35

Anthony Whitelands begann den Tag mit dem trotz seines erst kurzen Aufenthalts in Madrid schon ritualisierten Frühstück in der üblichen Cafeteria, einer raschen Lektüre der Tagespresse, einem gemächlichen Spaziergang zum Palais in der Castellana. Wie immer öffnete ihm der Butler mit mürrischer Selbstverständlichkeit. Sein Zigeunergesicht zeigte weder Erstaunen noch Feindseligkeit, als wäre der schreckliche Killer vom Vortag eine Ausgeburt von Anthonys Phantasie gewesen. «Kommen Sie bitte herein, und warten Sie in der Halle, während ich Seine Exzellenz benachrichtige.»

Erneut allein mit der Kopie von Tod des Aktaion, fragte sich Anthony, wie Velázquez wohl an Tizians Stelle die dramatische Szene gelöst hätte. Durchdrungen vom prunkvollen Zeremoniell, das die Seerepublik Venedig festigte und einte, hatte Tizian auf die seit der Renaissance angehäufte klassische Kultur zurückgegriffen, um die unmäßige Strafe einer in ihrer Symbolik und Macht befangenen Göttin darzustellen. Diana dominierte die Szene wie die unbarmherzigen Kräfte, die über die Menschen hereinbrechen – wie Krankheit, Krieg, ungesunde Leidenschaften. Velázquez wusste sehr wohl um die Katastrophen, die die Welt regieren, weigerte sich aber, sie auf die Leinwand zu bannen. Sicherlich hätte er einen zufälligen Zeugen von Aktaions unglücklichem Los gewählt und in seinem Gesicht das Staunen, das Entsetzen oder die Gleichgültigkeit gegenüber dem schrecklichen Vorfall gespiegelt, den er hatte mit ansehen müssen und dessen Vermittler er jetzt war, ohne ihn verstanden zu haben und ohne zu wissen, wie er der Welt seine Bedeutung und seine Moral weitergeben sollte.

Als würden seine Taten ebenfalls von einem Los organisiert, einem spaßigen in diesem Fall, wurde Anthony durch eine zittrige und zugleich fröhliche Stimme aus seinen Überlegungen gerissen. «Tony, du bist zurückgekommen! Gott sei gelobt! Bist du nicht mehr in Gefahr?»

«Ich weiß es nicht, Lilí. Aber ich musste kommen, um jeden Preis.»

«Meinetwegen?»

«Ich will dich nicht anschwindeln – du bist nicht der Grund. Und wo wir uns schon getroffen haben, nutze ich die Gelegenheit, um klarzustellen, was gestern geschehen ist.»

Lilí trat zu ihm und legte ihm die offene Hand auf den Mund. «Sag nichts. Ihr Protestanten meint immer, ihr müsst unangenehme Dinge sagen. Ihr denkt, etwas Bitteres oder Verletzendes oder Brutales muss zwangsläufig wahr sein. Aber dem ist nicht so. Wunder und Märchen sind kein Trug, sondern eine Illusion. Vielleicht ist auch der Himmel nur das, eine Illusion. Und trotzdem hilft er uns leben. Die Wahrheit kann keine zerbrochene Illusion sein. Ich verlange keine Erklärung von dir, ich werfe dir nichts vor, ich fordere nichts von dir. Aber die Hoffnung kannst du mir nicht nehmen, Tony. Nicht heute und nicht morgen, aber eines Tages vielleicht sind die Dinge anders. Und dann, wenn ich überlebt habe und du mich rufst, werde ich dahin kommen, wo du sagst, und tun, was du willst. Bis zu diesem Augenblick, ob wirklich oder eingebildet, bitte ich dich nur um liebevolles Schweigen. Und dass du niemandem etwas erzählst. Versprochen?»

Bevor er antworten konnte, erschien Don Álvaro del Valle, Herzog von Igualada, in Begleitung des Butlers in der Halle. Obwohl sich die beiden keineswegs einschüchternd verhielten, war Anthony plötzlich ganz durcheinander. Bis zu diesem Augenblick war der Entschluss, ins Palais zu gehen und sich dem Herzog auf seinem Boden zu stellen, so unumstößlich gewesen wie am Vorabend, als er ihn im Büro des Regierungschefs gefasst hatte; doch jetzt konnte er sich auf einmal nicht mehr erklären, warum er hier war, und er wusste auch nicht, wie er vorgehen sollte. Der Herzog schien sich seines Verhaltens ebenfalls nicht sicher zu sein. Schließlich eröffnete er das Gespräch ohne Umschweife. «Was führt Sie her, Señor Whitelands?»

