JUSTIN

Justins Vater füllt seinen und Grahams Rucksack mit Wasserflaschen, Tüten mit Studentenfutter, Erdnussbutter-Sandwiches, einem Erste-Hilfe-Kasten, wasserbeständigen Zündhölzern, einem Poncho, einem Kompass, Seilen und einem Bushnell Fernglas. Justin wird den Gerber Reserve Insulator tragen, einen sperrigen Rucksack mit vielen Taschen voller Kühltüten und Kühlfächern, um das Fleisch, das sie zu erlegen hoffen, aufzunehmen und zu kühlen. Vor einigen Jahren hätten sie so etwas noch nicht gebraucht, da im Oktober unweigerlich eine dünne Schneedecke diese Berge bedeckte. Er erinnert sich an Eiszapfen, die wie blaue Reißzähne von Ästen und Felsüberhängen hingen. An Reif, der Kiefernzapfen verzierte. An den vereisten Fluss. Heute Nachmittag aber wird die Temperatur bis über zwanzig Grad steigen. Fleisch verdirbt da schnell.

Sein Vater zieht aus seinem Rucksack grell orangene Kappen und wirft sie Justin und Graham zu und sie setzen sie auf und wieder ab, um den Plastikriemen zu verstellen, damit sie gut passen. Dann streifen sie Westen derselben Farbe über. »Die Kürbis-Brigade« nennt Justins Vater sie.

Justin findet die Flasche mit Hawaiian Tropic Sonnenschutz, die seine Frau eingepackt hat, und spritzt sich einen Klecks in die Hand. Er taucht den Daumen hinein und tupft die Lotion Graham auf Stirn, Nase, Wangen und Ohren und sagt ihm, er solle sie sich in die Haut massieren, und dann macht er bei sich dasselbe. Kokosnussgeruch erfüllt die Luft, und Boo kommt zu ihnen, um sie zu beschnuppern. Justin bietet auch seinem Vater den Sonnenschutz an, aber er lehnt ab. »Für Kinder.«

Sie sind eben dabei, die Rucksäcke aufzunehmen und in den Wald aufzubrechen, als ein Geräusch sie hochschrecken lässt – das Splittern und Kreischen und Klirren von brechendem Glas. Es kommt vom anderen Ende der Wiese, wo ein Mann mit einer Brechstange in der Hand von einem Traktor zum anderen geht. Justins Vater hält sich die Hand über die Augen, um besser zu sehen, und beobachtet, wie der Mann sich auf die gelbe Motorhaube eines Bulldozers schwingt und die Windschutzscheibe einschlägt, so dass es um ihn herum Splitter regnet, die im Licht aufblitzen. Er fährt mit der Stange am Scheibenrahmen entlang, um alle übrig gebliebenen Glaszähne zu entfernen, die beim ersten Schlag nicht herausgebrochen sind. Dann schwingt er das Brecheisen in einem Halbkreis, als wäre es ein Samurai-Schwert und tut so, als würde er es in die Scheide stecken. Nun geht er zu dem leuchtend blauen Dixi-Klo und gibt ihm einen kräftigen Schubs. Es schwankt von einer Seite auf die andere, und als er sein Gewicht ein zweites Mal dagegenwirft, kippt es mit einem dumpfen Klatschen um. Hinter ihm, zwischen den Bäumen steht ein kirschroter Pick-up mit höhergestellten Rädern und einem grinsenden silbernen Kühlergrill.

Wortlos schnappt Justins Vater sich sein Gewehr und geht mit schnellen Schritten über die Wiese. Natürlich wird er nicht langsamer, als Justin ihn ruft. Was für eine Wahl hat Justin denn – wie schon so oft –, außer ihm zu folgen. Sein Gewehr lehnt an einem Stamm, als würde es sich sonnen. Seine Hand zögert, bevor sie danach greift. »Bleib hier«, sagt er zu Graham und hängt sich dann das Gewehr über die Schulter, anstatt es diagonal vor dem Bauch zu tragen, wie Soldaten es tun, wie sein Vater es getan hat.

