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Mechsammelplatz, Rashier, Kalifat Rashier Astrokazy, Peripherie29. Juni 3058
Marcus sprang auf den Boden, während die langen Rotorblätter des Hubschraubers noch mit einem gefährlich schneidenden Geräusch durch die Luft peitschten. Er duckte sich instinktiv, während er Nihail Sallahan über den Asphalt des Landeplatzes folgte - und richtete sich erst wieder auf, als sie vor einem großen, alten Hangargebäude ungepflasterten Lehmboden erreichten. Jericho und Ki-Lynn folgten dicht hinter ihm.
Der schwarzgekleidete Krieger hatte nur kurz entschuldigend genickt, als Marcus im Hubschrauber das Bewußtsein wiedererlangt hatte. GioAvanti hätte ihn am liebsten aus der offenen Tür geworfen, aber es dauerte nicht lange, bis er erkannte, daß der Astroskaszy recht gehabt hatte. So ziemlich das einzige, was er in einem zerbeulten alten Geländewagen inmitten eines Mechkampfes hätte erreichen können, wäre sein Ableben gewesen. Nur verhalf ihm diese Einsicht keineswegs dazu, sich besser zu fühlen.
Der Hangar war aus Lehm und Steinen über einem
Rahmen aus grobbehauenen Holzbalken und Preßspanplatten gefertigt
und stand knapp innerhalb der Mauern einer weiteren Kalifenfestung,
viel kleiner als die von Shervanis, aber ihrer schwereren
Verteidigungsanlagen wegen durchaus beeindruckend. Aus der Luft
hatte Marcus erkennen können, daß kleinere Teile der Stadt in
Trümmern lagen, aber hier am Boden wirkten die Häuser viel solider
gebaut. Das warf ein gutes Licht auf den hiesigen Herrscher, Kalif
Rashier.
Nihail winkte die Wachen an den offenen Hangartoren weg und ließ
die drei MechKrieger ohne Aufenthalt eintreten. Im Innern des
improvisierten Mechhangars standen zwei alternde Kampfkolosse. Ob
es sich dabei um die gesamte Mechstreitmacht des Kalifen oder nur
um einen Teil von ihr handelte, konnte Marcus nicht sagen. Was er
sah, war eine Spinne und ein
Centurion beide reichlich mitgenommen.
Um die Füße der beiden Mechs waren mehrere Hilfsfahrzeuge geparkt,
wie Spielzeugautos zweier Riesenkinder. Ein alter Rommel und zwei zerbeulte Striker waren noch die besten Exemplare. Nihail
ging in Richtung der Fahrzeuge und einer Postenkette um die
Spinne voraus.
Die Wachen wirkten um nichts weniger bedrohlich als die in Shervanis. Sie waren offensichtlich mit einem Auge auf Größe rekrutiert und mit langen Krummsäbeln bewaffnet, die mit beiden Händen geführt werden mußten. Sie trugen das Uniformähnlichste, was Marcus auf Astrokazy bis jetzt gesehen hatte: weite blutrote Hosen und ein loses Hemd derselben Farbe, an Knöcheln und Handgelenken gerafft, kurze schwarze Westen, und auf dem Kopf statt eines Turbans ein Kaffiych, ein von einem Seilring gehaltenes Tuch.
Außerdem hatte Marcus den Eindruck, in der Art, wie sie vor Nihail zur Seite wichen, mehr als nur Respekt zu erkennen. Eher so etwas wie Angst. Das ließ ihn nachdenklich werden. Inzwischen gingen sie durch die Reihe der Kriegerposten auf einen weiteren Mann zu, der auf sie zu warten schien. GioAvanti war so in Gedanken verloren, daß Jericho ihn anstoßen mußte, sonst hätte er die erste Bemerkung ihres Gastgebers nicht verstanden.
»Kommandant GioAvanti?« Der dunkelhäutige Mann lächelte, als er Marcus' Aufmerksamkeit erregt hatte. »Ah, gut. Ich bin Kalif Srin Obbaka Rashier. Nihail hat seinen Bericht über Funk vorausgeschickt. Es tut mir leid, daß wir nicht in der Lage waren, alle Ihre Leute herauszuholen.«
Nach Shervanis dachte Marcus zu wissen, was er von einem Kalifen zu erwarten hatte, aber Rashier überraschte ihn. Der lässig an den Fuß der Spinne gelehnte Mann war in eine lose schwarze Baumwollhose und ein weißes Hemd mit bauschigen Ärmeln gekleidet. Seine Haut war dunkel, fast so dunkel wie die Thomas Fabers, und sein Haar fiel in öligen schwarzen Locken bis über die Schultern. Sein Gesicht war lebhaft, aber Marcus bemerkte, daß sein Lächeln die grausamen dunklen Augen nicht erreichte.
»Kalif Rashier«, erwiderte er die Begrüßung und neigte den Kopf nur ein wenig. »Können Sie mir etwas über das Ergebnis der Schlacht sagen? Wissen Sie, was aus den Angeli geworden ist?«
»Im Kalifat Shervanis geschieht kaum etwas, über das ich nicht informiert bin, Kommandant. Ohne die Unterstützung der verfluchten Krieger des technologischen Götzen hätten wir Shervanis schon vor Jahren auf die Knie gezwungen.«
Marcus sah den fanatischen Glanz in Rashiers Augen und tat die religiöse Anspielung als Hinweis auf die neue Hegemonie-Ausrüstung ab. »Und was wissen Sie über die Schlacht?« fragte er wieder, bemüht, seine Ungeduld im Zaum zu halten.
Das Lächeln des Kalifen war kein angenehmer Anblick. »Ihre Söldner wurden eine Stunde nach ihrer Landung zurück in die Wüste getrieben. Die Helfer al Shaitans verfolgen sie. Und was sie übersehen, wird die Wüste verschlingen. Die Shaharazad ist kein Ort, der zu hoffnungsvollen Erzählungen anregt, Kommandant. Sie ist verräterisch, und wo das Land nicht feindselig ist, herrschen die Nomadenkrieger. Sie werden verschlingen, was von Ihrer Einheit übrig ist.«
So einfach ist das. Marcus fühlte die Spannung in der Brust- und Armmuskulatur, als er die Fäuste so fest ballte, daß seine Fingernägel sich schmerzhaft in die Handfläche gruben. Nein, ich weigere mich, das zu akzeptieren. Die Angeli sind Überlebenskünstler. Er konnte die Möglichkeit eines so katastrophalen Schlachtverlaufs nicht annehmen, daß es unmöglich für ihn sein sollte, seine Einheit wiederaufzubauen.
»Was verloren ist, läßt sich allzeit zurückerlangen«, stellte der Kalif wie ein Echo von Marcus' Gedanken fest. »Ich brauche Krieger, Kommandeure, Ausbilder. Zusammen können wir den unseligen Shervanis stürzen.«
Marcus schüttelte den Kopf. »Ich weiß die Anstrengung zu schätzen, die Sie für unsere Rettung auf sich genommen haben, aber jetzt habe ich dringendere Probleme. Vielleicht können wir das diskutieren, nachdem ich meine Leute gefunden habe. Wenn Sie mir ... «
»Ich habe Ihnen bereits das Leben geschenkt«, schnitt Rasteier ihm mit plötzlich düsterer Miene das Wort ab. »Shervanis hatte nie die Absicht, Sie ziehen zu lassen. Er hätte sie den Räubern übergeben und Ihre BattleMechs behalten. Ich habe mein Agentennetz riskiert, um Ihre Flucht zu unterstützen. Ich habe unglaubliche Werte eingesetzt und zweiundfünfzig meiner besten Krieger verloren. Ich schlage vor, Sie überdenken Ihre Position, Kommander.«
Marcus kochte innerlich. Er sah Nihails Hand in die Falten seiner dunklen Robe gleiten, eine Geste, die mit Sicherheit für seine Augen bestimmt und als Warnung gedacht war. Aber Wut und Trauer über den möglichen Verlust seiner Kompanie wogen weit schwerer für ihn als irgendeine Vorsicht in bezug auf angemessenen Respekt einem weiteren Astrokaszytyrannen gegenüber. Zur Hölle mit der Etikette.
Doch bevor er ein Wort sagen konnte, trat Ki-Lynn vor. »Kommandant GioAvanti beabsichtigte keine Beleidigung, Srin-Pascha. Da Sie selbst Krieger verloren haben, können Sie möglicherweise seine Sorge um die Mitglieder der Angeli verstehen, die vielleicht noch leben und der Hilfe bedürfen.« Sie drehte sich halb zu Marcus um. »Ebenso wie er die Notwendigkeit versteht, Sie für Ihre Verluste bei unserer Befreiung zu entschädigen.«
Du machst es mir nicht leicht, Ki-Lynn. Sie selbst hatte ihm erklärt, daß die Anerkennung der überlegenen Position und der Einsatz von Bestechung in Form von Geschenken Teil des Spiels waren. Wir befinden uns schon wieder ernsthaft in seiner Schuld, und diesmal haben wir weniger anzubieten. Dann erinnerte sich Marcus, daß die Völker dieses Planeten überzeugte Anhänger des Grundsatzes >Auge um Auge, Zahn um Zahn< waren. »Ich kann Ihnen nicht viel versprechen, Kalif Rashier. Aber ich garantiere Ihnen die Köpfe von einhundertvier Shervanis-Kriegern in Vergeltung Ihrer Verluste.« Das Doppelte deiner Verluste, und in einem Krieg zwischen euch leicht zu garantieren.
