Fünf
Es war ein Sommer des Jagens und der Spähtrupps. Unbeschäftigte Männer sind unglückliche Männer, und so kaufte ich mit dem geliehenen Silber Pferde, und wir ritten nach Norden, um das Grenzgebiet zu Sigurds Besitzungen auszukundschaften. Falls Sigurd von meiner Anwesenheit wusste, reagierte er nicht darauf, vielleicht fürchtete er eine weitere List, wie die, mit der wir seine Männer in einen sinnlosen Kampf mit den grausamen Walisern geführt hatten, doch wir suchten keine Auseinandersetzung. Ich hatte nicht genügend Männer, um es mit Sigurd aufzunehmen. Zwar ließ ich mein Banner flattern, aber in Wahrheit war das alles nur Blendwerk.
Haesten war noch immer in Ceaster, wenn die Garnison nun auch fünfmal größer war als im Frühling. Die Neuankömmlinge waren jedoch nicht Haestens Männer, sondern Schwurleute von Sigurd und seinem Verbündeten Cnut Langschwert, und sie reichten aus, um den gesamten Ringwall der alten Festung zu bewachen. Sie hatten ihre Schilde an die Palisade und ihre Banner ans südliche Torhaus gehängt. Sigurds Erkennungszeichen, der fliegende Rabe, wurde neben Cnuts Flagge mit der Axt und einem zerschmetterten Kreuz gezeigt. Es gab keine Flagge von Haesten, was mir sagte, dass er sich einem der beiden größeren Herren unterstellt hatte.
Merewalh vermutete, dass jetzt etwa tausend Männer in der Festung waren. «Sie werden versuchen, uns herauszufordern», erklärte er mir. «Sie wollen den Kampf.»
«Und Ihr wollt ihn nicht?»
Er schüttelte den Kopf. Er hatte nur hundertundfünfzig Krieger, also zog er sich jedes Mal zurück, wenn die Garnisonsbesatzung von Ceaster einen Ausfall machte. «Ich bin nicht sicher, wie lange wir uns hier noch halten können», gab er zu.
«Habt Ihr Herrn Æthelred um Unterstützung gebeten?»
«Das habe ich», sagte er düster.
«Und?»
«Er sagt, wir sollen sie einfach nur beobachten.» Merewalh klang angewidert. Æthelred hatte genügend Männer, um einen Krieg zu führen, er hätte Ceaster erobern können, wann immer es ihm gefiel, doch stattdessen tat er gar nichts.
Ich zeigte meine Anwesenheit, indem ich mit meinem Wolfskopf-Banner bis dicht vor die Wälle ritt, und dieser Versuchung konnte Haesten nicht widerstehen. Dieses Mal verließ er die Festung mit einem Dutzend Männer, ritt jedoch allein auf mich zu und breitete die Arme aus. Wie üblich grinste er. «Das war schlau, mein Freund», lautete seine Begrüßung.
«Schlau?»
«Jarl Sigurd war nicht sehr erfreut. Er kommt, um mich zu retten, und Ihr verbrennt seine Flotte. Er ist nicht glücklich.»
«Ich hatte auch nicht vor, ihn glücklich zu machen.»
«Und er hat geschworen, dass Ihr sterben werdet.»
«Ich glaube, du hast einmal das Gleiche geschworen.»
«Ich erfülle meine Schwüre», sagte er.
«Du brichst Deine Schwüre wie ein ungeschicktes Kind Eier zerbricht», sagte ich verächtlich. «Nun? Vor wem hast du das Knie gebeugt? Sigurd?»
«Vor Sigurd», bestätigte er, «und als Gegenleistung hat er mir seinen Sohn geschickt und dazu noch siebenhundert Mann.» Er deutete nachlässig auf die Reiter, die mit ihm aus der Festung gekommen waren, und ich sah das mürrische junge Gesicht Sigurd Sigurdsons, der mich finster anstarrte.
«Und wer führt hier den Befehl?», fragte ich. «Du oder der Junge?»
«Ich», sagte Haesten. «Meine Aufgabe ist es, ihm Vernunft beizubringen.»
«Das erwartet Sigurd ausgerechnet von dir?», fragte ich, und Haesten ließ sich zu einem Lachen herab. Dann sah er an mir vorbei zum Waldrand und versuchte auszumachen, wie viele Männer ich wohl mitgebracht hatte, um Merewalhs Truppen zu verstärken. «Genügend, um dich zu erledigen», beantwortete ich seine unausgesprochene Frage.
«Das bezweifle ich», sagte er, «sonst würdet Ihr nicht reden, sondern kämpfen.»
Das stimmte allerdings. «Und was hat dir Sigurd als Lohn für deinen Treueid versprochen?», fragte ich.
«Mercien.»
Nun war ich mit dem Lachen an der Reihe. «Du bekommst also Mercien. Und wer regiert in Wessex?»
«Derjenige, für den sich Sigurd und Cnut entscheiden», sagte er leichthin. Dann lächelte er. «Ihr vielleicht? Ich glaube, wenn Ihr ein bisschen vor ihm auf dem Bauch kriecht, wird Euch Jarl Sigurd verzeihen. Es wäre ihm lieber, wenn Ihr mit ihm statt gegen ihn kämpft.»
«Und mir wäre es lieber, ihn zu töten. Das kannst du ihm ausrichten.» Ich nahm die Zügel meines Hengstes kürzer. «Wie geht es deiner Frau?»
«Brunna geht es gut», sagte er. Die Frage hatte ihn überrascht.
«Ist sie immer noch Christin?», fragte ich. Brunna war getauft worden, aber ich hatte die ganze Zeremonie für ein hinterhältiges Manöver gehalten, mit dem Haesten Alfreds Misstrauen zerstreuen wollte.
«Sie glaubt an den Christengott», sagte Haesten angewidert. «Ständig jammert sie ihm etwas vor.»
«Ich werde um eine sorgenfreie Witwenschaft für sie beten», sagte ich.
Damit ritt ich weg, doch in genau diesem Augenblick stieß jemand einen Ruf aus, und ich drehte mich um und sah Sigurd Sigurdson auf mich zugaloppieren. «Uhtred!», rief er.
Ich zügelte das Pferd, ließ es umdrehen und wartete.
«Kämpft mit mir», sagte er, sprang aus dem Sattel und zog sein Schwert.
«Sigurd!», sagte Haesten warnend.
«Ich bin Sigurd Sigurdson!», schrie der Grünschnabel. Er blitzte mich von unten herauf an, das Schwert kampfbereit in der Hand.
«Nicht jetzt», sagte Haesten.
«Hör auf dein Kinderfräulein», sagte ich zu dem Jungen, und das ärgerte ihn so, dass er die Klinge gegen mich schwang. Ich wehrte sie mit dem rechten Fuß ab, und das Schwert fuhr gegen das Metall des Steigbügels.
«Nein!», rief Haesten.
Sigurd spuckte in meine Richtung aus. «Ihr seid alt, Euch ist angst und bange.» Erneut spuckte er aus, dann erhob er die Stimme. «Dann sollen sich die Männer erzählen, dass Uhtred vor Sigurd Sigurdson weggelaufen ist!»
Er wollte den Kampf unbedingt, er war jung, und er war ein Narr. Er war recht groß gewachsen, und sein Schwert war gut, aber sein Ehrgeiz überstieg seine Fähigkeiten. Er wollte sich Ansehen verschaffen, und ich dachte daran, dass ich in seinem Alter genau das Gleiche gewollt hatte, und dass ich ein Liebling der Götter war. Liebten sie auch Sigurd Sigurdson? Ich sagte nichts, schüttelte aber die Steigbügel ab, und schwang mich aus dem Sattel. Ganz langsam zog ich Schlangenhauch, lächelte den Jungen an und sah den ersten Schatten des Zweifels in seiner streitlustigen Miene.
«Nicht! Bitte!», rief Haesten. Seine Männer waren herangekommen und meine ebenso.
