auf dem Bildschirm wirkte Mark Lupoldi noch immer überrascht. Der Rest der Gruppe nickte. Die blonde Frau mittleren Alters fuhr fort, dem Geist Fragen zu stellen. »Bist du mit Jimmy zu einem Baseball-Spiel gegangen?«
Für einen langen Moment herrschte vollkommene Stille. Dann folgte zwei Mal zögerliches Klopfen.
Ich sah Quinton an. Er drückte wieder auf Pause und öffnete das Sound-Fenster, sodass es den ganzen Monitor ausfüllte. Vergrößert konnte man die Wellenformen gut erkennen. Es handelte sich wieder um zwei Kleine Tümmler, die mit Schnauze und Schwanz miteinander verbunden waren und am Ende einen einzelnen kleinen Knall aufwiesen.
»Das ist interessant«, meinte Quinton. »Die beiden sind miteinander verbunden, und der Anstieg beim zweiten Geräusch ist kürzer, obwohl es eine Pause dazwischen gibt. Vielleicht braucht man weniger Energie, um einen weiteren Ton zu schaffen, sobald man ihn erst einmal produziert hat.«
»Und der Knall ist erst am Ende der beiden Geräusche zu hören«, fügte ich hinzu.
»Hier haben wir nur sehr wenige Daten, und wir können uns nicht wirklich sicher sein, aber ich glaube, du hast recht.« Er warf einen Blick auf die Zeitanzeige auf dem Bildschirm. »Mist, ich muss los. Ich bin um acht mit jemandem verabredet.«
»Es ist aber gerade mal halb sieben«, protestierte ich lautstark.
»Ja, schon, aber ich muss noch ein paar Vorbereitungen treffen und außerdem vorher etwas abholen. Aber du weißt ja jetzt, wie das funktioniert. Außerdem sollte ich nicht in alles Einblick gewinnen, sonst könnte dein Klient vielleicht denken, dass es zu einem Vertrauensbruch kommt.«
In gewisser Weise hatte er recht, aber ich ließ ihn nur widerstrebend gehen. Es war so erholsam, endlich einmal mit jemandem zu sprechen, den ich nicht belügen oder vor dem ich mich nicht in Acht nehmen musste. Mein Sozialleben war nie besonders exzessiv gewesen, doch seit meinem Sturz in das Grau war es kaum noch vorhanden. Meistens machte mir das nichts aus – ich gehörte eher zum Typ Einzelgänger -, aber manchmal bekam ich dann doch einen Rappel und spürte plötzlich die Leere um mich herum. Es war wohl kein Zufall, dass solche Anfälle häufig mit einem Anruf von Will zusammenfielen.
Ich schnitt ein Gesicht. »Du hast recht. Ich sollte dich nicht länger aufhalten. Und diese Aufnahmen haben nun wirklich nicht gerade Oscar-Qualität.«
Quinton grinste. »Ich würde schon gerne herausfinden, wie sie dieses Geräusch machen. Sobald du es weißt, musst du es mir sagen.«
»Gerne«, erwiderte ich und sah ihm dabei zu, wie er Rucksack und Mantel nahm und aus dem Büro eilte.
Ich wandte mich wieder den Séance-Aufnahmen zu, auch wenn es mir jetzt schwerer fiel, mich darauf zu konzentrieren. Die Gruppe befragte Celia noch eine ganze Weile zum Thema Baseball. Je länger das Gespräch dauerte, desto entschlossener klangen die Klopfgeräusche. Der Tisch wackelte mehrmals hin und her, wobei ich vermutete, dass es sich dabei um Erscheinungen handelte, die von Tuckman, Terry oder Mark ausgelöst wurden.
Die Sitzung gab nicht viel mehr her, denn die Mitglieder wurden nach einer Weile müde und hörten vorzeitig auf. Bei der Nachbereitung waren sie allesamt von den Klopfgeräuschen begeistert und hofften, dass sich die Erscheinungen bald verstärken würden.
Mir fiel auf, dass Mark nur sehr wenig sagte, nachdem das Klopfen begonnen hatte. Auch im Gespräch danach war er schweigsam. In der Akte konnte ich nachlesen, dass er Tuckman versichert hatte, nach dem ersten Klopfen nichts mehr gemacht zu haben. Außerdem stand darin, wie sich Tuckman trotz der Hoffnungen der Teilnehmer auf ein Zunehmen der Phänomene besorgt dazu geäußert hatte. Er befürchtete, dass zusätzliche Tischmanipulationen zu schnell und zu heftig sein würden und verlangte deshalb von Mark und Terry, mit den Effekten zurückhaltend zu sein, bis er ihnen Bescheid gab.