»Ein respektables Angebot, Kommandant. Aber sie.« Rashier nickte in Ki-Lynns Richtung. »Lassen Sie immer eine Frau für sich sprechen?«
»Die Frauen meiner Einheit sind Kriegerinnen, Kalif Rashier. Wenn Sie unsere Hilfe wollen, müssen sie entsprechend behandelt werden.« Marcus sah Rashier in die Augen, entschlossen, sich in diesem Punkt durchzusetzen.
»Kriegerinnen?« fragte dieser. »Hier ist nicht
Canopus IV. Hier müssen Krieger sich beweisen.«
Marcus hörte, was geschah, und als er sich umdrehte, war bereits
alles vorbei. Jericho Ryan hatte blitzartig einen von Rashiers
Wachen entwaffnet, der jetzt bewußtlos vor ihr auf dem Boden lag.
Sein Krummschwert steckte Spitze voran im Lehm. Marcus drehte sich
wieder zum Kalifen um, und sah Nihail, der einen anderen Krieger
mit eurem wie ein lortlugel ausgestreckten Schwert zurückhielt. Alles wartete
angespannt, bis der Kalif sich ein
dünnes Lächeln abrang und nickte. »Wie Sie es wünschen. Sie werden
als Krieger behandelt.«
»Dann haben Sie mein Versprechen, Kalif Rashier. Und wenn es mir
gelingt, etwas von den Angeli zu ret
vanis geben. Mein Wort.«
Kalif Rashier ließ das Angebot eine Weile im Raum hängen. Nihail nutzte die Gelegenheit, den Posten mit der Breitseite des Krummschwerts zurück an seinen Platz zu schubsen und die Klinge wieder in den Falten des Umhangs verschwinden zu lassen. Rashier hat keine Angst davor, sich mit Könnern zu umgeben, stellte Marcus fest. Er war ebenso gefährlich wie Shervanis, aber möglicherweise umgänglicher.
»Erinnern Sie sich, was Sie dem Teufel Shervanis gesagt haben?« fragte der Kalif schließlich. »Darüber, daß der Glaube eines Kriegers ihn zum Sieg führen kann?« Er wartete auf Marcus' vorsichtiges Nicken. »Ich freue mich darauf zu sehen, wie stark der Glaube Ihrer Angeli tatsächlich ist. Meine Leute sind in Kontakt mit Ihrem Landungsschiff Heaven Sent. Es ist ihm gelungen abzuheben, aber es war gezwungen, tief in der Sharahazad wieder niederzugehen. Ein Kapitän ... Cliffy? Er meldet, das Schiff sei in drei Tagen bereit zu einem Rendezvous.«
Ein plötzliches Hochgefühl, daß nicht die gesamte Ausrüstung der Einheit verloren war, erfaßte Marcus. Es hielt jedoch nicht lange an: Die erwartungsvolle Miene des Kalifen ernüchterte ihn. »Es scheint, SrinPascha, daß wir erneut in Ihrer Schuld stehen.«
Rashiers dünnes, kaltes Lächeln sagte Marcus, daß sein Gegenüber ihn diese Schuld nicht würde vergessen lassen.
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Wildnis, Shaharazadische WüsteAstrokazy, Peripherie
29. Juni 3058
Der Sonnenuntergang in der Shaharazadischen Wüste wurde als wunderbarer Anblick beschrieben: fahle Rotund Goldtöne, die sich über das verwaschene Blau des Firmaments von Astrokazy ausbreiteten. Sand und Fels der Wüste verloren den harten Glanz des Tages; und der leichte Wind, der ständig aus Osten wehte, brachte die erste Ahnung der nächtlichen Kälte.
Für Cameron St. Jamais, der das Farbenspiel durch den Sichtschirm seines Todesbote beobachtete, besaß das Schauspiel wenig Reiz.
Er hätte den Kampf eines tiefdunklen Blaus gegen prächtige Streifen aus Rot, Gold und Violett vorgezogen. Vielleicht eine tiefhängende Wolkendecke am Horizont, die blutrot schaumig zu kochen schien, als die Sonne sich ihr entgegensenkte. So sah der Sonnenuntergang auf Campoleone aus. Wild und leidenschaftlich. Seltene Augenblicke in den Diensten von Blakes Wort.
Aber die Zeiten änderten sich. Die Innere Sphäre stand an der Schwelle einer neuen Ära, eines Zeitalters des Chaos und des Wahnsinns, aus der sie ans Licht der wahren Ordnung geführt werden konnte. Es war die erhabene Verpflichtung von Blakes Wort, dafür zu sorgen, daß es so kam. Nicht als Marionetten Thomas Mariks und seiner Liga Freier Welten - noch durch die Rückkehr zu den alten ComStar-Methoden des aufmerksamen Abwartens. Nein. St. Jamais wußte, daß er das Zeug hatte, zum Instrument des Chaos zu werden, und wenn Demona Aziz sich nicht einmischte, würde er ihr gestatten, den Weg ans Licht der Vision Blakes einzuschlagen. Dann, früher oder später, würde er selbst auf den Thron eines Primus der Neuen Ordnung aufsteigen. Der Sturz der Angeli kündigte seinen Aufstieg zur Macht an.
Er suchte den Horizont ab, als erwarte er, BattleMechs auf dem Marsch zu sehen, obwohl er wußte, daß die Überreste der Gli Angeli di Avanti fast eine Tagesreise entfernt und in die unterschiedlichsten Richtungen verstreut waren. Er hatte sie zerschlagen, sie in eine Falle getrieben ganz ähnlich der, die sie auf Marantha gegen ihn benutzt hatten. St. Jamais war dankbar für Kalif Rashiers günstig getimten Angriff. Er hatte ihn ein paar mehr Leben und vielleicht einen BattleMech mehr gekostet als es sonst der Fall gewesen wäre, aber schließlich hatte er ihm eine Gelegenheit geboten, wie sie Shervanis nie zustande gebracht hätte.
Was jetzt noch von den Angeli übrig war, konnte nicht über ein paar verstreute BattleMechs ohne Zugriff auf Nachschub oder Hoffnung auf Abtransport hinausgehen. Seine Luft/Raumkräfte hatten während der gesamten Zeit an einem Piratensprungpunkt über Astrokazy auf der Lauer gelegen und ihr Sprungschiff inzwischen aus dem System vertrieben, so daß für die Söldner keine Rückzugshoffnung mehr bestand. Das Magistrat würde zwar erfahren, daß die Mordbanden von Astrokazy aus zugeschlagen hatten, aber bis die Canopier soweit waren, mit massierten Kräften hier zu erscheinen, würden seine Leute längst fort sein und die einzigen Hinweise auf Sun-Tzu Liao deuten. Das war schließlich Sinn und Zweck dieser Blindpartie. Isolation. Schutz.
Nein, die Angeli waren besiegt, und wenn ein Söldner den Einheiten entging, die er am Rand der Wüste auf Streife gesetzt hatte, würde er dort draußen nicht lange überleben. Ihr Verschwinden würde keine größere Unruhe auslösen. Nur eine weitere Söldnereinheit, die aus der Peripherie nicht zurückgekehrt war. Er hatte inzwischen besseres zu tun, indem er sicherstellte, daß die Schutzmaßnahmen um das versteckte Verteilerzentrum in Shervanis lückenlos funktionierten. Die drei Lanzen, die er hierher abgestellt hatte, waren mehr als genug, um mit den Söldnern aufzuräumen.
Ohnehin hatte nur ein einziger Angeli ihn jemals wirklich interessiert. GioAvanti. St. Jamais hatte sich die Schlacht zwischen ihm und dem Söldnerkommandeur, der ihn auf Marantha so geschickt überlistet hatte, oft ausgemalt. Aber Shervanis hatte gemeldet, daß GioAvanti zusammen mit drei anderen bei einem Fluchtversuch aus dem Palast gestorben war. Zwei MechKriegerinnen wurden im Verteilerzentrum gefangengehalten, aber sie waren St. Jamais gleichgültig. Vielleicht würde er sie Malachye ausliefern - der Kalif hatte ein besonderes Interesse an den zwei Frauen ausgedrückt, und möglicherweise konnte er damit das lästige Drängen des kleinen Tyrannen für eine Weile beschwichtigen, daß St. Jamais die auf Astrokazy stationierten BlakeGuard-Einheiten gegen Rashier einsetzte. Andererseits gefiel Cameron St. Jamais der Gedanke nicht, frühere Mechkriegerinnen einem Schicksal als Sklavinnen oder schlimmerem auszuliefern. Besser, auf dem Schlachtfeld zu fallen. Vielleicht würde er die Gefangenen auch einfach nur exekutieren, sobald er sicher sein konnte, daß sie keinen Wert als Geiseln mehr hatten.
Er wendete den Todesbote und marschierte auf das ferne Leuchten von Shervanis zu. Während des ganzen Weges schlug er in Gedanken eine ruhmreiche Schlacht gegen Marcus GioAvanti - Schlag um Schlag, und wie immer gehörte der Sieg Cameron St. Jamais.
30 Wildnis, Shaharazadische Wüste Astrokazy, Peripherie1. Juli 3058
Charlenes Sensoren kreischten schrill und durchdringend, um sie vor anfliegenden Raketen zu warnen. Eine Sekunde später schlug eine Salve Langstreckenraketen dicht neben ihr in eine Säule aus geschichtetem Sandstein ein. Große Brocken des gelb-rosa-gestreiften Steins regneten auf ihren Feuerfalke herab und prasselten über das Cockpitdach und den oberen Torso. Sie drehte den Oberkörper des Mechs in Richtung der Flugbahn und zog das Fadenkreuz über den fernen Punkt, den ihr Bordcomputer als AttentäterBattleMech identifizierte. Dann feuerte sie den smaragdgrünen Strahl ihres schweren Lasers ab. Die Zielerfassung meldete einen Streifschuß am rechten Arm des Attentäter, und der Mordbanden-Mech verschwand zwischen den zerklüfteten Gipfeln und Felssäulen ringsum außer Sicht.
