3. Eine Rückkehr

Tag 16, 16:10

Seit sechs Tagen habe ich Gabriel nun nicht mehr gesehen, seit unserem intensiven Liebesspiel im roten Salon und seinem überstürzten Aufbruch. Er ist verschwunden. Am ersten Tag habe ich seiner Abwesenheit keine Beachtung geschenkt, ich war davon überzeugt, dass er mir abends einen kurzen Besuch abstatten würde. Ich habe den Tag mit Schreiben verbracht, habe über mich geschrieben, über ihn, über die Krise des Blutes … Hier entdecke ich meine Leidenschaft für das geschriebene Wort, und aus meiner Isolation erwächst ein neues Hobby: das Schreiben von Aufsätzen. Zwei Tage vergehen, drei Tage, heute sind es bereits sechs … Ist er auf Reisen? Was macht er gerade? Ich versuche, Magda einen Hinweis zu entlocken, doch die treue Haushälterin verrät ihren Hausherren nicht.

Ich drücke auf den Knopf. Ich brauche nichts, abgesehen von etwas Gesellschaft, menschlichem Kontakt. Charles kommt umgehend in mein Zimmer.

„Was wünschen Sie, Héloïse?“

„Antworten.“

„Stellen Sie Ihre Frage!“

„Gut. Was könnten Sie mir vorschlagen, um auf andere Gedanken zu kommen? Wenn ich noch einen Tag alleine bleiben muss, werde ich anfangen, mit meinen Schuhen zu sprechen.“

„Haha! Ich verstehe. Machen wir doch einen Spaziergang!“

„Draußen?“

„Das kann ich Ihnen leider nicht erlauben. Das Haus ist jedoch groß genug, um eine gute halbe Stunde darin spazieren zu gehen.“

Freiraum … ich brauche im Moment nicht mehr, um glücklich zu sein. Ich lege das vollgeschriebene Heft auf das Nachttischchen. Dann ziehe ich meine Schuhe an und schlage die Tür zu meinem goldenen Käfig zu. Ich habe seit Ewigkeiten nicht mehr die Sonne oder frische Luft gespürt, doch ich freue mich darauf, neue Räume zu entdecken.

Ein Gang, mein Badezimmer, ein weiterer Gang, der Haupteingang, die Küche, der rote Salon … und schon geht es auf zu neuen Entdeckungen. Charles öffnet eine kleine grüne Tür, wir folgen einem langen Flur und betreten eine riesige Bibliothek.

„Das ist mein Lieblingszimmer.“

Charles lacht und blickt mich wohlwollend und ehrerbietend an. Ich bin erstaunt, seine Augen sind blaugrau, er kann nicht zur gleichen Gattung gehören wie Magda, Gabriel und seine Freunde. Er sieht nicht minder gut aus, doch seine Züge sind etwas weniger perfekt. Er hat eine markante Nase, die mich an jene meines Vaters erinnert, und große, kräftige Hände. Neben ihm sehe ich winzig aus, doch ich habe keine Angst, da er einen sanften Charakter hat.

„Dieses Zimmer ist unglaublich schön. Es ist so hell, alle anderen Räume sind düster. Das macht dieses spezielle opake Glas. Das Licht kommt durch, es ist jedoch so schwach, dass es uns nicht schaden kann. Und dann diese Bücher, es ist eine wahre Schatzkiste.“

„Ich glaube, ich werde meine letzten zwei Wochen hier verbringen.“

„Das dürfen Sie nicht. Das ist mein Zimmer.“

„Teilen Sie es mit mir.“

„Führen Sie mich nicht in Versuchung.“

Er zwinkert mir zu. Ich weiß nicht, ob es Gabriels Abwesenheit ist, die mich in die Arme eines anderen treibt, oder ob es einfach so ist, weil Charles mir gut gefällt. Ich fühle mich wohl mit ihm, vor allem kann ich ich selbst sein.

„Sie sind anders.“

Charles schlägt die Augen nieder. Er sieht sich um, öffnet den obersten Hemdknopf und zeigt mir zwei kleine runde Narben.

