SEIT EINER STUNDE war Donatella Cipriani wieder zu Hause. Sie hatte diesen Tag überlebt. Wie verrückt vor Freude hatten die beiden Hunde sie begrüßt. So war es meistens, wenn sie nach Hause kam. Nur die Hunde waren da, die Hunde und Sara, die Haushälterin. Wenn Donatella darüber nachdachte, war es ihr eigentlich lieber so. Sie fühlte sich jedes Mal erleichtert, wenn Ricardo nicht anwesend war. Und da er seine Aktivitäten immer mehr nach Rom verlagerte, sahen sie sich nur noch selten.
Die Kinder, ja, manchmal vermisste Donatella die beiden, und es tat weh, doch es war eher ihre Kleinkinderzeit, der sie nachtrauerte, nicht die Pubertät und nicht ihr derzeitiger Zustand. Sie hatte die Verbindung zu ihnen verloren. Auf andere Weise als zu Ricardo, aber ebenso gründlich.
Es verwunderte sie nicht. Sie war es gewohnt, Menschen zu verlieren, sie nicht zu erreichen. Sie gab schnell auf, wenn sie keine Antwort bekam, vielleicht zu schnell? Aber sie konnte nicht anders. Manchmal war sie in einer inneren Taubheit gefangen, die sich anfühlte wie ein eingeschlafener Arm oder ein Bein, das aufgrund mangelnder Durchblutung nicht mehr zum Körper zu gehören scheint, das man nur noch ahnt. Was spürte sie eigentlich noch, was sollte sie eigentlich spüren, was andere möglicherweise spürten?
Deshalb waren klare Strukturen und Abläufe so wichtig für sie. In den Abläufen fühlte sie sich sicherer, konnte sogar kreativ sein. Ihre Möbelentwürfe fanden großen Anklang. Sie konnte auch mit Kunden und Mitarbeitern einigermaßen umgehen. Es strengte sie an, aber es ging. Wie, das konnte sie sich selbst nicht erklären. Es funktionierte ganz ähnlich wie ihre Fähigkeit, sich schnell in eine strahlende Frau zu verwandeln – jünger und schöner zu erscheinen, als sie in Wirklichkeit war. Kurz betrachtete sie ihre blutig gekauten Finger, versteckte sie dann vor sich selbst auf dem Rücken und gab Sara den Abend frei.
«Aber wollen Sie denn nichts essen, Signora?»
«Ich habe keinen Hunger.»
«Soll ich noch mit den Hunden raus?»
«Ich gehe selbst mit ihnen.»
Sara warf ihrer Chefin einen besorgten Blick zu und zog sich dann in ihr kleines Apartment im Gästehaus zurück. Wenn Signora Cipriani ihr unerwartet freigab, dann hieß es, dass sie schnell verschwinden musste. Sara kannte das.
Ein paar Minuten wartete Donatella, wartete darauf, Sara durch den Garten gehen zu sehen, wartete auf Licht hinter Saras Fenstern. Dann erst öffnete sie den Kühlschrank, nahm eine Flasche Prosecco heraus, entkorkte sie mit Mühe, schenkte sich ein Glas ein und aß gierig ein paar Scheiben Salami. Danach riss sie einen Zettel vom Einkaufslisten-Block und machte sich daran, die Struktur des Abends zu entwerfen.
Sie musste unbedingt an dem Schrank aus Olivenholz arbeiten. Mit dem ersten Entwurf war sie nicht zufrieden. Danach eine halbe Stunde im Fitness-Raum, duschen und anschließend ein Film. Irgendwas Leichtes. Oder vielleicht eine späte Talkshow im Fernsehen. «Porta a porta» zum Beispiel. Das lenkte auch gut ab.
Bisher war es ihr gelungen, nicht an Benjamin Sutton zu denken. Weder an den toten noch an den lebenden Benjamin. Während des gesamten Rückflugs aus München hatte sich die vertraute Taubheit in ihr ausgebreitet, und sie hatte nichts empfunden – höchstens, ganz entfernt, eine unbestimmte Angst, die in Wellen aus der Magengegend aufstieg und die sie weggeatmet hatte.