Er erkennt den Mann wieder – den Kassierer aus der Tankstelle. Seth, nach seinem Namensschildchen. Wie die Schlange in ihrem Zelt gemacht hatte. Sesss. Er denkt an dessen Muskeln, dass die schwellenden Muskeln aussahen, als könnten sie die Knochen zerbrechen, die sie hielten. Er war offensichtlich ziemlich wütend auf sie gewesen, so wie es ihm offensichtlich viel Spaß gemacht hatte, Justin Angst einzujagen, als er sich mit diesem drohenden Blick über die Ladentheke beugte. Vielleicht freut er sich jetzt, da er sie auf sich zukommen sieht, wieder.

Ihre eiligen Füße machen im Gras ein flüsterndes Geräusch, als würde der Wald, Halm um Halm, Stein um Stein, Baum um Baum, sich ihnen zuwenden. Sein Vater schnauft, vielleicht vor Wut, vielleicht vor Anstrengung, kurzatmig wegen seinem Tempo und der dünnen Bergluft. Und dann stehen sie vor Seth, der sie mit wachsamer Miene erwartet.

»Howdy«, sagt Seth mit seinem breiten Gesicht und starrt Justins Vater und sein Gewehr an. Er trägt ein ärmelloses graues T-Shirt und enge Bluejeans, seine Muskeln sind unnatürlich groß und ausgeprägt, wie ein groteskes Anatomie-Demonstrationsobjekt. Er steht vor ihnen und stützt sich auf seine Brechstange wie auf einen Stock.

Vom umgekippten Klo kommt ein tropfendes Geräusch und füllt die Stille. Um sie herum funkeln Glassplitter im Gras wie Pailletten. Auf dem Bulldozer, wo sich der orangene Schein des Vormittags in der Windschutzscheibe brechen sollte, liegt stattdessen ein Schatten wie eine leere Augenhöhle.

»Hat’s Spaß gemacht?«, fragt sein Vater auf wütend ironische Art.

Seth grinst und schwingt seine Brechstange wie in Zeitlupe. »Wenn Sie’s genau wissen wollen, ja.«

Alle Ironie ist aus der Stimme von Justins Vater verschwunden, als er sagt: »Verschwinden Sie von hier.«

Justin steht ein Stück hinter seinem Vater, tritt jetzt aber einen Schritt näher. »Ich habe einen Jungen dabei.«

»Ist mir doch egal, Bend«, sagt Seth. Und Justin begreift wie es ist: Er ist keine Person, er ist der Repräsentant einer Gemeinde, einer Lebensart, die vielen, die hier aufgewachsen sind, fremd und zudringlich erscheint. »Ist mir scheißegal.«

In diesem Augenblick hat Justin das Gefühl, als würde die Welt einen Ruck machen, als würden Moral und Gesetze und zivilisiertes menschliches Verhalten nicht mehr gelten und etwas Wilderem weichen. Es erinnert ihn an den Hurrikan Katrina. Als die Dämme brachen, zerbrach auch die soziale Ordnung. Vergewaltigung. Plünderung. Brandstiftung. Vom Dach aus mit einer .22 schießen. Die Taschen eines Toten nach der Brieftasche durchsuchen. Viel fehlt nicht mehr, dann sind wir auch so weit, denkt Justin. Ist sein Vater bereit, jemanden zu töten? Zweifellos ja.

