KAPITEL 28

Die Nacht verbrachte ich im Hotel, und dann, wie wir es uns zur Gewohnheit gemacht hatten, die schläfrigen Morgenstunden bei Sayaka. Minuten nach unserer Ankunft landeten wir im Bett und liebten uns ein oder zwei Stunden lang. Manchmal standen wir anschließend auf und nahmen ein leichtes Frühstück zu uns, wenn wir uns nicht so sehr verausgabt hatten, dass wir uns kaum noch rühren konnten.

Diesmal hatte sie mich auf den Rücken gestoßen und saß rittlings auf mir, eine Stellung, die sie inzwischen bevorzugte. Sie hatte erstaunlich kräftige Arme und stützte sich mit einer Hand auf meiner Brust ab, während sie mit der anderen nach unten griff und mich einführte. Sie ließ die Hand dort, umfasste mich damit und fühlte mit den Fingern, was sie durch ihre Verletzung anderswo nicht spüren konnte. Ich liebkoste ihr Gesicht, ihre Brüste, ihre Hüften. Sie sah umwerfend aus in dieser Stellung, das Gesicht halb hinter den Haaren verborgen, während sie sich auf mir bewegte. Immer wieder blickte sie nach unten, um auch zu sehen, was sie mit der Hand fühlte. Ich liebte es, wenn sie das tat, liebte ihre Unbefangenheit, wenn Staunen und Verwunderung sie erfüllten. Sie sah mir wieder in die Augen, ritt mich fester, drängender. Ihre Lippen waren geöffnet, sie atmete schwer, und Verwirrung und Frustration glitten abwechselnd über ihr Gesicht.

»Jun«, sagte sie und bewegte sich schneller, beinahe zornig. Sie hatte ihr Gewicht so stark auf meine Brust verlagert, dass mir das Atmen schwerfiel, und sie rieb sich so fest an mir, dass mein Becken schmerzte, auch wenn es ein süßer Schmerz war. »Jun«, wiederholte sie, während sie mir in die Augen sah, und dann noch einmal, lauter. Ihr Mund öffnete sich zu einem perfekten O, ihre Augenlider flatterten und ihre Stimme ging in einen langen, überraschten Aufschrei über.

Ich glich mich ihren Bewegungen an, verwirrt, überrascht, wagte nicht zu hoffen. Hatte sie einen Orgasmus? Mein Gott, es war so schön. Sie war so schön.

Es dauerte lange Zeit, und dann sackte sie plötzlich schwer atmend auf mir zusammen. Ich hielt sie fest, streichelte ihr die Haare und flüsterte immer wieder ihren Namen. Sie kuschelte sich an mich, legte mir das Gesicht an die Schulter, und ich spürte ihre Tränen auf meiner Haut.

»Alles okay?«, fragte ich leise, strich ihr über die Haare und versuchte, ihr Gesicht zu sehen.

Sie stemmte sich hoch und sah mich mit nassen Augen an. Ihre Wangen waren tränenüberströmt. Sie schüttelte den Kopf. »Das war so wundervoll. Ich habe noch nie so etwas gefühlt.«

»Sayaka … glaubst du, du bist gerade gekommen?«

Sie lächelte, und frische Tränen rollten ihr übers Gesicht. »Ich weiß nicht. Es hat sich … so herrlich angefühlt. Wie eine Explosion. Aber ob ich …? Ich wusste nicht, dass ich es kann.« Sie weinte heftiger. »Ich wusste es nicht.«

Ich spürte, wie auch mir die Tränen in die Augen stiegen, und zog sie verlegen an mich, um es sie nicht sehen zu lassen. Es war zu spät. Sie stemmte sich wieder hoch und lachte. »Jun«, sagte sie. »Mein harter Bursche.«

Ich lachte auch, aber die Tränen flossen weiter.

Sie streichelte meine Wange. »Warum weinst du?«

Ich räusperte mich und versuchte, die Tränen wegzublinzeln. »Tue ich doch gar nicht.«

Sie lachte wieder. »Lügner.«

Ich wollte ihr sagen, wie sehr ich sie liebte. Einfach damit herausplatzen. Doch ich hatte Angst davor. Angst, sie würde glauben, es sei nur eine Verliebtheit, dass ich zu jung für sie sei, nur ein verknallter Tölpel.