Sie ließ die Hunde in den Park hinaus, warf ihnen ein paar Bälle in den Schnee. Dann kehrte sie ins Haus zurück, nahm das Glas Prosecco mit in ihr Arbeitszimmer und kontrollierte ihre E-Mails. Die ersten fünf betrafen Geschäftliches, Ricardo teilte mit, dass er auf unbestimmte Zeit in Rom bleiben würde, die letzte Nachricht kam von Laura Gottberg. Donatellas Herz raste, noch ehe sie den ersten Satz gelesen hatte.
Nur eine kurze Anfrage, Signora Cipriani. Waren Sie zufällig schon mal zur Erholung im Institut Vita divina? Können Sie es empfehlen? Ich hoffe, Sie hatten einen guten Flug.
Laura Gottberg
Plötzlich fiel Donatella das Atmen schwer. Die Angst, die sie während des Fluges weggedrängt hatte, überkam sie nun so heftig, dass ihr schwarz vor Augen wurde. Sie griff nach dem Glas, trank es leer, verschluckte sich, hustete. Ihre Luftröhre brannte, sogar ihre Lungen. Wie war es möglich, dass diese Kommissarin etwas über ihren Aufenthalt im Vita divina wusste? Niemand wusste davon! Nicht einmal Ricardo oder ihre Kinder. Auch Benjamin hatte sie nie davon erzählt, ihrer Familie eine Geschäftsreise vorgetäuscht. Es hätte sich ohnehin niemand dafür interessiert, was sie tatsächlich in diesen drei Wochen vorhatte, oder dass sie kurz vor einem Zusammenbruch stand.
Das Institut selbst garantierte absolute Diskretion, und selbst die Klientinnen mussten eine Verpflichtung zum Stillschweigen über andere Erholungsuchende unterschreiben. Deshalb war es völlig ausgeschlossen, dass Laura Gottberg etwas wissen konnte. Was hatte sie gefragt? «Wo haben Sie Benjamin Sutton eigentlich kennengelernt?» Und sie, Donatella, hatte geantwortet: «In Siena.»
Es war ein Fehler gewesen! Warum hatte sie nicht München gesagt oder London, Paris, irgendwas, nur nicht Siena! Warum hatte sie erzählt, dass sie einen Urlaub in der Nähe von Siena verbracht hatte, damals. Was hatte sie noch gesagt? Dass er ihr zugelächelt hatte, ihr gefolgt war, aber dass sie ihn angesprochen hätte. Warum hatte sie das erzählt?
Es stimmte nicht.
Warum hatte sie überhaupt etwas erzählt?
Langsam stand Donatella auf, ging die breite Treppe hinunter, hielt sich am Geländer fest, weil sie ihren Beinen misstraute. In der großen Küche, deren granitgraue Fliesen und dunkelrote Schränke sie plötzlich erschreckten, füllte sie ein Wasserglas mit Prosecco und setzte sich auf einen Hocker, den Sara bei der Arbeit benutzte. Sie trank mit kleinen Schlucken, erinnerte sich genau an den Frühsommertag auf dem Campo von Siena, an die Struktur, die sie jenen Stunden gegeben hatte: Einkäufe nach Liste, Besichtigung des Doms, des Dommuseums und dann zum Palazzo Pubblico und zu den berühmten Wandbildern von der guten und der schlechten Regierung aus der Blütezeit Sienas.
Auf dem Campo hatte sie jedoch ihr Programm unterbrochen, um einen Latte macchiato zu trinken. Sie hatte eine Zeitung dabei, mit deren Lektüre sie diese Unterbrechung füllen wollte. Deshalb achtete sie nicht auf ihre Umgebung, doch irgendetwas störte sie nach einer Weile, und als sie aufsah, fiel ihr Blick auf einen eleganten Mann, der sie ganz offensichtlich beobachtete. In seinen Händen hielt er eine Sonnenbrille, die er wohl gerade abgesetzt hatte, sein Gesicht schien ernst, doch unvermutet lächelte er kaum merklich, schloss die Augen und lehnte sich entspannt zurück – mit einem unhörbaren Seufzer vielleicht?
