Das Schloss an der Seine

 

 

 

Château-Gaillard lag malerisch über einer Schleife der Seine. Die Festung schien nach den modernsten Gesichtspunkten der Verteidigungskunst gebaut zu sein und erinnerte etwas an die palästinensischen Kreuzfahrerburgen. Rupert musste zum wiederholten Male eingestehen, dass Richard auf seine Weise genial war. Obwohl er glaubte, dass er König Richard niemals wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würde, hatten ihn seine häufigen Visionen und Träume eines Besseren belehrt. Er hätte es wissen müssen, er wollte es nur nicht wahrhaben. Rupert spürte Unheil, dunkle Wolken, doch er sah nicht, wen sie betrafen.

Gwendolyns Vater war Lehnsherr des englischen Königs und so konnte Gwendolyn sich natürlich nicht dagegen wehren, dass Richard sie zu sich rief. Der Tod ihres Vaters forderte eine Entscheidung über das Lehen. Entweder würde Richard es ihr entziehen und sie mit einem reichen Ritter oder Grafen verheiraten, oder sie bekäme einen Mann an ihre Seite, der ihr Erbe übernahm. Die so kämpferische Gwendolyn war in die Defensive gedrängt, doch sie ließ es sich nicht anmerken. Sie war stolz darauf, dass Richard ihr Schicksal persönlich in die Hand nahm.

Dass Rupert ebenfalls eingeladen worden war, erschien ihr nur zu selbstverständlich. Verwegene Abenteuer, die sie gemeinsam im Heiligen Land erlebt hatten, verbanden die beiden ungleichen Männer. König Richard würde sich freuen, seinen ehemaligen Leibarzt wiederzusehen.

Sie sahen den Reiter mit einigen Begleitern auf sich zukommen. Rupert verhielt einen Augenblick das Tempo, dann flog ein unmerkliches Lächeln über sein Gesicht. Er wandte sich zu Gwendolyn. »Er kommt uns entgegen.«

»Er? Meint Ihr König Richard selbst?«

»Ja.«

»Welch eine Ehre«, flüsterte sie voll Ehrfurcht. Der Reiter hatte seine Begleiter hinter sich gelassen, mit einem jugendlichen, übermütigen Lachen kam er ihnen entgegengestürmt. Dann riss er die Zügel an, dass sein Pferd stieg.

Richard sprang von seinem Ross und lief auf Rupert zu. »De Cazeville! Es ist mir eine besondere Freude, Euch willkommen zu heißen!«

Auch Rupert war von Djinn abgestiegen, doch ehe er sich noch vor Richard verbeugen konnte, hatte ihn dieser in seine Arme gerissen. »Ich hätte niemals geglaubt, Euch im Leben wiederzusehen. Umso glücklicher bin ich, dass Ihr Euch wohlauf befindet und dazu noch in Begleitung solch einer wunderschönen Lady.«

Er blinzelte Gwendolyn zu, die sich vor ihm tief in die Knie fallen ließ. Charmant nahm er ihre Hand und bewegte sie dazu, sich zu erheben. Er ließ ihre Hand auch nicht los, als er sich wieder Rupert zuwandte. »Als ich hörte, was für wundersame Dinge sich auf Valbourgh abspielen, dachte ich, da kann nur Zauberei im Spiele sein. Und ich kenne nur einen Zauberer, der so etwas zuwege bringen kann. Mein lieber de Cazeville, Ihr müsst mir erzählen, wie es Euch in der Zwischenzeit ergangen ist, was Ihr erlebt habt.«

»Das füllt lange Nächte«, warf Gwendolyn ein und errötete sanft.

»Oha! Ich glaube, mir steht eine sehr angenehme Zeit bevor. Aber lasst uns aufsitzen und zum Château zurückkehren.«

»Ihr seht überraschend wohl aus, mein König«, sagte Rupert nach einem kurzen Blick auf Richard. Sein dunkelblonder Bart wurde von einigen silbernen Fäden durchzogen, doch es verlieh ihm nur noch mehr königliche Würde. Sein Körper jedoch war immer noch breit, kräftig und muskulös, er war ein Mann in den besten Jahren.

Richard lächelte selbstgefällig. »Nicht wahr? Und das trotz meiner monatelangen Gefangenschaft unter dem deutschen Kaiser.« Er strich sich über seinen reich bestickten Wams.

Das Château lag vor ihnen. Richard wies auf die mächtigen Mauern. »Ich habe die Burg neu befestigen und innen ausstatten lassen. Es erschien mir ein strategisch günstiger Platz gegen Philipp, den ich vor zwei Jahren bei Freteval vernichtend geschlagen habe. Er hockt nun in Flandern, aber ich traue ihm nicht.« Sie hatten die Burg erreicht und ritten durch das Tor in den Burghof ein.

»Seid mir willkommen, meine Gäste!«, rief Richard und sprang vom Pferd. Dann hob er Lady Gwendolyn galant von ihrem Schimmel. Er blinzelte sie listig an. »Es erwartet Euch eine nette Überraschung«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Während die Damen sich zur Erfrischung in ihre Gastgemächer zurückzogen, geleitete der König Rupert in ein prächtig ausgestattetes Kaminzimmer. Ein Schreibtisch aus edlem Holz stand darin, ein hoher Lehnstuhl, reich geschnitzte Bänke mit Polsterauflagen. Auf einem kleinen Tisch stand ein Weinkrug, ein Diener brachte zwei silberne Becher.

»Ein kleiner Begrüßungstrunk«, blinzelte Richard ihn an. »Heute Abend gebe ich ein Fest und Ihr beide seid meine Ehrengäste. Aber es wird laut und voll werden. Hier können wir einige Augenblicke allein verweilen.« Mit einer Handbewegung deutete er dem Diener an, den Raum zu verlassen. Er hob den Becher. »Auf unser Wiedersehen, de Cazeville.«

Rupert ergriff ebenfalls seinen Becher, doch er schwieg. Richard schien es nicht zu bemerken. Sein liebenswürdiges Lächeln, mit dem er gerade noch Rupert bedachte, schwand aus seinem Gesicht. Rupert sah die Sorge in Richards Augen. Der König nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher. »Scheiß Kreuzzug«, sagte er so unvermittelt, dass Rupert ihn verblüfft anstarrte.

»Aber war das nicht Euer sehnlichster Wunsch, Sire?«

Richard warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Ich bin kein religiöser Schwärmer. Manchmal stehe ich sogar mit Gott auf Kriegsfuß. Ihr wisst genauso gut wie ich, dass ich das Kreuz genommen habe, weil mir gar nichts anderes übrig blieb. Ich musste Philipp in Schach halten. Solange er an meiner Seite war, glaubte ich, dass ich getrost Europa verlassen könnte.« Er trank hastig. »Das war ein großer Irrtum!«

Rupert schwieg. Richards Herz schien überzuquellen und er wollte ihm die Gelegenheit geben zu reden.

»Ich wähnte mein Königreich in den besten Händen, in denen meiner Mutter und in denen Wilhelm Longchamps. Er war mein Kanzler und oberster Richter und obendrein noch Bischof von Ely.« Er schnaufte und schenkte sich neuen Wein ein. Rupert hob abwehrend die Hand, als Richard ihm den Krug entgegenstreckte. »Dieser Kanzler war wohl das Unverfrorenste, was mir je unter die Augen gekommen ist. Er ging so geschickt mit der weltlichen und geistlichen Macht um, dass er in der Lage war, eines gegen das andere zu tauschen. Er bediente sich beider, als hätte er zwei rechte Hände.« Der König lachte hart auf. »Ich liebe ja Männer von scharfem Geist!« Er blickte Rupert eindringlich an. »Doch diesmal war es wohl ein Fehler. Er nutzte seine Machtfülle schamlos aus. Zog er über Land, war er wie eine Heuschreckenplage, er war so überheblich und besitzergreifend, dass er sogar seine ganze verdammte Verwandtschaft aus der Normandie holte und sie in England verheiratete. Er führte sich auf wie ein König!« Wutschnaubend stapfte Richard im Raum hin und her. »Meine Brüder haben ihm zwar auf die Finger geklopft, aber mit mäßigem Erfolg. Ich hörte bereits von seinen Eskapaden, als wir in Sizilien überwinterten, und vielleicht erinnert Ihr Euch daran, dass ich Gautier, den Erzbischof von Rouen, nach England sandte, damit er die Streitereien schlichte. Mein Bruder John tat dann das einzig Vernünftige, er setzte Longchamp als Kanzler ab und übertrug diese Aufgabe William Marshai, der bereits meinem Vater treue Dienste leistete. Gautier unterstützte ihn dabei.«

»Da seht Ihr, was es bringt, wenn ein Mensch zu viel Macht in seine Hände bekommt«, entgegnete Rupert. »Der Mensch ist schwach, die Verlockungen der Macht wie eine berauschende Droge. Dieses Gefühl müsstet Ihr doch kennen, Sire.« Seine Augen bohrten sich in Richards Blick. Doch der ließ sich nicht verunsichern.

»Wir kennen beide dieses Gefühl, nicht wahr?« Er beugte sich zu Rupert herüber und grinste. »Aber was sich Longchamp dann geleistet hat, setzt allem die Krone auf. Es war ihm wohl zu peinlich, dass er, aller Ämter beraubt, England verlassen musste, und er wollte es nicht unter den Augen der Öffentlichkeit tun. So verkleidete er sich als Frau! Mit einer grünen Tunika bekleidet, das Gesicht verschleiert, lief er zu Fuß ans Ufer von Dover, um ein Schiff zu besteigen. Er hat wahrlich mehr als einmal eine Ritterrüstung getragen, aber sein Amt als Bischof hat ihn offensichtlich so verweichlicht, dass er als Verkleidung lieber ein Frauengewand wählte. Nun stellt Euch vor, ein Fischer glaubte, er hätte ein besonderes Frauenzimmer gefunden, das ihm das Herz erwärmte, und als er ihr unter den Rock griff, da ertastete er Longchamps wahres Geschlecht. Natürlich rief der dumme Fischer alle Leute zusammen, die der Dame den Schleier vom Gesicht zogen. Und siehe da, darunter entdeckten sie ein frisch rasiertes Männergesicht. Die Leute wollten ihn steinigen, weil sie ihn für ein missratenes Ungeheuer hielten, schließlich warfen sie ihn in den Kerker. Mein Bruder John hat ihn acht Tage später wieder freigelassen. Das war ein riesiger Fehler. Denn Longchamp hatte nichts Eiligeres zu tun, als in die Normandie zurückzukehren und von dort aus seine Schmach zu rächen. Er hetzte den Papst auf, gegen die Bischöfe und Barone vorzugehen, die seiner Meinung nach für sein Unglück verantwortlich seien. Und es hagelte Exkommunikationen. In den Diözesen wurden keine liturgischen Handlungen mehr durchgeführt, nicht einmal die Toten erhielten ein Begräbnis. Ich sage Euch, de Cazeville, weder unter meinem Vater noch unter meiner Herrschaft gab es jemals etwas Vergleichbares!« Er schnaufte wütend. »Meine Mutter hat sich selbst von den unwürdigen Zuständen überzeugt und drängte deshalb auf meine schnelle Rückkehr. Dazu kam, dass ja auch der angeblich so kranke Philipp putzmunter nach Frankreich zurückkehrte. Vorher hat er sich noch gehörig beim Papst eingekratzt und der hat ihn natürlich großzügig von seinem Gelöbnis entbunden, das er nicht eingehalten hat. Diese Purpurkittel sind doch allesamt Ausgeburten der Hölle!« Er stürzte seinen Becher hinunter und schenkte sich erneut ein. »Ich habe es meiner Mutter zu verdanken, dass sie John davon abhielt, sich von Philipp aufhetzen zu lassen. John glaubte nicht an meine Rückkehr und hat kalt lächelnd zwei meiner Schlösser in Besitz genommen, Windsor und Wallingfort.« Er lächelte bitter. »Während ich durch die sarazenische Hölle ging, rissen sich die Wölfe um das Erbe. War das der Lohn für all die Entsagungen?« Er blickte Rupert fragend an, doch dieser mochte ihm darauf keine Antwort geben. Richard gab sich die Antwort selbst. »Was wäre aus England geworden, wenn dieser Kreuzzug nicht gewesen wäre? Ein blühendes Land, ein sicheres Land, eine Weltmacht!«

Urplötzlich schlug seine Stimmung um. »Doch was wäre ich für ein König gewesen? In prachtvolle Gewänder gekleidet, fett, faul, verweichlicht, mit vielen Kindern, die mir den Thron streitig machen wollen. Nein, ich habe Dinge erlebt, die kein König je erlebt hat, aber das erzähle ich Euch heute Abend auf dem Fest.«

 

 

Rupert trat ans Fenster seines Gemachs. Feuchte, milde Luft drang in den kühlen Raum. Der Lärm am Fluss, die Betriebsamkeit auf den Baustellen der Festung waren abgeflaut. Die Sonne, jenseits der Seine tief am Himmel stehend, spiegelte sich in glitzernden kleinen Wellen am Ufer. Es klopfte an der Tür. Ein Diener bat Rupert zum Empfang in den Rittersaal.

