24
Das Urteil

Ich trippelte, ich tänzelte, ich errötete, ich kicherte und hihite hinter meinem Fächer, als ich mir einen Weg nach vorn vor das Gericht bahnte – eine scheue Maid in einem von Portias raffinierteren Kleidern. Hinter mir trippelte, tänzelte, errötete, kicherte und hihite Drool in einem Kleid, das aus drei von Nerissas Kleidern genäht war, und seine Stimme klang Ton für Ton genau wie Nerissas.

»Wer ist das?«, fragte der Doge.

»Ich bin’s«, sagte ich. »Portia von Belmont, Tochter des Brabantio.«

Portias Miene büßte Farbe und Ausdruck ein, als hätte ihr jemand hinter ihrem falschen Bart den Hahn zugedreht.

»Mit meiner Magd Nerissa.«

Drool machte einen Hofknicks und gab sich wie ein monumentales, zartes, eselschwänziges Blümchen der Jungfräulichkeit.

Aus der Menge kam mancher Ausdruck des Erstaunens und der Bestürzung angesichts der schieren Größe Drools in Frauenkleidern.

»Potz Blitz, das ist die größte Frau, die ich je gesehen habe«, sagte ein Zuschauer.

»Und die hässlichste dazu«, sagte sein Begleiter.

»Ich würde sie nehmen«, sagte ein anderer.

»Was wollt Ihr für das große Mädchen?«, wurde weiter hinten eine weibliche Stimme laut.

Es war Signora Veronica, die das Bordell betrieb und aus Erfahrung wusste, dass keine Kreatur auf Erden so abscheulich war, dass nicht irgendein Freier dafür zahlte, sie zu vögeln.

Während wir Drool für diese Verkleidung bestmöglich herausgeputzt hatten, war er als Frau doch immer noch so hässlich, dass er Kindern Angst einjagte. Ich selbst hingegen, in Gestalt einer hübschen, lustwandelnden Nymphe, hätte für ausgebeulte Hosen gesorgt und Burschen im ganzen Land das Herz gebrochen, sofern ich mich stets ordentlich rasierte.

»Das ist in höchstem Maße unzulässig«, sagte der Doge. »Frauen ist es nicht erlaubt, vor Gericht die Stimme zu erheben.«

»Jawohl, Euer Hoheit, doch da ich die einzige Stimme meiner Familie bin, die noch unter den Lebenden weilt, sollte mir eine einmalige Ausnahme gewährt werden, findet Ihr nicht?«

»Es tut uns leid, von Eurer Schwester zu hören, Mylady, und ich vermute …«

»Das darf nicht sein!«, bellte Portia. »Eine Frau darf vor Gericht nur sprechen, wenn sie die Beschuldigte ist.«

»Habt Dank für Euer Beileid, Hoheit. Ich stand meiner Schwester sehr nah. Es scheint mir, als wäre es erst gestern gewesen, dass wir kleine Mädchen waren und unsere Weiblichkeit erblühte, dass wir gemeinsam badeten und einander berührten an den zartesten …«

»Diese Frau ist eine Betrügerin!«, rief Jago.

»Ja«, sagte ich und wandte mich dem Soldaten zu, nahm meinen Fächer beiseite und klimperte mit den Wimpern, sah ihn an, dann Portia. »Fahrt nur fort, o gut aussehender Wüstling.«

Portia wandte sich Jago zu und versuchte, ihm mit einem unauffälligen Kopfschütteln zu bedeuten, dass er die Klappe halten sollte, doch alle Augen im Gericht, die nicht von Drools gruseliger Grandezza gebannt waren, sahen diese Bewegung.

Jago reihte sich wieder neben Bassanio ein. »Verzeiht mir, Hoheit, ich habe mich geirrt.«

»Genarrt vom Knebel des Krieges, was?«, sagte Jones, die Puppe, unter meinen Röcken.

»Vom Nebel des Krieges, du blöder Cockney-Kasper«, erwiderte ich.

