Fünftes Kapitel

Achill blieb in der mit Bronze beschlagenen Doppeltür zum Audienzsaal des Königs stehen. »Warte hier«, sagte er.

Peleus saß am anderen Ende des Raums auf einem Stuhl mit hoher Lehne. Er schien sich mit einem älteren Mann zu beraten, den ich schon einmal mit ihm zusammen gesehen hatte. Die Feuerstelle verströmte einen dichten Rauch, es war warm und stickig.

An den Wänden hingen dunkel gefärbte Wandteppiche und alte Waffen, die von Sklaven regelmäßig auf Hochglanz gebracht wurden. Achill ging vor den Füßen seines Vaters auf die Knie. »Vater, ich bin gekommen, um dich um Verzeihung zu bitten.«

Peleus zog die Brauen in die Stirn. »Sprich.« Ich stand noch in der Tür und glaubte erkennen zu können, dass er finster dreinblickte. Mir wurde angst und bange. Wahrscheinlich fühlte er sich gestört. Achill hatte nicht einmal angeklopft.

»Ich habe Patroklos von seinen Übungen abgehalten.« Mein Name klang fremd aus seinem Mund. Ich erkannte ihn kaum wieder.

Der alte König kniff die Brauen zusammen. »Wen?«

»Menoitiades«, antwortete Achill. Menoitios’ Sohn.

»Ah.« Peleus richtete seinen Blick auf mich, und ich musste an mich halten, um Ruhe zu bewahren. »Den Jungen also, den der Waffenmeister züchtigen will.«

»Ja. Aber es war nicht seine Schuld. Ich habe vergessen zu sagen, dass ich ihn als Gefährten wünsche.« Therápon war das Wort, das er gebrauchte. Damit wurde der Waffenbruder eines Prinzen bezeichnet. Im Krieg war er dessen Leibwächter, im Frieden sein engster Berater. Er genoss höchstes Ansehen. Das war auch der Grund, warum die Jungen Peleus’ Sohn umgarnten und ihn zu beeindrucken versuchten. Sie hofften, als therápon auserwählt zu werden.

Die Augen des Königs verengten sich. »Komm näher, Patroklos.«

Der Teppich, über den ich ging, war weich. Ein Stück hinter Achill kniete ich nieder. Ich spürte den Blick des Königs auf mich gerichtet.

»Seit Jahren versuche ich nun, dir einen Gefährten an die Seite zu stellen, doch du wolltest dich mit keinem meiner Vorschläge zufriedengeben. Warum nun dieser Junge?«

Die Frage hätte ich ebenso gut stellen können. Ich hatte einem Prinzen nichts zu bieten. Was sah er in mir? Peleus und ich warteten auf eine Antwort.

»Er steckt voller Überraschungen.«

Ich blickte auf und runzelte die Stirn. Mit dieser Meinung stand er gewiss allein da.

»Voller Überraschungen«, wiederholte Peleus.

»Ja.« Eine weitere Erklärung blieb Achill schuldig.

Peleus rieb sich die Nasenwurzel und schien nachzudenken. »Der Junge hat sich schuldig gemacht und wurde deswegen verbannt. Er wird deinem Ansehen nicht zuträglich sein.«

»Das braucht er auch nicht«, erwiderte Achill frei heraus, ohne prahlerisch zu klingen.

Peleus nickte. »Aber die anderen Jungen werden eifersüchtig sein. Was wirst du ihnen sagen?«

»Nichts«, antwortete er ohne jedes Zögern. »Ich bin ihnen keine Rechenschaft schuldig.«

Ich spürte das Herz in der Brust schlagen und fürchtete Peleus’ Zorn. Doch der blieb aus. Vater und Sohn betrachteten einander, und ich sah den König schmunzeln.

»Steht auf. Beide.«

Ich gehorchte.

»Nun denn, ich will, dass ihr euch bei Amphidamas entschuldigt.«

»Ja, Vater.«

»Das ist alles.« Er wandte sich wieder seinem Berater zu. Wir waren entlassen.

