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Für mögliche Krisenfälle vorsorgen
In diesem Kapitel
- In aller Ruhe einen Plan entwickeln
- Wissen, wann der Zeitpunkt zum Handeln gekommen ist
- Eine Liste schreiben, wer um Hilfe gebeten werden soll (und wer nicht)
- Den geliebten Menschen vor gefährlichen Verhaltensweisen schützen
Sie kommen zu spät. Der Eindringling hat bereits die ersten Schutzzäune der Medikamente und der Therapie überwunden, ist in das Denken des Betroffenen eingedrungen und hat die Kontrolle an sich gerissen. Der unberechenbare Fahrstil, der Konsumrausch, die rasenden Gedanken und die Reizbarkeit haben sich bereits eingenistet, und der Eindringling hat den Betroffenen davon überzeugt, dass alles gut läuft – sogar besser als sonst. Oder aber der Eindringling hat die Geschwindigkeit gedrosselt, den geliebten Menschen in Dunkelheit und Verzweiflung gehüllt und ihn dazu gezwungen, jede Hilfe abzulehnen und zu sagen: »Es gibt keine Hoffnung.«
Der Zeitpunkt, den Betroffenen zu fragen, was man tun soll, ist verpasst. Würde er wollen, dass ich den Arzt anrufe? Wie heißt der Arzt und wo ist die Telefonnummer? Nein, nicht die Nummer der Praxis, die Nummer für den Notfall! Ist er damit einverstanden, dass ich mit dem Arzt spreche? Sollte ich jemand anders aus der Familie anrufen? Wenn ja, wen? Und wenn ich jemanden erreiche, der helfen kann, was soll ich sagen? Welche Medikamente soll der geliebte Mensch nehmen? Hat er sie regelmäßig genommen? Soll ich ihm die Autoschlüssel abnehmen? Die Kreditkarten? Hat er eine Waffe im Haus?
Diese Fragen können Sie jetzt nicht stellen. Besser wäre es, Sie würden die Antworten bereits kennen. Hätten Sie sich doch mit dem Betroffenen in einer ruhigeren Phase zusammengesetzt und einen Kriseninterventionsplan erarbeitet. Dann wären Sie jetzt nicht so nervös. Sie hätten zwar immer noch das Problem, den Betroffenen davon überzeugen zu müssen, dass er Hilfe braucht, aber Sie könnten sich wenigstens auf einen soliden Plan stützen und würden über die Informationen und Ressourcen verfügen, ihn auch umsetzen zu können.
Ersparen Sie sich und dem geliebten Menschen dieses Szenario. Dieses Kapitel bietet Ihnen beiden die perfekte Gelegenheit, einen auf Ihre Bedürfnisse abgestimmten Notfallplan zu erstellen, damit Sie vorbereitet sind, wenn der Krisenfall eintritt.
Sich Zeit nehmen, über den Plan zu sprechen
Sie wissen, dass Sie mit dem Betroffenen über einen Krisenplan sprechen müssen, aber Sie haben einfach keine Zeit und sind auch nicht gerade wild darauf, die Sache anzugehen. Sie haben bereits mehr Zeit und Energie darauf verwendet, diesen Zustand unter Kontrolle zu halten, als Sie für nötig gehalten haben. Jetzt erscheint das Leben relativ normal. Da wollen Sie doch nicht wieder schmerzhafte Erinnerungen wachrufen und sich eingestehen, dass auch in Zukunft Krisen möglich sind. Sie entscheiden sich für den Weg des geringsten Widerstands – und der wird Sie ganz sicher in die nächste Katastrophe führen.
Um die Hindernisse der knapp bemessenen Zeit und der emotionalen Trägheit überwinden zu können, sollten Sie im Voraus planen und einige Grundregeln aufstellen, wie Sie den Prozess in Gang bringen können:
- Warten Sie auf eine Phase relativer Ruhe. Versuchen Sie nicht, einen Notfallplan zu erstellen, wenn der geliebte Mensch gerade in einer manischen oder depressiven Phase steckt. An eine rationale Diskussion ist, besonders in einer manischen Phase, überhaupt nicht zu denken. Sie haben vielleicht nicht so viel Zeit zu warten, bis sich die Stimmung komplett gelegt hat, aber eine relativ stabile Phase tut es auch.
- Machen Sie einen Termin aus. Schreiben Sie diesen Termin in den Kalender, wie Sie es mit anderen wichtigen Terminen auch tun. Wenn Sie dieses Treffen nicht ankündigen und ihm oberste Priorität einräumen, wird es in Ihrer Liste mit jedem weiteren Tag immer weiter nach unten rutschen.
- Schalten Sie mögliche Ablenkungen aus. Wählen Sie einen ruhigen Ort – keine Fernseher, keine Handys, keine Kinder, die um Aufmerksamkeit buhlen, keine aufdringlichen Kellner. Wenn Sie Kinder haben, planen Sie das Gespräch für die Schulzeit oder organisieren Sie einen Babysitter und setzen Sie sich an einem ruhigen Ort außerhalb des Hauses zusammen. Nehmen Sie bei Bedarf einen halben Tag frei – Ihre Mühe wird Ihnen später viel Zeit einsparen.
- Bleiben Sie ruhig. Achten Sie während des Treffens sorgfältig auf Ihre Emotionen und versuchen Sie, Ihre Gefühle nicht überkochen zu lassen. Sicher müssen Sie auch Ihren Frust und Ihre Enttäuschungen ansprechen, aber nicht in dieser Situation. Sie treffen sich, um einen Plan zu erarbeiten, nicht zu einem Therapiegespräch. Wenn Sie hier Ihre Probleme vorbringen, ist das Treffen zu Ende, bevor es überhaupt angefangen hat.