»Euer Hoheit, wenn Ihr gestattet. Bevor Ihr Antonio losbindet, möchte ich doch darauf hinweisen, dass es für das Dilemma, das der junge Rechtsgelehrte aufgezeigt hat, eine simple Lösung gibt. Shylock muss sein Messer nur in eine dieser Feuerschalen legen, um es zu erhitzen, und seinen Schnitt dann mit der glühenden Klinge ausführen, damit die Wunde schon beim Schneiden ausgebrannt wird. Kein Tropfen Blut würde vergossen. Sobald die Klinge abgekühlt ist, kann er sie erneut erhitzen und zum nächsten Schnitt ansetzen. Shylock erhält sein Pfund Fleisch, und Antonio wird kein Tröpfchen Blut verloren haben. Es mag sich ein wenig unangenehm anfühlen, wie ein Arzt anmerken würde, doch wird es dem Gesetz Genüge tun. Solcherart Methode wird im Felde oft gebraucht, um Wunden auszubrennen, stimmt es nicht, Jago?«

Jago stand neben Bassanio und machte den Eindruck, als wollte er seine Meinung lieber nicht zum Besten geben.

Antonio war benommen, nachdem er seine Todesangst, seine Rettung und nun die neuerliche Gefahr erdulden musste, während er alleweil an einen Stuhl gefesselt war.

»Jago«, sagte der Doge, »warum seid Ihr hier? Sollt Ihr nicht erst in zwei Tagen vor uns treten?«

»Ja, Jago«, sagte ich, »erklärt doch bitte mal, was Ihr hier macht, warum Ihr – nach dem Mord an Eurem Kommandanten und meiner Königin und der Verschwörung mit den Feinden Venedigs – jetzt auch noch zu früh dran seid?«

Shylock hob sein Messer vom Boden auf, tat ein paar Schritte und stach die Klinge in die glühenden Kohlen der Feuerschale, die ihm am nächsten war. Antonio drohte, ohnmächtig zu werden.

Jago stürmte auf mich zu, ragte über meiner hilflosen, weiblichen Gestalt auf. »Das … das ist nicht Brabantios Tochter, Hoheit.«

»Er hat recht, Hoheit«, sagte Portia, die offenbar ihre Fassung wiedergefunden hatte. »Diese Frau ist eine Schwindlerin.« Sie trat an mich heran und riss mir den Fächer aus der Hand. »Schaut her!«, sagte sie.

Ich riss ihr den Schnauzbart ab. »Schaut her!«, sagte ich.

Sie packte mein Kleid mit beiden Händen und riss es auf, sodass darunter mein schwarzer Narrenrock zum Vorschein kam. »Schaut her!«, sagte sie.

Ich packte sie vorn an ihrem Dichterhemd und riss es auf, sodass zu sehen war, dass sie nichts darunter trug. »Schaut her!«, sagte ich.

»Die sind aber drall«, sagte Drool und langte unter seinen Rock.

Da es Portia plötzlich zugig um die Brüste wurde, schlang sie die Arme um sich und rannte auf eher unmännliche Art und Weise schreiend aus dem Saal. Man musste ihr allerdings zugutehalten, dass sie einigen Jubel unter den Zuschauern auslöste.

Ich nahm den Schleier ab und stieg aus dem, was von Portias Kleid übrig war – unter manchem Stöhnen und Ausrufen der Überraschung. Ich zog meinen Puppenstock aus dem Kleiderhaufen.

»Drool, lauf und kümmer dich um Portia, damit ihr nichts geschieht.«

»Portia?«, fragte Bassanio.

»Ja, das war deine Frau, du Blindgänger. Geh auch du!«

»Fortunato«, knurrte Jago, der nun dem Gericht nicht mehr entkommen konnte.

»Fortunato?«, sagte der Doge überrascht, wenn auch erfreut, wie ich glaube. Die anderen Senatoren teilten seine Freude eher nicht.

»Niemand nennt mich so«, erklärte ich.

»Wir dachten, du wärst nach Frankreich zurückgekehrt«, sagte der Doge.

»Aye, genau das wollten diese beiden Schurken Euch glauben machen, zusammen mit ihrem Partner Brabantio.«

»Er ist wahnsinnig!«, sagte Jago. »Ihr wisst, wie viel der Narr trinkt!«

»Eine Weile mag ich wohl wahnsinnig gewesen sein, Euer Hoheit. Als diese beiden und Brabantio mich in seinem Keller eingemauert hatten und zum Sterben dort zurückließen, und das nur, weil ich von meiner Königin hierhergeschickt worden war, um der Vorbereitung eines neuen Kreuzzuges entgegenzuwirken. Ja, da war ich wohl eine Weile dem Wahnsinn verfallen.«

»Das ist absurd!«, sagte Jago. »Ich bin Soldat. Auf die Politik des Krieges habe ich keinen Einfluss.«

»Aber Ihr hättet ihn, wenn Ihr das Kommando bekämt, nicht wahr? Von Brabantio ernannt.«

Da stand der Doge auf. »Was sagst du da, Fortunato? Brabantio war ein geschätzter Kollege und Mitglied in diesem Rat.«

»Aber er war nicht der Doge, oder?«, sagte ich.

