Kapitel 3 – Bevor Sie sich verändern, sollten Sie wissen, wer Sie sind
Nun kommen wir zu dem Teil des Buches, den man als Selbstanalyse und Selbstcoaching beschreiben könnte. Wenn Sie etwas an sich ändern möchten, es womöglich immer wieder neu versuchen, sollten Sie einen Blick darauf werfen, wer Sie gerade sind.
Wenn ich meine Klienten frage, wer sie gerade sind, dann stutzen viele zunächst einmal. »Warum soll ich mich denn damit beschäftigen? Ich möchte mich verändern! Ich möchte ja gerade nicht mehr so sein wie jetzt!« Über all die Änderungswünsche vergessen die meisten Menschen ihre Fähigkeiten und Talente und übersehen, dass sie einzigartig sind und in vielerlei Hinsicht gut, wenn nicht sogar brillant. Und sie übersehen auch, dass wir uns ja permanent verändern und ganz sicher nicht die oder der Alte sind, die andere Menschen immer meinen in uns zu entdecken. Man denke nur an Klassentreffen!
Wir neigen dazu, unsere Schwachpunkte genau zu sezieren, zu analysieren, sie anzuprangern und zu verdammen – unsere Stärken fallen dabei unter den Tisch. Sie sind uns viel zu selbstverständlich, als dass sie uns noch auffielen. Dabei haben wir alle unsere besonderen Stärken!
Ich habe mir deshalb angewöhnt, von Zeit zu Zeit Menschen zu fragen, wie sie mich wahrnehmen und was sie an mir entdecken. Es ist ein Sammeln von Eindrücken, denn ich möchte auf diese Weise meine blinden Flecken finden, damit meine ich die Seiten an mir, die ich ohne fremde Hilfe nicht erkenne.
Als blinden Fleck bezeichnet man in der Sozialpsychologie die Teile des Selbst, die von einer Persönlichkeit nicht wahrgenommen werden. Eine ähnliche Situation kennen Sie auch vom Autofahren. Im Rückspiegel kann man nicht alles sehen, es gibt einen toten Winkel. Bei Überholmanövern ist der sehr gefährlich.
Was wir an uns selbst nicht kennen, kann auf der Fahrt durch das Leben ebenfalls gefährlich werden. Gute Freunde sind dann wie ein gut eingestellter Rückspiegel inklusive Schulterblick. Sich ein Feedback bei seinen Freunden oder Menschen, die man achtet, einzuholen, ist eine spannende Möglichkeit, mehr über sich zu erfahren. Möglicherweise entdecken Sie Facetten an sich, die Ihnen bislang entgangen sind. Ich habe dies vor gar nicht allzu langer Zeit ausprobiert. Mein Vorgehen war dabei Folgendes: Ich wollte wissen, was meine Freunde oder Bekannten von mir denken und ich ging davon aus, dass ich mit den Antworten wertvolle Informationen über mich erhalten würde. Andere Menschen erleben mich aus der Distanz, das ergibt das sogenannte Fremdbild. Ich wollte gerne erfahren, wie diese Menschen mich wahrnehmen, um eine private Selbstbild-Fremdbild-Analyse durchzuführen. Mein Vorgehen dabei war folgendermaßen: Ich überlegte, von wem ich eine Rückmeldung schätzen würde, formulierte meine Fragen und rief diese Menschen an und erklärte ihnen meine Bitte und den Sinn, der für mich dahintersteckte. Ich stellte ihnen frei, mir diese Rückmeldung zu geben, vereinbarte die Rückmeldeschleife (Termin) und überlegte mir, wie ich mich bei ihnen bedanken könnte. Denn es ist ein sehr freundschaftlicher und hilfsbereiter Akt, wenn andere Menschen für uns über uns nachdenken.