- Beteiligen Sie eine dritte Person. Wenn Sie befürchten müssen, dass dieses Treffen in Tränen oder Schreierei endet, oder wenn Sie glauben, dass Sie das alles nicht auf die Reihe kriegen, dann sollten Sie überlegen, ob Sie nicht einen Freund, einen anderen, Ihnen nahestehenden Menschen oder gar einen Therapeuten bitten, sich am Planungsprozess zu beteiligen. Ein unparteiischer Dritter kann als Vermittler, emotionaler Thermostat und Projektleiter wirken.
Wie weit soll meine Beteiligung gehen?
Nachdem Sie sorgfältig den Zeitpunkt und den Ort bestimmt haben, an dem der Kriseninterventionsplan erstellt werden soll, müssen Sie sich zuallererst darüber klar werden, welche Rolle Sie im Krisenfall spielen sollen. Werden Sie den Cheerleader geben, der nur in Erscheinung tritt, wenn sich eine Krise ankündigt? Sind Sie eine Art Überweisungsdienst, der andere benachrichtigt, wenn sich Ärger ankündigt? Oder übernehmen Sie die Assistentenrolle im Stimmungsmanagementteam: zum Arzt gehen, Medikamente verwalten und dem Betroffenen zur Hand gehen? Wenn Sie eingreifen, wie viel Befugnis sollten Sie dann haben? Denken Sie über die folgenden Faktoren nach, bevor Sie die Richtlinien für Ihre Beteiligung entwerfen:
- Verfügbarkeit: Die geografische Lage und die Zeit können Ihre Verfügbarkeit einschränken. Leben Sie nahe genug bei dem Betroffenen, um unmittelbar da zu sein, wenn ein Problem auftritt, oder müssen Sie erst ins Auto oder gar ins Flugzeug steigen? Können Sie sich von Ihren Verpflichtungen am Arbeitsplatz oder zu Hause lösen, um sich der Krisenprävention oder der Krisenbewältigung zu widmen? Können Sie Ihre Kinder jederzeit betreuen lassen? Haben Sie einen verständnisvollen Chef?
- Bisherige Erfahrungen: Sind Sie krisenfest? Wenn Sie zu den Menschen gehören, die in Ohnmacht fallen, wenn sich jemand im Büro an einem Blatt Papier schneidet, oder die ausflippen, wenn der Keller unter Wasser steht, dann sind Sie vielleicht nicht die am besten geeignete Person für diesen Job. Sie müssen einen kühlen Kopf bewahren, die Anzeichen einer bevorstehenden Stimmungsepisode erkennen und im größten Chaos rational handeln können.
- Wie weit waren Sie vor der Krise beteiligt? Je mehr Sie bisher ins Alltagsleben des Betroffenen eingebunden waren, desto mehr können Sie sich bei der Krisenbewältigung engagieren. Waren Sie an der alltäglichen Pflege des geliebten Menschen beteiligt? Haben Sie ein Gefühl für die Muster, die sich beim Herannahen einer Krise abzeichnen? Wissen Sie, wie es mit der Medikation des geliebten Menschen aussieht? Haben Sie mit dem Betroffenen über die Belastungen in seinem Leben gesprochen? Oder stehen Sie mehr im Hintergrund und sind nur im Krisenfall bereit einzuspringen.
- Ihre Grenzen: Wollen Sie eine Vollmacht, etwa in Form einer Vorsorgevollmacht (siehe dazu auch Kapitel 13) haben, die Ihnen erlaubt, zum Beispiel in Bezug auf Kreditkarten und Bankkonten tätig zu werden? Oder möchten Sie solche Dinge eher informell angehen? Möchte der Betroffene, dass Sie über seine Finanzen Bescheid wissen? Werden Sie im Haushalt des Betroffenen sein und beispielsweise Kreditkarten und Autoschlüssel an sich nehmen? Diese Fragen sind wesentliche Punkte in Ihrem Plan, die Sie zweifelsfrei klären müssen, bevor größere Probleme am Horizont auftauchen. Mehr darüber können Sie in Kapitel 16 nachlesen.
- Wie viel Beteiligung von Ihrer Seite kann der Betroffene ertragen? Wenn die Person, der Sie helfen wollen, in einer Krise zu explosivem oder gefährlichem Verhalten neigt, können Sie das nur so lange, bis die Intervention auf anderer Ebene, etwa durch ein Krisenteam oder die Notaufnahme eines Krankenhauses fortgesetzt wird. Ihre Rolle in der Krisenbewältigung kann schnell zu einem Ende kommen, wenn Ihre Bemühungen dazu beitragen, Zornesausbrüche oder destruktive Reaktionen auszulösen.
Die Einschränkung Ihrer Beteiligung hängt sehr stark vom Temperament und der Lebensart des Betroffenen ab. Sie müssen seine persönlichen Vorlieben kennen und wissen, was er für ein vernünftiges Maß an Beteiligung hält. Genauso wichtig ist es, dass Sie sagen, wo Ihre Grenzen in so persönlichen Dingen wie Geld und Gesundheit liegen. Der Grad Ihrer Beteiligung ist nicht von vornherein gegeben, er ist Verhandlungssache. In jedem Fall sollte der Betroffene in seinem Unterstützungsteam jemanden haben, der bereit und in der Lage ist, im Krisenfall einzuspringen.
Wann sollte ich einschreiten?
Es ist mitunter nicht so einfach, den richtigen Punkt zum Einschreiten zu bestimmen. Sie wollen ja nicht gleich die Notbremse ziehen, wenn der Betroffene ein wenig düster dreinschaut oder sich aufregt. Aber Sie wollen sicher auch nicht so lange warten, bis er sich irrational verhält oder überhaupt nicht mehr ansprechbar ist.