Ich breitete die Arme aus, lud Sigurd zum Angriff ein. Er zögerte, aber er hatte die Herausforderung ausgesprochen, und wenn er jetzt nicht kämpfte, würde er aussehen wie ein Feigling, und dieser Gedanke war ihm unerträglich, also machte er einen Satz auf mich zu, seine Klinge stieß vor wie eine Schlange, und ich wehrte den Hieb ab, von seiner Schnelligkeit überrascht, und dann schob ich ihn mit der freien Hand weg, sodass er zurücktaumelte. Erneut stieß er zu, ein wilder Schlag, und wieder wehrte ich ihn ab. Ich ließ ihn angreifen, tat nichts, als mich zu verteidigen, und diese Trägheit ließ ihn noch zorniger werden. Er hatte die Schwertkunst erlernt, aber er vergaß in seiner Wut, was man ihm beigebracht hatte. Er schwang die Klinge ungezügelt hin und her, die Hiebe waren leicht aufzuhalten, und ich hörte Haestens Männer Ratschläge rufen. «Benutz die Spitze!»
«Kämpft!», schrie er und holte erneut aus.
«Säugling», sagte ich zu ihm, und er heulte beinahe vor Ohnmachtsgefühlen. Er stieß mit dem Schwert gegen meinen Kopf vor, die Klinge zischte in der Sommerluft, und ich beugte mich nur zurück, während die Spitze an meinen Augen vorbeiraste, und dann trat ich wieder einen Schritt vor und schob ihn erneut mit meiner freien Hand zurück, nur dass ich dieses Mal einen Stiefel hinter seinem linken Knöchel einhakte und er zu Boden ging wie ein Ochse, dem man die Sehnen durchgeschnitten hat, und dann setzte ich ihm Schlangenhauch an die Kehle. «Werd erst einmal erwachsen, bevor du mit mir kämpfst», sagte ich zu ihm. Er wand sich, und dann erstarrte er, weil er spürte, wie sich meine Schwertspitze in seinen Hals grub. «Heute ist nicht dein Todestag, Sigurd Sigurdson», sagte ich. «Und jetzt lass dein Schwert los.»
Er gab einen jämmerlichen Laut von sich.
«Lass dein Schwert los», knurrte ich, und dieses Mal gehorchte er. «Ist es ein Geschenk von deinem Vater?», fragte ich. Er sagte nichts. «Heute ist nicht dein Todestag», wiederholte ich, «aber es ist ein Tag, an den du noch lange denken sollst. Der Tag, an dem du Uhtred von Bebbanburg herausgefordert hast.» Ich hielt einen Moment lang seinen Blick fest, dann ließ ich Schlangenhauch zustoßen, eher aus dem Handgelenk als aus dem Arm heraus, sodass die Klingenspitze seine Schwerthand aufschlitzte. Er krümmte sich zusammen, als das Blut spritzte, dann trat ich einen Schritt weg, bückte mich und hob sein Schwert auf. «Erzähl seinem Vater, dass ich sein Knäblein verschont habe», sagte ich zu Haesten. Ich wischte die Spitze von Schlangenhauch am Saum meines Umhangs ab, warf meinem Diener Oswi das Schwert des Jungen zu und zog mich wieder in den Sattel. Sigurd Sigurdson hielt sich die übel zugerichtete Hand. «Beste Grüße an deinen Vater», sagte ich zu ihm, und dann sprengte ich davon. Ich konnte Haestens erleichterten Seufzer, weil der Junge noch lebte, beinahe hören.
Warum hatte ich ihn am Leben gelassen? Weil er es nicht wert war, getötet zu werden. Ich wollte seinen Vater reizen, und der Tod seines Sohnes hätte das sicher erreicht, aber ich hatte nicht genügend Männer, um gegen Sigurd zu kämpfen. Um das zu tun, brauchte ich westsächsische Truppen. Ich musste warten, bis ich bereit war, bis Wessex und Mercien ihre Kräfte vereint hatten, und deshalb blieb Sigurd Sigurdson am Leben.
Wir hielten uns nicht lange in Ceaster auf. Wir konnten die alte Festung schließlich nicht erobern, und je länger wir blieben, umso wahrscheinlicher würde es, dass Sigurd mit einer überwältigenden Übermacht anrückte. Deshalb überließen wir Merewalh die Beobachtung der Festung und ritten zu Æthelflæds Besitzung im Tal der Temes, und von dort aus schickte ich einen Boten mit der Nachricht zu Alfred, dass Haesten Sigurd Gefolgschaft geschworen hatte und dass Ceaster nicht ausreichend bemannt war. Ich wusste, dass Alfred zu krank war, um viel mit diesen Nachrichten anzufangen, aber ich vermutete, dass Edward oder vielleicht der Witan es wissen wollten. Ich erhielt keine Antwort. Der Sommer ging in den Herbst über, und das Schweigen in Wintanceaster machte mich unruhig. Wir erfuhren von Reisenden, dass der König schwächer war denn je, dass er kaum noch von seinem Lager aufstand und dass seine Familie ständig um ihn war. Von Æthelflæd hörte ich gar nichts.
«Er hätte dir zumindest dafür danken können, dass du Eohrics Plan vereitelt hast», brummte Finan eines Abends. Er sprach natürlich von Alfred.
«Vermutlich war er enttäuscht», sagte ich.
«Dass du überlebt hast?»
Ich lächelte. «Dass der Friedensvertrag nicht zustande gekommen ist.»
Schlecht gelaunt starrte Finan durch den Palas. Das Feuer in der Mitte brannte nicht, weil es ein warmer Abend war. Meine Männer saßen ruhig an ihren Tischen, die Hunde dösten auf dem Binsenstroh. «Wir brauchen Silber», sagte Finan niedergeschlagen.
«Ich weiß.»
Wie hatte ich nur so arm werden können? Den größten Teil meines Geldes hatte ich für den Vorstoß nordwärts zu Ælfadell und Snotengaham verbraucht. Ich hatte zwar noch etwas Silber, doch das genügte bei weitem nicht für meinen Traum, und mein Traum war es, Bebbanburg, die mächtige Festung am Meer, zurückzuerobern. Dazu brauchte ich Männer, Schiffe, Waffen, Nahrungsmittel und Zeit. Ich brauchte ein Vermögen, und jetzt lebte ich von geliehenem Geld in einem schäbigen Palas an der Südgrenze Merciens. Ich lebte von Æthelflæds Mildtätigkeit, und die schien dahinzuschmelzen, denn ich erhielt keinen Brief von ihr. Ich nahm an, dass sie unter dem verderblichen Einfluss ihrer Familie und ihrer eifrigen Priester stand, die immer allzu bereit sind, uns zu erklären, wie wir uns verhalten sollen. «Alfred verdient dich nicht», sagte Finan.
«Er hat gerade anderes im Sinn», sagte ich, «zum Beispiel seinen Tod.»
«Er würde schon lange nicht mehr leben, wenn es dich nicht gäbe.»
«Uns», sagte ich.
«Und was hat er für uns getan?», wollte Finan wissen. «Gott und all seine Heiligen sind Zeuge, dass wir Alfreds Feinde niederwerfen, und er behandelt uns wie Hundedreck.»
Ich sagte nichts. Ein Harfner spielte in der Ecke, aber seine Musik war zu leise und wehmütig, um zu meiner Stimmung zu passen. Das Tageslicht wurde schwächer, und zwei Dienerinnen brachten Binsenlichter für die Tische. Ich sah, wie Ludda seine Hand unter einem Rock hinaufgleiten ließ und wunderte mich wieder darüber, dass er bei mir geblieben war. Ich hatte ihn nach dem Grund gefragt, und er hatte geantwortet, das Schicksal würde Höhen und Tiefen kennen und er spüre, dass es mit mir bald wieder aufwärts ginge. Hoffentlich hatte er recht. «Was ist eigentlich aus diesem walisischen Mädchen von dir geworden?», rief ich zu Ludda hinüber. «Wie hieß sie noch?»
«Teg, Herr. Sie hat sich in eine Fledermaus verwandelt und ist weggeflogen.» Er grinste, ich hatte allerdings bemerkt, wie viele Männer sich bei seinen Worten bekreuzigten.
«Vielleicht sollten wir uns allesamt in Fledermäuse verwandeln», sagte ich düster.
Finan saß mit finsterer Miene am oberen Ende des Tisches. «Wenn Alfred dich nicht will», sagte er unbehaglich, «solltest du dich Alfreds Gegnern anschließen.»
«Ich habe Æthelflæd meinen Schwur geleistet.»
«Und sie hat ihrem Mann einen Schwur geleistet», sagte er grob.
«Ich werde nicht gegen sie kämpfen», sagte ich.
«Und ich werde dich nicht verlassen», sagte Finan, und ich wusste, dass es ihm ernst war, «aber nicht jeder Mann will hier einen Hungerwinter durchstehen.»