„Ich bin ein Gebissener.“

„Oh, das tut mir leid.“

„Das muss es nicht, ich konnte wählen. Es geschah vor 46 Jahren, ich war ein ambitionierter Journalist, der sich der Erforschung der düsteren Legenden verschrieben hatte – Werwölfe, Hexen, … Vampire. Ich habe Gabriels Identität entdeckt. Er hätte mich töten können, doch er ist ein guter Mann, also hat er mir die Möglichkeit angeboten, mich ihm anzuschließen und an seiner Seite Großes zu vollbringen. Ich war einverstanden.“

Oh, Gabriel … Ich höre nur Gutes über ihn. Er fehlt mir so sehr, warum nur ist er nicht mehr hier, ich sehne mich so sehr nach seinen Armen.

„Fehlt er Ihnen?“

„Ich fühle mich ein bisschen vernachlässigt, das stimmt … Egal! Was ist dieses Große“, das Sie für Gabriel machen?“

Charles zeigt um sich.

„Ich betreue die Bücher, das literarische Erbe des Hauses. Ich lese alles, was veröffentlicht wird, erstelle Zusammenfassungen, sortiere, reise und erstehe neue Werke. Ich sammle … wir sind ja schließlich einige Zeit hier.“

„Sind Sie glücklich?“

„Ist das ein Verhör?“

„Vielleicht. Sie müssen mich verstehen, ich wache hier auf, weit weg von meinem gewohnten Umfeld, treffe auf Vampire, freunde mich mit Magda, Gabriel und schließlich auch Ihnen an und habe trotzdem das Gefühl, nur häppchenweise an Informationen zu gelangen.“

„Das liegt daran, dass Zeit für uns keine Bedeutung hat. Wir gehen langsam an die Dinge heran. Ich verbringe dieses Leben damit, die Spuren der Vergangenheit zu verfolgen, ich habe Freude daran und ich weiß noch nicht einmal alles über meine neue Identität, doch das ist meine Aufgabe.“

„Also kein Privatleben?“

„Also einige Abenteuer!“

Diese Antwort lässt mich erröten. Er ist selbstsicher und humorvoll, doch diese sexuelle Anspielung lässt mich schon wieder an Gabriel denken.

„Darf ich Ihnen eine letzte Frage stellen?“

Charles sieht mich an und lächelt.

„Er kommt heute Abend zurück. Er musste weg, aber Sie werden ihn heute wiedersehen.“

Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um meinen Informanten zu umarmen – ganz impulsiv, vor lauter Freude, ohne darüber nachzudenken. Ich werde Gabriel wiedersehen. Endlich.

* * *

Obwohl die schweren Vorhänge geschlossen sind, habe ich das Gefühl, als würde in meinem Zimmer die Sonne scheinen. Ich drehe das kleine Radio, ein Relikt aus meiner Studentenbude, auf und beginne zu tanzen, als Donna Summers „Last Dance“ erklingt. Vergessen ist das Warten, der eiskalte Moment des Abschieds, die Einsamkeit, die Wut, die Angst, die Vernachlässigung … Bald wird er hier sein, ich möchte ihn überraschen.

Ich sehe mich im Zimmer um und beschließe, die Möbel umzustellen. Dann drehe ich alle Bilder um und lege den Teppich unter den Ankleidespiegel, der zuvor noch im Badezimmer stand. Umgeben von meinem persönlichen Zeugs, mit dem Foto meiner Eltern und meinen Habseligkeiten, fühle ich mich wohl. Ich trage meine Glücksjeans, in denen ich mich schlanker fühle, und ein großes weißes Top, das leicht transparent ist. Ich weiß, dass Gabriel transparente Kleidung mag, und ich bringe meine Brüste, die stolz genug sind, um auch ohne BH unter dem Shirt zu stehen, gerne zur Geltung.

Jemand klopft an die Tür. Gabriel klopft niemals an, ich kann also ruhig bleiben, stelle mir vor, dass meine liebe Magda mir wohl das Abendessen bringt, und öffne. Das Tablett ist in Höhe meiner Nase und ich hebe den Kopf – er ist es. Seine Augen sind noch viel schöner, er ist größer, majestätischer und ich erschaudere.