»Sehen Sie meinen Enkel dort drüben.« Justins Vater reckt das Kinn in Grahams Richtung, ohne den Blick von Seth zu nehmen. »Sie wollen doch nicht, dass er sieht, wie das Innere Ihres Schädels aussieht, oder?«

»Das würden Sie nie tun.« Seth lässt die Brechstange nicht sinken. »Ich könnte mich direkt vor dieses Gewehr stellen und den Finger hineinstecken, und Sie würden rein gar nichts tun.«

»Versuchen Sie es doch.«

»Sie alter Angeber.«

Nun schwingt der Vater den Lauf nach links und feuert. Auf den Knall des Schusses folgt das Klirren von berstendem Glas, das von dem roten Pickup auf den Boden fällt. Der linke Scheinwerfer ist zerbrochen.

Einen Augenblick starrt Seth seinen Pick-up an. »Das werde ich Ihnen verdammt noch mal heimzahlen!« Dann dreht er sich ohne einen weiteren Blick um und geht davon. Er steigt in die Fahrerkabine und der Motor springt röhrend an. Er steigt aufs Gaspedal und wirbelt eine Fontäne aus Schlacke hoch, und das Sonnenlicht funkelt in seinem Seitenspiegel, als er davonfährt und schließlich zwischen den Bäumen verschwindet.

Jetzt erst lässt Justins Vater sein Gewehr sinken. »Ich glaube, diese Unterhaltung habe ich gewonnen.« Er grinst. Er ist stolz auf das, was er getan hat. Manchmal fragt sich Justin, ob er in seinen Mitmenschen etwas anderes sieht als komplizierte Tiere, nicht viel anders als ein Hirsch oder ein Wolf, zusammengehalten von denselben Kräften, nur von anderer Gestalt.

»Ja. Aber zu welchem Preis?« Justin winkt mit weit ausholender Bewegung zum Lager hinüber – wo Graham steht und sie beobachtet –, als wollte er seinen Sohn wegwischen von allem, was er bereits gesehen hat.

Sie schnallen sich die Gewehre an die Rucksäcke und brechen auf. Sie wandern am South Fork entlang – vorbei an Stromschnellen, wo das Wasser weiß dahinschießt und an Felsen und Baumstämmen reißt, als wollte es sie flussabwärts treiben –, bis sie sich verbreitert und beruhigt und glasig wird mit kleinen Wirbeln, in denen Kiefernadeln treiben.

Boo klettert auf den schartigen Kieferknochen eines Felsens und säuft schlabbernd aus dem Fluss, bevor er am schlammigen Ufer schnuppert, wo Krötenspuren bis zu einer Stelle führen, wo Flügel zwei Abdrücke wie Farne hinterlassen haben, von einer Eule, die hier herabstieß, um zu frühstücken. Hier machen sie eine Pause, um aus ihren Wasserflaschen zu trinken, und während Graham die Spuren im Schlamm untersucht, sagt Justin zu seinem Vater: »Ich habe ein komisches Gefühl dabei, dass wir unser Lager so unbewacht lassen.«

»Denk dir nichts. Auch wenn er wirklich zurückkommen sollte, was er nicht tun wird, was will er denn schon tun? Einen Topf zerdeppern? Auf unsere Schlafsäcke pissen? Und?«

»Du hast ihn mit einer Waffe bedroht.«

»Ah!« Er verzieht verächtlich den Mund. »So eine Scheiße passiert hier draußen doch die ganze Zeit. Es ist nicht schlimmer, als jemandem den Stinkefinger zu zeigen.«

Sie steigen über Wurzeln und Felsen und treten in die Scherben aus Sonnenlicht, die wie Puzzleteile den Boden sprenkeln. Hin und wieder zieht eine Wolke vor die Sonne. Justin tritt genau in dem Augenblick in eins dieser Puzzlestücke, als eine Wolke vor die Sonne zieht und das Licht plötzlich verlöscht. Sein Fuß schiebt sich in Helligkeit und tritt auf in Schatten. Unglückshäher hüpfen und flattern durch den Wald, unsichtbar, wie jemand, der sie verfolgt.