«Ich weiß», sagte ich.
«Also stehlen wir ein Schiff», drängte er, «und unternehmen einen Raubzug.»
«Dafür ist es zu spät im Jahr», sagte ich.
«Gott weiß, wie wir den Winter überleben sollen», knurrte er. «Wir müssen etwas unternehmen. Einen Reichen umbringen.»
Und in diesem Moment meldeten die Wachen an der Tür des Palas einen Besucher. Der Mann kam in einem Kettenhemd, den Helm auf dem Kopf, und an seiner Seite hing ein Schwert. Hinter ihm, kaum erkennbar in der schnell zunehmenden Dunkelheit, waren eine Frau und zwei Kinder zu erkennen. «Ich verlange Einlass!», rief er.
«Gott im Himmel», sagte Finan, der Sihtrics Stimme erkannte.
Eine der Wachen versuchte das Schwert zu nehmen, doch Sihtric schob den Mann wütend zur Seite. «Lasst den Bastard sein Schwert behalten», sagte ich und stand auf, «und lasst ihn hereinkommen.» Sihtrics Frau und seine beiden Söhne waren hinter ihm, blieben aber an der Tür, während Sihtric mit langen Schritten auf mich zukam. Es herrschte vollkommenes Schweigen.
Finan erhob sich, um ihn herauszufordern, aber ich drückte den Iren wieder auf die Bank. «Das ist meine Sache», erklärte ich Finan leise, dann ging ich um die Ehrentafel herum, die erhöht am Ende des Palas auf einem Podest stand, und sprang auf den mit Binsenstroh ausgestreuten Boden hinunter. Sihtric blieb stehen, als ich auf ihn zuging. Ich hatte kein Schwert. Wir trugen im Palas keine Waffen, weil Waffen und Ale eine schlechte Mischung sind, und ein vielfaches Keuchen erklang, als Sihtric sein Schwert zog. Einige meiner Männer standen auf, um einzugreifen, doch ich winkte sie zurück und ging weiter auf den nackten Stahl zu. Zwei Schritte vor Sihtric blieb ich stehen. «Nun?», sagte ich ruppig.
Sihtric grinste, und ich lachte. Ich umarmte ihn, und er erwiderte die Umarmung, dann hielt er mir seinen Schwertgriff entgegen. «Es gehört Euch, Herr», sagte er, «wie es immer Euch gehört hat.»
«Ale!», rief ich dem Verwalter zu. «Ale und etwas zu essen!»
Finan riss die Augen auf, als ich Sihtric den Arm um die Schulter legte und mit ihm zur Ehrentafel zurückging. Ein paar Männer brachen in Jubel aus. Sie hatten Sihtric gemocht und sein Verhalten nicht verstanden, aber wir hatten alles zwischen uns abgesprochen. Sogar die Beleidigungen hatte ich mit Sihtric eingeübt. Ich hatte erreichen wollen, dass ihn Beortsig anwarb, und Beortsig hatte nach Sihtric geschnappt wie ein Hecht nach einem Entenküken. Und ich hatte Sihtric befohlen, für Beortsig zu arbeiten, bis er erfuhr, was ich wissen wollte. Und nun war er zurückgekommen. «Ich wusste nicht, wo Ihr wart, Herr», sagte er, «also bin ich zuerst nach Lundene, und Weohstan hat mich hierher geschickt.»
Beornnoth war tot, erzählte er mir. Der alte Mann war im Frühsommer gestorben, kurz bevor Sigurds Männer durch seinen Besitz gezogen waren, um Buccingahamm niederzubrennen. «Sie haben in seinem Palas übernachtet, Herr», erklärte er mir.
«Sigurds Männer?»
«Und Sigurd selbst, Herr. Beortsig hat sie verpflegt.»
«Wird er von Sigurd bezahlt?»
«Ja, Herr», sagte er, und das war keine Überraschung, «und nicht nur Beortsig. Da war ein Sachse mit Sigurd zusammen, Herr, ein Mann, den Sigurd mit viel Respekt behandelt hat. Ein langhaariger Mann namens Sigebriht.»
«Sigebriht?», fragte ich. Dieser Name schien mir bekannt, irgendwo in meiner Erinnerung regte sich etwas, doch ich konnte den Gedanken nicht greifen, also dachte ich daran, dass die Witwe in Buchestanes gesagt hatte, ein langhaariger Sachse sei bei Ælfadell gewesen.
«Sigebriht von Cent, Herr», sagte Sihtric.
«Ah!» Ich schenkte Sihtric Ale ein. «Sigebrihts Vater ist in Cent Aldermann, das stimmt doch, oder?»
«Aldermann Sigelf, Herr, ja.»
«Dann ist Sigebriht wohl unzufrieden damit, dass Edward als König von Cent benannt wurde?», riet ich.
«Sigebriht hasst Edward, Herr», erklärte Sihtric. Er grinste selbstzufrieden. Ich hatte ihn als Spion in Beortsigs Haushalt eingeschleust, und er wusste, dass er seine Sache gut gemacht hatte. «Und das liegt nicht nur daran, dass Edward König von Cent ist, Herr, es liegt an einem Mädchen – der Herrin Ecgwynn.»
«Das alles hat er dir erzählt?», fragte ich erstaunt.
«Er hat es einem Sklavenmädchen erzählt, Herr. Er hat sie bestiegen, und er hat ein loses Mundwerk, wenn er eine Frau nimmt, und er hat es der Sklavin erzählt, und sie hat es Ealhswith erzählt.» Ealhswith war Sihtrics Frau. Sie saß jetzt zusammen mit ihren beiden Söhnen im Palas beim Essen. Sie war früher eine Hure gewesen, und ich hatte Sihtric davon abgeraten, sie zu heiraten, aber ich hatte falschgelegen. Sie hatte sich als gute Ehefrau erwiesen.
«Und wer ist diese Herrin Ecgwynn?», fragte ich.
«Die Tochter von Bischof Swithwulf, Herr», erklärte Sihtric. Swithwulf war Bischof von Hrofeceastre in Cent, so viel wusste ich, allerdings war ich dem Mann noch niemals begegnet und seiner Tochter ebensowenig. «Und sie hat nicht Sigebriht, sondern Edward den Vorzug gegeben», fuhr Sihtric fort.
War also die Tochter des Bischofs das Mädchen gewesen, das Edward hatte heiraten wollen? Das Mädchen, das er aufgeben musste, weil sein Vater mit dieser Wahl nicht einverstanden war? «Wie ich gehört habe, wurde Edward gezwungen, sich von dem Mädchen zu trennen», sagte ich.
«Aber sie ist mit ihm durchgebrannt», erklärte Sihtric, «jedenfalls hat Sigebriht das gesagt.»
«Durchgebrannt!» Ich grinste. «Und wo ist sie jetzt?»
«Das weiß niemand.»
«Und Edward», sagte ich, «ist mit Ælflæd verlobt.» Es musste eine heftige Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn gegeben haben, vermutete ich. Edward hatte für Alfred immer als vollendeter Erbe gegolten, der Sohn ohne Fehl und Tadel, der Prinz, der dazu erzogen und aufgebaut worden war, der nächste König von Wessex zu werden, doch das Lächeln einer Bischofstochter hatte offenkundig genügt, um die lebenslangen Gebete von Alfreds Priestern zunichte zu machen. «Also hasst Sigebriht Edward», sagte ich.
«So ist es, Herr.»
«Weil er ihm die Bischofstochter weggenommen hat. Aber reicht das aus, um Sigurd den Treueid zu leisten?»
«Nein, Herr.» Sihtric feixte. Er hatte sich seine wichtigste Neuigkeit für den Schluss aufgespart. «Er hat nicht Sigurd sondern Æthelwold Gefolgschaft geschworen.»
Und deshalb war Sihtric zu mir zurückgekommen, weil er herausgefunden hatte, wer der Sachse war, der Sachse, von dem Ælfadell gesagt hatte, er würde Wessex vernichten, und ich fragte mich, warum ich nicht früher darauf gekommen war. Ich hatte an Beortsig gedacht, weil er König von Mercien werden wollte, aber Beortsig war zu unbedeutend. Sigebriht wollte vermutlich eines Tages König von Cent sein, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Sigebriht stark genug war, um den Untergang von Wessex herbeizuführen. Doch die Antwort war offensichtlich. Und sie war es schon die ganze Zeit, nur war ich nicht darauf gekommen, weil Æthelwold ein Narr ohne Macht war. Doch Narren ohne Macht können dennoch Ehrgeiz besitzen und Schläue und Entschlossenheit.
