18


»Hallo, Ma«, begrüßte Buffy ihre Mutter, während sie über den Kühlschrank herfiel. Sie entdeckte einen Apfel im Gemüsefach, der gut, wenn nicht sogar ausgesprochen verführerisch aussah, und beschlagnahmte ihn. »Ich bin heute Abend wahrscheinlich länger unterwegs, also warte nicht auf mich, ja?«

»Du hast gar nicht gesagt, dass du heute Abend etwas vor hast.« Ihre Mutter saß am Esstisch und hatte Mappen mit Künstlerarbeiten um sich herum ausgebreitet.

»Das Übliche«, sagte Buffy und deutete auf die schwarze Regenjacke, die sie trug.

Ihren Rucksack, aus dem ein Paar frisch gespitzter Holzpflöcke hervorsahen, hatte sie bereits umgehängt. Ihre Mutter schien nicht glücklich darüber zu sein.

»Begleitet dich jemand?«

»Ja.« Dämonen, Vampire, die übliche Gesellschaft eben...

»Sei bitte vorsichtig.«

»Ich bin wieder zu Hause, so schnell ich kann.« Buffy drehte sich um und verließ eilig die Küche. Sie wollte den Abschied nicht länger hinauszögern als nötig. Jedes Mal, wenn sie das Haus verließ, um zu jagen, konnte bedeuten, dass sie sich nie mehr wieder sahen. Das war beiden klar und dennoch wollten sie es voreinander nicht zeigen. Die emotionale Belastung wäre einfach zu groß gewesen. Buffy hätte im Grunde nichts dagegen, sich mit den traditionellen Mutter-Tochter-Problemen

herumzuschlagen. Rocklängen, Jungs, Benehmen, Jungs, Schulnoten...

Plötzlich spürte sie einen eisigen Windhauch in ihrem Rücken. Sie fuhr herum, wobei sie die Hände automatisch in Verteidigungsstellung hob.

»Wohin gehts?« Angel stand im tiefen Dunkel ihres Vorgartens. Er trug einen leichten Trenchcoat über seiner Kleidung, die wie immer dunkel war.

Buffy zuckte mit den Schultern. »Ich muss so eine Art Botengang erledigen.« Jedes Mal, wenn er in ihrer Nähe war, fühlte sie sich wie elektrisiert.

»Hat es irgendetwas mit dem zu tun, was im Weatherly Park vor sich geht?«

»Vielleicht. Was weißt du über den Park?«

»Nicht viel. Ich habe nur etwas reden hören. Ich gehöre ja nicht mehr zu den üblichen Verdächtigen.«

Buffy wusste, was er meinte. Angels Wege hatten sich schon lange von denen der anderen Vampire in Sunnydale getrennt. »Was hast du denn gehört?«

»Dass du letzte Nacht fast ein Dutzend Vampire gepfählt hast. Du und noch ein anderer Typ, von dem ich denke, dass es Gilles war.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich dachte, ich schaue mal, wie es dir geht. Du musst gegen ein paar wirklich scheußliche Hindernisse ankämpfen.«

»Das ist ja das Raffinierte an der ganzen Sache«, murmelte Buffy. »In jeder Generation gibt es nur eine Jägerin, erinnerst du dich? Die Einsame-Kämpferin-Nummer.«

»Nicht heute Nacht«, erwiderte Angel. »Heute Nacht bleibe ich bei dir und decke dir den Rücken.«

Dieser Gedanke gefiel Buffy besser, als sie es eigentlich wahrhaben wollte. Haben und doch nicht haben... Es war einfach schrecklich. »Der erste Teil dieser Veranstaltung wird wahrscheinlich ziemlich langweilig werden...«

»Nicht in deiner Gesellschaft.« Buffy lächelte unwillkürlich über das Kompliment, aber gleichzeitig versetzte es ihr auch einen schmerzhaften Stich. Es würde zwischen ihnen nie wieder sein, wie es einmal gewesen war. »Abgemacht«, sagte sie und verfiel in einen schnellen Schritt. »Ich erkläre dir alles unterwegs.«


19


Willow beobachtete, wie sich Hector Gallivan seinen Weg durch die Menge bahnte.

Die meisten der versammelten Schüler wichen unwillkürlich vor ihm zurück und die vier Bodyguards, die ihn umgaben, sorgten dafür, dass niemand ihm nahe genug kommen konnte, um ihn auch nur zu berühren.

Gallivan, der einen dunklen Anzug trug, hatte sein schwarzes, an den Schläfen leicht ergrautes Haar glatt zurückgekämmt. Sein kantig geschnittenes Kinn fiel besonders ins Auge. »Hallo, G.T.« Gallivan schüttelte dem Reporter die Hand.

»Guten Abend, Mr. Gallivan. Das nenne ich eine Überraschung«, erwiderte der Reporter.

»Es gibt eine Menge Überraschungen in letzter Zeit«, sagte der Unternehmer und wandte seine Aufmerksamkeit Willow zu. Sie hatte das Gefühl, unter dem durchdringenden Blick des Mannes zusammenzusinken. Oz trat von hinten neben sie und ergriff unauffällig ihre Hand. Schon allein die Tatsache, dass er neben ihr stand, gab ihr ihr Selbstbewusstsein zurück.

Die anderen Schüler wichen zurück und bildeten mit ihren Taschenlampen und Laternen eine Art Kreis um sie herum. Die Bodyguards, alles kräftige und große Männer mit militärischen Kurzhaarschnitten, verteilten sich um

Willow, Oz, Rockett und Gallivan und bildeten so eine abgeschirmte Insel inmitten der Menge.

»Wir hatten keine Ahnung, dass sie heute Abend hier sein würden, Mr. Gallivan«, sagte der Reporter und gestikulierte hektisch in Richtung seines Kameramanns.

»So können wir natürlich beide Parteien in dem Konflikt zu Wort kommen lassen. Das gibt ein objektiveres Bild.«

»Eigentlich«, sagte Gallivan, ohne seinen Blick von Willow abzuwenden, »bin ich nicht gekommen, um dieses Thema in der Öffentlichkeit zu diskutieren.« Das überraschte Willow, die gedacht hatte, dass er ihnen mit seinem Auftritt die Show stehlen wollte. Wahrscheinlich hat er uns schon allein dadurch die Show gestohlen, dass er einfach hier aufgetaucht ist, musste sie sich eingestehen. Die Vorstellung, dass er versuchte, sie auszutricksen und zu manipulieren, erfüllte sie mit mehr Entschlossenheit und sie straffte ihren Rücken.

»Vielleicht können sie uns sagen, weshalb Sie gekommen sind?«, fragte Rockett.

Wie zufällig trat einer der Bodyguards zwischen Gallivan und den Reporter. Rockett wich widerstrebend zurück. »Nein, ich bin nicht hier, um einen öffentlichen Kommentar abzugeben«, sagte Gallivan. Er nickte Willow zu. »Sie sind Miss Rosenberg, hat man mir gesagt.« Willow nickte bestätigend. Noch niemals zuvor hatte jemand ihren Namen so ausgesprochen. »Wenn Sie für einen Augenblick Zeit haben, würde ich gerne mit Ihnen sprechen.« Er betrachtete sie für einen Moment mit seinen dunklen Augen. »Vielleicht möchten Sie mich ein Stück in meinem Wagen begleiten?«

»Nein«, fuhr Oz rasch dazwischen.

Gallivan warf ihm einen raschen Blick zu und sah dann wieder Willow an.

»Ich glaube nicht«, sagte Willow. Das klingt etwas besser als einfach nur nein.

Gallivan ist es bestimmt nicht gewöhnt, eine glatte Absage zu erhalten, und er scheint auch nicht der Typ Mann zu sein, der so eine Antwort akzeptiert, sagte sie sich. Aber sie würde auf gar keinen Fall alleine mit ihm irgendwo hinfahren.

Gallivan dämpfte seine Stimme. »Auch dann nicht, wenn wir über das sprechen, was Sie in dem Haus der Campbells gesehen haben?«


20


Buffy klingelte an der Tür und wartete mit Angel auf der Veranda des Hauses. Es sah aus wie alle anderen Häuser im Wingspread-Wohnpark, mit dem einen Unterschied, dass der Rasen des Vorgartens gelb verdorrt und die Blumenbeete vertrocknet waren.

Angel stand an ihrer Seite. Auf dem Weg hierher hatte sie ihm alles über den Park und jenes Wesen erzählt, das Willow gesehen hatte. Auch er hatte keine Antworten auf all die Fragen gewusst, aber Buffy gefiel es, dass sie in ihre alte Gewohnheit zurückfielen und wie früher miteinander sprachen.

Gerade als sie ein zweites Mal klingeln wollte, öffnete sich die Tür. Die Frau, die im Türrahmen erschien, trug einen Hausmantel und Pantoffeln. Die sieht ja todkrank aus, dachte Buffy und versuchte ihren Schreck zu

»Sind Sie die Frau, die mich angerufen hat? Weil Sie ein Grundstück in der Wohnsiedlung kaufen wollen?«

Buffy nickte. »Wenn wir ungelegen kommen, können wir vielleicht zu einem besseren Zeitpunkt...«

»Nein«, sagte die Frau müde.

Sie musste ungefähr Ende zwanzig sein, sah aber zehn Jahre älter aus. »Es wird keinen besseren Zeitpunkt geben, einfach weil es keine guten Zeiten mehr gibt.« Sie bedeutete ihnen mit einer Geste einzutreten. Buffy folgte ihr ins Haus, aber Angel wusste nicht, wie er die Schwelle übertreten sollte. Als Vampir konnte er ein Haus nur dann betreten, wenn er eingeladen wurde. Er stand regungslos auf der Veranda und wartete auf ein Zeichen. Buffy zögerte und wusste nicht, was sie tun sollte. »Wollen Sie nicht hereinkommen?«, fragte die Frau.

Buffy sah, wie der Widerstand von Angel abfiel. Er trat ein. »Er ist manchmal ein bisschen schüchtern«, sagte sie erklärend und nahm seine Hand.

»Das ist ungewöhnlich«, bemerkte die Frau. »Gallivan stellt normalerweise nur Leute ein, die sich durch Selbstbewusstsein auszeichnen. Ich bin Maggie Chapin.«

Sie führte sie in das Wohnzimmer, das mit Kisten und Kleidern übersät war. Sie räumte einen Teil des Sofas frei und lud sie ein, darauf Platz zu nehmen.

»Sie sind noch nicht fertig eingezogen?«, fragte Buffy. »Die Maklerin sagte mir, Sie hätten das Haus vor ein paar Monaten gekauft.«

»Das ist richtig.« Maggie ließ sich auf einem altmodischen Schaukelstuhl nieder und zog ihre Füße auf den Sitz. »Philip zieht wieder aus, aber ich werde hier bleiben, bis der Richter einen Räumungsbefehl schickt. Oder bis die Polizei kommt und mich rauswirft.«

»Es tut mir Leid«, sagte Buffy. Sie sah sich im Raum um und bemerkte die Unordnung, in der sich alles befand, was aber die luxuriöse Einrichtung nicht völlig verdecken konnte. Das Zimmer hatte große Fenster, einen schweren Kamin und war mit hellem Teppichboden ausgelegt.

Überall standen Umzugskartons herum. Die Kisten erinnerten sie an die Zeit, als ihr eigener Vater ausgezogen war. »Es muss Ihnen nicht Leid tun. Ich wünschte zwar, unsere Ehe wäre nicht am Ende. Aber im Gegensatz zu meinem Mann glaube ich Gallivan einfach nicht.«

»Was glauben Sie ihm nicht?«, fragte Angel. Seine Stimme war ruhig und fest.

Maggies Augen füllten sich mit Tränen und ihre Stimme begann zu zittern. »Das, was er über... über Cory gesagt hat.«

»Über Ihren Sohn?«, fragte Buffy.

Die Frau warf ihr einen schnellen Blick zu. »Ich habe Ihnen gegenüber nicht erwähnt, dass ich einen Sohn habe.«

»Die Immobilienmaklerin hat es mir gesagt«, erklärte Buffy, »als ich ihr von unseren beiden Kindern erzählt habe.« Sie wich dem Blick aus, den Angel ihr zuwarf. Hoppla, da habe ich doch glatt vergessen, Angel über unsere Under-Cover-Rolle aufzuklären.

»Ich weiß. Als Sie mir gesagt haben, dass Sie Kinder haben, war mir sofort klar, dass ich mit Ihnen sprechen muss. Gallivans Leute haben Ihnen doch sicher nichts über die Kinder gesagt, die entführt worden sind.«


21


Willow folgte Gallivan auf einem der kleinen Pfade, die durch den Weatherly Park führten. Oz ging dicht hinter ihnen, um jederzeit in das Gespräch eingreifen zu können. Doch zunächst überließ er Willow die Konversation.

Gallivans Bodyguards waren ständig auf der Hut und blickten wachsam in die Dunkelheit. Willow zweifelte nicht daran, dass sie unter ihren Jacketts Waffen trugen.

Sie fragte sich nur, ob sie auch etwas Wirkungsvolles gegen Vampire dabei hatten. Da sie sich nur allzu gut an Buffys Berichte erinnern konnte, behielt sie die Schatten um sich herum im Auge. Rockett und sein Kamerateam hatten sie begleiten wollen, aber Gallivans Sicherheitsleute hatten das vereitelt. Die Bodyguards hatten auch Craig und seinen paramilitärischen Wannabee-Kämpfern davon abgeraten, ihnen zu folgen.

»Der Wachmann, der an dem Abend zu den Campbells kam, schien zu glauben, dass ich mir alles nur eingebildet habe«, erzählte Willow. »Aber ich weiß, was ich...«

»Es gibt sie wirklich«, unterbrach Gallivan sie. »Nach all dem, was ich bisher gehört habe, scheinen sie immer nur einzeln aufzutauchen. Es sei denn, Sie hätten mehrere davon gesehen.«

Er glaubt mir, dachte Willow. Er glaubt mir die Geschichte! »Nein.«

Der Unternehmer zögerte für einen Moment, was Willow merkwürdig vorkam, weil er auf sie den Eindruck eines Menschen machte, der niemals zögert.

»Was wissen Sie über die Laterne?«, fragte er sie schließlich.

»Laterne?« Willow schüttelte den Kopf. »Ich weiß überhaupt nichts von einer Laterne.«

»Ich verstehe. Und Sie sagen, dass Sie nur eines von diesen Wesen gesehen haben.«

Gallivans Stimme klang erleichtert. »Dann gibt es vielleicht noch eine Möglichkeit, die ganze Sache unter Kontrolle zu bringen.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Oz. Gallivan warf ihm einen abschätzenden Blick zu.

»Der schlechten Publicity ein Ende bereiten.« Oz' Miene verdüsterte sich.

»Wissen Sie, was dieses Wesen ist?«, fragte Willow.

»Nein.«

»Hatten Sie jemals zuvor mit so einem Wesen zu tun?«, versuchte es Oz.

»Nein«, erwiderte Gallivan. »Nicht im Entferntesten.«

»Und immer mehr Babys verschwinden?«, fragte Willow und bei dem Gedanken, dass es vielleicht viel mehr Opfer als nur Tad gab, lief ihr ein Schauer über den Rücken.

»Es sieht so aus.«

»Warum gehen Sie dann nicht zur Polizei?«, fragte Oz.

»Sie haben ja gehört, um was für ein Phänomen es sich handelt«, erwiderte Gallivan. »Was könnte die Polizei in einem solchen Fall wohl ausrichten?«

Willow und Oz hielten jeden Kommentar zurück. Konnte die Polizei in Sunnydale überhaupt jemals etwas ausrichten?

»Wenn es darum geht, Knöllchen zu verteilen, jugendliche Kleinkriminelle einzubuchten und Donuts zu essen, macht die Polizei ihre Arbeit wahrscheinlich großartig«, sagte Gallivan. »Aber ich möchte in einer

ernsthaften Sache nicht auf sie angewiesen sein. Da verlasse ich mich lieber auf meine eigenen Leute.«

»Was ist mit den Babys passiert?«, fragte Willow hartnäckig nach. Sie sah den kleinen Tad immer noch vor sich.

»Ich weiß es nicht. Meine Leute sind dabei, Nachforschungen anzustellen. Deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen.«

»Mit mir?«

Gallivan hielt mitten auf dem schmalen Joggingpfad an. Seine Haltung erinnerte Willow an die eines Revolverhelden aus alten Filmen. »Sie sind die erste konkrete Verbindung zwischen dem Verschwinden der Kinder und der Protestbewegung gegen den Freizeitpark, den ich hier bauen will.«

Willow traute ihren Ohren nicht. »Sie glauben, ich hätte irgendetwas damit zu tun?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Gallivan. »Genau das wollte ich Sie fragen.«

Willow war fassungslos vor Empörung. Sie konnte es einfach nicht glauben, dass Gallivan dachte, sie hätte etwas mit dem Verschwinden der Kinder zu tun. Anstelle der Unsicherheit, die sie zunächst dem Unternehmer gegenüber empfunden hatte, machten sich nun Wut und Enttäuschung in ihr breit. »Ich habe nicht das Geringste damit zu tun!«

»Das Baby verschwand, während Sie mit ihm alleine im Haus waren. Mrs. Campbell hat mir gesagt, dass sie es selbst zu Bett gebracht hat, bevor sie ausging.«

»Wenn es überhaupt das echte Baby war«, räumte Willow ein. »Als ich dieses... Ding fand, sah es nur so aus wie Tad.«

Gallivan schien kein Wort zu verstehen. »Wovon reden Sie eigentlich?«

»Dieses Ding hat den Platz von Tad eingenommen«, versuchte Willlow ihm zu erklären. »Es sah genauso aus wie er, bis zu dem Moment, als es mir vorwarf, dass meine Versuche, Sie aufzuhalten, nicht ausreichend seien.«

Gallivans Gesicht drückte leisen Zweifel aus. »Warum wollte es, dass Sie mich aufhalten?«

»Ich weiß es nicht.«

»Und warum hat es ausgerechnet Sie als seinen Boten ausgewählt?«

Weil ich eine Hexe bin. »Ich habe keine Ahnung«, sagte sie laut.

»Sie haben dieses Wesen deutlich sehen können?«

»Ja.«

»Was ist es für eine Kreatur?«

»Das Einzige, was ich mit Sicherheit weiß, ist, dass es böse ist«

»Dann kämpfe ich also gegen etwas, das schlecht ist«, sagte Gallivan. »Lässt mich das nicht auf der Seite der Guten stehen?«

Dieser Gedanke machte Willow einen Moment nachdenklich. Gut und Böse waren zwei Pole, zwischen denen sich ihr Leben hin- und herbewegte. Sie war sich dessen bewusst, dass sich die Welt nicht eindeutig in diese beiden Lager aufspalten ließ, obwohl es manchmal ganz den Anschein hatte.

»Eigentlich«, mischte sich Oz mit leiser, nachdenklicher Stimme ein, »erinnert mich das eher an das Sprichwort, dass man zwischen zwei Übeln das kleinere wählen muss. Ich glaube nicht, dass Sie in der ganzen Angelegenheit völlig schuldlos sind. Wie viele Kinder sind denn mittlerweile verschwunden?«

Willow bewunderte Oz' Fähigkeit, die Dinge auf den Punkt zu bringen.

Gallivans Gesicht verhärtete sich. »Das sind geheime Informationen.«

»Ja, aber wer profitiert davon, dass sie geheim gehalten werden? Familien verlieren ihre Kids und sind dabei ganz offensichtlich auf Ihre Hilfe angewiesen. Doch Sie interessieren sich mehr dafür, die Pläne für Ihren Freizeitpark voranzutreiben«, sagte Oz.

»Wir müssen alle Prioritäten setzen«, antwortete Gallivan kurz angebunden.

Willow bemerkte, dass Oz kurz davor stand, seine berühmte Gelassenheit zu verlieren, und mischte sich deshalb in das Gespräch ein. »Warum wollten Sie mit mir sprechen?«

»Ich habe gehofft, dass wir zu einer Einigung kommen könnten.«

Gallivan lächelte. »Diese Gegend hier ist der ideale Ort für den Freizeitpark, den mein Planungskomitee entworfen hat. Es gibt in Sunnydale keinen Ort, der so zentral gelegen und außerdem noch an die Autobahn angebunden ist. Zusätzlich habe ich die Möglichkeit, ein anderes Stück Land zu kaufen, das für einen öffentlichen Park geradezu ideal wäre. Dadurch ließe sich dieser hier ersetzen. Ich will den Freizeitpark hier bauen, aber ich bin bereit, dort einen neuen Park als Ersatz zu finanzieren.«

»Also versuchen Sie nur, uns zu kaufen«, stellte Willow fest. Gallivan hob abwehrend die Hände, während das Lächeln auf seinem Gesicht wie eingemeißelt schien. »Darum geht es schließlich bei Geschäften.«

»Dieser Park hat nichts mit Geschäften zu tun«, erwiderte Willow. »Wir verbinden die unterschiedlichsten Erinnerungen mit ihm und außerdem ist er einer der schönsten Orte in ganz Sunnydale.« Wenn man mal von den Vampiren absieht...

»Ich könnte Ihnen einen anderen genauso schönen Park geben«, bot ihnen der Unternehmer an.

»Nein. Wir werden hier bleiben und den Leuten klar zu machen versuchen, was sie mit dem Park verlieren«, sagte Willow entschieden.

Gallivan gab seinen Sicherheitsleuten ein Zeichen. »Ich glaube, wir sind fertig hier.«

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Willow zu. »Ich wünschte, wir hätten zu einer Einigung kommen können, Miss Rosenberg, denn ich werde mich nicht aufhalten lassen. Weder durch Ihre Aktionen und Proteste, noch durch dieses Wesen, wie Sie es nennen. Mit den Leuten, die meine Wachen letzte Nacht aufgegriffen haben, werde ich den Anfang machen. Und wenn ich genügend Beweise zusammenhabe, werde ich Sie als Anstifterin vor Gericht bringen.«

Angst krallte sich wie die Klauen einer Katze in Willows Nacken fest und lief ihr kalt den Rücken hinunter. Sie konnte dem Blick des Unternehmers kaum noch standhalten: Doch dass Oz bei ihr war, dass er an sie glaubte, gab ihr neue Kraft.

Gallivan drehte sich um und machte sich, flankiert von seinen Bodyguards, auf den Rückweg. »Was wird aus den verschwundenen Kindern?«, rief ihm Willow hinterher und versuchte ihn mit schnellen Schritten einzuholen.

»Wir werden sie finden. Und wer auch immer sie entführt hat, wird dafür bezahlen«, sagte Gallivan drohend.

»Da gibt es noch etwas, was sie bedenken sollten«, sagte Oz und versuchte mit Gallivan Schritt zu halten. »Irgendjemand versucht Ihnen eine Botschaft zu übermitteln. Wenn Sie den Sinn der Botschaft nicht bald begreifen, dann werden Sie das nächste Opfer sein.«

Gallivan blieb abrupt stehen und warf ihm einen kalten Blick zu. »Soll das eine Drohung sein?«

»Nein«, erwiderte Oz. »Ich versuche nur, Sie zu warnen und Ihnen zu sagen, dass Sie auf sich aufpassen sollten.«

»Dafür bezahle ich meine Leute. Und glauben Sie mir, ich bin wesentlich besser geschützt als Sie und Ihre ganze Gruppe.«


22


»Hector Gallivans Sicherheitsleute halten die Entführungen geheim«, sagte Maggie Chapin. Buffy lauschte aufmerksam den Informationen, die sie vorher nur vermutet hatte. »Wie viele Kinder sind genau entführt worden?«

»Sechs, soweit ich weiß«, antwortete Maggie. »Wir haben Cory verloren. Ich habe gehört, dass gestern Nacht der Sohn der Campbells verschwunden ist. Die Englands vermissen ihre beiden Söhne, die Moltons und die Dixons ihre Töchter.«

»Die Englands haben zwei Kinder verloren?«, fragte Buffy.

»Ja, es sind Zwillinge.«

»Wie alt sind sie?«

»Zehn, elf Monate. Ich weiß es nicht genau.«

»Aber auf jeden Fall nicht älter als ein Jahr?«, fragte Angel. Buffy spürte, wie sich der Druck seiner Hand, mit der er ihren Arm ergriffen hatte, verstärkte.

Maggie nickte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und ihre Stimme klang erstickt. »Es sind alles noch Babys. Kleine Babys.«

Vielleicht ist das ein Hinweis, dachte Buffy. Die Legenden von den Feen und Elfen, von denen Giles und Willow in der Bibliothek erzählt hatten, besagten schließlich, dass diese bösen Geister- und Feenvölker immer nur Babys vertauschten. Weil sie nur Macht über Babys hatten?