Justins Vater bleibt vor einem Baum mit einer gezackten schwarzen Vene mitten im Stamm stehen. »Du weißt, dass die Indianer früher ihre Pfeilspitzen in Klapperschlangenblut tauchten, das sie mit Holzkohle von einem vom Blick getroffenen Baum mischten.« Er leckt den Daumen und fährt damit über den Stamm. Als er ihn wegnimmt, ist er schwarz. Er streicht damit über die Mündung seines Gewehrs, als wäre es ein Kristallglas, dem er einen Ton entlocken will. Dann dreht er sich zu Graham um und drückt ihm den Daumen gegen die Stirn, so fest, dass der Junge einen Schritt zurückweichen muss. Als er den Daumen wegnimmt, hat Graham einen tintigen Fleck auf der Stirn. »Jetzt sind wir so weit.«

Sie gehen weiter, steigen über herabgefallene Kiefernzapfen und Äste, die Opfer des Sturms der letzten Nacht. Eichhörnchen flitzen heran, um sie zu begutachten und verschwinden dann wieder im Unterholz. Hin und wieder bleibt sein Vater stehen, um Spuren auf dem Pfad zu studieren, die zwar vom Regen verwaschen, aber noch frisch sind. Sie sehen Stellen, wo Hirsche Rindenstreifen von den Flussweiden gerissen, wo sie ihre Losung hinterlassen, wo sie sich zum Schlafen hingelegt haben.

Justin ertappt Graham dabei, wie er immer wieder in den Wald schaut, als würde er etwas spüren, vielleicht denkt er an Männer mit Brechstangen oder die Geschichte, die sein Großvater ihnen gestern Abend erzählt hatte.

Die Basaltwände sind gesprenkelt mit Löchern, Hinterlassenschaften der Winderosion oder von Ausgasungen vor langer Zeit. Diese Löcher fangen die Schatten und sehen aus wie Augenhöhlen der Erde. Auf einem Serpentinenpfad steigen sie hoch zum Rand des Canyons, und während des Aufstiegs weicht das Bärengras Beifußsträuchern, die Erde verliert Feuchtigkeit, und Staub wirbelt in schweren Wolken um ihre Stiefel. Sein Vater wirft einen Schatten, auf den Justin tritt, während er ihm nach oben folgt.

Schließlich erreichen sie das Plateau des Canyons. Der Boden hier ist durchsetzt mit schwarzem Lavagestein, das zu der tiefen, breiten, dicht bewaldeten Schlucht hin abfällt. Sie stehen da und schauen ins Weite. Die Sonne steht noch nicht hoch genug, um den Canyonboden zu erhellen. Es ist ein bisschen so, als würden sie mit diesem Blick in den Abgrund in die Zukunft schauen. Sie stehen in vollem Tageslicht, unten aber ist es bereits Nacht. Oder immer Nacht.

Der Wind treibt schnell ziehende Wolken über den Himmel und macht in den Ästen ein zischendes Geräusch. Er presst ihnen die Kleidung an den Körper und zeichnet Muster in den Staub, eine feine Bewegung, die den Boden lebendig erscheinen lässt. Justin vermisst die Ruhe am Grund des Canyons und wünscht sich, der Wind würde sich legen. Er fühlt sich aufdringlich an, fast bedrohlich, wie eine Kreatur, die auf schweren Pranken eilig durch den Wald bricht, dass das Unterholz raschelt und Äste knacken.

Gute hundert Meter folgen sie dem Canyonrand, bis sein Vater vor einem Steinmal stehen bleibt. Justin stellt sich vor, dass er dieses Orientierungszeichen betrachtet und an den Pionier oder Indianer denkt, der die Steine aufeinandergestapelt hat, und sich dabei vielleicht einbildet, er sehe einen Teil von sich selbst, der unkultiviertes Territorium durchforscht und ihm mit einer Kugel und später einem Gebäude seinen Stempel aufdrückt.

Justin fragt nicht »Dad?«, bis er bemerkt, dass sein Gesicht tiefrot geworden ist, fast schon schwarz, wie von Schatten infiziert. Er läuft zu ihm.