«Æthelwold!» Ich wiederholte den Namen.
«Sigebriht hat ihm die Treue geschworen, Herr, und Sigebriht ist Æthelwolds Bote bei Sigurd. Und da ist noch etwas, Herr. Beortsigs Priester ist einäugig, dünn wie ein Halm und kahl.»
Weil ich gerade über Æthelwold nachdachte, dauerte es einen Moment, bis mir der ferne Tag wieder einfiel, an dem mich diese Narren hatten umbringen wollen und ich von dem Schäfer mit seiner Schleuder und seiner Herde gerettet worden war. «Beortsig wollte meinen Tod», sagte ich.
«Oder sein Vater», gab Sihtric zu bedenken.
«Wie Sigurd es befohlen hat», riet ich, «oder vielleicht auch Æthelwold.» Und mit einem Mal schien alles so offensichtlich. Und ich wusste, was ich zu tun hatte. Ich wollte es nicht tun. Ich hatte einst geschworen, niemals an Alfreds Hof zurückzukehren, doch am nächsten Tag ritt ich nach Wintanceaster.
Um den König aufzusuchen.
Æthelwold, ich hätte darauf kommen müssen. Ich kannte Æthelwold schon mein ganzes Leben, und all die Zeit hatte ich ihn verachtet. Er war Alfreds Neffe und war seines Thronrechts beraubt worden. Alfred hätte Æthelwold selbstredend schon vor Jahren töten sollen, aber irgendeine Gefühlsduselei, vielleicht Zuneigung zu dem Sohn seines Bruders, aber wahrscheinlicher noch die Schuldgefühle, die ernsthafte Christenmenschen so gern empfinden, hatte seine Hand aufgehalten.
Æthelwolds Vater war Alfreds Bruder gewesen, König Æthelred. Æthelwold hatte als ältester Sohn Æthelreds erwartet, König von Wessex zu werden, doch er war noch ein Kind, als sein Vater starb, und der Witan, die Ratsversammlung der führenden Männer, hatte stattdessen seinen Onkel Alfred auf den Thron berufen. Alfred hatte dies selbst gewünscht und viel dafür getan, und es gab immer noch Männer, die hinter vorgehaltener Hand sagten, Alfred sei ein Thronräuber. Æthelwold hatte ihm aufgrund dieser Usurpation immer übelgewollt, doch Alfred, statt seinen Neffen umzubringen, wie ich es ihm wieder und wieder empfohlen hatte, verwöhnte ihn. Er ließ ihn einige Besitzungen seines Vaters behalten, er verzieh ihm seine ständige Heimtücke, und zweifellos betete er auch für ihn. Æthelwold hatte sehr viel Gebet notwendig. Er war unzufrieden und ein Trunkenbold, und möglicherweise war das der Grund, warum Alfred ihn duldete. Es war schwer, in einem betrunkenen Narren eine Gefahr für das Königreich zu sehen.
Aber jetzt redete Æthelwold mit Sigurd. Æthelwold wollte anstelle von Edward König sein, und um König zu werden, hatte er einfach das Bündnis mit Sigurd gesucht, und Sigurd, das versteht sich, gefiel nichts besser als ein zahmer Sachse, der mit demselben Recht Anspruch auf den Thron von Wessex erhob wie Edward, und sogar mit noch größerem Recht, weil das bedeutete, dass Sigurds Einfall in Wessex den falschen Glanz der Rechtmäßigkeit tragen würde.
Sechs von uns ritten südwärts durch Wessex. Ich nahm Osferth, Sihtric, Rypere, Eadric und Ludda mit. Finan ließ ich mit dem Befehl über meine übrigen Männer zurück und mit einem Versprechen. «Wenn man sich in Wintanceaster nicht dankbar zeigt», sagte ich, «gehen wir in den Norden.»
«Wir müssen etwas tun», sagte Finan.
«Ich verspreche es», sagte ich. «Wir gehen auf Raubzug. Wir werden gut leben. Aber ich muss Alfred noch eine letzte Chance geben.»
Finan kümmerte es nicht besonders, für welche Seite wir kämpften, solange unser Kampf gewinnbringend war, und ich verstand seine Einstellung. Mein Ehrgeiz war es, mir eines Tages Bebbanburg zurückzuholen, und seiner, nach Irland heimzukehren und Rache an dem Mann zu nehmen, der seinen Besitz und seine Familie vernichtet hatte, und dafür brauchte er das Silber ebenso nötig wie ich. Finan war natürlich Christ, aber er ließ nie zu, dass dies seine Vergnügungen beeinträchtigte, und er hätte sein Schwert freudig zu einem Angriff auf Wessex erhoben, wenn es am Ende des Kampfes genügend Geld gegeben hätte, um eine Reise zurück nach Irland auszustatten. Ich wusste, dass er meinen Besuch in Wintanceaster für Zeitverschwendung hielt. Alfred mochte mich nicht, Æthelflæd schien auf Abstand zu mir gegangen zu sein, und Finan glaubte, dass ich bei Leuten betteln gehen wollte, die sich von Beginn an hätten dankbar zeigen sollen.
Und es gab Momente auf diesem Weg, in denen ich Finan recht gab. Ich hatte nun schon so viele Jahre für das Überleben von Wessex gekämpft, und ich hatte so viele Feinde von Wessex unter die Erde gebracht, und als Dank dafür stand ich mit leeren Händen da. Doch ich empfand auch eine widerwillige Loyalität. Ich habe Eide gebrochen, ich habe die Seiten gewechselt, ich habe mit den dornigen Widerhaken von Treueschwüren gekämpft, und doch hatte ich es so gemeint, als ich zu Osferth sagte, ich wäre lieber das Schwert der Sachsen als der Schild von Mercien, und deshalb würde ich einen letzten Besuch im Kernland des sächsischen Britanniens machen und feststellen, ob sie mein Schwert wollten oder nicht. Und wenn nicht? Ich hatte Freunde im Norden. Da war Ragnar, er war mehr als ein Freund, ein Mann, den ich wie einen Bruder liebte, und er würde mir helfen, und wenn der Preis, den ich zu zahlen hätte, die ewige Feindschaft gegenüber Wessex wäre, dann sollte es wohl so sein. Ich ritt nicht als Bettler, wie Finan glaubte, sondern voller Rachgier.
Es regnete, als wir in der Gegend von Wintanceaster ankamen, ein sanfter Regen über einem sanften Land, auf Felder mit fruchtbarer Erde, auf Dörfer, denen man ihren Wohlstand ansah, die neue Kirchen hatten und dicke Strohdächer und keine verödeten Balkenskelette von ausgebrannten Häusern. Die Palas-Bauten wurden größer, denn der Mensch siedelt gern in der Nähe der Macht.
Es gab zwei Mächte in Wessex, König und Kirche, und die Kirchen wurden, ebenso wie die Palas-Gebäude, immer größer, je näher wir der Stadt kamen. Kein Wunder, dass die Nordmänner dieses Land begehrten, wer würde das nicht? Das Vieh war gut genährt, die Scheunen waren voll und die Mädchen hübsch. «Es wird Zeit, dass du heiratest», erklärte ich Osferth, als wir an einer Scheune mit offenstehenden Toren vorbeikamen, in der zwei blonde Mädchen auf der Tenne standen und Korn droschen.
«Ich habe daran gedacht», sagte er trübsinnig.
«Nur gedacht?»
Beinahe musste er lächeln. «Ihr glaubt an das Schicksal, Herr», sagte er.
«Und du nicht?», fragte ich. Osferth und ich ritten ein paar Schritte vor den anderen. «Und was hat das Schicksal mit einem Mädchen in deinem Bett zu tun?»
«Non ingredietur mamzer hoc est de scorto natus in ecclesiam Domini», sagte er und sah mich traurig an, «usque ad decimam generationem.»
«Sowohl Pater Beocca als auch Pater Willibald haben versucht, mir Latein beizubringen», sagte ich, «und sie sind beide gescheitert.»
«Das stammt aus der Bibel, Herr», sagte er, «aus dem Buch Deuteronomium, und es bedeutet, dass ein Bastard von der Kirche ausgeschlossen ist und dass dieser Fluch zehn Generationen lang währt.»