Sie lassen nicht locker. Versuchen, uns in die offene Wüste zu treiben. Die Temperatur im Innern des Cockpits stieg kurz an, als die Wärmetauscher des Feuerfalke sich bemühten, mit der Wüstenhitze und der Abwärme des schweren Lasers fertigzuwerden, aber die automatisch verstärkte Kühlleistung ihrer Weste kompensierte den Hitzestoß ohne große Probleme. Aber wenn es wirklich heftig wird, werde ich gesotten.
Nach dem Befehl an die Angeli, in die Wüste zu fliehen, hatte sie sich mit Chris Jenkins zusammengetan - dem MSK-Offizier am Steuer des Vulkan. Sie waren in die Wildnis vorgedrungen und hatten sich am Rand der offenen Wüste entlang in westlicher Richtung weitergearbeitet. In jener ersten Nacht hatten sie nur ein paar Stunden Pause eingelegt. Weil sie sich sicher fühlten, hatten sie dann in der letzten Nacht früher Halt gemacht und in Schichten geschlafen: zwei Schichten zu je sechs Stunden.
Und früh am Morgen hatte eine mittelschwere
Lanze der Marianer sie entdeckt.
Chris' Vulkan hatte die Flucht durch
die steilen, gewundenen Schluchten, scharfkantigen Klippen und
hochaufragenden Felssäulen angeführt, die den äußeren Rand der
Shaharazad markierten. Die Wildnis. Obwohl beide Mechs sprungfähig
waren, hatten sie auf den Einsatz der Sprungdüsen verzichtet, um
Reaktionsmasse zu sparen - und in der Hoffnung, ihre Verfolger
abhängen zu können. Der Feuerfalke
hatte die Rückendeckung übernommen, weil er auf größere Distanz
schlagkräftiger war.
Charlene lief um einen breiten Vorsprung aus orangerotem Sandstein
und wurde schneller, als sie und Chris eine kurze Gerade
erreichten. Wir müssen sie abschütteln.
Bereits nach einer Stunde ihrer Flucht hatten die Sensoren des
Vulkan heute morgen zwei weitere Mechs
geortet, die ihnen in der Wüste folgten. Dieselben Daten waren
seither noch wiederholt aufgetaucht, in der Regel im Süden, als sie
dichter an die Wüste herankamen, aber gelegentlich auch weiter
voraus. Es waren keine anderen Angeli. Zumindest hatten sie auf
ihre Funksignale nicht reagiert. Wenn das
ebenfalls Mordbanden sind, die einen Hinterhalt planen, müssen wir
hart zuschlagen und an ihnen vorbei, bevor die anderen aufgeholt
haben.
Plötzlich zeichnete der Computer des Feuerfalke zwei Ziele auf die Sichtprojektion: den
Attentäter und einen Verteidiger. Eine neue LSR-Salve zuckte auf den
Rücken des Feuerfalke zu, fast
augenblicklich gefolgt von einem Strom bläulichweißer Energie, als
der Ver- teidiger seine PPK abfeuerte.
Charlene hatte den Mech bereits gedreht, um den Schaden mit der
rechten Seite statt der schwächeren Rückenpanzerung abzufangen. Die
fünf LSR krachten in das rechte Mechbein und schlugen kleine Krater
in die Panzerung. Der PPKBlitz zuckte über sie hinweg und
zerschmetterte die Spitze einer nahen Felsnadel. Charlene dankte
dem Himmel für ihr Glück und erwiderte das Feuer mit einem
einzelnen Schuß des schweren Lasers. Sie war bereits um die nächste
Biegung verschwunden, bevor ihr Computer registrieren konnte, ob
sie getroffen hatte.
Vor ihr öffnete sich ein flaches Tal, das zur anderen Seite, an der
Chris Jenkins' Vulkan wartete, immer
breiter wurde. Mehrere flache Hügel zerschmetterter Felsen waren
über den Talboden verstreut. Der Wind trieb feinen Sand wie fahle
Nebelschwaden über den Boden, die sich an den Felsen und den Beinen
des BattleMechs brachen. Hinter dem Vulkan sah Charlene die Dünen der offenen
Wüste.
»Falke Eins, wir haben ein Problem.« Chris' Stimme klang selbst
durch die elektronischen Filter der Funkleitung matt.
»Nach Norden, Ensign. Wir verziehen uns tiefer in die
Wildnis.«
Der Vulkan drehte sich, bis er dem
näherkommenden Feuerfalke genau
gegenüberstand. »Keine gute Idee, Falke. Im Norden ist Wüste. Wir
würden in einen Ausläufer hineinrennen, auf drei Seiten nichts als
Sand und freier Raum. Fünf bis sechs Klicks offene Wüste, bis wir
wieder im Gebirge wären.«
Charlene schlug wütend mit der flachen Hand auf die Lehne der
Pilotenliege. Verdammt. »Hast du auch
eine gute Nachricht?«
»Mein Flammer arbeitet noch.«
Das war's also. Sie konnten es entweder in der offenen Wüste darauf
ankommen lassen, oder sich hier zum Kampf stellen, wo sie zumindest
ein wenig Deckung finden mochten. Chris schlug vor, hier zu
kämpfen, wo sein Mech dicht an den Gegner herankommen und mit dem
fusionsgetriebenen Flammenwerfer dessen Betriebstemperatur in die
Höhe jagen konnte. Charlene mußte zugeben, daß sie des Weglaufens
müde war. Sie ließ den Arm des Luchs
fallen, den sie seit zwei Tagen mitschleppte. »Wir schlagen zu,
wenn sie um die Ecke kommen«, entschied sie. »Dann springen wir zu
dem Hügel da links. Mit etwas Glück schaffen wir es, zwei Salven
abzufeuern, bevor sie reagieren können.«
Jetzt muß ich büßen, daß ich die Angeli ins
Unglück geführt habe, dachte sie und richtete alle Waffen
auf den Taleingang. Sie war entschlossen, ihr Leben so teuer wie
möglich zu verkaufen und Chris Jenkins eine Fluchtchance zu
verschaffen, wie sie es für jeden Angeli getan hätte. Wie Brent es für mich getan hat. Der Verteidiger hatte das Pech, als erster Mech um den
Felsvorsprung zu kommen, der den Taleingang bewachte. Der
smaragdene Laserstrahl des Feuerfalke
schlug hart ein, gefolgt von einem Stakkato rubinroter Lichtpfeile
aus den mittelschweren Lasern beider Maschinen. Der von diesem
Angriff völlig überraschte Mordbanden-Mech kippte nach hinten, als
er mehr als anderthalb Tonnen Frontpanzerung verlor. Er fiel aus
ihrer Sichtlinie, zurück hinter den Felsen, um den er gebogen
war.
Der ist eine Weile draußen, dachte
Charlene, die mit dem Feuerfalke
bereits in Richtung des Hügels unterwegs war, und machte die
Geschütze für einen weiteren Schlag gegen den Attentäter klar. Die Hitze im Cockpit war nach der
ersten Breitseite bereits beträchtlich, der Schweiß ergoß sich in
Sturzbächen über ihr Gesicht und sammelte sich in den Armbeugen.
Wenn sie die Angreifer nicht schnell erledigen konnten, steckten
sie in bösen Schwierigkeiten.
Aber der Attentäter kam nicht um die
Biegung, wie sie es erwartet hatte. Von den eigenen Sprungdüsen
getragen, flog der 40-Tonnen-Mech über die flache Steigung links
von Charlene und bedrohte ihre Flanke. Fast gleichzeitig traten ein
Hermes II und ein Centurion in den Eingang des Tals.
Allesamt ältere Konstruktionen, erkannte Charlene und dankte dem
Himmel für dieses kleine Geschenk. Diesmal beschränkte sie sich auf
den Einsatz der mittelschweren Laser, um den Wärmetauschern etwas
länger Gelegenheit zu geben, die Betriebstemperatur auf ein
erträgliches Maß zu senken. Zufällig nahm sie denselben Angreifer
unter Beschuß wie Chris: den Centurion.
Dann trat der Canopier mit seinem Vulkan aus der Deckung und rannte auf den
Attentäter zu, zog dessen Feuer auf
sich und ließ Charlene in ihrer geschützten Position, um von dort
den Taleingang zu halten.
Durch ihre teilweise Deckung, die den beiden anderen Räubern einen
Angriff über weitgehend ebenes Gelände aufzwang, hatte Charlene
einen leichten Vorteil, den sie auszunutzen wußte. Die Autokanonen
des Centurion sprengten große Brocken
aus dem Berghang vor ihr, aber nur eine der Granaten aus
erschöpftem Uran schlug bis zu ihr durch. Die allerdings
zerschmetterte fast eine Tonne Panzerung in der Torsomitte des
Feuerfalke. Der Laserbeschuß war etwas
kräftiger, kostete ihren Mech eine weitere Tonne Panzerung am
rechen Torso und peitschte über seinen rechten Arm, bis ihr Angst
und Bange um den schweren Laser wurde. Dann kehrte der Verteidiger in die Schlacht zurück, und ein
künstlicher Blitz aus seiner PPK kochte noch das letzte Gramm
Panzerung von
297 ihrem linken Mecharm und entblößte sein Titanstahlskelett.
Mit einer schnellen Drehung und zwei langen Schritten brachte Charlene den Feuerfalke ganz hinter den Hügel. Damit hatte sie sich bestenfalls ein paar Sekunden erkauft, und die benutzte sie dazu, nach Chris zu sehen. Der Vulkan und der Attentäter waren am breiteren Ende des Tals in eine Art mörderischen Walzer verstrickt - der Attentäter versuchte, Chris' Flammer auszuweichen, Chris war nicht weniger darum besorgt, keine Treffer von den KSR-Lafetten oder dem mittelschweren Laser seines Gegners zu kassieren. Komm schon, Chris, benutz deinen Grips. Du bist doch noch nicht lebensmüde.