Mir entfährt ein „Oh“, und zum ersten Mal, seitdem ich ihn kenne, bricht Gabriel in Gelächter aus. Seine Augen funkeln, er will das Tablett rasch abstellen, glaubt, im Dunklen die Kommode gefunden zu haben, und bemerkt erst, dass ich sie umgestellt habe, als es lautstark zu Boden fällt. Ich sehe ihn an wie ein gelangweilter Welpe, den man zu lange allein gelassen hat, er schließt die Augen, nimmt mich in den Arm und murmelt:

„Du hast mir gefehlt.“

„Sie mir auch.“

„Ich habe dir neuen Tee mitgebracht, ich bin erstaunt, dieses Zimmer hat sich seit Jahrhunderten noch nie verändert.“

„Oh, es tut mir leid, mir war so langweilig, und dann … Ich habe mir gedacht, bevor ich damit beginne, an die Wände zu kritzeln, räume ich etwas um.“

„Entschuldige dich nicht, Héloïse. Es ist meine Schuld, ich habe dich alleine gelassen, das werde ich jetzt bis zu deiner Abreise nicht mehr tun.“

„Deine Abreise“, zwei Worte, die sich wie ein Messer in meinem Herzen anfühlen, muss er davon schon jetzt, so früh, sprechen?

„Woran denkst du?“

„Daran, dass ich Ihnen nicht fehlen werde.“

Gabriel ist verblüfft und zieht mich mit seinen Blicken aus.

„Komm hier her.“

Ich gehe auf ihn zu, und er zieht mich an meinem Shirt ganz nah zu sich. Ich bin durcheinander, eine Mischung aus Wut, Schmerz, Freude und Erregung brodelt in mir. Mit einer zärtlichen Geste streicht er mir eine Haarsträhne aus den Augen, ich kann ihn nicht ansehen.

„Während meiner Abwesenheit habe ich nur an diesen Moment gedacht. Daran, dass ich an deinen Lippen knabbern werde. Schließe die Augen.“

Er beugt sich über mich und ich fühle, wie er mit seinem rechten Eckzahn am Rand meiner Lippe knabbert. Ich fühle einen winzigen Stich und bewege meine Zunge. Schüchtern strecke ich sie ihm entgegen, ich ziehe mit ihr die Konturen seines Mundes nach, dringe in seinen Mund ein. Er hört auf zu knabbern und unsere Zungen beginnen, miteinander zu tanzen. Es ist ein langer Kuss, wir bewegen uns dabei durch das ganze Zimmer, wir küssen einander, bis wir trunken voneinander sind, an der Türe, am Fenster, an die Möbel gedrückt. Schließlich landen wir auf dem Bett und er löst sich atemlos von mir.

„Du machst mich verrückt.“

Er nimmt mich an den Haaren und drückt meinen Mund fest auf seinen, er spielt mit meiner Zunge, dringt tief in meinen Mund ein. Dann setzt er sich auf das Bett und ich sitze schließlich rittlings auf ihm. Angezogen sitzen wir so auf dem Bett und küssen uns, meine Wangen brennen. Ich bewege mein Becken vor und zurück, um ihn zu erregen, wie auch er mich erregt. Es gibt kein Halten mehr und wir stöhnen beide vor Lust. Er legt mich auf das Bett, beugt sich über mich, spreizt meine Beine und reibt weiter seinen Penis an meiner Vulva, die unter Jeans und Slip gefangen ist. Ich will mich ausziehen, mich befreien, doch Gabriel hält mich davon ab.

„Ich möchte, dass du kommst, ohne auch nur ein Stück deiner Kleidung auszuziehen. Ich will dich noch schonen, uns bleiben nur noch wenige Tage, ich will auf den absoluten Höhepunkt zusteuern.“

Also liege ich auf dem Bett und warte, wie es weitergeht. Gabriel legt sich sofort auf mich, er will, dass ich spüre, wie hart er ist, er will, dass ich schreie und komme. Er bewegt sein Becken vor und zurück, als würde er in mich eindringen, und dieses Gefühl macht mich verrückt. Der Rhythmus, wie er immer schneller wird, wie der Stoff an mir reibt, wie meine nasse Lusthöhle rot wird und anschwillt … Ich schreie vor Lust. Ich fühle, dass Gabriels Schwanz wieder kleiner wird und sich erholt, auch er ist also gekommen, ich war aber viel zu beschäftigt mit meinem Orgasmus, um mich um ihn zu kümmern.