Waren ihre Kräfte derartig begrenzt? »Das muss schrecklich für Sie sein«, sagte Buffy mitfühlend und versuchte die Rolle einer besorgten Mutter zu spielen. Was nicht allzu schwierig war, denn die Entführungen waren in der Tat grauenvoll.

»Sie sehen viel zu jung aus, um schon zwei Kinder zu haben. Wie alt sind sie?« Maggie erhob sich von dem Schaukelstuhl und ging hinüber zu dem Kamin, um ein Bild vom Kaminsims zu nehmen.

»Vier und zwei«, antwortete Buffy. »Wir haben sie adoptiert.« Es fiel ihr schwer, Maggie, die ihnen so viel Vertrauen schenkte, anzulügen.

»Vielleicht brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich glaube, dass keines der verschwundenen Kinder älter als ein Jahr war.« Maggie reichte Buffy das gerahmte Bild. »Das ist Cory.«

Buffy betrachtete das Foto und versuchte sich vorzustellen, wie schwer es für die Eltern sein musste, dieses Gesicht und sein Lachen nie mehr wiederzusehen. »Er ist sehr niedlich.« Sie gab ihr das Bild zurück. »Es tut mir so Leid für Sie.«

Maggie nahm das Bild und betrachtete es. »Er lebt noch. Eine Mutter spürt das, wissen Sie.«

Buffy nickte verständnisvoll und versuchte nicht daran zu denken, wie viele Sorgen sie ihrer eigenen Mutter Nacht für Nacht bereitete. »Was unternimmt Gallivan eigentlich in dieser Sache?«

»Er behauptet, dass er jede Menge Leute auf den Fall angesetzt hat. Alles Privatdetektive. Und das stimmt wahrscheinlich auch. Ich habe selber mit drei von ihnen gesprochen. Gallivan glaubt, dass die Kinder entführt werden, um ihn zu erpressen. Er ist sehr reich, wissen Sie.«

»Aber einige Eltern sind da anderer Meinung?«, forschte Buffy weiter.

»Ich jedenfalls«, erwiderte Maggie. »Mag sein, dass ich die Einzige bin. Mein Mann Philip glaubt Gallivan, genau wie alle anderen, die für ihn arbeiten.«

»Weil der Job so gut ist, dass sie ihn nicht verlieren wollen«, mutmaßte Angel. Richtig. Ohne ihre Stelle wären sie aufgeschmissen. Und die ersten Kinder sind ja erst vor ungefähr zwei Wochen verschwunden.

Vor zwei Wochen? Das war dann genau zu dem Zeitpunkt, als sie angefangen haben, mit den großen Maschinen den Boden im Weatherly Park auszuheben. Buffy rutschte unbehaglich auf dem Sofa hin und her. »Wann genau ist Cory verschwunden?«

Maggies Stimme zitterte. »Vor acht Tagen.«

»Sind Sie zur Polizei gegangen?«

Sie nickte. »Natürlich. Ich war vollkommen hysterisch. Während ich die Polizei angerufen habe, hat Philip mit

Gallivan gesprochen. Wir hatten bereits gehört, dass ein anderes Baby vermisst wurde, vielleicht sogar zwei. Gallivan sagte Philip, dass er sich um alles kümmern würde, und wollte unbedingt, dass Philip mich daran hindert, die Polizei zu verständigen.«

»Aber Sie haben es trotzdem getan«, sagte Angel, »und das war auch das Vernünftigste, was Sie tun konnten.« Er versuchte offensichtlich, sie in ihrer Entscheidung zu bekräftigen, was der Frau, wie Buffy bemerkte, sichtlich gut tat.

Angel konnte wirklich gut mit Menschen umgehen.

»Philip versuchte mich die ganze Zeit umzustimmen. Als die Polizei dann vor unserem Haus hielt, lief ich ihnen im Vorgarten entgegen. Ich habe wahrscheinlich keinen guten Eindruck auf sie gemacht, so, wie ich geweint und Philip angeschrien habe. Er hat den Polizisten dann einfach erzählt, ich hätte auf einer Betriebsfeier zu viel getrunken.«

»Und, hatten Sie etwas getrunken?«, fragte Angel.

»Nein. Aber Gallivan hatte an diesem Abend auf seinem Landsitz eine Party für seine leitenden Angestellten gegeben. Ich war nicht hingegangen, aber Philip behauptete gegenüber den Polizisten, ich sei dort gewesen.«

»Also waren Sie an dem Abend, als Cory verschwand, bei ihm oder hatten Sie einen Babysitter?«

»Nein, ich war zu Hause.«

Buffy beugte sich gespannt vor und wusste, dass sie das gerade erst gewonnene Vertrauen der Frau mit der nächsten Frage aufs Spiel setzen würde. »Sie haben es gesehen, nicht wahr? Das Ding, das Ihnen Cory weggenommen hat?«

Tränen rannen über Maggies erstauntes Gesicht. »Woher wissen Sie etwas davon?«

»Ich bin Ihnen gegenüber nicht ganz ehrlich gewesen«, gab Buffy zu und fühlte sich erleichtert, endlich die Wahrheit sagen zu können. »Eine Freundin von mir hat gestern Abend bei den Campbells auf Tad aufgepasst, als er verschwand.«

»Sie hat das... Ding gesehen?«

»Ja.«

»Was haben Sie gesehen?«, fragte Angel sanft.

Maggie sah die beiden mit einem verwirrten Blick an. »Warum sollte ich Ihnen das erzählen?«, fragte sie misstrauisch.

Angel sah der verstörten Frau in die Augen. Buffy wusste nur zu gut, wie intensiv sein dunkler Blick wirkte. Niemand außer Angel konnte einen so ansehen.

»Weil ich weiß, was es heißt, etwas zu verlieren«, antwortete er leise. »Und weil ich weiß, was Schmerz bedeutet. Und weil ich anderen Menschen all das ersparen möchte, was Sie durchmachen mussten.« Er schwieg für einen Moment, um seine ernsthaften Worte auf sie wirken zu lassen. »Wir versuchen herauszufinden, was mit den Kindern passiert ist. Und wenn wir das wissen, werden wir versuchen, sie zurückzubringen.«

»Glauben Sie, dass Sie das können?« Die Hoffnung, die in der Stimme der Frau zum Ausdruck kam, brach Buffy fast das Herz und ein Kloß bildete sich in ihrem Hals.

Angel zögerte einen Moment, bevor er antwortete. »Ich weiß es nicht«, sagte er dann ehrlich. »Aber wir werden es versuchen.«

Maggie wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort hervor. Sie unternahm einen erneuten Versuch. »Es war dieses kleine, schreckliche... Ding. Ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll. Zuerst dachte ich, es sei Cory.«

»Aber es verwandelte sich«, forschte Angel. »Ist das richtig?«

»Ja. Und es wurde zu etwas Bösartigem mit Flügeln, langen Zähnen und Krallen wie ein Tier.«

»Hat es zu Ihnen gesprochen?«, fragte Buffy und beugte sich zu der Frau vor.

»Ja. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum Philip geglaubt hat, ich hätte den Verstand verloren, als ich ihm davon erzählte. Aber es hat gesprochen. Es hat mir den Auftrag erteilt, Gallivan zu sagen, dass er den Wald nicht zerstören soll. Und dass der Wald unter dem Schutz der Schattenwesen steht.«

»Was passierte dann mit diesem Ding?«, fragte Buffy weiter.

»Es flog davon. Ich bin losgelaufen, um Philip zu holen und kurz darauf habe ich die Polizei angerufen. Ich habe ihnen die Geschichte auch erzählt. Spätestens dann haben sie Philips Erklärung Glauben geschenkt, dass ich zu viel getrunken hätte. Mein Mann konnte schon immer mit Stress und Aufregung besser umgehen als ich. Er blieb vollkommen ruhig.«

»Was Ihre Version nur umso unwahrscheinlicher klingen ließ«, sagte Angel.

Buffy empfand Mitleid für die Frau und fragte sich, wie sie die ganze Sache bloß aushalten konnte. Aber das muss man wohl, wenn man für die eigenen Kinder da sein will. Das ist wohl auch der Grund, weshalb es ihre Mutter schaffte, mit all dem fertig zu werden, was sie wusste.

Maggie nickte. »Philip hat ihnen erzählt, dass Cory bei einem Babysitter war, den Gallivan Industries für die

Party bereitgestellt hatte. Sie haben bei der Adresse angerufen, die er ihnen gegeben hat, und irgendjemand hat ihnen dann bestätigt, dass Cory da sei.«

»Aber das war er nicht?«, fragte Buffy.

»Nein, aber die Polizei hat das nicht weiter überprüft.« Maggie sah sie hoffnungsvoll an. »Glauben Sie wirklich, dass Sie in dieser Sache etwas tun können?« Ihre Augen ruhten unverwandt auf Angel.

»Ja«, antwortete er. »Wir haben Erfahrung mit solchen Sachen.« Er beugte sich vor und nahm ihre Hand in die seine. »Und wir glauben Ihnen, Maggie!«


23


Buffy ging auf die lange, dunkle Straße hinaus, die aus dem Wingspread-Wohnpark herausführte. In ihr kämpften die widersprüchlichsten Gefühle gegeneinander. Die Straßenbeleuchtung warf ihre Schatten lang und schmal vor ihr auf den Boden und sie spürte eine solche Kälte in sich, dass sie am liebsten die Arme um sich geschlungen hätte.

»Alles in Ordnung?«, fragte Angel.

»Nein«, antwortete sie ehrlich.

»Das war ganz schön anstrengend.«

Sie atmete tief aus, warf einen Blick zurück und starrte auf die dunkle Silhouette in einem Fenster über den vertrockneten Blumenbeeten. »Ja.«

»Und wohin jetzt?«

»Zum Weatherly Park«, entschied Buffy. »Solange Giles oder Willow keine andere Spur finden, die wir verfolgen können, scheint die Antwort auf alle Fragen dort zu liegen.« Sie beschleunigte ihren Schritt, als könnte sie mit dieser zusätzlichen Anstrengung ihre Verwirrung und ihr Mitleid verjagen.

»Und wenn wir nicht gleich eine Antwort auf dieses Rätsel finden, können wir uns in der Zwischenzeit mit den Vampiren die Zeit vertreiben.«

»Drei Cheeseburger, eine doppelte Fritten, einen Riesen Schokoladen-Shake und zwei von diesen Applepie-Pasteten.« Hutch stand an der Theke von Paco 's Pastries in der Galerie des Einkaufscenters und sah sich nach Xander um. »Was möchtest du, Xander? Ich lade dich ein.«

In Anbetracht der Bestellung seines Freundes hatte Xander da so seine Zweifel. »Bist du sicher, dass du es dir leisten kannst, uns beide durchzufüttern?«

»Yep, heute schon«, erwiderte Hutch. Er zerknüllte den Kassenbon in seiner Hand.

»Ich hatte zwei gute Wochen im Comicladen. Da kam doch so ein Typ und hat mir seine ganze X-MAN Sammlung verkauft, weil er jetzt heiratet. Mann, Comics und Frauen, das geht eben nicht zusammen. Ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie viele Typen ich erlebt habe, die ihre Sammlungen aufgeben, nur weil sie heiraten.«

Xander stellte sich vor, was für ein Alptraum es sein würde, gemeinsam mit Cordelia in einem Haus zu leben.

Wie viel von seinem Kram müsste er loswerden, um sie zufrieden zu stellen? Was wäre mit seiner Sammlung...

Er bremste sich, bevor er diesen Gedanken zu Ende brachte. Teile seines Lebens würden jedenfalls nie wegen irgendjemand anderes auf dem Sperrmüll landen! »Einen Cheeseburger und einen Schokoladen-Shake«, bestellte Xander.

Hutch schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, wie du dich damit am Leben erhalten kannst«, sagte er.

»Hey«, wandte er sich an den Typ, der hinter der Theke arbeitete. »Wo gibt es denn diese Papierhüte? Das nenn ich mal ein Styling!« Der Kellner warf ihm einen vernichtenden Blick zu, erntete jedoch nur Hutchs Gelächter. Hutch bezahlte und nahm das Tablett mit der Bestellung.

»Mir ist unbegreiflich, wo du das alles hinpackst«, sagte Xander und griff nach den Milchshakes. Es war ihm unangenehm, dass Hutch den Typ an der Theke angemacht hatte. Der konnte schließlich auch nichts dafür, dass er einen miesen Job mit einer Kleidervorschrift hatte, die megapeinlich war.

Sie gingen in den hinteren Teil der Snackbar und setzten sich an einen freien Tisch zwischen Plastikpalmen in olivgrünen Kübeln. Irgendein aufmerksamer Mensch hatte die Plastikblätter fürsorglich mit Ananas-Raumspray besprüht, was die unterschiedlichsten Erwartungen auslöste.

»Nur noch ein paar Blumenkränze und schon fühlen wir uns wie zu Hause, hm?«, fragte Hutch und lachte lauthals. Sie machten sich beide mit großem Appetit über ihr Essen her. Hutch war bereits mit seinem ersten Cheeseburger fertig, bevor Xander in seinen auch nur einmal hineingebissen hatte.

»Zählst du eigentlich deine Finger nach, wenn du mit dem Essen fertig bist?«, fragte Xander nicht nur zum Scherz.

Hutch grinste ihn an und beobachtete die Leute, die in dem Center ihre Einkäufe erledigten. »Es sieht so aus, als wäre hier das Wunschdenken so ziemlich in die Hose gegangen.«

Er nickte in Richtung eines Mädchens, das eine Stretchhose trug, die ihr mindestens zwei Nummern zu klein war.

Obwohl er und Hutch denselben Sinn für schrägen Humor hatten, versuchte Xander doch immer, die Grenze zu purer Gehässigkeit nicht zu überschreiten. Deshalb schwieg er auch jetzt. Das Leben im Einkaufszentrum war in vollem Gang, Stimmengewirr drang wie gleichmäßiges Summen aus den Geschäften, über denen Leuchtreklamen aufflackerten. Jogger liefen zügig vorbei und überprüften ihren Blutdruck mit fachmännischer Miene, während die Teenies in Gruppen zusammenhingen und über ihre Träume sprachen. Für Xander war das Center immer ein Ort gewesen, an dem Himmel und Hölle dicht beieinander lagen. Traum und Alptraum, Gut und Böse, Erfolg und Misserfolg - es war alles da, man brauchte nur zuzugreifen. Die Zeit verstrich und das Gespräch drehte sich um Comics und Verschwörungstheorien und blieb schließlich bei den neuesten Scherzartikeln hängen, die sie in dem Geschenkeladen in der oberen Etage gesehen hatten.

Xanders Aufmerksamkeit schweifte ab und wanderte zwischen Hutch, dem Fernseher über der Theke von Paco's Pastries und seinem Essen hin und her. Trotz des nicht unerheblichen Mengenunterschieds beendete Hutch bereits sein Menü mit den Applepie-Pasteten, als Xander gerade mal bei seinen Fritten angekommen war.

»Hey«, rief Hutch plötzlich. »Ist das nicht Willow?«

Xander folgte Hutchs Blick auf den Fernsehbildschirm über der Theke. Der regionale Nachrichtensender brachte eine Livereportage aus dem Weatherly Park. »Das ist Willow!«, bestätigte Xander. Der Bericht war kurz und knapp und hob Willows Rolle als Anführerin des Protestes gegen die Pläne von Gallivan Industries hervor, einen Freizeitpark in Sunnydale zu bauen.

»Weißt du«, sagte Hutch, »Willow ist ein ziemlich steiler Zahn. Ist mir gestern Abend schon aufgefallen, als wir zum Haus der Campbells gefahren sind, um ihr zu helfen.«

Xander überkam eine dunkle Befürchtung. »Vielleicht solltest du dir lieber gleich abgewöhnen, so über Willow zu reden.«

»Warum? Hab ich einen wunden Punkt getroffen?«

»Sie ist eine Freundin von mir«, sagte Xander mit ungewohnter Schärfe in der Stimme. »Okay?«

Hutch zuckte mit den Schultern. »Alles klar. Ist mir so oder so ziemlich egal.«

Das wollte Xander nun auch wieder nicht hören. Er versuchte sich wieder auf sein Essen zu konzentrieren.

Im Fernsehen folgten weitere Berichte, unter anderem über die beiden Sicherheitsleute von Gallivan Industries, die zwei Schüler der Sunnydale High School bei dem Versuch überrascht hatten, die Bulldozer auf der Baustelle zu beschädigen. Gallivan erschien ein paar Mal auf dem Bildschirm und die Reporter äußerten die Vermutung, dass es vielleicht eine Einigung zwischen den beiden Parteien geben könnte. »Glaubst du, dass Willow vor diesem Typen kuscht?«, fragte Hutch, nachdem der Bericht vorbei war.

Xander schüttelte entschieden den Kopf. »Niemals.«

»Ich weiß nicht so recht, Mann«, sagte Hutch zweifelnd. »Willow macht nicht gerade den Eindruck, als wäre sie ein Kämpfertyp.«

»Ist sie auch nicht«, erwiderte Xander. »Aber sie ist hartnäckig. Du kennst sie einfach nicht. Sie hat ihre Überzeugungen und wenn sie an irgendetwas oder irgendjemand glaubt, kann sie unnachgiebiger sein als alle Menschen, die ich sonst kenne.«

»Schon möglich«, sagte Hutch, nicht ganz überzeugt. »Aber du kannst darauf wetten, dass Gallivan nicht so einfach nachgibt.« Er machte eine Pause und fragte dann: »Warum bist du eigentlich nicht mit ihr da draußen?«

»Hast du Cordelia kennen gelernt?«

Hutch nickte. »Ist sie mit Willows Aktionen zur Rettung des Parks nicht einverstanden?«

»Der Park gehört nicht zu Cordelias Welt«, erklärte Xander, der trotz allem ein schlechtes Gewissen hatte, weil er nicht bei Willow im Park war. Er fragte sich, warum Cordelia ihm immer das Gefühl gab, sich zwischen ihnen entscheiden zu müssen. Willow verlangte das nie von ihm. »Bei einem Kind könnte man so eine Einstellung noch entschuldigen, aber Cordelia ist schließlich kein Kind mehr.«

Hutch grinste. »Das war nicht zu übersehen.«

»Sieh nur ja nicht zu genau hin«, grollte Xander. Mein Gott, hat dieser Typ eigentlich auf alles Appetit?

»Reg dich ab, Junge.«

»Cordelia befürchtet, dass Willows Protestaktionen die Pläne für die Frühlingsparty durchkreuzen könnten. Und das Party-Boot ist ja auch schon fast abgesoffen.«

»Gut zu wissen, was bei Cordelia an erster Stelle steht«, bemerkte Hutch.

»Hey, kannst du es nicht mal für einen Moment gut sein lassen?«, wies Xander seinen Freund genervt zurecht.

»Ich sage ja nur, dass Willow höhere moralische Grundsätze zu vertreten scheint.«

»Ausgerechnet du redest von moralischen Grundsätzen«, gab Xander zurück, »aber das ist schließlich auch nicht jedermanns Sache. Du scheinst dich auf dem Gebiet auch nicht besonders gut auszukennen. Wie war das vorhin mit dem Wunschdenken und der Hose?«

»Ich habe nie behauptet, vollkommen zu sein.«

»Und ich habe in den letzten Wochen nicht einmal gehört, daß du für den Park Partei ergreifst.«

»Ich bin auch dort aufgewachsen«, sagte Hutch mit leiser Stimme.

»Das wusste ich nicht.«

»Es gibt vieles, was du nicht über mich weißt, Xander.« Hutch schwieg für einen Moment, während sein Blick auf die Speisekarte über der Snackbar gerichtet war. »Gallivan hat wahrscheinlich noch ganz andere Gründe, sich über den Widerstand in der Bevölkerung zu ärgern.«

»Was meinst du damit?«

Hutch warf ihm einen Blick zu. Seine Augen hatten plötzlich einen harten Ausdruck angenommen. »Willow lenkt mit ihren Protestaktionen eine Menge Aufmerksamkeit auf diesen Bebauungsplan. Normalerweise unterliegen Grundstücke, die für Parks und andere öffentliche Einrichtungen bestimmt sind, einem besonderen Schutz. Welches Gesetz oder welche Vorschriften auch immer für den Park einmal gegolten haben mögen, sie sind offensichtlich über all diesen Diskussionen so ziemlich in Vergessenheit geraten.«

»Kein schöner Gedanke«, sagte Xander. »Sollte es auch nicht sein. Ich denke, es wird langsam Zeit, darüber nachzudenken, mit was für schmutzigen Tricks es Gallivan gelungen ist, seine Pläne durchzubringen.«

Hutch machte eine wirkungsvolle Pause. »Und wie weit Gallivan gehen wird, um seine Pläne durchzusetzen. Er hält immerhin das Verschwinden von all diesen Kindern geheim.«

»Und was hat plötzlich den Detektiv in dir zum Leben erweckt?«

»Ich habe nur ein bisschen nachgedacht«, antwortete Hutch. »Und dabei ist mir aufgefallen, dass es sicherlich gut wäre, mehr über Gallivans Geschäfte herauszubekommen.«

»Dieser Gedanke macht mich irgendwie ziemlich nervös«, sagte Xander. Hutch grinste und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte.

»Mich auch. Ganz schön aufregend, nicht wahr?«

»Das kannst du wohl sagen. Also, was hast du vor?«

Hutch lehnte sich auf dem Stuhl zurück und streckte seine langen Beine aus. »Einer unserer Stammkunden im Comicshop ist ein Wachmann, der hier im Einkaufscenter arbeitet. Die Wachgesellschaft, für die er arbeitet, soll für Gallivan Industries einige der Nachtschichten im Park übernehmen.«

»Ich dachte, dass Gallivan das Gelände nur von seinen eigenen Leuten bewachen lässt.«

»Nicht bei allen Schichten. Nur die Oberaufsicht und die Sondereinsätze werden ausschließlich von seinen eigenen Leuten übernommen. Der Typ hat mir erzählt, dass Gallivan Industries wegen der ganzen Proteste die Sicherheitsmaßnahmen verstärken wollte und dass es ihm vielleicht eine Beförderung einbringen würde.« »Kriegt er dann ein schöneres Abzeichen, oder was?«

»Er hofft, dass er dann einen Waffenschein bekommt.«

»Na, das sind doch erfreuliche Aussichten.«

»Yeah«, sagte Hutch in einem Tonfall, der ganz und gar nicht erfreut klang. »Der Typ steht auf See Force, Pull Auto und The Penalizer. Er wartet nur auf den richtigen Moment, um zu einer todbringenden Gefahr zu werden.«


24


»Irgendwie nicht.«

Oz setzte sich hinter das Steuer und steckte den Zündschlüssel ein. »Du warst gerade damit beschäftigt, Craig unter Kontrolle zu bringen.«

»Oh Gott, ja.« Craig hatte die Konstruktionspläne der verschiedenen Bau- und Räumungsmaschinen mitgebracht, die er sich vom Internet herunter geladen hatte. Die Stellen, wo man die Schläuche mit der Hydraulikflüssigkeit durchschneiden und die Fahrzeuge somit betriebsunfähig machen konnte, hatte er sorgfältig markiert und die Kopien eifrig verteilt.

»Ich tu hier doch nichts Falsches, oder?«, fragte sie sich laut. Unschlüssigkeit und Unsicherheit hatten ihren Glauben an die Sache erschüttert.

Oz schüttelte den Kopf, während er sich aufs Fahren konzentrierte.

»Nein, Will, ich glaube, wenn du daran glaubst, was du tust, kannst du gar nichts Falsches tun. Solange du nicht die Grenzen überschreitest. Und das hast du bisher nicht.«

Willow nagte an ihrer Unterlippe. »Aber andere Leute haben das getan, und zwar im Namen dieser Sache.«

»Es wird immer solche Leute geben. Aber es ist nicht dein Job, auf sie aufzupassen. Es reicht voll und ganz, wenn du für deine eigenen Handlungen verantwortlich bist.«

»Auch dann, wenn sie jemand anderes dazu verleiten, zu weit zu gehen?« Wo war die Grenze für persönliche Verantwortung zu ziehen? »Lance und Kelly suchen förmlich nach Gelegenheiten, zu weit zu gehen!«

»Aber Craig nicht.«

»Craig ist auf seine erste Auszeichnung für Tapferkeit im Kampf aus.«

Völlig unerwartet bekam Willow eine ihrer Visionen. Sie sah Tad, der auf der Straße vor ihnen stand. Er trug seinen Mickey-Mouse-Schlafanzug. »Stopp!«

Oz trat sofort auf die Bremse. Der Bus schlitterte mit quietschenden Reifen seitwärts. Er starrte sie besorgt an. »Was ist los?«

Willow blinzelte mit den Augen. Das Bild von Tad verschwamm langsam und löste sich schließlich auf. »Ich habe Tad wieder gesehen.«

»Wo?«

Willow deutete auf die Straße. »Er war dort, auf der Straße.« Ihre Hand fuhr zum Türgriff und sie öffnete den Wagen. Bevor Oz sie aufhalten konnte, stieg sie aus dem Bus. Die Intensität der Vision zog sie mit magischer Anziehungskraft nach draußen.