Wichtig war mir darüber hinaus Folgendes: Ich sagte allen zu, die Rückmeldungen, egal ob positiv oder negativ, anzunehmen und sicherte zu, mich weder zu rechtfertigen, noch mich zu erklären, unliebsam nachzubohren oder sauer zu werden. Allerdings erbat ich mir die Möglichkeit, nach erklärenden Beispielen fragen zu dürfen, sollte ich eine Rückmeldung nicht verstehen. Zudem hatte ich ein paar Verhaltensweisen von mir im Kopf, die ich als verändert wahrnahm. Zeigte sich das bereits nach außen? Hatte sich meine Mühe bis hierher gelohnt, oder täuschte ich mich und war noch immer die Alte, zumindest in diesem Punkt? Denn, machen wir uns nichts vor, unser altes Ich ist zuweilen so bequem wie ein Paar alte Hausschuhe, in das wir nur zu gern schlüpfen.
Diese Übung erfordert etwas Nachdenken und Mut, denn erst einmal muss man herausfinden, von welchem Menschen man sich eine Rückmeldung wünscht und annehmen kann. In der Regel handelt es sich um Menschen, die wir schon länger kennen und schätzen, aber auch der ganz frische Blick von einem Menschen, den wir erst kurz oder nur flüchtig kennen, kann Interessantes und Aufschlussreiches offenbaren. Ich selbst hatte eher den Wunsch, in die Tiefe zu gehen, und das ist nur mit Menschen möglich, die einander schon länger Weggefährten sind.
Es können dabei Ihnen unbekannte Eigenschaften, unbewusste Talente, blinde Flecken, für andere unverständliche oder nicht nachvollziehbare Verhaltensweisen oder bestimmte Charakterzüge herauskommen. Ich konnte dank dieser Übung eine Macke an mir entdecken, von der ich noch gar nichts wusste, und die ich seitdem augenzwinkernd an mir liebe.
Stellen Sie sich vor: Mir ist keine Tasse Kaffee recht. »Du bestellst Wasser nach, weil dein Kaffee zu stark ist«, verriet mir Lutz. »Oder du möchtest einen zusätzlichen Espresso, weil er zu schwach ist. Die Tasse ist entweder zu klein oder zu klobig, oder die Form stimmt, aber leider die Farbe nicht. Und dann bestellst du zu deinem Kaffee ein Kännchen warme Milch extra, obwohl sich alle Welt auf Cappuccino und Latte macchiato eingerichtet hat und es kaum mehr Milchkännchen gibt. Was den Kaffee angeht, bist du eine sehr anspruchsvolle Frau. Du hast ’nen Tick, und den mag ich sehr!«
Iiiich? Mäkelig mit meinem Kaffee? Wie Meg Ryan in dem Film Harry und Sally, wenn sie die Salatsoße auf einem Extrateller haben möchte? Diese Macke hatte ich vorher noch nie bei mir bemerkt. Und nach einem ersten Stutzen fand ich sie wundervoll! Diese Macke wollte ich auf jeden Fall behalten! In so vielen anderen Dingen bin ich unkompliziert und pragmatisch, aber dieser Kaffeetick hat etwas Reizendes. Wenn ich heute in ein Café gehe, lebe ich meinen Tick mit Genuss aus.
Rückmeldungen sind nicht nur kritisch. Sie können auch sehr amüsant und überraschend sein!
Aber ich ahne schon, Sie wollen wissen, ob mich auch etwas entsetzte oder traf. Nein. Es passierte nichts, das mich entsetzte. Die wichtigste Erkenntnis war für mich, dass ich mich, meine Fähigkeiten und Schwächen ziemlich gut einschätzen kann. Allerdings war es schön, dass meine Verhaltensweisen, die ich selbst als störend erlebe (launisch, mürrisch, maulfaul) längst nicht so stark wahrgenommen werden, wie befürchtet. Zu meiner großen Freude wurde ich eher als geduldig, zuverlässig und einfühlsam beschrieben. Da es von mir ausgewählte Menschen waren, konnte ich die Rückmeldung entsprechend ernst nehmen und annehmen.