Dann erschienen, geradeso wie vorher der Attentäter, zwei neue Mechs auf Fackeln superheißen Plasmas über dem Rand des Tals. Wegen ihrer flachen Sprünge waren sie bis zuletzt unsichtbar geblieben, bevor sie plötzlich über dem Felskamm auftauchten und sofort wieder absackten, diesmal in den Talkessel. Sie landeten hinter Charlene, die damit zwischen den drei Räubern in der Falle saß. Ein Dunkelfalke und ein Vollstrecker, und beide hoben ihre Armwaffen in ihre Richtung. Charlene hob den rechten Arm des Feuerfalke, bemüht, ein Ziel zu erfassen, war sich aber klar, daß sie es nicht mehr rechtzeitig schaffen konnte. Beide Mechs spien einen Sturm von Lichtenergie und AKGranaten aus, der ihren Feuerfalke im günstigsten Fall noch den letzten Panzerschutz kosten mußte. Wahrscheinlicher war, daß sie in wenigen Sekunden nur noch fünfundvierzig Tonnen Altmetall steuerte.
Aber beide neueingetroffenen BattleMechs
verfehlten sie.
Charlene brauchte nur eine Sekunde, die neue Situation zu
durchschauen, wenn es ihr subjektiv auch erschien wie mehrere
Minuten. Die neuen Mechs trugen nicht das düstere Ritterwappen der
Marianischen Hegemonie. Sie hatten beide das zusammengeflickte
Aussehen von Maschinen, die im Feld in einer Art Flickenmuster mit
ursprünglich von anderen Modellen stammenden Panzerplatten
repariert worden waren. Die AK/5 des Dunkelfalke wirkte, als sei sie schon seit langer
Zeit ausgefallen und nie wieder instandgesetzt worden.
Das waren keine Mordbanden, erkannte Charlene, sondern Mitglieder
der nomadisierenden Kriegerstämme, die durch Astrokazys Wüsten
streiften! Und trotz Jericho Ryans Warnungen vor der Tendenz der
Nomaden, jeden als Beute zu sehen, der nicht ihrem Stamm angehörte,
griffen sie die Mordbanden an, und das machte sie zumindest vorerst
zu Verbündeten. Als die Nomaden sich nach beiden Seiten absetzten,
trat Charlene hinter dem Hügel vor und stellte fest, daß der
Verteidiger dabei war, ihn von der
anderen Seite zu umrunden. Deine Zeit ist
abgelaufen, dachte sie und preßte die Auslöser beider
Steuerknüppel. Der schwere Laser bohrte sich auf der linken Seite
in den Torso des Mordbanden-Mechs, während die mittelschweren Laser
und Maschinengewehre an den Armen weiter die Panzerung von der
Frontpartie des BattleMechs geißelten. Der Antwortschuß aus der PPK
des Verteidiger kochte fast die gesamte
Panzerung vom rechten Bein des Feuerfalke, und einen Augenblick lang hatte
Charlene Angst, es nicht zu überleben. Aber dann spie der
Vollstrecker eine
Hundert-MillimeterGranate aus erschöpftem Uran aus der Mündung
seiner Autokanone, die den linken Torso des Verteidiger glatt durchschlug.
Eine Trümmerwolke schien aus dem Rücken des Mordbanden-Mechs zu
steigen, als er um seine Achse drehend nach vorne stürzte.
Munitionsexplosion, dachte Charlene.
Sein LSR-Magazin ist
auseinandergeflogen. Das CASE-Sicherheitssystem des Mechs
hatte die potentiell vernichtende Energie der Detonationen durch
spezielle Sprengpanele im Rücken der Maschine abgeleitet, aber
deren Wucht war trotzdem mehr, als der Pilot bewältigen konnte, und
die 45 Tonnen schwere Maschine bohrte sich, die linke Schulter
voraus, in den Boden. Bevor sie sich wieder erheben konnte, setzte
der Vollstrecker zwei weitere Granaten
in ihren Rücken, die dessen dünnere Panzerung durchbrachen und in
das Gyroskopgehäuse schlugen.
Er weiß, wie man einen Mech am schnellsten
ausschaltet. Charlene drehte ihre Waffen in Richtung des
Attentäter, bereit, Chris zu Hilfe zu
kommen, und froh, daß die Nomaden das Feuer nicht auf sie eröffnet
hatten. Zumindest noch nicht.
Aber ebenso plötzlich, wie die Nomadenkrieger aufgetaucht waren,
hatte der Attentäter-Pilot die Nase
voll. Er stieg jäh auf zwei Plasmasäulen in den Himmel und
verschwand über den Rand des Tals. Es war sinnlos, dem leichteren
Mech nachzusetzen. Seine Höchstgeschwindigkeit betrug über 110
Stundenkilometer, und sie hatte keine Chance, ihn einzuholen. Aber
sein plötzliches Verschwinden ergab keinen Sinn. Selbst drei gegen vier haben die Mordbanden die
überlegenen Waffen und die bessere Panzerung, und sobald sie um den
Hügel gekommen und uns in einen direkten Schlagabtausch gezwungen
hätten, wäre ihnen der Sieg sicher gewesen. Es ist fast, als ob
...
Der Gedankengang brach ab, als auf der Sichtprojektion neue
Ortungssignale auftauchten. Als hätten sie
etwas gesehen, das ich noch nicht bemerkt habe. Zwei weitere
Mechs kamen aus der offenen Wüste in das Tal gerannt. Es waren
leichte Maschinen, ein Panther und eine
Hornisse. Charlene nahm den Druck auf
die Pedale zurück, wurde langsamer und brachte den Feuerfalke schließlich neben Chris' Vulkan zum Stehen. Der Zustand der beiden neuen
Mechs entsprach dem der ersten beiden, mit einem Flickenteppich aus
Panzerplatten und keinerlei Insignien. Während sie auf die
näherkommenden Maschinen wartete, betrachtete sie die
Schadensanzeige des Feuerfalke und
mußte feststellen, daß ihre Panzerung genaugenommen nicht mehr
existierte.
Wieder eine doppelte Übermacht. Bei den
Mordbanden wußte ich wenigstens, woran ich war.
3. Juli 3058
Marcus verzog schmerzhaft das Gesicht, als sich die Heaven Sent mit Mühe über die Stadtmauern Rashiers erhob und schwerfällig über dem freigeräumten Landeplatz in der Nähe des Hangars hing. Die Auswirkungen ihrer Schäden waren nicht zu übersehen.
Als sich das Schiff langsam auf den festgestampften Lehmboden senkte, kniff Marcus die Augen zum Schutz vor der durch die Fusionstriebwerke aufgewirbelten Staubwolke zusammen und registrierte die schweren Panzerschäden und das klaffende Loch in der hinteren Backbordseite. Mehrere MordbandenMechs hatten ihr Feuer darauf konzentriert, Landestütze Nummer 2 beschädigt und den hinteren Backbordgeschützturm zertrümmert, waren in den Jägerhangar durchgestoßen und hatten schließlich sogar noch den Fusionsreaktor im Herzen des Antriebsaggregats beschädigt. Es war kaum zu glauben, wie Skipper Clifford Mattila es geschafft hatte abzuheben, geschweige denn, gute fünfhundert Kilometer am Rand der Wüste entlang zu fliegen.
Das Kreischen verbogener Hydraulikkomponenten und gestreßten Metalls ließ Marcus' Zähne schmerzen. Einen Augenblick dachte er, Landestütze Nummer 2 würde wegknicken. Das Gelenk verformte sich sichtlich unter ihrem Anteil an den fast viertausend Tonnen Gewicht, aber dann hielt es doch. Die heiße Brise von den Triebwerken aufgeheizter Luft erstarb, als die Maschinen des Schiffes von einem donnernden Röhren über ein tiefes Grollen schließlich verstummten.
Kalit Jyashier, der die \nkuntt aus etwas sichererer Distanz verfolgt hatte, kam näher. Seine Eskorte erreichte Marcus und trat an ihm vorbei, um einen schützenden Kreis zu formen, in dem die beiden Männer sich unterhalten konnten. Rashier schien fast zu sehr auf Sicherheit bedacht, aber Marcus wußte, daß der Kalif auch einen großen Teil der Zeit außerhalb seines Palastes zubrachte, wenn er aktiv bei der Vorbereitung des Krieges gegen Shervanis mithalf.
»Ein bemerkenswerte Leistung, Kommandant. Wenn ich Ihr Schiff so sehe, hätte ich nicht gedacht, daß es noch zu einem Start in der Lage ist.«
Der Zustand der Heaven Sent bereitete Marcus beinahe körperliche Schmerzen. Nicht, daß ihm das Schiff mehr bedeutet hätte als das Leben seiner Leute, aber es stellte ihre einzige Möglichkeit dar, den Planeten wieder zu verlassen. »Ich bin sicher, Kapitän Mattila wird sich freuen, das zu hören«, kommentierte er trocken. Er sah, wie die Rampe des unteren Mechhangars ausfuhr und Ki-Lynn hochsprang und ins Schiff lief. »Er reklamiert schon lange die Fähigkeit für sich, das Unmögliche möglich zu machen.« Wir werden sie reparieren, versprach er. Die Angeli werden nicht auf Astrokazy stranden, was immer von ihnen noch übrig ist.