Ich starrte ihn ungläubig an. «Du warst in der Priesterausbildung, als wir uns das erste Mal begegnet sind!»
«Und ich habe die Ausbildung abgebrochen», sagte er. «Ich musste es tun. Wie könnte ich Priester sein, wenn Gott mich aus seiner Gemeinde verbannt?»
«Also kannst du kein Priester sein», sagte ich, «aber du kannst verheiratet sein!»
«Usque at decimam generationem», sagte er. «Auf meinen Kindern läge ein Fluch und auch auf ihren Kindern und auf jedem Kind für die nächsten zehn Generationen.»
«Also ist jeder Bastard verloren?»
«So lautet das Wort Gottes, Herr.»
«Dann ist er ein schrecklicher Gott», sagte ich wild, denn ich hatte gesehen, dass Osferths Verzweiflung echt war. «Es war nicht deine Schuld, dass Alfred mit einer Sklavin Huckepack gespielt hat.»
«Das stimmt, Herr.»
«Wie kann diese Sünde also dich betreffen?»
«Gott ist nicht immer gerecht, Herr, aber seine Regeln gelten für alle gleich.»
«Für alle gleich! Wenn ich also einen Dieb nicht erwische und stattdessen seine Kinder auspeitsche, nennst du mich gerecht?»
«Gott verabscheut die Sünde, Herr, und wie könnte man die Sünde besser abwehren als durch die grässlichsten Strafen?» Er lenkte sein Pferd an die linke Straßenseite, um einen Zug Packpferde vorbeizulassen. Sie waren mit Schafsfellen beladen und auf dem Weg Richtung Norden. «Wenn Gott uns nicht streng bestraft», fuhr Osferth fort, «was soll dann sonst die Ausbreitung der Sünde verhindern?»
«Ich mag die Sünde», sagte ich und nickte dem Reiter zu, der den Tross anführte. «Lebt Alfred noch?», fragte ich ihn.
«Gerade noch so», sagte der Mann. Dann bekreuzigte er sich und nickte zum Dank, als ich ihm eine sichere Reise wünschte.
Osferth sah mich stirnrunzelnd an. «Warum habt Ihr mich hierher gebracht, Herr?», fragte er.
«Warum nicht?»
«Ihr hättet Finan mitnehmen können, aber Ihr habt mich ausgesucht.»
«Willst du deinen Vater nicht sehen?»
Er schwieg eine Weile, dann wandte er mir seinen Blick zu, und ich sah Tränen in seinen Augen. «Doch, Herr.»
«Deshalb habe ich dich mitgenommen», sagte ich, und in diesem Moment kamen wir um eine Kurve in der Straße und sahen unterhalb von uns Wintanceaster liegen, mit seiner neuen Kirche, die hoch über die enggedrängten Hausdächer ragte.
Wintanceaster war gewiss die bedeutendste von Alfreds Wehrstädten, also den Städten, die er zum Schutz vor den Dänen befestigt hatte. Um die Stadt lief ein tiefer Graben, der an manchen Stellen geflutet war, und dahinter erhob sich ein hoher Erdwall, über den sich eine Palisade aus Eichenstämmen zog. Es gibt wenig Schlimmeres, als solch einen Ort angreifen zu müssen. Die Verteidiger, wie Haestens Männer bei Beamfleot, haben alle Vorteile auf ihrer Seite und können einen Hagel aus Speeren und Steinen auf die Angreifer niederregnen lassen, während diese sich über Hindernisse hinwegkämpfen und auf Leitern hinaufklettern müssen, die mit Äxten zerhackt werden. Alfreds Wehrstädte hatten Wessex sicher gemacht. Die Dänen konnten immer noch ihre Beutezüge auf dem Land machen, doch alles Wertvolle wurde dann hinter die Wälle der Wehrstädte gebracht, und um die Wälle konnten die Dänen nur herumreiten und nutzlose Vorstöße unternehmen. Die sicherste Art, eine Wehrstadt einzunehmen, war es, die Garnison so lange auszuhungern, bis sie sich ergab, aber das konnte Wochen oder Monate dauern, und während all dieser Zeit waren die Belagerer der Gefahr durch Angriffe von Truppen aus anderen Festungen ausgesetzt. Die zweite Möglichkeit bestand darin, Männer zum Angriff gegen die Wälle zu schicken und viele von ihnen in den Gräben sterben zu sehen, aber die Dänen setzten ihre Männer nie leichtfertig ein. Die Wehrstädte waren Festungen, zu stark für die Dänen, und Bebbanburg, so ging es mir durch den Kopf, war widerstandsfähiger als jede Wehrstadt.
Das nördliche Stadttor von Wintanceaster war inzwischen aus Stein und wurde von einem Dutzend Männern bewacht, die den offenen Torbogen versperrten. Ihr Anführer war ein kleiner, grauhaariger Mann mit grimmigem Blick, der seine Männer zur Seite winkte, als er mich sah. «Grimric, Herr», sagte er, weil er offenkundig erwartete, wiedererkannt zu werden.
«Du warst bei Beamfleot», riet ich.
«Das war ich, Herr!», sagte er, erfreut, dass ich mich erinnerte.
«Wo du eine große Schlacht geschlagen hast», sagte ich und hoffte, damit die Wahrheit getroffen zu haben.
«Wir haben den Bastarden gezeigt, wie die Sachsen kämpfen, Herr, was?», sagte er grinsend. «Wie oft habe ich diesen hasenfüßigen Grünschnäbeln schon erzählt, dass Ihr wisst, wie man einem Mann einen echten Kampf liefert!» Er zeigte mit dem Daumen auf seine Männer, sämtlich Jünglinge, die man von ihren Bauernhöfen oder Warenläden abgezogen hatte, damit sie ihre Dienstwochen in der Garnison ableisteten. «Die haben gestern noch an den Brüsten ihrer Mütter genuckelt, Herr», sagte Grimric.
Ich gab ihm eine Münze, auch wenn ich mir das kaum erlauben konnte, doch so etwas wird von einem Herrn erwartet. «Kauf ihnen Ale», erklärte ich Grimric.
«Das werde ich, Herr», sagte er, «und ich wusste, dass Ihr kommt! Ich muss natürlich noch melden, dass Ihr hier seid, aber ich wusste, dass alles in Ordnung kommen würde.»
«In Ordnung?», fragte ich, etwas verwirrt von seinen Worten.
«Ich wusste, dass es so sein würde, Herr!» Er grinste, dann winkte er uns durch. Ich ging zu der Schänke Zwei Kraniche, deren Besitzer mich kannte. Er rief seine Bediensteten, damit sie sich um unsere Pferde kümmerten, brachte uns Ale und gab uns eine große Kammer im rückwärtigen Teil des Gasthauses, wo das Stroh sauber war.
Der Besitzer war einarmig und hatte einen so langen Bart, dass er das Ende des Bartes unter einen breiten Ledergürtel klemmte. Er hieß Cynric, hatte seinen linken Unterarm im Kampf für Alfred verloren, führte die Zwei Kraniche seit über zwanzig Jahren, und es ging nicht viel in Wintanceaster vor, von dem er nichts wusste. «Die Kirchenmänner regieren», erklärte er mir.
«Nicht Alfred?»
«Der arme Kerl ist krank wie ein besoffener Köter. Es ist ein Wunder, dass er noch lebt.»
«Und Edward steht unter der Fuchtel der Geistlichen?», fragte ich.
«Der Geistlichen», sagte Cynric, «seiner Mutter und des Witans. Aber er ist nicht annähernd so fromm, wie sie glauben. Habt Ihr von der Herrin Ecgwynn gehört?»
«Die Bischofstochter?»
«Genau die, und sie war ein entzückendes Ding, weiß Gott. Noch beinahe ein Mädchen, aber schon so schön.»
«Ist sie tot?»
«Bei einer Geburt gestorben.»
Ich starrte ihn an, die Bedeutung seiner Worte ließ meinen Kopf schwirren. «Bist du sicher?»
«Beim Zahne Christi, ich kenne ihre Geburtshelferin! Ecgwynn hat Zwillinge bekommen, einen Jungen namens Æthelstan und ein Mädchen namens Eadgyth, aber die bedauernswerte Mutter ist noch in derselben Nacht gestorben.»