Insgesamt habe ich diese Übung als sehr motivierend empfunden. Ich habe mich über die Rückmeldungen gefreut, denn sie zeigten auch, dass meine Freunde bereit sind, sich wirklich Gedanken über mich zu machen. Welch ein Geschenk! Wenn Sie sich mit Lust und Freude in eine Veränderung begeben wollen, dann ist es sehr wichtig für Sie zu wissen, worin Ihre Stärken liegen. Auf das, was Sie schon einmal gut konnten, können Sie aufbauen.
Jede Reise – ob nun zu einer neuen Fähigkeit oder gar zu einem neuen Selbst – braucht einen Startpunkt und ein Ziel. Wenn Sie Ihren Garten umgestalten wollen, müssen Sie zunächst wissen, wie Ihr Garten beschaffen ist. Sie brauchen einen Überblick darüber, wie die Bodenverhältnisse sind, um zu wissen, was Sie pflanzen können und an welchen Stellen Sie besonders düngen müssen. Sie sollten wissen, wo die Schattenecken sind, da kommen die lichtempfindlichen Pflanzen hin. Und wenn Sie die Sonnenseiten Ihres Gartens kennen, können Sie dort die schillerndsten Blumen säen. Sie sollten auch wissen, wie groß Ihr Garten ist – so ist Ihnen bewusst, wie viele verschiedene Dinge Sie pflanzen können.
Ähnlich ist es mit Ihrer Persönlichkeit: Der erste Schritt zur Veränderung führt über die Selbsterkenntnis.
) Welche Vorteile hat Ihnen Ihr bisheriges Verhalten eingebracht?
) Erinnern Sie sich an ein Beispiel, wo das gewünschte Verhalten sich schon einmal gezeigt hat?
) Können Sie etwas aus diesem alten Beispiel auf den neuen Wunsch übertragen?
Das Rad muss nicht immer wieder neu erfunden werden. Auch nicht, wenn es um persönliche Wünsche und Veränderungen geht. Sich selbst auf die Finger zu schauen, wie und warum man etwas macht, hilft darüber hinaus zu erkennen, dass sich hinter jedem Verhalten ein guter Grund versteckt. Wenn Sie etwa »faul sind« und etwas partout nicht lernen wollen, obwohl Sie sich dazu verdonnert haben, dann kann es sein, dass die Inhalte nicht passen oder Ihre innere Struktur noch nicht versteht »Warum Sie den Käse lernen sollen«. Wenn etwas Käse ist, warum sollten Sie sich damit abmühen? Es ist dann clever, die Unterlagen zur Seite zu schieben. Sie handeln also effektiv und ganz und gar nicht faul. Selbsterkenntnis und Selbststeuerung helfen Ihnen jedoch, im Käse einen Sinn zu finden, damit Sie sich vielleicht dann doch an diese Aufgabe machen. Erst dieser Sinn oder eine Begeisterung für die Sache bringen uns dazu, Dinge anzupacken, die wir eigentlich zuerst nicht mochten.
Vielleicht halten Sie sich aber auch nur für unordentlich und haben sich nun lebenslang zu mehr Struktur und Klarheit verdonnert. Im Selbstcoaching könnten Sie feststellen, dass Ihre Meinung von Ihnen vielleicht gar nicht stimmt. Zumindest nicht in der Ausschließlichkeit. Ja, auf Ihrem Schreibtisch herrscht möglicherweise Chaos. Aber wenn Sie die Finanzen Ihres Vereins verwalten, sind Sie durch und durch korrekt, alles ist dort abgeheftet, wo es hingehört, alles ist perfekt organisiert. Der Blick aus der Metaebene, also wie von oben herab, zeigt, dass Sie nicht immer unordentlich sind. Es wäre schön, wenn der Schreibtisch von der Vereinsarbeit profitieren könnte. Aber vielleicht brauchen Sie auch das Chaos am Arbeitsplatz, um zur Höchstleistung zu kommen. Wer weiß? In gezielten Gesprächen mit sich selbst, könnten Sie auch darauf eine Antwort finden.