Was bedeutete das alles bloß? Warum hatte sie diese Visionen?

An der Stelle, an der sie das Baby gesehen hatte, war nichts als eine unebene Asphaltdecke.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Oz.

Willow zitterte und fühlte, wie ihre Knie unter ihr nachgaben. »Ja, ich glaube schon. Aber ich frage mich, ob ich nicht langsam den Verstand verliere.«

»Solange du dich das noch fragst, bis du wohl nicht ernsthaft gefährdet.«

»Das sollte jetzt wohl komisch sein, ja?«

Er zuckte mit den Schultern und lächelte schief. »Das war‘s wohl nicht, hm?« Er berührte zärtlich ihr Gesicht. »Es wird schon alles gut werden, Willow. Alles andere werde ich zu verhindern wissen!«

»Ich muss Tad finden!«, sagte sie und hoffte, dass sie ihm begreiflich machen konnte, wie wichtig das für sie war.

»Ich weiß«, antwortete er. »Ich weiß, dass du das musst. Und du wirst ihn finden. Ich werde dir helfen.« Er führte sie sanft, aber nachdrücklich wieder zum Wagen zurück.

Sie waren ganz alleine auf der Straße, sodass das Rauschen, das plötzlich über ihnen erklang, umso deutlicher zu hören war.

Willow blickte nach oben und sah drei geflügelte Wesen auf den Bäumen über ihnen landen. Obwohl sie sie nicht deutlich erkennen konnte, wusste sie sofort Bescheid. Sie packte Oz' Arm. Jetzt war sie es, die ihn führte. Sie stieß ihn in Richtung des Busses.

»Lauf!« befahl sie. »Lauf so schnell du kannst!«

Hinter ihr hörte sie das Summen der Flügel, als sich die Elfen von den Bäumen herabließen.

»Hey, Buffy.«


25


Buffy duckte sich in die teuflischen Schatten, die jeden einzelnen Winkel des Parks verfinsterten. Der lässige Ton und die Stimme klangen irgendwie vertraut. Sie spähte vorsichtig um den Baumstamm herum, hinter dem sie sich versteckt hatte.

Ein Typ in einer Sunnydale College-Jacke und Khakis trat auf die Lichtung, die sich vor ihr ausbreitete. Sein Kopf war fast kahl rasiert, sodass nur noch kurze Stoppeln zu sehen waren. Er sah sehr jung aus, trotz seiner tief liegenden Augen. »Du bist doch Buffy, oder nicht?«, fragte er und kam langsam auf sie zu. »Buffy Summers. Ich fand immer, dass du ziemlich scharf aussiehst. Aber das ist nach so langer Zeit wohl keine coole Anmache.«

»Nach so langer Zeit?«, widerholte Buffy.

Sie bedauerte es, ihn in der Nacht an diesem Ort zu treffen. Sie erhob sich und versuchte den rauen Holzpflock hinter ihrem Bein zu verstecken. »Du warst doch gestern noch in der Schule, Gary. Findest du denn, dass das schon so lange her ist?«

Angel glitt auf ihrer rechten Seite durch die Bäume. Er umkreiste sie im Hintergrund, um ihr Deckung zu geben. Sie hatten bereits drei Vampire aufgestöbert und gepfählt.

Gary trug eine Schaufel in der Hand, aber mit der freien Hand schlug er sich leicht an die Brust. »Erinnerst du dich an mich?«

»Du warst in der Mittelstufe«, sagte Buffy. »Du meintest immer den Klassenclown spielen zu müssen. Du warst schwer zu übersehen.«

Er lachte hysterisch, als hätte Buffy etwas wahnsinnig Komisches gesagt. »Ich hab den Leuten immer gesagt, dass du Humor hast, wenn man dich mal näher kennen lernt.«

Buffy blieb regungslos stehen und wartete. »Jetzt im Augenblick ist mir aber gar nicht zum Lachen zumute.«

»Vielleicht verstehst du den Witz nicht?« In dem kalten Mondlicht sah er wachsbleich und sehr hager aus.

»Was für einen Witz?«

»Klopf, klopf.«

»Wer ist da?«, fragte Buffy und ließ ihn näher auf sich zukommen.

»Dwayne.«

»Dwayne wer?«

Gary grinste. »Dwayne, der Blutbeutel. Ich verhungere fast.« Er brach in lautes Gelächter aus.

»Dein Vampirdasein scheint dir ja zu gefallen«, stellte Buffy fest. Ihre Sympathie für den Typ schmolz dahin.

»Ich würde mal sagen, es ist ganz in Ordnung«, entgegnete Gary. »Nur dass wir halt zu viel trinken.« Er entblößte seine Fangzähne. »Alles, was wir kriegen können.«

Bevor sie eine Bewegung machen konnte, hörte Buffy über sich ein Knacken und Rascheln in den Ästen. Sie trat einen Schritt zurück und blickt nach oben, wo sie zwei Vampire entdeckte, die sich kopfüber von den Asten herabhängen ließen. Sie zischten wie Raketen auf sie los, wobei ihre spitzen, langen Eckzähne nur so glitzerten. Buffy machte einen großen Satz rückwärts und vollführte einen kompletten Überschlag in der Luft, um möglichst viel Distanz zwischen sich und die Vampire zu bringen. Der eine verfehlte sie, aber der andere fiel geradewegs auf sie und riss sie in seinem Fall mit zu Boden. Der Vampir war ein älterer, schwer gebauter Mann, der wie ein Lastwagenfahrer aussah. Zumindest trug er eine Peterbilt-Kappe und stank mindestens so sehr nach Diesel wie nach Grab. Er knurrte sie an und sein Gesicht verzerrte sich zu einem Zwischending zwischen Mensch und wildem Tier. Er schnappte nach ihr und seine Zähne verpassten ihren Hals nur um Millimeter. Buffy rollte sich zur Seite und versuchte sich zu befreien. Sie schlug dem Vampir mit der Handkante ins Gesicht, wobei sie versuchte, so viel Kraft in den Schlag zu legen, wie sie nur konnte.

Sein Kopf flog zurück, während seine kalte Hand ihren Hals umklammerte und ihr den Atem abschnürte. Gefangen unter seinem Gewicht war es fast unmöglich für sie, sich freizukämpfen. »Du bist hier draußen, weil du auch danach suchst, stimmts?«, fragte der TruckerVampir sie. »Du hast doch auch davon gehört?« Buffy gelang es endlich, eine ihrer Hände zu befreien, und rammte ihm ihre Finger in die Augen.

Er heulte vor Schmerz auf und fuhr zurück, wobei er eine Hand schützend vor die Augen hielt. Diesen Moment nutzte Buffy. Sie stieß ihn mit Wucht und konnte sich endlich unter ihm befreien. In dem Augenblick schnitt der andere Vampir Gary den Weg ab und kam auf sie zu. Er war sich seiner selbst einfach zu sicher. Buffy baute sich mit erhobenem Holzpflock vor ihm auf. Sie holte aus, der Pflock grub sich knirschend in seine Brustplatte und mit ein paar kräftigen Stößen trieb sie ihn dem Vampir mitten ins Herz. Er zerfiel zu Asche, die sofort verwehte.

Der Trucker-Vampir brüllte wütend auf und erhob sich mühsam. Er sah sich zwischen seinen gespreizten Fingern nach ihr um und schrie: »Schnapp sie dir! Schnapp sie dir!«

Gary sprang mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sie zu. Seine Gesichtszüge verschwammen, als er mit der Schaufel weit ausholte. Sein Angriff war schnell und die scharfe Kante zischte nur knapp an Buffys Gesicht vorbei.

Buffy reagierte sofort, denn sie hatte bemerkt, dass Angel zwischen den Bäumen hinter der Lichtung auf weitere Vampire gestoßen war. Sie trat mit aller Kraft auf den Holzgriff der Schaufel. Das Holz zerbrach mit einem lauten Krachen und der Kopf der Schaufel flog in hohem Bogen in die Luft. Vollkommen überrascht sah Gary auf das abgebrochene Ende des Holzstiels. »Wow! Wer hätte das gedacht?«

»Ich. Und um dir die Wahrheit zu sagen, finde ich, dass deine Witze seit damals ganz schön lahm geworden sind.« Buffy packte den abgebrochenen Stiel und entriss ihn dem Vampir mit einem schnellen Ruck. Sie drehte den Holzstiel in einer Hand, wobei sie ihn so mühelos und leicht wie einen Jonglierstab handhabte, und rammte ihn dann mit einem festen Stoß in Garys Herz. Er packte mit beiden Händen den Holzgriff, der aus seiner Brust ragte, und starrte fassungslos darauf nieder.

»Oh, wow, das war ein fataler Zug!« Ohne jedes weitere Wort explodierte er zu Staub. Der Lastwagenfahrer hatte mittlerweile versucht, wieder auf die Beine zu kommen. Buffy versetzte ihm einen Tritt mitten ins Gesicht, der ihn zurück auf den Boden schickte.

Er wälzte sich spuckend und knurrend auf dem Boden hin und her und seine Krallen gruben sich in die Erde unter ihm.

Buffy holte zu einem zweiten Tritt aus, verfehlte ihn aber. Bevor sie wieder in Stellung gehen konnte, stand der Vampir bereits wieder auf den Beinen und versetzte ihr einen Schwinger mit der bloßen Faust. Sie taumelte wie vom Blitz getroffen zurück und fiel zu Boden. Als sie sich wieder hochrappelte, rannte der Vampir mit weit ausgebreiteten Armen auf sie zu und stieß dabei einen lang gezogenen Kampfschrei aus. Buffy positionierte sich neu und packte ihn am Kragen seines Jeanshemdes. Sie unterbrach seinen Kopfüber-Angriff, indem sie ihn in den Magen trat, sodass er nach vorne kippte. Dann ließ sie dreimal hintereinander blitzschnell ihre Knie in sein Gesicht fahren. Als er zurücktaumelte, zog ihn Buffy mit einer Hand nach vorne. Mit der anderen Hand griff sie in ihren Rucksack und holte einen Pfahl hervor. Dabei stieß sie ihn unaufhörlich vor sich her, bis er mit dem Rücken gegen einen Baum stieß. Sie setzte ihm die Spitze des Holzpflocks auf die Brust und starrte geradewegs in seine toten Augen.

»Na, wie fühlst du dich jetzt, mein Schöner?«, fragte sie ihn. »Sieht so aus, als wenn das Glück gegen dich ist, hm?« Er starrte sie in dumpfer Wut an.

Buffy bemerkte, dass die Kampfgeräusche in den nahe gelegenen Büschen verstummt waren. »Angel?«, rief sie mit erhobener Stimme.

»Ich bin hier.« Angel kam aus dem Gebüsch hervor und trat auf die Lichtung. Er fegte ein paar Zweige von seiner Kleidung. »Die beiden anderen sind erledigt.«

»Verräter«, zischte der Trucker-Vampir ihn an.

»Bewahrst du den aus irgendeinem besonderen Grund auf?«, fragte Angel ungerührt.

»Ich glaube, er weiß, wonach sie suchen«, erwiderte Buffy. Sie sah dem Vampir wieder in die Augen. »Oder etwa nicht?«

»Vielleicht.« »Und du wirst es uns verraten«, drohte Buffy ihm.

»Lässt du mich gehen, wenn ich es dir sage?«

»Hm, lass mich mal nachdenken, nein, ich glaube nicht.«

Der Lastwagenfahrer schien von dieser Antwort nicht sonderlich überrascht zu sein. »Dann gibt es ja wohl keinen Grund, warum ich es dir verraten sollte.«

Buffy runzelte die Augenbrauen, als wenn sie versuchte, eine Entscheidung zu treffen. »Gepfählt oder im Morgengrauen angebraten? Gepfählt oder geschmort?« Sie schüttelte den Kopf. »Egal, wie man es sagt, es klingt alles nicht besonders nett.«

»Das würdest du nicht tun.«

»Sicher würde ich das tun«, log Buffy.

Angel zog eine kleine Flasche aus der Tasche seiner Jacke hervor. »Weihwasser«, sagte er ruhig. »Es wäre interessant zu wissen, wie schnell deine Zehen verbrennen.« Er schüttelte die Flasche drohend in der Hand. »Und wenn du auch nur ein bisschen von mir gehört hast, weißt du, dass ich tue, was ich sage!«

Der Gesichtsausdruck des Vampirs zeigte, dass er sich geschlagen gab. »Es geht das Gerücht, dass so eine Art Elfen- oder Feenvolk im Wald leben soll. Alle diese Ausgrabungen und Bauarbeiten haben sie wieder freigesetzt. Wir wussten vorher nicht, das sie existieren.«

»Und was haben die Vampire damit zu tun?«, fragte Buffy.

»Die Legenden besagen, dass ein Vampir, der den Wohnsitz der Feen findet, einen Wunsch frei hat.«

»Davon habe ich noch nie etwas gehört«, sagte Angel.

Der Trucker-Vampir zuckte mit den Schultern. »Du bist nicht von hier, Junge, nicht wahr? Zumindest nicht ursprünglich.«

»Nein.« In Angels Stimme schwang immer noch Ungläubigkeit mit.

»Diese Legende tauchte vor ungefähr 150 Jahren das erste Mal auf. Ich muss es wissen, denn ich habe jedes dieser Jahre auf dem Buckel. Und ich glaube, ich habe auch noch ein paar vor mir!«

Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, da befreite er sich aus Buffys Griff. Schnell und wendig, wie er war, und mit dem Mut der Verzweiflung gelang es im fast, die Sicherheit des Unterholzes zu erreichen. Buffy flog herum, wirbelte den Holzpflock in der Hand und warf ihn dann geschickt dem Vampir hinterher. Der Pflock vollführte ein paar Umdrehungen in der Luft und bohrte sich dann mit der Spitze zwischen die Schulterblätter des fliehenden Vampirs. Mitten in einem Sprung ins rettende Unterholz zerfiel der Vampir zu Staub.

»Sie sind hier, weil sie abergläubisch sind«, sagte Angel.

»Du glaubst, das ist alles, was dahinter steckt?«, fragte Buffy.

»Komm schon«, gab Angel zurück, »du wirst diesen Quatsch doch nicht glauben?«

Buffy sah zu ihm auf und bemerkte, wie das Schattenspiel der Bäume sein Gesicht veränderte. Nur mit Mühe gelang es ihr zu ignorieren, wie gut aussehend er war. »Es gibt auch immer noch Menschen, die glauben, dass Vampire nur Mythen sind. Ebenso wie Zombies, Werwölfe und Geister. Wenn man mir vor ein paar Jahren von der Jägerin erzählt hätte, hätte ich es selbst nicht geglaubt. Wir leben in einer Welt des Aberglaubens und der Legenden, wo alles möglich ist. Vielleicht irren sich die Vampire ja, aber immerhin wissen wir jetzt, was sie hier wollen.«

»Wir haben heute Nacht zwar acht Vampire gepfählt«, sagte Angel, »aber du weißt ganz genau, dass wir sicherlich ein gutes Dutzend mehr gesehen haben. Es wird nicht einfach sein, die vor der Frühjahrsparty alle loszuwerden.« Er blickte in das Dickicht, aus dem sie gekommen waren. »Zwei von diesen Typen waren Sicherheitsleute, die in den letzten Tagen gebissen worden sind.«

»Auch das hat Gallivan verheimlicht.«

»Was für eine Überraschung!«, stellte Angel fest.

»Nicht wahr?«, stimmte Buffy zu. »Gary war gestern noch in der Schule und heute Nacht ist er schon ein Vampir. Die Dinge fangen langsam an, etwas außer Kontrolle zu geraten.« Sie hob ihren Rucksack auf und warf ihn sich über die Schulter.

»Es gibt nur eine Möglichkeit, sie von hier wegzubekommen«, sagte Angel.

»Wir müssen herausbekommen, wie wir diese Elfen hier rausekeln, ich weiß«, antwortete Buffy. »Giles arbeitet bereits daran und Willow ist ihnen schon näher gekommen, als man sich überhaupt vorstellen kann.« Ein schriller Schrei gellte plötzlich durch die Stille des Waldes um sie herum. Instinktiv wusste Buffy, aus welcher Richtung der Schrei gekommen war, und drehte sich jäh herum. Dann begriff sie plötzlich, dass sie die Stimme kannte. »Das war Willow!«

Angel nickte und begann mit der übermenschlichen Geschwindigkeit, die ihm seine Vampirkräfte verliehen, in die Richtung zu laufen, aus der der Schrei gekommen war.

Buffy blieb dicht an seiner Seite, denn als Jägerin war sie fast genauso schnell. Sie hetzten durch den Wald und brachen krachend durch das Unterholz. Buffy hoffte inständig, dass sie nicht zu spät kamen...


26


Es stellte sich heraus, dass es relativ leicht war, sich zum Bürogebäude von Baxter Security Zutritt zu verschaffen. Xander hielt sich dicht hinter Hutch und war überrascht, wie lautlos und geschickt sich sein groß gewachsener Freund bewegen konnte. Baxter Security saßen auf der dritten Etage, in der Suite Nr. 310. Der Teppich war abgewetzt, ein Indiz, dass die Geschäfte nicht besonders gut gingen. Lag es etwa daran, dass die Sicherheitstypen in Sunnydale so einen schlechten Ruf haben, oder war das Dienstleistungsgewerbe nicht besonders zukunftsträchtig? Bei all den mysteriösen Sachen hier in Sunnydale hatten sie ungefähr dieselben Überlebenschancen wie ein Eisbär in der Sahara. Hutch blieb auf dem nur schwach erhellten Flur vor der Tür mit der Nr. 310 stehen. Auf dem Glasfenster in der Tür waren die Geschäftszeiten und zwei Telefonnummern angegeben.

Xander spähte durch das Fenster in den Raum und sah einen einfachen Schreibtisch mit einem Telefon und ein halbes Dutzend bunt zusammengewürfelter Stühle, die an der Wand entlang aufgestellt waren. Auf der Rückseite des Büros führte eine bronzefarbene Tür mit einem Namensschild in einen weiteren Raum. Xander griff nach dem Türknauf und versuchte ihn zu drehen, doch die Tür war verschlossen.

»Sei vorsichtig«, wies ihn Hutch an. »Wir wollen ja nicht die Alarmanlage auslösen!«

Xander nickte und trat einen Schritt zurück. Im Einkaufszentrum hatte die Idee, in die Büroräume von Baxter Security einzudringen und sich in Gallivans Computersystem zu hacken, nahezu unwiderstehlich geklungen. Jetzt, da er im dämmerigen Flur stand und wusste, dass sie jederzeit festgenommen werden konnten, sah die Sache schon etwas anders aus. Nicht nur, dass sie viel von ihrem Reiz verloren hatte, sie jagte ihm auch einen kalten Schauder über den Rücken. Man traf nicht gerade die nettesten Leute im Knast. »Vielleicht ist die Idee doch nicht so gut«, bemerkte Xander so beiläufig und cool wie möglich.

»Gibst du jetzt das Weichei?«, zog ihn Hutch auf. Er kniete vor der Tür nieder, griff in seine Jackentasche und brachte eine Spraydose zum Vorschein.

»Nein«, gab Xander zurück. Aber ehrlich gesagt fehlte nicht mehr viel. Je mehr er darüber nachdachte, desto schlechter fand er die Idee. »Willst du dich jetzt mit ein paar ätzenden Graffiti begnügen, weil die Tür nicht aufgeht?«

»Wir kommen schon rein.« sagte Hutch. Er setzte ein kleines Röhrchen auf den Sprühkopf der Dose. Dann steckte er das Röhrchen in das Schloss und drückte auf die Düse. Die Spraydose klang, als wenn eine Boeing 727 im Flur abheben würde.

Xander sah sich nervös um. Er war sich sicher, dass jeden Augenblick jemand um die Ecke kommen musste, um der Ursache dieses Lärms auf den Grund zu gehen.

Aber es kam niemand und eine Minute später stieß Hutch auch schon die Tür auf. »Kommst du?«, fragte

Hutch und machte eine Geste in Richtung der offenen Tür.

»Yep.«

Xander betrat zögernd den Raum und sah sich dabei nach allen Seiten um. »Was war in der Spraydose?«

»Graphit. Lässt billige Türschlösser im Handumdrehen durchs Schlüsselloch verschwinden.«

»Und woher weißt du so was?« Xander ging weiter in den Raum hinein und wurde langsam mutiger, da es so aussah, als wenn ihr Plan wirklich funktionierte.

»Aus dem letzten Arachni-Kid-Heft. Hältst du dich denn gar nicht auf dem Laufenden?«

»Ein Typ mit acht Beinen und ohne gesellschaftliches Leben steht nicht gerade oben auf meiner Leseliste«, musste Xander zugeben. Acht Beine wären zwar mal was anderes, aber »kein Gesellschaftsleben« erinnerte ihn viel zu sehr an zu Hause.

Nachdem Hutch seine Werkzeuge eingesammelt hatte, betrat auch er den Büroraum und schloss die Tür hinter sich.

»Da steht der Computer«, sagte Xander und zeigte in Richtung Schreibtisch.

Hutch schüttelte den Kopf. »Die haben die Dateien bestimmt nicht hier drin. Der Typ, der immer in den Laden kommt, meint, sein Chef sei einer von denen, die sich unheimlich wichtig nehmen. Also wird er bestimmt die Dateien in seinem Büro aufbewahren.« Er ging zu der Tür, die in das hintere Bürozimmer führte, und riss das Schloss mit einem kräftigen Ruck heraus. Es gab ein kreischendes Geräusch von sich.

»Ich nehme an, du hast deine Gründe, diesmal kein Graphit zu verwenden«, bemerkte Xander. Hutch hatte seiner Meinung nach etwas zu viel Spaß an dieser ganzen Sache.

»Aber sicher!«, versicherte ihm Hutch. »Es macht doch keinen Spaß, irgendwo einzubrechen, wenn die Leute nicht merken, dass man da war!«

»Da wäre ich mir nicht so sicher.«

»Glaub mir«, sagte Hutch. »Es ist einfach nicht dasselbe!« Er stieß die Tür auf und betrat den Raum dahinter. »Oh, Mann, wo sind wir denn hier gelandet?«

Xander folgte ihm in das Zimmer und sah, dass die Wände mit Fotos von den unterschiedlichsten Verbrechensarten bedeckt waren. Er hatte schon begonnen, sich Sorgen zu machen, als er erkannte, dass die Polizeiwagen, die auf den Fotos zu sehen waren, aus verschiedenen Städten und sogar Bundesstaaten stammten. Es handelte sich einfach um eine Sammlung von Bildern, die die Gesetzeshüter in Aktion zeigten.

Vielleicht beeindruckte das ja die Kunden, überlegte Xander. Oder vielleicht verschaffte es diesem Typ auch Glücksgefühle, sich die Polizei im Einsatz anzusehen.

Hutch ließ sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch fallen. Er knackte theatralisch mit seinen Fingerknöcheln und tippte dann versuchsweise auf die Tastatur. »Okay, dann zeig mal, was du kannst, Superhirn.«

Xander starrte auf den Bildschirm. Obwohl er an Willows Zauberkünste am Computer gewöhnt war, verblassten diese im Vergleich zu dem, wozu Hutch offensichtlich imstande war. Zum ersten Mal sah Xander Hutchs Hände genauer an. »Hey, deine Zeigefinger sind ja länger als deine Mittelfinger!« Und das um fast einen Zentimeter.

Hutch hielt beide Zeigefinger wie Pistolen auf Xander gerichtet, tat so, als würde er schießen, und pustete den

Rauch von seinen imaginären Colts. »Damit ich besser zeigen kann, Großmutter. Willst du mir sagen, dass ich verkrüppelt bin oder so was?«

Xander schüttelte den Kopf. »Ich doch nicht.«

Hutch griff in die Tasche seiner Jacke und zog eine Packung M&M's hervor. Er riss sie auf und stopfte sie gierig in sich hinein. Er bot Xander die geöffnete Packung an. »Magst du welche?«

Xander hob abwehrend die Hände. »Ich passe. Ich bin immer noch mit Paco's Pastries beschäftigt.« Er sah Hutch bei der Arbeit zu.