Aber ich liebte sie. Mein Gott, wie sehr ich sie liebte.

»Ich bin nur glücklich«, sagte ich. »Du machst mich glücklich.«

Heute frage ich mich manchmal, ob es etwas geändert hätte, wenn ich es ihr damals gesagt hätte. Dann versuche ich, mir einzureden, dass sie es ohnehin wusste. Nur werde ich mir nie sicher sein. Ich wünschte, ich hätte es gesagt. Nie im Leben habe ich mir etwas mehr gewünscht. Aber ich tat es nicht.

Nicht lange danach ging ich fort. Es tat mir weh, ihr lediglich sagen zu können, dass es um die Arbeit ging. Und ich fühlte mich noch schlimmer, als sie nicht nachhakte. Ich musste die Sache abschließen. Ich konnte ja nicht einfach davonlaufen. Außer, ich wollte den Rest meines Lebens in schäbigen Love Hotels verbringen und ständig über die Schulter sehen. Um zu gewinnen, musste ich erst Kontra geben. Dann konnte ich die Dinge hinter mir lassen, in die ich verstrickt war. Tot, begraben, verschwunden. Und im Lauf der Zeit vielleicht sogar vergessen.

Ich hielt bei einem Discountladen an und kaufte eine grüne Hose, ein grünes, langärmliges T-Shirt und eine grüne Baseball-Kappe. Nicht gerade eine perfekte Tarnung, jedoch ausreichend, um mir einen Vorteil zu verschaffen. Außerdem besorgte ich mir Gesichtsfarbe, wie sie Kinder benutzen, um sich in Katzen oder Schildkröten oder Gott weiß was zu verwandeln. Meine Tasche ließ ich in einem Schließfach am Bahnhof Ueno zurück. Nur die Hi Power behielt ich, während ich Thanatos parkte und zu Fuß nach Yanaka ging. Unterwegs suchte ich eine öffentliche Toilette auf. Am Morgen hatte ich bewusst nichts getrunken, und eigentlich war es gar nicht nötig, aber mir war klar, dass ich jetzt für eine ganze Weile zum letzten Mal gefahrlos pinkeln konnte.

Ich war mehrere Stunden zu früh dran. Trotzdem musste ich mich vorsichtig anschleichen, falls sie damit gerechnet hatten. Eigentlich glaubte ich nicht daran – schließlich war ich immer pünktlich gewesen, wenn ich mich mit McGraw traf, und diese Unvorsichtigkeit meinerseits war ihm gewiss nicht entgangen. Vermutlich verließ er sich darauf und hatte Mad Dogs Leute entsprechend instruiert. Aber wozu ein Risiko eingehen?

Ich kletterte über die nordwestliche Außenmauer, statt einen der Eingänge zu nehmen. Vermutlich hatten sie nicht das nötige Personal, um jedes Tor zu observieren, allerdings wusste ich nicht, auf welche Ressourcen Mad Dog nach dem Tod seines Vaters zurückgreifen konnte. Vielleicht verfügte er über Dutzende von Fußsoldaten, die sich alle bei ihm anbiedern wollten.

Ich schlängelte mich zwischen den Grabsteinen durch und ging quer über den Friedhof, statt mich an die Hauptwege zu halten. Auch das war vermutlich überflüssig, aber Vorsicht konnte nie schaden. Es waren nicht viele Leute unterwegs. Ein paar Rentner, die ihre Hunde ausführten, einige Angehörige, die Blumen niederlegten oder Räucherstäbchen ansteckten. Mütter mit kleinen Kindern auf dem angegliederten Spielplatz. Nichts kam mir verdächtig vor.

Von Norden kommend, mied ich die Steintreppe, schwang mich auf der anderen Seite auf das erhöhte, eingefriedete Gelände oberhalb des Tokugawa-Grabs und schob mich unter die Hecke. Ich wartete, beobachtete, lauschte. Krähen krächzten. Sommerinsekten summten. Ein Zug der Yamanote-Linie klingelte in der Ferne. Abgesehen davon war es … still. Sie wissen schon.