Diese Offenheit ebnete den Weg. «Señor Herzog, ich bin gekommen, um zu kassieren, was mir zusteht.»

Lilí war noch in der Halle. Als ihr Vater und der Butler eingetreten waren, hatte sie gehen wollen, war dann aber wachsam in der Tür stehengeblieben, um den Engländer in einer schwierigen Lage nicht allein zu lassen. Als der Herzog das sah, warf er ihr einen beruhigenden, verständnisvollen Blick zu. «Das scheint mir recht und billig», antwortete er. «Gehen wir in mein Arbeitszimmer. Dort wird uns niemand stören.»

Der Butler, der sich angesprochen fühlte, nickte zustimmend.

Beim Betreten des Arbeitszimmers fiel Anthonys Blick instinktiv auf das Fenster, durch das er zum ersten Mal Paquita im Garten gesehen hatte, in Gesellschaft eines geheimnisvollen Verehrers. In diesem Garten hatte sie ihn flüchtig umarmt, und da hatte er sie einige Tage später in tiefer Verzweiflung überrascht. Jetzt wirkte der in die laue Morgensonne getauchte Garten verlassen. Ein Schwarm Spatzen flatterte zwischen dem Boden und den Ästen hin und her. Die beiden Männer setzten sich so hin wie die vorangehenden Male. Anthony ergriff sogleich das Wort. «Als mir vorgeschlagen wurde hierherzukommen, wurde mir ein Entgelt in Aussicht gestellt, und Sie selbst haben die Vereinbarung später mehrfach bestätigt. Vom ersten Augenblick an habe ich versucht, meine Aufgabe zu erfüllen, und ich glaube, das habe ich im Rahmen des Möglichen auch getan, loyal, hingebungsvoll und kompetent. Zu kassieren ist nicht nur recht und billig, sondern auch angemessen. Wir Fachleute haben ein Recht darauf, entschädigt zu werden, und müssen zum Wohl des ganzen Berufsstandes darauf beharren. Ich verurteile die Willkür der Amateure: Auf die Vergütung verzichten heißt auch jede Verantwortung von sich weisen. Sie, Señor Herzog, denken und handeln, im Einklang mit Ihrer Position, nach anderen Kriterien, aber ich bin sicher, Sie verstehen und billigen, was ich Ihnen sage.»

«Ohne jeden Zweifel.»

«Vielleicht, aber ich habe diese Einleitung angesichts dessen, was ich Ihnen jetzt sagen werde, für wichtig gehalten. Ich bin in Dienst genommen worden, um einige Bilder zu begutachten. Dann hat sich herausgestellt, dass nichts so war, wie es zu sein schien. Unwissentlich und ungewollt bin ich plötzlich zu einem – wichtigen oder nebensächlichen, das ist nicht von Belang – Teil einer Verschwörung geworden, deren Sinn und Tragweite ich nach wie vor nicht begreife. Das habe ich gemeint, als ich davon sprach, meinen Teil zu kassieren. Ich verlange die Erklärungen, die mir zustehen. Geben Sie sie mir, und ich gehe. Und behalten Sie Ihr Geld, es interessiert mich nicht.»

Der Herzog schwieg lange und sagte dann: «Ich verstehe Ihre Neugier sehr wohl, Señor Whitelands. Und ich kann Ihnen versichern, dass auch ich Ihnen gern ein paar Fragen stellen würde …, obwohl ich nicht weiß, ob ich dann auch die Antworten gern hörte. Vielleicht sollten wir um der Harmonie willen das gegenseitige Nichtwissen beibehalten, finden Sie nicht?»

Anthony klopfte das Herz bis zum Hals, aber sogleich sagte er sich, dass der Herzog nichts Konkretes von den Vorfällen wusste, auf die er anspielte, sonst hätte er sich nicht so subtil und gelassen ausgedrückt. Wäre die Herzogin dabei gewesen, die Situation hätte gefährlicher ausgesehen; von Mann zu Mann aber blieb dem Engländer noch Handlungsspielraum. «Die Umstände, von denen ich sprach», er versuchte, nicht durch Erröten zu verraten, dass er log, «gehen über die Grenzen des Persönlichen hinaus. Auf diesem Gebiet ist nichts Unaussprechliches geschehen. Gestatten Sie mir also, am Anfang zu beginnen. Wer ist Pedro Teacher, und welche Rolle spielt er in dieser Farce?»