Rupert kleidete sich um und holte Lady Gwendolyn von ihrer Unterkunft ab. Sie sah wunderschön und sehr reizvoll aus in ihrem Kleid aus weich fallendem Stoff und der farblich passenden Kappe mit dem Schleier. Er schien es nicht zu bemerken. Mit einem auffordernden Augenaufschlag legte sie ihre Hand auf seinen Arm. Galant, aber mit kühlem Gesichtsausdruck geleitete er sie zum Rittersaal, wo der König auf sie wartete. Er bat sie an den Kopf der Tafel, auf die Ehrenplätze.

Gwendolyn war tief beeindruckt und ihre Wangen glühten vor Aufregung wie die untergehende Sonne hinter der Seine. Formvollendet schenkte Richard ihr seine Aufmerksamkeit. Amüsiert bemerkte Rupert, dass sich Gwendolyn in der Gegenwart des Königs auffällig damenhaft benahm.

Rupert blickte hinunter auf das bunte Gewimmel im Saal. Lärm und Gelächter schlugen ihm entgegen. Er lehnte sich auf seinem prächtig verzierten Holzstuhl zurück und musterte die Tischreihen. Die farbenfreudigen Umhänge der Ritter und Kleider der Damen wetteiferten mit den prächtigen Wandbehängen, welche den Saal schmückten. Die Augen der Gäste waren auf ihn und Gwendolyn gerichtet. Rupert erkannte einige vertraute Gesichter. James Fitzosburn saß dort, Guiscard de Rochefort, Simon de Montfort und Geoffrey of Mandeville. Der Earl of Essex hegte noch nie große Sympathie für Rupert, doch heute lächelte er ihm zu. Rupert erwiderte das Lächeln nicht. Sein Blick streifte weiter durch den Saal und kehrte schließlich zu dem Pokal vor ihm auf dem Tisch zurück.

Gwendolyn beugte sich zu ihm herüber. »Ist es nicht ein prachtvolles Fest? Und wir sind die Ehrengäste.« Erregt presste sie seine Finger. Er zog seine Hand zurück und hob leicht die Augenbrauen.

»Kein Grund, überzuschnappen. Mir wäre lieber, wir würden nicht auf der Präsentiertafel sitzen.«

»Spielverderber«, zischte sie erbost, lächelte jedoch sofort wieder, als sich der König ihr zuwandte.

»Als kleinen Vorgeschmack habe ich heute schon einige Troubadoure und Dichter rufen lassen, um uns den Abend angenehm zu gestalten.«

»Vorgeschmack, worauf?« Gwendolyns Körper glühte in der Hitze der Erregung.

Der König zwinkerte listig. »Geheimnis!«

Ein Raunen ging durch den Saal, als ein ganz in roten Samt gekleideter Troubadour hereintrat. Er hielt eine Laute in der Hand, zwei Knaben mit Harfe und Fiedel begleiteten ihn.

»Das ist mein getreuer Freund Trouvere Blondel«, flüsterte Richard. »Er weiß, wovon er singt.«

Der Sänger verbeugte sich tief vor dem König und seinen Ehrengästen. Dann griff er in die Saiten seiner Laute und begann mit erstaunlich hoher Stimme ein melodiöses Lied über die Liebe zu einer angebeteten Schönen zu singen.

Ergriffen lauschte Gwendolyn den Versen und knetete dabei ihre Finger. Mit einem unwilligen Stirnrunzeln legte Rupert seine Hand auf ihre. Sie zuckte zusammen, dann lächelte sie verschämt. »Es klingt so wunderschön«, flüsterte sie. Rupert ließ seine Hand auf ihrer liegen und Gwendolyn glaubte, dass ihr Herz zerspringen müsste. Diese Berührung erregte sie mehr als der Wein und der Gesang des Troubadours. Endlich schien er begriffen zu haben, dass sie sich nach eben diesen Berührungen sehnte. Mit den Fingerspitzen rieb er die Innenfläche ihrer Hand und sie erschauerte. Mit einem leisen Aufstöhnen lehnte sie sich an ihn.

Der Troubadour schien sich übertreffen zu wollen, als sein Tenor in den höchsten Tönen jubelte und Gwendolyn eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Sie hielt Ruperts Hand fest und drückte sie zwischen ihre Schenkel. Mit einem unwilligen Knurren entzog er sie ihr. Sie ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken.

Der Sänger erhielt viel Beifall und verbeugte sich mehrmals dankend. Die Gespräche der Gäste brandeten wieder auf und es wurde laut im Saal.

Auf dem Gesicht des Königs lag ein zufriedener Glanz. »Ich liebe Dichtung und Gesang«, schwärmte er. »Von Kindesbeinen an bin ich damit vertraut. Meine Mutter hat viel Wert darauf gelegt und ich bin ihr dankbar dafür.« Er wandte sich zu Gwendolyn. »Doch was ist ein Lied von der Liebe im Gegensatz dazu, sie selbst zu erfahren.«

Sie neigte den Kopf und errötete wieder. Rupert fragte sich, wo sie das viele Blut hernahm, das ständig in ihren Kopf schoss. Der König schien ihr völlig die Sinne verwirrt zu haben.

»Ihr schweigt, schöne Lady?«, gurrte Richard weiter. »Dann ist Euch dieses Gefühl also nicht fremd?«

»Ich weiß, wovon der Troubadour sang«, erwiderte sie. »Es ist erstaunlich, dass der Schmerz, den die Liebe im Herzen hervorruft, gleichzeitig so viel Lust bereiten kann.«

Richard zuckte zurück und spürte Ruperts spöttischen Blick auf sich. Ihre Augen fanden sich und sie verstanden sich beide ohne Worte.

»Kennt Ihr Trifels?«, wechselte der König spontan das Thema. »Ein fürchterlicher Steinkoloss. Der Staufer hat so gar keinen Sinn für Schönheit. Aber ich habe mich dort ganz gut bei Kräften gehalten.«

»Im Kerker? Wie das?« Rupert ging klugerweise sofort auf den Themenwechsel ein.

»Ich durfte mich relativ frei bewegen. Sogar Besuch aus England habe ich empfangen. Natürlich genoss ich eine Dauerbewachung durch die deutschen Ritter. Aber es war auch ganz amüsant. Zum Körpertraining habe ich Ringkämpfe mit meinen Wächtern veranstaltet. Sie waren nett, aber richtige Tollpatsche – und schwächlich. Ich weiß nicht, warum diese Franken so wenig Wert auf gestählte Muskeln legen. Und nicht nur das. Wo ist bloß ihr germanischer Stolz geblieben? Beim Kampf hatte ich sie schnell auf dem Kreuz und beim Saufen regelmäßig unter dem Tisch.« Er lachte herzhaft. Dann zog er ärgerlich die Augenbrauen zusammen und begann zu schimpfen. »Es war natürlich meine eigene Dummheit, dass ich Herzog Leopold in die Falle ging. Auf dem Rückweg von diesem verdammten Kreuzzug bin ich doch tatsächlich diesem Hundesohn in die Arme gelaufen. Und der hatte nichts Besseres zu tun, als mich an Heinrich auszuliefern. Wenn das der selige Barbarossa wüsste, er hätte seinem Sohn wahrscheinlich den Hosenboden stramm gezogen. Aber die Franken waren noch nie meine Freunde, allerdings fürchte ich sie auch nicht sehr als Feinde. Wenn sie sogar von einer kleinen, mutigen Lady in die Flucht geschlagen werden…« Er wandte sich wieder Gwendolyn zu, die errötend den Kopf senkte.

Richards Gesichtsausdruck wechselte ebenso schnell wie seine Stimmung. »Ich verzeihe Leopold, er ist nur ein dummer Tropf. Und es war für mich eine recht nette Erfahrung, einmal nicht der Eroberer zu sein, sondern ein Gefangener!« Er lachte wie über einen guten Witz. »Meine Kerkerhaft habe ich übrigens in Verse gekleidet. Bei Gelegenheit werde ich Euch das Lied vorsingen. Schließlich war ich nicht irgendein Gefangener. Der Kaiser wollte ein immenses Lösegeld. Stellt Euch vor, de Cazeville, vierunddreißig Tonnen Silber, das sind einhundertfünfzigtausend Mark reines Silber Kölner Gewichts!« Er strich sich zufrieden seinen Bart. »Irgendwie schmeichelt es einem doch, dass man so einen gewaltigen Wert hat. Nun ja, andererseits tut es mir Leid um das viele schöne Geld. Es hätte ganz gut in meine Kasse nach Aquitanien fließen können.«

»Wer hat das Geld aufgebracht? England?«

»England. Nicht wahr, schade drum. Meine verehrte Mutter hat eine Spendenaktion ins Leben gerufen und bei allen Freien im Land einen Obolus abgefordert. Alle mussten zahlen, ob Arm oder Reich. Und vor allem sämtliche Bischöfe, Kleriker, Grafen und Barone, alle Abteien und Propsteien mussten ein Viertel ihres Einkommens abgeben. Das schweißt das Volk zusammen für ihren König!« Er lachte wieder. »Liebste Mama! Was tust du nicht alles für deinen Lieblingssohn!«

Er ließ sich den Becher füllen und forderte Rupert auf, seinen endlich zu leeren. »Und wo wart Ihr, als ich krank und allein vor den Mauern Jerusalems stand? Wie ein Gespenst seid Ihr mir eines Nachts erschienen und ebenso wieder verschwunden.«

Rupert grinste über den Rand seines Bechers. »An der Seite Sultan Saladins. Ich habe ihn vom Vorteil eines Friedensvertrages überzeugt.«

Richard warf ihm einen strafenden Blick zu. »Ja, ja, Ihr seid nicht anders als Bischof Gautier, der meine Armee aufgehetzt hat, mir nicht mehr zu folgen, sondern diesen Vertrag zu schließen.«

»Ein vernünftiger Mann«, erwiderte Rupert und beugte sich zu Richard vor. »Und wenn Ihr nachdenkt, dann müsst Ihr im Nachhinein dankbar sein. Niemals hättet Ihr Jerusalem erobern können!«

»Ich habe Gott gerufen, warum er mich verlassen hat. Und ich habe Euch gerufen. Warum habt Ihr mich verlassen?«

»Damit Ihr endlich zur Vernunft kommt und Euch um das kümmert, was wichtiger war als Jerusalem – Euer Königreich!«

»Wenn Ihr gewusst hättet, was mich auf dieser Rückfahrt erwartet, hättet Ihr dann auch so gehandelt? Wo blieb da Eure gerühmte Fähigkeit, die Zukunft zu sehen?«

Rupert schüttelte energisch den Kopf. »Das meiste, was Euch zustößt, ist kein unabwendbares Schicksal, sondern Ergebnis Eurer Leichtfertigkeit und Überheblichkeit. Feinde werden nicht geboren, man macht sie sich. Und Ihr habt keine Gelegenheit dazu ausgelassen.«

Der König schwieg verstimmt. Er hätte tatsächlich damit rechnen müssen, dass Herzog Leopold sich rächen würde nach der Schmach von Akkon, als Richard ihn von der Beutezuteilung ausgeschlossen hatte. Trotzdem, wie konnte dieser Leopold denn so kleinlich sein? Gleich darauf heiterte sein Gemüt wieder auf. »Wisst Ihr, dass ich richtige Seeräuber gedungen hatte, mich nach Europa zu bringen?« Er schlug sich lachend auf die Schenkel und amüsierte sich über Gwendolyns kugelrunde Augen. »Da staunt Ihr, was? Euer König ist ein verwegener…«

»… Abenteurer«, ergänzte Rupert. »Immer bereit, andere das Kopfschütteln zu lehren.«

Richard grinste. »Eigentlich wollte ich in Marseille anlanden, dort, wo einst dieser Kreuzzug begonnen hatte. Ich hatte Zypern an Lusignan übergeben, bin dann mit dem Rest meiner Flotte aufgebrochen. Wie bei der Hinfahrt war auch diesmal der Meergott gegen uns, es war stürmisch und ich verlor einen großen Teil meiner Schiffe. Kurz vor Marseille erfuhr ich, dass man mir einen besonderen Empfang im Languedoc bereiten wollte. Da beschloss ich, umzukehren. Vor Korfu griffen mich zwei Piratenschiffe an.«

Gwendolyn rutschte aufgeregt auf ihrem Stuhl hin und her und vergaß, sich damenhaft zu benehmen. Ihre Augen hingen an Richards Lippen, um kein Wort zu verpassen. »Wie aufregend«, flüsterte sie. Ihre Hände hielt sie zu Fäusten geballt, als würde sie einen Schwertgriff umklammern. Rupert war sich sicher, dass sie alles gegeben hätte, um bei diesem Abenteuer dabei zu sein. Er lachte still in sich hinein und empfand ein seltsam kribbelndes Gefühl für sie.

