DREI
Am Mittwoch nieselte es. Der Himmel zeigte
die Art von grauer Färbung, wie sie für Seattle von Mitte Oktober
bis Anfang Mai typisch ist. Es herrschte jenes Wetter, von dem
behauptet wurde, dass es die Selbstmordrate drastisch nach oben
schnellen ließ. Mir fiel es allerdings schwer, das zu glauben, wenn
man bedachte, dass in Seattle weniger Menschen sterben als in den
meisten anderen amerikanischen Großstädten. Vermutlich hatte es
eher etwas mit den vielen Bars und Kneipen zu tun, die es bei uns
gab.
Ich hatte mich entschlossen, das Frettchen zur
erneuten Besichtigung des Séance-Raums mitzunehmen. Chaos zeichnete
sich vor allem durch Neugier aus, und so hoffte ich, dass er
vielleicht irgendetwas finden würde, was mir bisher noch nicht
aufgefallen war. Oft ging mir seine Neugier ziemlich auf die
Nerven, doch in solchen Fällen konnte sie ausgesprochen nützlich
sein.
Quinton wartete vor dem Universitätsgebäude auf
mich. Er stand unter einem Baum in der Nähe des Eingangs und trug
einen langen gewachsten Regenmantel und einen dazu passenden Hut,
um sich gegen den Nieselregen zu schützen, dem es trotzdem gelungen
war, seinen getrimmten Bart zu durchnässen. Quintons lange braune
Haare waren zurückgekämmt und in den Kragen gesteckt. Er behielt
den Hut
auf, als wir hineingingen, an der Rezeption die Schlüssel holten
und uns auf den Weg nach oben machten.
»Also – worum geht es?«, fragte er.
»Eine Séancegruppe versucht eine psychokinetische
Erscheinung hervorzurufen – und zwar mit einem fingierten Geist.
Die meisten Phänomene, die dabei entstehen, stammen von der Gruppe
selbst. Aber einige werden auch von Technikern in einer
Beobachtungskabine und einem Mann, der mit am Tisch sitzt,
produziert. Ich möchte herausfinden, welche Ausrüstung sie
benutzen, wozu sie in der Lage sind und ob irgendwelche Apparate
manipuliert oder erweitert wurden.«
»Okay«, erwiderte Quinton und öffnete die Tür zu
Raum zwölf.
Er sah sich neugierig um. »Sieht das hier immer so
aus?«, wollte er wissen, als er das kleine vollgestopfte Zimmer
betrachtete.
»Nehme ich an. Gestern jedenfalls sah es genauso
aus«, antwortete ich.
Quinton hängte Mantel und Hut an einen Haken neben
der Tür, während ich das Frettchen an die Leine nahm. Sobald sich
Chaos in seinem Geschirr befand, hüpfte er neugierig im Zimmer
herum und suchte nach Löchern im Boden. Ich sah mich ebenfalls um
und bemerkte, dass der Ball aus Energiefäden noch immer hell
leuchtend und heiß unter dem Tisch schwebte. Er wirkte kraftvoller
als am Tag zuvor und war inzwischen zur Größe eines aufblasbaren
Strandballs angewachsen. Außerdem roch er unangenehm und wies rote
Fasern auf. Und er gab nun ein Heulen von sich.
Ich schob das Grau beiseite und wandte einen Trick
an, den mir Mara beigebracht hatte. Indem ich das Grau um
mich und Chaos wickelte, ließ ich einen Schild zwischen uns und
dem pulsierenden Ding unter dem Tisch entstehen.
Quinton schaute sich eine Weile im Zimmer um.
»Ich gehe kurz in die Beobachtungskammer. Bin
gleich zurück«, sagte er schließlich.
Außer dem Knarzen des Dielenbodens war nichts zu
hören, als er den Raum verlassen und die Tür hinter sich
geschlossen hatte. Offenbar war das Zimmer ziemlich gut isoliert.
Eigentlich hätte mich das nicht überraschen dürfen. Aber es
verblüffte mich doch, wie viel Aufwand Tuckman mit diesem
Experiment betrieb.