Antonio kam zu sich und sah mich vor dem Dogen stehen. »Ich wusste, dass er noch lebt! Ich hab’s dir doch gesagt!«

Jago verzog das Gesicht und warf dem Kaufmann einen hasserfüllten Blick zu. »Selbstverständlich lebt er«, sagte der Soldat zähneknirschend. »Warum sollte er auch nicht leben?«

»Euer Hoheit! Mein Recht?«, rief Shylock. Er zog sein rotglühendes Messer aus dem Feuer.

»Warte, Jude.« Der Doge konferierte mit den anderen fünf Ratsherren (Brabantios Sitz war noch immer unbesetzt), und nach einigem Nicken sagte er: »Nach dem Gesetz Venedigs erkläre ich Antonios Schuld für null und nichtig, und er ist frei. Wie der junge Doktor des Rechts erklärte, hast du, Shylock, als Fremdling, in Verfolgung deines Anspruchs gegen das Gesetz Venedigs verstoßen, sodass deine Forderung keine Gültigkeit besitzt.«

»Wisst Ihr, Euer Hoheit«, sagte ich, »ich vermute, dass der junge Doktor gar kein Doktor des Rechts war, sondern eine junge Dame. Und im Übrigen war die liebreizende Riesin mit der Erektion, die ihr hinausgefolgt ist, keine solche, für den Fall, dass Ihr Euch das auch schon gefragt habt.«

»Ich verlange mein Recht«, sagte Shylock. »Wenn nicht meinen Schuldschein, dann das Gold.«

»Auch auf das Gold hast du kein Anrecht«, sagte der Doge. »Der Hohe Rat hat es beschlossen.«

»Moment mal«, sagte ich. »Wo bist du geboren, Shylock?«

»Ich bin hier geboren, auf La Giudecca. Hier habe ich mein ganzes Leben verbracht.«

»Und wo verdienst du deinen Lebensunterhalt?«

»Auf dem Rialto wie jeder Kaufmann. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt dort, wo man in Venedig Geschäfte macht.«

»Wie, Euer Hoheit, kann Shylock, der in Venedig geboren und aufgewachsen ist, ein Fremdling sein? Erklärt Venedig Menschen nach Gutdünken zu Fremden, sodass Kaufleute aus anderen Ländern möglicherweise keinen rechtlichen Schutz genießen, so es der Stadt gefällt?«

Unter den Zuschauern wurde ein Raunen laut, vermutlich von den anwesenden Händlern aus aller Herren Länder.

Der Doge sah seine Ratsbrüder an, dann räusperte er sich. »Shylock ist insofern ein Fremdling, als er Jude ist und unserer Kirche und unserem Herrn nicht huldigt. Es war an seiner Weigerung zu erkennen, Antonio gegenüber Gnade walten zu lassen, denn Gnade und Vergebung sind Gebote unseres Herrn.«

»Nun ja«, sagte ich, »der Gott der Hebräer ist ein rachsüchtiger Tyrann, der ganze Völker ausrottet und seine wilde Rachsucht auslebt, wenn ihm danach zumute ist, während Euer Christengott herumstolziert und flötet: ›Oh, mit Eurer Erlaubnis, guter Herr, gestattet mir, Euch auch die andere Wange hinzuhalten und Eure ekligen Füße zu waschen. Mögt Ihr einen Laib Brot zum Fisch?‹ Na gut, das eine Mal hat er die Beherrschung verloren, bei den Geldwechslern im Tempel, womit – auch wenn ich mir mit dieser drastischen Metapher vielleicht einen Bruch hebe – ja wohl Ihr Pisser gemeint sein dürftet, und dafür habt Ihr Scheißitaliener ihn an einen Baum genagelt. Shylock ist ein Jude, aber Ihr Papisten benutzt Jesus wie ich meinen Puppenstock.« Ich ließ Jones vor ihnen hüpfen. »Ihr lockt mit seinem Lasset die Kindlein zu mir kommen, wenn es Euch gerade passt, doch derweil lauert der rachsüchtige Gott des Alten Testaments wie ein Dolch, den Ihr hinter dem Rücken versteckt, um jeden Hans und Franz abzustechen, der Euch in die Quere kommt.« Ich zückte eines meiner Messer, schnell wie eine Katze, und tat so, als erdolchte ich einen imaginären Feind.