Ideal wäre es, wenn Sie Ihre Beobachtungen und Sorgen dem Betroffenen mitteilen könnten, bevor eine Krise ausbricht. Das setzt allerdings voraus, dass Sie die Warnzeichen früh genug erkennen und dass der Betroffene offen für Rückmeldungen ist. In solchen Fällen könnten Sie beispielsweise sagen: »Du scheinst etwas gesprächiger zu sein als sonst« oder: »In letzter Zeit scheinst du etwas in den Seilen zu hängen«, und der Betroffene weiß dann, dass Sie damit verschlüsselt sagen: »Da schleicht sich eine Hypomanie an« oder: »Du steuerst auf eine Depression zu«. Wenn er die Situation akzeptiert, kann er den Arzt oder Therapeuten um Rat bitten und eine eventuell erforderliche Behandlung beginnen.
Allgemein lässt sich Folgendes sagen: Je länger Sie damit warten, bis Sie Ihre Beobachtungen oder Sorgen mitteilen (vielleicht wollen Sie sich nicht allzu sehr einmischen oder haben Angst, die Gefühle des Betroffenen zu verletzen), desto weniger aufnahmebereit wird der Betroffene sein.
Wenn Sie im Zweifel sind, wann Sie etwas sagen sollen, können Ihnen die folgenden Richtlinien helfen:
- Handeln Sie früh und oft. Arbeiten Sie daran, offen mit dem Betroffenen über seine Störung und ihre Auswirkungen zu sprechen, wie wir in Kapitel 16 erläutern. Solche Gespräche erweitern Ihre Kenntnisse der Warnzeichen und ermöglichen Ihnen, sie früher zu erkennen. Außerdem fühlt sich der Betroffene dann wohler, wenn er seine Krankheit mit Ihnen und anderen teilen kann, und er nimmt Ihre Beobachtungen und Sorgen besser an. Je früher Sie einen Stimmungsumschwung erkennen und Maßnahmen ergreifen können, desto eher werden Sie erfolgreich sein. Wenn ein Stimmungsumschwung erst einmal an Fahrt gewinnt, wird sich der Betroffene stärker gegen Ihre Beteiligung sträuben, und Ihre Bemühungen gehen nach hinten los.
- Werfen Sie immer wieder einen Blick in das Stimmungsdiagramm. Wenn Sie mit dem Betroffenen zusammenleben, werden Sie die leichten Stimmungshebungen von einem Tag auf den anderen vielleicht nicht bemerken. Ein kurzer Blick auf einen Zeitraum von ein oder zwei Wochen im Stimmungsdiagramm jedoch kann Sie auf das herannahende Problem aufmerksam machen. Auch hier gilt: Je besser Sie offen mit dem geliebten Menschen sprechen können, desto eher werden Sie einen Blick in das Stimmungsjournal werfen können. Sehen Sie nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis nach. (In Kapitel 12 finden Sie ein Stimmungsdiagramm, das Sie kopieren können.)
- Erkennen Sie Signalverhaltensweisen. Schläft der geliebte Mensch weniger? Oder mehr? Verbringt er ganze Tage mit Einkäufen oder plant er zahlreiche groß angelegte Projekte? Isst er weniger oder mehr? Hört Ihr musisch veranlagter Freund keine Musik mehr oder rührt er sein Instrument nicht mehr an? Verhaltensänderungen, die auf herannahende Krisen hindeuten, hängen oft vom Individuum ab.
- Lieber einmal zu viel. Sie müssen Ihre Angst davor, die Gefühle des Betroffenen zu verletzen und ihn zu verärgern, mit Ihrem Wunsch vereinbaren, ihn zu schützen. Sie können nicht sein ganzes Leben in Ihre Hände nehmen, aber wenn Sie sich Sorgen machen und Sie das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt, ist einmal zu viel immer besser als einmal zu wenig. Der Betroffene ist vielleicht verärgert, weil Sie sich eingeschaltet haben, aber wenn es um seine Sicherheit und sein Überleben geht, ist es aller Mühen wert.
Wenn Ihr Freund oder Verwandter von Suizid spricht oder sich waghalsig verhält, müssen Sie sofort zur Tat schreiten. Wenn er nicht auf Sie hören will oder kann, holen Sie Hilfe. Lesen Sie dazu auch den Abschnitt »Suizid« weiter hinten in diesem Kapitel.
Wen soll ich zu Hilfe rufen?
Wenn Sie Ihren Kriseninterventionsplan entwickeln, sollten Sie auch die Frage ansprechen, wer mit beteiligt werden kann und an welchem Punkt. Schreiben Sie alle Menschen auf eine Liste, um deren Benachrichtigung der geliebte Mensch Sie bittet, und auch die Menschen, die Sie als Hilfe betrachten, und bearbeiten Sie diese Liste nach Bedarf. Streichen Sie die Personen von der Liste, die mehr Probleme verursachen, als lösen helfen. Sie werden beide wissen, wer das ist. Tragen Sie die verbleibenden Namen mit den dazugehörigen Telefonnummern in das Kriseninformationsblatt ein, das wir Ihnen weiter hinten im Abschnitt »Den Plan schriftlich festhalten« präsentieren.
Ärzte und Therapeuten, deren Namen sich eventuell auf der Liste befinden, können nur dann mit Ihnen sprechen, wenn eine entsprechende Einverständniserklärung des Betroffenen vorliegt. Sorgen Sie gegebenenfalls dafür, dass der Betroffene diese Personen von ihrer Schweigepflicht Ihnen gegenüber entbindet.