Falls der Kalif den Sarkasmus seiner Antwort bemerkte, ging er nicht darauf ein. »Sie haben um eine Unterredung gebeten, Kommandant. Kann ich etwas für Sie tun?«
»Genau genommen, wollte ich Ihnen ein bloßes Symbol meiner Wertschätzung überreichen, Kalif Rashier.« Er preßte die Worte durch zusammengebissene Zähne, wenn auch in einigermaßen freundlichem Ton. Am Kopf der Rampe tauchte Ki-Lynn wieder auf und winkte zwei Sehweber aus dem Hangar. Die in einem gelb-schwarzen Wüstentarnschema bemalten Luftkissenfahrzeuge wurden von großen Propellern am Heck angetrieben. Ihre Bewaffnung bestand zwar nur aus einem einzelnen mittelschweren Laser, aber dafür waren sie wirklich verflucht schnell.
»Savannah-Master-Schweber«, erklärte Marcus. »Sie erreichen auf einigermaßen ebenem Grund über zweihundert Stundenkilometer, perfekt für den Wüstenkampf. Nur leicht gepanzert, aber richtig eingesetzt sind sie nicht mehr da, wenn der Gegner das Feuer eröffnet.«
Der Kalif wirkte sichtlich beeindruckt. Seine Augen waren weit vor Gier, als er jeden Zentimeter der an ihm vorbei in den Hangar fahrenden Schwebefahrzeuge studierte. Als sie außer Sicht waren, verschwand jedes Gefühl aus seiner Miene, und er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Marcus zu. »Ein ausgezeichnetes Geschenk, Kommandant. Aber vielleicht ein wenig viel als Entgegnung für das, was ich für Sie getan habe.«
Und jetzt willst du wissen, was ich damit erkaufen möchte. Ich muß zugeben, Kalif, euer System macht einiges an politischem Geplänkel überflüssig. »Nun, da wäre noch etwas, falls der Kalif die Mittel dazu erübrigen könnte.« Marcus wartete auf Rashiers Nicken. »Ich würde gerne Kontakt mit den Wüstenstämmen aufnehmen. Ich möchte meine Leute aufspüren und sehen, ob sich ein Teil von ihnen uns gegen Shervanis anschließt.«
»Wüstenabschaum«, erklärte Rashier und verzog
verächtlich das Gesicht. »Ohne sie sind wir besser dran.«
Der plötzliche Ärger in der Stimme des Kalifen machte Marcus
nachdenklich. Hast du schon mal versucht, sie
zu rekrutieren, Rashier? »Sie haben BattleMechs. Vielleicht
nicht so gut erhalten wie Ihre, aber ich habe gehört, daß einige
der größeren Stämme ebenso viele besitzen.«
»Ich habe fünf Mechs in gutem Zustand, voll bewaffnet und
gepanzert. Sie besitzen ebenso viele, und haben geschworen, mir
gegen Shervanis zu helfen.«
»Und wir konnten Shervanis damit vernichten, wenn er nicht mehr als
zwei Lanzen älterer Maschinen hätte. Aber dem ist nicht so. Er hat
fast ein vollständiges Bataillon neuerer Kampfkolosse, mit Waffen,
die uns auf Entfernungen vernichten können, über die unsere Mechs
nicht imstande sind zu feuern.«
Der Kalif schien diesem Argument nur sehr widerwillig folgen zu
wollen. »Die Wüstenkrieger führen Schrott, der keine Minute gegen
Shervanis' Helfer standhalten würde.« Sein Tonfall schien
anzudeuten, daß die Diskussion beendet war.
Aber Marcus dachte nicht daran, schon aufzugeben. »Das ist eine
Minute, in der Shervanis und die Mordbanden nicht auf uns schießen,
Hoheit. Sicherlich sind Sie in der Lage, ihren Wert als Ablenkung
zu erkennen, wenn schon als nichts anderes.« Er glaubte, ein
Funkeln in Rashiers dunklen Augen zu erkennen und hakte nach.
»Außerdem geht es nur in zweiter Linie darum, ihre Hilfe zu
rekrutieren. Ich möchte meine Krieger aufspüren, und die
Wüstennomaden könnten etwas über ihren Aufenthalt wissen. Was, wenn
die Angeli nicht vernichtet sind? Wenn ich noch eine Lanze zusammen
bekäme, würden sich unsere Chancen deutlich verbessern.«
Eine verstärkte Kompanie gegen ein Bataillon.
Ich muß von Sinnen sein. Er korrigierte sich. Nein, Rashier ist von Sinnen, ich bin
verzweifelt.
»Ich denke, Kommandant, Sie könnten mit dem Schiff Kontakt zu Ihren
Kriegern aufnehmen, falls einige überlebt haben.« Die Miene des
Kalifen war unergründlich, und er beobachtete Marcus
sorgfältig.
»Normalerweise wäre das bestimmt der Fall. Aber als die Mordbanden
die Stecknadelkopf erobert haben, sind
ihnen mit Sicherheit die Unterlagen über unsere Frequenzen und
Codes in die Hände gefallen. Soweit sie die Kanäle nicht stören,
werden Sie versuchen, die Angeli selbst zu kontaktieren und in eine
Falle zu locken.« Marcus nickte Ki-Lynn zu, die mit Clifford
Mattila, dem Skipper der Heaven Sent
die Rampe herabkam. »Glücklicherweise hat Ki-Lynn einen
routinemäßigen Wechsel aller Codes zwischen den Schlachten
eingeführt, und als Charlie einen Luzifercode durchgegeben hat,
verloren alle bisherigen Codes ihre Gültigkeit. Deshalb müssen wir
den Kontakt anders herstellen.«
Rashier nickte. »Ich verstehe.«
Der Kalif schien seine Bitte zu überdenken, aber Marcus war sicher,
daß Srin-Pascha nur nach seinem Vorteil suchte. »Mir ist klar, daß
der Versuch, in Kontakt mit den verschiedenen Wüstenstämmen zu
treten, zusätzliche Unkosten mit sich bringen könnte. Auch sind bei
ihnen Lösegeldzahlungen gebräuchlich. Ich kann im Augenblick nicht
mehr versprechen, aber ich werde Sie entschädigen, so gut ich
kann.«
»Natürlich«, erwiderte Rashier glatt. »Schließlich benötigen Sie
die Ausrüstung an Bord der Heaven Sent,
um Ihre eigenen Maschinen zu warten.« Er machte eine Pause, und
Marcus nickte erleichtert. »Aber wenn wir den Hund Shervanis
besiegen, könnte es sein, daß wir Ihr anderes Schiff erbeuten,
nicht wahr?«
Trotz der heißen Nachmittagssonne fühlte Marcus einen kalten
Schauer, als Rashier die Stecknadelkopf
so beiläufig ins Gespräch brachte. Will
er das Landungsschiff? Eine weitaus besorgniserregendere
Frage stieg in ihm hoch. Wenn ja, was könnte
ich dagegen tun? »Ja, Kalif Rashier, das wäre möglich.« Er
schluckte schwer. »Aber hier und heute sind solche materiellen
Gedanken von sekundärer Bedeutung für mich und müssen hinter der
Suche nach meinen Leuten zurückstehen.«
Kalif Rashier lächelte breit. »Wir werden sehen, was wir tun
können.«
Marcus nickte dankend und drehte sich um, bevor Rashier seine Miene
lesen konnte. Ich wäre bereit, die
Stecknadelkopf aufzugeben, wenn ich damit auch nur ein Leben retten könnte, Kalif, und wenn das der Preis ist, den ich zahlen muß, weil ich Geschäfte mit dem Teufel mache, dann ist es so. Aber vergiß nicht: Luzifer war ein gestürzter Engel, der in der Hölle zu neuer Macht kam.
Er sah sich in der heißen, dürren Einöde um, in die es seine Angeli verschlagen hatte. Und du bist schon halbwegs da.
32Oase Amina, Shaharazidische Wüste
Astrokazy, Peripherie
1. Juli 3058
Steile Felswände stiegen auf drei Seiten empor, der Rand einer Sackgassenschlucht, der den klaren Nachthimmel über der Shaharazad abschnitt. Die Klippen wirkten grauschwarz unter der dünnen Sichel des einzigen Mondes, der mit einem spöttischen Grinsen über ihnen hing. Während des Tages boten die hohen Wände Schatten, und jetzt in der Nacht hielten sie einen Teil der Tageshitze zurück und schirmten die Oase gegen die Kälte der Wüstennacht ab.
Die erlöschenden Kohlen eines riesigen Feuers warfen rötliches Licht über die Gesichter der darum Versammelten. Der dunklen Haut der Astrokaszys verlieh es einen fast goldenen Glanz. Ich sehe wahrscheinlich aus wie eine Tomate. Charlene stellte den Teller weg, obwohl sie ihn nur halb geleert hatte. Das Fleisch war so scharf gewürzt, daß sie nicht weiteressen konnte.
Eine verschleierte Frau trat leise aus der Dunkelheit, um den Teller mitzunehmen, während eine andere Charlenes Becher mit gegorener Ziegenmilch nachfüllte. Charlene fühlte sich unbehaglich, so umgeben von Männern, die sie mit beunruhigender Miene beobachteten. Mit dem Mißtrauen und der Feindseligkeit wurde sie fertig, aber die bedeutenderen Krieger betrachteten sie mit Belustigung. Wie sie ein Kind angesehen hätten, das sich an Erwachsenenspielen versuchte. Sie wußte nicht so recht, wie sie darauf reagieren sollte, außer durch ständige Erinnerung daran, daß sie ebenfalls eine Kriegerin war.