»Als sie meine Standarte erkannten, zögerten sie mit dem Angriff. Ja, auch bei den Piraten hatte ich bereits einen Namen und hohes Ansehen!« Er klopfte sich mit der flachen Hand auf den Brustkorb. »Wir waren uns schnell einig. Mit einer Hand voll Getreuer stieg ich um auf eines der Piratenschiffe. Balduin von Bethune war dabei, mein Kaplan Anselm, einige Templer.«

»Fürwahr eine treffende Besatzung für ein Piratenschiff«, warf Rupert ein. Gwendolyn hielt die Luft an ob dieser Unverschämtheit, doch Richard lachte nur.

»Wir fuhren entlang der dalmatinischen Küste die Adria hinauf. Der Weg über Frankreich war mir ja versperrt, also musste ich über Land nach England zurück. Mir blieb gar nichts anderes übrig.« Es klang fast wie eine Entschuldigung und er hob schuldbewusst die Augen zu Rupert.

»Auf diese tollen Piraten war Verlass«, lachte Richard. »Sie brachten uns bis nach Zara, wo wir an Land gingen und uns nordwärts wandten. Leider kannte ich mich in diesem Land nicht so gut aus. Hätte ich geahnt, dass ich mich auf dem Gebiet des Grafen Meinhard von Görz befand… Er war ein Vasall Herzog Leopolds. Ich gab mich zwar als Handlungsreisender aus, aber offensichtlich war ich nicht sehr überzeugend.« Seine Hand strich nun wohlgefällig über seinen gestutzten Bart. »Ausgerechnet ein Normanne wurde mir zum Verhängnis.« Richards Augen blitzten Lady Gwendolyn an, die sich entsetzt die Hand vor den Mund hielt. »Ein gewisser Roger von Argenton. Er war mit einer Nichte Friedrichs verheiratet und den Franken treu ergeben. Aber als er mich entdeckte, kam wohl sein normannisches Blut wieder zum Vorschein. Er fiel vor mir auf die Knie und verhalf mir zur Flucht. Ihr seht also, welche Ehre die Normannen noch in ihrer Brust tragen. Dabei sollte er für meine Ergreifung die Hälfte der Stadt bekommen! Ich machte mich in Begleitung von Wilhelm L’Etange und eines deutsch sprechenden Knappen sogleich auf den Weg. Auch dank des ausgezeichneten Pferdes, das mir der treue Roger gab, ritten wir drei Tage hintereinander, bis wir vor Erschöpfung fast aus dem Sattel fielen. An der Donau rasteten wir, nicht ahnend, dass sich ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt Herzog Leopold in Wien aufhielt. Mein kleiner Knappe kaufte ein paar Lebensmittel, aber da wir nur byzantinische Münzen hatten, gab es ein großes Aufsehen.« Er schnaufte verächtlich. »Und dann entdeckten sie meine Handschuhe am Gürtel des Knappen, darauf meine goldenen Löwen. Ich habe mich Leopold sofort ergeben, bevor sie dem Kleinen noch etwas antaten.«

»Das war sehr großherzig von Euch, Sire«, hauchte Gwendolyn gerührt. Rupert rollte genervt mit den Augen. Seine kleine Kriegerin wollte doch nicht etwa sentimental werden!

Richard nickte wie zur Bestätigung. »Was konnte der Knappe dafür in seiner Einfalt? Doch von Leopold hätte ich etwas mehr Christlichkeit erwartet. Was für ein hirnloser Abkömmling eines barbarischen Volkes ist dieser Herzog eigentlich? Wäre ich tatsächlich in Sultan Saladins Hände gefallen, hätte er mich sicher mit einer meiner Person als König gebührenden Freundlichkeit und Gerechtigkeit behandelt. Aber jenem Höllenfürst Leopold schien nichts heilig zu sein. Er ließ mich auf die Festung Dürnstein bringen. Später durfte ich sogar eine Schiffsreise unternehmen, von einem Gefängnis zum anderen. Und so gelangte ich auf Trifels.« Richard schüttelte sich in Erinnerung an die Kerkerhaft. »Ich wurde zwar nicht in Eisen gelegt, aber es war eine elende Unterkunft. Die Menschen in diesem Königreich sind nämlich wie Tiere und garstig gekleidet, sie haben scheußliche Tischmanieren und eine widerwärtige Sprache.« Er nahm einen tiefen Schluck und schmatzte genießerisch.

»Und wie ging es weiter?«, fragte Lady Gwendolyn mit vor Aufregung glühenden Wangen.

Richard hob mit theatralischer Geste die Hände. »Keiner meiner Lieben und Getreuen wusste, wo ich war. Mal hier, mal dort, verschleppt von einem feuchten Kerker zum anderen. Und wisst Ihr, wer mich fand?«

»Einer Eurer treuen Ritter?« Gwendolyn hopste auf der Stuhlkante herum.

»Irrtum, Mylady, es war jener Troubadour, der Euch vorhin ein Ständchen brachte.«

»Ein Troubadour?«, fragte sie verblüfft.

»Ja, es war Blondel. Vor längerer Zeit hatten wir einmal gemeinsam ein hübsches Liedchen verfasst. Und dieser treue Troubadour zog nun von Burg zu Burg, hörte sich um und ließ eben jenes Lied erklingen. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, welche Freude plötzlich in mein Herz strömte, als ich dieses, mein Lied vernahm. Und da wusste ich, die Rettung ist nahe! In meinem Kerker sang ich lauthals die Melodie, dass sie der gute Blondel noch am Fuße der Burg hören konnte. Und, bei Gott, er hat sie gehört!«

Gwendolyn klatschte aufgeregt in die Hände. »Wie romantisch!« Ihre Augen glitzerten verräterisch.

Rupert pustete die Luft aus und wandte sich ab. »Mein Gott, Gwen, reiß dich zusammen!«, knurrte er ungehalten.

Gwendolyn schien ihn nicht zu hören. Ihr schmachtender Blick war auf den König gerichtet, der mit einem neuen Becher Wein seinen vom Erzählen trockenen Gaumen anfeuchtete. »Nun wusste man, wo ich mich befand«, erzählte Richard weiter. »Die tapfersten Teutonen bewachten mich bei Tag und Nacht, aber sie waren trotz allem jämmerliche Gestalten, mit denen ich Speis und Trank teilte und sie damit beschämte. Und dieser deutsche Kaiser brachte all diese Verleumdungen gegen mich vor, von denen er nicht eine aufrechterhalten konnte. Er mochte mich nicht, weil ich ihm seine Pläne in Sizilien etwas durchkreuzt hatte. Aber ist das ein Grund, sich derart aufzuführen?« Richard geriet wieder in Erregung. »Dass ich Tankred von Sizilien unterstützt habe und den albernen Kaiser von Zypern gefangen genommen, dass ich für den Tod Montferrats verantwortlich sei und Herzog Leopolds Standarte geschändet hätte. All solches Zeug, das er nur aus Einflüsterungen missgünstiger Kreaturen wusste. Ich habe seine Anschuldigungen zerpflückt wie einen Strauß welker Blumen. Am Ende war der deutsche Kaiser der Blamierte. Ich durfte endlich Besuch empfangen, Longchamp, dem ich damals noch vertraute, und Gautier kamen und ihnen wurde die Lösegeldforderung des Kaisers übergeben. Zu Maria Lichtmess, wie passend, wurde ich freigelassen. Den Rest kennt Ihr ja. Hier bin ich, ein freier Mann!« Er breitete die Arme aus und lachte.

Rupert lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und betrachtete den König unter gesenkten Lidern. Seine Fröhlichkeit erschien ihm aufgesetzt, nicht ehrlich, etwas brodelte unter der Oberfläche.

»Diese Freiheit hatte seinen Preis«, sagte Rupert nach langem Schweigen. »Nicht nur das Silber.«

»Ich musste dem deutschen Kaiser huldigen«, flüsterte Richard leise, damit es Gwendolyn nicht hörte. »Auf Anraten meiner Mutter. Kaiser Heinrichs Ambitionen gingen weit über seine Fähigkeiten hinaus. Er wollte die Weltherrschaft. Ich wollte nur frei sein. Ich glaube, hinterher hat er bereut, dass er mich hat laufen lassen.«

 

 

Es war schon spät, aber das Fest war immer noch in vollem Gange. Richard schien es zu genießen, seine engsten Mitstreiter aus dem Kreuzzug um sich versammelt zu wissen.

Gwendolyn gähnte diskret. »Erlaubt mir, dass ich mich in mein Gemach zurückziehe«, bat sie unter einer tiefen Verbeugung den König. »Der lange Ritt hat mich ermüdet.«

»Aber selbstverständlich, Lady Gwendolyn. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.«

Gwendolyn erhob sich und warf Rupert einen schnellen Blick zu.

»Wollt Ihr Lady Gwendolyn nicht zu ihren Gemächern begleiten?«, fragte Richard erstaunt.

Rupert verzog abschätzend die Mundwinkel. »Ich glaube, sie findet den Weg ganz gut allein.«

Gwendolyn hatte seine Worte noch gehört. Hastig raffte sie ihre Röcke auf und beschleunigte zornig ihren Schritt. Die Tränen der Wut in ihren Augen konnte Rupert nicht sehen, aber er wusste, dass sie dagegen ankämpfte.

Mit einem verschmitzten Lächeln blickte der König Gwendolyn nach. »So eine schöne Frau lässt man in der Nacht nicht allein im Bett frieren«, bemerkte er wie beiläufig.

Rupert wandte ihm sein Gesicht zu und Richard konnte nun den unverhüllten Spott in seinen schwarzen Augen sehen. »Das sagt ausgerechnet Ihr, Sire?« Dann suchten seine Augen den Ort, wo Gwendolyn entschwunden war. »Außerdem hat sie einen Kamin in ihrem Zimmer.«

Richard schüttelte lachend den Kopf. »Ihr habt Euch nicht verändert, mein Freund. Eine Frau bringt Euch immer noch nicht aus dem Gleichgewicht. Nicht einmal Gwendolyn.« Er blickte in seinen leeren Becher. »Kommt mit auf einen Nachttrunk in mein Gemach«, forderte der König ihn auf. »Da geht es nicht so förmlich zu.«

Seite an Seite schritten sie durch die langen Gänge, ihre Sporen klickten im Takt, als sie die Treppe zu Richards Gemächern hinaufstiegen. Mit einer einladenden Geste bat Richard seinen Gast, Platz zu nehmen. Höchstpersönlich schenkte er den silbernen Pokal voll Wein und reichte ihn Rupert. Richard setzte sich neben ihn und schleuderte die ledernen Schuhe von den Füßen. Genussvoll streckte er die Beine aus. Im Kamin barst ein Ast, Funken stoben in den dunklen Rauchabzug hinauf.