Die folgende Übersicht listet die professionellen Mitglieder des Stimmungsmanagementteams sowie andere Menschen, die Sie im Notfall eventuell benachrichtigen müssen:
- Psychiater: Wenn der Betroffene sich damit einverstanden erklärt, dass Sie mit seinem Psychiater Kontakt aufnehmen, ist er Ihre erste Anlaufstelle. Wenn Sie deutliche Krisensignale sehen oder sich ein beunruhigendes Muster abzeichnet, teilen Sie das dem Psychiater so früh wie möglich mit, damit er die Medikation anpassen kann, bevor die Krise ihren Höhepunkt erreicht. Das funktioniert am besten, wenn Sie den Arzt schon einmal getroffen haben und er weiß, dass Sie eine Kontaktperson im Team sind. Ermutigen Sie den Betroffenen, dem Psychiater die sich steigernden Symptome zu beschreiben. Wenn er es aufgrund seines emotionalen Zustands nicht selbst kann, gehen Sie davon aus, dass Sie seine Zustimmung haben, dies zu übernehmen.
- Therapeut: Wenn der Betroffene damit einverstanden ist, sollten Sie früh genug Kontakt zum behandelnden Therapeuten aufnehmen, damit dieser eine effektive Behandlung anbieten kann. Auch wenn Sie bereits den Psychiater informiert haben, bietet die Hinzuziehung des Therapeuten zusätzliche Unterstützung. Auch hier ist es nützlich, wenn Sie den Therapeuten schon einmal vor der Krise getroffen haben, weil er Sie dann kennt und weiß, welche Rolle Sie spielen.
- Andere nicht professionelle Helfer: Ihr Freund oder Verwandter hat vielleicht Partner, Eltern, Geschwister, Freunde oder andere Menschen genannt, die Sie anrufen sollen. Ihre Einbeziehung macht das Unterstützungsnetzwerk engmaschiger. Am Anfang müssen Sie andere Mitglieder des Stimmungsmanagementteams zurate ziehen, um ihre Meinung zu den Verhaltensweisen und Mustern einzuholen, die Sie beobachtet haben. Wenn der Stimmungsumschwung sich beschleunigt, brauchen Sie vielleicht mehr Unterstützung.
- Das Notfallteam: Die meisten Städte und Kreise unterhalten sozialpsychiatrische Dienste, die auch oft über ein Notfallteam verfügen, das psychisch kranke Patienten schnell begutachten kann. Meistens sind die sozialpsychiatrischen Dienste bei den Gesundheitsämtern angesiedelt. In jedem Fall erfährt man die Adresse und Telefonnummer des nächsten Dienstes über die Gemeindeämter. Wenn sich eine Krise schnell hochschaukelt und außer Kontrolle gerät oder Sie den Arzt oder Therapeuten nicht erreichen können, ist das Notfallteam Ihre nächste Anlaufstelle. Sie können das Notfallteam ohne die ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen rufen, wenn dieser sich selbst oder anderen Menschen Schaden zuzufügen droht. Besorgen Sie sich diese Telefonnummer bereits im Vorfeld. Es ist mitunter nicht einfach, sie zu finden, selbst in den besten Phasen.
- Das Krankenhaus oder die Notaufnahme: Wenn die Situation nicht mehr sicher kontrollierbar ist oder aus dem Ruder läuft und der Betroffene kooperiert, bringen Sie ihn in die Notaufnahme eines Krankenhauses oder einer vorher vereinbarten psychiatrischen Klinik. Möglicherweise weist Sie der Psychiater auch dazu an. Anders als bei einer Notaufnahme sollten Sie in der psychiatrischen Klinik vorher anrufen, bevor Sie dort auftauchen, um abzuklären, ob ein Bett frei ist. Falls nicht, setzen Sie sich mit dem nächsten Krankenhaus auf Ihrer Liste in Verbindung oder mit der Notaufnahme. Legen Sie dazu in Ihrem Krisenplan die Krankenhäuser fest, die mit der Krankenversicherung und den Ärzten des Betroffenen zusammenarbeiten beziehungsweise die in seiner Region für ihn zuständig sind, und achten Sie darauf, dass Sie über die entsprechenden Telefonnummern und Wegbeschreibungen verfügen. In Kapitel 3 finden Sie Tipps für die Vorbereitung eines Krankenhausaufenthalts.
- 112 oder die
Polizei: Wenn Sie eine unmittelbare Gefährdung des
Betroffenen befürchten, bitten Sie Profis um Hilfe, die sofort
einschreiten können. Was ist eine »unmittelbare Gefährdung?« Der
geliebte Mensch ist unmittelbar gefährdet, wenn er
- • mit Suizid droht.
- • sich in seiner Wut gegen andere Menschen richtet.
- • so durcheinander wirkt, dass eine selbst organisierte Fahrt zu unsicher wird.
- • sich weigert oder nicht in der Lage ist zu kooperieren.
Die Polizei einzuschalten ist bei Freunden oder Familienmitgliedern sicher nicht einfach, aber wenn Gefahr im Verzug ist und der Betroffene nicht mit Ihnen zur Notaufnahme fahren will oder kann, sollten Sie sich helfen lassen.
Denken Sie daran, dass Sie unter Umständen mehrere Personen auf der Liste anrufen müssen. Wenn Sie versuchen, frühzeitig zu handeln, und die aktuellen Symptome nicht so gefährlich erscheinen, sollten Sie eher den Arzt und den Therapeuten benachrichtigen. Bei akuter Gefahr sind das Krankenhaus oder die Notrufnummer 112 erste Wahl, aber auch in diesem Fall müssen Sie den Psychiater und den Therapeuten informieren.
Bringen Sie Ihre Liste mit den Kontaktinformationen mit in die Notaufnahme oder in die Klinik. Damit können Sie dem Aufnahmeteam viel Zeit sparen. Von Vorteil ist auch eine Liste der aktuell eingenommenen Medikamente, damit das Personal genau weiß, welche Medikamente in welchen Dosen der Betroffene einnehmen soll.