»Hast du dich gerade mit der Heiligen Dreifaltigkeit verglichen?«, fragte einer aus dem Rat entrüstet.

»Nehmt es nicht zu wörtlich, Senator, sonst halten Euch die Leute noch für einfältig. Doch mit einem Wort: ja. Und Ihr wäret gut beraten, den Heiligen Geist meiner Dreifaltigkeit nicht zu reizen, denn sie hat zwei Enden, eines davon ein feuchter Albtraum finsterer Verheerung, gegen den Euer Othello die reinste Karnevalsprinzessin ist.«

Da erst, vor dem Gericht, Jago und Antonio in Fesseln, da wurde mir endlich klar, warum Vivian mich eigentlich nicht angegriffen hatte so wie die anderen.

»Shylock mag durchaus ein rachsüchtiger, geldgeiler Bastard sein.« Ich grinste Shylock an, um ihm zu zeigen, dass ich auf seiner Seite war. »Doch nicht, weil er ein Jude ist. Ebenso wenig seid Ihr unfähige, geldgeile Penner, nur weil Ihr Christen seid. Ihr alle huldigt demselben Gott: dem Gold. Euer Glaube folgt dem Reichtum, doch verweigert Ihr ihm diesen wegen seines Glaubens.«

»Ja! Ja!«, sagte Shylock, der nun vortrat, wobei er Antonio an seinen Stuhl gefesselt zurückließ, der sich alle Mühe gab, den Vorgängen zu folgen. »Man verweigert mir mein gutes Recht, weil ich Jude bin. Hat ein Jud denn keine Augen? Hat ein Jud denn keine Hände?«

»Hat ein Jud denn keine Schuh?«, fragte Jones, die Puppe. »Wenn man sie zählt, sind’s nicht zwu Judenschuh? Wenn man sie färbt, sind’s nicht zwu blue Judenschuh? Und wenn sie machen wie die Kuh, sind’s nicht zwu blue muhend Judenschuh?«

»So habe ich das nicht gemeint!«, sagte Shylock.

»Ich dachte, wir plaudern mal was Jüdisches. Fahrt fort«, sagte Jones.

»Wenn Ihr uns stecht, bluten wir nicht?«, sagte Shylock. »Autsch!«

»Das wäre dann ein Ja«, sagte ich.

»Warum hast du mich gestochen?« Shylock hielt sich den Arm, obwohl ich ihn mit meinem Dolch kaum berührt hatte.

»Wäre den Aufwand nicht wert, drei spitze Messer mitzuschleppen, wenn man sie beim Verhör nicht zum Einsatz bringen darf, oder? Genauer gesagt, Euer Hoheit, benutzt Ihr Euren Glauben, um diesen Juden auszuschließen, genauso wie diese beiden Halunken und Brabantio ihn benutzen wollten, um einen Krieg anzuzetteln. Einen Kreuzzug. Sie haben meine Königin vergiftet und mir von ihrem Plan erzählt, weil sie glaubten, ich würde nicht überleben und könnte es niemandem verraten.«

»Er hat keinen Beweis«, sagte Jago. »Du hast keinen Beweis.«

»Dass Antonio in Fesseln dasitzt«, sagte ich, »ist ein Beweis. Mit den dreitausend Dukaten, die er von Shylock geliehen hat, wollte er die Heirat seines Protegés Bassanio mit Portia finanzieren, um Einfluss auf den Hohen Rat nehmen zu können.«

Die Ratsherren flüsterten untereinander.

»Ist das wahr, Antonio?«, fragte der Doge.

Antonio war während meiner Tirade wieder zu sich gekommen, wenngleich er blass war und den Eindruck machte, als würde er beim nächstbesten Schock wieder in Ohnmacht fallen. »Es stimmt, dass ich Geld geliehen habe, um Bassanio zu finanzieren, jedoch deshalb, weil er Portia liebt und ich wollte, dass er glücklich wird.«

»Dann habt Ihr Euch also aus reiner Gefälligkeit für einen Freund in Gefahr begeben«, sagte der Doge, ohne den leisesten Anflug eines Lächelns. »›Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde‹«, zitierte der Doge in meine Richtung. »Befreit Antonio von seinen Fesseln.«

Die Gerichtsdiener beeilten sich, ließen den Kaufmann frei und gaben ihm sein Hemd zurück.