Sie waren seinen Anweisungen gefolgt. In den nächsten sechs Sitzungen wurde das Klopfen allmählich ganz normal. Der Tisch bewegte sich nur dann, wenn Tuckman und seine Assistenten ihn dementsprechend manipulierten.
Einen Monat nach Celias erstem Klopfen begann der Tisch jedoch selbstständig zu handeln. Er machte zum Beispiel einen derartig wilden Satz, dass einige der Séance-Teilnehmer von ihren Stühlen fielen. Der Sprung war mehrere Zentimeter höher, als das durch die magnetischen Impulse möglich gewesen wäre. Auf den Infrarot-Aufzeichnungen war eine deutliche Lücke zwischen Tisch und Boden zu erkennen.
Weder Mark noch Terry waren dafür verantwortlich. Nach diesem Zwischenfall hatte die Gruppe begonnen, nicht mehr um den Tisch zu sitzen, sondern zu stehen. Je mehr Aufzeichnungen ich mir ansah, desto leichter fiel es mir, Namen und Akten den richtigen Gesichtern zuzuordnen. Immer wieder machte ich mir Notizen, um nicht zu vergessen, in welcher Beziehung die einzelnen Teilnehmer zueinander standen.
Die Phänomene wurden mit der Zeit ausgeprägter, und die Gruppe begann, den Tisch als Celias Hauptmanifestation zu betrachten. Celia entwickelte durch die Klopfgeräusche und Tischbewegungen eine ziemlich eindeutig auszumachende Persönlichkeit. Sie mochte zum Beispiel Swing und brachte den Tisch manchmal dazu, auf eine ungeschickte, tölpelhafte Weise durch den Raum zu tanzen. Er hob drei Beine und drehte sich auf dem vierten oder sprang mit allen vier Beinen gleichzeitig in die Luft.
Es gelang ihr auch, die bunten Lämpchen im Takt zur Musik aufflackern zu lassen, wenn sie dazu gerade in der richtigen Laune war. Celia liebte Kino und war ein großer Fan von Tyrone Power. Allerdings mochte sie auch neuere Filme. Der junge weiße Mann – er hieß Ian und saß immer neben der asiatischen Frau Ana – schlug Celia vor, sich doch einfach einmal in ein Kino zu schmuggeln. Schließlich bräuchte sie ja keine Eintrittskarte. Alle lachten. Celia ließ einige Sekunden lang die Tischplatte wackeln, was die Gruppe als ihr Gelächter interpretierte.
Wenn die Teilnehmer glaubten, eine Geste einmal richtig gedeutet zu haben, hielten sie entschlossen daran fest und ließen sich nicht mehr davon abbringen.
Celias Vorlieben für bestimmte Filme oder Musik änderten sich je nachdem, welche Gruppenmitglieder anwesend waren. Sie hatte außerdem die Tendenz, zu versuchen, den Frauen ihre Taschen oder ihren Schmuck wegzuschnappen. Mehrmals verfing sich Anas Haar in ihren baumelnden Ohrringen und musste von Ian wieder befreit werden.
Besonders interessant war eine Sitzung, zu der Ken, der junge Inder, ein Portrait mitbrachte, das er von Celia auf seinem Computer angefertigt hatte. Es ähnelte dem Bild der Frau, das ich im Séance-Zimmer gesehen hatte, außer dass ihre Haare dunkler waren und das Portrait den ganzen Oberkörper zeigte. Sie trug ein aufreizendes schwarzes Kleid. Der Tisch war in dieser Sitzung vor lauter aufgeregten Klopfgeräuschen kaum zur Ruhe gekommen und hatte sich unruhig auf dem Teppich hin und her bewegt.
Irgendwann zog Ken ein Blatt Papier aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Dieser wurde augenblicklich still und regungslos. Er schien sich auf einmal ganz schwer zu machen, als ob ihn die Magnete herunterziehen würden, auch wenn die Infrarotmessung nichts dergleichen anzeigte.