Sie drehte sich um - langsam, um sicherzugehen, daß alle um das Feuer sitzenden Männer sie sahen - und winkte zweimal zu dem Vulkan, der wie ein stummer Posten am Rand des Lagers stand. Knapp hinter ihm ragten die schattigen Riesengestalten des Feuerfalke und dreier Wüstenkrieger-Mechs in die Nacht. Die vierte Maschine der Lanze, die sie Stunden zuvor getroffen hatte, hielt Wache am Eingang der Schlucht. Selbst beim Angriff eines anderen BattleMechs hätte ein Feuerstoß aus Chris' fusionsgespeistem Flammer genügt, um das Lager und alle in seinen Grenzen in Asche zu verwandeln. Aber statt sich durch diese indirekte Drohung beleidigt zu fühlen, bedachten einige der Wüstenkrieger ihre Vorsicht mit beifälligem Nicken.
Aldar Sildig beugte sich über die Glut, und sein Gesicht leuchtete auf wie eine Kinderlaterne. Er hatte die Lanze angeführt, die ihre Angreifer vertrieben und sie dann hierher gebracht hatte, ins Lager des Wüstenwindstamms. »Charlene, was hältst du von unserem Zuhause?«
Charlene sah sich unter den Männern um. Viele von ihnen trugen Bart und Schnurrbart. Der bärtige Mann, der ihr auf einem riesigen Kissen direkt gegenübersaß, war der Scheich - ihr Herrscher. Aidar hatte ihn nicht namentlich vorgestellt, und seit ihrer Ankunft hatte der Mann nicht mehr als drei Worte gesprochen. Es ist gut, soweit sie sich erinnerte. Und das ließ sich auf verschiedene Weise interpretieren.
Den größten Teil der Unterhaltung seit ihrer Ankunft hatte Aidar bestritten. Er hatte sie auch im Lager herumgeführt. Die Haut des Wüstenkriegers war so tief gebräunt, daß er wie ein Einheimischer aussah, aber seine Stimme verriet den Fremdweltler. Er hatte zugegeben, vor zehn Jahren mit einer Söldnerkompanie auf Astrokazy gelandet zu sein, die nach der legendären Sternenbundbasis gesucht hatte. Sie waren nie wieder abgeflogen. In den Kriegen zwischen den Kalifen war die Einheit zerrieben worden, bis die letzten Überlebenden sich in die Wüste geflüchtet hatten. Er war schließlich vom Wüstenwind adoptiert worden.
Seine Geschichte ließ Charlene immer noch kalte Schauer über den Rücken laufen. Sie traf ein wenig zu sehr ins Schwarze. »Es ist überraschend«, antwortete sie schließlich auf seine Frage. »Und effizient.« Sie schaute hinaus in die Dunkelheit, wo jenseits des Feuers die vordersten Zelte eben noch erkennbar waren. Weiter hinten lag ein notdürftiger Pferch für Ziegen, Schafe und Pferde. »Ihr seid hier gut geschützt, aber wenn nötig, könnt ihr weiterziehen. Ich habe nichts gesehen, was sich nicht leicht verlegen ließe, besonders mit den Trägern, die ihr für die BattleMechs gebaut habt.«
Das Kompliment war verdient, und die Männer wußten es. Die Träger waren riesige Metallkörbe, die sich wie ein Tornister auf dem Rücken eines Mechs befestigen oder in seinen Armen tragen ließen, teilweise mit Handgriffen. Aidar hatte ihr erklärt, daß sich das gesamte Lager, einschließlich des Viehs, auf die vier alternden BattleMechs laden und schneller verlegen ließ als mit irgendeiner anderen Methode. Ein paar der feindseligeren Blicke hatten sich auf Charlenes Anerkennung hin gemildert, aber das Mißtrauen und die Belustigung blieben.
»Und unsere Maschinen? Was ist damit?«Charlene schürzte die Lippen und überlegte sich ihre nächsten Worte genau. »Ich bin beeindruckt, wie ihr sie in Stand gehalten habt.« Das zumindest war die reine Wahrheit. Nach der Rückkehr zur Oase in dieser Schlucht am äußeren Rand der Wildnis hatten die Wüstenbewohner den Verteidiger auseinandergenommen. Das Werkzeug wurde mit äußerster Sorgfalt behandelt, denn wenn es einmal beschädigt wurde, war es kaum zu ersetzen. Andere arbeiteten an den leichten Panzerungsschäden des Dunkelfalke. Der Vollstrecker fungierte dabei als Kran und hob eine Plattform, auf der die Techs der Nomaden arbeiten konnten. Ein anderer ihrer Kampfkolosse, der Panther, hatte ein Flaschenzuggestell gehalten, mit dem Panzerplatten und dergleichen hochgezogen und zum Schweißen an Ort und Stelle gebracht werden konnten. Es war eine effiziente und ganz und gar autarke Organisation. Aber ... »Aber sie fallen trotzdem auseinander. Ohne eine Generalüberholung, wie sie nur ein Mechhof zustande bringt, werden sie irgendwann durch natürlichen Verschleiß ausfallen. Und wenn die Mordbanden sich auch nur halbherzig gewehrt hätten, bezweifle ich stark, daß ihr heute hättet entkommen können, ohne daß wenigstens ein Mech schrottreif geschossen worden wäre.«
Einer der MechKrieger sprang auf und hätte sie über die Kohlen hinweg angesprungen, hätte Aidars Hand ihn nicht zurückgehalten. Die meisten der Männer widersprachen und versuchten, einander mit ihrer Ablehnung zu übertönen. Dann lehnte der Scheich sich vor und schnitt mit einer herrischen Geste durch die Luft. »Genug!«
Der Tumult legte sich schnell. »Was die Frau sagt, stimmt«, stellte er fest und versank wieder in Schweigen.
Aidar nahm den Gesprächsfaden auf. »Wir tun, was wir können. Wir überfallen andere - Wüstenstämme, und wenn die Kalifen dumm genug sind, Streifen in die Wüsten zu schicken, überfallen wir diese. Aber das genügt nicht. Deshalb sind wir immer auf der Suche nach möglichen neuen Mitgliedern unserer Familie. Wie eine Familie neues Blut braucht, so braucht sie auch neue Maschinen.«
Sie meinen mich. »Versteh das nicht falsch, Aidar, aber ich habe nicht vor, hier zu bleiben. Ich muß die Überreste meiner Leute finden und einen Weg suchen, Astrokazy zu verlassen.« Sie machte eine Pause, dann richtete sie sich an den Kreis der Männer. »Jeder von euch würde es genauso machen. Ihr seid MechKrieger. Soweit Aidar es erklärt hat, sind mindestens dreißig Mann in diesem Lager fähig, alle vier eurer BattleMechs zu steuern. Wenn ihr zurück in die Innere Sphäre kommen würdet, oder selbst hinaus in einen anderen Peripheriestaat, könntet ihr die Chance bekommen, wieder einen Mech zu führen.«
»In den Diensten eines anderen und für seine Ziele«, stellte ein Mann fest, den Charlene vorher noch nicht gehört hatte. »Das ist keine Zukunft.«
Charlene runzelte die Stirn. »Und ist das hier eine?« »Es ist ein hartes Land.« Aidar sah in die Glut. Seine Stimme wurde leiser und nahm einen fast ehrwürdigen Klang an. »Es prüft uns. Aber irgendwo verbirgt es den versprochenen Schatz, der uns die Macht geben wird, die Kalifen und ihre kleinen Königreiche zu stürzen.« Du bist schon viel zu lange hier, Aidar Sildig. »Sprichst
du von den Gerüchten über eine
Sternenbund-Basis?« Aidar nickte.
Charlene schüttelte traurig den Kopf. »Auf fast jeder
Aidar sagte nichts, also antwortete der Scheich für ihn. »Sie existiert. Und bis sie gefunden ist, stärkt uns unser gemeinsames Ziel.«
Für Charlene hörte sich das alles nach pseudoreligiösem Geschwätz an, mit dem die einheimischen Astrokaszys Söldner wie Aidar einlullten. Hilf uns, den Schatz zu finden, und wir werden alle belohnt werden. Aber sie verkniff sich eine scharfe Erwiderung. Wenn es ihnen etwas gibt, woran sie glauben können, habe ich kein Recht, mich darüber lustig zu machen. Ich brauche nur deshalb keine Religion, weil ich an die Angeli glaube. Dann erkannte sie den Humor dieses Gedankens und mußte grinsen. Wer weiß, vielleicht hatte Marcus den Namen der Einheit aus einem ganz ähnlichen Grund gewählt.