»Sehr gut«, stieß Hutch nach einer Weile hervor. »Der Computer ist direkt mit Gallivan Industries vernetzt.

Wenn ich jetzt durch ihre Falltüren und Sicherheitsprogramme komme, sind wir schon fast zu Hause.« Xander beobachtete ihn und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. Was war, wenn dadurch ein stiller Alarm ausgelöst würde? Einen, den sie da drinnen gar nicht hörten? Diese Vorstellung war alles andere als beruhigend.


27


»Rupert«, sagte eine tiefe Stimme am anderen Ende der Telefonleitung. »Ich hoffe, ich störe dich nicht.«

»Desmond«, rief Giles aus und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Er zog sie aus und legte sie auf die Arbeitsplatte in seiner Küche. Er schaltete die Herdplatte aus und schob sein Abendessen zur Seite. In all den Jahren, in denen er sich auf seine Wächterrolle vorbereitet hatte, und auch in den Zeiten danach, als er dieser Aufgabe nachgegangen war, hatte er sich daran gewöhnt, dass Mahlzeiten manchmal unterbrochen und aufgeschoben werden mussten. »Hattest du schon Gelegenheit, einen Blick auf das Dokument zu werfen, das ich dir zugefaxt habe?«

»Aber selbstverständlich, alter Freund, sonst würde ich dich so spät nicht mehr stören.«

»Da, wo du bist, ist es noch später, mein Freund. Oder ziemlich früh, je nachdem. Das hängt wohl vom Standpunkt ab.«

»Ach ja, und in meinen alten Knochen zieht es auch mittlerweile ganz schön.«

»Ich glaube, du hast noch eine Menge guter Jahre vor dir«, prophezeite Giles.

Desmond Tretsky war über neunzig und zeigte keine Zeichen von Altersschwäche.

»Ich weiß deinen Optimismus zu schätzen. Ich hoffe, du behältst Recht. Um auf den Grund meines Anrufs zurückzukommen, die Dokumente, die du mir geschickt hast, sind sehr interessant. Sie sind voll von unheilvollen Vorzeichen. Weißt du, worum es geht?«

»So ungefähr. Die Angelegenheit scheint ein bisschen heikel zu sein.«

»In unserem Beruf ist das doch an der Tagesordnung. Man lebt ständig am Rande des Abgrunds und nur unser messerscharfer Verstand bewahrt uns vor dem Absturz.«

»Nun, es gibt ja auch noch die Jägerin.«

»Ach, mein lieber Rupert, man hält den Wert derer, die man trainieren muss, weil es vom Schicksal so vorausbestimmt ist, immer hoch. Aber wie viele von ihnen haben wirklich die Zeit zu reifen, um zu ihrer gefährlichen Mission etwas beitragen zu können, was über die speziellen physischen Kräfte und Fähigkeiten, die ihnen für diese Aufgabe verliehen werden, hinausgeht?«

Giles weigerte sich, den Fehdehandschuh aufzunehmen, den Desmond ihm zugeworfen hatte. Er und Desmond waren zwar die besten Freunde, was aber nichts daran änderte, dass ihre Meinungen über die Rolle der Jägerin weit auseinander gingen. »Sie ist sehr gut, weißt du.«

»Ja, und ich bin mir auch sicher, dass du sie gut trainierst, solange dir noch Zeit dafür bleibt.« Giles kratzte sich etwas unbehaglich im Nacken, denn er wusste, dass Desmond darauf anspielte, wie wenig Zeit einem Wächter manchmal für seine Aufgabe blieb. Er wusste, dass Desmond es nie verkraftet hatte, dass sein eigener Jäger, den er über viele Jahre ausgebildet hatte, gestorben war, bevor er die Gelegenheit gehabt hatte, die Ausbildung, die ihm Desmond gegeben hatte, zu nutzen.

»Die Forschungsergebnisse in dieser Sache sind ziemlich interessant.« Giles wechselte Das Thema in der Hoffnung, das Gespräch wieder in positivere Bahnen zu lenken. »Feen sind, wie du weißt, unserer Gruppe nicht ganz unbekannt.«

»Ja, dessen bin ich mir bewusst.«

»Hast du jemals eigene Erfahrungen mit ihnen gemacht?«

»Nein.«

Giles hatte schon die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht und nicht immer waren sie von seinen Mentoren geduldet worden. Das große Wissen, über das er

verfügte, führte zuweilen zu einer gewissen

Eigenmächtigkeit. »Du wirst es sicher bald selber

herausfinden. Die meisten Feen sind ziemlich hinterhältig. Sie lügen. Sie stehlen. Und einige schrecken selbst vor Mord nicht zurück.«

»So wie die, mit denen wir es jetzt zu tun haben.«

»Genau. Obwohl diese Gattung eigentlich nicht in dein Ressort fällt.«

»Darüber können wir immer noch entscheiden«, antwortete Giles. »Denn ihre Aktivitäten haben auf jeden Fall jemandem in Buffys Umfeld geschadet.«

»Mein Ratschlag in dieser Sache wäre, sich auf jeden Fall von ihnen fernzuhalten. Diese Elfen sind von einer sehr gefährlichen Sorte, mein Freund, und sie können dir auf lange Sicht sehr viel Kummer und Sorgen bereiten.«

»Das ist mir klar«, erwiderte Giles ungeduldig. Es verärgerte ihn ein bisschen, dass Desmond so lange um das Wesentliche herumredete. »Ich werde mir deinen Ratschlag auf jeden Fall zu Herzen nehmen.«

»Das wird dir gewiss von Nutzen sein. Vielleicht sollten wir jetzt zu den Feen in deinem speziellen Fall kommen, was meinst du?«

»Ja.«

»Die Schriften, die du auf der Ausgrabung gefunden hast, stammen von einem russischen Trapper, der einen Pelzhandelsposten im Nordwesten der Vereinigten Staaten hatte. Er entdeckte als Erster die Laterne, als sie hier auftauchte, und erfuhr von der Geschichte, die mit ihr zusammenhängt.«

»Was für eine Laterne?«, fragte Giles.

»Einige dieser Dinge werden in den Schriften nur angedeutet und nicht ausführlich erklärt, denn der Russe, der sie geschrieben hat, war offensichtlich selber nicht in alles eingeweiht. Du musst wissen, dass er selber unter Indianern lebte und für die russischen Händler an der ganzen nordwestlichen Pazifikküste Pelze kaufte und verkaufte. Er war auch Pelzjäger und stellte selber Fallen auf und manchmal reiste er mit seinen Leuten bis nach San Francisco hinunter, wenn die Wege in den Norden nicht passierbar waren. Dimitri, so heißt der Mann, der diese Schriften verfasst hat, kam nur wenige Jahre nach dem Goldrausch in Stitter's Mill nach San Francisco.«

Giles machte sich Notizen als Gedächtnisstütze. Eigentlich waren es eher unleserliche Ameisenfüße.

»In San Francisco entdeckte Dimitri die Laterne in einer Spelunke, wo sie von der Decke hing«, fuhr Desmond fort. »Er wusste zunächst nicht, was sie bedeutete, aber nachdem er sie sich genauer angesehen hatte, wusste er, dass sie aus Russland kam.«

»Nur aufgrund ihres Aussehens?«, fragte Giles. »Ich denke doch, dass das etwas weit hergeholt ist.«

»Nein, aufgrund ihrer Beschriftung«, antwortete Desmond. »Die Worte waren in russischer Schrift geschrieben. Der Besitzer der Spelunke hatte sie dekorativ gefunden und einige Kopien von ihr anfertigen lassen. Die Zeiten während des Goldrauschs waren verschwenderisch, vergiss das nicht. Als Dimitri las, was auf der Laterne stand, stand für ihn fest, dass er die echte Laterne finden musste. An diesem Punkt der Geschichte müssen wir in der Zeit noch weiter zurückgehen.«


28


Willow behielt trotz der Angst, die das Auftauchen der Elfen in ihr auslöste, einen kühlen Kopf, nur ihr Herz pochte heftig.

»Duck dich!«, rief Oz an ihrer Seite. Während er neben ihr herlief, kämpfte er sich aus seiner Jacke heraus. Dann drehte er sich blitzschnell um, holte mit der Jacke nach oben aus und versuchte nach einem etwa einen halben Meter großen Elf zu fischen, der mit seiner kleine Steinaxt bedrohlich nach Willow hieb. Die Jacke verfehlte ihr Ziel nicht und das fliegende Wesen verwickelte sich darin. Es stürzte zu Boden und gab mit quiekender Stimme Flüche von sich, während es mit seinen kleinen Händen und Füßen unter der Jacke herumstrampelte.

Ein Schwarm von winzigen Pfeilen schwirrte plötzlich durch die Luft. Ohne stehen zu bleiben, zog Willow den Kopf ein und schützte ihn mit ihren Händen. Oz hielt sich an ihrer Seite. Die scharfen Pfeile zischten in den Boden und blieben im Asphalt stecken. Willow rannte durch sie hindurch und spürte, wie die zarten Pfeile bei der leisesten Berührung zerbrachen.

»Willow!«, rief eines der Wesen hinter ihr her. Sie reagierte nicht darauf, sondern warf einen Blick zur Seite, um sich zu vergewissern, dass Oz immer noch bei ihr war. Nur noch wenige Meter trennten sie von dem Bus, als sie sah, wie Oz von einem der Pfeile in den Nacken getroffen wurde, wo er vibrierend stecken blieb.

Fast im gleichen Augenblick stolperte Oz über einen der Elfen, der zwischen seine Füße geflogen war, und fiel vornüber.

»Oz!«

Willow blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Die Feenwesen schwebten über ihr wie ein dichter Bienenschwarm, während das Mondlicht silbern glitzerte.

Sie packte Oz' Arm und spürte, wie er nur so um sich schlug und trat. »Oz!«

»Lauf!«, befahl er ihr mit schwacher Stimme. »Sieh zu, dass du hier wegkommst!«

Er versuchte auf die Beine zu kommen, aber es gelang ihm nicht. Er brach wieder zusammen. Willow zerrte verzweifelt an seinem Arm. Sie würde ihn hier unter keinen Umständen alleine zurücklassen. Er würde sie auch niemals alleine lassen. Oz sah zu ihr auf und versuchte seinen Arm aus ihrem Griff zu befreien, aber er war bereits zu schwach.

Plötzlich verdrehte er die Augen, sein Kopf fiel nach hinten und sein Körper wurde steif und schwer.

Willow konnte nicht feststellen, ob er noch atmete. Sie rief verzweifelt seinen Namen und versuchte ihn in Richtung Auto zu zerren, aber sie war zu schwach, um ihn mehr als ein paar Zentimeter über den Boden zu schleifen. Die Elfen holten sie ein und umzingelten sie.

Die Luft war erfüllt von dem Summen ihrer Flügel, die ständig in Bewegung waren. »Du musst mit uns kommen, Willow«, sagte der Elf vor ihr.

»Nein. Lasst mich in Frieden.« Sie ließ Oz immer noch nicht los und versuchte weiter, mit aller Kraft an ihm zu ziehen. Sein regungsloser Körper wog schwer und bewegte sich nur Zentimeterweise.

»Willst du denn die Kinder nicht retten?«, fragte der Elf sie.

»Ihr würdet das sowieso nicht zulassen«, erwiderte Willow resigniert. Oz, Oz, bitte komm wieder zu dir. Bitte wach auf.

»Du kannst nicht fortgehen, Willow. Du wirst den Wald retten. Du wirst uns retten.«

Der Elf griff in seine Tasche und warf eine Handvoll glitzernden Feenstaub in ihr Gesicht. Willow wehrte sich dagegen und versuchte den Staub nicht einzuatmen.

Aber der Staub fiel auf ihre Augen und wurde von ihrer Haut aufgesogen. Eine bleischwere Müdigkeit nahm ihr die Sinne und sickerte in weiten Kreisen immer tiefer in ihr Gehirn. Sie sah noch, wie der Asphalt plötzlich rasend schnell auf sie zukam, doch den Aufprall spürte sie schon nicht mehr.


29


»Die echte Laterne ist in Russland hergestellt worden«, hörte Giles Desmond sagen. »Ich habe diese Geschichte von einem Kollegen aus meinem Zirkel erfahren. Er hat die Geschichte übersetzt und hatte die Gelegenheit, Nachforschungen darüber anstellen zu können. Eine namhafte russische Familie, die zum Adel gehörte, war beim Zaren und beim Hof in Ungnade gefallen, weil sie an einem Umsturzversuch beteiligt war, und musste nach St. Petersburg fliehen, um der Todesstrafe zu entgehen.«

»Nicht gerade ein alltägliches Familienereignis«, bemerkte Giles trocken.

»Sicher nicht«, bestätigte Desmond. »Diese Familie hatte angeblich ihren Reichtum und ihre Macht einem Domovoi zu verdanken. Die Legende besagt, dass einstmals einer der Patriarchen der Familie einem Elfenkönig mit Namen Elanaloral geholfen und damit seine ewige Dankbarkeit gewonnen hatte.«

»Und worin äußerte sich seine Dankbarkeit?«

»In einer der Legenden, auf die ich bei meinen eigenen Nachforschungen stieß, heißt es, dass Elanaloral seinen eigenen Aufstieg an die Spitze des Elfenreiches der Familie zu verdanken hatte, die ihm geholfen hatte, seine Rivalen zu bekämpfen. Der Elfenkönig nutzte seine eigene Macht, um der Familie und allen ihr folgenden Generationen Reichtum und Macht zu verleihen. Man sagt, dass wenn sich das Oberhaupt der Familie auf Elanaloral verlassen hätte, er zum Zar von Russland hätte werden können. Wie auch immer, der Mann konnte es nicht erwarten.

Es genügte ihm nicht, die nachfolgende Generation seiner Familie an der Macht zu sehen. Er wurde zu ehrgeizig und versuchte einen Staatsstreich auszuführen. Er wurde zum Tode verurteilt und konnte trotz der Hilfe der Elfen nur knapp dem Tode entkommen. Die Soldaten des Zaren verfolgten ihn bis an die Küste, wo er für sich und seine Familie Schiffspassagen für eine Überfahrt zu den neuen Kolonien gekauft hatte.«

»Nach Kalifornien?«

»Man glaubt, dass das ursprüngliche Ziel der Familie Alaska war. Dort breiteten sich auf Grund des Pelzhandels immer mehr russische Siedlungen aus. Die Familie nahm Elanaloral und sein ganzes Gefolge mit sich, denn sie konnten es nicht riskieren, dass der Domovoi entdeckt wurde. Sie waren tagelang auf der Flucht, mussten sich verstecken und manchmal auch um ihr Leben kämpfen, bis sie die Küste und das rettende Schiff erreichten. Als sie sich endlich auf dem sicheren Schiff befanden, wurden König Elanaloral und sein Gefolge in eine Laterne gesperrt, die es ihnen leichter machte, die Reise zu überstehen.«

»Und das ist die Laterne, die Dimitri in der Spelunke in San Francisco gefunden hat.«

»Genau. Der Mann hatte also Tickets für sich und seine Familie gekauft und das Schiff stach in See. Unglücklicherweise kam das Schiff, wie so oft in diesen Zeiten, nicht an. Es sank in einem schweren Sturm irgendwo vor der kalifornischen Küste. Als Dimitri mit dem Besitzer des Wirtshauses sprach, erfuhr er, dass die Laterne als eines der wenigen übrig gebliebenen Stücke aus dem Schiffswrack geborgen werden konnte, das ein paar Jahre zuvor an der Küste nahe der Stadt angeschwemmt wurde. Normalerweise werden Metalle von salzigem Meerwasser zerfressen und von anderen Elementen zerstört, aber Platin und Gold überstehen so was unbeschadet.«

»Und dieser Spelunkenbesitzer hatte nicht erkannt, dass die Laterne aus Gold war?«, fragte Giles.

»Sie war aus Platin«, stellte Desmond richtig. »Und der Besitzer der Spelunke dachte anscheinend, dass sie aus Silber war, was in einem Land mit so vielen Goldminen als nahezu wertlos galt. Nachdem er die Geschichte über die Laterne erfahren hatte, war sich Dimitri sicher, dass dies die Laterne aus den Legenden sein musste.«

»Warum interessierte er sich so für diese Laterne?«

»Sie sollte angeblich besondere Kräfte besitzen«, erklärte Desmond. »Man sagt, dass sie Krankheiten bekämpfen und große Macht verleihen konnte. Alles Dinge, nach denen die Menschen in der damaligen Zeit gesucht haben.«

»Und heute eigentlich auch noch«, warf Giles ein. Diese Laterne ließ ihn nichts Gutes ahnen. »Also, was war denn nun in der Laterne?«

»Darüber weiß man nichts. Vielleicht ein Paralleluniversum in Taschenformat. Vielleicht aber auch gar nichts. Was auch immer es war, fest steht, dass es den Elfenkönig und seine Untertanen, die darin gefangen waren, nach einer Weile ziemlich verrückt machte.«

»Verrückt?« Giles hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend.


30


Buffy durchbrach das Gestrüpp, dicht gefolgt von Angel. Sie hatten erst gar nicht versucht, leise zu sein. Sie waren einfach in die Richtung losgestürmt, aus der Willows Schrei, der erst vor einigen Sekunden verhallt war, zu kommen schien. Buffy wandte sich nach links und erkannte Oz' Bus, der mitten auf der Straße stand. Vor dem Bus auf dem Boden lag Oz mit ausgebreiteten Armen und Beinen, über ihm eine kleine Wolke aus Seifenblasen. »Oz!«, schrie Buffy. Sie lief auf ihn zu und warf dabei hastige Blicke um sich. Willow war nirgendwo zu sehen.

Die Formation von flimmernden Seifenblasen brach auseinander. Sie formten eine Ranke, die sich auf Buffy zu bewegte. Als sie sich näherte, erkannte Buffy, dass das Glitzern von transparenten Flügeln herrührte. Sie sah auch die winzigen Waffen, die die Seifenblasen trugen und die das Mondlicht funkelnd reflektierten. Sie rief Angel eine Warnung zu und nahm Verteidungsposition ein.

Der anführende Elf trug ein kleines, aber unglaublich scharfes Schwert, das er auf Buffy richtete. Die Klinge sauste knapp an ihrem Kopf vorbei.

Sie duckte sich unter dem Schwertstreich und traf den Elfen mit einem blitzschnellen Tritt, als sie sich wieder aufrichtete. Das Wesen flog hinten über und seine Flügel flatterten hektisch in der Luft, während Buffy nach zwei weiteren Elfen trat, die auf sie zukamen. Nur wenige Schritte von ihr entfernt war Angel in Aktion. Sowohl mit den langen Enden seines Mantels als auch mit seinen Händen kämpfte er unermüdlich gegen die fliegenden Elfen an. Sie kreischten und quiekten mit ihren hohen Stimmen, schlugen wild mit ihren Flügeln um sich und versuchten ständig einen neuen Angriffspunkt zu finden. Buffy bemerkte, dass es für sie leichter war, gegen eine ganze Gruppe von Elfen zu kämpfen als gegen jeden Elf einzeln. In der Gruppe bewegten sie sich ungeschickt und nahmen sich gegenseitig Platz weg. Endlich erreichte sie Oz und versuchte ihn zu schützen. Dabei fiel ihr Blick auf den Pfeil in seinem Nacken. Ein Pfeil schwirrte durch die Luft, pfiff seitlich durch ihr Haar und verfehlte ihr Gesicht nur knapp. Sie machte einen Ausfallschritt, trat, traf und setzte ihren Fuß auf den Elf. Er schrie vor Schmerz und wand sich ein paar Mal auf dem Asphalt hin und her, bevor er wieder imstande war, zu fliegen. Sie versuchte sich an alles zu erinnern, was Willow und Giles an jenem Morgen über die Elfen gesagt hatten, und suchte nach einer Schwäche, die sie im Kampf gegen diese Wesen ausnutzen konnte. Ihr fiel ein, dass Giles von Eisen gesprochen hatte. Gut zu wissen, aber sie hatte leider keins dabei. Sie kämpfte weiter und versuchte die Elfen von Oz fernzuhalten.

Eines der Wesen griff in einen kleinen Ledersack an seiner Seite. Er flog dicht an sie heran und warf eine Handvoll schimmernden Staub nach ihr. Buffy trat zurück und wich dem Feenstaub aus, indem sie einen Salto rückwärts machte und gleichzeitig zwei weitere Elfen mit gezielten Tritten zu Boden schickte. Sie atmete tief, um Sauerstoff in ihre Lungen zu pumpen. Angel brauchte sie vor dem Staub nicht zu warnen, da er ohnehin nicht atmete. Die Elfen zogen sich etwas zurück.

Sie schienen vorsichtiger geworden zu sein. Sie formierten sich neu und ließen dabei mehr Platz zwischen sich. Ein weiteres Dutzend schwirrte aus Angels Richtung hinzu. Keiner von ihnen hatte auch nur die geringste Verletzung davongetragen. Jeder Elf, der getroffen worden war, hatte sich in kürzester Zeit wieder erholt. Vier Pfeile zischten auf Buffy zu. Sie warf sich zur Seite und rannte auf das Gebüsch zu. Sie vollführte einen weiteren Überschlag und suchte dann Schutz im Unterholz. Ihre Augen wanderten über den Boden und sie fand ein paar Steine, die genau die richtige Größe zu haben schienen. Sie sammelte sie mit ihrer linken Hand auf und trat dann wieder aus dem Gestrüpp hervor, während die Elfen nervös umherschwirrten. Sie warf die Steine wie Wurfsterne und schleuderte sie mit geradezu unheimlicher Zielsicherheit auf die Elfen, die durch den heftigen Aufprall rückwärts geschleudert wurden.

Plötzlich rief einer der Elfen die anderen zum Rückzug auf. In wahren Massen erhoben sie sich flatternd in die Lüfte und flogen davon. Buffy setzte zur Verfolgung an und war verzweifelt bemüht, nicht zu weit zurückzufallen. Sie hatte Willow nirgendwo erblicken können, wusste aber ganz genau, dass sie zusammen mit Oz unterwegs gewesen war. Er hätte sie niemals alleine gelassen. Aber noch nicht einmal die Schnelligkeit der Jägerin half ihr, mit den Elfen, die in Sekundenschnelle verschwunden waren, mitzuhalten. Sie drehte sich um und sah Angel dicht hinter sich.

»Sie sind davongekommen«, sagte sie angewidert.

»Sie werden nicht weit kommen«, tröstete Angel sie. »Wir werden sie finden und wir werden Willow finden.«

Buffy nickte und ging dann den Weg zur Straße zurück. Sie kniete sich neben Oz auf den Boden und rollte ihn vorsichtig auf den Rücken.

Er blinzelte mit den Augen und sah zu ihr auf. »Willow«, brachte er mühsam hervor und seine Augen nahmen einen sorgenvollen Ausdruck an.

Buffy zögerte, weil sie Oz die schlechten Nachrichten nicht gerade jetzt mitteilen wollte. »Die Elfen haben sie mitgenommen!«, sagte Angel sanft und legte eine Hand auf Oz' Schulter. »Aber wir werden sie zurückbringen.«

Oz nickte schwach. »Sie sagte, sie hätte das Baby wieder gesehen, Tad. Deshalb haben wir angehalten.«

»Es wird alles gut werden«, versprach Buffy. »Wir rufen Giles und Xander an und dann werden wir uns an die Verfolgung machen. Jetzt brauchen wir erst mal ein Telefon.« Sie half ihm auf die Beine.


31


»Die Elfen wurden verrückt?«, wiederholte Giles und unterstrich das Wort auf seinem Notizblock. »Verrückt im Sinne von wahnsinnig?«

»Dimitri zufolge im Sinne von total wahnsinnig«, antwortete Desmond. »Dem Russen gelang es, die echte Laterne ausfindig zu machen, sie aus der Spelunke zu stehlen und mit ihr zu fliehen. Der Besitzer hatte sie ihm nämlich nicht verkaufen wollen.«

»Und wie kam Dimitri dann nach Sunnydale?«

»Er kannte einen der hier ansässigen Indianerstämme, und zwar genau den, dessen Fischerdorf gerade von dem archäologischen Team freigelegt wird«, erwiderte

Desmond. »Dimitri hatte schon vor seinen Handelsreisen bei ihnen gelebt und wurde von ihnen willkommen geheißen. Während er bei ihnen blieb, gelang es ihm, das Rätsel der Laterne zu lösen und den Bann, der die Elfen in der Laterne gefangen hielt, zu brechen.«

»Hat er sie befreit?«

»Nur einige von ihnen«, sagte Desmond. »Wie viele genau wird in der Geschichte nicht erwähnt, auf alle Fälle genug, um Dimitri davon zu überzeugen, dass sie unberechenbar waren. Wie viele auch immer, jedenfalls machten sich die freigelassenen Elfen auf die Suche nach anderen übernatürlichen Wesen in diesen Wäldern, die ihnen helfen sollten, den Rest ihrer Truppe aus der Laterne zu befreien.