Als Justin ihn berührt, sackt er nach vorn und seine Knie stoßen den Steinhaufen um, und als Justin noch einmal »Dad?« sagt, reagiert Paul nicht, zu sehr ist er in seinem privaten Schmerz versunken. Eine Hand umklammert den Oberschenkel, die andere schlägt auf unsichtbare Dinge in der Luft ein. Plötzlich scheint er Gewicht zu verlieren, so dass seine Jacke eher von den Schultern hängt, als seinen breiten Rücken straff zu umspannen. Binnen Sekunden wird die Röte seiner Haut zu einem Braun, dann zu einem Grau-Gelb, und diese Sekunden sind wie der Wechsel der Jahreszeiten, Winter schleicht sich in seine Erscheinung.

Und plötzlich ist es vorbei. Er schüttelt den Kopf, als wollte er Wasser abschütteln, um wieder klar zu sehen, und dann lächelt er schwach. »Nur ein kleines Motorproblem.« Er sagt das wie ein Zischen. »Geht schon wieder.« Er atmet tief durch und dann noch einmal, und das scheint ihn wieder aufzupumpen. »Okay.« Er richtet sich auf und beugt sich dann leicht vor, niedergedrückt von Schmerz oder Schwäche.

»Schau mich an«, sagt Justin. »Dad?«

Seine Augen sind leer, die Pupillen geweitet wie Einschusslöcher in die Schwärze seines Hirns. Graham packt Justin am Ärmel und sagt mit erstickter Stimme: »Was ist mit Grandpa los?«

»Alles in Ordnung. Halt einfach einen Augenblick den Mund.« Er schüttelt seinen Sohn ab, der noch einmal nach ihm greift, bevor er sich zurückzieht.

Justin schüttelt seinen Vater und ruft ihn ein paar Mal, bevor sein Körper sich strafft und er Justin wegstößt und sagt: »Ich bin ja da. Bin ja da.«

»Soll ich jemanden rufen? Ich glaube, ich sollte jemanden rufen.«

Sein Vater hebt die Hand, breit und ledrig wie ein Baseball-Handschuh, und das sagt deutlicher als Worte: Tu’s nicht.

»Bist du sicher?«

»An dem Tag, an dem ich dich frage, was zu tun ist, wirst du wissen, dass du erwachsen genug bist, es mir zu sagen.«

»Dad. Lass das. Ich muss wissen, ob du okay bist.«

»Mir geht’s gut.« Was ihn auch getroffen hat – ein Gerinnsel, das ihm Schwindel verursachte, oder eine Rhythmusstörung seines Ventrikels –, seine Schultern haben sich dagegen gestrafft. Jetzt ist es weg. Boo winselt und nähert sich ihm mit zögerlich wedelndem Schwanz, und Justins Vater tätschelt ihn und sagt: »Guter Junge. Daddy ist okay.«

Dann stapelt er die Steine wieder aufeinander, wie sie waren, und lächelt Graham leicht gequält an, der schwankend dasteht und die Lippen bewegt, als wollte er etwas sagen. Schließlich schauen Justin und sein Vater einander in die Augen und wieder weg, richten den Blick stattdessen auf das einzig sich bewegende Ding, einen weit entfernten Habicht, der breite, langsame Kreise über den Himmel zieht, jagend über ihnen schwebend wie eine Ascheflocke.

Sie rasten eine Weile und essen händeweise Studentenfutter. In dieser Zeit beobachtet Justin seinen Vater sehr genau, und nach ein paar Minuten holt er sein Handy hervor. Er weiß nicht, ob es hier funktioniert oder nicht. Es ist eher eine Geste als Begleitung zu seiner Frage: »Bist du sicher?«

Er antwortet, indem er Justin einen abschließenden Blick zuwirft und aufsteht und sich Erdnussbrösel von den Händen klopft und sich sein Gewehr wieder über die Schulter hängt und auf dem Pfad weitergeht, ohne sich umzuschauen, um zu sehen, ob sie ihm folgen, weil er weiß, dass sie es tun werden.