Die lodernden Flammen spiegelten sich in Ruperts schwarzen Augen wider und verliehen ihnen ein eigenes Leben. Richard erschauerte, als er diesen flammenden Blick bemerkte. Ungeschickt richtete er sich auf. Wein schwappte über seine Hand, er bemerkte es nicht. Sein Herz klopfte zum Zerspringen und er ließ die Augen nicht von seinem Gegenüber. Langsam beugte er sich zu Rupert vor. Dessen Gesicht bekam einen dämonischen Ausdruck, als er die Augen des Königs fixierte. Er rührte sich nicht. In Richards Gelenken kribbelten tausend Ameisen und seine Lunge pumpte den Atem wie nach einer großen Anstrengung. Langsam sank der König vor Rupert auf die Knie. Er öffnete seinen reich bestickten Wams und das weiße Unterhemd und entblößte seinen muskulösen Oberkörper. Das Feuer warf einen unruhigen roten Schein auf seine helle Haut. Blassrosa und weiße Narben zeugten von den Kämpfen seines Lebens. Er griff nach Ruperts Händen und hielt sie fest.

»Ich habe dich so vermisst«, sagte er leise. »Ich habe mich so nach dir gesehnt. In meiner Verzweiflung habe ich nach dir gerufen.« Seine Stimme senkte sich zu einem kaum hörbaren Flüstern. »Ich habe dich gebraucht. Ich brauche dich noch immer. Verstehst du nicht, dass ich dich liebe?« Rupert rührte sich nicht, seine glühenden Augen lagen noch immer in den Augen des Königs. »Du bist mir ein Freund geblieben über all die Jahre. Du hast dich mir widersetzt, du warst mit mir selten einer Meinung und ich habe nicht auf dich gehört. Ich habe nicht begreifen wollen, dass du frei sein musst wie der Adler in den Lüften. Dass selbst ein goldener Käfig dein Tod wäre.« Er ließ sich auf die Fersen sinken und blickte fast flehend zu Rupert auf. »Und als du nicht mehr da warst, spürte ich eine furchtbare Leere in mir, eine schreckliche, unheildrohende Dunkelheit. Und dann… dann ist es wieder über mich gekommen, diese Lust, diese Triebhaftigkeit.«

»Ihr habt wieder gesündigt, Sire«, stellte Rupert fest. Seine Stimme klang leise und rau. »Und Ihr habt Euch wieder öffentlich gedemütigt.«

»Vielleicht wäre das alles nicht geschehen, wenn wir uns nicht getrennt hätten.«

Er sprang plötzlich auf die Füße und zog Rupert zu sich heran. Seine Hände strichen über Ruperts geraden Rücken und krallten sich dann im schwarzen Stoff seines Gewandes fest. Die Muskeln seines Unterkiefers arbeiteten, Rupert spürte den heftigen Herzschlag des Königs an seiner Brust. Langsam, fast zögerlich hob Rupert die Hände und legte sie Richard auf die Schultern. Er zog ihn in seine Arme, streichelte seinen Rücken und berührte mit seiner Wange Richards rotblondes Haar. »Was wünscht Ihr, Sire?«, fragte er leise. »Die Peitsche auf Euren Rücken, liebkosende Lippen an Euren Lenden, eine Vereinigung zweier glühender Körper?« Er spürte Richard erschauern.

»Alles«, wisperte er. »Alles, alles, was aus den Abgründen der Hölle kommt.«

Mit einem sarkastischen Lächeln schob Rupert ihn zum Bett und drückte ihn auf die Matratze. »Dann schaut mir tief in die Augen und folgt mir in das Reich der schwarzen Lust.«

Um den König versank die Welt in dunklem Nebel, ein Mantel aus Feuer und Hitze legte sich über ihn. Er sah die schwarzen Augen des Teufels mit dem darin flackernden Feuer und stöhnte unter dem Druck einer abgrundtiefen Lust auf, die sich seines Körpers bemächtigte.

 

 

Seit den frühen Morgenstunden hatten sie gejagt. Das Kläffen der Hunde und Stampfen der Pferdehufe zog sich wie eine Spur durch die Wälder und Hänge entlang des Flusses. An den Sätteln der Jagdbegleiter hing die Beute der Hatz.

Richard hob die Hand und die Reiter zügelten ihre Pferde. »Nehmt das Wildbret und bringt es in die Schlossküche. Es soll eine Bereicherung des Festmahles sein.«

»Schon wieder ein Fest?«, fragte Rupert.

»So ist es, mein Freund. Es ist mir ein Herzensbedürfnis, etwas wieder gutzumachen.« Rupert hob die Augenbrauen, doch er schwieg. »Bleib bei mir«, sagte Richard, als die Jagdbegleiter davonpreschten. »Ich möchte mit dir noch etwas allein sein.«

Sie wendeten ihre Pferde. Schweigend ritten sie eine Weile nebeneinander her. Keiner von beiden hatte einen Blick für die Landschaft, jeder hing seinen Gedanken nach. Die Sonne stand bereits im Zenit und der Schweiß lief ihnen ins Gesicht. Jenseits des Flusses läutete eine Glocke. Überrascht öffnete Richard die Augen und blickte sich zu Rupert um. Dessen Blick schien durch den König hindurchzugehen.

Richard zügelte sein Pferd und deutete auf eine Gruppe von Bäumen mit weit ausladenden Kronen. »Lass uns ein wenig rasten.«

Sie saßen ab und ließen ihre Pferde grasen. Richard setzte sich auf den Boden und lehnte sich gegen den mächtigen Stamm. Rupert nahm neben ihm Platz und schenkte zwei Becher voll Wasser ein. Ihre Finger berührten sich für einen Herzschlag, als Rupert dem König den Becher reichte.

Richard hob den Blick. »War es ein Traum?«, fragte er leise.

Rupert lächelte und Richard fand, dass es den schwarzen Magier noch anziehender machte.

»Was glaubt Ihr, Sire?«

»Ist es das, was du Seelenwanderung nennst? Du beherrschst es vollkommen. Du bist fürwahr ein Zauberer.«

Rupert lächelte noch immer, als er auf den König blickte, und in seinen Augen glühten Funken auf.

Richard legte seine Hand auf Ruperts Schulter und blickte ihm eindringlich in die Augen. »Es ist Sünde«, flüsterte er.

»Ein Traum?«, spottete Rupert. Und als Richard schwieg, sagte er: »Auch ein Traum kann Wahrheit sein. Im Traum wandert die Seele in eine andere Welt. Wer will Euch Träume verbieten?«

Richard wies mit dem Zeigefinger gen Himmel. »Damals, vor vielen hundert Jahren, als das Christentum noch die Religion der Verfolgten war, huldigte man den Frauen und schämte sich nicht, ihre schönen Körper zu begehren und zu lieben. Später sagte man, dass eine Frau mit einem sinnlichen Körper gleich der Unvollkommenheit und Sünde sei.

Nur der Mann strebe zu Gott mit seiner Geistseele. Doch gerade die Frau ist die Verkörperung des Göttlichen, so schön, so geheimnisvoll, so anbetungswürdig…«

Rupert hatte sich zurückgelehnt und sein Blick schweifte in das undurchdringliche Geäst der Baumkrone über ihm. Er sah eine schöne, schwarzhaarige Frau mit grünen Augen und einem sinnlichen Körper, der er sich zu Füßen warf, die er anbetete – und die er mit Körper und Seele liebte.

»Es ist der verhängnisvolle Irrtum der Christen, der die Frau ihrer Göttlichkeit beraubt hat«, erwiderte er leise.

»Und was ist mit dem Mann? Warum ist es dann auch Sünde, einen Mann zu begehren?«

Rupert schüttelte leise den Kopf. »Nicht das Objekt des Begehrens, sondern die Begierde selbst ist die Sünde. So sagt man jedenfalls.«

Richard schlug die Augen nieder und presste seine Hand auf seine Brust. »Warum fühlt mein Herz dann aber anders?« Es lag Verzweiflung in seinem Blick, als er zu Rupert aufblickte. »Damals, als wir durch Italien ritten auf unserem Weg ins Heilige… nein, ins unselige Land, da liebte ich dich bereits wegen der Schärfe deines Verstandes, der Kühnheit deines Geistes, der Freiheit deines Willens und der Schwärze deiner Seele.« Er kicherte. »Und dann, eines Tages, beobachtete ich dich, wie du in einem Fluss gebadet hast, splitternackt. Du hast einen wunderschönen Körper, schlank, makellos, ebenmäßig. Von diesem Augenblick an habe ich dich begehrt. Ich hatte immer gehofft, dass du mich verstehst, mein Fühlen, mein… Begehren. Nie hast du nach Frauen geschaut, aber ich habe dich auch nie mit Knaben gesehen. Manchmal glaubte ich schon, du kennst diese Gefühle gar nicht. Aber du bist ein Mensch, kein Satan, kein Gott, kein Dämon.« Richard seufzte leise auf.

Rupert hatte den Arm um seine Schultern gelegt und Richard ließ seinen Kopf an Ruperts Schulter sinken. Gemeinsam starrten sie über die kahlen Felder.

»Ich habe gute Männer um mich geschart. Sie gehören zu den besten, die das Land hervorgebracht hat. Sie sind tapfer, treu, loyal. Und du gehörst dazu, auch wenn du es vielleicht nicht so empfindest. Ich wusste immer, egal, was du tust, egal, wo du bist, du würdest mir niemals schaden, auch wenn du vieles nicht gebilligt hast, was ich tat.« Er lächelte versonnen. »Männer, immer waren Männer um mich herum. Ist dir aufgefallen, dass die meisten der Templer ausgesprochen gut aussehende Männer sind?«

»Und die Frauen in Poitiers?«

»Ja, es gab auch viele Frauen. Doch alle verglich ich mit meiner Mutter. Und keine konnte ihr das Wasser reichen.«

»Königin Eleonore ist eine bemerkenswerte Frau. Und sehr schön.«

Der König nickte. »Für mich gibt es nur diese eine Frau. Sie ist meine Göttin.«

Er hob den Kopf und blickte Rupert von der Seite an. »Wer war deine Göttin? Deine Mutter?«

Rupert schüttelte den Kopf. »Nein, meine Mutter war zwar gütig, aber schwach. Sie wollte mich loswerden, weil ich nicht so war, wie es die Familie sich wünschte.« Er warf Richard einen kurzen Blick zu und verzog geringschätzig die Lippen. »Ich taugte nicht zum Ritter.«

Richard lächelte verstehend und lehnte seinen Kopf wieder an Ruperts Schulter.

»Sie schickte mich in ein Kloster. Für mich war es Himmel und Hölle zugleich. Ich lernte Lesen und Schreiben, Latein und Hebräisch. Ich wünschte mir, ein Gelehrter zu werden.«

»Du bist es geworden«, warf Richard ein.

»Aber nicht im Kloster. Die interessanten Bücher standen auf dem Index.«

Richard grinste. »Wie alles, was reizvoll ist. Die Schwarzkittel verbieten es.«

»Sie vergriffen sich an den Novizen. Und sie besuchten das Haus der Heiligen Jungfrauen, ein Nonnenkloster, einige Meilen davon entfernt. Ich lernte, wie Begierde zwischen Männern und zwischen Männern und Frauen praktiziert wurde.«

»Welch eine heilige Schule!«, rief Richard amüsiert.

»Ich ekelte mich vor meinem Körper.«

»Wer war deine Göttin?«

Rupert atmete tief durch. »Eine Kräuterfrau im Wald.«

»Eine Hexe?« Richard richtete sich mit einem Ruck auf. Rupert zog ihn wieder in seinen Arm.

»Nein, eine wunderbare, sehr weise und kluge Frau. Sie hat mich zum Mann gemacht. Und sie war schön. Ich habe nie wieder eine schönere Frau gesehen.«

»Auch nicht bei den Sarazenen?«

Er schüttelte den Kopf. »Die Sarazenen haben schöne Frauen, biegsam, glatt und anschmiegsam. Und unterwürfig. Sie war mir überlegen. Und als ich ihr ebenbürtig wurde, hat sie mich weggeschickt.« Er schwieg und kämpfte mit der Erinnerung.