Achill hatte es plötzlich eilig. »Wir sehen uns beim Essen«, sagte er, als wir wieder draußen waren, und drehte sich um, um zu gehen.

Am Vormittag hätte ich mich noch darüber gefreut, ihn los zu sein, doch nun versetzte es mir seltsamerweise einen Stich. »Wohin gehst du?«

Er blieb stehen. »Zum Drill.«

»Allein?«

»Ja. Es soll mir niemand dabei zusehen.« Er sagte das ganz selbstverständlich.

»Warum nicht?«

Er sah mich einen Moment lang schweigend an und schien nachzudenken. »Meine Mutter hat’s verboten. Wegen der Weissagung.«

Mit einer solchen Antwort hatte ich am wenigsten gerechnet. »Was wurde denn geweissagt?«

»Dass ich der größte Krieger meiner Generation sein werde.«

Es klang wie kindliches Wunschdenken, was er da vortrug, doch er sagte es so schlicht und geradeheraus, als würde er seinen Namen nennen.

Und, bist du schon der Beste?, wollte ich fragen, stammelte aber stattdessen nur: »Wann wurde das geweissagt?«

»Kurz bevor ich zur Welt kam. Von Eileithyia.« Eileithyia war die Göttin der Geburt, und es hieß, dass sie höchstpersönlich über die Geburt von Halbgöttern wachte, über Kinder, die so wichtig waren, dass man bei deren Geburt nichts dem Zufall überließ. Ich hatte es fast vergessen: Achills Mutter war eine Göttin.

»Wissen andere davon?«, fragte ich vorsichtig, denn ich wollte nicht aufdringlich sein.

»Einige wenige. Deshalb mache ich meine Übungen allein.« Aber er ging nicht. Er beobachtete mich. Er schien auf etwas zu warten.

»Wir sehen uns dann beim Essen«, sagte ich schließlich.

Er nickte und ging.

Achill saß bereits an meinen Tisch, als ich kam, umringt von der üblichen Schar der Jungen. Ich hatte fast damit gerechnet, dass dem nicht so sein würde und dass ich alles nur geträumt hatte. Ich setzte mich, schaute ihm flüchtig und verschämt in die Augen und senkte meinen Blick. Ich wurde rot, dessen war ich mir sicher. Meine Hände fühlten sich schwer und unbeholfen an, als ich nach der Schale mit dem Abendessen langte. Jeder Bissen war mir bewusst, jeder Ausdruck auf meinem Gesicht. An diesem Abend schmeckte das Essen besonders gut: gebratener Fisch mit Zitrone und Kräutern, frischer Käse und Brot. Alle aßen mit großem Appetit, und die Jungen beachteten mich nicht. Sie nahmen mich schon lange nicht mehr zur Kenntnis.

»Patroklos.« Die meisten sprachen meinen Namen undeutlich aus, so, als wollten sie ihn möglichst schnell über die Lippen bringen. Nicht so Achill. Er betonte jede Silbe: Pa-tro-klos. Die Sklaven räumten bereits das Geschirr ab. Ich blickte auf, und die anderen Jungen verstummten. Er nannte uns nur selten bei unseren Namen.

»Heute Nacht schläfst du in meiner Kammer«, sagte er. Fast wäre mir die Kinnlade heruntergefallen, aber ich wollte mir vor den Jungen meine Verwunderung nicht anmerken lassen, schließlich war ich als Prinz mit einem gewissen Stolz erzogen worden.

»Einverstanden«, sagte ich.

»Ein Diener wird deine Sachen holen.«

Ich konnte die Gedanken der anderen buchstäblich hören. Warum er? Obwohl von seinem Vater immer wieder dazu aufgefordert, sich einen Gefährten zu erwählen, hatte sich Achill für keinen der Jungen am Hof sonderlich interessiert, wenngleich er, wohlerzogen, wie er war, sich allen gegenüber freundlich verhielt. Und nun erwies er seine lang erwartete Ehre ausgerechnet dem niedrigsten in der Runde, mir, einem kleinen, undankbaren und womöglich verfluchten Burschen.