Vor nicht allzu langer Zeit brannte auf diesem Plateau ein kleines Feuer, das die Baumspitzen scharf und schwarz machte wie kranke Reißzähne. Als Justin eine Kiefer streift, klebt ihr Schatten an ihm. Boo rennt hin und her, wirbelt schwarzen Staub hoch und schnuppert an unsichtbaren Tentakeln von Düften. Und dann haben sie, als wären sie von einem Zimmer ins nächste getreten, den verkohlten Teil des Walds hinter sich und gehen wieder im Schatten der rotrindigen Gold- und Drehkiefern.

Aus der Canyonwand ragt ein Basaltvorsprung, und sein Vater klettert darauf. Weit unter ihm steigen von Stellen, die von der Sonne noch nicht erwärmt sind, Dämpfe in die Höhe und betasten die Luft. Die Bäume dort unten erscheinen so dicht gedrängt, dass der Fluss, der zwischen ihnen einen silbernen Pfad beschreibt, kaum zu sehen ist. Sein Vater hustet etwas aus der Lunge hoch und spuckt es über den Rand und schaut dem Klumpen nach und lacht leise.

»Komm weg von dort! Dad!«

Wie aufs Stichwort stößt sein Stiefel gegen einen Stein. Er stolpert zur Kante, reißt dann den Körper nach hinten und findet sein Gleichgewicht wieder. Er schreit nicht auf. Er weicht nicht von der Kante zurück. Er räuspert sich einfach und hebt das Gewehr an die Schulter, um durchs Zielfernrohr in den Canyon unter ihm zu spähen. Er ist so natürlich und furchtlos, wie er da lässig am Rand eines siebzig Meter tiefen Abgrunds steht und durch sein Fernrohr schaut und die großen Hirsche verflucht, weil sie sich vor ihm verstecken, die gottverdammten Feiglinge.

»Würdest du bitte von da wegkommen?«, sagt Justin. »Dad?«

»Warum?«

»Weil du mich nervös machst. Und weil es da drüben eine bessere Stelle gibt. Justin deutet auf einen schattigen Platz ganz in der Nähe, eine Ansammlung von Felsbrocken, die, mit einem gewissen Abstand dazwischen, in etwa in einem Halbkreis stehen. Auf diesen Felsen könnten sie ihre Gewehre abstützen. »Wie wär’s, wenn wir da rübergehen? Bitte.«

Manchmal wirkt es so, als wäre die Vorstellung, im Bett zu sterben, das Einzige, was seinem Vater Angst macht. Er akzeptiert seufzend, was Justin gesagt hat, verlässt den Vorsprung und marschiert auf die Felsbrocken zu, wo er sagt, als wäre es seine Entdeckung: »Na, das ist aber eine gute Stelle.«

In der nächsten Stunde kauern sie hinter den Felsen, stützen ihre Gewehre darauf und spähen durch ihre Visiere hinunter zum Canyonboden. Hin und wieder schaut Justin kurz zu seinem Sohn, schärft ihm ein, dass er vorsichtig sein und den Finger nur um den Abzug legen soll, wenn er wirklich schießen will. »Schau ich so blöd aus?«, fragt er Justin, und Justin antwortet: »Nein. Du schaust wie zwölf aus.«