»Du liebst Frauen, mit denen du dich duellieren kannst, geistig wie körperlich.«

Rupert senkte den Kopf. »Es gibt keine solchen Frauen mehr.«

»Doch! Gwendolyn ist eine.« Richard hatte sich wieder aufgerichtet.

»Gwendolyn! Ich gebe zu, sie hat mich beeindruckt. Sie ist klug, tapfer, kämpferisch und widerspruchsfreudig.«

»Und sie ist eine Frau.«

»Das ist nicht zu übersehen.« Er schwieg wieder.

»Und was ist mit… Männern?«

Rupert wandte den Kopf und seine schwarzen, glühenden Augen brannten sich in Richards Blick. »Ich achte sie, so sie klug und weise sind.«

»Was bin ich eigentlich? Ein Abenteurer, Träumer, König?«

Rupert schob abschätzend die Unterlippe vor. »Ein schlechter Sohn, ein schlechter Gatte, ein schlechter König, ein überragender Feldherr, ein todesmutiger Krieger.«

»Aber was bin ich für dich?«

Ruperts Blick ließ ihn nicht los. »Für mich seid Ihr Richard.«

Der König atmete tief durch. »Ich danke dir, mein Freund.« Er erhob sich mühsam und streckte seine Glieder. Nachdenklich blickte er auf Rupert herab. »Und ich danke dir«, fügte er leise hinzu, »für diese – Erfahrung.«

 

 

Der Steilhang, auf dem Château-Gaillard lag, war schon beeindruckend. Die Burg wurde durch eine zweifache Ringmauer umschlossen, deren innere Mauer die Form einer bogenförmigen Schweifung aufwies. Die Türme ragten kaum hervor und es gab keine toten Winkel, sodass die Angreifer den Schüssen von Bogenpfeilen und Armbrustbolzen frei ausgesetzt waren. Der mächtige Bergfried bestand aus drei Stockwerken. Außen umgaben ihn große Erker, die als Widerlager dienten und Pechnasen bildeten. So konnten die Verteidiger von der Höhe der Mauer herab die Angreifer von den erkerfreien Stellen mit Geschossen überschütten. An der Seite, an welcher der Felshang weniger steil war, erhob sich ein Sporn, eine Art nach vorn gebautes Gemäuer, das mit runden Türmen bestückt war. Zwischen den beiden Ringmauern des Hauptgebäudes schließlich führte eine in den Fels gehauene Treppe hinauf zu den Wach- und Lagerräumen für Rüstungsgegenstände. Das Gewölbe wurde von zwölf dicken viereckigen Pfeilern getragen.

Richard und Rupert schritten diese Treppe hinab. Rupert hatte den herrlichen Ausblick genossen, der sich von oben dem Auge des Betrachters bot.

»Dort liegt Gisors«, hatte Richard mit einer Geste nach Osten gedeutet. »Und dort liegt Philipp auf der Lauer.«

Es war unglaublich, dass dieses kolossale, strategisch genial durchdachte Bauwerk nur eine Bauzeit von einem Jahr benötigt hatte.

»Ist sie nicht schön, meine einjährige Tochter?«, fragte er Rupert lachend. Tatsächlich war die Burg auch ein ästhetischer Anblick.

»Während wir hier bauten, erhielt ich eine kuriose Nachricht«, plauderte Richard launig, während sie die Treppe weiter herabschritten. »Leopold von Österreich starb nach einer kindischen Tollerei. Er hatte sich von seinen Pagen eine Burg erbauen lassen, die er zum Spiel erobern wollte. Dabei fiel er vom Pferd und brach sich das Bein. Du weißt ja, wie die hiesigen Wundärzte sind. Erst behandelten sie den Bruch so, dass Leopold sich den Wundbrand zuzog. Dann amputierten sie das Bein und machten ihm dadurch endgültig den Garaus. Ich denke, es ist eine gerechte Strafe für seine Teufeleien. Nicht nur, dass er mich gefangen nahm und an Heinrich auslieferte, er hat sich sogar an einem Fürsten vergangen, der mit ihm auf dem Kreuzzug war. Dafür ist er exkommuniziert worden und war es bei seinem Tod immer noch. Er hat kein religiöses Begräbnis bekommen, sie haben ihn verscharrt wie einen toten Hund.« Er griff nach Ruperts Hand. »Jetzt, wo ich dich an meiner Seite weiß, falle ich auch gern mal vom Pferd.« Er lachte übermütig.

Rupert war blass geworden. »Ihr seid immer noch so leichtfertig, Sire. Ich bin nicht Gott und Ihr seht, wie schnell man einen sinnlosen Tod sterben kann.«

Sie schlenderten in die große, prächtig ausgestattete Halle. Das Innere des Château-Gaillard vermittelte den Bruchteil des Glanzes, der vom Hof Richards ausging. Richard breitete die Arme aus, als wolle er die ganze Welt umfassen. »Es gibt mir ein bisschen das Gefühl, daheim zu sein«, sagte er strahlend. »Und es dient natürlich einem wichtigen Zweck«, fügte er hinzu, als müsse er sich dafür entschuldigen. Rupert schwieg, doch seine Augen ruhten unbeirrt auf dem König. Richard erwiderte den Blick. »Es ist der geeignete Rahmen für eine derartige Feier«, sprach der König weiter.

»Welche Feier?«

»Deine Hochzeit, de Cazeville!«

Rupert verspürte einen unangenehmen Stich in der Magengegend. »Sire?«

»Ich bin nicht blind, mein Freund. Ich habe gesehen, dass du eine heimliche Bewunderung für Lady Gwendolyn hegst. Sie ist eine außergewöhnliche Frau. Und du bist ein außergewöhnlicher Mann. Was steht dem im Wege, dass zwei so außergewöhnliche Menschen sich verbinden?« Es war keine Frage, es war eine Feststellung.

Rupert unterdrückte den aufkommenden Zorn. Es wäre zutiefst unklug, sich den Unwillen des Königs zuzuziehen, nachdem sie gemeinsam durch die sarazenische Hölle gegangen waren. Richard hatte ihm erneut seine Gunst und seine Freundschaft bewiesen.

Rupert war aber ein Mensch, der keineswegs Wert darauf legte, Günstling eines Königs zu sein. Er wollte von keinem Menschen abhängig sein. Doch wieder einmal musste er erkennen, dass er sich diesen Einflüssen nicht entziehen konnte.

Und dass andere über sein Schicksal bestimmten. Er witterte Gefahr und er musste sich wehren.

»Es stimmt, dass Lady Gwendolyn sehr ungewöhnlich für eine Frau auftritt«, sagte Rupert und sein Blick wurde um eine Nuance schärfer. »Doch ich glaube nicht, dass unsere eheliche Verbindung unbedingt wünschenswert wäre.«

Richard lachte wie über einen gelungenen Scherz. »Du bist zu bescheiden. Ich glaube sogar, du bist der Einzige, der dieser Lady ebenbürtig ist.«

»Was sagt Lady Gwendolyn dazu?«

»Sie würde es nicht wagen, ihrem König und Lehnsherrn zu widersprechen«, entgegnete Richard.

Rupert schwieg und kämpfte erneut seinen Zorn nieder. Er wusste nicht, ob Richard ahnte, welche Unruhe er in ihm ausgelöst hatte. Und ihm war klar, dass er auch nicht wagen durfte, sich dem König zu widersetzen. »Und Ihr sagtet, ich sei Euer Freund.«

Vertraulich legte der König seinen Arm um Ruperts Schultern. »Das bin ich. Und es ist zu deinem Besten. Du bekommst ihre großen Ländereien, fruchtbaren Boden, Wälder voller Wild, eine Burg, zahlreiche Vasallen. Und zur Hochzeit ein ordentliches Geschenk von mir.«

»Ich fühle mich vergewaltigt«, flüsterte Rupert schaudernd. Er riss sich aus Richards Arm und eilte aus der Halle. Mit großen Schritten lief er zum Stall und sattelte sein Pferd. Als er es auf den Hof führte, spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Es war eine kräftige, schwielige Männerhand. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, zu wem diese Hand gehörte.

»Flucht ist eine schlechte Lösung«, sagte Richard leise.

»Ich möchte nur etwas allein sein«, erwiderte er. »Heute Abend bin ich zurück.«

»Ich vertraue darauf, so wie ich dir immer vertraut habe«, sagte der König. »Entgegen dem Rat meiner Vertrauten. Enttäusche mich nicht!«

Rupert saß am Ufer des Flusses und hielt die Fäuste gegen seine Schläfen gepresst. Lange verlor sein Blick sich in den glucksenden Strudeln des Stromes. Eine Eule strich dicht über ihm vorbei. Lautlos verschwand sie in den Kronen der alten Bäume. Hinter den Hügeln tauchte der Mond auf. In der Ferne bellte ein Hund. Der Rauch aus den Kaminen der vereinzelt stehenden Bauernhäuser von Les Andelys mischte sich mit dem würzigen Duft der Nachtluft. Er schreckte erst auf, als sein Pferd wieherte.

Der Mond stieg langsam höher. Sein magischer Schein tauchte das Château in geisterhaftes Licht. Stille lag über der Landschaft. Rupert erhob sich und suchte Kieselsteine vom Ufer des Flusses. Auf einer grasfreien Stelle ordnete er die Kiesel in Form eines Kreises an. Dann trat er in den Kreis und begann die alten Formeln zu sprechen, die er vor vielen Jahren in seinen Geist aufgesogen hatte wie ein trockener Schwamm das Wasser. Nichts hatte er vergessen von dem, was der alte Druide ihn einst lehrte, und er fühlte seinen Geist plötzlich ganz in seiner Nähe.

 

 

Die Kirche war gefüllt bis auf den letzten Platz. Noch vor dem Eingang drängelten und schubsten die Neugierigen, um einen flüchtigen Blick ins Innere des Gotteshauses zu erhaschen. Richard selbst führte Rupert seine Braut zu und Gwendolyn befürchtete, dass ihre Beine ihr den Dienst versagten, noch bevor sie an Ruperts Seite vor dem Altar knien würde. Das beifällige Gemurmel beim Erscheinen des Königs mit der strahlend schönen Lady verstummte allmählich und es kehrte eine feierliche Stille in die hohe Halle der Kirche ein. Gwendolyn erblasste, als sie Ruperts versteinertes Gesicht sah. Sie knieten sich vor dem Altar nieder. Als Gwendolyn den Kopf zum stillen Gebet senkte, sah sie aus den Augenwinkeln, dass Rupert seine Hände, statt sie zum Gebet zu falten, zu Fäusten geballt hielt.

Bischof Albert, gefolgt von seinen geliebten Chorknaben, wandte sich um. Tausende Kerzen erhellten den Chor, das goldene Kreuz funkelte.

Die Gesichter des Brautpaares erinnerten mehr an eine Hinrichtung denn an eine Hochzeit. Nur der König war in allerbester Laune, strahlte über sein gebräuntes Antlitz und Schalk blitzte in seinen Augen. Die Hochzeit, die er für Rupert de Cazeville und Lady Gwendolyn ausrichten ließ, stellte alles in den Schatten. Hunderte Gäste, unzählige Dichter, Sänger und Poeten hatten sich auf dem Château versammelt und gaben der Feier ein sehr höfisches und kulturelles Gepräge.

In Rupert schien jegliches Leben abgestorben zu sein. Seine Finger waren kalt, die Knie schmerzten. Es roch nach Wachs und Weihrauch und erinnerte ihn an sein Gebet für Richard in der Grabeskirche zu Jerusalem. Gwendolyn rutschte unruhig neben ihm hin und her und er hätte ihr am liebsten die Kehle zugedrückt. Reglos verharrte er neben ihr, als der Bischof seinen Segen über dem Brautpaar sprach, aber Gwendolyn spürte, dass Rupert nicht auf die Worte des Bischofs hörte. Wahrscheinlich murmelte er lautlos magische Formeln, um sich dagegen zu bannen.

Als sie sich erhoben und einander zuwandten, blitzten in Gwendolyns Augen spöttische Funken auf.