»Verstehe.« Ich nickte und beobachtete, wie Antonio seine Hände rieb, um sie wieder zu durchbluten. »Eure Freunde sind wahrlich der Liebe wert, Antonio. Ich habe sie einer verschwiegenen Dame anempfohlen, die ich kenne und die ihre wahre Freude an ihnen hatte. Oh, Jago, und auch Euren Freund empfahl ich. Auf Korsika saht Ihr sie mit Eurem Freund Rodrigo flirten.«

Was Antonio auch zu sagen beabsichtigte, er hielt inne, bevor es sein Schandmaul verließ, und er sah Jago an, als wüsste der Soldat eine Erklärung.

»Der Narr ist wirr vor Trauer«, sagte Jago. »Wer weiß, in welch trunkene Abgründe er gesunken ist, seit wir ihn zuletzt gesehen? Ich bitt Euch, lasst uns das Geschwätz beenden und diesen Prozess abschließen. Soll der brave Antonio seiner Wege ziehen.«

»Genau«, sagte ich, »lasst Recht geschehen, lasst uns wieder zum Alltag übergehen. Lasst uns Jagos Verrat an seinem Kommandanten und Antonios Verrat an Kirche und Staat einfach verzeihen, wie es bei Euch so üblich ist, und lasst sie in Ruhe darauf hinarbeiten, Euch in einen blutigen Krieg zu treiben, den das venezianische Volk weder will noch bezahlen kann.«

»Was für einen Krieg?«, fragte der Doge. »Selbst wenn es einen Plan gibt, wie du sagst, könnte uns weder ein einzelnes Ratsmitglied noch der General unserer Truppen in einen Krieg stürzen.«

»Davon wissen sie aber nichts, Euer Hoheit. So verschworen sie auch zu sein glauben, wissen diese beiden Stiesel doch nichts von jenem Teil des Planes, den nur ihr toter Partner kannte.«

Ich holte ein Pergament aus meinem Wams und reichte es dem Gerichtsdiener. »Das hier fand ich in Brabantios Studierkammer in Belmont.«

»Was ist das?«

»Es handelt sich um die detaillierte Bestellung eines Hutes, Euer Hoheit.«

Der Gerichtsdiener sah sich das Papier an und nickte, reichte es dem Schreiber, der ebenfalls nickte.

»Sagt mir, Hoheit, trägt noch jemand einen großen goldbesetzten Hosenbeutel auf dem Kopf wie Ihr?«

»Die herzogliche corna darf allein vom Dogen getragen werden, und er nimmt sie mit ins Grab.«

»Was glaubt Ihr dann, weshalb Brabantio sich eine solche anfertigen ließ?«

Der Doge sah die anderen Herren im Rat an. »Wusstet Ihr davon?«

Sie alle waren unschuldige Säuglinge, die staunend aus dem Binsenkorb kullerten.

»Gewiss wird Euer Schreiber bestätigen, dass es sich um Brabantios Schrift handelt. In seiner Studierkammer werdet Ihr außerdem eine Frachtrechnung für eines von Antonios jüngst verlorenen Schiffen finden. Eichen aus Frankreich und England, Sklaven vom Schwarzen Meer, Stahl und geschmiedete Klingen aus Toledo. Alles für Alexandria und Damaskus bestimmt. Für die Hände der Muselmanen.«

»Eine solche Rechnung hat es nie gegeben«, sagte Antonio. »Brabantio hatte mit meiner Ladung nichts zu tun.«

Natürlich gab es so etwas nicht, doch wenn es sein musste, konnte ich genauso schnell eine fälschen, wie ich auch die Bestellung für den Hut gefälscht hatte. Eine wahre Krone, die ein jüdischer Goldschmied anfertigen sollte, der sie mir und Jessica bereitwillig bis ins Detail beschrieb.

»Stand nicht einst ganz Venedig kurz vor der Exkommunikation, weil es während eines Kreuzzugs Waffen an die Mamelucken lieferte?«

Da erhob sich einer der Senatoren. »Antonio, wohin fuhren Eure Handelsschiffe, und was hatten sie geladen?«

»Vergesst nicht, Jago nach dem Mord am Mohren zu fragen, denn das gehörte zum Komplott.«

Unter den Zuschauern war es mittlerweile ruhig geworden, weil es nicht mehr um den Prozess gegen Shylock ging.