Nach einigen Minuten kehrte Quinton zurück und
strich mit einem Sensorgerät über eine der Wände. »Dachte ich es
mir doch! Der Hauptschalter für das Ganze befindet sich in der
Kabine. Ich habe ihn angeschaltet und sollte jetzt eigentlich die
versteckten Spielsachen finden.«
Er legte sich auf den Rücken unter den Tisch und
suchte mit seinem Sensor das Möbelstück und den Teppich ab. Dann
begann er langsam über den Teppich zu kriechen. Ich hatte den
Eindruck, dass er irgendeiner unsichtbaren elektrischen Spur
folgte.
Ein kurzer Blick in das Grau zeigte mir, dass sich
der Energieball vor Quinton in Acht zu nehmen schien. Er selbst
nahm natürlich nichts davon wahr.
In diesem Moment entdeckte Chaos eine kleine
Einbuchtung in der Wand, die hinter einer dunklen Fußleiste
verborgen lag. Er fuhr mit einer seiner Klauen hinein, wühlte wie
wild darin herum und versuchte das Loch groß genug zu machen, um
hineinklettern zu können. Ich trat neugierig zu ihm.
Wenn man genau hinsah, konnte man unten an der Wand
eine ganze Reihe von Löchern erkennen. Sie wurden durch ein feines
Drahtgeflecht verdeckt, das die gleiche Farbe hatte wie die dunkle
Fußleiste. Chaos war es aber mittlerweile gelungen, ein Loch in dem
Gitter zu entdecken, das er weiter aufriss. Dahinter befand sich
ein winziger Lautsprecher. Ich kroch neben meinem Frettchen die
Fußleiste entlang und entdeckte so insgesamt acht Lautsprecher in
verschiedenen Größen.
Dabei stieß ich auch gegen Quinton, der wieder
angefangen hatte, die Wände mit seinem Sensor abzusuchen.
»Was gefunden?«, fragte er.
»Ja – Lautsprecher. Und zwar eine ganze Reihe, die
da versteckt sind.«
Ich zeigte sie ihm. Chaos hatte inzwischen das
Interesse verloren und stürzte sich auf den Teppich. Er griff den
Rand des Grau an wie ein Hund, der am Strand immer wieder auf die
Wellen zu läuft und sie mit Gebell attackiert.
»Pass auf, dass er den Teppich nicht zu sehr
zerbeißt«, warnte mich Quinton. »Da sind viele offene Leitungen, er
könnte einen Stromschlag abkriegen.«
Nicht nur das. Chaos war schon mehrmals mit dem
Grau in Kontakt gekommen und wusste besser als ich, wann es
schlauer war, sich in Sicherheit zu bringen.
»Da sind übrigens auch Buchsen und andere Dinge an
der Unterseite und auf dem Boden unter dem Teppich befestigt. Hast
du die schon gesehen?«, fragte ich und brachte mein Haustier in
sichere Entfernung.
»Nein, gesehen noch nicht. So was hatte ich aber
schon vermutet. Werde mich gleich darum kümmern.«
Zuerst sahen wir uns jedoch die Lautsprecher an.
Dann führte Quinton noch einige Tests an den Wänden durch, ehe er
mich bat, mit ihm gemeinsam den Tisch und den
Teppich beiseitezuräumen. Der Energieball rollte bedrohlich hin
und her, als wir den Tisch in eine Ecke trugen.
Danach folgte ich wieder Chaos, auch wenn ich den
Eindruck gewann, dass er sich nur noch oberflächlich umsehen
wollte. Quinton blieb vor dem großen Spiegel stehen und rief mich
zu sich.
»Gib mal irgendwelche Geräusche von dir und laufe
im Zimmer hin und her. Bin gleich zurück.«
Ich nahm Chaos auf den Arm und versuchte ein paar
Tanzschritte, während ich den alten Song »You are my lucky star«
vor mich hin summte.