»Ihr dürft Eure Braut jetzt küssen«, flüsterte Bischof Albert.

Gwendolyn hob ihr Gesicht an und schloss die Augen. Aber nichts geschah. Nach einer Weile öffnete sie die Augen und Ruperts Blick traf sie, dass sie erschrocken zurückzuckte. Es war ein Blick voll Ablehnung und Zorn.

Entschlossen schlang sie ihre Arme um seinen Hals, zog seinen Kopf zu sich herunter und hauchte einen Kuss auf seinen Mund.

»Überwinde dich«, hauchte sie an seinen Lippen. Sie spürte seinen harten Griff an ihren Schultern und wie er sie zurückschob. Mühsam schluckte sie und jetzt spürte auch sie Zorn in sich aufsteigen. Hätte sie ein Schwert an ihrer Seite getragen, sie hätte es ihm an die Kehle gesetzt. Aber so stand sie in einem verführerischen Brautkleid, einem Traum aus Samt und Seide, vor ihm und beeindruckte mit ihrer liebreizenden Erscheinung alle Anwesenden in der Kirche, alle außer Rupert.

Er wandte sich um, hielt ihr den Arm hin, auf den sie ihre zitternde Hand legte, und schritt entschlossen dem Ausgang der Kirche zu. Der Brautzug begab sich zur großen Halle, in der eine festlich und überreich gedeckte Tafel stand. Rupert und Gwendolyn nahmen am erhöhten Kopf der Tafel Platz, neben ihnen König Richard und der Bischof.

Der König erhob einen goldenen Pokal und sprach einen Toast auf das Brautpaar aus. Die verbissenen Mienen von Rupert und Gwendolyn schien er nicht zur Kenntnis zu nehmen. Rupert trank eilig seinen Becher aus und es schien, als wolle er einen üblen Geschmack damit herunterspülen. Er hatte sich in seinem hochlehnigen Stuhl zurückgelehnt und betrachtete die Gesellschaft mit unverhohlener Unlust. Er wollte Richard nicht beleidigen, so unterhielt er sich mit ihm über die Kriegskunst der Sarazenen, über die Güte Damaszener Klingen, den für ihn bedauerlich frühen Tod von Sultan Saladin und seine Gefangenschaft in der Wüste. Doch er konnte nicht vermeiden, dass sein Blick hin und wieder auf seine strahlend schöne junge Braut fiel.

Gwendolyns Gesicht glühte in der Hitze der Erregung, ihre Finger zitterten, dass sie kaum wagte, aus ihrem schweren Pokal zu trinken. Der Ärger über Ruperts Verhalten war schnell der Aufregung über das königlich ausgestattete Fest gewichen.

»Nun zieh nicht so ein Gesicht«, versuchte der König Rupert aufzumuntern. »Sie hält sicher, was sie verspricht.«

»Dazu brauchte es nicht den Segen des Bischofs«, entgegnete Rupert säuerlich.

Richard breitete belustigt die Arme aus. »Ich bin auch glücklich verheiratet.«

Rupert schnaubte verächtlich. »Und wo ist Eure teure Gemahlin?«

Einen Augenblick lang lagen Richards Augen versunken in seinen, bevor er antwortete. »Wer weiß? Irgendwo in meinem Königreich.«

Rupert beugte sich vor. »Ich erinnere mich, dass sich auch der Löwe vor dem Käfig gefürchtet hat.«

Der König lachte laut auf. »Hat es mir geschadet? Ich habe Freigang!« Launig hob er seinen Pokal und prostete Rupert zu.

Die langen Tafeln waren mit schwerem Silbergeschirr gedeckt, feine Tücher verhüllten das rohe Holz der Tische. Die Damen, die neben ihren Ehegatten oder Verehrern platziert wurden, teilten sich mit diesen Schüsseln und Becher. Die Messer zum Schneiden des Bratens trug jeder Gast selbst bei sich, die Herren bedienten ihre Damen, indem sie ihnen kleine Stückchen Fleisch, Fisch oder Brot reichten. Alle bemühten sich, möglichst sittsam zu essen, den kleinen Finger abzuspreizen und nicht zu laut zu rülpsen. Auch sollte man nach Möglichkeit nicht mit vollem Mund trinken, den Nachbarn anstoßen oder mit beiden Händen zugreifen. Etliche Pagen eilten ständig mit Wasserschüsseln und Tüchern um den Tisch, damit die Gäste sich die Finger reinigen konnten. Der Truchsess persönlich trug das Salzfässchen bei sich, um sicherzugehen, dass der Speisewürze kein Gift von einer Mörderhand beigemischt werden konnte.

Aus großen Terrinen wurde Eiersuppe mit Safran, Pfefferkörnern und Honig ausgeschenkt. Die Gäste löffelten und schlürften die Köstlichkeit aus silbernen Schalen. Es gab gesottenes Schaffleisch mit Hirse, Gemüse und Zwiebeln, daneben gebratenes Huhn mit Zwetschgen, Drosseln mit Rettich in Schmalz gebacken, Schweinekeule mit Gurke und gebratene Gans mit roten Rüben. Die nächsten Gänge bestanden aus Stockfisch in Öl mit Rosinen, gesottenem Aal mit Pfeffer, gerösteten Bücklingen mit Senf, sauer eingelegtem Fisch, gebratenem Hering, gesalzenem Hecht mit Gemüse.

Der Truchsess überwachte die Abfolge der Speisen, der Mundschenk ließ immer neue Kannen mit köstlichem Wein bringen.

Als Krönung des Mahls wurde ein gebratener Pfau im Federkleid aufgetragen. Auf einer riesigen silbernen Platte musste er von vier Pagen getragen werden. Richard selbst zerlegte ihn geschickt und reichte seinen Ehrengästen ein Stück des zähen Fleisches auf gebackenem Brot. »Es verleiht Unsterblichkeit«, sagte er zu Rupert und wies mit der Messerspitze auf das Fleisch. »Du liebst doch magische Riten.«

Rupert zog dem Pfau eine der prachtvollen Federn aus dem Schwanz und reichte sie dem König. »Und Ihr solltet hiermit ein Gelübde ablegen, Sire. Ein Gelübde, das Euch eine gewisse Einschränkung Eurer schwarzen Wünsche auferlegt.« Seine dunklen Augen glühten und Richard spürte den starken Willen des Mannes an seiner Seite. Er konnte seinen Blick nicht von Rupert lösen, beide hielten die Pfauenfeder mit den Händen fest. Es wurde plötzlich still an der Tafel und alle wandten ihre Blicke den beiden ungleichen Männern zu.

Feierlich wandte sich Richard seinen Gästen zu. »Bei diesem Pfau gelobe ich, bis an mein Lebensende für meine Untertanen, die mir treu ergeben sind, zu sorgen und über sie zu wachen. Dies gilt besonders für das glückliche Paar an meiner Seite, Lord Rupert de Cazeville und seine wunderschöne junge Braut, Lady Gwendolyn.«

»Verdammt, schwöre, dass du nie wieder deinen frivolen Neigungen nachgibst«, zischte Rupert ihm ins Ohr.

»Vor allen Leuten?«, flüsterte Richard zurück. »Nein, nicht einmal vor dir. Dafür gibst du mir doch die Träume.«

»Du wirst nie wieder so einen Traum haben, dafür sorge ich.« Ruperts Stimme war dicht an Richards Ohr, niemand anderes in der Umgebung vernahm die Worte als nur der König.

»Ist es deine Rache?«, grinste Richard. »Ich selbst konnte dich niemals fangen, immer hast du dich mir entwunden. Nun habe ich dich mit Hilfe einer Frau an mich gefesselt.«

»Du hast mich überlistet, du hast mich reingelegt, Richard!«

»Wie wohlklingend für meine Ohren, das aus deinem Mund zu hören. Immer habe ich gegen dich beim Schach verloren.« Er zog Rupert in seine Arme und küsste ihn auf seine glattrasierten Wangen. »Ich liebe dich«, sagte er leise. »Und nun bleibst du an meine Scholle gebunden. Es ist fast, als wärest du mit mir verheiratet. Und du musst mir diese Träume schenken, damit ich es nicht mehr in der Wirklichkeit tue. Du verabscheust doch, wenn ich mich öffentlich demütige.« Er grinste breit über das ganze Gesicht und spürte mit Genugtuung Ruperts ohnmächtiges Zittern. »Haltung, mein Freund! Es wäre das erste Mal, dass du das Gesicht verlierst.«

»Keine Sorge«, knurrte Rupert und nahm wieder Platz. »Ich habe bis jetzt aus jeder Misere einen Ausweg gefunden.«

»Ich auch!«

Da erhob sich ein Mann von der Tafel und wandte Richard sein asketisches Gesicht zu. Es war der Prediger Foulques von Neuilly, der offensichtlich schon einige Zeit auf Château-Gaillard weilte. »Bei dieser Pfauenfeder, König Richard, fordere ich Euch auf, Euch von Euren drei Töchtern zu trennen.«

Rupert grinste. »Hört, hört«, murmelte er. »Gibt es da etwas, das ich nicht weiß?«

Richards Gesicht lief rot an. Empört schrie er in den Saal hinunter: »Du lügst, ich habe überhaupt keine Kinder!«

Mit ruhigem Gesicht wandte sich der Prediger wieder um. »Sire, Ihr habt drei Töchter: Hochmut, Begehrlichkeit und Wollust.«

»Nun gut«, Richards ausgestreckter Zeigefinger fuhr wie ein Speer auf den unverschämten Prediger zu. »Den Hochmut gebe ich den Templern und Johannitern, die Begehrlichkeit den Zisterziensern und die Wollust dem gesamten Klerus!«

Auf die nachfolgende plötzliche Stille brach Jubel aus, die Gäste lachten und applaudierten dem König. Der Prediger verließ mit versteinerter Miene das Fest.

Richard hob wieder seinen Pokal und winkte dem Truchsess, der nun die Nachspeisen in Form von Eierkuchen mit Honig und Weinbeeren, Gelee mit Mandeln, Honigkuchen, Nusstörtchen und kandierten Früchten auftragen ließ.

Wie es sich für eine feine Dame geziemte, hielt sich Gwendolyn beim Essen zurück, probierte nur da und dort eine Kleinigkeit, die ihr ein Page, der nur für sie bereitstand, vorlegte. Rupert kümmerte sich nicht um sie. Nur einmal warf er ihr einen missbilligenden Blick zu, als sie nach seiner Hand griff.

Lady Gwendolyn beobachtete alles mit sehr gemischten Gefühlen. Es stand ihr fern, den König zu beleidigen, und sie bemühte sich um ein glückliches Lächeln. Innerlich jubelte sie, dass sie den faszinierenden, geheimnisumwitterten schwarzen Magier mit Hilfe des Königs umgarnt und eingefangen hatte. Andererseits schwankten ihre Gefühle für Rupert de Cazeville zwischen ehrfürchtiger Bewunderung und bewundernder Ehrfurcht. Gleichzeitig reizte er sie zum Widerspruch, zum Kampf und zur Hingabe.

Eine Ehe mit ihm, ein Zusammenleben mit diesem Einzelgänger und wortkargen Mann konnte sie sich allerdings nicht so richtig vorstellen. Doch sie wusste, dass sie ohne ihn nicht mehr leben konnte. Zu unauslöschlich hatte er sich in ihr Herz eingebrannt. Insgeheim fürchtete sie, dass er sich gar nichts aus Frauen machte. Zwar hatte er ihr wunderbare und prickelnde Geschichten aus dem Orient erzählt und darin kamen auch Frauen vor: die Tochter eines Sultans und eine schöne Sklavin. Aber vielleicht waren das nur Märchen, zauberhafte Schleier für die schrecklichen Abgründe in seiner Seele!

Alle ihre zaghaften Annäherungsversuche waren im Sande verlaufen. Nie hatte sie ihn mit einer Frau in enger Vertrautheit gesehen, weder mit einer Magd noch einer Hure, erst recht nicht mit einer Dame von Stand. Sie überlegte, ob er eher Knaben zugeneigt war wie Bischof Albert, doch auch diesen Gedanken verwarf sie wieder. Was für ein Körper hielt sich unter der schwarzen Kleidung dieses Mannes verborgen?