»Das war alles Brabantios Werk, Euer Hoheit«, sagte Antonio. »Wir haben auf seine Weisung hin gehandelt und dachten, es sei Euer Wille und der des Hohen Rates.«

Jago verzog das Gesicht, weil Antonio das Wort »wir« benutzte.

»Dann habt Ihr tatsächlich versucht, die ganze Christenheit in einen Krieg mit den Mohammedanern zu treiben?«, fragte der Doge, der mittlerweile mehr damit beschäftigt war, dass er als Teil des Planes ebenfalls ermordet werden sollte.

»Ich bin mir sicher, dass man Euch auf eine Art und Weise vergiftet hätte, die es wie ein Fieber hätte aussehen lassen, genau wie bei meiner Königin, Euer Hoheit.«

»Der Narr hat recht«, sagte Jago. »Wir haben versucht, Krieg zu stiften. Und Antonio hat recht: Wir wussten nichts von einem Versuch, Euer Hoheit zu stürzen oder Euch etwas anzutun. Wir bekennen uns schuldig.«

»Ich nicht«, sagte Antonio.

Jago ging zu Antonio und legte dem Kaufmann seinen Arm um die Schultern.

»Wir zwei Waffenbrüder«, sagte Jago. »Für Venedig wollten wir einen Krieg führen, um alle Kriege zu beenden, weil Genua es nicht mehr wagen würde, uns anzugreifen, sobald wir unter der Flagge des Papstes segelten. Friede mit Genua wäre die Folge, und Geld aus ganz Europa flösse ins Staatssäckel Venedigs, wie schon während des letzten Kreuzzugs. Und an dessen Ende, nachdem wir mit fremden Geldern Hunderte von Schiffen gebaut hatten, gehörten diese Schiffe Venedig.«

»Bis sie allesamt vor Korčula durch den Sohn des letzten Dogen verloren gingen«, sagte ich.

Jago lachte und winkte ab, als verscheuchte er ein störendes Insekt. »Venedig hatte seine beste Zeit, als die gesamte Christenheit vereint gegen einen gemeinsamen Feind stand. Wir wollten den Ruhm Venedigs wiederherstellen. Krieg ist der Lebenssaft dieser Kaufmannsrepublik. Mit jedem Schiff, das wir bauen, erweitern wir den Einfluss unserer Ideale, lenken ab von unserer Staatsform und unseren Geschäften mit den heidnischen Häfen der Welt. Jedes Schwert, das geschmiedet wird, ernährt die Kinder des Schmieds, übt seinen Lehrling, der den Zehnten an die Kirche gibt, welche die Armen speist, den Bäcker, den Fischer, den Bauern bezahlt. Sie vom Hunger befreit, ihnen Sinn und Ehre gibt, ihren Seelen dient und den Staat und ihre Märkte segnet. Es gibt keine größere Wohltat als den Krieg. Es gibt keinen höheren Liebesdienst für die Republik, als Krieg zu führen. Dessen allein haben Antonio und ich uns schuldig gemacht. Mea culpa, mea culpa, mea culpa. Ich ersuche Euch um Gnade, edle Herren.« Jago sank auf die Knie und verneigte sich. Gleich darauf folgte Antonio seinem Beispiel.

»Na, wenn das kein Riesenbeutel verblödeter Bullenhoden ist!«, sagte ich. »Du liebst deine Kriege für die Staatsschatulle, doch für den Krieger und die Witwe, das Waisenkind und die Gefangenen interessierst du dich einen feuchten Dreck.«

»Schweig, Fortunato«, sagte der Doge. »Wir wollen uns beraten.«

Der Hohe Rat drängte sich um den Dogen, es folgte reichlich Wispern und Nicken, bis ein paar Minuten vergangen waren, während der Shylock verzweifelt mit ansehen musste, wie sein Messer abkühlte.

Der Rat nahm wieder seine Plätze ein, und der Doge gab dem Gerichtsdiener Zeichen, genau zuzuhören. »Wir sind der Ansicht, dass diese Männer, wenn auch unklug, doch im Interesse Venedigs gehandelt haben, und daher wird die Klage gegen Antonio abgewiesen, und die Republik spricht ihm die neuntausend Dukaten zu, um sein Geschäft neu aufzubauen. Das Scheitern eines Kaufmanns von Antonios Format ist das Scheitern unseres Staates, und wir dürfen nicht zulassen, dass er zugrunde geht. Da es keinen Beweis gibt, dass Antonio mit den Mohammedanern Handel trieb, was uns der HeiligeVater verboten hat, steht es ihm frei, sich Schiffe zu beschaffen und unter dem vollen Schutz des Staates Venedig Handel zu treiben. Ihr dürft gehen, Antonio.«

Antonio dankte ihnen, dann hastete er eiliger davon, als ich es für möglich gehalten hätte, obwohl er jemanden brauchte, der ihm half, sein Gold zu tragen.