Ich schraubte den kleinen Tiegel mit Gesichtsfarbe auf und malte mir diagonale Streifen auf die Wangen. Die Erinnerung aus vergangenen Dschungelgefechten lenkte meine Finger. Ich steckte die Farbe ein, setzte mir die Baseball-Kappe mit dem Schirm nach hinten auf, legte mich flach auf den Boden und wartete. Es war heiß und schwül, und die Stechmücken waren eine Plage. Wahrscheinlich war meine Befürchtung, Mad Dog und seine Leute würden sich allen Ernstes solchen Unbequemlichkeiten aussetzen, übertrieben gewesen. Dazu musste man verrückt sein. Oder zumindest Schlimmeres gewöhnt sein, wie zum Beispiel Dreißig-Kilo-Rucksäcke durch die südostasiatische Provinz zu schleifen. Das Kranke an der Sache war, dass ich mich dabei wohlfühlte. Sicher, ich hielt nur eine Pistole in der Hand, kein CAR-15-Sturmgewehr, und Yanaka roch nach Großstadt, nicht nach Dschungel. Aber die Situation wirkte vertraut und natürlich, wie etwas, für das ich ausgebildet und vielleicht sogar geschaffen war. Ich fühlte mich geschmeidig, gefährlich und tödlich. Gott stehe jedem bei, der mir zu nahe kommt.

Ich hatte zwei Stunden so dagelegen, als ich Schritte auf der Treppe hörte. Ich blieb völlig regungslos und wandte den Blick, ohne den Kopf zu drehen. Ein untersetzter Japaner um die dreißig mit Yakuza-Tolle näherte sich. Er trug einen Zweireiher mit Aufschlägen so breit wie die Flügel eines Jumbojets. Ein angenehmer kleiner Adrenalinstoß schoss durch meine Adern. Aha, anscheinend hatten sie diesmal das A-Team ausgeschickt und nicht drei inkompetente Chinpira. Der Typ hatte einen arroganten Gang. Das sah ich gerne. Es deutete auf übertriebenes Selbstvertrauen hin. Er machte sich nicht einmal die Mühe, die Umgebung zu sondieren. Er ging einfach zur Südseite, suchte sich eine relativ dünne Stelle in der Hecke und schob die Zweige beiseite. Er zog ein Funkgerät hervor, schaltete es ein und sagte: »Ich bin angekommen. Ja, ich kann euch beide sehen.«

Sie waren also zu dritt. Okay. War einer von ihnen Mad Dog? Ich hatte nicht den Eindruck. Drei waren das Minimum, um alle Zugangspunkte zu kontrollieren. Diese Typen waren der Stoßtrupp. Falls Mad Dog hier war, dann als Zuschauer, vielleicht in einiger Entfernung. Das konnte ich nur feststellen, indem ich die drei hier erledigte und später nachsah, ob noch jemand übrig war.

Er kauerte sich hin. Mit der einen Hand hielt er das Funkgerät, mit der anderen schob er die Zweige auseinander. Die Haltung wirkte unbequem. Wahrscheinlich erwartete er nicht, allzu lange ausharren zu müssen. Es wäre ja auch unhöflich von mir gewesen, ihn warten zu lassen.

Ich robbte auf den Ellbogen vorwärts, die Hi Power im Anschlag. Sollte er sich umdrehen, musste ich ihn erschießen. Aber dann hörten seine Kumpane den Schuss, und ich verlor das Überraschungsmoment. Es war besser, näher heranzukommen und ihn lautlos zu erledigen. Ich brauchte zehn Minuten, um durchs Gebüsch auf die Grasfläche zu gelangen. Nachdem die Zweige hinter mir lagen, deren Knacken mich hätte verraten können, ging es schneller. In weniger als dreißig Sekunden hatte ich die sechs Meter zwischen mir und ihm tief geduckt zurückgelegt. Er hörte mich nicht kommen und hatte keine Ahnung von meiner Anwesenheit, noch nicht einmal, als ich direkt hinter ihm war.

Ich hob die Hi Power und hieb ihm den unten aus meiner Faust hervorstehenden Knauf wie einen Hammer mit aller Wucht gegen den Hinterkopf. Ein zufriedenstellendes Knacken ertönte. Er erzitterte und sackte lautlos nach vorne. Ich riss ihn am Kragen zurück und hieb ihm den Griff im Fallen noch einmal ins Gesicht. Er landete auf dem Rücken. Das Gras dämpfte das Geräusch seines Falls. Seine Augen waren blicklos, aber sein Mund zuckte. Er war noch nicht tot. Ich zerrte ihm den Kopf an der Yakuza-Tolle nach hinten – und hielt sie plötzlich in der Hand. Meine Güte, der Kerl trug ein Toupet. Ich warf es beiseite, grub die Finger in seine Augenhöhlen, zog ihm den Kopf zurück und schmetterte ihm den Griff der Hi Power gegen die entblößte Kehle. Ich spürte Knorpel brechen und wusste, dass er erledigt war.