Riskantes Verhalten verhindern
Die meisten Menschen schnallen sich im Auto an oder tragen beim Fahrradfahren einen Helm, aber sie zögern, jemandem die Autoschlüssel wegzunehmen, der wie ein Irrer fährt, oder die Kreditkarten eines anderen an sich zu nehmen, der unkontrolliert Geld ausgibt. Wenn Sie mit dem geliebten Menschen über die Krisenprävention und das Krisenmanagement sprechen, sollten Sie auch diese riskanten Verhaltensweisen thematisieren und festlegen, wie Sie damit umgehen wollen. Wenn der Betroffene sich im Vorfeld damit einverstanden erklärt, dass Sie eingreifen, kann das Ihre Entschlossenheit festigen, im Krisenfall energisch einzugreifen.
In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit riskanten Verhaltensweisen, die oft im Zusammenhang mit bipolaren Störungen auftreten, und unterbreiten Ihnen Vorschläge, wie Sie damit umgehen können. Wie Sie sich dann im konkreten Fall zu handeln entscheiden, hängt von Ihnen und dem Betroffenen ab. Oft erfordern solche Entscheidungen ein wenig kreatives Denken und eine fundierte Planung.
Sie sollten darauf vorbereitet sein, dass die ausgeklügelten Pläne, die Sie während Ihres gemeinsamen Planungsgesprächs erarbeiten, für den Betroffenen während einer Stimmungsepisode völlig unakzeptabel sind – besonders während einer manischen Episode. Ein solider Plan und frühes Eingreifen können Ihre Erfolgschancen deutlich verbessern, aber Sie müssen mit starkem Widerstand rechnen.
Einen geliebten Menschen gegen seinen Willen einweisen lassen
Eine Zwangseinweisung ist der Prozess einer Einweisung eines Menschen in eine psychiatrische Anstalt gegen seinen Willen. Eine Zwangseinweisung ist nur in zwei Fällen möglich:
- Die Person ist eine Gefahr für sich selbst.
- Die Person ist eine Gefahr für andere.
Voraussetzung für eine Zwangseinweisung, die gesetzlich als medizinischer Vorgang betrachtet wird, ist immer ein aktuelles ärztliches, in manchen Ländern auch ein psychiatrisches Zeugnis, das nicht die durch die psychische Störung bedingte Selbst- oder Fremdgefährdungen, sondern auch die Einschätzung bestätigt, dass die Gefährdung nur durch die Einweisung abwendbar ist. Nach der Einweisung, die zunächst nur bis zum folgenden Tag gilt, muss eine Aufnahmeuntersuchung durchgeführt werden. Bei schweren Störungen, bei denen man davon ausgehen muss, dass auch weiterhin eine Gefährdung besteht und eine freiwillige Behandlung nicht gewährt werden kann, muss das Vormundschaftsgericht über eine weitere Unterbringung entscheiden. Mit einer einfachen »Unterschrift unter die Einweisungspapiere«, wie man das gelegentlich in Filmen sieht, ist es also nicht getan.
Für die Allgemeinheit sind diese gesetzlichen Regelungen zum Schutz von Patienten eine positive Sache, weil sie die Freiheit der Betroffenen schützen. Für Familien und Freunde, die den ihnen nahestehenden Menschen mit bipolaren Störungen helfen wollen, sind sie mitunter frustrierend, wenn die Betroffenen eine Behandlung verweigern. Denn eine Behandlung lässt sich nur dann erzwingen, wenn sich ein Grad der Gefährdung ergibt, der medizinisch und rechtlich festgestellt werden kann.
Rücksichtsloser Fahrstil
Die Auswirkungen einer Manie oder Depression können die Fähigkeiten der Betroffenen beeinträchtigen, ein Fahrzeug sicher zu beherrschen. Manien lassen jegliche Hemmschwellen fallen und setzen besonders die Geschwindigkeitsregelung im Gehirn außer Kraft. In der Folge missachten die Betroffenen Geschwindigkeitsbegrenzungen und vergessen alles, was sie über defensives Fahren gelernt haben. Depressionen können die Konzentrationsfähigkeit und die Reflexe mindern. Dadurch verlängern sich die Reaktionszeiten und es kommt zu unberechenbarem Fahrverhalten. Von einem Fahrer, der sich hoffnungslos und mutlos fühlt und dem es egal ist, ob er lebt oder stirbt, kann man kaum erwarten, dass er beim Fahren an seine oder anderer Leute Sicherheit denkt.
Es liegt auf der Hand, in solchen Fällen die Autoschlüssel an sich zu nehmen – allerdings muss man dabei auch die Konsequenzen bedenken. Das Auto ist heutzutage ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens und steht für Erwachsensein und Unabhängigkeit. Wenn Sie dem Betroffenen die Autoschlüssel wegnehmen, nehmen Sie ihm das Gefühl der Unabhängigkeit und Freiheit und die Möglichkeit, selbst zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Arzt oder sonst wohin zu fahren, alles Alltagsaufgaben, die den Betroffenen auf Kurs halten und größeren Stimmungsumschwüngen entgegenwirken. Bevor Sie sich also die Autoschlüssel schnappen, sollten Sie folgende Aspekte bedenken:
- Kann jemand den Betroffenen zur Arbeit fahren?
- Wie kommt Ihr Freund oder Verwandter zum Arzt oder Therapeuten?
- Wer kann die Kinder abholen, zum Fußball fahren und einkaufen?
Die Schlüssel einzukassieren ist eine einfache Sache. Dadurch das Alltagsleben des Betroffenen nicht zum Erliegen zu bringen, erfordert konsequente Planung und Aufmerksamkeit für die Details.