Etwas anderes hatte sich ihr offenbart, die Klarheit seines Geistes, die Klugheit und Schärfe seiner Gedanken. Sie glaubte ihn zu kennen, sie glaubte, auch einen Weg zu seinem Herzen finden zu können.

Das Gesicht des Bräutigams glich einer undurchdringlichen Maske, niemand konnte seine Stimmung daraus ablesen. Es war ernst, reglos, lediglich seine schwarzen Augen glühten in einem verhaltenen Zorn, den nur Gwendolyn zu deuten vermochte. In all der Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, hatte sie seine beiden schwachen Stellen entdeckt: seine Hände und seine Augen. Seine schönen, schmalen Hände waren so unvergleichlich geschickt. Seine Augen sprachen eine geheimnisvolle Sprache. Doch Gwendolyn hatte darin auch Regungen entdeckt, die seiner Seele entsprangen. Sie musste seinen Blicken standhalten, sie studieren, sie zu deuten wissen – und sie zurückwerfen. Es war nicht leicht, diesen magischen Augen zu widerstehen, in welcher Weise auch immer. Gwendolyn fühlte sich von Rupert gefordert. Es war wie ein Sport, ein Kampf, eine Sucht, ihre Kräfte mit seinen zu messen.

Noch während des Mahls ließ der König die Gesellschaft durch Musikanten mit Fiedeln und Blasinstrumenten, Dudelsack, Pfeifen und Flöten aller Art unterhalten. Rezitationen und artistische Darbietungen bereicherten das Fest.

Richard nahm eine Laute und strich sanft über die Seiten. Dann erhob er sich, kniete vor Gwendolyn nieder und spielte die ersten Takte einer sanften Melodie.

 

Der Frauen Liebreiz ist es, was sie uns erhebet;

zum Throne holder Göttlichkeit;

uns bleibt, dass man sie anbetet,

in Treu und Lieb’ und Freud und Leid.

Geheimnisvoll der Augen Blick

hinter zartem Schleier winkt;

die weiße Hand huldvoll erhoben,

dass man ihr zu Füßen sinkt.

 

Mein Herz weint stumme Tränen,

weil du mein Flehen nicht erhörst.

Hier spüre ich ein schmerzvoll Sehnen,

weil du mein flammend Aug’ betörst.

Was geht wohl vor in deinem Geist!

Ach, wer weiß – manch’ ist mir nicht bekannt,

was du wohl von mir weißt,

trotz der Liebe Freundschaftsband.

 

Bei den letzten Worten legten sich seine Augen auf Rupert. Gwendolyn, die verzückt dem Vortrag des Königs gelauscht hatte, hob ein wenig verwundert die Augenbrauen. Richard legte die Laute beiseite und setzte sich neben Rupert. Wie zufällig legte er die Hand auf seine. Er hatte Ruperts ironischen Blick bemerkt.

Gwendolyn wurde von den Vorführungen von ihren Gedanken abgelenkt. Sie amüsierte sich, klatschte den Feuerschluckern und Jongleuren begeistert Beifall und lachte über die Späße eines bunt gekleideten Narren. Einem tanzenden Hund warf sie eine Hühnerkeule zur Belohnung zu.

Je länger das Fest dauerte, umso unbehaglicher wurde es Rupert, die Scherze und Gespräche wurden eindeutiger und frivoler. Der Augenblick nahte, wo Rupert seine schöne Frau ins Hochzeitsgemach führen musste. König Richard hatte auch hier nicht gespart und eines der prunkvollsten Gemächer für diesen Zweck herrichten lassen.

Gwendolyn neigte sich etwas zu Rupert herüber, damit der König ihre Worte nicht verstehen konnte. »Ich bin gespannt, wie Ihr Euch aus dieser Klemme befreien wollt, mein Gemahl«, flüsterte sie mit einem bissigen Unterton. »Wenn Ihr mir schon nicht einmal den Brautkuss zugestehen wolltet.«

Er erwiderte ihren spöttischen Blick und sie bemühte sich, ihm standzuhalten. Seine Stimme klang ausgesprochen liebenswürdig. »Überhaupt nicht. Wir werden uns jetzt beide erheben und in dieses Gemach gehen, ganz gleich, was alle sagen oder denken.«

Gwendolyn schwieg verwirrt. Vielleicht änderte sich die ganze Situation, wenn sie allein waren. Die obszönen Scherze trieben selbst ihr die Röte ins Gesicht.

Mit einem Lächeln erhob sie sich und verbeugte sich vor Richard. Rupert stand neben ihr und packte sie unsanft am Oberarm. Als er sie aus der Halle zog, fühlte sie sich wie ein Opferlamm, das zur Schlachtbank geführt wurde. Noch lange hörte sie die lauten Rufe und Pfiffe der Hochzeitsgäste.

 

 

Sie eilten durch den Kreuzgang und die Treppen hinauf zu dem Gemach, über dessen Tür eine blumengeschmückte Girlande hing. Vor der Tür blieb Rupert stehen. »Gute Nacht, Mylady«, sagte er kühl und blickte auf sie herab wie auf einen armseligen Käfer.

Sie hob die Augenbrauen. »Ihr kneift?«, fragte sie spöttisch.

»Nein, ich lege nur keinen Wert drauf«, erwiderte er ungerührt.

Gwendolyns Wangen brannten, als hätte sie eine Ohrfeige erhalten. »Euer Feingefühl ist wirklich nicht zu übertreffen«, zischte sie. Ihre Augen irrten von seinem Gesicht in die Tiefe des Ganges, als sie dort eine Bewegung gewahrte. Rupert fuhr herum, als er die Anwesenheit einer dritten Person spürte.

»Klemmt die Tür?«, fragte Richard und sein Grinsen reichte von einem Ohr zum anderen.

Gwendolyn kicherte. »Nein, Sire, wir diskutierten nur darüber, ob er mich über die Schwelle tragen soll oder nicht.«

»Aber natürlich muss er das!«, rief der König. Er fasste an Rupert vorbei und öffnete die Tür. »Bitte!«

Es blieb Rupert nichts weiter übrig, als Gwendolyn auf die Arme zu nehmen und in das blumengeschmückte Brautgemach zu tragen. Er blieb drinnen stehen, bis sich hinter ihnen die Tür geschlossen hatte. Dann ließ er sie unsanft auf das breite, mit einem purpurnen Baldachin überspannte Bett fallen.

»Eure Ritterlichkeit ist überwältigend«, bemerkte sie, nachdem sie wieder Luft bekam.

»Tut mir Leid, wenn Ihr mit mir nicht zufrieden seid.« Er drehte sich ab und blickte aus dem kleinen, mit bleigefassten Glasscheiben verzierten Fenster in die sternenklare Nacht. Eine Sternschnuppe zog ihre feurige Spur über den samtschwarzen Himmel und einen Augenblick dachte er über die Ironie des Schicksals nach. Er befand sich hier mit der schönsten, liebreizendsten, mutigsten und außergewöhnlichsten Frau des Abendlandes, neben einem einladenden Bett. Unter normalen Umständen hätte er sie in den nächsten drei Tagen nicht wieder aufstehen lassen – wenn sie nicht seine Frau wäre! Der Gedanke, dass er durch einen Eheschwur an einen anderen Menschen gebunden war, bereitete ihm Übelkeit.

Gwendolyn hatte sich vom Bett erhoben und war ganz nahe hinter ihn getreten. Er spürte die Wärme ihres Körpers, obwohl sie sich nicht berührten, und er wehrte sich gegen ihre Sinnlichkeit.

»Was ist los?«, fragte sie und bemühte sich, ihre Stimme fest klingen zu lassen. »Bin ich wirklich so verabscheuungswürdig?«

»Das habt Ihr falsch verstanden, Mylady«, erwiderte Rupert, ohne sich umzudrehen. Er wollte ihr nicht ins Gesicht blicken; zum ersten Mal verspürte er so etwas wie Furcht vor ihren Augen. Sie war die einzige Frau außer Rigana, die nicht nur seinem Körper, sondern auch seiner Seele so nahe gekommen war. Er musste eingestehen, dass sie auch der einzige Mensch war, der ihn so akzeptierte, wie er war. Sie hatte niemals Furcht vor ihm gezeigt, wenn auch einen angemessenen Respekt. Sie hatte weder Abscheu vor seiner Tätigkeit geäußert noch Kritik an seiner Denkweise. Ja, sie schien sogar seine einzelgängerische Lebensweise zu tolerieren. Alle anderen Frauen hatten sich vor ihm gefürchtet, ihn gemieden oder gar verabscheut, ihn verflucht oder verurteilt. Es war ihm gleichgültig, denn keine hatte sein Interesse fesseln können.

Mit Gwendolyn war es anders. Sie betrachtete ihn als Partner, als einen Gleichgesinnten. Er musste den Kopf schütteln über diese für eine Frau so ungewöhnliche und untypische Denkweise, doch gleichzeitig bewunderte er sie für ihren Mut. Nur einer hatte ihn ebenso vorbehaltlos akzeptiert wie Gwendolyn, das war Richard.

»Ich bin Eure Frau«, vernahm er ihre leise Stimme und ein leichtes Zittern lag nun darin. »Und es ist unsere Hochzeitsnacht.«

Er unterdrückte rigoros das in ihm aufkeimende Gefühl für sie. »Ich vergesse es keinen Augenblick, Mylady«, sagte er eisig.

Sie schauderte, doch gleich darauf hatte sie sich wieder in der Gewalt. Das Schlimmste wäre, vor seinen Augen die Beherrschung zu verlieren. Dieser Mann war nicht mit Tränen zu erweichen. Er musste im Kampf besiegt werden, in einem Kampf des Geistes.

»Und wie soll es mit uns weitergehen?«, fragte sie beklommen.

»Wir werden die Ehe annullieren lassen.«

»Annullieren?«, fragte sie entsetzt.

Er nickte und wandte sich nun zu ihr um. Sein Blick war kühl und gleichgültig. »Man kann eine Ehe annullieren lassen, wenn sie nicht vollzogen wurde.«

Sie hielt seinem Blick stand, dann pustete sie laut die Luft heraus und setzte sich auf die Bettkante. »Und das wünscht Ihr?«

»Natürlich. Ich wollte Euch nicht heiraten. Und wenn Ihr ehrlich seid, Ihr wolltet mich auch nicht zum Gemahl.«

»Der König hat anders entschieden«, sagte sie gedehnt.

»Der König wird bald wieder ins Feld ziehen zu irgendeinem Krieg und sich nicht mehr um diese… unselige Geschichte kümmern.«

»Und wie wollt Ihr beweisen, dass die Ehe nicht vollzogen wurde?«, fragte sie und Rupert sah wieder diese goldenen Blitze in ihren Augen. Sein Körper straffte sich wie eine Katze vor dem Sprung.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Nun, ich könnte es nicht beweisen«, erwiderte sie und biss sich auf die Unterlippe.

»Heißt das, Ihr seid keine…?«

Sie schüttelte bedauernd den Kopf und ihr Gesicht wirkte jetzt ebenso gleichgültig wie seines vor wenigen Augenblicken. »Ich gehe nicht unberührt in diese Ehe, wenn Ihr das meint. Ich hoffe, Ihr legt darauf keinen so großen Wert.«

Rupert überlegte einen Moment, ob er ihr an die Kehle springen sollte. Er kämpfte seinen fast übermächtigen Zorn nieder, doch in seinen Augen brannte ein gefährliches Feuer.

Gwendolyn wippte mit den Schuhspitzen und betrachtete intensiv die Falten ihres Kleides. Er war am Zug. Sie wartete.

»Verdammt«, knurrte er.