Das Funkgerät rauschte. Scheiße. Eine Stimme fragte: »Alles in Ordnung?«

Ich griff danach und schaltete das Mikrofon ein. »Ja. Muss nur mal pissen.« Der Empfang war schlecht genug, dass ihm der Unterschied zwischen meiner Stimme und der des toten Yakuza hoffentlich nicht auffallen würde.

»Dann mach schnell. Du bist hier um, Ausschau zu halten.«

»Okay.«

Ich ließ das Funkgerät fallen und tastete den Yakuza ab. Er war unbewaffnet – okay, er war ja nur der Späher. Ich zog seinen Oberkörper hoch, setzte mich hinter ihn, stemmte ihm die Füße gegen das Steißbein und stieß ihn in die Büsche. Seine Hosenbeine schoben sich hoch. Als er weit genug vorgerutscht war, dass seine Kumpane ihn wieder sehen konnten, zog ich ein paar Äste so hinter seinem Rücken zusammen, dass sie ihn aufrecht hielten. Nicht gerade lebensecht, aber die anderen beiden waren weit weg und das Laub verdeckte den Mann so weit, sodass ich zuversichtlich war, ihnen würde nichts auffallen.

Ich legte mich flach auf den Bauch und spähte hinab auf Fukumotos Grabstätte, wobei ich darauf achtete, dass reichlich Grün mein getarntes Gesicht verbarg. Ich entdeckte die beiden anderen. Einer stand an der Südwestecke der Mauer, der andere an der südöstlichen, genau, wie ich es mir gedacht hatte. Sie standen unter den Bäumen, teilweise vermutlich als Deckung, aber auch, um der sengenden Sonne zu entgehen. Und obwohl sie beide freie Sicht auf die Position des mittlerweile toten Beobachters hatten, konnten sie sich gegenseitig nicht sehen.

Ich nahm das Funkgerät und musterte es. Ich war in Versuchung, es mitzunehmen, sah aber keine Möglichkeit, es stumm zu schalten, außer ich machte es ganz aus. Selbst wenn ich die Rauschunterdrückung voll aufdrehte, reichte das vielleicht bei einem starken Signal nicht aus, und falls einer der Yakuza gerade zu funken versuchte, während ich mich von hinten an sie anschlich, war ich aufgeflogen. Also schaltete ich es ab, wischte meine Fingerabdrücke weg und ließ das Gerät im Gras neben seinem verstorbenen Besitzer liegen. Dann schlüpfte ich auf demselben Weg, den ich gekommen war, von der erhöhten Grabstelle herunter und schlug einen großen Bogen im Uhrzeigersinn. Als Deckung nutzte ich die Bäume und dicht stehende Gruppen von verwitterten Grabsteinen. Diesmal musste ich nicht besonders leise sein, und in wenigen Minuten kam ich hinter der Stellung des Typen an der Südostecke heraus. Lautlos schlich ich weiter zwischen den Bäumen hindurch. Ich hatte die Hi Power gezogen, und mein Herz raste. Dann sah ich ihn. Er war genauso gekleidet wie der tote Yakuza, lehnte mit dem Rücken an einem Baumstamm und rauchte eine Zigarette. Die Jungs waren nicht gerade Vorsichtsfanatiker, aber andererseits würde wohl kaum jemand einem offensichtlich als solchen erkennbaren Yakuza dumm kommen, nur weil er auf einem Friedhof herumlungerte.

Als ich fünf Meter hinter ihm war, schlich ich ein wenig seitlicher weiter, damit ich ihn im Profil sehen konnte. Er lehnte so an dem Baum, dass ich keine Chance hatte, wie bei dem ersten Typen ungesehen von hinten an ihn heranzukommen. Ich hatte mich gerade entschieden, ihm den Lauf der Hi Power ins Genick zu schmettern, als er sich aus schierem Glück, einem tief sitzenden Instinkt heraus oder einfach grundlos umdrehte und mir direkt ins Gesicht starrte.