Indem Sie sich damit beschäftigen, wer Sie sind, erfahren Sie Hilfreiches und können besser identifizieren, in welchen Bereichen und ob Sie sich überhaupt verändern wollen. Sich selbst zu kennen hilft Ihnen, die richtigen Veränderungswünsche anzupacken und tatsächlich ans Ziel zu gelangen. Was für ein spannender Prozess!
Wie lernen Sie sich kennen?
»Erkenne dich selbst! – Aber wie?«, so die Kapitelüberschrift in einem Ratgeber der 50er-Jahre. Das psychologische Handbuch für den Haushalt war mir bei einem meiner vielen Flohmarktbesuche in die Hand gefallen. Dass es Menschen leichter fällt, andere Menschen zu analysieren und zu erkennen, war auch damals schon bekannt. »Aber versuchen Sie nun, eine Charakteristik von sich selbst zu schreiben! Dann erst werden Sie merken, wie schwer das ist! Vielleicht fallen Ihnen zahlreiche Einzelzüge ein; aber es ist kaum anzunehmen, dass diese sich zu einem Ganzen fügen.« Weiter wusste der Autor, dass die Bekannten, und »darauf kann man wetten – höchst skeptisch den Kopf schütteln und leise oder laut lachen«. So hatte es auch der Autor des Buches vor vielen Jahrzehnten bereits erkannt. »Gerade weil man sich der Nächste ist, ist man sich so nahe, dass man sich als Ganzheit nicht überschauen kann.«
Zum Glück hat sich die Psychologie in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Wir wissen sehr wohl, dass Menschen auch zu sich selbst einen Abstand finden und wie von einer Metaebene aus sich und das eigene Handeln betrachten können.
Möchten Sie diese Sicht einmal probieren? Dann nehmen Sie eine x-beliebige Situation der letzten Tage. Was haben Sie gemacht, mit wem geredet und was erlebt? Und nun stellen Sie sich vor, dass Sie die gleiche Situation aus einer anderen Perspektive betrachten, zum Beispiel aus der Perspektive einer anderen Person, die dieselbe Situation miterlebt hat. Oder Sie überlegen, wie Sie von der Situation in fünf Jahren berichten würden. Verändert sich Ihr Gefühl und haben Sie möglicherweise jetzt einen etwas größeren Überblick? Einen Überblick, der Ihnen ermöglicht, über den Tellerrand der Situation zu blicken? Haben Sie etwas entdeckt, was Sie eben noch nicht sahen? Dieser Blick fühlt sich gut an, finden Sie nicht auch? Ein wenig neugierig, ziemlich neutral und mit viel Raum für Neues.
Genau diese innere Haltung ist es, die für Sie nun vorteilhaft ist, wenn Sie sich im Selbstcoaching erproben wollen. Zeigen Sie sich neugierig und seien Sie gespannt auf sich, geradeso, als würden Sie einen anderen Menschen kennenlernen. Vielleicht bei einem Tanzkurs und Sie treffen sich immer wieder. Wer ist dieser Mann, denken Sie vielleicht. Es interessiert mich, warum er alleine tanzen geht. Oder wenn Sie ein Mann sind, dann überlegen Sie vielleicht: Wer ist wohl diese Frau, sie hat etwas, das mich neugierig macht, mehr von ihr zu erfahren. Wie man anderen Menschen mit freundlicher Neugier begegnet, so kann man auch sich selbst gegenüber aufgeschlossen sein. Die Freundlichkeit dem eigenen Ich und Leben gegenüber wird Erinnerungen wecken und Zusammenhänge erkennbar machen. Bestimmt werden Sie manchmal erstaunt sein und sicher von der Erfahrung profitieren, deswegen machen Sie sich Notizen. Es wäre zu schade, diese wertvollen Impulse wieder zu vergessen. Notizen sind wie Verabredungen mit sich selbst.
Werden Sie Ihr eigener Coach!