Aidar verwechselte die plötzliche Veränderung in ihrer Stimmung mit einer Bejahung der Worte des Scheichs. »Du denkst darüber nach?«
»Hmm? O nein, Aidar, tut mir leid, aber ich trage Verantwortung für meine Leute. Wenn noch welche von ihnen leben, erwarten sie, daß ich mich mit ihnen in Verbindung setze.«
Aidar sah hinüber zu seinem Scheich, der den Blick aus unergründlich dunklen Augen erwiderte. »Einige deiner Söldner sind von einem anderen Stamm aufgenommen worden. Drei, vielleicht vier.«
Charlene sprang mit geballten Fäusten auf, dann drehte sie sich hastig um und winkte Chris in seinem Vulkan ein Alles in Ordnung zu, bevor sie Aidar und den Wüstenwind-Scheich wütend anstarrte. »Warum hast du das nicht schon längst erwähnt?«
Der alte Mann hob die Hand als Zeichen für Aidar, zu schweigen, und sah Charlene an. Die Glut des Feuers tanzte in seinen Augen und verlieh ihnen ein beinahe dämonisches Leuchten. »Weil ich weiß, was es bedeutet, auf dieser Welt zu stranden. Ich wurde vor dreißig Jahren hier zurückgelassen, als Teil einer Söldnereinheit, die von der Liga Freier Welten nach dem Scheitern der Friedenstruppenmission im Stich gelassen wurde. Ein rivalisierender Stamm hat seine Kräfte kürzlich um drei BattleMechs verstärkt, und es ist meine Pflicht, unsere Stärke entsprechend zu erhöhen. Hättest du nicht den Kriegerinstinkt besessen, einen Mann auf Wache zu lassen, hätte ich euch beide umbringen lassen, um an eure Maschinen zu kommen.«
Die Überzeugung, die in den Worten des Mannes lag, ließ Charlene erschaudern. Brutale Ehrlichkeit konnte eine erstaunliche Wirkung haben. Aber statt sich einschüchtern zu lassen, fühlte sie Mitleid mit dem alternden Krieger. »Warum kämpft ihr gegen die anderen Stämme? Ist euch nie der Gedanke gekommen, daß ihr einem der Kalifen an Stärke ebenbürtig wärt, wenn ihr euch verbündet?«
»Einem, ja.« Aidar übernahm auf ein Nicken seines Herrschers wieder das Gespräch. »Nicht Shervanis, aber vielleicht einem der anderen. Aber das hieße, den anderen Stämmen vertrauen, und das tun wir nicht. Und wir müßten unsere Truppen sammeln, was sie verwundbar machen würde. Hier draußen in der Wüste können wir überleben.«
»Du meinst, hier könnt ihr euch verstecken.« Jetzt wurde Charlene absichtlich beleidigend, um die Aufmerksamkeit der Nomaden zu erregen. »Die Kalifen haben ganz offensichtlich den ersten Zugriff auf alles, was Astrokazy erreicht, die Mordbanden nicht eingerechnet, die Shervanis derzeit helfen. Sie werden euch in diesem Rennen immer voraus sein. Wenn ihr keine direkten Maßnahmen ergreift, werden sie immer die stärkeren bleiben.«
»Glaubst du?« Der Scheich legte sich auf seinem riesigen Kissen zurück. »Vielleicht hast du recht. Aber du kennst nicht alle unsere Möglichkeiten, Kriegerin Charlene.«
Charlene setzte sich wieder, hielt aber mit ruhigem Blick die Aufmerksamkeit des Scheichs wach. »Mag sein. Aber ich kann euch etwas anbieten, das ihr aus eigener Kraft nicht zu erreichen in der Lage scheint. Wenn ihr mir helft, Kontakt mit den Angeli aufzunehmen, garantiere ich euch, daß sie nicht bei euren Rivalen bleiben werden. Das löst eines eurer Probleme. Und wenn ihr mir erlaubt, hier, im Schutz dieser Schlucht die Einheit neu zu gruppieren, werde ich euch zwei weitere Dienste erweisen.«
»Ich höre.«
»Wir haben noch immer ein Landungsschiff irgendwo in der Wüste. Die
Heaven Sent. Ich glaube nicht, daß
Shervanis es sich geholt hat, weil die Mordbanden immer noch die
Frequenzen stören, über die es Kontakt mit uns aufnehmen könnte. Es
kann euch die Mittel zur Verfügung stellen, eure Maschinen
gründlich zu überholen. Und wenn wir uns zurückmelden, kann ich
euch mit ziemlicher Sicherheit versprechen, daß noch andere Kräfte
uns folgen werden, um Shervanis und seinen Verbündeten ein Ende zu
machen.«
Der Scheich klang amüsiert. »Die Engel versprechen uns Beistand gegen unsere Rivalen, den Nutzen eines Vom Himmel gesandten Schiffes und schließliche Erlösung.« Er lächelte, dann lachte er in einem vollen, tiefen Bariton. »Es scheint, die Zeit des himmlischen Gerichts ist gekommen.« Dann wurde er wieder ernst und fixierte Charlene nachdenklich. »Morgen wird die Nachricht abgeschickt«, versprach er. »Und in der Zwischenzeit wäre es wohl gut, wenn du einen Eindruck unserer wahren Stärke bekämst.«
Charlene nickte vorsichtig, unsicher, worauf sie sich einließ, aber froh, eine gewisse Unterstützung gefunden zu haben. »Es wäre mir eine Ehre.« Denke ich.
»Gut. Aidar wird einen Überfall organisieren, und du wirst daran teilnehmen. Ich werde anordnen, daß die Panzerung deines Mechs erneuert wird. Wenn es stimmt, was Aidar mir über diese neuen Maschinen Shervanis' in der Wüste berichtet hat, wird es Zeit ihn daran zu erinnern, warum er Mauern um seinen Palast gezogen hat.«
33Rashier, Kalifat Rashier
Astrokazy, Peripherie
Der Marktplatz hallte wider von den Angeboten der Händler, die lockend ihre Waren in die Höhe hielten. Die meisten verkauften aus Schubkarren oder Wagen, nur ein oder zwei der Gebäude fungierten annähernd wie Läden. Ein paar Händler verkauften Dauerwaren wie Tuch oder fertige Kleider, aber zum größten Teil wurden die Grundnahrungsmittel angeboten, die zum täglichen Überleben auf Astrokazy unentbehrlich waren. Nichts hier wirkte frisch. Die Hitze des Tages ließ Blätter braun werden und saugte die Feuchtigkeit aus allem, was nicht konstant im Schatten gelagert wurde. Der süße Duft reifen Obstes hing über dem Markt, lockte die Passanten und versprach Erlösung von Hunger und Durst. Aber darunter stand noch der beißende Geruch von Schweiß und die krankhaft süßliche Note überreifer und verdorbener Früchte.
Marcus blieb an einem Kasten Blutorangen stehen. Wie bei allem auf Astrokazy lauert der Gestank der Verwesung dicht unter der Oberfläche, so einladend es zunächst auch aussehen mag. Er traf seine Wahl mit Sorgfalt, schob die Hand unter die obere Schicht weicher Früchte und packte eine feste Blutorange, die vor der Sonne geschützt geblieben war. Er reichte sie Jericho und fischte nach einer zweiten. Die Besitzerin des Karrens ließ ihn gewähren, aber das leichte Stirnrunzeln auf ihrem dunkelhäutigen Gesicht zeigte, daß sie nicht allzu begeistert von Marcus' überlegtem Einkaufen war. Jedenfalls nicht, bis er eine C-Note aus der Tasche zog. Sie riß sie ihm aus der Hand und schenkte ihm ein dünnes Lächeln gelber Zähne, während sie in einem Geldbeutel nach astrokazischen Münzen grub. Marcus gab ihr keine Gelegenheit, ihn mit dem Wechselkurs übers Ohr zu hauen. »Stimmt so.« Das schien ihre harte Miene aufzuweichen, auch wenn er sich dessen nicht absolut sicher sein konnte.
»Du bist großzügig«, meinte Jericho und benutzte ihre etwas längeren Fingernägel dazu, ihre Orange zu schälen. Ein Teil des Safts spritzte unter ihren Fingern hervor und zeichnete eine dunkle Linie auf die Frontpartie des Overalls, den sie von einer Tech der Heaven Sent geliehen hatte. Marcus hatte sich für Hosen und ein loses Hemd entschieden, trug aber seine weiße Neolederjacke wie ein Cape über die Schultern gelegt, um Nacken und Arme vor der Gluthitze der Sonne zu schützen.
Er zuckte die Schultern und schnitt seine Frucht mit einem Taschenmesser in vier gleiche Teile. »Ich habe Leute verloren, für die es keinen Ersatz gibt, und Maschinen, von denen jede Millionen Credits kosten. Wenn ich diese Staubkugel verlasse - falls mir das je gelingt -, stehen die Angeli vor dem Bankrott. Da spielen ein paar C-Noten mehr oder weniger keine Rolle mehr.«
Jericho zuckte zusammen. »Tut mir leid«, sagte sie leise, dann wanderten sie ein paar Minuten schweigend weiter. Sie sah zu, wie Marcus eine Handvoll Datteln kaufte, wieder mit einer C-Note bezahlte und ihr die Hälfte seines Einkaufs gab. »Ich sehe kaum Papiergeld. Ich hätte gedacht, Fremdweltvaluta wäre hier kaum etwas wert, aber diese Leute behandeln sie wie Gold.«
»Na ja, ich bezweifle, daß canopische Dollar hier sonderlich weit reichen würden, oder selbst Liga-Real. Die Kalifen kontrollieren den Währungsmarkt, und sie werden die Kurse für Geld niedrig halten, das sie nur schlecht ausgeben können.«
Jericho nickte. »Und Credits lassen sich jederzeit an einer HPG-Station ausgeben.«C-Noten, eigentlich ComStar-Noten oder umgangssprachlich Credits, waren die einzige gemeinsame Währung der gesamten Inneren Sphäre und Peripherie. Sie basierten nicht auf Edelmetall, sondern waren Wechsel auf Übertragungszeit im HyperpulsgeneratorKommunikationsverkehr. Die von ComStar und Blakes Wort verwalteten überlichtschnellen Verbindungen waren das einzige, was eine über Tausende besiedelter Welten verstreute Zivilisation daran hinderte, vollends auseinanderzubrechen. Selbst eine isolierte Welt wie Astrokazy unterhält Verbindungen zu anderen Systemen, dachte Marcus. Und obwohl die Präsenz einer BlakeHPG-Station - selbst einer kleinen - ihn überrascht hatte, sah er durchaus den Bedarf der stärkeren Kalifen ein. Aber sie versteht es nicht wirklich.