Der Unterkiefer klappte ihm herunter, und er griff unters Jackett. Aber ich hatte meine Waffe bereits im Anschlag, und bevor er seine eigene zu fassen bekam, zeigte die Hi Power unverwandt auf sein Gesicht. Ich sah ihm in die Augen und schüttelte zweimal den Kopf. Die Botschaft kam an: Tu es nicht, du hast keine Chance. Seine Hand kam wieder zum Vorschein, und er hob langsam beide Hände.

»Mit der linken Hand herausnehmen«, sagte ich leise. »Ganz sachte und vorsichtig. Auf den Boden legen. Ich habe den Abzug schon fast durchgezogen. Ein Zucken, und du bist tot. Das willst du sicher nicht.«

Er gehorchte. Als die Pistole auf dem Boden lag, sagte er: »Du hast ja keine Ahnung, mit wem du dich angelegt hast.«

»Warum erzählst du es mir nicht?«

Er lachte.

Tja, ein harter Bursche, das musste man ihm lassen.

»Hinlegen«, sagte ich. »Mit dem Gesicht nach unten.«

Er lachte abermals. »Willst du überleben? Dann dreh dich um und renn davon, so schnell du kannst.«

»Vielleicht. Aber ich habe einen größeren Vorsprung, wenn du mit dem Gesicht nach unten liegst. Oder tot bist. Du kannst es dir aussuchen.«

Wieder gehorchte er.

»Arme über den Kopf ausstrecken«, befahl ich. »So weit es geht. Finger gespreizt. Und die Beine auseinander.«

Damals wusste ich noch nichts davon, doch die Psychologie des Gehorsams ist faszinierend. Der schwierigste Teil ist, die erste Kooperation zu erreichen. Hat ein Mensch erst einmal begonnen, zu gehorchen, erscheint ihm jeder weitere Schritt nur als geringfügige Erweiterung. So kann man ein bemerkenswertes Maß an Unterordnung erzielen. An diesem Punkt war er schon so gefügig, dass wir auch »Alle Vögel fliegen hoch« hätten spielen können.

Natürlich schadete es nicht, dass er in seiner Yakuza-Arroganz annahm, ich würde schleunigst abhauen. Hätte er gewusst, was ich seinem Freund fünf Minuten zuvor angetan hatte – ich bezweifle, dass er so optimistisch gewesen wäre.

Sobald er die Arme über den Kopf ausgestreckt und die Beine gespreizt hatte, konnte er sich nicht mehr wehren. Deshalb hatte er auch keine Chance, als ich neben ihn trat, den Fuß hob und auf sein Genick herabkrachen ließ. Seine Arme schlugen wild um sich und sein Körper zuckte. Vermutlich war er bereits tot und das Rückenmark durchtrennt, doch zur Sicherheit trat ich noch zweimal zu. Anschließend drehte ich ihn auf den Rücken und nahm seine Waffe an mich – eine weitere Hi Power. Schien die Standardausrüstung der Gokumatsu-gumi zu sein. Ich schob sie mir hinten in den Hosenbund, atmete tief durch und schlug einen weiteren großen Bogen im Uhrzeigersinn.

Ich brauchte weniger als eine Minute, um den dritten Typen zu erreichen. Ich schlich mich von hinten an und sah, dass ich gerade rechtzeitig kam – er hielt das Funkgerät ans Ohr. »He, wo seid ihr? Meldet euch.«

Ich trat so weit vor, dass ich praktisch im Neunzig-Grad-Winkel seitlich von ihm stand, und richtete die Hi Power auf seinen Kopf. »Die melden sich nicht mehr«, meinte ich. »Sie sind tot.«

Er zuckte zusammen und fuhr herum. Seine rechte Hand glitt automatisch unter sein Jackett, doch er hielt sich zurück, als er in die Mündung der Hi Power sah.

Verdammt noch mal. Es war Schweineauge. Der Kerl, der im Kodokan versucht hatte, mich zu erwürgen, und den seine Bemühungen fast einen Hoden gekostet hätten.

»Willst du leben oder lieber sterben?«, fragte ich.

Er spuckte aus. »Leg die Waffe weg. Dann werden wir sehen, wie es ausgeht.«

»Klar, ich stecke sie weg. Nachdem ich dir damit ins Gesicht geschossen habe. Mal sehen, wie das ausgeht.«

Er hob zögernd die Hände, und seine Nasenflügel blähten sich vor Zorn.