Er war ein schöner Mann mit dichten dunkelbraunen Haaren, leicht gebräunter Haut, beinahe aristokratischen Zügen. Die Art seines Lächelns, wie er die Augen schloss und sich zurücklehnte – Donatella meinte den Seufzer zu hören –, löste in ihr etwas völlig Unerwartetes aus. Sie empfand eine so plötzliche und heftige sexuelle Erregung, dass es ihr wie ein Überfall vorkam. Mit klopfendem Herzen hatte sie versucht weiterzulesen, doch es war ihr nicht gelungen. Deshalb bezahlte sie, trank schnell den schaumigen Milchkaffee aus und ging, ohne ein zweites Mal zu dem Unbekannten hinzusehen.
Am Gaia-Brunnen war sie verwirrt stehen geblieben und hatte versucht, sich zu sammeln.
Tauben tranken Wasser aus dem Maul einer Wölfin. Wie seltsam, hatte sie gedacht. Damals hatte sie Tauben noch nicht gehasst. Und gleichzeitig wusste sie, dass er in ihrer Nähe war, entdeckte ihn gleich darauf neben anderen Touristen. Auch er schien den Brunnen zu betrachten, warf ihr nur einen kurzen, tiefen Blick zu, der sie erneut wie ein Blitz traf.
Donatella flüchtete in den Palazzo Pubblico, drängte sich durch eine Reisegruppe, löste die Eintrittskarte und rannte beinahe zur Sala della Pace, dem Friedenssaal, hinauf, stand endlich vor den berühmten Fresken von Ambrogio Lorenzetti, ohne sie wirklich zu sehen. Schon nach wenigen Minuten ahnte sie, dass auch er im Raum sein musste, irgendwo hinter ihr, denn sie spürte seine körperliche Anwesenheit, die genau wie zuvor ein geradezu schmerzhaftes Ziehen in ihrem Körper auslöste. Jahrelang hatte sie diese Art von Lust nicht mehr empfunden, hatte sie aus ihrem Leben ausgeschlossen. Es machte Donatella fassungslos, dass dieses Verlangen jetzt so machtvoll ausbrach, sie regelrecht überwältigte.
Er trat neben sie und sprach über die Blütezeit Sienas im Mittelalter, über die geradezu demokratische Regierung des Neunerrates, und wie wunderbar Lorenzetti das Leben der damaligen Zeit in seinem Wandgemälde wiedergegeben hatte. Er sprach Englisch. Fragte, ob sie ihn verstehen könne. Sie nickte, sah ihn aber nicht an. Seine Stimme klang weich und dunkel, und er erklärte die Bilder wie ein Kunstexperte, machte sie auf Details aufmerksam.
Sie hätte wegrennen sollen!
Die Treppen runter, über den Campo zur Piazza Matteotti und dann ganz schnell ein Taxi nehmen, das sie zu ihrem Wagen gebracht hätte, der unterhalb der Stadt in der Via Esterna di Fontebranda geparkt war.
Aber sie war geblieben.
Mit klopfendem Herzen hatte sie ihm zugehört. Sie, eine Frau von dreiundvierzig Jahren. Lächerlich.
«Ich würde Sie gern zu einem Aperitivo einladen, Signora», hatte er irgendwann gesagt. «Darf ich mich vorstellen … Benjamin Sutton.»
Sie hatte seine Einladung angenommen. Ohne ihren Namen zu nennen. Dass er Engländer war, hatte sie beruhigt.
Beruhigt.
Campari hatten sie getrunken, denn es war ein heißer Nachmittag auf dem Campo gewesen … in der Sonne, mit Blick über die Stadt und den Dom, auf einer Aussichtsterrasse abseits der Touristenströme.
«Ich komme immer nach Siena, wenn ich vom hektischen Leben in London genug habe», hatte er gesagt. «Siena hat etwas Heilendes für mich. Allein der Blick auf diese organisch gewachsene Stadt macht mich glücklich. Sind Sie Sieneserin?»
«Zurzeit», hatte sie geantwortet.
«Eine gute Antwort. Ich fühle mich ebenfalls als Sieneser – zurzeit.»
Er war amüsant gewesen und doch immer wieder auch ernst, keineswegs aufdringlich – aber diese seltsame Tiefe seiner Augen fachte stets aufs Neue ihre Erregung an.
Donatella stellte das Glas auf der Anrichte ab und stützte den Kopf in beide Hände. Der Ausspruch einer Bekannten fiel ihr ein: «Die meisten Engländer sind schwul, und Flirten ist ein unbekannter Begriff für sie.» Die Bekannte hatte ein paar Jahre in London gearbeitet.