Sie brauchen nicht unbedingt eine andere Person, die Sie darin unterstützt, neue Perspektiven für Ihr Leben zu finden und die Dinge aus einer anderen Sicht heraus oder von einer anderen Ebene aus zu betrachten. Sie können sich auch selbst ein reflektierender Spiegel sein, ohne, dass Sie direkt vor einem Spiegel sitzen.
Ein Coaching hat immer zum Ziel, zu einem neuen Verhalten beziehungsweise zu neuen Haltungen in bestimmten schwierigen Situationen zu finden. Wenn das Coaching gut läuft, tauchen Lösungen, die bisher nicht in Sicht waren, am Horizont auf, echte Veränderung wird dadurch realistisch.
Das englische Wort »Coach« bedeutet auf Deutsch »Kutsche«. Das trifft es gut: Ein Fahrzeug, das uns weiter bzw. zu anderen Orten bringt. Im Sport gibt es den Begriff schon lange: Der »Coach«, also der Trainer, holt aus dem Talent und der Motivation des Sportlers das Optimum heraus.
Und so ist es eben auch im Coaching außerhalb des Sports: Der Coach unterstützt seinen Klienten in der Verwirklichung seiner Bedürfnisse oder Wünsche, macht Ziele und Lösungen gemeinsam mit dem Klienten sicht- und erfahrbar.
Dabei sind immer die Fragen an den Klienten ein ganz wichtiges Mittel. Sie regen die Selbstreflexion an und führen damit zu neuen Sichtweisen. Wenn Sie nun Ihr eigener Coach sind, geht es darum, sich selbst zu befragen, und zwar in einer grundsätzlich wertschätzenden und liebevollen Art. Eine erste Frage könnte sein: Was war der Auslöser für mich, dieses Buch in die Hand zu nehmen?
) War es Neugier?
) Haben Sie das Buch empfohlen bekommen?
) War es ein »Wink mit dem Zaunpfahl«?
) Ein Rettungsanker?
) Haben Sie es einfach mal so gekauft?
) … oder gesucht und gefunden?
Ich finde es immer sehr spannend, die ersten Impulse herauszufinden. Darin verstecken sich Hoffnungen, Sehnsüchte und Wünsche. Was uns drängt, bewegt und zieht, ist unbedingt eine Beachtung wert.
Allerdings ist es gut, den roten Faden im Blick zu behalten, statt von einem Punkt zum anderen zu springen. Themen-Hopping nenne ich das. Vielleicht möchten Sie sich eine persönliche Prioritätenliste anlegen? Auf ihr können Sie notieren, welche Themen am dringlichsten sind, welche noch ein wenig Zeit haben und welche Sie zunächst hintanstellen wollen. Sie müssen sich aber nicht sklavisch an diese Liste halten! Manche Themen, Fragen etc. können sich auch von ganz alleine klären, indem Sie sich mit einem verwandten Thema befassen. Oder ein neues Thema tut sich auf, das spürbar dringlicher ist als das, womit Sie eigentlich als Nächstes arbeiten wollten.
… Sie mögen keine Listen? Na, dann zeichnen Sie einen bunten Blumenstrauß, und geben Sie jeder Blume einen »Thema-Namen«. Oder malen Sie sich eine Villa Kunterbunt und jeder Raum steht dann für einen inneren Raum, den Sie gerne betreten würden.
Ob Sie nun eine Liste führen oder sich Ihre Themen wie bunte Blumen »pflücken« –bleiben Sie jedem Thema gegenüber aufgeschlossen, das sich in Ihnen meldet und geben Sie sich die innere Freiheit, flexibel darauf zu reagieren!
Ganz praktisch: Wann redet man mit sich?
Das bleibt Ihnen überlassen. Manche Menschen brauchen einen festen Rahmen – fast wie bei einer Meditation, andere wieder befassen sich am liebsten beim Joggen, beim Putzen oder bei längeren Autofahrten mit den inneren Themen. Vom Selbstcoaching beim Autofahren würde ich eher abraten. Zum einen brauchen Sie Ihre Konzentration für den Straßenverkehr, zum anderen können Sie beim Autofahren nichts aufschreiben, was ich für sehr nützlich halte. Vielleicht dann eher eine längere Bahnfahrt nutzen?