Und trafen dabei auf die Vampire. Da die Elfen ihr Vertrauen in die Menschen verloren hatten, schlossen sie einen Pakt mit den Vampiren in dieser Gegend. Im Gegenzug beschützten die Elfen die Vampire und hielten Gefahr von ihnen fern. Wenn ein beschützter Vampir gepfählt wurde, sammelten die Elfen seinen Staub auf und erweckten ihn kraft ihrer Magie wieder zum Leben. Dann passierte das, was immer geschieht, wenn jemand zu leicht zu Macht kommt...«

»Die Vampire wollten mehr«, mutmaßte Giles. »Und die befreiten Elfen auch. Sie griffen das Indianerdorf an und versuchten die Laterne zu erobern, um den Rest ihres Volkes zu befreien. Auch die Vampire kämpften gegen die Indianer, jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Nun hatte der Angriff auf sein Volk das Interesse des Häuptlings an der Laterne geweckt. Zwar hatte er Dimitri versprochen, auf sie aufzupassen, doch als er mitansehen musste, wie seine Stammesbrüder von den Vampiren getötet wurden, brachte der Häuptling die Laterne in seinen Besitz. Unsere Aufzeichnungen enden hier, aber sie lassen vermuten, dass sich die Laterne auf der Ausgrabung befindet.«

»Was geschah mit Dimitri?«

»Er wurde für den Angriff auf den Stamm verantwortlich gemacht«, erzählte Desmond. »Sie vertrieben ihn aus ihrem Lager. Nachdem der Häuptling entdeckt hatte, dass sie in der Laterne eingesperrt waren, schloss er ein Bündnis mit König Elanaloral. Als Gegenleistung dafür, dass der Häuptling das Elfenvolk vom Bann der Laterne befreite, versprach der Elfenkönig, die Indianer und ihren Wald zu beschützen.«

»Aber die Indianer wurden getötet!«

»Letztendlich schon«, stimmte Desmond zu. »Aber bei den ersten Ausgrabungen der Archäologen scheint alles darauf hinzudeuten, dass die Bevölkerung des Stammes durch interne Fehden dezimiert wurde und einer Seuche zum Opfer fiel.«

Giles blätterte in seinen Notizen, zurück zu den Aufzeichnungen, die er sich zu Willows Bericht über die Entführung des Campbell-Babys gemacht hatte. »Was ist ein Erdstein und welche Bedeutung hat er?«

»Ah, der Erdstein!«, rief Desmond aus. »Und genau hier beginnt die ganze Geschichte noch spannender zu werden.«


32


Die Leichtigkeit, mit der Hutch durch das Sicherheitssystem von Gallivans Computernetzwerk glitt, erstaunte Xander. Er blickte seinem Freund über die

Schulter und lauschte dem Rhythmus, den Hutch auf die Tastatur hämmerte.

Zahllose Namen, Nummern und Videos glitten über den Bildschirm. Die Abstände zwischen den verschiedenen Sites innerhalb des Systems wurden nach jeder Eingabe länger, weil das Schutzprogramm ablief. Und Xander fühlte sich bei jeder Eingabe unwohler.

»Wonach suchst du?«, fragte er im Flüsterton.

Hutchs Finger waren pausenlos in Bewegung. »Nach nichts Bestimmtem.«

»Du machst aber ganz so den Eindruck.«

Hutch grinste. »Und wonach würdest du suchen, wenn du hier sitzen würdest?«

»Vielleicht nach einer Liste mit den Namen der Babies, die vermisst werden«, erwiderte Xander schulterzuckend. »Nach Informationen darüber, ob Gallivans Leute bei ihrer Suche nach den Kindern schon etwas herausgefunden haben.«

»Die Liste mit den Namen der Babies habe ich bereits auf Diskette gespeichert. Und jetzt durchbreche ich gerade das Sicherheitsprogramm. Ich knacke den Code für das Suchprogramm.«

Xander sah ihm fasziniert zu. Bildschirmseiten flogen nur so vorbei. Ab und an konnte er ein Wort oder sogar einen ganzen Satz entziffern. Sein sechster Sinn, der ihn stets warnte, wenn Gefahr im Verzug war, gab erste Signale von sich. Das Warnzeichen war nicht so stark wie bei der Begegnung mit einem Vampir, wenn Kampfoder Fluchtinstinkte freigesetzt wurden, aber deutlich genug, um es nicht zu ignorieren.

»Sie haben den Wald abgesucht«, riss ihn Hutch aus seinen Gedanken. »Ich rufe gerade die topographischen Karten und Luftaufnahmen auf.« »Gallvians Leute suchen im Park nach den Kindern?«, fragte Xander.

»Yep. Sie suchen dort nach den vermissten Kindern - und anderen Dingen.«

»Was für andere Dinge?«

»Höhlen. Tunnel. Stätten früherer Kulturen«, erwiderte Hutch.

»Wie das indianische Dorf zum Beispiel?«

»Ja.« Ein besorgter Gesichtsausdruck zeigte sich plötzlich auf Hutchs Gesicht. »Die Laterne! Sie suchen nach der Laterne!«

»Was für eine Laterne?«, fragte Xander erstaunt.

Hutch schien für einen Moment zu zögern, dann schüttelte er den Kopf. »Ich weiß es nicht. Hier ist nur eine Laterne erwähnt.«

»Warum sollte sich Gallivan für so etwas interessieren?«

»Davon steht hier nichts. Vielleicht fragst du ihn mal.«

»Alles klar.« Plötzlich wurde der ganze Bildschirm schwarz. »Das Sysop hat mich entdeckt«, erklärte Hutch und begann noch schneller auf die Tastatur einzuhämmern. »Es versucht mich rauszuschmeißen.«

»Dann lass uns verschwinden«, schlug Xander vor.

»Wir haben für den Anfang genug gefunden. Wir wissen jetzt schon einiges mehr als vorher.«

»Nein«, erwiderte Hutch. »Da ist noch eine Kleinigkeit, die ich wissen muss. Der Ort muss angegeben sein. Da bin ich mir ganz sicher.«

»Was für ein Ort?« Xander war schon ganz unruhig. »Komm schon, Hutch, wenn Gallivans ComputerSicherheitssystem uns entdeckt hat, sollten wir schleunigst die Düse machen.«

»Da ist er!« Hutch hämmerte mit Höllengeschwindigkeit auf die Tastatur ein.

Plötzlich wurde der Bildschirm wieder hell und eine Reihe verschiedener Karten war zu sehen. Hutch grinste breit. »Yeah! Ich habs!«

»Du hast was?«

»Das, wonach ich gesucht habe, Xander!«

»Vielleicht habe ich da ja was falsch verstanden, Hutch«, sagte Xander, der einen vorsichtigen Blick aus der Tür geworfen hatte, »aber ich war der Meinung, dass das hier ein Gemeinschaftsprojekt ist.«

»Ist es ja auch«, bekräftigte Hutch. »Nur dass einige Teile gemeinschaftlicher sind als andere.« Er drückte auf die Eject-Taste des Diskettenlaufwerks und der Computer spuckte die Diskette aus. Er fing sie in seiner Handinnenfläche auf und ließ sie in die Brusttasche seines Hemdes gleiten. »Dann lass uns düsen.« Er lief an Xander vorbei auf die leere des Büros zu.

Xander starrte auf die Datei, die Hutch markiert hatte.

Blitzschnell schob er eine andere Diskette in das Laufwerk und kopierte die Datei. Der Vorgang dauerte nur ein paar Sekunden. Er ließ die Diskette herausfahren und rannte hinter Hutch her. Genau in diesem Augenblick flackerte der Lichtschein einer Taschenlampe im Dunkel des Flurs auf. Hutch, alter Freund, dein Interesse an der ganzen Sache scheint weit über die Hacker-Nummer hinauszugehen. Höchste Zeit herauszufinden, worum es hier geht. Xander stopfte die Diskette in seine Hosentasche und beeilte sich, Hutch einzuholen. Irgendwo in der Dunkelheit knackte ein Walkie-Talkie und hallte im Flur wider. Hutch blieb an der Tür stehen und spähte hinaus. Xander hielt sich an seiner Seite und sah ebenfalls auf den Flur hinaus. Er entdeckte zwei Security-Typen mit brennenden Taschenlampen, die sich von beiden Seiten des Flurs näherten und sämtliche Türen aufrissen. Bevor er den Kopf zurückziehen konnte, hatte ihn ein Lichtstrahl erfasst und er blieb wie angewurzelt stehen.

»Da!«, schrie der Wächter.

»Hey, du«, brüllte der andere. »Stopp!«

Na, das war ja ein toller Vorschlag, dachte Xander bei sich. Niemals! Er warf sich nach vorne, um dem Strahl der Taschenlampe zu entkommen, und rannte durch den Flur. Hutch war dicht vor ihm und lief so schnell ihn seine Beine trugen.

»Beeil dich«, rief Hutch ihm zu. Er raste zum Treppenhaus und riss die Tür auf. Hutch gelang es, als Erster die Treppen hinter sich zu bringen, während Xander auf einem der Treppenabsätze gegen die Wand prallte und wertvolle Sekunden verlor.

Jeder Atemzug brannte in seiner Kehle. Hutch war zwar um einige Kilo schwerer als er, dennoch fiel Xander immer weiter hinter ihm zurück. In diesem Moment schlug der Alarm an und hallte heulend im ganzen Treppenhaus wider.

Auf der ersten Etage rannte Hutch durch den Eingang zum Treppenhaus in den Flur zurück - und mitten in den Lichtschein von Taschenlampen, die weitere Wächter auf ihn gerichtet hielten. Er bremste jäh und Xander warf sich zurück ins Treppenhaus. Er konnte es sich gerade noch verkneifen, Hutchs Namen auszurufen. Mann, wie hatte er sich nur zur dieser Sache überreden lassen können? Geschnappt zu werden war das absolut Letzte! Trotz zunehmender Nervosität versuchte Xander sich still zu verhalten. Er hörte, wie die Wächter die Treppe herunterpolterten und ihre Schritte immer näher kamen.

Zögernd entfernte er sich von der Tür, konnte aber dennoch beobachten, was auf dem Gang geschah.

Hutch erstarrte mitten in seinem Lauf, als ihm der Wächter befahl, sich nicht zu bewegen. Dann täuschte er eine Bewegung nach links vor, der der Wächter folgte, um ihm den Weg aus der Tür zu versperren. Doch Hutch warf sich jäh nach rechts, ließ die Tür los und verschwand im Dunkeln, außerhalb der Sichtweite des Wächters. Der Nachtwächter richtete seine Taschenlampe auf den Punkt, wo Hutch eben noch gestanden hatte. Er schien wie vom Boden verschluckt.

Xander traute seinen Augen nicht. Er ließ seinen Blick umherschweifen, fand aber nirgendwo auch nur die geringste Spur seines Freundes. Für einen Moment war er wie erstarrt und lauschte den Wächtern, die über ihre Walkie-Talkies miteinander sprachen. Dann schlug die Treppenhaustür zu. Xander duckte sich und sprintete die restlichen Stufen hinunter, bis er die Tiefgarage erreicht hatte.

Er duckte sich zwischen den parkenden Autos und rannte dann in Richtung Ausgang, wo er dem Parkwächter lässig zuwinkte. Draußen angekommen, fiel sein Blick auf den kleinen Kiosk auf der anderen Seite der Straße. Er setzte in dem Moment zum Sprint an, als einer der Nachtwächter aus dem Haupteingang des Gebäudes kam.

Xander platzte in den Laden und stürzte auf den öffentlichen Fernprecher. Er rief Buffy an, musste aber von ihrer Mutter erfahren, dass sie nicht zu Hause war.

Bei Giles sprang der Anrufbeantworter an.

Er versuchte es bei Cordelia zu Hause. Sie war gerade auf dem Weg nach draußen.

»Hey, Cordelia, ich bin es, Xander.«

»Wo hast du gesteckt?«, fragte sie ihn vorwurfsvoll. »Buffy hat mich gerade angerufen. Willow ist von den Elfen entführt worden. Ich bin gerade auf dem Weg zum Park.«

Die Nachricht traf Xander wie ein Schlag in die Magengrube. Er starrte auf die Reihen von Chips, Erdnüssen und Süßigkeiten und versuchte sich weiterhin so zu verhalten, als wenn alles in bester Ordnung wäre.

»Ich brauche jemand, der mich abholt«, brachte er heraus. »Ich stecke fest.« Er nahm die Diskette aus seiner Hosentasche und starrte darauf. »Und wir müssen bei Willow vorbeifahren, um ihren Laptop mitzunehmen. Ich glaube, ich habe ein weiteres Stück in unserem Puzzle gefunden.«

Und Hutchs unerklärliches Verschwinden im Treppenhaus des Bürogebäudes fügte dem Ganzen noch ein fehlendes Stück hinzu. Unnatürlich lange Finger, ein unersättlicher Appetit und ein bösartiger Humor. Es konnte gar nicht anders sein!

»Giles ist da.« Oz, der hinter dem Lenkrad seines Busses saß, deutete durch das Heckfenster des Busses nach draußen. Buffy sah auf die Straße und bemerkte das kleine Auto des Wächters, das an der Ecke mit dem 24-Stunden-Kiosk geparkt war.

Sie hatten vereinbart, sich an dieser Ecke, die nur ein paar Straßen vom Park entfernt war, zu treffen. Sie wollten erst einen Plan für das weitere Vorgehen entwerfen, bevor sie in den Park zurückkehrten.

Oz drehte das Lenkrad und fuhr auf den Parkplatz, wo er nur knapp einen hippen Geländewagen verfehlte, der so gar nicht zum Stil des Viertels passte. Er bremste abrupt und mit quietschenden Reifen. Buffy kletterte nach hinten in den Bus, um die Waffen, die sie für diese Nacht ausgewählt hatte, zusammenzusuchen.

Giles sah sie durch das Fenster und kam sofort zu ihr herüber. Er trug eine abgewetzte Ledertasche unter dem Arm und sah sehr ernst, fast grimmig aus.

»Buffy«, begrüßte er sie. »Xander und Cordelia sind auch gerade eingetroffen. Ich habe die Befürchtung, dass die ganze Angelegenheit sehr viel ernster ist, als ich zuerst angenommen habe.«

Buffy warf sich ihre Segeltuchtasche über die Schulter und erblickte Xander und Cordelia, die eilig auf sie zukamen. »Okay«, sagte sie und holte tief Luft. »Sag mir, wie ernst es ist, und zwar auf einer Skala von eins bis zehn. Wobei eins bedeutet, das gleiche Abschlussballkleid zu tragen wie ein Dutzend anderer Mädchen und zehn nach einer missglückten Schönheitsoperation so auszusehen, als wenn du bei Twilight Zone mitspielen möchtest.«

»Ich habe das Dokument, das wir auf der Ausgrabung gefunden haben, übersetzen und analysieren lassen«, erklärte Giles hastig. »Wir haben es in der Tat mit Elfen zu tun!«

»Giles, sie haben Flügel, ein schlechtes Benehmen, werfen mit Schlafsand und kämpfen mit mikrowinzigen Waffen. Selbst Timmy würde mit ihnen fertig werden, und zwar ohne dass Lassie ihm vorbellt, wie.«

»Es handelt sich hier um eine besondere Gattung.« In seiner britischen Art blieb Giles vollkommen ungerührt. »Es sind russische Domovoi. Wir können auf dem Weg in den Park darüber sprechen, was ich herausgefunden habe. Wir nehmen Oz’s Bus.«

Willow erwachte mit einem bohrenden Kopfschmerz.

Er pulsierte in ihren Schläfen und ein kalter klammer Schweiß bedeckte ihren Körper. Sie vernahm um sich herum Geräusche wie von flatternden Flügeln und öffnete vorsichtig die Augen.

Sie lag auf dem Boden einer finsteren Höhle, von deren Decke unzählige Fledermäuse herabhingen. Einige von ihnen hatten ihre Mäuler weit aufgerissen und starrten Willow mit gierigen Augen an. Okay, das war nicht gerade der Ort ihrer Träume. Es kostete sie einige Anstrengung, ruhig zu bleiben. Innerlich zitterte sie vor Angst, möglichst keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Sie versuchte die Höhle aus den Augenwinkeln zu betrachten, ohne ihren Kopf zu bewegen. Sie entdeckte etwa ein Dutzend Elfen, die durch die Höhle eilten. Sie konnte nicht erkennen, wie groß die Höhle war, aber sie vermutete, dass sie riesige Ausmaße hatte. Sie wirkte größtenteils wie von der Außenwelt unberührt, bis auf einige Spuren an den Wänden, die von irgendwelchen Werkzeugen herrührten. Zu ihrer Linken führte eine Tür, die so klein war, als wäre sie für Kinder gemacht, in eine weitere Höhle. Die Elfen schwirrten durch die Dunkelheit und entzündeten Kerzen, die auf dafür vorgesehenen Vorsprüngen in der Felswand steckten. Die aromatisierten Kerzen, die die Luft mit einem schweren Duft erfüllten, tauchten die Höhle in ein sanftes goldenes Licht. Das leise Murmeln der Elfen bildete einen Klangteppich, der durch den Raum schwebte.

Ein Summen ertönte dicht über Willows Kopf. Sie schloss fest die Augen und versuchte so ruhig zu atmen, als wenn sie schliefe.

»Es ist sinnlos, Willow«, ertönte eine unheimliche Stimme. »Wir wissen genau, wann du schläfst und wann du wach bist.« Kalte, spitze Krallen fuhren über ihre Wangen.

»Du musst aufstehen. Wir haben lange genug auf dich gewartet!«


33


»Also, diese Laterne hat das ganze Aladin-Programm drauf«, resümierte Xander auf der Rückbank von Oz' Bus. »Bloß die Wunderlampe reiben und man hat einen Wunsch frei. Endlich kannst du für immer dein Leben ändern.«

Giles nickte. »Genau. Und irgendetwas Wahres muss dahinter stecken. Da der Laterne solche Kräfte zugesprochen werden, werden eine ganze Menge Leute daran interessiert sein, sie zu finden und zu behalten.«

»Nicht zuletzt die Vampire«, ließ sich Angel ruhig aus dem Dunkeln heraus vernehmen. »Sie wissen ebenfalls von den Kräften dieser Laterne. Das ist der Grund, warum sie alle hier sind.«

»Ja«, sagte der Wächter. »Aber die Elfen sind obendrein bösartig und vor allem haben sie ihre eigenen Vorstellungen davon, was sich heute Nacht abspielen soll.«

Und Willow ist diesen Wesen in die Hände gefallen, dachte Buffy entsetzt und warf einen Blick auf Oz, der den Bus in rasendem Tempo zu der Stelle steuerte, an der Willow von den Elfen entführt worden war. Sorgenvoll starrte Buffy ins Dunkle.

Die spitzen Krallen umklammerten Willows Kinn mit erstaunlicher Kraft. Sie stieß einen Schmerzensschrei aus, als der Elf sie auf die Beine zehrte. Andere Elfen flogen über sie hinweg und stellten sich im Kreis um sie herum auf. »Folge uns!«, befahl der Elf ihr. Er übernahm die Führung und flog nur wenige Zentimeter vor ihr her.

»Wo ist Oz?«, fragte sie, ohne sich von der Stelle zu rühren.

»Stell meine Geduld nicht auf die Probe«, drohte das Wesen ihr. »Entweder du gehst jetzt mit uns oder du wirst schlafen. König Elanaloral wollte dich sehen, um dir zu erklären, welchen großen Dienst du für unser Volk verrichten wirst.« Es starrte sie an.

»Ich halte das zwar für unnötig, aber er ist der König.« Der Elf gab ein Zeichen mit der Hand, worauf eines der Wesen hinter Willow seinen Speer in Willows Knie stieß.

Willow schrie auf vor Schmerz und griff nach ihrem Bein. Die Wunde war nicht groß, aber sie schmerzte und brannte. Vermutlich war die Spitze des Speers mit einer giftigen Flüssigkeit präpariert worden. Widerwillig folgte sie dem Anführer der Elfen in einen Teil der Höhle, der noch heller vom Glanz der Kerzen erleuchtet war. Sie ging ohne anzuhalten hinter dem Elf her und lauschte dem Echo ihrer Schritte, das von den Wänden widerhallte.


34


»Was haben die Elfen mit Willow vor?«, fragte Buffy. »Sie sind doch nur auf sie aufmerksam geworden, weil sie gegen Gallivans Vorhaben protestiert hat. Sie ist doch auf ihrer Seite.«

»Ja, ich bin mir sicher, dass das anfänglich die Aufmerksamkeit der Elfen auf Willow gelenkt hat, aber ich weiß nicht, ob sie das jetzt vor ihren Plänen schützt.« Giles zögerte einen Moment. »Die Elfen sind geschult darin, andere Wesen mit übernatürlichen Kräften zu erkennen. Vor langer Zeit haben sie sich an die Vampire gewandt.«

»Warum nicht jetzt wieder?«

»Weil Vampire nicht rein sind«, erwiderte der Wächter. »Sie tragen die Saat des Bösen in sich. Und sie sind schon tot.«

»Schon tot?«, wiederholte Oz. »Schon tot, haben Sie gesagt?«

»Ich glaube, die Elfen beabsichtigen, Willow zu opfern«, erklärte Giles ihnen. »Damit wollen sie den so genannten Erdstein mit neuer Kraft aufladen.«

Buffy schlang die Arme um ihren Körper und begann zu zittern. Eine fast unnatürliche Kälte ließ sie erschauern.

Willow duckte sich unter der kleinen Tür hindurch und stützte sich mit einer Hand an der kalten Steinwand ab, um ihr Gleichgewicht zu wahren. Der Raum hinter der Tür hatte die Form eines ovalen Zimmers, dessen hinteres Ende wie eine abgerundete Pfeilspitze geformt war. »Komm herein, Hexe«, befahl eine raue Stimme. »Damit ich dich besser sehen kann.«

Widerstrebend betrat Willow das kleine Zimmer. Sie war umgeben von Speeren, deren Spitzen auf sie gerichtet waren. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und eine Gänsehaut lief über ihren Rücken. Am anderen Ende des Raumes saß ein Elf auf einem geschnitzten Holzthron, der in die weit auseinander klaffenden Kieferknochen einer steinernen Schädelskulptur eingelassen war. In den leeren Augenhöhlen glühten orangefarbene Kohlenfeuer, die dem Schädel einen unheilvollen Blick verliehen. Die rötlichen Lichter tanzten über dem Elf, der vielleicht einen halben Meter groß war, wenn er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete.

»Komm näher«, befahl der Elfenkönig. »Ich will das wunderbare Wesen ansehen, von dem Chammeus sagt, dass es uns zur Wiedererlangung unserer Macht verhelfen wird.«

Wunderbares Wesen? Das ist doch eigentlich eine positive Bezeichnung, oder?

Warum hatte sie dann nur so ein ungutes Gefühl? Näher an dieses Wesen heranzutreten war das Letzte, was Willow wollte, aber sie hatte das Gefühl, keine Wahl zu haben. Ihre Beine bewegten sich, als ob sie einem fremden Willen gehorchten. Als sie sich dem Thron näherte, konnte sie den alten Elf genauer betrachten.

Er war spindeldürr und sah aus, als wenn man seine leichenfahle Haut straff über ein Skelett gespannt hätte. Eine wulstige Stirn sprang über einem Paar eng beieinander stehender schwarzer Augen hervor. Sein scharf geschnittenes Gesicht wirkte eingefallen, obwohl die große Nase diesen Eindruck wieder etwas verwischte.

Seine krummen Finger waren gespreizt und konnten das Zepter aus Knochen und Jade kaum fest umfassen.

Eine Krone aus lose verflochtenen Zweigen saß schief auf seinem schmalen Haupt.

»Auf die Knie, Kind!«, befahl er in seinem rasseligen Tonfall. »Ich, Elanaloral, König der Schattenwesen, befehle dir, mir zu gehorchen.«

Willow widersetzte sich seinem Befehl mit zitternden Knien. »Wo sind die Kinder?«, fragte sie tapfer.

Das hagere Gesicht des greisen Königs verzerrte sich vor Wut und seine Augen wurden schmal. »Du wagst es, dich mir gegenüber so anmaßend zu benehmen!«

»Ich will nur wissen, ob es den Kindern gut geht.« Willow vermochte das Zittern in ihrer Stimme kaum zu verbergen und hatte Mühe, seinem Blick nicht auszuweichen.

