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«Das darf doch nicht wahr sein!» Entnervt schmiss Steffen Brenn die Akte auf den Schreibtisch, griff nach dem Telefon und wählte die Nummer des Neuropathologischen Labors.

«Britta», rief er in den Hörer, als sich eine resolute Frau meldete. «In Ihrem Bericht fehlt die Hälfte. Ich brauche alle Informationen sofort. Die Wada will von mir noch heute ein Resultat.»

«Habe mir schon gedacht, dass Sie sich melden, Doktor Brenn», antwortete die Frau. «Wirklich ein unglaubliches Resultat, oder?»

«Nicht unglaublich, Britta, unmöglich», insistierte Brenn. «Wo sind denn die ganzen Typ-I-Fasern

«Wie gesagt: Ich habe auch gestaunt, Doktor. Aber ich versichere Ihnen bei meinen fünfunddreißig Jahren Laborerfahrung: Der Bericht ist vollständig, so wie er ist.»

«Das kann nicht sein. Irgendetwas muss da mit den Kryosektionen oder der Immunzytochemie schiefgegangen sein.

«Wie gesagt, Doktor, ich stand schon in diesem Labor, als Sie noch an der Uni studiert haben.»

«Verdammt!», rief Steffen Brenn und meinte damit nicht die Laborantin, wenngleich er von niemandem im Krankenhaus eine derart vorlaute Bemerkung akzeptiert hätte. Außer von Britta Möller. Denn erstens hatte sie recht, was Alter und Erfahrung betraf, und zweitens war noch nie ein Bericht aus ihrem Labor falsch gewesen. Diese Einsicht machte Brenn die wahre Tragweite des Befundes bewusst.

«Das will ich mit eigenen Augen sehen», sagte er. «Und wir prüfen nochmal alles durch. Trotz Ihrer fünfunddreißig Jahre im Labor.»

Er klemmte sich das schnurlose Telefon an den Gürtel und schnappte seine Krücken.

Im Labor erwartete ihn Britta Möller bereits. Die hagere Frau mit grauem Pferdeschwanz stand am Mikroskop. «Liegt alles parat», sagte sie und wies auf ein Holzgestell, auf dem eine Reihe vorbereiteter Objektträger lagen.

Mit bloßem Auge war auf den Glasplättchen gerade mal ein durchscheinender, violetter Punkt zu erkennen. Brenn legte das erste unter das Mikroskop. Er stellte scharf, schob mit den Mikrometerschrauben das Präparat hin und her – und blickte gebannt durchs Okular. Es war nicht zu glauben.

Er nahm das Glasplättchen vom Objekttisch und legte das zweite ein. Er fokussierte und schaute es sich wieder lang und schweigend an,.

Er legte das dritte ein.

Und noch eins.

Und wie schon in dem Moment, als er an dem Athleten die Biopsie vorgenommen hatte, machte sich in ihm wieder der Wunsch breit, dass der junge Mann kein Betrüger sei. Warum er so empfand, wusste er nicht und verdrängte den Gedanken. Er löste den Blick vom Präparat und sah die Laborantin an. «Unglaublich.»

Sie lachte kehlig. «Sag ich ja.»

Auch Stunden später konnte Steffen Brenn noch immer nicht glauben, was er vor sich sah. Das Genick schmerzte, die Augen brannten, doch er zwang sich, immer wieder durch das Okular zu schauen. Er prüfte Probe um Probe und zählte nach. Erst als er das allerletzte Glasplättchen unter das Mikroskop geschoben und geprüft hatte, beendete er die Arbeit. Britta Möller war längst nach Hause gegangen. Um ihn herum herrschte Stille im Labortrakt. Brenn rieb sich die Augen, streckte den verspannten Rücken, dann griff er zum Telefon und wählte Thierry Velans Nummer.

«Wie geht es deinem Kopf?», fragte Brenn, als Thierry sich meldete.

«Es geht», brummte Thierry verschlafen. «Wieso rufst du mich denn mitten in der Nacht an, ja wohl kaum, um mich das zu fragen, oder?»

«Ich meine: Bist du reisefähig?»

«Nein, ich bin hundemüde.»

«Und wenn ich dir sage, dass es bei mir im Labor etwas zu sehen gibt, das die Welt noch nicht gesehen hat?»

«Dann würde ich den Kopf sogar unterm Arm nach Berlin tragen.»

«Also dann, nimm den ersten Flug morgen in der Früh.»

«Was? So dringend ist es?»

«Noch viel dringender.»

Als Brenn den Hörer aufgelegt hatte, nahm er die Krücken, humpelte zur Tür und löschte das Licht im Labor.