Das war unser erster geschützter Sex. Ich weiß, dass wir uns beim Sex keine Gedanken machen müssen, ich kann von einem Vampir nicht schwanger werden und ihm auch keine Krankheiten übertragen, doch zum ersten Mal habe ich bei ihm das Gefühl, nur ein Mädchen zu sein. Als wir einander in den Armen liegen, nehme ich all meinen Mut zusammen, um mit ihm zu sprechen – endlich.

„Gabriel, warum sind Sie gegangen?“

„Ich musste arbeiten, ich hatte ein wichtiges Dossier abzuschließen, das nicht warten konnte.“

„Nein, warum sind Sie aus dem roten Salon gestürmt, nachdem wir …“

„Oh …“

Totenstille im Zimmer.

„Ich habe ein Gespenst gesehen.“

„Sie haben was?“

„Ich weiß, dass du über Rebecca Bescheid weißt. Als ich dieses kleine Fesselspiel mit dir genoss, sah ich ihr Foto, das vom flackernden Licht des Kamins beleuchtet wurde. Ich fühlte mich unwohl … beobachtet.“

„Fehlt sie Ihnen?“

„Nun ja, ich muss mich damit abfinden. Unsere Beziehung war nicht gerade glücklich, und als ich sie zum letzten Mal sah, haben wir gestritten. Es ist schwierig, damit umzugehen, dass wir nicht Frieden schließen konnten, bevor wir getrennt wurden.“

„Das tut mir leid, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich hatte noch nie lange Beziehungen. Vielleicht stört ja unsere … Affäre Ihre Trauer. Aber ich bin ja bald wieder weg.“

Ich weiß, dass es ein Wink mit dem Zaunpfahl ist, und natürlich wünsche ich mir, dass er antwortet, dass ich das Beste bin, das ihm seit Rebeccas Verschwinden passiert ist, doch Gabriel geht nicht darauf ein, er ist wie ein Buch mit sieben Siegeln. Ich habe einen Frosch im Hals, die „Erinnerung“ an jenen Abend und diese Frau im roten Salon tut weh. Ich bin wütend, verärgert, finde mich lächerlich, weil ich auf eine Frau eifersüchtig bin, die spurlos verschwunden ist.

„Sie an meiner Seite zu haben, ist eine vollkommen neue Erfahrung für mich. Sie sind meine erste Menschenfrau.“

Er hätte mich nicht härter in die Schranken weisen können. Ein Abenteuer, eine Menschenfrau …

„Ich bin nur eine Erfahrung, eine Aufgabe auf einer Liste?“

„Diese Frage stellen Sie mir nicht im Ernst … Sie sind so viel mehr, Héloïse, das sollten Sie schon gemerkt haben, glauben Sie es doch! In einer halben Stunde wird Magda kommen, dann beginnt die Überraschung.“

Gabriel verlässt das Zimmer, ich beobachte seinen Gang, der mir schon so vertraut ist, gleichzeitig erobernd und entspannt, selbstsicher. Tief in mir höre ich sein Echo: „Sie sind so viel mehr, Héloïse“. Ich möchte gar nicht an meine Abreise denken, ich will die Zeit anhalten, bei null beginnen, meine Gefangenschaft soll ewig dauern.

* * *

„Sie sehen toll aus, Gabriels Rückkehr steht Ihnen gut, meine Kleine.“

„Guten Tag, Magda. Ja, ich habe mich einsam gefühlt.“

„Es tut mir leid, ich hatte die Anweisung, nichts zu verraten, ich glaube, er wollte, dass Sie ihn vermissen. Übrigens habe ich mich geärgert, als Charles mir gestanden hat, dass er Sie ein wenig abgelenkt hat.“

„Bitte seien Sie nicht böse auf ihn, ich habe ihn darum gebeten, ich glaube, er hatte einfach Mitleid.“

„Wie auch immer. In Ordnung, ich habe hier einen Koffer für Sie, Sie gehen auf Reisen!“

„Wie? Das ist doch nicht möglich!“

„Mit Gabriel ist alles möglich. Wir haben einen Helikopter auf dem Dach, ein kleines technologisches Schmuckstück, er hat ihn kurz nach dem Verschwinden gekauft. Kurz gesagt: Sie dürfen nicht legal durch die Straßen des roten Viertels gehen, doch in der Luft ist es möglich.“