Donatella konnte dieses Vorurteil nicht bestätigen. Benjamin Sutton wusste zu flirten. Auch er hatte eine Struktur, allerdings eine andere als Donatella. Er bestimmte die Struktur und die Abläufe seines Gegenübers. Das wurde ihr erst jetzt klar.
Mein Gott, sie hatte sich so in ihn verliebt, dass in kurzer Zeit alles andere bedeutungslos erschienen war. Schritt für Schritt hatte er sie gelenkt, langsam, gut dosiert: ein Spaziergang über grüne Hügel mit Blick auf die Stadt, ein Ausritt, ein Abendessen in seinem Lieblingslokal.
Fünf Tage hatte er ihr gegeben.
Fünf Tage, in denen sich ihre Begierde so sehr gesteigert hatte, dass sie kaum noch kontrollierbar war. Wie unabsichtlich hatte er sie berührt, sich manchmal sogar dafür entschuldigt. Beim Ausflug ans Meer hatte er sie plötzlich in seine Arme gerissen und ihr seine Liebe gestanden.
Es war der fünfte Tag ihrer Begegnung gewesen.
Donatella fegte das Glas von der Anrichte und hielt sich die Ohren zu, als es auf den Granitfliesen zersplitterte. Der erste längere Kuss hatte einen Orgasmus in ihr ausgelöst, dessen sie sich jetzt verzweifelt schämte, der sie mit Wut und Hass erfüllte. «Mia colomba bianca» hatte er sie genannt, weil er Tauben liebe und sich mit ihr so frei fühle, als flögen sie gemeinsam über die Dächer von Siena.
Mit der halbvollen Flasche in der Hand kehrte Donatella in ihr Arbeitszimmer zurück, wo sie ruhelos auf und ab ging. Unmöglich, sich hinzusetzen. Ihre innere Unruhe schmerzte, fühlte sich an wie ein Messer in ihren Eingeweiden, trieb sie zu rastloser Bewegung, als könnte sie vor sich selbst weglaufen, wenn sie im Zimmer umherging.
Sie hatte ihm geglaubt.
Die schwierige Ehe mit einer adeligen Engländerin, die vier Kinder, den mühsamen Erhalt der Besitztümer seiner Vorfahren – dabei hatte er diskret erwähnt, dass er ebenfalls ein wenig adelig war. Auch seine Sehnsucht nach der Wärme und Lebendigkeit des Südens hatte sie geglaubt, seine Sehnsucht nach leidenschaftlicher Liebe.
Alles hatte sie ihm geglaubt!
Mia colomba bianca. Meine weiße Taube.
Donatella warf sich auf den Boden und rollte sich zusammen wie ein Embryo. Sie hatte sich Benjamin geöffnet, ihr Leben vor ihm ausgebreitet, ihre Einsamkeit, ihre Sehnsucht, die sie in sich vergraben hatte, unter Strukturen und Abläufen und Konventionen und Arbeit. Er hatte zugehört, sie ernst genommen, ihr Mut gemacht. Er hatte sie schön gefunden, schlagfertig, klug, hatte ihr Zärtlichkeit geschenkt und eine nie gekannte Leidenschaft.
Zehn Tage lang.
In den letzten fünf Tagen war sie kaum noch nach Vita divina zurückgekehrt. Die Nächte, diese unbeschreiblichen Nächte. Donatella stöhnte, umfasste mit beiden Armen ihre Knie und schaukelte hin und her wie ein verlassenes Kind, das die Hoffnung aufgegeben hat.
Dann musste Benjamin abreisen. Ganz plötzlich, ohne Vorwarnung. Eines seiner Kinder hatte einen Fahrradunfall. Er wollte nicht fahren, war verzweifelt, sprach vom Wiedersehen an einem neutralen Ort, schlug München vor, seiner Geschäfte wegen.
Als Abschiedsgeschenk hatte er ihr das Gedicht gegeben, zusammen mit einem riesigen Strauß weißer Rosen.
«Ein Römer hat es geschrieben», flüsterte er, während er sie in seinen Armen hielt und sein Gesicht in ihrem Haar verbarg. «Es ist zweitausend Jahre alt, aber es wird für alle Zeiten Gültigkeit haben. I love you, Donatella.»