»Und jetzt nimm langsam deine Pistole mit der linken Hand heraus. Und leg sie auf den Boden. Keine plötzliche Bewegung.«

Er gehorchte.

»Jetzt dreh dich um und stemme die Handflächen gegen den Baum da. Spreiz die Beine und beug dich vor, bis du mit ganzem Gewicht gegen den Baum gelehnt bist.«

Das tat er, aber nicht zu meiner Zufriedenheit.

»Nein, nicht so. Die Beine breiter. Und tritt weiter vom Baum weg.«

Er gehorchte.

Als ich sicher war, dass er nichts mehr unternehmen konnte, ohne vorher mindestens eine Sekunde gebraucht zu haben, um wieder sicheren Stand zu finden und sich vom Baum zu lösen, trat ich näher und hob seine Waffe auf. Noch eine Hi Power. Ich schob sie mir in den Hosenbund. Langsam wurde es ein wenig eng da hinten mit den gewichtigen Pistolen. »Wer hat dich geschickt?«

Er drehte den Kopf so weit, dass er mich sehen konnte. »Was meinst du?«

»Sieh mich nicht an. Augen zum Baum. Ich meine, für wen arbeitest du? Wer will meinen Tod?«

Er antwortete nicht.

»Deine Freunde sind tot. Das könnte für dich gut sein oder schlecht. Schlecht, weil ich auch dich problemlos umlegen kann. Gut, weil niemand mehr da ist, der dir widersprechen könnte, was hier passiert ist. Du könntest behaupten, ich hätte den Typen am anderen Ende dieser Mauer getötet, und als du mich verfolgt hast, wäre ich auf ein Motorrad gesprungen und davongerast. Klar, vielleicht müsstest du als Ausdruck deiner Reue ein Glied deines kleinen Fingers opfern. Aber du könntest behaupten, dass deine Ehre erst dann wiederhergestellt wäre, wenn du mich aufgespürt und getötet hast. Sie würden dich leben lassen. Ich nicht. Also, wer will meinen Tod?«

Eine Pause entstand, während er seine Chancen abwog. »Mad Dog«, sagte er.

»Warum?«

»Du hast seinen Cousin ermordet.«

»Was ist mit seinem Vater? Wer hat seinen Vater ermordet?«

»Das wissen wir nicht. Aber wir werden es herausfinden.«

Interessant. Das klang, als wüsste Mad Dog nicht, dass ich es gewesen war. Oder er wollte niemanden erfahren lassen, dass er Bescheid wusste.

»Wo ist er?«

»Das weiß ich nicht.«

»Ich glaube dir nicht. Du kennst ihn gut. Er war mit dir im Kodokan. Damit er zusehen konnte. Ist er hier?«

»Ich weiß nicht.«

»Quatsch.«

»Ich sage die Wahrheit.«

»Nachdem ihr mich umgelegt hattet, wie solltet ihr ihm Bericht erstatten?«

»Wir sollten ihn anrufen.«

»Welche Nummer?«

»Ich habe sie nicht hier. Ich habe sie aufgeschrieben.«

Ich wusste, dass er log. Leider hatte ich keine Möglichkeit, ihn dazu zu bringen, die Wahrheit zu sagen. Natürlich konnte ich versuchen, ihm Angst einzujagen, ihn zu verprügeln. Vielleicht spuckte er eine Telefonnummer oder eine Adresse aus. Doch wenn ich dort anrief, würde ich vermutlich herausfinden, dass es sich um seinen bevorzugten Bento-Lieferanten, seine Reinigung, seine Masseurin oder etwas Vergleichbares handelte.

Nein. Das war eine Sackgasse. Ich trat näher, um ihm den Griff der Hi Power gegen den Hinterkopf zu hämmern wie bei dem ersten Typen.