Letztlich ist es aber nicht wesentlich, wann und wo Sie sich mit sich beschäftigen. Wichtig erscheint mir nur eine gewisse Konzentration, denn Sie wollen ja sich selbst befragen und Ihren inneren Antworten lauschen. Das kann auch beim Spaziergang durch die Stadt sein. Ich laufe zum Beispiel stundenlang durch Wien und denke dabei über mein Leben nach.
Formulieren Sie eindeutig und positiv, was Sie erreichen wollen. Das wirkt besser als zu beschreiben, was Ihnen alles an sich missfällt. Und: Wenn Sie wissen, was genau Sie sich wünschen, dann können Sie es sich leichter erfüllen!
Fragen, die Sie sich als Ihr eigener Coach immer wieder stellen sollten:
) Was ist mein genaues Anliegen? Was wünsche ich mir?
) Welche Beispiele fallen mir dafür ein?
) Welchen Nutzen konnte ich aus meinem bisherigen Verhalten ziehen?
) Welchen Vorteil brächte es mir, es anders zu machen?
) Was kann ich selbst zur Neugestaltung beitragen?
) Was bremst mich?
) Wenn das, was mich bremst, eine gute Absicht hätte, welche wäre das?
) Woran werde ich merken, dass ich mein Ziel erreicht habe?
) Wie werden meine Familie und meine Kollegen mit meiner Veränderung umgehen?
) Falls diese mit Vorbehalten auf die Veränderung reagieren: Wie könnte ich sie mit ins Boot holen?
Sie merken vielleicht schon, dass selbst ein erster Fragenkatalog ein Vorhaben von allen Seiten betrachten kann. Gehen Sie nicht zu schnell voran, denn Veränderung braucht Zeit. Der Volksmund sagt: »Wer rastet, der rostet!« Im Coaching würde ich eher sagen »Wer hetzt, verpasst die besten Ausblicke!« Deswegen halte ich persönlich von Speed-Coaching und Highspeed-Coaching nichts. Impulse sind leicht möglich, aber mit Coaching haben diese Beratungen meines Erachtens nichts zu tun. Ist es nicht genau der zweite Blick, der das Gold im Schlamm entdeckt? Reservieren Sie sich also Zeit für sich und laden Sie sich zu interessanten Gesprächen ein.
Die Kunst, sich selbst die richtigen Fragen zu stellen …
Die richtigen Fragen können als Wegweiser zu einer Veränderung oder zu einer Entscheidung führen. Was Sie möchten und was lieber nicht, kann Ihnen durch Fragen und Ihre inneren Antworten darauf verblüffend schnell deutlich werden. Und was deutlich wird, das können Sie bearbeiten – eine Lösung rückt näher.
Wann ist eine Frage nun aber gut? Nun, grundsätzlich können wir festhalten, dass eine Frage gut ist, wenn sie eine klare Antwort begünstigt. Und das ist der Fall, wenn die Frage:
) eindeutig ist, zum Beispiel: »Was hat dich abgehalten, das Thema gestern im Gespräch einzubringen?«
) im direkten Kontakt mit den inneren Vorgängen steht, zum Beispiel: »Welche Ängste haben sich dabei gemeldet?«
) zum richtigen Zeitpunkt und damit zeitnah an der erlebten Situation gestellt wird.
) an wirklichen Antworten interessiert ist.
) in einer freundschaftlichen und wertschätzenden Haltung der eigenen Person gegenüber gestellt wird.
Es kann zum Beispiel sein, dass Sie eine dringliche Frage an sich selbst stellen, aber nach einer Weile feststellen, dass Sie im Moment keine Antwort darauf haben. Auch das ist eine wertvolle Information! Bleiben Sie dennoch am Thema dran und geben Sie sich immer wieder Zeit und Raum, um in Ruhe eine Antwort zu finden oder ihr zumindest näher zu kommen. Vielleicht ist es gerade einfach nicht der richtige Moment!