Ken fiel das nicht weiter auf. Er sah die einzelnen Mitglieder der Gruppe an und richtete dann den Blick auf das Blatt Papier. »Was hältst du davon? Gefällt es dir, Celia?«, fragte er.
Nichts geschah.
»Es gefällt dir nicht.«
Der Tisch ließ zwei laute Schläge erklingen, die weder von Mark noch von Terry stammten.
Ken runzelte die Stirn und knabberte an seiner Unterlippe. Er sah etwas beunruhigt aus. »Es gefällt dir also wirklich nicht?«
Zwei weitere laute Klopfgeräusche ertönten.
»Okay, ich verstehe. Und was gefällt dir nicht daran? Die Haare?«
Die Mitglieder der Gruppe begannen nun allesamt Fragen über Celias Aussehen zu stellen, während Ken versuchte, mit einigen Buntstiften das Bild so lange zu verändern, bis der Geist zufrieden war. Die antwortenden Klopfgeräusche kamen stets ohne Zögern.
Obwohl die Gruppe sich nicht sicher war, wie Celia aussah, so schien Celia es hingegen sehr genau zu wissen. Die Haare waren ihr zu dunkel, das Kleid zu sexy, und sie war auch nicht mit den üppigen Kurven einverstanden, die Ken ihr verpasst hatte. Die waren ihr zu übertrieben.
Am Ende der Sitzung zeigten sich alle überzeugt, dass Celia wirklich existierte. Die Leute verließen das Zimmer beschwingter als sonst, aber auch nachdenklicher.
Als Ken in der kommenden Woche mit einem neuen Portrait ankam, sprang und hüpfte der Tisch begeistert auf und ab. Der Künstler war zufrieden, ja erleichtert, als er diese Antwort erhielt. Von diesem Zeitpunkt an wurde der Tisch immer aktiver und schien sich besonders auf Ken zu konzentrieren. Manchmal jagte er ihn wie ein freundlicher Hund durch das Zimmer, wobei klar war, dass die Kontrollfunktionen der Kabine solche Bewegungen nicht hervorrufen konnten.
Ken schien die ganze Angelegenheit auch etwas ernster zu nehmen als zuvor. Immer wieder sah man ihn mit konzentriertem Blick und nachdenklich auf seiner Unterlippe kauend am Tisch sitzen.
Tuckman versuchte Ken zu isolieren, um herauszufinden, ob er vielleicht für die veränderten Phänomene verantwortlich war. Der Tisch gab zwar auch dann Zeichen von sich, wenn Ken einmal nicht anwesend war, aber er wirkte wesentlich zurückhaltender. Wenn die Gruppe aus weniger als vier Mitgliedern bestand, meldete sich Celia überhaupt nicht. Dann war weder ein Klopfen noch ein Flackern der Lichter zu sehen, wobei es anscheinend ganz egal war, welche Gruppenmitglieder anwesend waren und welche nicht.
Professor Tuckman probierte alle möglichen Kombinationen aus. Einmal mussten sogar Terry und Denise, die Institutssekretärin, anwesend sein. Doch ganz gleich, welche Leute präsent waren – der Tisch blieb regungslos und die Lichter erloschen, solange sich weniger als vier Menschen im Raum aufhielten. Erst wenn es mehr wurden, konnte man wieder darauf zählen, dass sich der Geist in unterschiedlicher Heftigkeit meldete.
Die Stärke der Erscheinungen schien nicht davon abzuhängen, wie viele Teilnehmer genau im Raum waren – solange es sich um mehr als vier handelte. Das Einzige, was auffiel, war die Tatsache, dass sich der Tisch verstärkt auf Ken konzentrierte und zwar eine ganze Weile lang. Terry und Denise hingegen ignorierte er zum Beispiel völlig.
Nachdem ich mir mehrere Stunden lang die DVDs angesehen und noch immer nicht alle durch hatte, konnte ich mich nicht mehr länger konzentrieren. Es war sowieso schon spät. Ich gab auf und fuhr nach Hause.