Einer der Elfen näherte sich ihnen nervös. Sie bemerkte, dass er es nicht wagte, dem Elfenkönig in die Augen zu sehen. »Majestät, Sie erkennt die Größe Eurer Macht nicht. Sie wurde nur hierher gebracht, um ihren Teil zur Wiederbelebung des Erdsteines beizutragen.«

»Nehmt sie«, zischte Elanaloral. »Fesselt sie und bereitet sie für die Zeremonie vor. Der Erdstein wird aufs Neue uns gehören!«

Willow versuchte zu fliehen, aber es gab keinen Ausweg. Sie war sofort von bewaffneten Elfen umgeben.

»Der Erdstein wird das erste Mal in Dimitris Aufzeichnungen erwähnt«, fuhr Giles fort. »Die Übersetzung der Aufzeichnungen und ein weiteres Dokument, das mir zugeschickt worden ist, erbrachten, dass der Erdstein in König Elanalorals eigener Geschichte eine große Rolle spielt. Wie ihr aus unseren flüchtigen Studien über die Domovoi wisst, sind sie Feuerstellengeister, die Wahrer und Beschützer des Hauses.«

Buffys Geduld wurde durch Giles Vortrag auf eine ernsthafte Probe gestellt, sie wollte endlich handeln, was schließlich ihre stärkste Seite war. Aber sie wusste auch, dass sie ihre Sache viel besser machen würde, wenn sie über genügend Hintergrundinformationen verfügte.

»Der ursprüngliche Domovoi-Erdstein enthielt sämtliche Aufzeichnungen der Elfen«, erklärte der Wächter weiter. »Ein solches Archiv bedeutet Macht, sowohl symbolisch als auch real. Obwohl es keine Beweise dafür gibt, besagt die Legende, dass der Erdstein einer Elfenfamilie dazu verhilft, die Kräfte, über die sie verfügen, bis ins Unermessliche zu steigern. Ein ziemlich entscheidender Punkt, wenn man so will. Am Anfang soll es für jeden der zwölf Könige einen Erdstein gegeben haben, den der Erschaffer des Steins ihnen überreichte.«

»Und wer war das?«, fragte Angel.

Giles zuckte mit den Schultern. »Das weiß niemand. Wie ihr gehört habt, gibt es eine ganze Reihen von Legenden, die sich mit der Mythologie der Elfen beschäftigen. Sucht euch eine aus. Sie ist wahrscheinlich genauso wahr wie jede andere. Jedenfalls deuten sämtliche Quellen darauf hin, dass es sehr schwierig ist, Erdsteine zu erschaffen.«

»Und wie geht das?«, fragte Oz ruhig.

»Sie müssen zur Zeit des Neumonds geschmiedet und durch das Blut einer Hexe belebt werden.«

Hexenblut. Das Blut einer Hexe. Buffy und Angel sahen sich an.

»Hexen?«, platzte Xander heraus. »Was wissen die Elfen über Hexen?«

»Anscheinend genug«, erklärte Giles. »Einige der russischen Legenden basieren auf ungarischen Volkssagen. In diesem Zusammenhang fällt einem natürlich sofort die berühmte Sage der ungarischen Hexe Baba Yaga ein.«

»Wieso müssen es Hexen sein?«, fragte Oz. Buffy sah die Angst in seinem Gesicht und wusste, dass ein Teil von ihm sich an die Hoffnung klammerte, dass Giles sich irrte.

»In Europa wurden vielleicht auch Druiden dazu ausgewählt«, erwiderte der Wächter. »Aber die Anforderungen waren dieselben. Es muss das Blut eines Menschen sein, der in derselben Weise mit der Natur verbunden war wie die Elfen und der sie vor den Eisenwaffen beschützen konnte. Ich habe keine Ahnung, ob das wirklich funktioniert, aber anscheinend glauben die Elfen daran.«

»Du meinst also, dass sie Menschen opfern.« Ozs Gesicht wurde kreideweiß.

»Es gab viele Zivilisationen im Laufe der Geschichte, deren religiöse Zeremonien ein Menschenopfer erforderten«, bemerkte Giles.

»Dann haben wir keine Zeit zu verlieren!«, sagte Buffy und riss die Waffen aus ihrer Sporttasche. »Ich habe alles mitgebracht, was ich aus Eisen finden konnte. Das hier zum Beispiel.« Sie wirbelte einen Zwei-Meter-Stab mühelos herum, so dass es aussah, als wenn die eisenbeschlagenen Enden zu einem Kreis verschwammen.

»Vielleicht hast du vergessen, das nachzuprüfen, aber als ich das letzte Mal im Park war, war er noch riesig. Und er ist wahrscheinlich voller Vampire«, bemerkte Cordelia.

»Ich werde nicht herumsitzen, wenn Willows Leben auf dem Spiel steht«, erwiderte Buffy energisch. »Da kannst du Gift drauf nehmen!«

»Vielleicht habe ich etwas, das uns helfen kann«, warf Xander ein. Rasch erzählte er ihnen von seinem Besuch bei Baxter Security. Er öffnete den Laptop, den Cordelia mitgebracht hatte, und schob die Diskette ein.

Buffy beugte sich über den Monitor und betrachtete die Karte mit allen ihren Einzelheiten. »Warum sollte sich Hutch für so etwas interessieren?«

»Ich weiß es nicht, aber er hat sich sogar brennend dafür interessiert«, antwortete Xander. »Er ist nur in das Büro gegangen, um nach diesen Karten zu suchen.«

»Warum hat er nicht vorher danach gesucht?«, fragte Cordelia.

Xander schüttelte den Kopf. »Vielleicht hat er erst angefangen, sich dafür zu interessieren, als er erfahren hat, dass die Kinder verschwunden sind. Vielleicht erschien es ihm nicht wichtig.«

»Es kann sein, dass irgendjemand anderes nach diesen Elfen gesucht hat«, fügte Giles hinzu. »Es gibt auch einige hiesige Legenden über die Elfen. Das mit deinem Freund klingt so, als ob er auf die gleiche Geschichte gestoßen wäre wie wir.«

»Was bedeutet, dass er auch nach Aladins Wunderlampe sucht«, schloss Oz.

»Richtig. Und Xanders Geschichte zufolge auch Hector Gallivan.«

Offensichtlich war Giles diese Vorstellung alles andere als angenehm.

»Hat Gallivan sich vor oder nach seinem Entschluss, einen Freizeitpark zu bauen, dafür interessiert?«, grübelte Angel.

»Genau das ist das Geheimnis«, sagte Giles und seine Augen bekamen plötzlich diesen geistesabwesenden Ausdruck, den Buffy so gut an ihm kannte. Der Wächter fuhr mit dem Finger über die Karte auf dem Bildschirm. »Wenn auf diesen Karten die unterirdischen Höhlen im Wald eingezeichnet sind, können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass Willow zu einer dieser Höhlen gebracht worden ist.«

»Zu welcher Höhle?«, wollte Cordelia wissen.

Giles folgte den Zeichen, die die Höhlen markierten. »Sie scheinen alle miteinander verbunden zu sein.«

»Wenn das so leicht zu erkennen ist, warum hat Gallivan die Höhlen nicht gefunden?«

»Diese Frage kann ich nicht beantworten«, sagte der Wächter. »Ich könnte mir nur vorstellen, dass es schwieriger ist, den Eingang zu diesen Höhlen zu finden, als es auf den Karten aussieht.«

»Diese Elfen«, murmelte Xander. »Führen sie einen nicht ständig in die Irre?«

»Einige von ihnen«, sagte Giles zu ihm.

»Dann sollten wir endlich herausfinden, was wahr und was falsch ist«, entschied Buffy und nahm ihren Stab in beide Hände.

Buffy beugte sich über die Aushebung auf der Grabungsstätte, der sie und Giles vor ein paar Tagen so knapp entkommen waren, und war erleichtert, keine Vampire dort zu entdecken. Die anderen standen um den Rand der Grube herum.

»Ich habe die aktuellen Informationen überprüft, die das Ausgrabungsteam an der Universität aushängt«, sagte Giles. »Der Fund einer Laterne wurde nirgendwo aufgelistet.«

Buffy sah sich um und behielt den Waldrand im Auge. Ihre Sinne waren so geschärft, dass ihnen auch nicht die kleinste Bewegung oder der leiseste Ton entgingen.

»Vielleicht gibt es die Laterne ja auch gar nicht mehr«, überlegte Xander. »Sie sollte doch aus Platin sein, vielleicht hat sich irgendjemand eines Tages einfach mit ihr aus dem Staub gemacht.«

»Wir haben keine andere Wahl, wir müssen einfach annehmen, dass sie sich noch immer hier befindet.« Giles sprang in die Grube und klappte ein militärisches Ausgrabungsgerät aus. »Die Laterne hat einen magischen Ursprung. Selbst die Elfen hätten Schwierigkeiten, sie zu zerstören. Nach dem, was ich gelesen habe, hat sie immer noch eine gewisse Macht über Elanaloral und seinen Clan.

Solange sie existiert, können er und sein Gefolge durch das Anzünden ihres Dochtes jederzeit wieder in die Laterne gebannt werden. Und ohne den Erdstein, der ihre Kräfte verstärkt, können sie sie nicht zerstören.« Er schätzte die Ausmaße der Grube ab und ging dann auf eine der Wände zu. Er stieß das scharfe Ende seines Ausgrabungsgerätes tief in den Boden neben der Wand.

»Wenn wir sie finden, wird sie uns vielleicht von großem Nutzen sein.«

»Wir können nicht alle unsere Hoffnungen auf diese Laterne setzen«, wandte Buffy ein.

»Das stimmt.« Giles fuhr fort zu graben und lockerte die Erdklumpen zu seinen Füßen auf. Er nahm eine große Taschenlampe aus dem Rucksack, den er mitgebracht hatte, und schaltete sie ein. Ein weißer Lichtkegel fiel auf den Grund der Ausgrabungsstätte.

Giles suchte den Boden ab und fand drei Speerspitzen und die zerbrochene Klinge eines Messers. »Ich habe mir die Rekonstruktion des ehemaligen Dorfes, die das Ausgrabungsteam angefertigt hat, runtergeladen und habe herausfinden können, wo das Zelt des Häuptlings gestanden hat. Mit ein bisschen Glück finden wir die Überreste der Lampe dort.«

»Das dürfte nicht einfach sein«, sagte Angel in einem Ton, der deutlich machte, dass er nicht daran glaubte.

»Richtig. Also werden wir uns für eine Weile aufteilen.« Giles nahm wieder sein Ausgrabungsgerät hervor und zog einen weiteren Schnitt durch den Boden.

»Buffy, du, Angel und Oz, ihr werdet zu der Stelle aufbrechen, die auf Gallivans Karte eingezeichnet ist. Ich bleibe mit Xander und Cordelia hier, um an dieser Stelle die Suche nach der Laterne fortzusetzen. Den neuesten Informationen über den Stand der Grabung zufolge ist das Team fast bis an das Zelt des Häuptlings herangekommen, bevor sie die Arbeiten unterbrochen haben.«

»Ich bleibe nicht hier«, verkündete Xander kopfschüttelnd. »Willow ist irgendwo hier in großer Gefahr und ich werde nach ihr suchen.«

Giles blickt zu ihm auf. »Willst du sie finden oder willst du ihr helfen?«, fragte er in leicht herausforderndem Ton.

»Warum soll ausgerechnet ich hier bleiben?«, fragte Xander.

»Weil ich Hilfe brauche!«, antwortete Giles. »Wenn ich dieses ganze Stück hier umgraben und absuchen soll, brauche ich ein paar starke Hände zur Unterstützung. Cordelia kann suchen helfen, aber es würde sehr schwer werden, wenn wir beide auf uns allein angewiesen wären.« Während er seine Argumente vorbrachte, fuhr er unermüdlich fort, zu graben und Erde zu seinen Füßen aufzuhäufen. »Buffy und Angel sind am besten für einen Rettungsversuch in diesen Höhlen geeignet. Und ich will auch nicht von Oz verlangen, dass er hier bleibt. Oder willst du das etwa?«

Xander sah Oz kurz an und schüttelte dann den Kopf. »Nein!«

Er hielt Oz seine Hand entgegen. »Bring Willow zurück, Mann!«

Oz nickte und sagte leise: »Das werde ich!«

Xander sprang zu Giles in die Grube. »Lassen Sie mich mal für eine Weile an die Schaufel, Indiana. Sie wissen ja ohnehin besser, wonach wir suchen.«

»Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was es für meine Fingernägel bedeutet, hier im Dreck herumzuwühlen?«, klagte Cordelia.

»Nur zu gut und deshalb findest du in meiner Tasche auch ein paar Arbeitshandschuhe, die dir passen müssten. Und auch einen kleinen Metalldetektor. Und irgendwo da drin sind auch zwei Walkie-Talkies, sodass wir immer in Kontakt bleiben können.«

Widerwillig kletterte Cordelia auf den Grund der Grube und öffnete Giles Rucksack.

»Haltet die Augen auf!«, warnte Buffy. »Und vergesst die Vampire nicht!«

»Und du solltest auch vorsichtig sein«, riet der Wächter ihr, während Cordelia Oz ein Walkie-Talkie zuwarf. »Diese Elfen können ganz schön unangenehm sein! Wir kommen nach, sobald wir können.«

Buffy drehte sich um und führte Angel und Oz tiefer in den Wald hinein. Sie trug den langen Stab dicht an ihrer Seite, um zu verhindern, dass er sich in den Bäumen und Büschen verfing.


35


Willow stolperte über einen der Elfen, der ihr zwischen die Füße geraten war. Sie fiel auf die Hände und konnte so verhindern, dass ihr Kopf auf den Steinboden aufschlug.

Während sie sich in der neuen Höhle umschaute, in die man sie gebracht hatte, fiel es ihr immer schwerer, die Nerven zu behalten und nicht in Panik zu verfallen. Die Frage, was mit Oz, Tad und den anderen Kindern geschehen war, quälte sie unablässig.

Elanaloral flatterte zwischen die Stalaktiten. Große Kerzen aus Bienenwachs warfen unheimliche Schatten an die Höhlenwände. Der Elfenkönig ließ sich auf einem Felsvorsprung am Ende der riesigen Höhle nieder.

Aus einem Spalt in der Mitte des Bodens stieg das gurgelnde Geräusch von fließendem Wasser auf. Willow nahm an, dass es von einer unterirdischen Quelle oder von einem Meeresarm des Pazifischen Ozeans stammte, der sich weit ins Landesinnere erstreckte. Zahllose Elfen hatten sich an den Wänden entlang aufgereiht und drängten sich in ausgehöhlte Löcher in der Felswand. Voller Erwartung starrten sie Willow an. Plötzlich erklang links von ihr das weinerliche Schreien eines Babys, das in der ganzen Höhle widerhallte.

Sie sah in eine kleine Höhle auf der linken Seite und erblickte darin die entführten Kinder, die auf einem Lager aus getrocknetem Gras schliefen. Nur eins der Babys war aufgewacht und weinte. Doch es dauerte nicht lange, bis das Weinen verstummte und alle tief und fest schliefen. Beim Anblick der hilflosen Kinder hatte Willow sogleich das Bedürfnis, an ihre Seite zu eilen.

Sobald sie sich auch nur rührte, flogen zwei Elfen auf sie zu und richteten ihre Speere auf sie.

»Rühr dich nicht von der Stelle!«, befahl König Elanaloral. »Und halte dich von den Kindern fern!«

»Ich will nur sichergehen, dass es ihnen gut geht«, antwortete Willow.

»Sie schlafen«, erklärte der Elfenkönig. »Das ist alles. Wir sind ja keine Unmenschen.«

»Sie sind klein und sie gehören zu ihren Eltern!«, sagte Willow.

»Sie sollen uns helfen, uns gegen die Menschen zu wehren, die den Wald zerstören wollen«, erklärte Elanaloral.

»Gallivan sind diese Kinder gleichgültig!«, versuchte Willow ihm zu erklären. »Wollen Sie das nicht endlich begreifen?«

»Dies sind die Kinder von Adeligen an seinem Hof« erwiderte der Elfenkönig. »Das haben wir sehr wohl begriffen. Und noch etwas: Den Menschen scheinen ihre Kinder sehr wichtig zu sein.«

»Den Eltern sind sie wichtig.« Willow zermarterte sich den Kopf, wie sie es dem Elfenkönig begreiflich machen konnte. »Aber Gallivan sind sie gleichgültig. Er hat keine Kinder.«

»Und wenn schon«, fuhr Elanaloral sie an. »Wenn der Erdstein erst einmal erschaffen ist, brauchen wir ihn nicht mehr zu fürchten. Dann wird es eine Quelle der Kraft geben, wie wir sie noch nie zuvor gesehen haben.«

Willow schnappte nach Luft. Er spricht von dem Höllenschlund! Es war der Höllenschlund, der die Vampirbevölkerung in dieser Gegend so ansteigen ließ.

Und er war auch der Grund für all die anderen merkwürdigen Dinge, die sich in Sunnydale ereigneten.

»Jetzt, nach all diesen Jahren, verstehen wir endlich, warum wir hierhin verschleppt wurden. Diese Kräfte haben nach uns gesucht und uns hierhergebracht, hierher und zu dir, die so eng mit diesem Ort verbunden zu sein scheint.«

Wegen Buffy?, fragte sich Willow verwundert. Es war immerhin Buffy, die alle diese Kreaturen in Schach hielt, die der Höllenschlund produzierte und ausspie.

»Wenn wir diese Kraftquelle für uns erschlossen haben, werden wir unbesiegbar sein.«

Willow wusste nicht, ob das stimmte, aber sie war sich sicher, dass schon alleine der Versuch keine gute Idee war.

Der Elfenkönig winkte mit seinem Zepter. »Seht zu, dass sie vorbereitet wird.«

Einige Elfen traten auf seinen Befehl hervor und überwältigten Willow im Handumdrehen.


36


Über ihnen erklang das Geräusch flatternder Flügel. Buffy drehte sich augenblicklich herum und hob den Stab, sodass sie eines der eisenbeschlagenen Enden in den Himmel gerichtet hielt. Sie erkannte eine Eule, die mit ausgebreiteten Flügeln dicht über die Baumwipfel glitt. Dann war sie so plötzlich verschwunden, wie sie gekommen war.

»Alles in Ordnung?«, fragte Angel sie sanft.

»Ich gehe nicht gerade vor Begeisterung durch die Decke«, gab Buffy zu. »Aber es geht. Diese Elfen haben es auf Willow abgesehen. »Wir werden sie finden!«, versicherte Angel und berührte beruhigend ihre Schulter.

»Das habe ich Oz auch gesagt«, antwortete Buffy leise, damit Oz sie nicht hörte. Er ging hinter ihnen und hatte sich intensiv in die Karte versenkt, die Giles ihnen gegeben hatte. Sie stammte von der Diskette, die Xander mitgebracht hatte, und sie hatten sie im Inneren des Busses mit Cordelias Laptop und tragbarem Drucker ausgedruckt.

»Das heißt aber noch lange nicht, dass ich das auch glaube.«

»Man sucht sich selber aus, woran man glaubt«, sagte Angel.

»Das ist nicht einfach.«

Angel lächelte sie zärtlich an. »Wenn es einfach wäre, würde es nicht so viel bedeuten.«

»Ich glaube, wir sind fast da«, ließ sich Oz von hinten vernehmen. »Wir müssen hier abbiegen.«

»Bist du sicher?«, fragte Buffy.

»Ja.« Er deutete mit der Karte auf die Baumstämme rechts von ihnen.

Buffy sah Angel, der in die Dunkelheit spähte, fragend an. »Irgendwelche von unseren kleinen Freunden in der Nähe?«

Der Vampir lauschte angestrengt und blickte in die Nacht. Dann schüttelte er den Kopf. »Alles ruhig.«

Buffy nickte Oz zu und schulterte den Stab. Mit einem Vampir und einem Werwolf als Verstärkung würde sie Willow finden oder die Schuldigen jagen... Daran darfst du noch nicht einmal denken!, wies sie sich selbst zurecht. »Geh du voran, Oz. Wir folgen dir.«

Oz setzte sich an die Spitze und bewegte sich wie ein Raubtier vorwärts. Buffy, die dies bemerkte, fragte sich, in wie vielen Tagen wieder Vollmond war. Nach wenigen Minuten hatte Oz sie zu einem Erdloch inmitten des Waldes geführt. Es war eine kleine Grube mit etwa eineinhalb Meter hohen Wänden, die von Bäumen und Büschen überwuchert war. Gras wucherte aus den Wänden und vermischte sich mit dem Unterholz. Eine Öffnung war nicht zu sehen.

»Das sieht nach einer Sackgasse aus«, sagte Angel verärgert. Er sah sich suchend um.

»Nein, hier ist es!«, behauptete Oz. Er kniete sich vor eine der Wände und legte seine Hand auf die Erde. »Willow ist hier drin.«

Angel nahm die Karte, die Oz gelesen hatte. Nach einer kurzen Prüfung räumte er ein: »Vielleicht hast du Recht.«

Er holte mit einem Arm aus und ließ dann seine Faust gegen die Wand prallen. Ein Teil der Erdwand stürzte nach hinten in sich zusammen.

Goldenes Licht schimmerte durch die schmale Öffnung.

Oz steckte seinen Kopf in die Öffnung und atmete tief ein. »Das ist es.«

»Lass mich hineingehen, Oz«, sagte Buffy. »Und funk Giles an. Sag ihm genau, wo wir sind und was wir gefunden haben.«

»Okay.« Oz trat zurück, um sie vorbeizulassen. Es war einer seiner Züge, den Buffy am meisten schätzte. Er ließ nicht - wie so viele Jungs es in einer solchen Situation getan hätten - den Macho raushängen, sondern erkannte bereitwillig ihre Fähigkeiten an. Sie packte ihren Stab, ging in die Knie und zwängte sich vorsichtig durch die enge Öffnung.

Dabei verlor sie für einen Moment das Gleichgewicht und rutschte ein Stück ab.

Sofort flogen zwei Elfen auf sie zu, griffen sie an und hieben mit ihren Steinmessern nach ihrem Gesicht.


37


Xander stach die Schaufel abermals in die Erde, nur mit dem Unterschied, dass er diesmal auf einen Widerstand traf und statt des üblichen, dumpfen Geräuschs ein heller metallischer Laut zu hören war.

Giles richtete sich über dem Erdhaufen auf, den er und Cordelia durchwühlt hatten. »Sei vorsichtig.«

»Vorsichtig?«, fragte Xander spöttisch zurück. »Du sprichst von einem Ding, das vielleicht schon mehrere hundert Jahre alt ist, auf dem Meeresgrund gelegen hat und nun seit unzähligen Jahren unter der Erde begraben war. Wer das überstanden hat, dem soll eine Schaufel etwas ausmachen?«

»Das könnte durchaus sein«, erwiderte Giles.

Xander zog die Schaufel zurück. »Oh!«

Der Wächter schob ein paar Ausgrabungswerkzeuge in die Erde. »Es scheint ziemlich groß zu sein.«

»Größer als alles andere, was wir bis jetzt gefunden haben«, stimmte Xander zu. Er war nach seinen Anstrengungen schweißgebadet. In den letzten zwanzig Minuten waren Speerspitzen, Werkzeuge und verrostete Schalen aufgetaucht, ganz zu schweigen von einem Haufen verkohlter Konservendosen, zu denen Giles erklärt hatte, dass sie aus den dreißiger oder vierziger Jahren stammten, als bekanntermaßen in dieser Gegend viel gezeltet wurde. Giles arbeitete vorsichtig, grub das

Objekt aus und befreite es von der Erde, die leicht feucht war und deshalb zusammenklumpte.

Der Wächter hielt den gefundenen Gegenstand in seinen Händen und bürstete mit vorsichtigen

Bewegungen die Erde ab. Im Schein der großen Taschenlampe, die Cordelia auf ihn richtete, kam allmählich schiefergraues Metall zum Vorschein, das ohne jede Spuren von Rost war. Giles erfahrene Hände entfernten den Rest der zerklumpten Erde und enthüllten die reich verzierte Laterne. Sie war in Form eines Bären gearbeitet, der auf seinen Hinterbeinen stand. Wenn man sie anzündete, fiel ihr Licht durch das aufgerissene Maul und die Augen des Bären. Sie wird nicht viel Licht gespendet haben, dachte Xander, aber vielleicht war sie damals in Russland das Pendant zu einer Lavalampe.

»Ist sie das?«, fragte Cordelia.