Kurz darauf kehrte Quinton zu uns zurück. Er sah
mich belustigt an. »Mach noch eine Weile weiter«, bat er mich und
begann wieder auf dem Boden herumzukriechen und mit seinem Sensor
die Gegend abzusuchen. Zwischendurch hielt er inne, um diesen oder
jenen Punkt genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich bemühte mich
gerade, die ersten beiden Lieder des Musicals 42nd Street zu singen, als mich Quinton erneut
unterbrach.
»Okay, du kannst jetzt aufhören.« Er grinste. Ich
wusste, dass ich gesanglich nicht in Form war – ich war noch nie
besonders musikalisch gewesen -, aber wenn man mich bat,
irgendwelche Geräusche von mir zu geben, fielen mir immer zuerst
Busby Berkeleys Tanznummern ein. Ich hatte im Alter von acht Jahren
angefangen zu tanzen, um den Ehrgeiz meiner Mutter zu befriedigen.
Die schwerelos anmutenden Tanzschritte waren für mich fast so
selbstverständlich geworden wie meine Muttersprache.
Wir setzten uns an den Tisch. Chaos rannte auf der
Tischplatte hin und her, schnüffelte an allem und kicherte
zufrieden vor sich hin. Ich gab ihm ein paar Leckerli, um ihn zu
beschäftigen.
»Also – was hast du gefunden?«, wollte ich
wissen.
»Das Zimmer ist voll verkabelt, und alle Kabel
führen in die Beobachtungskabine. Es gibt nichts, was von woanders
gesteuert werden könnte, und auch keine Möglichkeit, Informationen
nach draußen zu schicken. Ich habe viele passive Sensoren gefunden,
die man allerdings erst entdeckt, wenn etwas aufgenommen wird.
Deshalb habe ich dich gebeten, hier herumzuturnen und Geräusche von
dir zu geben. Etwa die Hälfte der Aufnahmegeräte hat passive
Sensoren, was bedeutet, dass sie nicht stören und selbst auch kaum
gestört werden können. Die meisten sitzen in den Wänden und Möbeln,
damit man sie nicht aus Versehen zertritt. Es ist eine sehr
ausgeklügelte Anlage und muss ziemlich teuer gewesen sein. Die
Antenne und die Stromanlage für diese winzigen Einheiten gehören
zum Neuesten, was man bekommen kann – und auch das nicht überall.
Unter dem Tisch sind ebenfalls passive Sensoren, aber auch
ferngesteuerte, die etwas größere Antennen haben.
Gleichzeitig gibt es auch noch ein aktives System.
Und da wird es interessant. Ähnliche Lautsprecher, wie du sie
gefunden hast, sitzen auch in der Stuckrosette über der Lampe.
Alles, was ich jetzt sage, ist nur geraten, weil Audio eigentlich
nicht so mein Ding ist. Außerdem konnte ich das alles nicht richtig
testen, aber die Platzierung und die Lautsprechertypen lassen
darauf schließen, dass es sich bei diesem Zimmer um einen riesigen
Klangkörper handelt. Die Lautsprecher am Boden sind einzeln nicht
sehr stark. Aber gemeinsam könnten sie den Holzboden in einen
gigantischen Subwoofer verwandeln. Der wäre dann zwar nicht fein
getunt, aber ausreichend, um Schwingungen zu erzeugen, die für uns
nicht hörbar sind. Wenn man das richtig macht, kann eine Wirkung
erzeugt werden, die sehr verstörend
ist, denn man würde es nicht als Geräusch wahrnehmen. Die Leute
hier im Zimmer hielten es wahrscheinlich für ein schwaches Beben
oder eine unerklärliche Unruhe, die sich plötzlich
ausbreitet.«
»Und das wird vermutlich von dieser Konsole
gesteuert, auf der ›Ambient Sound‹ steht – oder?«, hakte ich
nach.