„Wohin fliegen wir?“

„Das ist eine Überraschung. Machen Sie sich fertig, es geht um 22 Uhr los.“

Magda scheint genauso aufgeregt zu sein wie ich. Ich bin total verwirrt, zuerst lässt er mich eine Woche lang alleine, dann kidnappt er mich für einen Liebesurlaub. Gabriel und seine Achterbahn der Gefühle … Im Koffer befinden sich zwei Bikinis und zwei Badetücher einer Nobelmarke … Wir gehen also schwimmen – wie konnte er wissen, dass das Wasser mein liebstes Element ist? Einige Bücher, ein neues Heft … Als ich den Kofferinhalt durchforste, denke ich an ferne Länder, an einen Swimmingpool, ich lese und Gabriel schläft neben mir.

„Sind Sie bereit?“

Charles trägt einen Mantel und steht in der Tür.

„Begleiten Sie uns, Charles?“

„Um den Anstandswauwau zu spielen? – Nein, meine Bücher würden mich zu sehr vermissen.“

„Sie werden mir fehlen!“

„Sie mir auch. Sehr sogar. Gabriel hat großes Glück.“

Charles nimmt meinen Koffer, bleibt stehen und verbindet mir die Augen.

„Es tut mir leid, ich muss es tun, es ist eine Überraschung.“

Er nimmt mich an der Hand, sie ist nicht so kalt wie die von Gabriel. Ich spüre, wie sehr er sich für diese Nähe schämt, sie ist feucht. Ich bin gerührt.

„Wohin fliegen wir?“

„Dorthin, wo Gabriel sonst niemanden mitnimmt.“

„Oh, dann werde ich Ihnen alles erzählen!“

„Einige Details können Sie getrost auslassen! Ich habe aber nichts gegen ein Foto von Ihnen im Bikini.“

„Sie denken immer nur an das Eine …“

„Ich liebe die Frauen nun einmal. Und manchmal revanchieren sie sich auch nett dafür … Aber bei Ihnen …“

Ein kühler Windhauch unterbricht ihn im Satz und ich höre, wie sich eine Tür in unserer Nähe öffnet.

„Ach, da sind Sie ja endlich. Vielen Dank, Charles, Sie können gehen.“

Wortlos macht sich Charles davon. Gabriel spricht in einem sehr harschen Ton mit ihm, er muss es gewohnt sein, dass man ihm gehorcht.

Gabriel nimmt meine Hand fest, nun führt mich ein selbstsicherer Mann. Wir befinden uns auf dem Dach und er hilft mir, einzusteigen. Ich finde es schade, dass ich die Augenbinde nicht abnehmen darf, ich würde gerne die Stadt sehen, wissen, wo ich mich befinde, gleichzeitig denke ich aber, dass es das ist, was Gabriel verhindern will. Mir steigen Tränen in die Augen, als ich den Wind fühle, ich erkenne den Geruch von Autos, es wird bereits Winter, bald wird es schneien. Mir läuft ein Schauer über den Rücken, als ich daran denke, dass ich bald im Warmen bin und einen Bikini trage. Ich sitze bequem, ich hätte nie gedacht, dass das in einem Helikopter möglich ist, ich möchte die Augenbinde abnehmen und alles sehen. Gabriel setzt sich zu meiner Rechten und ich verstehe, dass wohl er selbst fliegen wird.

„Haben Sie noch mehr verborgene Talente?“

„Hm … Ich weiß nicht, ob man Talente sagen kann, aber ich habe mehrere Eisen im Feuer … Und ich habe Zeit!“

Zeit. Das Konzept der Zeit ist bei ihnen so außergewöhnlich, ich fühle mich daneben so klein und unbedeutend. Sie können viele Leben führen, ich hingegen erstarre vor Schreck, wenn ich daran denke, was ich in meinem Leben alles nicht werde ausprobieren können.

Der Flug dauert vier, fünf Stunden oder auch mehr, ich habe keine Ahnung, so vollkommen im Dunkeln verliere ich mein Zeitgefühl. Wir unterhalten uns über seinen Pilotenschein und seine anderen Qualifikationen. Gabriel war mehrmals erfolgreich tätig, er war Arzt, Koch in einem Sternerestaurant, Kasinobetreiber … Manchmal erwähnt er Rebecca, doch er erzählt mir nur von den Problemen, die sie miteinander hatten. Sie ist ein Phantom, anscheinend hat er keine außergewöhnlich guten Erinnerungen an sie. Wir landen.