Ungezügelter Konsum
Ungezügelter Konsum ist schon beinahe ein Klischee in den Berichten über manische Episoden. Hier zu intervenieren, scheint auf den ersten Blick einfach – Geld und Schecks verstecken, Kredit- und EC-Karten an sich nehmen und das Kontoguthaben auf ein Konto überweisen, an das der Betroffene nicht herankommt. Aber so eine Manie hat genug Möglichkeiten, solche kleinen Misslichkeiten zu umgehen und trotzdem an das nötige Kleingeld zu kommen:
- Der Betroffene kann sich die Kreditkartennummer einprägen.
- Kontoinformationen können bei Internetshops hinterlegt sein.
- Der Betroffene bestellt telefonisch.
- Kreditkarten kann man sich über Telefon oder im Internet ohne Weiteres besorgen.
Wenn Sie der Manie immer einen Schritt voraus sein wollen, müssen Sie kreativ sein und sich überlegen, was Sie solchen Strategien entgegensetzen können:
- Setzen Sie sich mit dem Kreditkartenanbieter in Verbindung und sperren Sie das Konto. Die Vorgehensweise ist je nach Anbieter unterschiedlich. Lesen Sie in den allgemeinen Geschäftsbedingungen nach und besorgen Sie sich im Vorfeld die erforderlichen Telefonnummern.
- Melden Sie die Kreditkarte als gestohlen. Technisch betrachtet hat die bipolare Störung sie gestohlen, also ist das keine Lüge. (Machen Sie das nur im äußersten Notfall.)
- Durchsuchen Sie die Post nach eventuellen neuen Kreditkartenanträgen. In den meisten Briefkästen landen regelmäßig verführerische neue Angebote. Reißen Sie sie in Stücke oder schreiben Sie »Zurück an Absender« darauf und werfen Sie sie in den Briefkasten.
- Überwachen Sie die Internetaktivitäten und die E-Mails des Betroffenen und achten Sie auf alles, was nach Kreditkartenantrag oder Kreditkartentransaktionen aussieht. Holen Sie sich dazu vorher das Einverständnis des Betroffenen ein.
Natürlich haben auch diese schlauen Maßnahmen unter Umständen Nachteile. Wenn der Betroffene ein gemeinsames Konto mit seinem Partner hat, ist es diesem nicht möglich, Einkäufe und Rechnungen zu bezahlen. Es macht also Sinn, wenigstens ein Konto einzurichten, auf das die Person mit der bipolaren Störung nicht zugreifen kann – Geld für Krisenzeiten. Darüber hinaus sollten die Konten auf den Namen des Partners laufen, damit der Betroffene in Krisenzeiten weniger Geldquellen zur Verfügung hat.
Hypersexualität
Hypersexualität – ein Zustand gesteigerten sexuellen Verlangens und sexuell motivierten Handelns – ist ein Kennzeichen der Manie, das oft in riskantem sexuellem Verhalten mündet. Dadurch kann der Betroffene sich und seine Familie in arge Schwierigkeiten bringen. Ein solches Verhalten zu verhindern, ist eine nicht leicht zu bewältigende Herausforderung. Sexualität ist Privatsache. Wie wollen Sie gefährliches sexuelles Verhalten verhindern, wenn Sie der manischen Person nicht rund um die Uhr auf den Füßen stehen? Für den Anfang könnten Sie es damit versuchen:
- Nehmen Sie die Autoschlüssel und die Kreditkarten an sich. Kein Auto, kein Geld, kein Sex. Na ja, vielleicht ist es nicht ganz so einfach, aber ohne fahrbaren Untersatz und Geld ist der Zugang zu den Hauptquellen unsicherer sexueller Kontakte schon mal blockiert. Natürlich bringen diese Maßnahmen ähnliche Nachteile mit sich, wie wir sie bereits in den beiden vorangegangenen Abschnitten beschrieben haben.
- Beschränken
oder überwachen Sie den Internetzugang. Über das Internet
kann man rund um die Uhr aus einer schier unendlichen
Sex-Speisekarte wählen, darunter auch pornografische Inhalte, die
noch den geringsten Grund zu akuter Sorge bieten. Chaträume,
Online-Dating-Websites und andere virtuelle Aufreiß-Schuppen sind
voller Menschen, die auf der Suche nach sexuellen Kontakten sind.
Pornos bringen nicht die Risiken sexuell übertragbarer Krankheiten
oder einer Schwangerschaft mit sich, aber Chatkontakte und
Dating-Websites können zu sexuellen Kontakten im realen Leben
führen.
Die Einschränkung der Internetnutzung bringt Nachteile mit sich, über die Sie während Ihrer Planungssitzung sprechen müssen. Können Sie den Internetzugang einschränken, ohne E-Mail-Kontakte und berufliche Internetkontakte zu unterbinden? Einigen Sie sich auf Maßnahmen, die Erfolg versprechen und mit denen Sie beide leben können. In jedem Fall müssen Sie reden, reden, reden, um alles gründlich vorbereiten zu können.
Achten Sie darauf, dass Sie keine Verhaltensweisen fördern, an denen Sie Freude finden könnten: Wenn Ihr Partner beispielsweise sein gesteigertes sexuelles Verlangen auf Sie richtet, werden Sie diese zusätzliche Aufmerksamkeit unter Umständen begrüßen. Denken Sie jedoch daran, dass der Spaß, den Sie dank dieses Energieüberschusses haben, schnell außer Kontrolle geraten kann. Sie müssen tun, was für die erkrankte Person am besten ist, nicht was im Augenblick angenehm ist.