«Edward war der Vater?», fragte ich, und Cynric nickte. «Königliche Zwillingsbastarde», sagte ich leise.
Cynric schüttelte den Kopf. «Aber sind sie wirklich Bastarde?» Er hatte seine Stimme gesenkt. «Edward behauptet, er habe sie geheiratet, sein Vater sagt, es war keine gültige Ehe, und sein Vater gewinnt den Streit. Und sie haben die ganze Sache totgeschwiegen. Gott weiß, dass sie die Geburtshelferin gut genug bezahlt haben.»
«Die Kinder haben überlebt?»
«Sie sind im Nonnenkloster von Sankt Hedda, zusammen mit der Herrin Æthelflæd.»
Ich starrte ins Feuer. Also hatte sich der vollkommene Erbe als ebenso sündig erwiesen wie ein ganz gewöhnlicher Mann. Und Alfred ließ die Früchte dieser Sünde verschwinden, steckte sie in ein Nonnenkloster und hoffte, niemand würde von ihrem Dasein erfahren. «Armer Edward», sagte ich.
«Er heiratet jetzt Ælflæd», sagte Cynric, «und damit ist Alfred zufrieden.»
«Und er hat schon zwei Kinder», sagte ich nachdenklich. «Das ist ein wahrhaft königlicher Wirrwarr. Du sagst, Æthelflæd ist im Sankt Hedda?»
«Sie haben sie dort weggesperrt», sagte Cynric. Er wusste von meiner Zuneigung zu Æthelflæd, und aus seinem Tonfall schloss ich, dass sie eingesperrt worden war, um sie von mir fernzuhalten.
«Ist ihr Mann hier?»
«In Alfreds Palast. Die ganze Familie ist hier, sogar Æthelwold.»
«Æthelwold!»
«Ist vor zwei Wochen gekommen, hat die ganze Zeit um seinen Onkel geheult.»
Æthelwold war mutiger, als ich geglaubt hatte. Er hatte ein Bündnis mit den Dänen geschlossen und war dennoch dreist genug, an den Hof seines sterbenden Onkels zu kommen. «Trinkt er immer noch?», fragte ich.
«Nicht dass ich wüsste. Er war nicht in meiner Gaststube. Es heißt, er verbringt seine Tage im Gebet», sagte Cynric verächtlich, und ich lachte. «Wir alle beten», fügte er verdrießlich hinzu und meinte damit, dass sich jeder darüber sorgte, was nach Alfreds Tod werden würde.
«Und in Sankt Hedda?», fragte ich. «Ist dort immer noch Hildegyth Äbtissin?»
«Sie ist selbst schon eine Heilige, Herr, ja, sie ist immer noch dort.»
Ich nahm Osferth mit nach Sankt Hedda. Es fiel leichter Nieselregen, der die Straßen schlüpfrig machte. Der Konvent lag am nördlichen Stadtrand, dicht an dem Erdwall mit der hohen Palisade. Der einzige Zugang zu dem Nonnenkloster befand sich am Ende einer langen, schlammigen Gasse, in der sich, ebenso wie bei meinem letzten Besuch, die Bettler drängten, weil sie auf die Almosen und das Essen warteten, das die Nonnen morgens und abends ausgaben. Die Bettler machten uns den Weg frei. Sie waren unruhig, denn sowohl Osferth als auch ich trugen Rüstung und Schwert. Einige streckten uns die Hände oder Holzschalen entgegen, doch ich beachtete sie nicht, denn ich sah drei Soldaten am Eingang des Klosters stehen, und das war eigenartig. Die drei trugen Helm und Speer, Schwerter und Schilde, und als wir näher kamen, traten sie von der Tür weg und verstellten uns den Weg. «Ihr könnt nicht hinein, Herr», sagte einer von ihnen.
«Weißt du, wer ich bin?»
«Ihr seid der Herr Uhtred», sagte der Mann ehrerbietig, «und Ihr könnt nicht hinein.»
«Die Äbtissin ist eine alte Freundin von mir», sagte ich, und so war es. Hild war eine Freundin, eine Heilige und eine Frau, die ich geliebt hatte, doch es schien, als wäre es mir nicht erlaubt, sie zu besuchen. Der Anführer der drei Soldaten war ein kräftiger Mann, nicht mehr jung, aber mit breiten Schultern und selbstbewusster Miene. Sein Schwert steckte in der Scheide, und ich zweifelte nicht daran, dass er es ziehen würde, wenn ich versuchen sollte, an ihm vorbeizukommen, allerdings zweifelte ich ebenso wenig daran, dass ich ihn zu Boden schlagen konnte. Aber sie waren zu dritt, und ich wusste, dass Osferth nicht gegen westsächsische Soldaten kämpfen würde, die ein Kloster bewachten. Ich zuckte mit den Schultern. «Kannst du der Äbtissin Hild eine Nachricht übermitteln?», fragte ich.
«Das kann ich tun, Herr.»
«Sag ihr, dass Uhtred hier war, um sie zu besuchen.»
Er nickte, und da hörte ich die Bettler hinter mir aufkeuchen, und als ich mich umdrehte, sah ich noch mehr Soldaten in die Gasse kommen. Ich erkannte ihren Anführer, der Mann hieß Godric und hatte unter Weohstan gedient. Er führte sieben behelmte Männer, die, genau wie die Bewacher des Konvents, mit Schilden und Speeren ausgerüstet waren. Sie waren zum Kampf bereit. «Ich wurde angewiesen, Euch zum Palast zu bringen, Herr», lautete Godrics Begrüßung.
«Und dazu brauchst du Speere?»
Godric beachtete den Einwurf nicht und deutete stattdessen die Gasse hinunter. «Kommt Ihr?»
«Mit Vergnügen», sagte ich und folgte ihm zurück durch die Stadt. Die Leute auf den Straßen ließen uns schweigend vorbei. Osferth und ich hatten unsere Schwerter behalten, aber wir sahen trotzdem aus wie Gefangene unter Bewachung, und als wir zum Palast kamen, bestand ein Verwalter am Tor darauf, dass wir die Waffen abgaben. Das war so üblich. Nur der Leibwache des Königs war eine Bewaffnung innerhalb des Palastbezirks gestattet. Und so übergab ich Schlangenhauch dem Verwalter und folgte Godric anschließend vorbei an Alfreds Privatkapelle zu einem kleinen, niedrigen, strohgedeckten Gebäude.
«Bitte wartet hier, Herr», sagte er und deutete auf die Tür.
Wir warteten in einem fensterlosen Raum, der mit zwei Bänken, einem Lesepult und einem Kruzifix ausgestattet war. Godrics Männer blieben draußen und versperrten mir den Weg mit ihren Speeren, als ich hinauswollte. «Wir möchten etwas zu essen», sagte ich, «und Ale. Und einen Pisskübel.»
«Sind wir verhaftet?», fragte Osferth, nachdem das Essen und der Kübel gebracht worden waren.
«Hat ganz den Anschein.»
«Warum?»
«Ich weiß nicht», sagte ich. Dann aß ich das Brot und den Käse, und danach streckte ich mich auf dem gestampften Erdboden aus, obwohl er feucht war, und versuchte zu schlafen.
Es wurde schon dämmrig, als Godric zurückkam. Noch immer war er überaus höflich. «Wenn Ihr mit mir kommen möchtet, Herr», sagte er, und Osferth und ich folgten ihm durch vertraute Innenhöfe zu einem kleineren Palas-Gebäude, in dessen Feuerstelle wärmende Flammen loderten. An der Wand hingen auf Leder gemalte Bilder, jedes zeigte einen anderen westsächsischen Heiligen, und auf dem Podest am Ende des Palas saßen an einem Tisch, über den ein blau gefärbtes Tuch gebreitet war, fünf Kirchenmänner. Drei hatte ich nie gesehen, aber die beiden anderen kannte ich, und weder der eine noch der andere war ein Freund von mir. Bischof Asser, der gehässige walisische Priester und Alfreds engster Vertrauter, war der eine, und Bischof Erkenwald der andere. Sie rahmten einen Mann mit knochigen Schultern und weißem tonsuriertem Haar ein, dessen Gesicht in seiner Hagerkeit an ein verhungertes Wiesel erinnerte. Er hatte eine Nase, die so scharf geschnitten war wie eine Klinge, einen wachen Blick und verkniffene, schmale Lippen, die seine schiefen Zähne nicht verbergen konnten. Die beiden Priester an den Schmalseiten des Tisches waren erheblich jünger, und jeder hatte eine Schreibfeder, ein Tintenfässchen und eine Pergamentseite vor sich. Sie sollten wohl bei dem Gespräch mitschreiben.