Tipp: Fragen Sie sich selbst auch immer wieder, ob Sie tatsächlich an Ihrer ureigenen Antwort interessiert sind! Denn allzu oft tragen wir vorgefertigte, von anderen Menschen geprägte Einstellungen mit uns herum, die eine Antwort verfärben können. Horchen Sie immer wieder in sich hinein: Ist diese Stimme, die mir da die Antwort gibt, wirklich MEINE Stimme? Oder spricht hier aus mir vielleicht eher meine Mutter/mein Vater/meine älteste Schwester o.a.?
Stellen Sie sich Fragen so, als ob der Fragende ein guter Freund oder eine andere Ihnen wohlgesonnene Person wäre, zum Beispiel so:
) Erzähl mir, warum du in diese Richtung gehst! Mich interessieren deine Gedanken, die deinen Weg zu dieser Lösung begleiten.
) Welche Erfahrungen hast du mit diesem Vorgehen schon früher einmal gemacht?
) Wozu, glaubst du, dient es? Welchen Gewinn bringt dir diese Entscheidung?
) Welches Ergebnis wünschst du dir?
) Was bräuchte es, damit du zum gewünschten Ergebnis kommst?
) Was würdest du dir selbst jetzt raten?
) Könntest du dir auch noch einen anderen Weg vorstellen?
Es gibt mehrere Arten von Fragen, die Sie sich selbst stellen können und die, je nach Charakter, immer auch eine bestimmte Art von Antwort provozieren. Erst einmal können Sie zwischen offenen und geschlossenen Fragen unterscheiden.
Geschlossene Fragen sind Fragen, auf die Sie im Grunde nur mit »Ja« oder »Nein« antworten können. Solche Fragen an sich selbst könnten dann lauten:
) Hast du dich schon einmal mit diesem Gefühl beschäftigt?
) Möchtest du diesem Gefühl auf den Grund gehen?
Geschlossene Fragen werden Ihnen wenig dienlich sein, wenn es darum geht, Ihr Inneres genauer zu erforschen. Sie bringen Sie kaum weiter. Wahrscheinlich werden Sie auch feststellen, dass Sie sich selbst ganz instinktiv eher offene als geschlossene Fragen stellen, wenn Sie mit sich selbst in gutem Kontakt stehen und auf Ihre inneren Vorgänge neugierig sind.
Offene Fragen sind immer ergebnisoffen und lassen zahlreiche mögliche Antworten zu. Sie lassen Raum für Ideen, das Weiterspinnen von Gedanken, für Visionen und Wünsche. Mit offenen Fragen ermuntern Sie sich selbst, etwas von sich zu erzählen.
Hier ein paar Beispiele für solche offenen Fragen:
) Wie geht es mir dabei?
) Wie wirkt sich diese Entscheidung auf mein Leben aus?
) Was möchte ich dadurch verändern?
) Welche Vorstellungen habe ich über die Zeit nach dieser Veränderung?
W-Fragen (Informationsfragen)
Fragen, die Sie oft in Interviews hören oder lesen, sind sogenannte W-Fragen. Für Journalisten sind die sehr klaren und oft knappen W-Fragen das A und O, um Informationen aus ihrem Gegenüber herauszuholen. Genauso können Ihnen solche Fragen sehr zweckdienlich sein, wenn es darum geht, erst einmal mehr über Ihre inneren Vorgänge und Beweggründe herauszufinden. Bei den W-Fragen steht jeweils eines der Fragewörter »Was«, »Wer«, »Wie«, »Wann« und »Wo« am Anfang. Zum Beispiel:
) Wie will ich mich fühlen, wenn mein Chef unfreundlich zu mir ist?
) Welche Gefühle löst die Begegnung mit meiner neuen Kollegin in mir aus?