Das war ein Fehler. Schweineauge war klar, dass ich keinen Grund hatte, ihn am Leben zu lassen. Die beiden anderen waren tot. Warum hätte ich ihn laufen lassen sollen? Er wusste, dass ich ihn umbringen würde, und zwar mit den Händen, um nicht zu riskieren, mit einem Schuss Aufmerksamkeit zu erregen. Ein Durchschnittsbürger hätte sich vielleicht auf ein Dutzend verschiedene Arten eingeredet, dass sein Ableben nicht unmittelbar bevorstand. Doch der hier war kein Durchschnitt. Er war ein brutaler Schwerverbrecher, gewieft genug, um es zu einer Art Führungsposition gebracht zu haben. Ein Judoexperte. Und indem ich ihn vergeblich auszuquetschen versuchte, hatte ich ihm wertvolle Zeit gelassen, sich wieder zu fassen und vorzubereiten.

Im selben Moment, als ich vorschnellte, um ihn zu erledigen, tat er also das Einzige, was ihm noch übrig blieb. Er riss die Arme zur Seite und überließ sich der Schwerkraft. Hätte ich Zeit zum Nachdenken gehabt, wäre ich zurückgesprungen, um ihn einfach zu erschießen und mir später über den Krach Sorgen zu machen. Aber ich hatte schon zu dem Hammerschlag angesetzt und konnte ihn nicht mehr bremsen. Der Griff der Pistole streifte ihn nur, und den letzten Schwung verlor mein Schlag dadurch, dass Schweineauge sich mit zunehmender Geschwindigkeit in dieselbe Richtung bewegte. Er knallte mit dem Kopf seitlich gegen den Baumstamm, warf sich herum, streckte das Bein an meinem Knie vorbei aus und brachte mich mit einer Beinschere zu Fall. Ich krachte schwer zu Boden. Die beiden Pistolen gruben sich schmerzhaft in meinen Rücken. Er bekam meine rechte Hand mit der Waffe zu fassen und schwang sich überraschend gewandt rittlings auf meinen Oberkörper. Mit beiden Händen packte er den Lauf und drehte die Mündung von sich weg. Mein Finger steckte nicht im Abzugbügel – das war einerseits gut, weil er ihn mir sonst gebrochen hätte, aber auch schlecht, weil ich nicht schießen konnte. Allerdings hatte ich starke Hände und Handgelenke, gestählt von Hunderten Stunden, in denen ich schwere, baumwollene Judogi gepackt gehalten hatte. Egal, wie sehr er sich mühte, er konnte mir die Pistole nicht entreißen. Aber ich bekam sie auch nicht frei. Er wechselte die Taktik und schmetterte meine Hand auf den Boden, ein-, zwei-, dreimal. Ich spürte die Schläge bis in die Schulter hinauf und wusste, dass ich die Waffe nicht mehr lange so festhalten konnte. Ich langte mit der linken Hand hinter meinen Rücken und bekam den Griff einer der anderen Pistolen zu fassen. Ich riss sie mit einem gellenden Kampfschrei heraus. Er ließ mit einer Hand los und packte die zweite Waffe im selben Moment am Lauf, als ich den Sicherungshebel umlegte. Jetzt hielten wir jeder zwei Pistolen fest, ich an den Griffen, er an den Läufen. Seine Judotechnik mochte besser sein als meine, aber Hand gegen Hand war ich stärker. Ich schob den Finger in den Abzugbügel der Pistole in meiner Rechten, starrte ihm in die Augen und begann, den Lauf unerbittlich auf seinen Kopf zuzudrehen. Seine Schweineaugen quollen heraus und er biss die Zähne zusammen, aber seine vor Anstrengung zitternden Arme konnten mich nicht stoppen. Im letzten Moment versuchte er zurückzuspringen, doch es war zu spät. Ich schoss ihm eine Kugel schräg ins Gesicht. Hirnmasse und Schädelsplitter platzten auf der anderen Seite heraus, und er sackte neben mir auf der Erde zusammen.

Ich strampelte mich frei. Die Lautstärke des Schusses hatte mir Angst gemacht. Meine Hand war taub, wo er sie gegen den Boden geschmettert hatte. Hatte ich Blutspritzer abbekommen? Ganz konnte ich es nicht vermieden haben, doch soweit ich sah, war die größte Schweinerei seitlich von mir verspritzt. Ich blickte mich um. In unmittelbarer Nähe entdeckte ich niemanden. Wenn es Besucher in diesem Winkel des Friedhofs gab, die gerade ihre Gebete verrichteten oder Blumen niederlegten, würden sie wahrscheinlich einen Augenblick lang den Kopf heben, lauschen und sich dann sagen, dass das Geräusch nichts zu bedeuten hatte. Es spielte keine Rolle. Ich musste so oder so schleunigst hier weg. Ich sicherte die nicht abgefeuerte Pistole, schob sie wieder unter den Hosenbund, hielt die andere unter meinem T-Shirt versteckt und ging schnell und auf wackeligen Beinen davon.