Der Herzog schien diese Frage mit Erleichterung zu hören. Zweifellos hatte er etwas Verfänglicheres erwartet, und so zögerte er nicht, in aller Offenheit zu erzählen, was Anthony schon wusste: Pedro Teacher sei ein Händler, durch den der Herzog wie andere Familien der spanischen Aristokratie Kunstwerke erworben habe, insbesondere Bilder bekannter Maler. «Pedro Teacher hat Zugang zu interessanten Werken und verkauft sie zu annehmbaren Preisen. Er hat in London eine erlesene Kundschaft, ebenso in Madrid. Durch ihn habe ich einige Werke gekauft und andere zu günstigen Bedingungen verkauft oder getauscht.»

Aus seiner Art, über Pedro Teacher zu sprechen, schloss Anthony, dass der Herzog nichts vom Tod des salbungsvollen Galeristen wusste, oder dann war er ein vollendeter Hochstapler. Er entschied sich für die erste Variante und sagte: «Und jetzt arbeitet er beim Verkauf des Velázquez mit, den Sie in Ihrem Keller haben.»

«Das wissen Sie genauso gut wie ich. Das Geschäft rief nach einer Vertrauensperson. Ich meine, auf beruflichem ebenso wie auf persönlichem und politischem Gebiet. Pedro Teacher vereinigt nicht alle diese Qualitäten. Seine politischen Ideen sind bekannt, und als Velázquez-Experte hat er kein ausreichendes Prestige. Ein Gutachten von ihm wäre nicht unverdächtig gewesen. Aus diesem Grund bin ich an Sie gelangt.»

«Wusste er, wofür der Verkaufserlös bestimmt war?»

«Mehr oder weniger. Er identifiziert sich hundertprozentig mit unserer Sache. Ich meine diejenige derer, die wir mit dem herrschenden Chaos aufräumen und verhindern wollen, dass sich die marxistische Horde Spaniens bemächtigt.»

«Das verstehe ich nicht. Pedro Teacher ist Engländer, in jeder Hinsicht; in London hat er eine florierende Galerie. Geschäftliche und sogar gefühlsmäßige Beziehungen zu Menschen eines Landes geknüpft zu haben genügt doch nicht, um sich auf die praktische Politik dieses Landes einzulassen, und zwar so weit, dass man sich in Gefahr bringt, sowohl in Spanien wie in England.»

«Das tun Sie ja auch.»

«Gegen meinen Willen.»

«Gestern haben Sie, wie ich glaube, versucht, die Mauer zu meinem Grundstück zu erklettern, und heute begeben Sie sich erneut in die Höhle des Löwen. Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass Sie beides gegen Ihren Willen getan haben. Oft verspürt der rationalste, materialistischste Mensch, ohne es wahrzuhaben, den Impuls, freudig seine persönliche Sicherheit, seine Vorrechte, kurzum alles, was sein Wohlbefinden ausmacht, über Bord zu werfen.»

«Señor Herzog, der bin ich nicht. Sie sprechen vom Marquis de Estella.»

Der Herzog schloss die Augen, als zwinge ihn dieser Name dazu, sich einige Momente zu sammeln und seine Gedanken und Gefühle zu ordnen. Als er die Augen wieder öffnete, lag in ihnen ein Glanz, der im Gegensatz zu seiner angeborenen Melancholie stand. «Oh, José Antonio!» Er warf dem Engländer einen einvernehmlichen Blick zu. «Ich weiß, dass Sie beide sich gut verstanden haben. Das erstaunt mich nicht. Niemand vermag sich José Antonios Magnetismus zu entziehen, nicht einmal die, die ihn am liebsten tot sähen. Sie sind ein intelligenter, ehrlicher Mensch und, auch wenn Sie es nach Kräften bestreiten, ein unverbesserlicher Idealist. Das hat er vom ersten Augenblick an bemerkt und mir auch so gesagt. Wie jeder echte Führer hat er die Fähigkeit, die Menschen auf den ersten Blick einzuschätzen, in ihrem Geist und Herzen zu lesen, was die anderen nach Möglichkeit vor der Welt und oft vor sich selbst verbergen. Oh, hätte ich doch diese Eigenschaft! Aber es hilft nichts: Ich bin blind, wenn es darum geht, hinter die Absichten des Nächsten zu kommen.»