Als er ging, folgte ich ihm auf wackligen Beinen und spürte die Blicke der anderen im Rücken. Er führte mich am Thronsaal vorbei in einen zum Meer hin ausgerichteten Flügel des Palasts, den ich bislang nie betreten hatte. Die Wände waren mit schmuckvollen Mustern bemalt, die im Schein seiner Fackel hell aufleuchteten.

Achills Kammer lag in unmittelbarer Nähe des Wassers, von dem ein salziger Hauch durchs Fenster wehte. Hier waren die Wände nicht bemalt, sondern aus blankem Stein. Auf dem Boden lag ein einzelner Teppich. Die Möbel waren schlicht, aber sorgfältig hergestellt aus einem dunklen Holz, das, wie ich zu erkennen glaubte, aus der Fremde stammte.

Er deutete auf ein Strohlager vor der Wand und sagte: »Das ist für dich.«

»Oh.« Danke zu sagen erschien mir unangemessen.

»Bist du müde?«, fragte er.

»Nein.«

Er nickte wie zur Bestätigung einer klugen Antwort. »Ich auch nicht.«

Ich nickte ebenfalls. Wir versuchten beide, höflich zu sein. Es blieb eine Weile still.

»Willst du mir beim Jonglieren helfen?«

»Ich wüsste nicht, wie.«

»Ich zeig’s dir.«

Ich bereute, gesagt zu haben, dass ich nicht müde sei, und fürchtete, einen Narren aus mir zu machen. Aber er schaute zuversichtlich drein, und ich wollte kein Spielverderber sein.

»Na schön.«

»Wie viele Bälle kannst du halten?«

»Keine Ahnung.«

»Zeig mir deine Hand.«

Ich streckte meine Hand aus, mit dem Teller nach oben, worauf er seine darüberlegte. Ich versuchte, nicht zurückzuzucken. Seine Haut war weich und noch ein bisschen klebrig vom Essen. Die Fingerkuppen streiften meine und fühlten sich sehr warm an.

»Ungefähr gleich groß. Fangen wir erst einmal mit zweien an. Nimm diese.« Er zeigte auf sechs kleine Lederbälle, wie sie von Gauklern benutzt wurden. Gehorsam nahm ich zwei davon.

»Wenn ich’s dir sage, wirfst du mir einen zu.«

Normalerweise hätte ich mich so nicht herumkommandieren lassen. Aber aus irgendeinem Grund klangen die Worte aus seinem Mund nicht wie Befehle. »Jetzt«, sagte er. Ich ließ den Ball von meiner in seine Hand fliegen und sah ihn in der Luft kreisen.

»Und jetzt.« Ich warf den anderen Ball.

»Das machst du gut«, lobte er.

Ich fühlte mich verspottet und schaute ihn an. Aber seine Miene war ernst.

»Fang!« Ein Ball flog auf mich zu, wie die Feige am Esstisch.

Was ich zu tun hatte, war nicht schwer, und ich hatte meinen Spaß daran. So warfen wir uns gegenseitig die Bälle zu. Es war ein Vergnügen, und wir lachten.

»Es ist schon spät«, sagte er schließlich und gähnte. Ich schaute zum Fenster hinaus und sah den Mond hoch am Himmel stehen. Es überraschte mich, wie schnell die Zeit vergangen war.

Ich setzte mich auf mein Strohlager und schaute ihm dabei zu, wie er sich zum Schlafengehen zurechtmachte. Er wusch sich mit dem Wasser aus einer Kanne mit breiter Tülle und löste das Lederband von seinen Haaren. In der Stille kehrte meine Beklommenheit zurück. Wieso war ich hier?

Achill blies die Fackel aus. »Gute Nacht«, sagte er.