Ich war nur wenige Schritte weit gekommen, als ich links von mir ein Auto hörte. Ich wandte mich gerade noch rechtzeitig um, um eine schwarze Limousine mit quietschenden Reifen auf dem asphaltierten Weg bremsen zu sehen, den ich gerade überquerte. Der Fahrer war Yakuza pur – vernarbtes Gesicht, Haartolle, dunkle Sonnenbrille. Und auf dem Rücksitz …

Mad Dog.

Ich zog die Hi Power heraus und legte sie mit beidhändigem Griff an. Der Fahrer trat voll aufs Gas. Ich hörte das Geräusch von qualmendem Gummi und davonspritzendem Kies, und er schoss direkt auf mich zu. Ich zog den Abzug durch. Ich hatte auf den Fahrer gezielt, aber die Kugel ging genau in der Mitte durch die Windschutzscheibe – die Gefühllosigkeit in meiner Hand behinderte mich. Ich versuchte, die Abweichung auszugleichen, aber da war er schon da. Ich warf mich zur Seite und fing den Aufprall mit einer Judo-Rolle ab. Unwillkürlich schrie ich auf, als die beiden Pistolen in meinen Rücken schnitten. Egal – Hauptsache, die verdammten Dinger waren nicht losgegangen und hatten mir den Hintern weggepustet.

Ich kam wieder auf die Füße und hatte gerade noch genügend Zeit, um einen weiteren Schuss abzugeben. Die Kugel traf den Kofferraum, dann war der Wagen um eine Biegung herum verschwunden. Mit etwas Glück hatte sie den Rücksitz durchschlagen und Mad Dog durchbohrt. Aber ich bezweifelte es – ich hatte auf der falschen Seite getroffen. Und der erste Schuss war meiner Meinung nach auch danebengegangen.

Ich ging rasch zurück in Richtung der Stelle, an der ich in den Friedhof eingedrungen war. Die Baseball-Kappe zog ich mir tief in die Stirn und wischte die Gesichtsfarbe mit Spucke und einem Taschentuch weg. Ich hielt den Kopf gesenkt, blieb auf den schmalen, ausgetretenen Pfaden zwischen den Gräbern und mied die gepflasterten Fahr- und Fußgängerwege. Unvermeidlich begegnete ich ein paar Leuten, doch mit abgewandtem Gesicht und der Kappe machte ich mir keine großen Sorgen, dass mich jemand bei der Polizei identifizieren könnte.

Also war Mad Dog tatsächlich hier gewesen – natürlich als Zuschauer, genau wie im Kodokan. Er hatte den Schuss gehört und angenommen, einer seiner Leute hätte mich umgelegt. Vielleicht hatte er versucht, sie anzufunken, und keine Antwort bekommen. Trotzdem war der Fahrer losgefahren, damit Mad Dog sich seine Trophäe abholen konnte, frisch präpariert und ausgestopft.

Tja, ein Schlag ins Wasser, du Arschloch.

Ich blieb in Bewegung. Mein Rücken brannte, wo die Pistolen sich hineingegraben hatten. Der Friedhof Yanaka war so groß, dass er eine eigene Koban hatte, eine Polizeizelle. Ich vermutete zwar, dass die dort stationierten Beamten eher Erfahrung damit hatten, Trauernden den Weg zum Grab ihrer Angehörigen zu weisen und Hanami-Bewunderer aufzufordern, den Müll ihrer Picknicks einzusammeln. Aber jede Konfrontation wäre mir sehr ungelegen gekommen. Ich wollte nicht, dass mir irgendetwas dabei in die Quere kam, Mad Dog endlich abzuservieren. Und anschließend McGraw, dieses verlogene Stück Scheiße. Mir fiel wieder ein, was er gesagt hatte. Das ist eine reine Geschäftsbeziehung. Sie bringen mir einen Vorteil, und Sie stellen einen Kostenfaktor dar.

Da hast du recht, dachte ich. Einen massiven Kostenfaktor. Er wird dich das Leben kosten.