»Jago«, fuhr der Doge fort, »es wurde festgestellt, dass auch Ihr im Interesse des Staates gehandelt habt, und es gibt keinen Beweis dafür, dass Ihr dem Befehl Eures Generals nicht gefolgt seid, selbst dann nicht, als er dem Wahn anheimfiel. Zwar kommen wir im Moment zu keiner Entscheidung in der Frage, welche Stellung Ihr in Zukunft bekleiden werdet, doch seid Ihr von allen Vorwürfen frei und könnt gehen. Fortunato und Shylock werden von der Wache festgenommen, weil sie in der Öffentlichkeit Waffen bei sich trugen, und umgehend ins Gefängnis neben unserem Palast verbracht.«

»Das darf doch wohl nicht wahr sein«, sagte ich. Vier Wachen mit Speeren kamen vom hinteren Eingang auf mich zu. Von beiden Seiten des Podiums näherte sich mir ein weiteres Paar. Shylock war auf die Knie gefallen, hatte sein Messer losgelassen und schüttelte ungläubig den Kopf.

Ich rannte direkt auf das eine Paar der Wachen zu, dann tat ich, als hielte ich auf das andere zu, und als sie ihre Speere auf mich richteten, wich ich aus, sprang auf den Tisch vor dem Dogen und schleuderte Papierkügelchen auf das Holz, die mit lautem Knall explodierten, was zwei Ratsherren rückwärts von den Stühlen warf. Die Wachen hielten inne, doch als sich der Rauch gelegt hatte, rückten sie weiter vor. Ich warf ihnen noch zwei meiner Papierbomben vor die Füße, und sie machten einen Satz zurück. Die vier Wachen von den Hintertüren waren vor dem Podium angekommen, und ich schleuderte zwei weitere Bomben gegen die Brustpanzer der ersten beiden. Einer von ihnen erschrak so sehr, dass er seine Waffe fallen ließ und die Flucht ergriff. Der andere, von Blitz und Rauch geblendet, schrie und schlug auf seine Brust ein.

»Wenn ich um Eure überschätzte Aufmerksamkeit bitten dürfte!«, rief ich in den Saal. Die Zuschauer drängelten sich an den Ausgängen. »Zauberpulver aus dem Orient«, erklärte ich dem Dogen. Mit einem Salto sprang ich vom Tisch, landete direkt vor Jago und blickte grinsend zu ihm auf, während ich die Lunten an zwei Papierrohrbomben zündete. Ich rannte auf die beiden Wachen zu, die sich seitlich zurückgezogen hatten, und bellte sie an. Mit einem Satz wichen sie mir aus, und ich knallte die beiden Bomben in zwei große Weinamphoren, die dekorativ an der Wand standen. Ich hüpfte an Jago, dem Rat und den verunsicherten Wachen vorbei, entzündete die nächsten beiden Papierröhrchen und warf sie in Amphoren in der anderen Ecke.

»Man nennt es Drachenpulver«, erklärte ich. »Von Marco Polo nach Venedig gebracht, den eine Lösegeldzahlung gerettet und befreit hat, die ausgerechnet durch den Fremdling Shylock vorgenommen wurde. Verzeihung«, sagte ich. Ich hob meinen Zeigefinger, um den folgenden Moment in meiner Ansprache zu unterstreichen, dann steckte ich zwei Finger in die Ohren, kurz bevor die ersten beiden Amphoren explodierten und den Saal mit Scherben übersäten. Silbrige Rauchpilze stiegen zum Deckengewölbe auf. Entsetzte Schreie gellten durch den Saal, Zuschauer stürzten einer über den andern, um durch die Türen zu gelangen. Die Ratsherren waren aufgesprungen, schienen jedoch nicht zu wissen, was sie anderes tun sollten als aufzuspringen. »Nur ein Fingerhütchen voll«, sagte ich. »Und gleich noch mal.« Die anderen beiden Amphoren explodierten mit ähnlicher Wucht wie die ersten. Selbst Jago zuckte zusammen, die Hand am Schwert.