Er denkt daran, wie er vor so vielen Jahren mit Karen im Bett lag, beide nackt und in Mondlicht getaucht. Zu der Zeit war sie im siebten Monat schwanger, und sie beide atmeten schwer, da sie sich eben geliebt hatten. Noch immer in ihr schmiegte er sich an ihren Rücken. Mit einer Hand umfasste er ihre geschwollene Brust, und sie ergriff sie und führte sie hinunter zu ihrem Bauch. »Das Baby«, sagte sie. Er spürte eine Bewegung unter seiner Hand und stellte sich vor, dass das Baby in ihr schwebte, in einem wassergefüllten Beutel, gegen den er mit winzigen Händen und Füßen drückte. Er war kein religiöser Mann, aber in der Dunkelheit, während das Baby sich bewegte, und er noch die Wärme des Sex durch seine Adern strömen spürte, sprach er ein Gebet für seinen Sohn. Er betete, dass ihm nie etwas zustoßen möge, dass er aufwachsen möge zu einem glücklichen, gesunden Mann. Er hofft, dass das Gebet irgendwie in Grahams Knochen und Blut eingedrungen ist, als hätte Karen etwas zu sich genommen, dessen Nährstoffe aufgebrochen und durch die Nabelschnur an ihn weitergegeben wurden und ihm weiterhelfen, auch jetzt noch.

Die Sonne zieht ihre flache Bahn über den Himmel und wirft ihr Licht jetzt in einem solchen Winkel in den Canyon, dass die Westseite in strahlend gelbes Licht getaucht ist, während der Osten dunkel ist wie die Nacht. Durch sein Visier entdeckt Justin in einer der Lichtsäulen zwischen den Schatten der Bäume einen Bock, dessen Farbe so perfekt mit dem Gestein und der Erde verschmilzt, dass Justin ihn nur sehen kann, wenn er sich bewegt. Es liegt eine große Schönheit im Spiel seiner Muskeln unter dem Fell. Er äst am Rand einer Wiese, und als Justin nun auf ihn zielt, bekommt er das Gefühl, das man bekommt, bevor man tötet. Ein kleiner Stich. Die Haut kribbelt. Alles in der Welt verschwimmt bis auf das Ziel, das jetzt so scharf ist, dass er jedes Haar und jede scharfe Geweihspitze sehen kann. Er könnte jetzt den Abzug drücken, aber irgendetwas bringt ihn dazu, das Gesicht vom Visier abzuwenden, denn er will den Augenblick mit seinem Sohn teilen.

Hier kauert er nun und will seinem Sohn einen Rat geben, ihm vielleicht einen Arm um die Schultern legen und seine Waffe führen. Aber der Junge hat den Hirsch bereits entdeckt. Er merkt das an der Bewegungslosigkeit seines Körpers. Er ist wie ein Habicht auf einem Telefonmast, mit gespannter Aufmerksamkeit starrt er durch sein Visier.

Justin schaut ihm schweigend zu. Im Gesicht seines Sohns passiert etwas. Ein Straffen des Unterkiefers und ein Weiten seiner Nasenlöcher, die voraussagen, was kommen wird. Er wird nicht um Erlaubnis fragen. Er wird schießen. Dadurch wirkt er distanziert und fremd. Er ist so gebannt in seinem Wunsch zu töten – dasselbe heftige und mächtige Gefühl, das den primitiven Mann dazu brachte, eine Obsidianklinge auf einen Stock zu stecken und sie zu schärfen –, dass sein normales Leben, die Schule und sein Fahrrad und sein Schlafzimmer mit dem Schreibtisch, der zerkratzt ist vom Scharren seines Bleistifts und dem riesigen Bierkrug voller Pennies und den Filmmonster-Postern, die an der Wand hängen, nichts mehr ist als eine winzige schwarze Fliege, die er mit der Hand wegwischt, bevor er sie an den Schaft legt und den Finger um den Kolben krümmt.

Zuvor hat sein Großvater ihm erklärt, wie wichtig Präzision ist. »Ein Schuss«, hat er gesagt. »Eine Tötung.« Wenn man das Tier nicht sofort tötet, zuckt es nur zusammen und schreit auf und läuft in den Wald davon, so dass man den Blutlachen folgen muss, bis man es am Fuß eines Baums findet, wo seine Augen einen ansehen und fragen: Warum?