Julias Uni-Intervention
Die Krise schlich sich langsam näher an Julia heran. Sie studierte und wirkte immer heiter und energiegeladen. Anfangs arbeitete sie bis spät in die Nacht für ihre Seminare und plante eine Reihe von Veranstaltungen für ihre Studentenverbindung. Sie fand es aufregend, dass sie bei so wenig Schlaf immer noch nicht müde wurde. Sie hatte sogar noch Zeit und Energie, die ganze Nacht mit Freunden durchzufeiern – sie tranken und rauchten ein wenig Gras. Ihr Selbstbewusstsein wuchs stetig und sie suchte Gesellschaft im Internet und in Bars außerhalb des Campus. In kurzer Zeit hatte sie ihr Kreditkartenlimit durch den Kauf neuer Kleidung für ihre Verbindung und die geplanten Aktivitäten ausgeschöpft. Sie beantragte kurzerhand eine neue. Angebote bekam sie ja fast täglich mit der Post. Ihr Studium geriet nach und nach ins Hintertreffen.
Julias Freunde begannen, sich Sorgen zu machen, aber sie bestand darauf, dass sie sich nie besser gefühlt habe und dass alles in Ordnung sei. Wenn Freunde Bedenken äußerten, reagierte sie schnippisch. Sie äußerte sogar den Verdacht, dass diese Freunde ihr Leben ruinieren wollten, und schloss nicht aus, dass die Uni-Verwaltung auch ihre Finger im Spiel haben könnte.
Als ihre engste Freundin ihre Eltern benachrichtigte, wurde Julia wütend. Sie sprang ins Auto, um nach Hause zu fahren und den Sachverhalt klarzustellen. Auf halber Strecke wurde sie von der Polizei wegen zu hoher Geschwindigkeit angehalten: Sie war mit 160 km/h geblitzt worden. Der Polizeibeamte hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, weil Julia rastlos wirkte und »völlig von der Rolle«. Er rief einen Krankenwagen, der sie zur nächsten Notaufnahme brachte, etwa eine Stunde von zu Hause entfernt. Als ihre Eltern ankamen, war Julia paranoid und desorientiert. Ihre Eltern stimmten einer Einweisung zu. Julia sträubte sich, gab aber schließlich nach. Während der folgenden sechs Monate konnten die Ärzte ihren Zustand mithilfe von Medikamenten stabilisieren, sodass sie ihr Studium fortsetzen konnte.
Julia entwickelte zusammen mit ihrer Familie und ihren Freunden ein Frühwarnsystem, das in erster Linie auf der Überwachung ihrer Schlafzeiten basierte. Sobald sie weniger schlief, benachrichtigten ihre Freunde die Eltern. Darüber hinaus beschäftigten die Freunde Julia mit allen möglichen Dingen, damit sie nicht mit Alkohol in Berührung kam. Ihre Stimmungsumschwünge traten nach wie vor auf, aber durch frühes Eingreifen konnte ihre Unterstützungsgruppe gut damit zurechtkommen. Julia fand allmählich einen Medikamentenmix, mit dem sie ihre Stimmung überwiegend stabil halten konnte.
Drogen- und Alkoholmissbrauch
Bipolare Störungen vertragen sich überhaupt nicht gut mit Drogen und Alkohol. Bei Menschen, deren Hemmschwellen ohnehin bereits gefallen sind, lassen diese Substanzen jedweden Restbestand an menschlicher Urteilsfähigkeit dahinschmelzen. Während einer depressiven Phase kann das Risiko eines erfolgreichen Suizidversuchs unter Alkoholeinfluss erheblich steigen. Sie können das Leben des Betroffenen retten, wenn Sie ihn von dieser Gefahrenzone fernhalten. Ihre Möglichkeiten sind jedoch begrenzt:
- Unterbinden Sie den Zugriff auf Geld und Transportmittel. Wenn der Betroffene sich keine Drogen und keinen Alkohol leisten kann oder nicht dorthin gelangen kann, wo er sie bekommt, kann er sie nicht konsumieren. Wenn jedoch eine Zugangsmöglichkeit besteht, kann er immer noch stehlen, was er braucht, oder Wertgegenstände eintauschen.
- Schränken Sie den Zugang zu Internet und Telefon ein. Wenn ein Freund oder Bekannter den Betroffenen mit Drogen oder Alkohol versorgt, kann die Unterbindung der Kommunikation zur Außenwelt, wenn möglich, den Nachschubweg blockieren helfen.
- Überwachen Sie die Aktivitäten des Betroffenen. Das ist für beide Beteiligten furchtbar zudringlich und restriktiv, aber Wache halten ist die effektivste Möglichkeit, fast alle riskanten Verhaltensweisen zu kontrollieren, die wir in diesem Abschnitt beschreiben. Lassen Sie sich dabei, wenn möglich, von anderen helfen, um sich nicht allzu sehr zu erschöpfen.
Wenn Sie sich vorher mit dem Betroffenen über die Maßnahmen einigen, die Sie ergreifen müssen, um riskante Verhaltensweisen zu unterbinden, erhöht das möglicherweise seine Akzeptanz, wenn die Zeit kommt, sein Verhalten zu überwachen und Einschränkungen durchzusetzen. Jede Maßnahme, die Sie ergreifen, kann allerdings auch nach hinten losgehen. Der Betroffene kapselt sich möglicherweise ab oder beschließt sogar, wegzulaufen. Bereiten Sie sich auf solche Reaktionen vor, sowohl seelisch als auch durch Vorausplanung.
Suizid
Bei unter schweren Depressionen leidenden Menschen ist das Suizidrisiko sehr hoch. Sollten Sie den Verdacht haben, dass der Betroffene an Suizid denkt, empfehlen wir Ihnen die folgenden Schritte:
- Halten Sie Wache
und lassen Sie den Betroffenen nicht allein.
Wenn Sie nicht da bleiben können, rufen Sie jemand an, der Sie vertreten kann, und warten Sie, bis die Person eintrifft.