«Bischof Erkenwald», begrüßte ich ihn, dann sah ich Asser an. «Ich glaube, Euch kenne ich nicht.»
«Nimm ihm dieses Hammeramulett ab», sagte Asser zu Godric.
«Fass den Hammer an», erklärte ich Godric, «und du sitzt mit dem Arsch im Feuer.»
«Genug!» Das verhungerte Wiesel schlug auf den Tisch. Die Tintenfässchen sprangen hoch. Die beiden Schreiberlinge ließen ihre Federn über das Pergament kratzen. «Ich bin Plegmund», sagte der Mann zu mir.
«Der Obermagier von Contwaraburg?», fragte ich.
Er starrte mich mit offenkundiger Abneigung an, dann zog er ein Pergament heran. «Ihr habt einiges zu erklären», sagte er.
«Und keine Lügen dieses Mal!», fauchte Asser. Jahre zuvor, in ebendiesem Palas, war ich vom Witan zu Vergehen befragt worden, an denen ich in Wahrheit die volle Schuld trug. Der Hauptzeuge meiner Verbrechen war damals Asser, aber ich hatte mich mit Lügen aus der Anklage herausgewunden, und er hatte gewusst, dass ich log, und seither verabscheute er mich.
Ich sah ihn stirnrunzelnd an. «Wie ist gleich Euer Name?», fragte ich. «Ihr erinnert mich an jemanden. Er war ein walisischer Earsling, ein Rattenschiss, aber ich habe ihn getötet, also könnt Ihr nicht derselbe Mann sein.»
«Herr Uhtred», sagte Bischof Erkenwald mit müder Stimme, «bitte beleidigt uns nicht.»
Erkenwald und ich mochten uns nicht, aber in seiner Zeit als Bischof von Lundene hatte er sich als tüchtiger Anführer erwiesen, und er hatte mir vor Beamfleot keine Steine in den Weg gelegt, im Gegenteil – seine Fähigkeiten als Organisator hatten erheblich zum Sieg beigetragen. «Was wollt Ihr erklärt haben?», fragte ich.
Erzbischof Plegmund zog eine Kerze über den Tisch, um das Pergament anzuleuchten. «Wir haben Berichte über Eure Unternehmungen dieses Sommers erhalten», sagte er.
«Und Ihr wollt mir danken», sagte ich.
Sein kalter, stechender Blick durchbohrte mich beinahe. Plegmund war berühmt dafür, sich jede Freude zu versagen, ganz gleich, ob es ums Essen, Frauen oder ein Leben im Wohlstand ging. Er diente seinem Gott, indem er es sich unbequem machte, indem er sich zum Beten in die Einsamkeit zurückzog und als Eremit lebte. Warum das Volk so etwas bewunderungswürdig findet, weiß ich nicht, aber er wurde von den Christen mit Ehrfurcht betrachtet, und sie waren alle hoch erfreut, als er sein beschwerliches Dasein in der Einsiedelei aufgab, um Erzbischof zu werden. «Im Frühling», sagte er mit dünner, klarer Stimme, «habt Ihr Euch mit dem Mann getroffen, der sich Jarl Haesten nennt, und infolge dieses Treffens seid Ihr nach Norden auf das Gebiet Cnut Ranulfsons geritten, wo Ihr die Hexe Ælfadell konsultiert habt. Von dort seid Ihr nach Snotengaham weitergezogen, das derzeit von Sigurd Thorrson besetzt ist, und sodann wieder zu Jarl Haesten.»
«All das trifft zu», sagte ich leichthin, «nur habt Ihr einiges ausgelassen.»
«Jetzt kommen die Lügen», höhnte Asser.
Ich blitzte ihn an. «Hat Eure Mutter unter Verstopfung gelitten, als Ihr geboren wurdet?»
Plegmund schlug erneut auf den Tisch. «Was haben wir ausgelassen?»
«Die unerhebliche Tatsache, dass ich Sigurds Flotte verbrannt habe.»
Auf Osferths Miene hatte sich in der feindseligen Stimmung, die im Raum herrschte, immer größere Unruhe breitgemacht, und nun zog er sich, ohne ein Wort zu mir und ohne jede Einwendung von den Geistlichen, zur Tür zurück. Sie ließen ihn gehen. Ich war derjenige, auf den sie es abgesehen hatten.
«Die Flotte wurde verbrannt, das wissen wir», sagte Plegmund, «und wir kennen auch den Grund.»
«Raus damit.»
«Es war ein Zeichen an die Dänen, dass kein Rückzug übers Wasser erfolgen kann. Sigurd Thorrson hat seinen Gefolgsleuten damit gesagt, dass es ihr Schicksal ist, Wessex zu erobern, und als Beweis für dieses Schicksal hat er seine eigenen Schiffe verbrannt, um zu zeigen, dass jeder Rückzug unmöglich ist.»
«Das glaubt Ihr?», fragte ich.
«Es ist die Wahrheit», blaffte Asser.
«Ihr würdet die Wahrheit nicht einmal erkennen, wenn man sie Euch mit dem Schaft einer Axt in die Kehle stopfen würde», sagte ich, «und kein Herr aus dem Norden würde seine Schiffe verbrennen. Sie kosten viel Gold. Ich habe sie verbrannt, und Sigurds Männer haben versucht, mich zu töten, als ich es getan habe.»
«Oh, niemand bezweifelt, dass Ihr dort wart, als sie verbrannt wurden», sagte Erkenwald.
«Und Ihr leugnet nicht, die Hexe Ælfadell aufgesucht zu haben?», fragte Plegmund.
«Nein, sagte ich, «und ich leugne auch nicht, letztes Jahr bei Fearnhamme und Beamfleot die dänischen Armeen vernichtet zu haben.»
«Niemand bestreitet, dass Ihr Euch früher Verdienste erworben habt», sagte Plegmund.
«Wenn es Euch gerade genehm war», fügte Asser giftig hinzu.
«Und leugnet Ihr, den Abt Deorlaf von Buchestanes getötet zu haben?», fragte Plegmund.
«Ich habe ihn ausgenommen wie einen fetten Fisch», sagte ich.
«Ihr leugnet es nicht?» Asser klang erstaunt.
«Ich bin stolz darauf», sagte ich, «und auf die beiden anderen Mönche, die ich umgebracht habe.»
«Schreibt das auf!», zischte Asser den Schreibermönchen zu, die seine Aufforderung kaum nötig hatten. Unablässig kritzelten sie übers Pergament.
«Vergangenes Jahr», sagte Bischof Erkenwald, «habt Ihr Euch geweigert, dem Ætheling Edward den Treueid zu schwören.»
«Stimmt.»
«Warum?»
«Weil ich genug von Wessex habe», sagte ich, «genug von Priestern, genug davon, erzählt zu bekommen, wie der Wille Eures Gottes lautet, genug davon, mir vorwerfen zu lassen, ein Sünder zu sein, genug von Eurem endlosen, verfluchten Geschwätz, genug von diesem angenagelten Tyrannen, den Ihr Euren Gott nennt, und der nur will, dass es uns schlechtgeht. Und ich habe mich geweigert, den Eid zu leisten, weil es mein Ziel ist, zurück in den Norden zu gehen, zu meiner Festung Bebbanburg, und die Männer zu töten, die sie besetzt halten, und das kann ich nicht tun, wenn ich Edwards Schwurmann bin und er etwas anderes von mir verlangt.»
Das mochte nicht die zartfühlendste Rede gewesen sein, aber mir war nicht nach Zartgefühl zumute. Jemand, ich vermutete Æthelred, hatte sein Bestes getan, um mich zu vernichten, und dazu hatte er die Macht der Kirche eingesetzt, und ich war entschlossen, mich gegen die elenden Hunde zu wehren. Es sah so aus, als hätte ich Erfolg, zumindest darin, dass sie sich noch elender fühlten. Plegmund verzog das Gesicht, Asser bekreuzigte sich, und Erkenwald hatte die Augen geschlossen. Die beiden jungen Priester schrieben schneller denn je. «Angenagelter Tyrann», murmelte einer von ihnen langsam, als seine Feder übers Pergament kratzte.