»Ganz genau, Sherlock. Die Lautsprecher mit den
höheren Frequenzen befinden sich in der Stuckrosette, sodass man
die Soundeffekte ausgezeichnet aufeinander abstimmen kann. Mit
einer solchen Anlage ist es sogar möglich, Vibrationen und
Klopfgeräusche im Boden und in den Wänden zu erzeugen. Man kann
also gespenstische Laute simulieren. Selbst wenn das sehr leise
geschieht, würden das die meisten Leute auf eine unerklärliche
Erscheinung zurückführen. Diese Manipulation betrifft übrigens
nicht nur die Wände und den Boden. Die meisten Möbel in diesem
Zimmer sind zwar unbearbeitet, aber der Tisch hat es in
sich.«
»Das hatte ich mir schon fast gedacht.«
»Zunächst einmal ist er nicht so schwer, wie er
scheint. Er ist nur so schwer, dass es für eine Einzelperson
schwierig ist, ihn beiseitezurücken. Eine der großen schwarzen
Platten im Boden unter dem Teppich speist elektronische Signale
über elektromagnetische Induktion direkt in die Kabine – und zwar
durch ein Kabel, das unter den Dielen entlangläuft. Wenn man genau
hinsieht, kann man eine kleine Holzleiste erkennen, die den Kanal
ins andere Zimmer verdecken soll.
Die anderen Platten werden entweder auch durch
Induktion oder durch Magnetismus gesteuert. Es ist wirklich gut
gemacht. Die Tischbeine sind aus Metall, und der Teppich hat
genügend elektrische Drähte, dass ein schwaches Magnetfeld
produziert werden kann. Dadurch entsteht der Eindruck, dass der
Tisch mal schwerer und mal leichter ist. Man kann ihn also entweder
mit mehr oder mit weniger Kraftaufwand hin- und herschieben. Indem
man die Drähte im Teppich und die elektromagnetischen Platten im
Boden aktiviert, kann der Tisch wahrscheinlich zum Wackeln gebracht
werden oder zur Seite springen. Das wäre natürlich nichts
Dramatisches, aber jemand, der bereits gewillt ist, an einen
Poltergeist zu glauben, wäre vermutlich tief beeindruckt.
Wahrscheinlich bleibt der Tisch meist in seinem
schweren Zustand, sodass es noch dramatischer wirkt, wenn er sich
tatsächlich einmal bewegt. Außerdem führen durch die Tischbeine
weitere Kabel, die den Strom durch die Induktionsplatten aufnehmen
und ihn in ein winziges elektromagnetisches Netzwerk speisen, das
unter der Tischplatte angebracht ist. All das wird von einem
Holzfurnier verdeckt, das dünn genug ist, um problemlos mit Hilfe
einer Fernbedienung einen Metallgegenstand auf der Tischplatte hin
und her zu bewegen – und zwar ohne den Tisch oder den Gegenstand zu
berühren. Es würde zwar irgendwelchen Armbanduhren mit Batterie
schaden, aber groß auffallen wird das niemandem. Während man einen
Gegenstand hin und her bewegt, kann man den Tisch zwar nicht
wackeln lassen oder ihn leichter beziehungsweise schwerer machen,
aber es ist trotzdem ein cooler Effekt. Die Leute wären davon so
abgelenkt, dass wahrscheinlich keinem auffällt, um wie viel
leichter der Tisch dabei ist.
Alles in allem also eine hübsche Ansammlung
elektronischer Spielereien, um einen Geist zu erschaffen. Die
meisten könnten sich so etwas nicht leisten, und für viele
Berufszauberer würde es sich auch nicht lohnen, weil man den
ganzen Raum kontrollieren muss. Aber in einem Umfeld wie diesem
hier funktioniert das perfekt.«
Ich nahm das Frettchen vom Tisch, als es versuchte,
hinunterzuspringen, und setzte es in meine Tasche. Sogleich begann
es wild darin zu wühlen. »Und wie stark sind die Geräusche oder die
Bewegung, die man hier erzeugen kann?«, fragte ich.
»Nicht sehr stark. Das ist ein fein austarierter
Aufbau, der nur eine schwache Wirkung zeigen soll. Es basiert alles
auf der Fantasie der Leute in diesem Zimmer«, entgegnete Quinton.