Gabriel bietet mir an, mich zu tragen, was ich unglaublich romantisch finde. Ich fühle mich wohl in seinen Armen. Dann setzt er mich ab. Es ist sehr heiß, diese tropische Atmosphäre steht in starkem Kontrast zur Eiseskälte, die ich auf dem Dach empfunden hatte. Ich höre Wasser plätschern und Vögel zwitschern. Er nimmt mir die Maske ab.

„Oh!“

Ich kann mir den Freudenschrei nicht verkneifen. Wir stehen vor einem orientalischen Riad. Die Sterne und die Kerzen, die sich in allen Winkeln dieses Hauses befinden, strahlen ein sanftes, rötliches Licht aus.

Wir folgen dem schmalen Sandweg und ich sehe in einiger Entfernung einen riesigen Swimmingpool. Am Eingang zur Lobby empfängt uns eine hochgewachsene Frau mit zwei Champagnergläsern in der Hand.

„Willkommen, Gabriel, ich habe bereits die Sauna für Sie aufgeheizt.“

„Vielen Dank, Solenne, dies ist Héloïse.“

„Oh. Guten Tag.“

Solennes Ton ist kaum freundlich, eine Menschenfrau in Begleitung eines so gut aussehenden Mannes muss sie schockieren. Doch ich bin zu überwältigt, um darauf zu achten. Ich träume ganz offensichtlich.

Solenne fährt ein Golfmobil vor, wir steigen ein und sie setzt uns vor einer transparenten Kuppel ab. Im Inneren befinden sich ein Swimmingpool und eine luxuriöse Hütte.

„Herzlich willkommen in der weißen Zone, Gabriel, ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt.“

Die berühmte weiße Zone, in der Menschen und Vampire sich gemeinsam aufhalten können (zumindest diejenigen, die die nötigen Mittel dazu haben, denn der Aufenthalt kostet in etwa so viel, wie ich in einem Jahr verdiene!). Die Kuppel besteht aus dem gleichen Glas wie Gabriels Bibliothek.

Ich betrete die „Hütte“. Die Einrichtung besteht aus Holz und ist im Stil Robinson Crusoes gehalten, es gibt keine Fenster, nur transparente Vorhänge, die sich wegen des Holzventilators, der über dem Bett angebracht ist, leicht bewegen.

Ich öffne eine Schranktür, um mein Gepäck zu verstauen, doch die Tür führt zu einer Sauna.

„Gefällt es dir hier?“

Gabriel unterbricht mich, als ich sie ehrfürchtig betrachte. Ich war noch nie in der Sauna.

„Komm, weihen wir sie ein!“

Gabriel ist fröhlich, so habe ich ihn noch nie gesehen. Er zieht sich selbst und mich rasch aus, wie ein ungeduldiges Kind. Wir brüllen beide vor Lachen, als ich fast umfalle, doch als wir nackt sind und die Sauna betreten, hören wir auf zu lachen und werden von Leidenschaft erfasst. Er sieht mich mit seinem ganz besonderen Blick an und ich habe das Gefühl, seine Beute zu sein. Ich stehe noch in der Sauna, die heißen Steine lassen die Temperatur ansteigen und ich schwitze. Der Schweiß perlt von meiner Stirn und läuft bis hinunter zu meinem Nabel. Gabriel folgt dem Tropfen, ohne sich auch nur das Geringste davon entgehen zu lassen. Er benetzt seine Lippen mit der Zunge, ich weiß, dass er mich überraschen will. Ich warte. Er nimmt seinen Schwanz in die Hand und beginnt, sich zu befriedigen. Ich sehe ihm sehnsüchtig dabei zu, mir wird immer heißer. Mir wird bewusst, dass dies der Beginn der letzten Momente mit ihm wird, und ich will ihm alles geben.