«Und wer hatte den überaus klugen Einfall, mich nach Ostanglien zu schicken, damit Sigurd mich tötet?», wollte ich wissen.
«König Eohric versichert uns, dass Sigurd ohne seine Aufforderung gehandelt hat und dass er – hätte er es gewusst – einen Angriff auf Sigurds Truppen geführt hätte», sagte Plegmund.
«Eohric ist ein Earsling», sagte ich, «und für den Fall, dass Ihr es nicht wisst, Erzbischof, ein Earsling ist so etwas wie Bischof Asser, ein Ding, das aus einem Arsch geschissen wird.»
«Zeigt Respekt!», knurrte Plegmund mit wütendem Blick.
«Warum?», fragte ich.
Darauf konnte er nur blinzeln. Asser flüsterte ihm etwas ins Ohr, es klang eindringlich und fordernd, während Bischof Erkenwald versuchte, etwas Nützliches aus mir herauszubringen. «Was hat Euch die Hexe Ælfadell gesagt?», fragte er.
«Dass der Sachse Wessex zerstören wird, die Dänen siegen und Wessex nicht weiterbesteht.»
Alle drei erstarrten bei diesen Worten. Sie mochten Christen sein, und bedeutende Christen noch dazu, aber sie waren nicht gefeit gegen die Macht der wahren Götter und ihre Magie. Sie fürchteten sich, allerdings bekreuzigte sich keiner von ihnen, denn das zu tun, wäre das Eingeständnis gewesen, dass die heidnischen Propheten möglicherweise Zugang zur Wahrheit hatten, und das wollten sie voreinander leugnen. «Und wer ist der Sachse?», kam es böse von Asser.
«Um dem König das zu erzählen», sagte ich, «bin ich nach Wintanceaster gekommen.»
«Also sagt es uns», forderte mich Plegmund auf.
«Ich sage es dem König», erwiderte ich.
«Schlange!», fauchte Asser. «Ein Dieb in der Nacht, das seid Ihr! Der Sachse, der Wessex zerstören wird, seid Ihr!»
Ich spuckte aus, um meine Verachtung zu zeigen, aber die Spucke flog nicht bis zum Tisch.
«Ihr», sagte Erkenwald erschöpft, «seid wegen einer Frau hierhergekommen.»
«Ehebrecher!», schnappte Asser.
«Das ist die einzige Erklärung für Eure Anwesenheit hier», sagte Erkenwald. Dann sah er den Bischof an. «Sicut canis qui revertitur ad vomitum suum.»
«Sic inprudens qui iterat stultitiam suam», psalmodierte der Erzbischof.
Einen Moment lang dachte ich, sie würden mich verfluchen, aber der kleine Bischof Asser konnte der Versuchung nicht widerstehen, sein Wissen vorzuführen, indem er mich mit einer Übersetzung versorgte. «Wie der Hund sein Gespeites wieder frisst, also ist der Narr, der seine Narrheit wieder treibt.»
«Das Wort Gottes», sagte Erkenwald.
«Und wir müssen entscheiden, was wir mit Euch tun sollen», sagte Plegmund, und bei diesen Worten rückten Godrics Männer etwas näher. Ich war mir ihrer Speere hinter meinem Rücken bewusst. Ein Holzscheit barst im Feuer und sprühte Funken auf die Binsenstreu des Bodens, die zu rauchen begann. Normalerweise wäre sofort ein Diener oder einer der Soldaten herbeigesprungen, um das winzige Feuer auszutreten, doch niemand rührte sich. Sie wollten mich tot sehen. «Wie uns bewiesen wurde», brach Plegmund das Schweigen, «habt Ihr mit den Feinden unseres Königs verkehrt, habt mit ihnen paktiert, habt ihr Brot gegessen und ihr Salz genommen. Schlimmer noch, Ihr habt zugegeben, den heiligen Abt Deorlaf und zwei seiner Mitbrüder niedergemetzelt zu haben …»
«Der heilige Abt Deorlaf», unterbrach ich ihn, «war mit der Hexe Ælfadell im Bund, und der heilige Abt Deorlaf wollte mich töten. Was hätte ich tun sollen? Ihm die andere Wange hinhalten?»
«Schweigt!», sagte Plegmund.
Ich machte zwei Schritte vorwärts und trat die brennende Binsenspreu mit dem Stiefel aus. Einer von Godrics Soldaten, der dachte, ich würde die Geistlichen angreifen, hatte seinen Speer gehoben, und ich drehte mich um und sah ihn an. Sah ihn einfach nur an. Er errötete und langsam, ganz langsam, senkte sich der Speer. «Ich habe gegen die Feinde eures Königs gekämpft», sagte ich, ohne den Speermann aus den Augen zu lassen, aber dann drehte ich mich wieder zu Plegmund um, «wie Bischof Erkenwald sehr wohl weiß. Während sich andere Männer hinter die Wälle der Wehrstädte geduckt haben, führte ich die Armee Eures Königs an. Ich habe im Schildwall gestanden. Ich habe die Widersacher niedergemacht, den Boden mit dem Blut Eurer Feinde getränkt, ich habe die Schiffe verbrannt, ich habe die Festung bei Beamfleot erobert.»
«Und Ihr tragt den Hammer!» Assers Stimme war schrill. Mit bebendem Finger deutete er auf mein Amulett. «Es ist das Symbol unserer Gegner, das Zeichen derer, die unseren Herrn Jesus erneut martern würden, und Ihr tragt es sogar am Hof unseres Königs!»
«Was hat Eure Mutter getan?», fragte ich. «Gefurzt wie eine Mähre? Und damit wart Ihr auf einmal da?»
«Das genügt», sagte Plegmund matt.
Es war nicht schwer zu erraten, wer ihnen das Gift ins Ohr geträufelt hatte. Mein Cousin Æthelred. Seinem Titel nach war er der Herr von Mercien, und es gab in diesem Land keine andere Stellung, die einem Königsthron näher kam, allerdings wusste jedermann, dass Æthelred nichts weiter war als ein Hündchen, das von Westsachsen an der kurzen Leine gehalten wurde. Diese Leine wollte er kappen, und wenn Alfred starb, würde er zweifellos die Krone verlangen. Und eine neue Frau, denn die alte war Æthelflæd, die ihm zu der Leine auch noch Hörner aufgesetzt hatte. Ein gehörntes Hündchen, das an der kurzen Leine gehalten wurde, wollte Rache, und es wollte meinen Tod. Denn Æthelred wusste, dass es in Mercien allzu viele Männer gab, die eher mir als ihm Gefolgschaft leisten würden.
«Es ist unsere Pflicht, über Euer Schicksal zu entscheiden», sagte Plegmund.
«Das tun die Nornen», sagte ich, «an der Wurzel des Weltenbaumes Yggdrasil.»
«Heide», zischte Asser.
«Das Königreich muss geschützt werden», fuhr der Erzbischof fort, ohne uns beide zu beachten, «es muss einen Schild des Glaubens und ein Schwert der Rechtschaffenheit haben, und im Reiche Gottes ist kein Platz für einen Mann ohne Glauben, einen Mann, der sich jeden Augenblick gegen uns wenden könnte. Uhtred von Bebbanburg, ich muss Euch sagen …»
Doch was immer er mir auch sagte wollte, blieb unausgesprochen, weil knarrend die Tür des Palas geöffnet wurde. «Der König will ihn sehen», sagte eine vertraute Stimme.
Ich drehte mich um und sah Steapa an der Tür stehen. Der gute Steapa, der Befehlshaber über Alfreds Haustruppen, ein Bauernsklave, der zu einem großen Krieger aufgestiegen war, ein Mann, der nicht viel mehr Verstand hatte als ein Fass Lehm, aber stark war wie ein Ochse, ein Freund, und ein so wahrhaftiger Mensch, wie ich kaum je einen gekannt habe. «Der König», sagte er auf seine schwerfällig Art.
«Aber …», begann Plegmund.
«Der König will mich sehen, krummzahniger Bastard», sagte ich zu ihm, und dann sah ich den Speermann an, der mich bedroht hatte. «Wenn du jemals wieder eine Klinge gegen mich erhebst», versprach ich ihm, «schlitze ich dir den Bauch auf und verfüttere deine Eingeweide an meine Hunde.»
Die Nornen lachten sich vermutlich ins Fäustchen, und ich ging zum König.