»Mit einer mechanischen Vorrichtung könnte man natürlich wesentlich
dramatischere Effekte erzielen. Nehme ich jedenfalls an, auch wenn
das nicht mein Fachgebiet ist. Darüber müsstest du mit einem Magier
oder einem Bühnenarbeiter sprechen. Ich glaube allerdings nicht,
dass man die Mechanik dahinter so gut verstecken könnte. Sollen wir
kurz einen Blick in den anderen Raum werfen?«
»Klar.« Ich stand auf und folgte ihm in die
Beobachtungskabine.
Quinton hatte herausgefunden, welcher Monitor was
aufzeichnete und wo sich die aufzeichnenden Kameras und Mikrofone
befanden. Nachdem er mir alles erklärt hatte, setzte er sich an das
Mischpult und ließ den Kronleuchter und die Wandlampen im
Séance-Zimmer flackern. Dann begann der Tisch zu wackeln und sich
langsam zu drehen. Er bewegte sich nur wenig, auch wenn man es
deutlich wahrnehmen konnte und eine Messung auf dem Gerät
verzeichnet wurde.
Danach spielte mir Quinton einige
Geräuschkombinationen vor, die mir einen kalten Schauer über den
Rücken jagten, obwohl ich sie nur in der Kabine hörte. Wenn ich
nicht
gewusst hätte, woher sie kamen, wäre ich wahrscheinlich höchst
beunruhigt gewesen. Hier und da konnte ich sehen, wie im anderen
Zimmer etwas rot oder gelb aufflammte, was jedoch nichts mit den
Geräuschen, die Quinton machte, zu tun zu haben schien. Auch das
Frettchen war nervös geworden und kletterte aus meiner Tasche, um
sich in Quintons Jacke zu verstecken.
Er schaltete die Geräuschkulisse aus und
streichelte Chaos über das Fell. »Hallo, Stinker.« Dann nickte er
in Richtung Séance-Raum. »Ganz schön ausgeklügelt, was?«
»Kann man wohl sagen«, erwiderte ich. »Sehr
ausgeklügelt sogar. Und was hat es mit dieser weißen Platte und den
bunten Lichtern auf sich?«
»Das ist sozusagen nur Weihnachtsdeko. Die Lichter
sind zwar eingesteckt, aber die Platte kann man von hier aus nicht
kontrollieren. Auch an ihr selbst konnte ich keinen Schalter oder
so etwas finden. Soweit ich das sagen kann, hat sie keine besondere
Funktion. Vielleicht ist sie ja auch irgendein Teil des
Steuerungssystems. Ich habe keine Ahnung.«
»Dann gibt es also einige Dinge, die den Eindruck
erwecken sollen, dass alles mit rechten Dingen zugeht – oder
nicht?«
»Ja, genau das glaube ich. Einige von diesen
Geräten kann man zwar trotzdem noch unbemerkt manipulieren, aber
die Aufnahmeanlagen funktionieren genauso, wie sie das sollen. Es
gibt außerdem gute offizielle Gründe, die Geräusche und die Lichter
zu kontrollieren. Für die Apparate am Tisch gilt das nicht. Die
sollen meiner Meinung nach dazu dienen, Bewegungen zu erzeugen, die
auf den Poltergeist zurückgeführt werden könnten. Für sonst
nichts.«
»Außer dem Tisch ist also die Einrichtung nur dazu
da,
die richtige Atmosphäre zu schaffen und nicht, um Erscheinungen
vorzutäuschen?«
»Genau. Und um die Phänomene und alles andere
aufzuzeichnen. Die Messgeräte scheinen mir sehr genau und
zuverlässig zu sein. Es ist ein gutes Setup. Die Entfernungen
zwischen den einzelnen Instrumenten und den Sprechern sind so
gering, dass bestimmt kein Signal verloren geht oder es zu
irgendwelchen Zwischenfällen mit den Antennen außerhalb des Raums
kommen kann. Es ist ein altes Ziegelgebäude, in dem es noch nicht
sehr viele Eisenstangen gibt, die elektrische Störfaktoren bilden.