„Legen Sie sich hin.“

„Jetzt erteilst du mir schon Befehle, Héloïse?“

„Das ist ein Ratschlag.“

Gabriel ist fasziniert von diesem neuen Ton und legt sich auf die Holzbank der Sauna. Ich setze mich ihm zugewandt dazu und beginne damit, seine Knöchel zu massieren. Meine Hände wandern seine Beine entlang und verweilen auf seinen Schenkeln. Sein Schwanz wird vor Lust immer härter, doch ich will ihn necken, ihn scharfmachen, ihn gierig machen. Mein Mund gleitet über seine Schenkel, ich lecke daran, ich knabbere, dann richte ich mich auf und betrachte seinen harten, erigierten Penis. Ich bin zufrieden und führe mein Werk fort, ich mache meine Zunge hart, mein Kopf befindet sich zwischen seinen Schenkeln, berührt jedoch nie seinen Schwanz. Er seufzt, er stöhnt und windet sein Becken, bis ich ihn endlich küsse. Ich fühle mich wie neugeboren, zum ersten Mal ergreife ich die Initiative. Meine feuchten Hände beginnen, mit seinen Hoden zu spielen. Sie sind weich und fest gleichzeitig, vorsichtig knete ich sie immer fester, er gehört mir, ich habe ihn in der Hand, ich mache mit ihm, was ich will.

Gabriel liest meine Gedanken, er sieht mich mit seinem Smaragdblick an, und als würde er die Kontrolle zurückerlangen wollen, steht er plötzlich auf, nimmt mich an der Taille und zwingt mich auf meine Knie, auf den Boden. Mir entfährt ein erschrockener Schrei und ich fühle, wie seine Hand auf meine rechte Pobacke klatscht. Ich habe nie verstanden, warum manche Leute sich beim Sex gegenseitig auf den Po schlagen, doch als ich spüre, wie sich meine Scheide während des Schlages zusammenzieht, kapiere ich die Sache.

„Ich will, dass dein Po ganz rot vor Scham ist.“

Ein weiterer Klaps lässt meinen Po erbeben. Dann ist Gabriel mit einem Stoß in mir. Er krallt sich an mir fest und leitet mich. Ich werde durchgeschüttelt, meine Brüste wackeln. Ich bin nicht mehr fähig, einen längeren Ton auszustoßen. Ich schließe die Augen, um den Moment noch mehr zu genießen, er gleitet in mich, ich bin nass, er pfählt mich genüsslich und der immer schneller werdende Rhythmus bringt mich um den Verstand. Dann macht es klick, der ultimative Stoß, ein spitzer Schrei will aus meinem Mund, er packt mich an den Haaren und zieht daran, sodass sich meine Schreie lösen. Schließlich kommt auch er laut stöhnend.

Wir sind krebsrot, tropfnass und brechen übereinander zusammen. Gabriel schlägt vor, schwimmen zu gehen, und das Gefühl des kühlen Wassers auf meinem geschwächten Körper ist einfach nur paradiesisch.

Tag 27, 19:10

Der Aufenthalt mit Gabriel hatte fast etwas von Flitterwochen. Unsere nächtlichen Spaziergänge endeten immer mit heißen Liebkosungen. Gabriel, ganz der Beschützer, hat mich niemals alleine gelassen, mich immer wieder geküsst und mit mir über alles Mögliche gesprochen.

Wie werde ich nur ohne ihn weiterleben, ohne über das zu reden, was passiert ist, was tief in meinem Herzen zum Leben erweckt wurde? Ich packe gerade meinen Koffer, Charles wird mich zu meiner Wohnung begleiten. Ich will diese Leute nicht verlassen, ich habe das Gefühl, endlich wieder eine Familie gefunden zu haben, dieser Monat war wie eine zweite Chance. Muss ich wirklich wieder zurück in diese dreckige Bar und zu Joey, in mein kleines Zimmer mit meiner winzigen Dusche? Ich habe einen wahrhaftig magischen Traum erlebt und bin jetzt kurz davor, aufzuwachen. Ich habe Angst. Ich habe Gabriel den ganzen Tag lang nicht gesehen, er wird sich wohl nicht von mir verabschieden, vielleicht hat auch er sich zu sehr an „uns“ gewöhnt.

Mein Koffer ist bereit und ich warte, mir ist speiübel, da kommt Gabriel plötzlich, vollkommen außer Atem, zur Tür herein.