»Gute Nacht.« Von mir ausgesprochen, fühlten sich die Worte fremd an, fast wie eine andere Sprache.

Zeit verstrich. Im Mondlicht konnte ich auf der anderen Seite der Kammer sein Gesicht erkennen, vollkommen, als hätte es ein Bildhauer aus Stein gemeißelt. Der Mund war ein wenig geöffnet, ein Arm lag auf der Stirn. Im Schlaf sah er ganz anders aus, wunderschön, aber seltsam kalt. Ich wünschte, er würde aufwachen, so dass wieder Leben in ihn zurückkehrte.

Am nächsten Morgen suchte ich nach dem Frühstück mein Lager im Schlafsaal auf, denn ich dachte, dass man meine Sachen zurückgebracht habe. Doch dem war nicht so. Stattdessen war das Laken entfernt worden. Nach dem Mittagessen schaute ich erneut nach, nach dem Speertraining und am Abend abermals, aber mein altes Bett blieb leer und unbezogen. Zaghaft machte ich mich auf den Weg in seine Kammer, darauf gefasst, von einem Sklaven aufgehalten zu werden, was jedoch nicht geschah.

Vor der Schwelle zögerte ich. Ich sah ihn wie am ersten Tag auf seinem Bett faulenzen, ein Bein zur Seite weggestreckt.

»Hallo«, sagte er. Hätte er sich überrascht gezeigt, wäre ich sofort wieder zurück in den Schlafsaal gegangen. Aber sein Gruß klang aufgeschlossen, und er musterte mich mit freundlichem Blick.

»Hallo«, entgegnete ich und ging zu meinem Lager auf der anderen Seite der Kammer.

Allmählich gewöhnte ich mich daran. Ich zuckte nicht mehr vor Schreck zusammen, wenn er sprach, fürchtete nicht länger, zurechtgewiesen oder fortgeschickt zu werden. Nach dem Abendessen ging ich wie selbstverständlich in seine Kammer und betrachtete das Lager, auf dem ich schlief, als das meine.

Nachts träumte ich immer noch von dem toten Jungen. Doch wenn ich dann schweißgebadet erwachte, leuchtete der Mond über dem Meer und ich hörte das Rauschen der Brandung. Im Halbdunkel sah ich ihn schlafend auf seinem Bett liegen und spürte, wie sich mein Herz beruhigte. Sein Anblick strahlte eine Ruhe aus, die den Tod und alle bösen Geister töricht erscheinen ließen. Bald konnte auch ich wieder ruhig schlafen. Die schlimmen Träume stellten sich nur noch selten ein und blieben schließlich ganz aus.

Ich machte die Erfahrung, dass er weniger vornehm war, als es nach außen den Anschein hatte. Hinter seiner würdevollen Art verbarg sich ein zweites Gesicht, voller Übermut und funkelnd wie ein Edelstein, auf den ein Sonnenstrahl traf. Er spielte gern, auch solche Spiele, die er weniger gut beherrschte, fing Gegenstände mit geschlossenen Augen auf und riskierte gewagte Sprünge über Betten und Stühle. Wenn er lachte, kräuselte sich die Haut in den Augenwinkeln wie Papier, das man ans Feuer hielt.

Er war selbst wie eine Flamme, die mit ihrem Gleißen und Flackern alle Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Auch wenn er gerade erst erwachte und sein Gesicht noch ganz verschlafen war, schien er schon in seinem Glanz zu strahlen. Von nahem betrachtet, wirkten seine Füße geradezu überirdisch: Die Zehen waren perfekt geformt und die Sehnen gespannt wie Leiersaiten. Da er immer barfüßig ging, bildete sich auf den rosigen Fersen eine Hornschicht, die er auf Geheiß seines Vaters mit einem Öl behandelte, das nach Sandelholz und Granatapfel duftete.