Sie hob den Kopf und schaute ihn an. »Gebt Ihr zu, dass ich diesmal Sieger in diesem Kampf bin?«

Er blickte auf sie herab und Gwendolyn war sich nicht sicher, was er dabei dachte. Ein spöttisches Lächeln flog über sein Gesicht. »Nein, das ist ein Irrtum. Mich hat noch niemand besiegt und mich wird niemand besiegen, auch Ihr nicht.«

»So? Ich sehe das anders.«

Wieder lächelte er merkwürdig und trat ganz nah zu ihr heran. Wie sie auf dem Rand des Bettes hockte, wirkte sie noch kleiner und schutzloser. Doch Rupert ließ sich von diesem Bild nicht täuschen. Gwendolyn war klug, kämpferisch und nicht zu unterschätzen. Er beugte sich zu ihr herab und streifte ihr Kleid über die Schultern. »Der Krieg ist noch nicht vorbei, Lady. Es ist eine Frage der Zeit, wann Ihr mich um Gnade anwinseln werdet. In einer Stunde, um Mitternacht oder morgen früh…«

Gwendolyn lachte und die Röte kehrte auf ihre Wangen zurück. »Ich habe mich vor keinem Waffengang gefürchtet und ich nehme auch diesen an«, sagte sie immer noch lachend und erhob sich. Sie stand sehr nah vor ihm und sie spürte seine Hände auf ihren nackten Schultern. Ein seltsames Kribbeln fuhr durch ihren Körper und sie ahnte, dass es diesmal anders sein würde. Dieser Mann war nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Sie verspürte plötzlich die schwarze Lust, die er verströmte und die wie eine eigenartige Schwäche von ihr Besitz ergriff. Aber es war zu spät für eine Finte, sie musste sich ihm stellen. Sie schloss die Augen, um seinen Blick nicht ertragen zu müssen. Er würde sie sich nehmen, wie es sein Recht war. Und er würde sie mit Gewalt nehmen.

Er löste die goldenen Schnüre, die das Kleid um ihre Taille hielten. Sie hörte das Krachen der Nähte, als er es von ihrem Körper riss. Dann gab es nur noch das fast durchsichtige seidene Hemd zwischen ihm und ihrem Körper. Er stieß sie unsanft aufs Bett und sie ließ sich einfach fallen. Sollte er seine Taktik offenbaren, sie würde darauf eine Antwort wissen. Er war zornig, auf den König, auf sie, vielleicht sogar auf sich selbst. Und diesen Zorn würde er an ihr auslassen.

Er ließ sie liegen und begann, sich auszukleiden. Der König hatte auch ihm ein prachtvolles Gewand geschenkt und vom ersten Moment an war es Ruperts Gesicht anzusehen, dass er es nur mit großem Unbehagen trug. Jetzt schien er froh zu sein, sich der kostbaren Kleidung entledigen zu können. Er stand im Licht der vier kleinen Leuchtfässchen, die in der Kammer aufgestellt waren und sie in einen unruhigen goldenen Schein hüllten. Unter gesenkten Lidern betrachtete sie ihn. Die schwere, mit Goldfäden bestickte Samtweste ließ er achtlos auf den Boden fallen. Darunter trug er ein weißes Wollhemd mit weiten Ärmeln, dessen Nähte ebenfalls kostbare Stickereien verzierten. Unwillig zerrte er es über den Kopf. Fasziniert betrachtete sie seinen Oberkörper. Er war kräftiger und muskulöser, als sie es erwartet hatte, doch seine Muskeln waren lang und geschmeidig wie bei einer Raubkatze. Seine Haut hatte die gleiche kupferne Farbe wie sein Gesicht und schwarzes Haar bedeckte seine Brust und seinen Bauch wie ein seidiger, dunkler Schleier. Er bemerkte ihren Blick, doch es schien ihn nicht zu kümmern. Im gleichen mäßigen Tempo öffnete er den Verschluss des kostbaren, mit Edelsteinen besetzten Gürtels und warf ihn auf die bereits am Boden liegenden Sachen. Er trug eine eng geschnittene Hose aus weichem Leinen und sie hatte bereits mehr als einmal seine langen, schlanken und erstaunlich geraden Beine bewundert. Ihr war nicht ganz klar, wie ein Mann, der den überwiegenden Teil seines Lebens auf dem Pferderücken zugebracht hatte, derart gerade Beine haben konnte. Trotzdem hielt sie den Atem an, als er die aus dunkelblauem Stoff gefertigte Hose herabzog. Dann sog sie die Luft scharf durch die Zähne ein. Sie hatte noch niemals so einen schönen männlichen Körper gesehen!

Ihr wurde fast schwindelig vor Verlangen. Von dem Mann ging eine Faszination aus, der sie sich nicht mehr entziehen konnte. Sie hörte ihren heftigen Herzschlag und fürchtete, dass auch er ihn hören konnte. Ihre Hände zitterten, als sie sich auf dem Bett abstützte und etwas zur Seite rückte. Er legte sich langsam neben sie nieder, seine Fingerspitzen berührten die Stelle oberhalb ihres Herzens und seine schwarzen Augen versenkten sich mit der Schärfe eines Schwertes in ihren Blick.

»Ich fordere Euch zum Kampf, Mylady«, sagte er mit leiser Stimme, die ihr eine Gänsehaut einjagte.

»Angenommen«, erwiderte sie und unterdrückte das Zittern aus Angst und Lust.

Er strich das Haar aus ihrem Nacken und begann, ihren Hals und ihre Schultern sanft zu massieren. Gwendolyn verspürte dabei eine eigenartige Wärme auf ihrer Haut, als würden seine Hände glühen. Nicht nur, dass sich ihre verspannten Muskeln lockerten, gleichzeitig schien sich ihr Blut in sprudelnde Fontänen zu verwandeln und ihren Körper wie ein Kraftquell zu durchströmen. Sie sehnte sich nach diesen angenehmen Empfindungen, die sie noch niemals zuvor verspürt hatte, und wünschte sich, dass seine Hände nie damit aufhören würden.

Vor jedem anderen Mann wäre sie vor Scham in den Boden versunken, hätte sie sich ihm derart dargeboten. Doch er hatte in ihrem Bewusstsein etwas ausgeschaltet. Sie spürte, wie die feinen Härchen auf ihren Armen sich aufrichteten. Ihr Atem wurde tief und schwer, in ihrem Bauch zog sich etwas mit aller Kraft zusammen, als er mit den Fingerspitzen über ihre schmale Taille fuhr. Sie streckte und räkelte sich wie eine Katze in der Sonne. Sie hatte völlig vergessen, dass es ein Kampf war, in dem sie sich gegen ihn verteidigen wollte. Er hatte ein heftiges Bedürfnis in ihr geweckt, dass sie befriedigt haben wollte. Von ihm!

Seine Lippen berührten ihr Ohr und er murmelte etwas, was sie nicht verstand. Der Druck in ihrem Bauch verstärkte sich, seine tastenden Finger verursachten einen lustvollen Kitzel. Er spielte mit ihr, weckte in ihr eine starke Begierde und ließ sie zappeln wie einen Fisch am Haken.

Gwendolyn glaubte sich dem Wahnsinn nah. Er erregte sie in einem Maße, dass sie fast die Kontrolle über sich verlor. Sie wollte mehr, viel mehr! Und mit einem Male wurde ihr klar, dass er sie völlig beherrschte, die Situation, sie selbst und ihren wollüstig sich windenden Körper! Er hatte sie besiegt, er hatte den Kampf gewonnen, bevor ihr zu Bewusstsein kam, dass er überhaupt begonnen hatte!

»Komm, bitte, ich möchte dich«, hauchte sie mit erstickter Stimme.

»Nein«, erwiderte er leise, aber bestimmt. Vor Gwendolyns Augen tanzten grelle Sterne und sie glaubte, diese schmerzhafte Lust nicht mehr ertragen zu können.

»Bitte!«, flehte sie und sie streckte sich ihm entgegen. Geschickt wich er ihr aus.

»Komm zu mir«, hauchte sie mit vor Verlangen zitternder Stimme.

»Nein!«, hörte sie ihn durch den Nebel ihrer Begierde. Wie konnte er nur diese Selbstbeherrschung aufbringen? War sie nicht eine erregende Frau?

»Bitte…« Er spielte mit ihr wie eine Katze mit einer Maus. Am Ende würde sie sterben vor Lust und Begierde und er würde sich genüsslich die Lippen lecken. Es war eine süße Folter für sie, eine Qual, der sie sich bereitwillig auslieferte, nach der sie sich immer wieder sehnen würde. Niemals wieder würde sie einen anderen Mann begehren. Er hatte sie so vollkommen besiegt, wie es kein Kriegsherr konnte.

»Mehr, ich will mehr!«, keuchte sie. Ihre feuchte Haut glänzte im Licht der Talgfässer und ihr kastanienbraunes Haar warf rötliche Reflexe. In ihrem Kopf platzten tausend Sterne und zogen sie in einen tiefen Strudel animalischer Lust. Wie flüssiges Metall breitete sich eine drängende Hitze in ihr aus und schien sie ausfüllen zu wollen bis in die letzte Windung ihres Gehirns. Sie hatte schon lange die Kontrolle über ihren Körper und ihr Bewusstsein verloren, sie bestand nur noch aus zuckendem, brünstig sich windendem Fleisch und über ihr zusammenschlagender abgründiger Lust. In diesem Taumel entglitt sie in die Unendlichkeit.

 

 

Gwendolyn erwachte aus einem Zustand der Bewusstlosigkeit, in der sie die ganze Zeit über ihren überreizten, glühenden Körper gespürt hatte. Sie hatte Zeit und Raum verloren, blickte sich verwundert um und bedauerte gleichzeitig, aus diesem Zustand erwacht zu sein. Sie wollte sich wieder in diese andere Welt flüchten, in die Welt der warmen Dunkelheit, der animalischen Lust und der überwältigenden Gefühle. Sie presste die Augen zusammen, als sie eine schmerzhafte Helle traf. Die Sonne schickte warme Strahlen durch das Fenster. Sie konnte sich nur mit größter Anstrengung bewegen und öffnete endlich mühsam die Augen. Sie war allein im Zimmer. Über ihr wölbte sich der Baldachin des Bettes, sie vermeinte noch den männlich herben Duft von Ruperts Körper zu spüren. Und langsam kamen ihr all die Bilder wieder zu Bewusstsein, die sie für den Teil eines lasterhaften Traumes gehalten hatte. Erst langsam begriff sie, dass dies alles die Realität ihrer Hochzeitsnacht war! Entsetzt zog sie sich die Decke übers Gesicht und schwor sich, auf der Stelle zu sterben.

Sie wurde aus ihrer Verwirrung gerissen, als eine Magd zögernd das Gemach betrat. Sie warf einen scheuen Blick auf Gwendolyn und lächelte schüchtern, als sie bemerkte, dass sie erwacht war.

»Mylady, Euer Bad ist fertig«, sagte sie.

Mühsam richtete Gwendolyn sich auf. »Was für ein Bad?«

»Mylord hat angeordnet, dass Ihr ein Bad nehmen sollt, wenn Ihr erwacht.«

»Ein Bad!« Gwendolyn stöhnte leise. Warum war dieser Mann so verrückt nach Wasser? Und warum wollte er, dass sie genauso verrückt danach war?

»Wo ist mein… Lord de Cazeville?«

»Er begleitet den König.«

Jetzt war Gwendolyn vollständig munter. »Wohin?«

»In die Normandie, Mylady. Die Feindseligkeiten mit dem französischen König sind wieder ausgebrochen. Vorgestern kam ein Bote und gestern sind sie losgeritten…«

Gwendolyn sprang ungeachtet ihrer Nacktheit aus dem Bett. »Gestern? Meine Güte, welchen Tag haben wir heute?«

»Donnerstag, Mylady. Mylord haben angeordnet, dass niemand Euch wecken darf, bis Ihr von selbst erwacht. Wir… hm… haben uns etwas Sorgen gemacht. Schließlich ist es ungewöhnlich, dass man nach der Hochzeitsnacht drei Tage schläft.«

»Drei Tage!« Sie ließ sich auf die Bettkante sinken. »Großer Gott!«

Die Magd hielt ihr einen Umhang hin, den Gwendolyn gedankenversunken umlegte. Wieso ritt Rupert mit dem König in eine Schlacht? Wollte er sie verlassen? Durfte sie deshalb niemand wecken, damit er sich heimlich und leise davonstehlen konnte?

Sie spürte den seltsamen Kloß in ihrem Hals. Was war nur mit ihr los? Sie wollte ihn doch gar nicht! Sie presste die Hände auf ihr Gesicht und sehnte sich nach Dunkelheit. Und nach ihm!