Aber es ist solide genug, um viele der Geräusche und Schwingungen
von draußen gar nicht erst eindringen zu lassen.«
Ich setzte mich für einen Moment und dachte nach.
Plötzlich klopfte es an der Tür.
Wir sahen einander überrascht an. Ich stand auf und
öffnete sie. Draußen stand ein junger Schwarzer, der einen großen
braunen Umschlag in der Hand hielt.
Fragend blickte ich ihn an. »Hi. Kann ich Ihnen
helfen? Dr. Tuckman meinte, dass wir uns hier ungestört aufhalten
könnten.«
Sein Gesicht war so regungslos wie eine Maske aus
Ebenholz, und sein Tonfall klang herablassend. »Ich habe auch nicht
vor, Sie lange zu stören. Tuck bat mich, Ihnen das hier zu bringen
– vorausgesetzt, Sie sind Harper Blaine. Da er wusste, dass Sie
heute hier sein würden, hielt er es für das Beste, Ihnen das gleich
zu geben.«
Seine hochmütige Art gefiel mir ganz und gar nicht.
»Ich bin Harper. Arbeiten Sie für Professor Tuckman?«,
wollte ich wissen.
Er rollte mit den Augen. »Ja, tue ich. Ich bin sein
wissenschaftlicher Mitarbeiter bei diesem Poltergeist-Projekt.
Mein Name ist Terril Dornier. Oder einfach Terry.« Er streckte mir
keine Hand entgegen und lächelte auch nicht, sondern hielt mir
einfach nur auffordernd den Umschlag hin.
Falls ich mich an sein Dossier richtig erinnerte,
hatte Terry Dornier einen Abschluss in Psychologie und fuhr nun mit
seinen Studien in diesem Fach fort, wobei er sich auf abnormales
Verhalten spezialisierte. Seine kalte, reservierte Art grenzte an
Verachtung. Ich fragte mich, ob er immer so war oder ob er mich aus
irgendeinem Grund nicht mochte.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Terry. Was haben
Sie mir denn Schönes gebracht?«
»Die Aufzeichnungen der Séancen und die jüngsten
Überwachungsbänder samt Notizen.«
Quinton trat an die Tür. »Welchen Code haben Sie
eigentlich benutzt, um die Aufzeichnungen zu chiffrieren?«
Terry Dornier schaute ihn verblüfft an. »Nichts
Besonderes. Das Institut kann es sich nicht leisten, Lizenzgebühren
für proprietäre Software zu zahlen. Es ist alles Open Source, auf
Unix und Linux basierend.«
Quinton grinste. »Super.«
»Terry – noch eine Frage«, unterbrach ich ihre
Unterhaltung. »Hat sich seit der letzten Sitzung eigentlich
irgendjemand in diesen Räumen aufgehalten?«
Der junge Mann sah mich aus leeren Augen an. »Nein.
Frankie wollte heute nachsehen, ob alles in Ordnung ist, aber Tuck
hat uns gebeten, solange zu warten, bis Sie wieder weg sind. Er hat
allen gesagt, dass sie heute erst um drei hier sein sollen.«
Es fiel mir schwer, meinen Unmut darüber
zurückzuhalten, wie gedankenlos Tuckman mit den
Sicherheitsvorkehrungen in diesen Räumen umzugehen schien. Es war
nicht
klar auszumachen, ob jemand hier heimlich hineingeschlichen war,
um etwas zu ändern, ehe Quinton und ich eintrafen. Jeder konnte
ungesehen dieses Gebäude betreten. Tuckman machte mir die
Nachforschungen wirklich doppelt schwer.
»Und wer ist Frankie?«, fragte ich.
»Denise Francisco«, erwiderte Terry. »Die
Institutssekretärin. Sie hat zuerst auch an dem Projekt
mitgearbeitet, wollte dann aber nicht weitermachen. Zumindest hilft
sie uns noch, den Raum nach den Sitzungen aufzuräumen. Sie hat ihn
übrigens auch mit eingerichtet.«
»Und warum tut sie sich diese Extra-Arbeit an?«,
fragte ich.