»Ja, ich glaube schon, dass sie das ist«, erwiderte Giles. Er nahm sie sorgfaltig in Augenschein. »Aha, hier ist die Inschrift, über die Dimitri geschrieben hat.«

»Wirklich hübsch«, bemerkte Cordelia. »Ich meine, wenn man auf Kitsch steht.« Ein Schatten glitt von oben auf die Aushebung herunter.

Xander ging automatisch in Abwehrstellung und erhob das Ausgrabungswerkzeug in seiner Hand. Es bestand aus Metall, deshalb würde es im Kampf gegen einen Vampir zwar nicht von Nutzen sein, aber es konnte ihn zumindest aufhalten.

Es war kein Vampir. »Hutch«, sagte Xander laut, damit Giles wusste, wer er war.

Cordy kannte ihn bereits. Zwei Jungs, die Xander schon einmal im Comicladen gesehen hatte, flankierten ihn.

»Hey, Xander«, rief Hutch herunter. »Hast du was dagegen, wenn ich mir die Laterne einmal ansehe?«

»Ehrlich gesagt, ja«, antwortete Xander. »Wir haben sie gefunden und ich glaube, wir wollen sie auch behalten.«

Hutchs Lächeln erstarb. »Ich glaube, das kann ich nicht zulassen, Kumpel. Wir brauchen die Laterne.«

»Wer ist wir?«, fragte Giles.

»Wir!« Hutch deutete auf sich und seine Freunde. »Und noch ein paar andere, die wir mitgebracht haben.«

Xander stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte über den Rand der Grube. Er sah die Schatten von Gestalten, die sich im Hintergrund bewegten und langsam näher kamen. »Hutch ist nicht, was er zu sein scheint«, sagte er über seine Schulter zu Giles und Cordelia. »Es hat eine Weile gedauert, bis ich es herausgefunden habe. Aber heute Nacht, als er dieses Ding im Büro der Sicherheitsgesellschaft gedreht hat, ist es mir allmählich klar geworden. Jedes Mal, wenn wir essen gegangen sind, hat dieser Typ genug für eine ganze Kompanie in sich reingebaggert. Sein Humor grenzt fast schon an Bösartigkeit. Dagegen bin ich geradezu harmlos. Außerdem sind seine Zeigefinger verdächtig lang. Ich hoffe, darauf kann sich jetzt jeder einen Reim machen.«

»Du glaubst, dass er ein Changeling ist?«, fragte Giles.

»Genau. Und wahrscheinlich hat er ein Bündnis mit König Eierstich geschlossen.«

»Nein«, mischte sich nun Hutch in das Gespräch ein, »meine Gefolgsleute haben sich schon vor hundert Jahren von Elanaloral losgesagt. Elanaloral wollte weiterhin im Verborgenen bleiben. Er hatte Angst, jemand würde die Laterne finden und uns alle wieder darin einsperren. Wir haben uns dazu entschlossen, unter den Menschen zu leben, Kinder auszutauschen, die eine vielversprechende Zukunft vor sich haben, und unser eigenes Machtzentrum aufzubauen. Als Elanaloral anfing, die Kinder der Gallivan-Angestellten zu entführen, geriet unser ganzes Konzept in Gefahr.« Seine Augen blitzten im Mondlicht silbrig auf.

»Inwiefern?«

»Elanalorals Aktionen haben die Aufmerksamkeit auf uns gelenkt«, erwiderte Hutch.

Xander spürte sofort, dass der Changeling lügte. »Nein, darum geht es nicht«, widersprach er langsam. »Ihr wusstet gar nicht, wo sich Elanaloral befand. Ihr habt nicht einmal nach ihm gesucht. Denn wenn ihr ihn wirklich finden wolltet, hättet ihr ihn schon längst gefunden. Aber darum geht es gar nicht, stimmts?«

Hutch starrte ihn mit versteinertem Blick an und sagte kein Wort.

»Es ist die Laterne, Giles«, sagte Xander zu dem Wächter gewandt. »Sie sind wegen der Laterne hier. Sie haben Angst vor ihr.«

»Keine Spielchen mehr«, zischte einer der anderen Changelings. Er begann sich plötzlich zu verändern und verwandelte sich in eine dürre Vogelscheuche mit zurückgeklappten Ohren und einem Mund voll spitzer Zähne. Er setzte zum Sprung auf Xander an. Xander packte sein Ausgrabungsmesser fest mit beiden Händen, holte weit aus und traf den Changeling voll ins Gesicht, sodass er wehrlos zu Boden ging.

Doch mit einem gewaltigen Wutschrei sprang er wieder auf die Beine und ging abermals auf Xander los. Plötzlich erstarrte der Changeling mitten in seiner Bewegung und explodierte in einem Lichtblitz, der die

Nacht erhellte. Hinter ihm oder besser gesagt dort, wo er gerade noch gestanden hatte, kam Cordelia zum Vorschein.

Sie hielt den kleinen Knüppel mit der Eisenkuppe, den Buffy ihr gegeben hatte, hoch erhoben in der Hand.

»Eisen, du erinnerst dich?«

»Ja.« Xander warf sich zur Seite, denn ein weiterer Changeling ließ sich von oben auf ihn fallen, während er sich noch im Fall in ein monströses Ungeheuer verwandelte. Er machte einen Salto vorwärts und landete auf seinen breiten Füßen, die mit langen Klauen bewaffnet waren. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte Xander seine Hände schon längst um den Griff eines alten Eisenschwertes gelegt, das er sich aus Buffys Waffenarsenal ausgesucht hatte. Er zog die Waffe aus dem ledernen Schaft, stieß sie in die Brust des Changelings und spaltete seinen Körper.

Sofort war sein Körper von giftig schwarzen Linien durchzogen. Er fiel mit einem dumpfen Schlag zu Boden, der so klang, als habe er keine Knochen mehr im Leib. Schon im nächsten Moment war von ihm nichts anderes mehr übrig als ein glibberiger schwarzer Schleim, der langsam in den Boden sickerte.

»Narren!«, schrie Hutch auf. »Jetzt werdet ihr alle sterben.«

Xander stellte sich in Position und packte das Schwert mit beiden Händen. »Dann lass mal sehen!«

Weitere Changelings kamen aus dem Wald auf sie zugerannt.

»Vielleicht«, gab Giles zu bedenken, »warst du ein bisschen zu voreilig mit deiner Herausforderung.«

Bevor die Gruppe der Changelings den Rand der Ausgrabungsstätte erreichen konnte, glitten plötzlich zahlreiche Schatten aus allen möglichen Ecken. Mit einem Blick auf die verformten Gesichter und die langen Eckzähne wusste Xander, was los war. Die Vampire schnitten den Changelings den Weg ab. Der Kampf der Vampire gegen die Changelings um Tot und Untot war blutig und kannibalistisch. Die Vampire konnten die Changelings offensichtlich nicht beißen, was sie nicht daran hinderte, die Wesen Stück für Stück auseinanderzureißen. Xander schloss aus den ausgestoßenen Flüchen, dass es sich um eine Art Krieg um die Hoheitsrechte an diesem Gebiet handeln musste.

Eine andere Vermutung war, dass einige der Vampire sich zusammengeschlossen hatten, um der Legende über die Elfen selber auf den Grund zu gehen. Worum auch immer es ging, Xander beschloss, dass es das Klügste sei, die Situation auszunutzen. Er stieß Giles und Cordelia an. »Kommt schon! Zuschauer werden später als Nachspeise serviert!«

Sie liefen in eine Ecke, wo keine Kämpfe stattfanden, kletterten über den Rand der Grube und jagten auf die Stelle zu, wo Buffy und die anderen im Wald verschwunden waren. Sie konnten nur hoffen, dass der Kampf zwischen den Elfen und den Vampiren mindestens so lange dauern würde, bis sie Buffy eingeholt hatten.


38


Buffy duckte sich unter den Hieben der Steinmesser. Die Elfen versuchten sie mit ihren Waffen ins Gesicht zu treffen. Sie schwang ihren Stab und maß dabei automatisch die Begrenzungen des engen Tunnels ab, in dem sie sich befand. Sie rammte das eisenbeschlagene Ende in einen der Elfen, worauf dieser gegen die Wand fiel. Noch bevor die Waffe des benommenen Elfen zu Boden fallen konnte, hatte sie den Stab in einem engen Winkel herumgeschwungen und den zweiten Elf getroffen.

Sie trat einen Schritt zurück und beobachtete die Körper der beiden, über die sich dunkle Linien ausbreiteten. Schwarzer Schleim sickerte an der Stelle in den Grund, an der die Elfen gestanden hatten. »Das nenne ich biologisch abbaubar«, sagte Buffy.

Angel ließ sich hinter ihr in den Tunnel fallen und warf nur einen flüchtigen Blick auf die Stelle, an der vor einer Minute noch die beiden Elfen gewesen waren. »Da, wo sie hergekommen sind, wird es noch mehr von ihnen geben«, prophezeite er. An seinem linken Handgelenk trug er einen eisernen Miniaturschild, der kaum größer als eine Minipizzapfanne war. In der anderen Hand hielt er einen Eisenknüppel.

Oz folgte ihnen, während er das Walkie-Talkie wegsteckte. »Giles hat gesagt, dass sie die Laterne gefunden haben und auf dem Weg hierher sind, aber wir haben jetzt noch ein weiteres Problem.«

Während Buffy die anderen immer tiefer in den Tunnel führte, erklärte er ihnen, was es mit den Vampiren und den Changelings auf sich hatte.

Die Elfen warfen Willow auf den Boden. Auf dem Felssims über ihnen erhob Elanaloral seine Hand und machte eine gebieterische Geste. Langsam wuchsen aus dem felsigen Boden Wurzeln hervor und schlangen sich wie Lianen um ihre Handgelenke und Fußknöchel. Sie fühlten sich wie raue Eidechsenhaut an.

»Nein!«, flehte Willow. »Bitte tut das nicht!« Sie spürte, wie die Rinde gegen ihre Haut scheuerte.

»Wir fangen gerade erst an«, erwiderte der Elfenkönig. »Es gibt noch sehr viel, was du uns geben musst. Der Erdstein muss aufs Neue erschaffen werden.«

Willow blickte zu den schlafenden Kindern in der kleinen Höhle hinüber. Fieberhaft suchte sie nach irgendetwas, das ihr helfen könnte, sich zu befreien. Sie riss und zerrte an den Wurzelranken, aber dadurch scheuerte sie sich nur die Haut an ihren Handgelenken auf. Ein dickflüssiger Saft trat aus den Wurzeln hervor, der auf ihrer Haut brannte.

Elanaloral ließ sich von dem Felsvorsprung herab, öffnete seine transparenten Flügel und flog auf sie zu. Nur wenige Zentimeter über ihr blieb er summend in der Luft stehen. Seine Hand umklammerte etwas. Schließlich öffnete er sie und zeigte ihr den Gegenstand. »Der Erdstein«, verkündete er. »Zumindest wird es der Erdstein sein, wenn ich ihn mit den Kräften verbunden habe, die unter uns in der Erde schlummern. Und dieser Erdstein wird mächtiger sein als alle, die vor ihm gewesen sind.«

Willow starrte den Stein fasziniert an. Er war mit Hunderten winzigen Hieroglyphen bedeckt, die eine hypnotische Anziehungskraft besaßen. Einige von ihnen glitzerten kristallartig, andere schillerten in den verschiedensten Farben. Jede der Zeichenlinien, die sich um den Stein wanden, schien eine Geschichte zu erzählen und dort, wo sich die Linien kreuzten, schienen diese Geschichten in einer Neuen fortgesetzt zu werden.

»Ich habe die letzten hundert Jahre damit verbracht, dieses Phänomen zu erforschen«, erklärte der Elfenkönig. »Wenn es nicht diese Erdzerstörer gäbe, die uns jetzt plagen, würde ich den Versuch, diese elementaren Kräfte meinem Willen zu unterwerfen, nicht so vorzeitig wagen.«

»Sie sprechen von dem Höllenschlund«, sagte Willow. »Er ist voll von sehr großen und sehr bösen Kräften. Wenn sie einen Fehler machen, zerstören Sie vielleicht Ihr ganzes Volk.« Und mehr, dachte sie bei sich. Denn sich mit dem Höllenschlund anzulegen konnte wie eine Atomkatastrophe sein. Wobei keiner voraussehen konnte, wie schnell und wie weit sich die Folgen ausbreiten würden.

»Die Anwesenheit der Erdzerstörer lässt mir keine Wahl. Ich kann nicht länger warten«, erklärte Elanaloral. »Der Erdstein muss erschaffen werden, damit wir die Laterne zerstören können, bevor sie gegen uns verwendet wird.«

»Was geschieht mit den Kindern?«

Elanaloral sah sie mit einem amüsierten Gesichtsausdruck an. »Du sorgst dich mehr um die Kinder als um dein eigenes Schicksal?«

»Ich will nur wissen, ob sie in Sicherheit sein werden.«

»Man wird sich um sie kümmern. Sie werden wie unsere eigenen Kinder aufwachsen und lernen, wie wir zu leben. Wir können ihnen beibringen, dieselben Aufgaben wie die Changelings auszuführen, und bei den Menschen, die uns Schaden zufügen wollen, zu spionieren.«

»Das ist nicht das, was mit ihnen geschehen sollte. Das ist nicht richtig!«, rief Willow.

»Was richtig ist, entscheiden die Stärkeren. Das, was ich als König der Schattenwesen sage, ist richtig und dies ist mein Wille. Sogar in der verkommenen und barbarischen Sprache von euch Menschen kann ich dies mit Klarheit sagen.« Er zog einen Steindolch aus seinem Gürtel. Seine Klinge war dreifach geschliffen und hatte die Form eines Ypsilons.

Willow wusste aus ihrer Beschäftigung mit

verschiedenen Opferzeremonien, dass dieser Dolch dazu gemacht war, das Herz des Opfers zu durchbohren und es auf diese Weise langsam verbluten zu lassen.

Elanaloral erhob den Dolch. »Auf Wiedersehen, Hexe. Sieh es als eine Ehre an, dass dein Opfer uns erlauben wird, für immer ungestört zu leben.«


39


Ein Pfeil schwirrte auf Buffys Gesicht zu, während zwei andere ihr Ziel weit verfehlten. Sie duckte sich blitzschnell, um ihm auszuweichen, doch da hatte Angel bereits schützend einen Arm hoch gerissen. Der Pfeil bohrte sich tief in seinen Arm.

Buffy beförderte drei Eisenkugeln aus der Ledertasche, die sie sich um die Taille gebunden hatte. Jede besaß ungefähr die Größe eines halben Pingpongballs. Zugleich trat die Jägerin hinter Angel in den Tunnel zurück. Dann schleuderte Sie die Eisenkugeln eine nach der anderen blitzschnell von sich fort.

Zwei von ihnen trafen drei Elfen und verwandelten sie augenblicklich in schwarze Schleimpfützen. Der übrig gebliebene Elf drehte sich um, floh den Tunnelgang hinunter und schrie laut Alarm, während die Eisenkugel an ihm vorbeischoss.

Buffy sah Angel zu, wie er den Pfeil aus seinem Arm zog. »Ist alles in Ordnung?«, fragte sie.

Er nickte. »Ja, aber einen Moment lang habe ich geglaubt, er hätte dich erwischt.« Der Pfeil glitt aus seinem Fleisch und hinterließ eine blutlose Wunde, die am Morgen verheilt sein würde.

»Vielen Dank.«

»Keine Ursache.« Angel spannte den Arm an, um sich zu vergewissern, dass er ihn normal bewegen konnte.

Ihren Stab in beiden Händen haltend, setzte sich Buffy wieder an die Spitze ihrer kleinen Gruppe. Der Weg war hell erleuchtet dank der Kerzen, über die sie sich zuerst wunderte. Doch dann fiel ihr deren Anordnung auf und sie begriff, dass sie zu einem rituellen Zweck aufgestellt worden waren. Oz achtete mit Hilfe der Karte, die Xander gefunden hatte, darauf, dass sie den richtigen Weg nicht verfehlten. Plötzlich gabelte sich der Tunnel vor ihnen und Buffy verlangsamte ihren Schritt.

»Wo lang jetzt?«, fragte sie.

»Moment mal.« Oz studierte die Karte, wobei er sich umdrehte, sodass das Licht über seine Schulter auf das Papier fiel. In dem Moment gab das Walkie-Talkie ein Signal von sich. Ohne hinzusehen griff Oz nach dem Gerät.

»Ja?«

»Wir sind jetzt am Eingang«, hörte man Giles sagen. Er keuchte und rang nach Luft. »Ich fürchte allerdings, dass uns unsere Verfolger dicht auf den Fersen sind. Habt ihr Willow gefunden?«

»Noch nicht. Bleiben Sie einfach im Haupttunnel, dann treffen Sie uns automatisch.« Oz fuhr mit seinem Finger über die Karte.

Plötzlich bemerkte Buffy, dass sich auf der rechten Seite des Tunnels etwas bewegte. Sie fuhr zu Oz herum, packte sein Hemd mit einer Hand und stieß ihn zur Seite.

Dann schob sie den Stab zusammen, wodurch es einfacher war, ihn in dem engen Tunnel einzusetzen. Angel hielt einen der angreifenden Elfen mit seinem Eisenarmreif auf, indem er ihn einfach zur Seite schlug.

Der Elf prallte gegen die Wand und verwandelte sich sofort in eine formlose schwarze Masse. Mit seinem Knüppel erwischte Angel einen anderen mitten im Flug und zwei weitere mit einem Rückhandschwung. Damit hatte er drei von ihnen vernichtet.

Buffy traf einen der Elfen hart ins Gesicht und fühlte, wie durch den Stoß ein Zittern durch ihren Arm fuhr.

Einen weiteren erledigte sie mit einem kurzen scharfen Schwinger. Dann wirbelte sie ihren Stab herum, stieß ihn in den nächsten Elf und fegte ihn beiseite. Der letzte Elf stieß einen schrillen Schrei aus und zischte geradewegs auf ihr Gesicht zu. In seinen winzigen Händen hielt er einen Speer.

Sich ganz auf ihre Reflexe verlassend, trat die Jägerin den Elf mit einem Schwung aus der Hüfte und schickte ihn auf den Boden. Dann ließ sie den Stab in ihren Händen herumwirbeln und stieß das eisenbeschlagene Ende schwungvoll in den noch immer verdatterten Elf. Er verwandelte sich sofort in schwarzen Pudding.

»Das kommt davon, wenn man Widerstand leistet«, bemerkte Buffy und rannte den rechten Tunnel hinunter.

»Hier sind wir richtig«, sagte Oz, der ihr auf den Fersen folgte. »Ich kann sie hören.« Ein intensiver summender Ton hallte im Tunnel wider.

Das Geräusch erinnerte Buffy an eine Sendung über Bienenzucht, die sie einmal mit Willow gesehen hatte, als sie sich an einem ruhigen Abend durch das Programm gezappt hatten. Ein halbes Dutzend weiterer Elfen versuchte ihr den Weg abzuschneiden, aber Buffy war zu schnell, als dass sie sie hätten aufhalten können.

Und noch bevor sie es begriffen hatten, war die Jägerin mitten unter ihnen und der eisenbeschlagene Stab traf ohne Gnade. Drei von ihnen fielen ihrer Kampfkunst zum Opfer, während sich Angel und Oz um den Rest kümmerten.

»Nein!« Das war Willows Stimme, die jetzt ganz nah klang. Buffy warf sich mit einem schnellen Anlauf gegen die niedrige Tür vor ihr, die sofort aufsprang. Sie warf sich auf den Boden und rutschte mit ausgestreckter Hand weiter.

Die riesige Höhle, in der sie landete, war voller Kerzen und Elfen. Buffy erblickte sofort den uralt aussehenden Elf mit dem Messer, der über Willow schwebte. Sie bemerkte auch die gewundenen Wurzeln, die sich um die Handgelenke und Fußknöchel ihrer Freundin schlangen. Buffy nahm an, dass der alte Elf Elanaloral, der König der Elfen, war. Dieser wandte seine Aufmerksamkeit wieder Willow zu und erhob sein Messer. Immer noch auf dem Boden liegend, holte Buffy mit dem Stab aus und warf ihn wie einen Wurfspeer. Da sie nicht sicher war, ob er den alten Elfen treffen würde, bevor dieser das Messer in Willows Herz gestoßen hätte, zielte sie auf das Messer selbst. Als das eisenbeschlagene Ende auf das Messer traf, schlugen Funken. Das Messer flog aus der faltigen Hand des Elfenkönigs, der ihm sofort einen wutentbrannten Schrei hinterhersandte. Elanaloral stieg in die Höhe und flog hinter dem sich in der Luft drehenden Messer her. Der Stab wiederum traf einen Elf auf der anderen Seite des Raumes und machte schwarzen Brei aus ihm.

»Tötet sie!«, befahl der Elfenkönig kreischend.

Buffy wusste nicht, ob er sie oder Willow damit meinte, aber beide Möglichkeiten waren für sie inakzeptabel. Sie kam mit einem Rückwärtssalto auf die Füße und ging dann in eine defensive Halbhocke. Da rasten auch schon mehr als ein halbes Dutzend Elfen mit erhobenen Speeren, Messern und Schwertern auf sie zu.

Sie verließ sich nun ganz und gar auf ihre Reflexe. Ein Tritt mit dem Absatz ihres Stiefels schickte einen ihrer Angreifer im Flug durch die ganze Höhle, ein Stoß mit dem Ellbogen traf einen anderen aus einer Drehung heraus und schleuderte ihn gegen einen dritten. Buffy sprang in die Luft, um den Pfeilen auszuweichen, die auf ihre Füße gerichtet waren, und nutzte dies für ein paar wohl gezielte Tritte, die vier weitere Elfen kopfüber durch den Raum fliegen ließen. Sie tötete die Elfen nicht, gewann aber durch ihre Abwehr wertvolle Sekunden.

Plötzlich trat Angel in die Höhle. Da er mit rasender Geschwindigkeit zum Angriff überging, waren die Elfen gezwungen, sich im Raum zu verteilen. Sein eisenbeschlagener Handreif schlug einen nach dem anderen zu schwarzem Brei, als er sich den Weg zu ihr freikämpfte. »Buffy!« Er schüttelte den kleinen Schild von seinem Arm und warf ihn ihr zu. Buffy fing die kleine Eisenscheibe mit beiden Händen auf.

»Ein Vampir!«, kreischte einer der Elfen. »Er hat sich mit den Menschen verbündet. Jagt einen Pfahl durch sein Herz und tötet ihn!«

Sogleich begann ein Trio von Elfen Pfeile in ihre Bögen einzulegen. Nachdem Buffy in Sekundenschnelle die Distanz und den richtigen Winkel abgeschätzt hatte, warf sie den Eisenschild wie einen Frisbee. Er prallte von zwei Wänden ab und enthauptete zwei der Elfen. Dann stieß er wieder gegen eine Wand, prallte ab und traf den dritten Bogenschützen, der sofort tot war.

Buffy vollführte einen weiteren Überschlag und sprang so über zwei Elfen, die mit ihren scharfen Steinmessern auf ihre Beine einstechen wollten. Sie landete auf den Händen und konnte mit der rechten den Stab ergreifen. Als sie sich wieder aufgerichtet hatte, packte sie den Stab mit beiden Händen und hielt ihn in Schulterhöhe. Dann nahm sie Angriffshaltung an. Nun ging es nur noch ums nackte Überleben. Buffy konnte nicht jeden der Elfenangriffe abwehren und erlitt ein halbes Dutzend Verletzungen, Messerschnitte, die tief, aber nicht lebensbedrohlich waren.

Der Stab wirbelte in ihren Händen, als wäre er zu eigenem Leben erwacht. Angel kämpfte wie ein Derwisch und schlug breite Schneisen in die Elfengruppen, die ihn attackierten. Er blieb niemals so lange an einem Fleck, dass er ihnen die Gelegenheit gegeben hätte, ihn zu überwältigen. Er nutzte den ganzen Raum aus, der ihm zur Verfügung stand. Auch Oz war inzwischen durch die Türöffnung geklettert und rannte sofort an Willows Seite. Er schlug auf die Wurzeln ein, die Willow fesselten, und konnte Teile von ihnen herausreißen. Willow versuchte ihre Fesseln zu lösen.

Buffy blieb ständig in Bewegung, kämpfte gegen die Elfen und bemerkte, dass es langsam weniger wurden. Die Überlebenden begannen sich in Gruppen an der Felsdecke zu versammeln, um sich in Sicherheit zu bringen.

Im nächsten Augenblick waren plötzlich Giles, Xander und Cordelia bei ihnen. Giles schwang seine Keule mit der Geschicklichkeit eines Fechters und führte präzise, zielgerichtete Stöße aus, während Cordelia und Xander mit bloßen Fäusten um sich schlugen. Giles hielt außerdem in der anderen Hand eine Laterne in Form eines Bären, woraus Buffy schloss, dass er endlich das gefunden hatte, wonach er auf der Suche gewesen war.