»Ein Fingerhütchen voll, Euer Ehren. Und in diesem Augenblick sind Katapulte und Bliden zentnerweise mit diesem Drachenpulver geladen, in große Kugeln aus Stahl und Stein gefüllt, um auf Eure Stadt abgefeuert zu werden. Von Othello.«

»Othello ist tot!«, rief Jago.

»Ist er das, Jago? Saht Ihr ihn fallen? Saht Ihr seinen Leichnam?«

Jagos Augen tanzten am Rande ihrer Höhlen, auf der Suche in seiner Erinnerung.

»Blut!«, sagte Jago. »Meine Frau …«

Draußen erscholl eine Trompete, hallte vom Hafen und dem Arsenal herüber. Die Glocken von St. Markus läuteten.

»Ein Ruf zum Gebet?«, fragte ich. »Zu dieser Stunde?«

»Das Zeichen für die Ankunft der Flotte«, erklärte der Doge.

»Nun, wie Ihr sagtet, Euer Hoheit, hat Jago für die Republik gehandelt. Als er Othello hinterging, handelte er im Namen der Stadt, und nun wird der tapfere Othello, der rachsüchtige Othello, der Fremdling, der Mohr, mit hundert Schiffen, bewaffnet mit Drachenpulver, das todbringende Höllenfeuer auf Eure geliebte Stadt regnen lassen, bis kaum mehr als brennender Schutt und eine ferne Erinnerung von ihr übrig sind. Venedig, Euer Hoheit, ist nicht mehr. Das war der Test. Ihr habt versagt.«

»Fortunato«, flehte der Doge. »Das mit deiner Königin wussten wir doch nicht.«

»Jetzt wisst Ihr es, und mich wirft man ins Gefängnis. Sputet Euch, solange Ihr noch Wände habt. Ein Fingerhütchen voll.« Ich hielt eine der Papierrohrbomben hoch, die ich mir unter den Gürtel geklemmt hatte.

»Bitte den Mohren um Gnade. Wir wussten von nichts. Wir haben ihn zu unserem General gemacht.«

»Verhaftet Jago!«, sagte ich.

»Verhaftet ihn!«, sagte der Doge. Wachen traten auf Jago zu, und als er nach seinem Schwert griff, hielt ich eines meiner Messer zum Werfen bereit. »Ich töte dich auf der Stelle, du mieser Hundsfott.« Er ließ sich von den Wachen bei den Armen nehmen.

Inzwischen hatten sich einige Zuschauer wieder umgewandt, um zu sehen, was da vor sich ging.

»Begnadigt Shylock und gebt ihm sein Geld zurück!«

»So soll es sein«, sagte der Doge, und die Ratsherren nickten wie pickende Hühner. »Die neuntausend Dukaten werden somit Shylock zugesprochen, und er wird von aller Schuld befreit. Doch nun, bitte, Fortunato, geh zu Othello und flehe um Gnade für Venedig.«

»Nennt mich nicht Fortunato.«

»Pocket, bitte! Gnade!«

»Antonio hat das Gold schon mitgenommen«, sagte Shylock.

»Wir rufen ihn zurück«, sagte der Doge. »Er hat sich mit Jago verschworen und wird verhaftet. Jetzt geh! Rette die Stadt!«

Gerade wollte ich loslaufen, als eine vertraute Stimme durch den Saal dröhnte.

»Euer Hoheit! Senatoren!«

Die Menge teilte sich, und Othello schritt hindurch, in gülden-weiß gestreifte Seide gewandet, mit einem langen Schleier am bronzenen Sarazenenhelm und seinem juwelenbesetzten Krummsäbel in einer gelben Schärpe um den Bauch.

Der Doge kam um den Tisch und sank auf die Knie.

»Oh, bitte, Othello, General, bitte verschont die Stadt! Venedig ist Euch auf ewig treu ergeben. Zerstört unsere Stadt nicht! Wir hatten ja keine Ahnung!« Der Doge verneigte sich, bis sein alberner Hut den Boden berührte.

Othello sah mich an. »Narr?«

»Mohr!«, sagte ich. »Fescher Aufzug.«

»Was treibst du schon wieder?«

»Enthaltet Euch des Drachenpulvers, Othello!«, sagte der Doge. »Bitte verschont die Stadt!«

»Ach, das?«, sagte ich und steckte mein Messer weg. »Das stimmt gar nicht. Alles, was wir hatten, haben wir verballert. Ich muss mich sputen, um Antonio noch einzuholen. Adieu!«