Er erhob sich von seinem Sessel und tat auf dem Teppich einige Gänge. In seinem Inneren gab es viele Widersprüche und viele Alternativen, er musste mit jemandem darüber sprechen, hatte aber in seiner Umgebung keine Vertrauensperson, die ihm zuhören und ihn verstehen wollte. In diesen verkrampften Zeiten war niemand in der nötigen Verfassung, um sich einen persönlichen Gedanken oder ein Problem anzuhören, wenn es nicht sein eigenes war. Als Ausländer und in seiner gleichgültigen Art war Anthony zum geeigneten Gefäß für die Vertraulichkeiten vieler Menschen und zum Ventil für die Anwandlungen einiger anderer geworden. Zu spät wurde er sich dieser Eigenschaft bewusst, die ihn dazu gebracht hatte, auf ihn bezogene Handlungen und Reaktionen falsch zu interpretieren. Der Herzog, gefangen in diesem Mechanismus, war jetzt nicht mehr zu bremsen. «Seinerzeit war ich ein glühender Verteidiger von Primo de Riveras Diktatur. Ich war mit Don Miguel eng befreundet und weiß, dass er sich die Macht nicht aus persönlichem Ehrgeiz aufgebürdet hat, sondern im Wissen, dass die Monarchie und alles, was sie verkörperte, nur so gerettet werden konnten. Damals hatte die marxistische Verschwörung schon sämtliche Organe des Gesellschaftskörpers angesteckt, da Handel und Industrie, schlapp geworden, tatenlos zuschauten und dieselben Intellektuellen, die sich heute so entrüsten und gegen die Republik vom Leder ziehen, wohlwollend dazu nickten. Keiner hat so sehr wie ich den Sturz Primo de Riveras beklagt, denn in der feigen Nachsicht aller, und zuvorderst der Armee, konnte ich schon ganz deutlich sehen, was sich abzeichnete. Nachdem Primo de Rivera gestürzt und ins Exil geschickt worden war, wurde ich für José Antonio ein zweiter Vater, nicht nur, weil er der Sohn eines ins Unglück geratenen Freundes war, sondern weil ich meine Wut an die Leidenschaft delegieren konnte, mit der er die Erinnerung an seinen Vater verteidigte. In der Kühnheit, mit der sich dieser junge Mann im Gespräch oder mit der Faust Menschen und Institutionen stellte, die viel stärker waren als er, habe ich meinen Mangel an Mut kompensiert.»

Er setzte sich wieder hin und zündete sich eine Zigarette an. Als bedeute das Sich-Luft-Machen mehr Mühe als Erleichterung für ihn, fuhr er müde fort: «Natürlich konnte weder ich noch sonst jemand verhindern, was dann geschah. Ich meine die Gefühle zwischen Paquita und José Antonio. Unter normalen Umständen wäre nichts schöner für mich gewesen, als ihn zum Schwiegersohn zu haben, aber so, wie die Dinge liegen, konnte ich meinen Segen zu der Beziehung nicht geben. José Antonios Leben ist von Anfang an von Gewalt geprägt gewesen, und alles deutet auch auf ein gewaltsames Ende hin. Ich will meine Tochter nicht zu einer rechtsgerichteten Pasionaria werden sehen. Ich bin von Natur aus weich und opportunistisch, aber in dieser Hinsicht bin ich standhaft geblieben. Und die beiden haben, entgegen ihrem impulsiven Temperament, meine Entscheidung respektiert. Ich weiß, wie sehr sie aus diesem Grund gelitten haben, aber ich bereue es nicht. Der Lauf der Dinge bekräftigt mich in meiner Überzeugung, und es bleibt ja immer die Hoffnung, dass alles gut endet.»

«Und solange es nicht gut endet, verschaffen Sie José Antonio Waffen oder geben ihm das Geld, mit dem er sie beschaffen kann.»

«Es bleibt mir nichts anderes übrig. Ohne Waffen, mit denen er sich verteidigen kann, hätte man ihn längst umgebracht, ihn und seine Kameraden. José Antonio hat eine historische Mission zu erfüllen; ich kann ihn nicht von seinem Weg abbringen, aber ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um ihn zu beschützen.»