Vor dem Einschlafen berichtete er mir von seinem Tag. Anfangs hörte ich nur zu, aber mit der Zeit löste sich auch meine Zunge. Ich erzählte meine Geschichten, von den Erlebnissen im Palast und später auch aus meiner Vergangenheit, von den Steinen, die ich übers Wasser hatte hüpfen lassen, meinem Holzpferd und der Leier aus der Mitgift meiner Mutter.

»Ich bin froh, dass dein Vater sie dir mitgegeben hat«, sagte er.

Unsere nächtlichen Gespräche zogen sich in die Länge. Es überraschte mich selbst, wie viel wir uns zu sagen hatten. Wir sprachen über alles Mögliche, über den Strand, das Essen, über den einen und anderen Jungen. Dass sich womöglich ein verletzender Doppelsinn hinter seinen Worten verbarg, fürchtete ich nicht länger. Er trug sein Herz auf der Zunge und war verwirrt, wenn andere nicht meinten, was sie sagten. Manche hätten ihn deshalb vielleicht für einfältig gehalten. Aber spricht nicht vielmehr Geistesgröße aus einer solchen Einstellung?

Eines Nachmittags, als er zu seinen Privatübungen antreten musste und ich mich deshalb von ihm verabschieden wollte, sagte er plötzlich: »Warum kommst du nicht mit?« Er klang ein wenig angespannt, und mir schien es fast, als sei er nervös, obwohl ich wusste, dass dies kaum der Fall sein konnte. Trotzdem spürte ich deutlich, dass irgendetwas Ungewöhnliches in der Luft lag.

»In Ordnung«, antwortete ich.

Während der stillen, heißen Zeit des späten Nachmittags schlief alles. Wir waren allein und schlugen den langen Weg ein, der auf verschlungenem Pfad durch den Olivenhain führte, hin zu der Hütte, in der die Waffen aufbewahrt wurden.

Ich blieb in der Tür stehen und sah ihm zu, wie er einen Speer und ein Schwert auswählte, deren Spitzen abgestumpft waren. Ich wollte nach meinen eigenen Waffen greifen, zögerte aber.

»Soll ich –?« Er schüttelte den Kopf. Nein.

»Ich kämpfe nicht gegen andere«, erklärte er.

Ich folgte ihm nach draußen auf den Sandplatz. »Nie?«

»Nie.«

»Aber woher weißt du dann …« Ich stockte, als er, den Speer in der Hand und das Schwert gegürtet, in der Mitte des Platzes Aufstellung nahm.

»Ob die Weissagung zutrifft? Ich weiß es nicht.«

In jedem Gotteskind fließt das göttliche Blut auf eigene Art. Orpheus’ Stimme brachte Bäume zum Weinen, Herkules vermochte einen Mann zu töten, indem er ihn auf den Rücken schlug. Das Geheimnis von Achill lag in seiner Schnelligkeit. Er führte den Speer so blitzartig, dass ich ihm mit den Augen nicht folgen konnte. Ich sah ihn nur hin und her schwirren. Der Schaft schien von einer Hand in die andere zu fließen, und die dunkelgraue Spitze zuckte wie die Zunge einer Schlange. Dabei bewegte er sich wie ein Tänzer und stand nie still.

Wie gebannt schaute ich zu und hielt die Luft an. Seiner Miene war keinerlei Anstrengung anzumerken, und seine vorgetäuschten Attacken waren so präzise, dass ich seine Gegner förmlich sehen konnte, zehn, zwanzig Mann, die von allen Seiten näher rückten. Er sprang und ließ den Speer wie eine Sichel sausen, während er mit der freien Hand nach dem Schwert griff, um dann mit beiden Waffen zu kämpfen.

Plötzlich hielt er inne. In der Stille hörte ich ihn atmen, ein wenig lauter als sonst.

»Wer hat dir das beigebracht?« Mir fiel nichts anderes ein als diese Frage.

»Mein Vater. Ein wenig.«

Ein wenig. Ich bekam es fast mit der Angst zu tun.