Sie richtete sich langsam auf, kniete eine Weile, denn ihr war schwindlig. Endlich zog sie sich am Schreibtisch hoch, schloss die unterste Schublade auf und zog das Blatt Papier hervor, auf das Benjamin Sutton mit seiner großzügigen Handschrift für sie das Gedicht von Petronius geschrieben hatte.
Welch eine Nacht! Ihr Götter und Göttinnen!
Wie Rosen war das Bett! Da hingen wir
Zusammen im Feuer und wollten in Wonnen zerrinnen
Und aus den Lippen flossen dort und hier,
Verirrend sich, unsre Seelen in unsre Seelen –
Lebt wohl, ihr Sorgen! Wollt ihr mich noch quälen?
Ich hab in diesen entzückenden Sekunden,
Wie man in Wonne sterben kann, empfunden.
Donatella las halblaut, einmal und ein zweites Mal. Langsam steckte sie das Blatt in ihre Schreddermaschine und sah zu, wie es in hauchdünne Streifen zerschnitten wurde. Eine Weile hielt sie die Streifen in der Hand, dann warf sie sie angeekelt in den Papierkorb.
Wann hatte sie zu zweifeln begonnen?
Es war kaum zwei Wochen her. Nach der Begegnung in Paris und dem dritten Erpresserbrief. In Paris war Benjamin eine Idee weniger aufmerksam gewesen als sonst, hatte nervös und abwesend gewirkt. Als sie ihn darauf ansprach, erzählte er von schwierigen Geschäften und einer möglichen Scheidung von seiner Frau. Donatella hatte Verständnis für all das. Schlimmer war, dass sie in seinem Kulturbeutel eine winzige Schachtel mit Viagra entdeckt hatte. In einer ebenfalls winzigen Seitentasche. Es hatte sie wie ein Schlag getroffen.
Weshalb brauchte er Viagra?
Ihre eigene Leidenschaft war so heftig wie bei ihrer ersten Begegnung. Seine nicht? Sie hatte nicht gewagt, ihn zu fragen. Weshalb hatte sie überhaupt in seinen Kulturbeutel geschaut? Sie hatte kein Recht dazu. Trotz ihrer Schuldgefühle kam ihr diese kleine Tablettenschachtel wie ein Verrat an ihrer Liebe vor. Verwirrt war sie nach Mailand zurückgekehrt.
Dann war der dritte Brief gekommen.
Fünfhunderttausend Euro hatten sie verlangt, und Sir Benjamin hatte erklärt, dass sie sich diesmal wirklich trennen müssten. Er könne das Risiko nicht länger eingehen, aber er würde sie für immer lieben. Vielleicht könnten sie später wieder zusammenkommen – nach seiner Scheidung.
Zu dieser Zeit hatte ihr Verstand wieder angefangen zu arbeiten, und sie hatte plötzlich eine Verbindung zwischen ihrem Aufenthalt in Vita divina und der Begegnung mit Benjamin gesehen. Keine direkte. Nur die eigene Schuld. Sie hatte sich Therapien überlassen, die offen machten für tiefe Bedürfnisse, die den vernachlässigten Körper aufweckten. Wäre sie Benjamin in ihrem Mailänder Alltag begegnet, er hätte vermutlich niemals eine Chance gehabt.
Donatella ging ins Schlafzimmer, legte sich angezogen aufs Bett und versuchte die Grenzen ihres Körpers zu spüren. Die Arme, die Finger, die Beine und Füße. Es war nicht einfach, denn die Taubheit ergriff wieder Besitz von ihr. Doch sie wollte sich spüren, den Schmerz und die verlorene Lust.
Benjamin hatte sie missbraucht.
Die deutsche Kommissarin hatte das sehr schnell verstanden. Aber sie hatte Donatellas Geschichte geglaubt. Ihre Geschichte der noch immer gläubigen Geliebten. Sie hatte nicht verstanden, dass Donatella Benjamins Tod beschlossen hatte. Laura Gottberg hatte die Struktur nicht durchschaut.
Langsam stand Donatella auf und ging in den Fitness-Raum. Die Struktur. Es war gut, der Struktur zu folgen.