«Sie wissen, welchen Gebrauch die Falange von diesen Waffen macht.»

«Ich habe eine vage Vorstellung. Niemand erzählt mir etwas, und ich frage nicht. Im Grunde ist es einerlei: Die Waffen sind nur zu einem gut. In diesem Fall hält die Möglichkeit, Schlag um Schlag zurückzugeben, den Feind in Schach.»

«Seien Sie doch nicht naiv», sagte Anthony. «Das Ziel der Falange ist nicht das Überleben. Das Ziel der Falange ist es, in Spanien einen faschistischen Staat zu errichten. José Antonio lehnt die Monarchie ab und fördert ein dem Sozialismus sehr ähnliches Gewerkschaftsregime. Ich habe ihn dieses Programm vertreten hören, öffentlich und privat, feurig und und beredt.»

Der Herzog zuckte die Schultern. «Das allerdings weiß ich. Meine beiden Söhne sind glühende Falangisten geworden und blasen mir den Kopf mit ihren Parolen voll. Das macht mir nicht allzu große Sorgen. Sollte die Falange eines Tages ihr Gedankengut durchsetzen können, wird sie bald wieder auf den rechten Weg zurückfinden. Auch in Italien haben die Faschisten die Kinder roh gegessen, und jetzt geht Mussolini mit dem König und dem Papst Arm in Arm. Die bolschewistische Revolution, die von unten kommt, ist irreversibel; die von oben dagegen ist reine Rhetorik, da sie sich nicht vom Klassenkampf nährt und diesen auch nicht fördert.»

Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, steckte sich eine neue an und setzte, auf und ab gehend, seinen Sermon fort, als befände er sich allein im Raum. «Genau davon versuche ich die Generale zu überzeugen. Sie sind engstirnig, argwöhnisch allem gegenüber, was sie nicht verstehen und kontrollieren, und stur wie Maultiere. Man hat sie dazu abgerichtet, so zu sein, und in ihrem Wesen liegt ihre Effizienz begründet, das bestreite ich nicht, aber in den entscheidenden Momenten sind diese Eigenschaften ein Hindernis. Sie hassen José Antonio, weil er, der kein Soldat ist, mehr Autorität und Prestige besitzt als jeder General, und seine Trupps sind disziplinierter, mutiger und zuverlässiger als die reguläre Truppe. Aus diesem Grund, und nicht wegen ideologischer Differenzen, haben sie ihn mehr auf dem Kieker als den echten Feind. Am liebsten würden sie sämtliche Falangisten an die Wand stellen. Das werden sie aber nicht tun – José Antonio hat eine viel größere Unterstützung, als man gemeinhin annimmt. Die Patrioten und die ordnungsliebenden Menschen sind mit ihm einverstanden, und nur die ihn umgebende Gewalt hindert sie am expliziten Beitritt. Also tolerieren ihn die Militärs zähneknirschend und versuchen ihn mit indirekten Mitteln auszugrenzen. Sie üben Druck auf uns aus, damit wir der Falange unsere Unterstützung entziehen und die Bewegung den Erstickungstod stirbt, oder dann heißt es warten, bis ihre Mitglieder nach einer gewissen Zeit ohne Waffen und Geld eines nach dem anderen fallen.»

Er sprach zu Anthony mit dem Ausdruck und der Gestik eines Strafverteidigers in seinem Schlussplädoyer. «Das ist ein großer Irrtum, den ich ihnen vergeblich auszutreiben versuche. Wären sie dazu bereit, mit der Falange eine Allianz zu bilden, so hätten sie im entscheidenden Moment nicht nur einen hervorragenden Verbündeten, sondern auch eine Staatstheorie, an der es ihnen jetzt fehlt. Ohne José Antonios belehrende Unterstützung wird der Staatsstreich ein ordinärer Militärputsch sein, der den Dümmsten an die Macht bringt und nur einen Augenblick dauert.»

«Haben Sie das José Antonio mit diesen Worten gesagt?»

«Nein. José Antonio verachtet die Militärs. Er beschuldigt die Institution Armee, seinen Vater verraten zu haben, aber er kann sich nicht vorstellen, dass dieselbe Armee, die den Diktator fallengelassen hat, bereit ist, dasselbe Spiel auch mit seinem Sohn zu spielen. Vielleicht vermutet er ein Manöver, mit dem sie die Falange erledigen wollen, nichts weiter. Hätte er genaue Kenntnis dessen, was die Militärs wirklich aushecken, würde er mit Sicherheit eine Dummheit begehen. Darum lasse ich ihn lieber im Unwissen.»