- Hören Sie zu und
sagen Sie dem Betroffenen, wie viel er Ihnen bedeutet. Ermutigen
Sie ihn, über seine Gefühle zu sprechen.
Bringen Sie zu diesem Zeitpunkt keine Argumente vor, dass das Leben lebenswert ist, und wischen Sie seine Gefühle nicht weg.
- Entfernen Sie
alle Waffen, Medikamente oder Gegenstände, die man für einen
Suizidversuch verwenden könnte.
Lassen Sie nichts liegen, was einen Suizid erleichtern könnte.
- Rufen Sie den
Arzt oder Therapeuten an oder wählen Sie die 112.
Wenn Sie den Arzt oder Therapeuten nicht erreichen können, zögern Sie nicht, den Betroffenen in eine Notaufnahme zu bringen oder den Notruf zu wählen.
- Holen Sie andere
Freunde oder Familienmitglieder zu Hilfe.
Sie können, genau wie Sie, dem geliebten Menschen helfen, die Krise zu überwinden.
Schrecken Sie nicht davor zurück, nach Suizidgedanken zu fragen. Sie werden dadurch keine Suizidgedanken auslösen, wenn keine da sind – das Risiko steigt eher, wenn Sie nicht fragen. Vertrauen Sie Ihren Wahrnehmungen und Instinkten. Wenn man es mit einem geliebten Menschen zu tun hat, der zunehmend gewaltsam reagiert oder auf einen Suizid zusteuert, ist man schnell versucht, sich auszureden, dass etwas Schlimmes passieren kann. Wenn die Situation eskaliert, holen Sie Hilfe, bevor es zu spät ist.
Den Plan schriftlich festhalten
Wenn der Krisenfall eintritt und Sie erst einmal die Brieftasche oder den Organizer des geliebten Menschen nach den Namen und Telefonnummern von Ärzten und Therapeuten oder im Medizinschrank nach Medikamenten suchen müssen, um herauszufinden, was der Arzt verschrieben hat, ist das nervenaufreibend und überflüssig. Was Sie in jedem Fall aus Ihrem Krisengespräch mitnehmen sollten, ist eine Liste mit allen wichtigen Informationen, die Sie im Krisenfall brauchen.
Füllen Sie mithilfe des Betroffenen das Kriseninformationsblatt aus, das wir in Abbildung 17.1 für Sie zusammengestellt haben, und verteilen Sie es an alle Mitglieder des Stimmungsmanagementteams mit der Auflage, es stets griffbereit zu haben.
Machen Sie sich mehrere Kopien dieses Kriseninformationsblatts: eine für zu Hause, eine für den Arbeitsplatz, eine für das Portemonnaie oder die Brieftasche und eines auf dem PC oder dem PDA (Personal Digital Assistant; ein digitaler Organizer). Aktualisieren Sie die Informationen immer, wenn der Betroffene den Arzt oder Therapeuten wechselt oder die Medikation angepasst wird, damit Sie immer auf dem aktuellsten Stand sind.
Im Krisenfall reagieren
Sowohl Depressionen als auch Manien können Situationen bedingen, die sich zu einer Krise oder einem akuten Notfall auswachsen. Als Helfer ist es Ihre Aufgabe, die drohende Gefahr schnell und möglichst genau einzuschätzen, einen kühlen Kopf zu bewahren und die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um sich selbst, den geliebten Menschen und das unmittelbare Umfeld zu schützen. Wenn sich eine Krise abzuzeichnen beginnt, versuchen Sie durch die folgenden Maßnahmen, sie zu entschärfen und dafür zu sorgen, dass der Betroffene die erforderliche Behandlung erhält.
- Schützen Sie sich
selbst und andere.
Wenn Sie sich oder andere Haushaltsmitglieder bedroht sehen, bringen Sie sich und die anderen möglichst umgehend und gefahrlos in Sicherheit. Wenn der Betroffene gewalttätig wird oder Sie bedroht, rufen Sie die Polizei (110) oder 112. Informieren Sie den Beamten über eventuelle bisherige Einweisungen und verlangen Sie, dass keine Waffen zum Einsatz kommen.
- Entschärfen Sie
die Situation, wenn es möglich ist.
Sich einem Menschen entgegenzustellen, der einen manischen Höhenflug erlebt, oder mit einem Betroffenen zu diskutieren, der tief in einer Depression steckt, ist das Schlimmste, was Sie tun können. Bleiben Sie ruhig und rational, sprechen Sie mit sanfter Stimme und ermutigen Sie den Betroffenen, sich freiwillig helfen zu lassen. Vermeiden Sie Drohungen und versuchen Sie nicht, den Betroffenen gewaltsam zu bändigen.
- Rufen Sie den
Arzt oder Therapeuten des Betroffenen an.
Wenn Sie den Arzt oder Therapeuten nicht erreichen können, nehmen Sie zum örtlichen Notfallteam oder dem nächstgelegenen Krankenhaus Kontakt auf. Sofern der Betroffene dazu in der Lage ist, lassen Sie ihn mit dem Arzt oder Therapeuten reden. Wenn nicht, müssen Sie das übernehmen. Wird der Betroffene an einen anderen Ort gebracht, informieren Sie den Arzt oder Therapeuten darüber.
In Gewahrsam genommen und eingesperrt zu werden, sind äußerst traumatische Erlebnisse, besonders für Menschen, die an einer psychischen Erkrankung leiden. Ihr Ziel muss sein, den Betroffenen in ein Krankenhaus oder eine andere medizinische Einrichtung zu bringen, wo er behandelt und therapiert werden kann. Sollte der Betroffene vor Zeugen ein Verbrechen begehen, können Sie um eine psychiatrische Behandlung anstelle eines Gefängnisaufenthalts ersuchen. Das Gefängnis ist der letzte Ort, den der Betroffene jetzt braucht.