Terry warf mir einen misstrauischen Blick zu und
runzelte irritiert die Stirn. »Welche Extra-Arbeit? So was macht
sie die ganze Zeit. Ich glaube, in diesem Fall will sie einfach
ihre Finger mit im Spiel haben, um zu glauben, sie hätte mit dem
Ganzen noch etwas zu tun.« Plötzlich wurde er wieder so
verschlossen wie eine Anemone, nachdem sie etwas erbeutet hat. »Am
besten fragen Sie das Frankie selbst.«
Ich streckte die Hand aus, um ihm den Umschlag
abzunehmen. »Danke, Terry. Das werde ich.«
Lustlos reichte er mir den Umschlag und starrte
mich dann einen Moment lang finster an, ehe er sich umdrehte und
den Gang zur Treppe hinunterging. Ich blieb unter der Tür stehen
und sah ihm nach, bis er verschwunden war.
Quinton blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen
an. Ich zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, was das sollte«, sagte
ich.
»Sind wir dann hier fertig? Ich befürchte, viel
mehr kann ich nämlich nicht mehr erklären.«
»Ich wünschte, ich wüsste, wie lange dieser
Dornier-Typ da draußen vor der Tür war und ob er was gehört oder
gesehen hat.«
»Es ist im Grunde egal, wie lange er da draußen
herumhing. Uns konnte er jedenfalls weder sehen noch hören. Au
ßerdem …« Er zeigte auf ein rotes Licht, das auf der Konsole
blinkte. »… gibt es Alarmlämpchen für die Tür und die beiden
Fenster, die anzeigen, ob sie offen oder geschlossen sind.«
»Und warum will man so etwas überhaupt wissen?«,
fragte ich.
»Um alles genau zu kontrollieren. Auf diese Weise
hat man den Raum und sein Umfeld ständig im Visier. Man weiß zum
Beispiel, ob sich jemand hinausschleicht oder vielleicht auch etwas
aus dem Fenster wirft. Neben dem Spiegel gibt es einen kleinen
blinden Punkt und ebenso in der Ecke neben der Tür. Aber sonst kann
alles, was sich dort drin abspielt, konstant beobachtet
werden.«
Ich nickte und betrachtete den Umschlag, in dem
sich mehrere CDs befanden. »Und worum ging es bei diesem Code und
Unix?«
Quinton lachte. »Das war nur Geek-Gerede. Es läuft
darauf hinaus, dass die PNU zu billig ist oder zu wenig Geld hat,
um sich Microsoft oder Apple oder ein anderes lizenziertes System
zu leisten. Die CDs und DVDs wurden also mit einer freien Software
codiert. Ehrlich gesagt, überrascht es mich, dass man so viel Geld
in diesen Raum steckt, wenn man woanders sparen muss, auch wenn mit
dem System, das sie benutzen, alles in Ordnung ist. Das ist völlig
professionell, obwohl es umsonst oder sehr billig erworben werden
kann.«
»Muss ich denn einen speziellen Computer benutzen,
um
mir den Rest dieser Aufzeichnungen anzusehen? Oder was willst du
damit sagen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das Videoformat ist
sehr einfach. Du brauchst nur einen Computer mit einem DVD-Laufwerk
oder einen guten DVD-Player. Die Daten sind nicht extra-codiert, da
man wohl möchte, dass man sie von so vielen verschiedenen Systemen
und Laufwerken wie möglich abspielen kann. Ich nehme an, die Uni
benutzt das System, das sie gerade bekommen kann. Es ist zwar nicht
der letzte Schrei, aber zuverlässig.«
»Verstehe … Hast du eigentlich später Zeit, um dir
noch einige dieser DVDs mit mir anzusehen? Ich will nämlich
sichergehen, dass ich auch kapiere, was ich sehe.«
Quinton grinste mich fröhlich an. »Ich habe so viel
Zeit, dass es schon gar nicht mehr wahr ist.«
Ich lachte und warf einen Blick auf meine
Armbanduhr. »Verdammt. Es ist schon viel später, als ich dachte.