»Sonst niemand?«

»Nein.«

Ich machte einen Schritt auf ihn zu. »Kämpf gegen mich.«

Er gab ein Geräusch von sich, das fast wie ein Lachen klang. »Nein. Kommt gar nicht in Frage.«

»Doch.« Ich war wie in Trance. Sein Vater hatte ihn ausgebildet, ein wenig. Alles Weitere verdankte er – wem? Den Göttern? Es war jedenfalls göttlicher als alles, was ich bislang in meinem Leben gesehen hatte. Er ließ dieses grausame Handwerk, das, von anderen betrieben, grob und unansehnlich wirkte, geradezu schön erscheinen. Wie konnte jemand stolz auf seine Art zu kämpfen sein, wenn es so etwas in der Welt gab?

»Ich will nicht.«

»Ich fordere dich heraus.«

»Du hast keine Waffen.«

»Ich hole mir welche.«

Er kniete sich hin und legte seine Waffen in den Staub. Unsere Blicke begegneten sich. »Ich werde nicht gegen dich kämpfen. Und frage mich nie wieder.«

»Doch, das werde ich. Du kannst es mir nicht verbieten.« Trotzig ging ich auf ihn zu. Irgendetwas brannte in mir, Ungeduld, das Verlangen nach Gewissheit. Er musste sie mir geben.

Er verzog das Gesicht. Ich glaubte, Verärgerung daraus ablesen zu können, und das gefiel mir. Ich hatte ihn also anscheinend aufgebracht, und vielleicht würde er sich mir schließlich doch stellen. Die Gefahr reizte mich ungemein.

Er aber ließ die Waffen im Staub liegen und ging.

»Komm zurück!«, rief ich. Dann ein zweites Mal, noch lauter: »Komm zurück! Hast du etwa Angst vor mir?«

Er drehte den Kopf und zeigte wieder dieses seltsame, nur halb angedeutete Schmunzeln. »Nein, ich habe keine Angst.«

»Die solltest du aber haben.« Was wie ein Scherz gemeint war, klang durchaus ernst in der Stille, die über uns schwebte. Er kehrte mir den Rücken und ging weiter.

So nicht, dachte ich bei mir. Ich nahm Anlauf und warf mich ihm ins Kreuz.

Er stolperte, stürzte. Ich hielt an ihm fest und hörte ihn ächzen, als er auf dem Boden aufschlug, doch ehe ich ein Wort sagen konnte, hatte er sich unter mir weggedreht und mich bei den Handgelenken gepackt. Ich war mir nicht im Klaren darüber, wie ich mich wehren sollte, spürte aber seinen Widerstand, und dagegen konnte ich angehen. »Lass los!« Ich versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien.

»Nein.« Blitzschnell wälzte er mich auf den Rücken und stemmte mir die Knie in den Magen. Ich keuchte und war wütend, fühlte aber gleichzeitig eine seltsame Befriedigung.

»Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so kämpft wie du«, sagte ich. Geständnis oder Anklage oder beides.

»Du hast noch nicht viel gesehen.«

Trotz seines beschwichtigenden Tons bäumte ich mich unter ihm auf. »Du weißt, was ich meine.«

Seine Miene war unleserlich. Über uns raschelten leise die Blätter der Olivenbäume, deren Früchte noch nicht reif waren.

»Und, was meinst du?«

Ich wehrte mich mit aller Kraft, und er ließ von mir ab. Wir richteten uns auf. Unsere staubigen Kleider klebten am Rücken.

»Ich meine –« Ich spürte jene vertraute Mischung aus Wut und Neid wie Zunder in mir auflodern, doch die bitteren Worte verstummten, kaum dass ich sie gedacht hatte.

»Dich gibt es kein zweites Mal«, sagte ich schließlich.

Er musterte mich schweigend. »Und?«

Seine Stimme tilgte auch den Rest meiner Wut. Wer war ich, dass ich jemandem wie ihm missgönnen konnte, mir überlegen zu sein.

Er lächelte, als hätte er mich gehört, und sein Gesicht strahlte wie die Sonne.