) Wer kann mir in diesem Punkt weiterhelfen?
) Wann spüre ich den Moment in mir aufkeimen, dass ich gleich »platze«?
) Welche Bilder steigen in mir auf, wenn sich meine Partnerin mit einem anderen Mann gut unterhält?
) Was muss der Arbeitsplatz meiner Träume mitbringen?
) Wann möchte ich dieses Ziel erreicht haben?
) Wie sieht meine ideale Freizeitgestaltung aus?
) Welche Voraussetzungen brauche ich, um die gewünschte Veränderung zu erreichen?
Skalierungsfragen
Skalierungsfragen sind sehr hilfreich, wenn Sie in Ihrem Veränderungsprozess gerne strategisch vorgehen möchten. Eine Skalierungsfrage an sich selbst könnte lauten:
»Auf einer Skala von 0 bis 10, bei der 0 bedeutet, das Ziel ist überhaupt nicht erreicht, und 10 bedeutet, das Ziel ist vollständig erreicht – wo stehe ich im Moment?«
Wenn Ihre Antwort darauf beispielsweise »5« lautet, können Sie weiterfragen:
) Was brauche ich, um der 9 oder 10 näher zu kommen?
) Was war hilfreich, um die 5 zu erreichen?
) Was habe ich bis jetzt schon gewonnen und dazugelernt?
Die Skalierungsfragen unterstützen die Sicht auf Teilziele und Lösungsschritte und helfen dabei, Erfolge festzulegen.
Sondierungsfragen
Mit diesem Fragentyp können Sie besonders gut herausfinden, wie Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu dem Thema stehen, das Sie sich als nächstes vornehmen möchten. Sie werden durch diese Fragen zum Beispiel herausfinden, ob Sie mit diesem Thema schon Erfahrungen gemacht haben, welche Gefühle dieses Thema in Ihnen auslöst usw. Sondierungsfragen können beispielsweise so lauten:
) Wie wichtig ist es mir, in diesem Lebensbereich etwas zu verändern?
) Wie bin ich bisher mit Konflikten in diesem Bereich umgegangen?
Innere Dialoge, also Gespräche mit sich selbst, sollten Sie immer respektvoll und wohlwollend führen. Sie sind Ihr eigener Coach, das heißt: Sie sind auf Ihrer Seite!
Wenn Sie sich mit dem Thema Fragen genauer befassen wollen, um Ihre persönliche Coachingstunde oder auch die Gespräche mit anderen Menschen effektiver zu gestalten, finden Sie im Anhang des Buches eine kleine Auswahl. Gehen Sie Ihren Gedanken nach und zwingen Sie sich nicht zu Antworten – wenn Ihnen nichts einfällt auf eine Frage, dann ist das völlig in Ordnung.
Vergessen Sie nicht, dass die Emotion, die Sie befragen, auch genährt wird – wie die folgende kurze Geschichte zeigt:
Die zwei Wölfe
Ein indianischer Großvater sprach mit seinem Enkel über seine Gefühle angesichts einer schwierigen Situation.
Er sagte: »Weißt du, es ist so, als ob zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen. Der eine Wolf ist rachsüchtig, wütend und gewalttätig. Der andere ist im Schmerz, voller Trauer und Mitgefühl.«
Der Enkel wurde aufgeregt und fragte: »Aber Großvater – welcher Wolf wird denn nun den Kampf in deinem Herzen gewinnen?«
Der Großvater lächelte und sagte: »Der Wolf, dem ich Futter gebe.«
Als Ihr guter Coach und Berater sind Sie an all dem interessiert, was Sie voranbringt. Das sind gute Reflexionen, Wertschätzung, Motivation und ein genaues Hinsehen. Im nächsten Kapitel werden Sie lesen, dass wir dazu nicht unbedingt erzogen wurden und die Gesellschaft eher »speedy« denkt. Was wir erkennen, das können wir verändern. Egal, ob es ein Verhalten ist oder unser persönliches Verhältnis zu uns selbst.