Die Sitzung beginnt bereits in einer Stunde.« Chaos streckte seinen
Kopf aus Quintons Jackentasche und versuchte auf den Boden zu
springen. Ich packte ihn gerade noch rechtzeitig am Nacken, ehe es
ihm gelang zu entwischen. »Oh, nein! Kommt gar nicht in Frage,
kleiner Bandit! Für einen Ausflug haben wir jetzt keine Zeit
mehr.«
Er schlug wild um sich und glitt mir dabei aus der
Hand. Auf dem Boden führte er seinen üblichen Kriegstanz auf und
schimpfte dabei wütend vor sich hin.
Quinton hob ihn vorsichtig hoch. »Was ist mit dir,
Schlauchratte? Hast du nicht genug geschlafen?« Er stopfte das
Frettchen unter seinen Pulli. Chaos wehrte sich nur für einen
Augenblick. Dann beruhigte er sich und steckte seinen Kopf aus dem
Kragen. Er machte es sich bequem, riss das Mäulchen auf und gähnte
ausführlich.
»Toll. Jetzt muss ich ihn erst aus deinen Klamotten
bringen, nach West Seattle fahren, um ihn dort abzuliefern, und
dann sofort zurückkommen, damit ich noch vor drei hier bin«,
stöhnte ich.
»Ich kann auf ihn aufpassen.«
Ich sah ihn überrascht an. »Was?«
»Kein Problem. Ich mag Frettchen. Wenn du mir seine
Leckerlis anvertraust, kann er ruhig bei mir bleiben, bis du fertig
bist. Danach können wir uns wieder treffen, um uns die DVDs
anzusehen.«
Ich war mir nicht sicher, ob das eine so gute Idee
war. »Ich habe aber keine Ahnung, wie lange das hier dauert«, gab
ich zu bedenken.
Quinton zuckte mit den Schultern. »Er kann auch die
ganze Nacht bei mir bleiben, wenn es sein muss – und du nichts
dagegen hast. Ich weiß, was Frettchen fressen. Und wenn er zu sehr
durchdreht, kann ich ihn an die Leine nehmen. Genügend warme
Taschen habe ich auch, in denen er schlafen kann. Von mir aus kann
Chaos also ruhig bei mir bleiben.«
Ich dachte einen Moment lang nach. Ich mochte
Quinton, und ich hatte ihm bei einigen seltsamen Aufträgen bereits
mein volles Vertrauen geschenkt – einschließlich eines Jobs, der
uns beide hätte hinter Gitter bringen können. Ich vertraute ihm
also genug, um mein Leben und meine Freiheit in seine Hände zu
legen. Dann konnte ich ihm ja wohl auch mein Haustier anvertrauen.
Trotzdem war ich nervös und holte erst einmal tief Luft.
»Na ja … Also gut. Er darf aber nichts mit Zucker
essen, das wirkt nämlich wie Speed auf ihn. Und auch nichts mit
Gummi …«
Quinton grinste und klopfte mir beruhigend auf die
Schulter.
»Okay, verstanden. Also die Atkins-Frettchen-Diät: keine
Kohlenhydrate, keinen Zucker. Ehrlich – ich hatte schon öfters mit
Frettchen zu tun. Chaos wird sich bei mir wohlfühlen. Darauf kannst
du dich verlassen.«
Ich musste lachen. »Gut. Ich schicke dir eine
Nachricht, sobald ich fertig bin.«
Quinton nahm die Sachen für Chaos, steckte sie in
seinen Rucksack, und wir gingen nach unten. Ich erwischte den
pelzigen kleinen Verräter dabei, wie er genüsslich an Quintons Hals
nuckelte, als wir eine Sandwichbar aufsuchten, um uns etwas zu
essen zu holen. Eine dreiviertel Stunde später kehrte ich in den
Beobachtungsraum zurück.