„Ich hätte nicht gedacht, Sie noch einmal zu sehen.“

„Ich hätte dich nicht alleine lassen sollen.“

„Es wird schon gehen.“

Ich breche in Tränen aus und glaube mir selbst keine Sekunde. Gabriel nimmt mich in die Arme und überhäuft mich mit Küssen.

„Wie wäre es, wenn ich dich daran hindern würde, mich heute Abend zu verlassen? Sagen wir, ich finde einfach den Hausschlüssel nicht. Du verpasst das erlaubte Zeitfenster … Ich muss dich noch einen Monat hier behalten … Das wäre die Hölle, oder?“

„Du …“

„Nein, ich mache keine Witze. Ich will dich nicht gehen lassen, du erleuchtest unser Haus.“

Ich muss Gabriel einfach um den Hals fallen. Wir halten uns eine Ewigkeit lang aneinander fest. Plötzlich stürmt Magda in das Zimmer, ohne davor anzuklopfen. Sie ist vollkommen durcheinander, entschuldigt sich und sieht uns peinlich berührt an.

„Monsieur, bitte kommen Sie mit. Héloïse, meine Kleine, Sie sollten hier bleiben.“

Ich frage mich, was wohl Schlimmes passiert sein mag. Doch dann fällt mein Blick auf meinen Koffer und ich lächle selbstgefällig. Ich werde bleiben, und das aus gutem Grund. Eine endlos lange Stunde vergeht, ich höre Stimmen, wage es jedoch nicht, aus dem Zimmer zu treten. Es vergehen zwei Stunden, drei Stunden, fünf Stunden. Ich bekomme Hunger, höre ein Lachen. Gabriels Lachen. Wenn er Scherze macht, muss das Schlimmste vorüber sein, also beschließe ich, das Zimmer zu verlassen.

Auf Zehenspitzen schleiche ich den Flur entlang und folge den Geräuschen. Ich fühle mich wie ein Kind, das den Erwachsenen nachspioniert. Ich weiß nicht, wovor ich Angst habe, doch meine Hände werden feucht. Ich höre, wie Magda weint und dann lacht. Ich verstehe gar nichts mehr.

Sie sind im roten Salon. Als ich an der Türe klopfe, verstummen sie. Es ist eine schwere, peinliche Stille. Ich beschließe beschämt, kehrt zu machen, da öffnet sich plötzlich die Türe.

„Wer ist da?“

Eine rothaarige Frau öffnet mir. Ihr flammend rotes Haar und ihre Augen versetzen mir einen Stich ins Herz. Ich sehe Gabriel auf dem Sofa sitzen, den Kopf in den Händen vergraben. Dann sehe ich wieder die schöne Frau an… und ich verstehe.

„Mein Name ist Héloïse. Ich arbeite an einem Buch über unsere beiden Arten und Gabriel unterstützt mich, ich wohne im Gästezimmer.“

Gabriel unterbricht mich und steht auf.

„Héloïse, das ist Rebecca, meine Frau.“

Ich muss schlucken, in meinem Kopf dreht sich alles, und als die rassige Rothaarige mich mit spitzen Eckzähnen anlächelt und gleichzeitig ihren Arm um Gabriels Hüfte legt, gefriert mir das Blut in den Adern. Ich unterdrücke mit aller Macht ein Schluchzen. Die Uhr schlägt fünf. Es ist zu spät, um noch aufzubrechen. Gabriels Blick fleht mich an, mich unauffällig zu verhalten. Ich gehe verwirrt zurück in mein Zimmer, kann mich kaum auf den Beinen halten und stütze mich an den Wänden des Flurs ab. Ich habe keinen Hunger mehr, keinen Durst, ich bin leer.

Ich sitze auf meinem Bett und schließe die Augen, um klarer zu sehen. Wie konnte ich mich nur in eine solche Situation bringen? Gabriel und seine verschwundene Frau, seine verschwundene, aber nicht tote Frau. Seine verschwundene Frau, die wieder aufgetaucht ist!

Seine Frau. Gabriel. Ich…alle unter demselben Dach. Es ist zu spät, um kehrt zu machen. Nie zuvor habe ich gekämpft, ich hatte auch noch nie einen Grund dazu. Jetzt habe ich einen, er heißt Gabriel...

Fortsetzung folgt!
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