«Was denn für eine Dummheit?»

«Die Revolte allein durchzuführen. Dieser Gedanke geht ihm schon seit einiger Zeit durch den Kopf. Er glaubt, wenn die Falange die Initiative ergreift, kann die Armee nicht anders, als ihm zu folgen. Er begreift nicht, dass Mola und Franco imstande wären, ein Falangistenmassaker mit anzusehen, ohne mit der Wimper zu zucken, und dann unter diesem Vorwand gewaltsam die Ordnung wiederherzustellen. Und das ist mein Dilemma, Señor Whitelands: Wenn ich auf die Militärs höre und die Falange ohne Waffen lasse, begehe ich ein Verbrechen, aber wenn ich ihnen die nötigen Waffen verschaffe, begehe ich möglicherweise ein noch größeres, weil ich sie damit in den sicheren Tod schicke. Ich weiß nicht, was ich tun soll.»

«Und solange Sie sich nicht entschieden haben, bleibt der Velázquez im Keller.»

«Das hat im Moment nicht die geringste Bedeutung.»

«Für mich schon.»

Der Herzog stand noch immer. Anthony stand ebenfalls auf. Die Schritte der beiden Männer kreuzten und entkreuzten sich in dem großen Arbeitszimmer. Als er am Fenster vorbeikam, glaubte Anthony aus dem Augenwinkel zu sehen, wie sich im Garten eine Gestalt bewegte. Bei genauerem Hinschauen sah er niemanden und vermutete, dass ihn der Schatten einer vorüberziehenden Wolke oder ein Ast im Wind getäuscht habe. «Señor Herzog», sagte er, während er auf und ab ging, «ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen. Wenn es mir gelingt, José Antonio davon abzubringen, den Aufstand zu initiieren, und ich ihn überzeugen kann, sich dem Diktat der Armee unterzuordnen, würden Sie mir dann erlauben, die Existenz des Velázquez publik zu machen? Das ist nicht viel verlangt: Ich verzichte auf jeglichen Anteil, der sich aus dem eventuellen Verkauf des Bildes ergibt, ob legal oder illegal, ob inner- oder außerhalb Spaniens. Wie Sie vorher gesagt haben, mag ich ein Idealist sein, aber meine Ideale sind nicht politischer Natur – ich habe nicht im Sinn, die Welt zu verändern. Als Teil meines Studiums habe ich genug von der Geschichte mitbekommen, um zu wissen, wohin sämtliche Versuche, die Gesellschaft und die menschliche Natur zu verbessern, geführt haben. Aber an die Kunst glaube ich wirklich, und für die Kunst bin ich alles zu geben bereit – oder fast alles, ein Held bin ich auch wieder nicht.»

Während er sich den Vorschlag des Engländers anhörte, war der Herzog weiterspaziert, die Hände auf dem Rücken verschränkt und den Blick auf den Teppich gerichtet. Plötzlich blieb er stehen, schaute Anthony fest an und sagte: «Einen Moment lang habe ich befürchtet, Sie würden meine Tochter in das Tauschgeschäft einbeziehen.»

Der Engländer lächelte. «Ehrlich gesagt, habe ich das erwogen. Aber ich empfinde einen großen Respekt für Paquita und würde sie nie zum Gegenstand eines Geschäfts machen. Sie müsste es sein, die meine Gefühle erwidert, und diesbezüglich mache ich mir keine Illusionen. Mit dem Velázquez halte ich mich für gut bezahlt.»

Der Herzog breitete in einer zustimmenden Geste die Arme aus. «Sie sind ein Gentleman, Señor Whitelands», rief er emphatisch.

Anthony kam nicht umhin zu erröten, als er das Lob eines Vaters hörte, der nicht wusste, was sich zwischen ihm und seinen Töchtern ereignet hatte. «Und wie gedenken Sie ihn zu überzeugen?», fuhr der Herzog sogleich fort. «José Antonio gehört nicht zu denen, die sehr leicht das Handtuch werfen.»

«Lassen Sie das meine Sorge sein», antwortete der Engländer. «Ich habe noch einen Trumpf im Ärmel.»