Justin erwartet, dass er sein Ziel verfehlt. Es ist immerhin ein Schuss über zweihundert Meter bergab. Justin nimmt den Bock wieder ins Visier und bringt diese weit entfernte Welt näher und wartet auf das Krachen des Schusses. Bevor er die Kugel hört, sieht er, wie sie ihr Ziel erreicht, denn der Bock macht einen Satz in die Luft und läuft nach der Landung taumelnd davon. Erst jetzt kommt der Schussknall, laut wie die Art von Geräusch, die der Himmel machen würde, würde er aufbrechen.

Sein Sohn steht jetzt und tiefe Furchen graben sich in seine Stirn, als würde er vor Justins Augen plötzlich altern. Graham wird das erst in einigen Jahren begreifen, aber als er den Abzug drückte, verlor er etwas, das er nie zurückbekommen wird.

»Du hast ihn erwischt.« Justin streicht Graham stolz und zugleich traurig durch die Haare.

»Ich habe ihn getötet?«

»Das werden wir sehen. Du hast ihn erwischt. So viel weiß ich.«

Vielleicht ist es ein Spiel des Lichts, ein Schatten der Kiefernäste, die über ihnen hängen, aber plötzlich scheint sein Gesicht dunkler geworden zu sein. »Aber er ist davongelaufen.« Justin kann nicht erkennen, was ihn mehr stört, die Möglichkeit seines Entkommens oder sein bevorstehender Tod.

»So läuft das jetzt.« Justin erklärt, dass der Hirsch, falls es ein guter Schuss war, noch ein kleines Stück laufen und dann zusammenbrechen und noch ein paarmal zucken wird, bevor er verendet. Justin kommt es verkehrt vor, jemandem den Tod zu erklären, nachdem man ihm die Erlaubnis zum Töten gegeben hat. Nicht zum ersten Mal hofft er, er hat keinen Fehler gemacht, indem er den Jungen mitnahm.

Justins Vater steht neben ihnen und sucht den Canyonboden ab. »Kann mir jemand sagen, was genau passiert ist?«

»Graham hat einen Bock geschossen. Einen Fünfender, glaube ich.«

Sein Vater kratzt sich abwesend den Bauch. Sein Mund geht auf und wieder zu und kann sich anscheinend nicht für ein Gefühl entscheiden, er drückt zugleich seinen Stolz und seine Verwirrung aus. »Ich habe überhaupt nichts gesehen.«

»Der Bock war da. Graham hat ihn geschossen.«

»Du hast ihn auch gesehen?« Das scheint ihn beinahe zu ärgern. »Warum habe ich ihn nicht gesehen?« Ein Windstoß reißt ihm den Hut vom Kopf. Er rollt ein Stückchen, bevor er ihn sich holt und wieder aufsetzt. »Ich hätte ihn auch gern gesehen.«

»Jetzt ist er verschwunden«, sagt Graham und hebt, um den Canyon abzusuchen, das Gewehr so flüssig ans Gesicht, dass es wirkt wie eine natürliche Verlängerung seines Körpers.

Als Justin zum allerersten Mal etwas tötete – ein Rotkehlchen mit einem Luftgewehr –, spürte er einen schwarzen Stein in der Kehle und Nässe in den Augen. Jetzt betrachtet er seinen Sohn. Was Justin zuvor in seinem Gesicht gesehen hat – Gier –, ist verschwunden, aber Graham sieht nicht aus, als würde er gleich weinen. Falls seine Augen feucht sind, dann nur vom Wind. Er wirkt blass und ernüchtert und ein bisschen enttäuscht über sich selbst, wie ein Mann, der einen Hund überfahren, der gehört hat, wie sein Körper feucht unter den Reifen seines Pick-ups zerquetscht wurde, und jetzt erkennt, dass er an den Straßenrand fahren und den Kadaver in den Graben werfen muss.