Xander stürmte zu Willow und durchtrennte die Wurzeln mühelos mit einem Schwertstreich. Er und Oz nahmen Willow in ihre Mitte und zogen sie auf die Beine.

»Hier lang!«, schrie Cordelia und verteidigte die kleine Tür, durch die sie gekommen waren. Doch auf einmal langte eine Kreatur, die Buffy bisher nicht bemerkt hatte, durch die Türöffnung und traf Cordelias Knöchel mit einem Messer.

Sie schrie entsetzt auf, war aber geistesgegenwärtig genug, um den angreifenden Arm mit einem kräftigen Schlag abzuhacken. Obwohl die Kreatur größer zu sein schien, verwandelte sie sich genau wie die anderen Elfen in eine schwarze schleimige Pfütze.

Buffy traf einen anderen Elf in der Luft und machte ihn zu Pudding. »Was war das?«, fragte sie Xander.

»Ein Changeling«, erklärte er, ohne im Kampf innezuhalten. »Stell sie dir wie die neuen Klingonen aus Star Trek vor. Kurz gesagt: Große böse Jungs. Sie haben sich in unserer Welt seit 150 Jahren breitgemacht. Der da hätte mein Ex-Kumpel Hutch sein können.«

Mehr und mehr Changelings und Vampire folgten dem ersten nach und strömten wie eine Flut in die Höhle. Sie nahmen den ganzen Raum in Beschlag, der zum Kampf zur Verfügung gestanden hatte. Gut war allerdings, dass sie auch die Aufmerksamkeit der Elfen ablenkten.

»Es gibt noch einen anderen Ausgang!«, rief Oz.

»Wo?«, fragte Buffy und schnappte sich wieder ihren Stab. Trotz ihrer besonderen Jägerinnen-Kraft spürte sie, dass sie allmählich müde wurde. Die Elfen hätten allein auf Grund ihrer Überzahl gewinnen können. »Der Karte nach gibt es einen Tunnel auf der anderen Seite dieser Wand«, sagte Oz und deutete auf die Wand hinter Buffy. »Sie kann nicht besonders dick sein.«

Die Jägerin flog herum und nahm die Wand in Augenschein, auf der Druckstellen und Risse zu erkennen waren. Sie konzentrierte sich einen Moment lang, dann wirbelte sie herum und trat aus der Hüfte gegen die Wand. Risse durchzogen den Felsen und Staub stieg über ihr auf.

»Haltet sie auf!«, befahl der Elfenkönig. »Sie dürfen nicht entkommen!«

Die Elfen versuchten mit vereinten Kräften, Buffy einzukreisen.

»Ich gebe dir Rückendeckung«, sagte Xander zu Buffy und erhob sein Schwert, während er gleichzeitig Cordelia zu ihnen herüberzog.

Gleich darauf zerteilte er einen Elf mit einem Schlag und ließ ihn zu schwarzem Blubber werden.

Buffy winkelte das Bein an und trat erneut zu. Die Wand erzitterte und stürzte dann in einer Wolke von Felsstaub ein. »Sesam, Öffne dich!« Sie wandte sich um, packte Willow und sah Oz fragend an. »Wo führt der Tunnel hin?«

»Nach oben. Es muss so eine Art verlassener Schacht oder eine natürliche unterirdische Kammer sein.« Oz zog eine Taschenlampe aus seinem Gürtel. Hinter dem Loch in der Felswand war nichts als schwärzeste Finsternis, da dort keine Kerzen aufgestellt waren. Er ergriff Willows Hand und wollte sich auf den Weg machen.

»Nein«, protestierte Willow schwach. »Die Kinder! Wir müssen die Kinder retten.«

Erst jetzt sah Buffy die schmale Nebenhöhle an der hinteren Wand der Höhle und erkannte, was sich darin befand. »Wir holen sie.«

Mittlerweile erkämpften sich immer mehr Changelings und Vampire den Weg in die Höhle. Sie stifteten enorme Verwirrung und trieben die Elfen zurück. Buffy führte die Gruppe auf dem Weg durch die Höhle an. Oz, der die Taschenlampe mit einem Clip an seinem Gürtel befestigt hatte, hob eines der sechs Kinder hoch und hielt es in den Armen. Willow nahm ein anderes Kind und Xander, Giles, Cordy und Buffy trugen auch jeweils ein Baby.

Dann verließen sie die kleine Höhle und traten den Rückzug in Richtung des Tunnels an. »Iiih!«, quietschte Cordelia. »Kann ich mit jemandem tauschen, der eins hat, das nicht nass ist?«

»Los, weiter!«, drängte Giles.

Angel sicherte die Gruppe ab, indem er seine Keule gegen Elfen und Changelings einsetzte, und schickte zudem noch den ein oder anderen Vampir zurück ins Kampfgetümmel. Mit den entführten Kindern auf dem Arm passierten sie so schnell wie möglich das Loch in der Felswand. Giles, Cordy, Xander und Oz griffen zu ihren Taschenlampen, um den gewundenen, gerölligen Felsgang vor ihnen zu erleuchten.

Angel deckte den Rückzug, wobei diese Aufgabe durch die Enge des Felsgangs sehr erleichtert wurde. Während sie lief, spürte Buffy die ganze Zeit das kleine Baby auf ihrem Arm. Kurz schoss ihr die Frage durch den Kopf, ob es sich vielleicht um Maggies Sohn handelte, aber im Grunde war das nicht so wichtig. Das Baby gehörte zu jemandem, der es sehr vermisste, und das war alles, was sie wissen musste. Sie hielt es fest gegen ihren Körper gedrückt, um es vor der rauen Felswand zu schützen.

Einige Sekunden später roch sie die frische kühle Nachtduft, die den modrigen Geruch der Höhlen vertrieb.

Sie blickte nach vorn und sah, wie Oz sich den Weg durch ein Gewirr von Wurzeln und dichtem Gebüsch freikämpfte. Die anderen folgten ihm und kamen leichter und schneller durch, nachdem er den Weg freigelegt hatte. Aber wenn Angel nicht gewesen wäre, hätten die Elfen sie vielleicht doch noch eingeholt.

Buffy wusste, das sich die Lage schnell wenden konnte, wenn sie erst einmal offenes Gelände erreicht hätten, denn dann würden die Elfen in ihren Bewegungen nicht mehr eingeschränkt sein. »Giles!«, rief sie, als sie aus dem Tunnel rannten. Als sich der Wächter zu ihr umdrehte, übergab sie ihm das Kind, das sie trug. »Ich werde gleich beide Hände brauchen. Sorgen Sie dafür, dass die anderen vorwärts kommen!« Sie zog den Stab wieder zur vollen Länge auseinander. Hoffentlich schaffen sie es, rechtzeitig zu den Autos zu gelangen, die ziemlich weit entfernt geparkt waren, wo sie doch die entführten Kinder tragen mussten. Angel versuchte die Elfen in dem Tunnel aufzuhalten und ihnen damit etwas Zeit zu verschaffen. Aber er wurde heftig attackiert und von einem Dutzend kleiner Pfeile getroffen, die seinem Herzen gefährlich nahe kamen. Buffy wirbelte den Stab herum und fand sofort ein paar geeignete Ziele. Während sie die dumpfen Aufschläge gegen ihre Waffe spürte, fragte sie sich, an welcher Stelle des Parks sie überhaupt raus gekommen waren.

»Die Bulldozer! Sie sind nicht mehr weit!«, rief Giles. »Sie können uns etwas Deckung geben.«

»Was ist mit der Wachmannschaft von Gallivan?«, fragte Xander.

»Angesichts der ganzen Vampire im Wald halte ich es für unwahrscheinlich, dass sie uns belästigen«, mutmaßte der Wächter. Er setzte sich an die Spitze der Gruppe und verfiel in ein leichtes Joggen, trotz der beiden Babys in seinem Arm. Die Kinder schliefen ungerührt von der ganzen Aufregung um sie herum tief und fest.

Wahrscheinlich, dachte Buffy, standen sie immer noch unter dem Einfluss des Feenpulvers. Glückliche Kids. Sie hielt ihren Stab ständig in Bewegung, verteidigte sich gegen Angriffe und erledigte jeden Elf, der in Schlagnähe kam. Immer stärker spürte sie die Müdigkeit in ihren Armen. Schweiß bedeckte ihren Körper und durchnässte ihre Kleider. Buffy merkte die Erschöpfung. Ein Blick auf Angel ließ sie vermuten, dass es ihm ähnlich gehen musste. Sie holte wieder einige der Eisenkugeln hervor, die sie mitgebracht hatte, um die Elfen abzuschießen.

Denen war es inzwischen gelungen, hinter die von ihr und Angel verteidigte Linie zu kommen. Sie traf fast immer, aber ein paar Mal verfehlte sie ihr Ziel und traf stattdessen die Äste über ihnen. Sie erreichten die Baumaschinen innerhalb von zwei Minuten. Giles Anweisungen folgend krochen sie unter eine der Planierraupen, wo sie zwischen den gigantischen

Gummiwalzen ein sicheres Versteck fanden. Oz, Willow und Cordy kümmerten sich um die Babys und achteten darauf, das sie zugedeckt auf dem Boden lagen. Zum Glück waren sie immer noch nicht aufgewacht. Buffy, Angel, Xander und Giles bekämpften jeden Elf, der ihnen zu nahe kam. Jenseits ihres eigenen Kampfschauplatzes eskalierte mittlerweile das Gefecht zwischen den Vampiren und den Changelings. Nach einer Weile mussten die Vampire einsehen, dass ihre Fangzähne und Krallen gegen die Elfen nicht halb so viel ausrichteten wie die Waffen der Jägerin. Deshalb suchten sie nahe der Grabungsstätte nach Eisenstücken. Zugleich wurden sie unablässig von Changelings und Elfen angegriffen, deren Pfeile ihren Herzen gefährlich nahe kamen.

»Hier bleiben ist keine Option, die ich jetzt auf einem Fragebogen ankreuzen würde«, sagte Buffy zu Giles.

Der Wächter nickte. Sein Gesicht war mit Spuren von Blut, Schweiß und Dreck bedeckt. »Die Laterne!«, sagte er. »Wir müssen die Laterne anzünden!« Er löste sie von seinem Gürtel und hielt sie hoch. »Die Elfen werden in sie hineingesogen.«

Buffy schlug nach einem Elf, traf ihn zwischen den Augen und verwandelte ihn zu einer Schleimkugel, die an der großen Walze neben ihr zerplatzte. Immer mehr Elfen schlugen gegen die Planierraupe. »Sind Sie sicher, Giles?«

»Die Laterne übt angeblich immer noch Macht über diese Wesen aus«, erklärte dieser. Er blickte sie an, atmete tief durch und zuckte dann die Schultern. »Das ist das Beste, was mir in dieser Situation einfällt.«

Buffy schlug einen Vampir, der sie zu packen versuchte, auf den Kopf. Er stolperte nach hinten und wurde dann sofort von einem Changeling attackiert, der einen abgebrochenen Ast in sein Herz stieß. Während der Vampir zu Staub zerfiel und sich der Changeling an Buffy heranmachte, rief sie: »Okay, dann nehmen wird den besten Einfall.« Sie ergriff den Henkel der Laterne, die Giles ihr hinhielt. »Haben Sie ein Streichholz?«

Giles machte ein überraschtes Gesicht. Er klopfte seine Taschen ab und schüttelte bedauernd den Kopf. »Leider nein.«

Da reckte ihr Xander auch schon seine Hand entgegen, in der er ein Feuerzeug hielt. Die Flamme sprang sofort hoch. »Come on, baby, light my fire.«

Buffy schnappte sich das Feuerzeug und rannte auf die Lichtung hinaus. Sofort wurde sie von Elfen attackiert, aber sie verteidigte sich mit ihrem Stab. Als ihr ein Vampir in die Quere kam, stieß sie den Stab in den Boden, schwang sich an ihm in hohem Bogen über den Vampir hinweg und setzte ihren Weg fort. Dann war plötzlich Angel hinter Buffy und deckte sie in kampfbereiter Haltung. Sein Schatten fiel über sie, als sie die Laterne auf dem Boden abstellte und sich vor sie kniete. Er schlug alles in die Flucht, was ihr zu nahe kommen wollte. Nur ein paar Meter entfernt sah Buffy die Leichen von zwei Wachmännern liegen. Gallivans Sicherheitsteam würde ihnen wohl keine Probleme mehr bereiten. Sie fand den Riegel an der Bären-Laterne und öffnete die kleine Tür. Dunkler Ruß bedeckte das Innere der Laterne, die wohl schon seit Jahrhunderten nicht mehr geputzt worden war. Aber es gab nichts darin, um sie anzuzünden. Weder einen Docht noch Petroleum.

Buffy sah sich hastig um und bemerkte, dass sie und Angel sich im Zentrum des Orkans befanden, der durch den Wald tobte. Buffy sprang auf und riss ein Stück von dem Hemd eines Vampires ab, den Angel gerade mit einem Ast pfählte. Während der Vampir zu Staub zerfiel, stopfte sie den Stoff in die Laterne. Sie zündete das Feuerzeug an und hielt es an den Stoff. Doch dieser fing nicht richtig Feuer, sondern glühte nur an den Rändern leicht auf.

»Nein!«, rief plötzlich eine Stimme.

Buffy blickte auf und sah den Elfenkönig auf sie zurasen. Er hielt einen Speer in der Hand, mit dem er direkt auf sie zielte. Der Anblick dieser bösartigen Gestalt nahm ihr auch die letzten Skrupel, die Laterne wirklich anzuzünden.

Zwar gelang es ihr nicht mehr, den Stab herumzuschwingen und den Elfenkönig mit dem eisenbeschlagenen Ende zu treffen, doch immerhin konnte sie seinen Angriff mit dem Holzschaft aufhalten.

Das Wesen prallte zurück, fing sich aber schnell wieder. Es griff in den Lederbeutel an seiner Seite und holte eine Handvoll glitzernden Staub hervor. Buffy wusste, dass sie ihre Position aufgeben musste, wenn es ihm gelang, mit dem Schlafsand nach ihr zu werfen. Sie zog ihre beiden letzten Eisenkugeln hervor und schleuderte sie so schnell sie konnte in seine Richtung.

Ein anderer Elf in der Nähe warf sich vor Elanaloral und opferte sein eigenes Leben für den König. Buffy wandte sich wieder der Laterne zu. Sie blies vorsichtig in die Glut, die am Rand des Stoffes glimmte und nur darauf wartete, Feuer zu fangen. Im nächsten Augenblick schlugen Flammen auf und verbreiteten grauen Rauch und Funken.

»Nein! Das darf nicht sein!«, schrie der Elfenkönig in rasender Wut.

Einen Moment später schien es, als wäre eine MiniaturAtomexplosion in der Laterne gezündet worden. Die

Flammen wurden größer und Licht strömte in breiten Strahlen aus den Augen und dem aufgerissenen Maul des Bären. Buffy war so geblendet, dass sie blinzeln musste. Heißer Wind wehte ihr Haar zurück. Und dann kamen die Elfen, von der Laterne angezogen wie Motten vom Licht. Sie flogen zu Dutzenden in die Flammen, schrumpften zu winzigen glimmenden Funken zusammen und verschwanden in der Laterne. Sogar die Changelings wurden von der Laterne aufgesogen. Einige von ihnen erkannten die drohende Gefahr und versuchten davonzukommen, aber die mystische Energie der Laterne reichte weit, erfasste auch sie und zog sie in den Lichtstrudel.

Die Vampire traten den Rückzug an, weil sie offenbar fürchteten, dasselbe Schicksal zu erleiden. Dann erloschen die Lichtströme genauso plötzlich, wie sie aufgeflammt waren. Das Maul und die Augen des Bären wurden dunkel und das Feuer in seinem Bauch verglühte. Zögernd streckte Buffy die Hand nach der Laterne aus, stellte jedoch bei der Berührung fest, dass sie überhaupt nicht heiß war. Sie packte den Griff der Laterne, stand auf und hielt sie hoch, damit alle Vampire sie sehen konnten.

»Straßenreinigung beendet!«, rief sie in barschem Tonfall. »Ich lasse die Laterne nicht aus der Hand und drinnen gibt es eh nur noch Stehplätze!« Die etwa zehn Vampire, die sie noch unter den Bäumen erkennen konnte, grummelten und sahen sich gegenseitig auf der Suche nach einem Anführer ratlos an. Doch niemand meldete sich für den Job. Schweigend zogen sie sich zurück und verschwanden in der Dunkelheit des Waldes. Buffy ärgerte sich darüber, sie alle entkommen zu lassen.

Lieber hätte sie jetzt alle erledigt, aber dafür war sie viel zu erschöpft.

»Bist du okay?«, fragte Angel und berührte ihren Arm.

»Ja!«, antwortete Buffy und beobachtete, wie Giles den anderen vorsichtig unter der Planierraupe hervorhalf.

»Wir haben die Elfen eingeschlossen und die Kinder zurückgeholt, also ist unsere Aktion siegreich verlaufen.«

»Das kann man wohl sagen!«, bestätigte Angel und legte einen Arm um ihre Schulter, um sie zu stützen.

Trotz der Schmerzen und der Erschöpfung, die sie fühlte, hellte sich Buffys Miene sofort auf, als Giles ihr eines der Babys reichte. »Sie sind wach«, sagte der Wächter leise. »Sie sind genau in dem Augenblick aufgewacht, als das Licht in der Laterne erloschen ist.«

Ein Lächeln glitt über Buffys Züge, als sie in das runde, kleine Gesicht sah, das von dem Laken fast verdeckt wurde. Große braune Augen blickten sie unschuldig an, während der kleine Junge an seiner Faust nagte. Mit der anderen Hand griff er nach einem ihrer Finger und drückte ihn fest.

»Kommt, lasst uns die kleinen Zwerge hier nach Hause bringen«, schlug sie den anderen vor. »Es ist allerhöchste Schlafenszeit für sie!«


Epilog


»Also ist Hutch nie wieder in dem Comicladen aufgetaucht?«, fragte Buffy. Sie saß an einem der steinernen Picknicktische, die am Rande des Weatherly Parks standen. Es war Freitagabend und die große Sunnydale-High-Frühjahrsparty war im vollen Gange.

»Nein«, antwortete Xander, der neben ihr auf der Bank saß. Sie beobachteten beide Cordelia, die durch die Menge schwirrte und Punkte für das Styling ihrer Anhängerinnen vergab.

»Hast du nach ihm gefragt?«, wollte Buffy wissen. Sie war immer noch müde von der vergangenen Nacht, aber dennoch drehte sie ab und an eine Runde durch den Wald, um sicherzugehen, dass keine Vampir-Partycrasher auftauchten. Bisher war sie zum Glück nicht einem Einzigen begegnet.

»Hab ich, ganz unauffällig, weißt du«, antwortete Xander. »Sie haben mir gesagt, dass ein Freund von ihm angerufen und ihnen gesagt hat, dass sein Vater in Scranton oder sonst wo im Sterben liege und dass Hutch deswegen nicht mehr da sei.«

»Also wissen wir nicht, ob er in der Laterne steckt oder im Kampf um das Territorium umgekommen ist.« Buffy hatte die Laterne Giles gegeben, damit er sie in Zukunft gut behütet.

»Nein. Aber ich glaube nicht, dass wir alle Changelings geschnappt haben. Ich denke, einige sind bestimmt noch unter uns.«

»Ein ziemlich unheimlicher Gedanke.«

»Das liegt an der Gesellschaft, in der ich mich rumtreibe«, zog Xander sie halb ernsthaft auf. »Wie gehts eigentlich den Babys?«

»Ich habe Maggie angerufen«, antwortete Buffy. »Sie hat mir gesagt, dass es Cory prächtig geht. Sie hat mit den anderen Eltern gesprochen, die ihre Babys verloren hatten, und allen geht es großartig. Sie haben keine gesundheitlichen Schäden davongetragen.« In der Nacht zuvor hatten sie die Babys zum Krankenhaus getragen und sie vor den Eingang der Notaufnahme gelegt. Dann hatten sie von der anderen Straßenseite aus angerufen und ungeduldig gewartet, bis die Krankenpfleger herausgekommen waren und die Kinder gefunden hatten.

Die Medien kannten immer noch nicht die wahre Geschichte. Aber sie hatten eine wilde Bestie erfunden, die angeblich die sieben Wachen von Baxter Security angefallen hatte. Viele Eltern waren nicht gerade begeistert von der Idee, dass ihre Kinder zu einer Party gingen, die in dem Park stattfand, wo es zu den Attacken gekommen war. Für manche machte das die Party allerdings nur noch interessanter.

Sie war megagigantisch und Cordelia genoss ihren Bienenköniginnen-Status. Das, was das Interesse der Medien am meisten erregte, war die Tatsache, dass Hector Gallivan die Pläne für seinen Freizeitpark zurückgezogen hatte. Und es wurde sogar noch größer, als Gallivan jeden Kommentar dazu verweigerte. Die Erwachsenen und die Geschäftsleute, die mit Willows Protestaktionen sympathisiert hatten, waren der Meinung, dass Gallivan die Pläne wegen der Morde an den Sicherheitskräften zurückgezogen habe, denn nur die ersten beiden hatte er als Unfälle erklären können.

Jetzt stürmte die Boulevardpresse Sunnydale und erfand Geschichten, die immer haarsträubender wurden. Einige Reporter von Fernsehsendern waren sogar auf der Frühjahrsparty aufgetaucht, um Schüler zu interviewen.

Buffy beobachtete, wie sie sich unter die Leute mischten und Gruppen von Schülern ansprachen.

Sicherlich würden die Geschichten am nächsten Morgen noch hanebüchener sein. Und keine wird nicht mal annähernd an die Wahrheit herankommen. Oz und Willow stießen zu ihnen und balancierten Becher mit Bowle und Teller, auf denen sich Snacks türmten.

»Ihr verpasst eine großartige Party«, sagte Willow.

Jetzt, da Tad wieder dahin zurückgekehrt war, wo er hingehörte, hatte sich ihre Stimmung deutlich verbessert.

»Ich bestimmt nicht«, orakelte Xander düster und warf einen Blick auf Cordelia. »Ich werde die ganze Party haarklein erzählt bekommen, wieder und wieder. Wer was anhatte, wer mit wem rumhing und warum einige Leute einfach nicht auf der Gästeliste stehen sollten.«

»Das klingt doch höchst spannend«, zog ihn Willow auf. »Du kannst es kaum abwarten, stimmts?«

Xander warf ihr einen genervten Blick zu. »Ich wünschte bloß, dass solche Anlässe mit Cordelia nicht immer so anstrengend wären!«

»Sie sieht so aus, als ob sie sich großartig amüsiert«, bemerkte Oz.

»Oh, und wie!«, antwortete Xander. »Nur ich scheine völlig Luft für sie zu sein. Aber immerhin habe ich nette Gesellschaft. Buffy sitzt auch als Mauerblümchen herum.«

Buffy legte ihr Kinn auf die Fäuste und starrte vor sich hin. Was Xander sagte, war nur allzu wahr. Sie hatte sich auf die Party gefreut, aber inzwischen war ihr der Spaß vergangen.

»Du musst kein Mauerblümchen sein«, sagte eine leise Stimme hinter ihr in einem Tonfall, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Sie drehte sich um und sah, dass Angel hinter ihr stand. Er war in Schwarz gekleidet und sah wie immer extrem gut aus.

»Hi«, begrüßte Buffy ihn.

»Hi.« Angel wand sich ein wenig. »Ich hätte wahrscheinlich nicht kommen sollen. Eigentlich hatte ich es auch nicht vor. Aber irgendwie bin ich jetzt doch hier gelandet.« »Ich bin froh darüber«, sagte Buffy.

Aber es schmerzte sie, ihn zu sehen und zu wissen, dass es zwischen ihnen nie wieder wie früher sein würde.

Aber konnte es nicht für ein paar Stunden so sein? Sie sah ihn an. »Du meintest gerade, dass ich kein Mauerblümchen bin?«

Er verstand und reichte ihr die Hand. »Möchtest du tanzen?«

»Nichts lieber als das«, antwortete Buffy. Sie ließ sich von ihm auf die freie Fläche unter den aufgehängten Lichterketten führen, wo andere Paare tanzten. Als er sie an sich zog, drückte sie sich an seinen Körper.

Langsam begannen sie sich im Takt der Musik zu wiegen. Und für einen Moment fand die Jägerin Frieden.

Es gab keine Vergangenheit und keine Zukunft, nur das wunderbare Jetzt.