Auf der Fahrt nach West Seattle dachte ich über das Projekt nach. Ich konnte gut verstehen, warum Tuckman die ungewöhnlich starken psychokinetischen Reaktionen, die von der Gruppe ausgingen, beunruhigend fand. Es war ziemlich schwer zu verdauen, wenn man sich überlegte, dass es eines ziemlich willensstarken menschlichen Geistes bedurfte, um überhaupt einen Gegenstand zu bewegen – von einem zwanzig Kilo schweren Tisch einmal ganz abgesehen. Quinton hatte mir bewiesen, dass die elektronische Ausrüstung in den Räumen nicht die Stärke besaß, das Möbelstück derart heftig in Bewegung zu bringen, wie ich das miterlebt hatte. Wenn mir nicht jemand anders zeigte, wie man so etwas mechanisch schaffte, musste ich annehmen, dass der Tisch sich von selbst bewegte – oder zumindest durch die mentalen Kräfte der Gruppe dazu gebracht wurde.
Außerdem beschäftigte mich die Tatsache, dass die Energieleitung, die ich im Grau entdeckt hatte, offensichtlich nicht Teil des normalen Netzwerks war, sondern sich aus eigener Kraft dorthin begeben zu haben schien. Normalerweise verliefen Verbindungen dieser Größenordnung unten am Boden. Ich verstand nicht, warum es in diesem Fall nicht so war. Warum schwebte dieser Ball unter dem Tisch? Möglicherweise verschaffte die Netzwerkverbindung den Phänomenen ja auch zusätzliche Energie, sodass sie heftiger werden konnten.
Falls es der Gruppe gelungen war, die Netzleitung zu bewegen, war das bereits für sich genommen eine unvorstellbare Leistung, auch wenn ich bezweifelte, dass Tuckman überhaupt begreifen würde, wovon ich sprach.
Keine dieser Überlegungen brachte mich jedoch im Fall von Mark Lupoldi weiter. Sein Tod war sowieso nicht meine Angelegenheit, und ich war mir sicher, dass Solis es nicht schätzen würde, wenn ich mich da einmischte. Trotzdem musste ich immer wieder daran denken. Mark war tief in Tuckmans Projekt verstrickt gewesen. Und wenn ich daran dachte, was Phoebe mir erzählt hatte, war dieses Projekt zudem so wichtig geworden, dass es auch sein Leben außerhalb des Instituts zu beeinflussen begonnen hatte. Vor seinem Tod hatte er offenbar übernatürliche Erscheinungen – Duppys oder Poltergeister oder was auch immer – verstärkt angezogen. Die Art, wie er ums Leben gekommen war, war zudem wirklich eigentümlich und hatte selbst Solis, der schon viel Schreckliches gesehen haben musste, beinahe sprachlos gemacht.
Ich lief die Treppe zu meinem Appartement hoch. Noch immer in Gedanken versunken, öffnete ich die Wohnungstür und sah mich einem unvorstellbaren Chaos gegenüber. Alle Bücher waren aus den Regalen gerissen, und ein Daunenkissen lag aufgeschlitzt auf dem Boden. Die Federn hatten sich im ganzen Raum verteilt. Meine Schuhe hatte man aus dem Schlafzimmer geholt und wild durch die Gegend geworfen. Ein blauer Turnschuh – am gepolsterten Knöchelteil bereits stark angeknabbert – hatte sich der Täter zu einem gemütlichen Bett auserkoren. Dort schlief er, und man konnte sein Frettchen-Schnarchen deutlich hören.
Fassungslos sah ich mich um. Immer wieder war ich zutiefst verblüfft, wie ein frustrierter Nager, der kaum ein Kilo wog, es schaffte, ein solches Durcheinander anzurichten!
Ich hatte nicht einmal mehr genug Kraft, um laut zu fluchen. Stattdessen holte ich Chaos einfach aus dem Schuh und trug ihn zu seinem Käfig. Entweder hatte ich diesen nicht richtig verriegelt, oder er hatte sich in meiner Abwesenheit Daumen zugelegt. Für einen Moment schnarchte er lauter, wachte aber nicht auf. Mir blieb nichts anderes übrig, als aufzuräumen.
Natürlich war es meine eigene Schuld, so nachlässig gewesen zu sein, aber ich ärgerte mich trotzdem geschlagene zwei Stunden lang, während ich wieder Ordnung schaffte. Für den Berg Wäsche, der sich während der Woche angesammelt hatte, war ich danach zu müde. Ich kroch erschöpft ins Bett. Die Wäsche konnte bis zum nächsten Morgen warten, der sowieso nur noch wenige Stunden entfernt war.
Poltergeist
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