»Zum Teil.« Marcus biß in ein Viertel der roten Frucht. Sie war süß und stillte den Durst besser als Wasser. Er saugte den Saft aus, dann schälte er mit den Zähnen das Fruchtfleisch aus der Schale. »Nehmen wir an, du herrschst über ein Kalifat. Wenn in deinem Reich C-Noten im Umlauf sind, wie legst du den Wechselkurs so fest, daß du in beide Richtungen verdienst? Deine Untertanen sollen dir die Scheine überlassen, aber gleichzeitig hast du kein Interesse daran, daß Blakes Wort am Wechselkurs übermäßig Profit macht.«
»Das ist nicht möglich. In beide Richtungen
verdienen, meine ich. Es sei denn ... «
»Es sei denn, du kontrollierst die örtliche Währung«, erinnerte
Marcus sie.
Jericho blieb stehen und führte einen Blutorangenschnitz zum Mund,
hielt dann aber inne. »Die Kalifen prägen zusätzliches Geld, um
ihren Untertanen die Noten abzukaufen? Aber damit unterminieren sie
ihre eigene Währung.«
Marcus zuckte die Schultern und sah sich unter den Astrokaszys in
ihren die Sonne abhaltenden Roben oder besonders leichten
Baumwollsachen um. »Solange es nur die Masse trifft und nicht dich,
warum sollte dich das kümmern?« Er ging weiter.
Jericho erinnerte sich wieder an das Obst, steckte sich den Schnitz
in den Mund und lief ihm nach. »Das ist unverantwortlich«, erklärte
sie in frustriertem Ton.
»Und irgendwann in seiner Geschichte hat es wahrscheinlich jedes
der Großen Häuser schon mal gemacht. Aber nicht im selben Ausmaß.
Nur in äußersten Notlagen. Das ist einer der Gründe, warum
Hauswährungen fast immer tiefer im Kurs liegen als
C-Noten.«
Die beiden blieben im Schatten eines zweistöckigen Ladengeschäfts
stehen. Der Besitzer des Lehmziegelbaus verkaufte im unteren
Geschoß Körbe und Töpferei. Alles Nutzgefäße. Marcus sah nichts,
was rein dekorativen Wert gehabt hätte. An der aus einem Fenster im
ersten Stock hängenden Wäsche sah man, daß die Besitzer über dem
Geschäft wohnten. »Astrokazy unterscheidet sich nicht allzu sehr
vom Rest der Inneren Sphäre oder der Peripherie. Es gibt immer
jemanden, der die absolute Macht anstrebt und bereit ist, andere
anzuheuern oder einzuschüchtern, damit sie ihm helfen zu bekommen,
was er will.« Und möglicherweise liegt es
daran, daß ich in so einer fatalistischen Stimmung bin. Fühlst du
dich ausgenutzt, Marcus?
»Währenddessen schachern sie um den Besitz von Dörfern wie die
Nachfolgerhäuser Planeten tauschen«, beendete Jericho den
Gedanken.
Marcus lehnte sich an die Lehmziegelwand, und streifte sich dadurch
unfreiwillig die Lederjacke von der Schulter. »Nur etwas brutaler«,
stimmte er ihr zu. Dann aß er schweigend den Rest seines
Obstes.
Es war ganz interessant, hier zu stehen und die Gesichter der
Passanten zu betrachten, aber es war schwer zu sagen, was sie
dachten oder fühlten. Die meisten Mienen waren entweder
unergründlich oder vom Kampf ums Überleben jeder Emotion beraubt.
Die Wenigen, die von den beiden Fremden Notiz zu nehmen schienen,
betrachteten sie mit einer unterschiedlichen Mischung aus
Neugierde, Angst und einer nicht unbeträchtlichen Dosis Haß.
Feuerwaffen waren allgegenwärtig, hauptsächlich Revolver und
Pistolen, und Marcus fühlte sich allmählich nackt ohne seinen
SunbeamLaser. Aber niemand pöbelte sie an, und jetzt, da er darüber
nachdachte, wunderte ihn, daß niemand sie um eine milde Gabe
angebettelt hatte, angesichts der Tatsache, daß er für einfaches
Obst mit Geld nur so um sich geworfen hatte.
Dann erinnerte er sich an die Angst in den Blicken. Man hat gehört, daß Kalif Rashier meine Sicherheit
garantiert. Nihail hat mir versprochen, daß ich meine Waffe nicht
brauchen werden, und er hatte recht. Er dachte an den
dunkelgekleideten Berater des Kalifen. Selbst nach mehreren Tagen
hier in der Stadt gab der Mann ihm Rätsel auf. Aber dann holte ihn
eine Hand auf seinem Arm zurück in die Gegenwart.
Jericho hatte sich zu ihm umgedreht und sah ihm in die Augen. Ihre
linke Schulter lag immer noch an der hellen Hauswand. »Wie geht es
jetzt weiter, Marcus?«
Das war ein Gespräch, vor dem er sich gefürchtet hatte, seit sie
sich selbst eingeladen hatte, ihn bei diesem Spaziergang durch die
Stadt zu begleiten. Er konnte die wahre Frage hören, die hinter
diesen Worten lag. Wie geht es jetzt mit UNS
weiter? So schwer zu beantworten war sie eigentlich nicht,
wäre da nicht das sichere Gefühl gewesen, daß sie eine Antwort
erwartete, die über diesen Spaziergang hinausging, möglicherweise
sogar über ihren Aufenthalt auf Astrokazy.
Also lenke das Gespräch in einen Bereich, mit
dem du fertig wirst. »Ich werde
zusammenziehen, was ich von den Angeli finde, immer vorausgesetzt,
es gibt noch etwas zu finden. Dann werde ich mir überlegen, wie ich
uns zurück ins All bringe.«
»Und wenn es nichts zu finden gibt?«
Ihre Hand lag immer noch auf seinem Arm, und Marcus versuchte, die
Wärme zu ignorieren, die langsam zu seiner Schulter emporstieg.
»Ich habe die Angeli mit nicht mehr als vier Mechs, einem
zerbeulten Landungsschiff und einem kleinen Stapel geborgener
Panzerung begonnen«, antwortete er brüsker als beabsichtigt. »Das
ist ungefähr so viel, wie ich jetzt habe. Wenn nötig, kann ich die
Einheit neu gründen.« Er sah zu Boden. »Ich werde sie hier nicht
sterben lassen.«
»Die Marathon wird die
Magistrats-Streitkräfte herbringen. Das weißt du doch? Wir werden
Hilfe bekommen.«
Marcus schüttelte den Kopf und weigerte sich, sie anzusehen. Er
hatte Angst davor, was er in ihren Augen erkennen würde. »Darauf
kann ich mich nicht verlassen, Jericho. Keppler hat gemeldet, daß
die Marathon schon geflohen war, als er ihre
Position erreichte, aber das heißt nicht, daß sie rechtzeitig mit
Verstärkung wieder hier sein wird, um uns irgend etwas zu nutzen.
Die Strecke hin und zurück, das dauert Monate.« Die Hand
verschwand. »Du planst, schon vorher abzufliegen?«
Ein kurzes Nicken. »Aber erst«, - er hob den Kopf wieder, auch wenn
er sie immer noch nicht direkt ansah -, »werde ich Shervanis eine
verpassen, so hart ich kann.«
»Als Racheengel?« fragte sie ohne eine Spur von Humor.
»Wenn du so willst. Manche Religionen lehren, daß ein Erzengel das
Himmelstor bewacht. Wenn Shervanis und Rashier einen heiligen Krieg
wollen, werde ich das Tor mit Freuden weit für sie
auftreten.«
Jericho lächelte, aber ihre grünen Augen blickten immer noch
traurig. »Na toll. Das ist das Bild der Himmelspforte, das ich in
Zukunft mit mir herumschleppen werde: schwer befestigt, mit einem
großen BattleMech als Wache.«
Marcus grinste über das Bild, das sie malte, schüttelte jedoch den
Kopf. »Bereit, dich ins Paradies zu führen oder ins Nichts zu
zerblasen«, stellte er mit der Andeutung eines Lachens in der
Stimme fest. »Ich würde sagen, manche Leute sehen BattleMechs genau
so.«
Sie erwiderte sein Lächeln, und ein paar Sekunden herrschte
freundliches Schweigen zwischen ihnen. »Wie kannst du erwarten,
Shervanis eine verpassen zu können?« fragte sie nach einer Weile.
»Selbst mit gewissen Verlusten in jener Nacht müssen seine Freunde
aus der Hegemonie noch fast zwei Kompanien haben.«
»Ich weiß nicht. Divide et impera, schätze ich. Aber das wird
schwer bei den Zahlen, mit denen wir arbeiten müssen. Es sei denn,
mir fällt eine Mörder-Strategie ein.«
Jericho kniff konzentriert die Augen zusammen. »Wer wenig hat, muß
Vorkehrungen gegen den Feind treffen. Wer viel hat, bringt den
Feind dazu, selber Vorkehrungen zu treffen«, zitierte
sie.
Marcus nickte. Er erkannte die Zeilen sofort. »In den MSK wird auch
Die Kunst der Kriegsführung gelesen?«
Dann erinnerte er sich an einen anderen Merksatz, der ihm besonders
lag. »Der Starke befiehlt, der Schwache produziert sich. Wenn mein
Feind den Unterschied nicht erkennt, habe ich bereits gewonnen.« Er
zuckte die Schultern. »Oder so ähnlich.«
»Kann ich nicht unterbringen«, gab Jericho mit einem leichten
Kopfschütteln zurück.
»Shiro Kurita. Zweitausenddreihundert ... lange her.«
Jericho ließ sich zurück gegen die Hauswand sinken und starrte in
die Menge. »Du findest also einen Weg, deinen Kontrakt zu erfüllen
- und verschwindest. Hoffentlich bevor Rashier eine Möglichkeit
findet, dir noch mehr Ausrüstung abzunehmen. Dann kassierst du den
Rest deiner Bezahlung vom Magistrat und kehrst zurück in die Innere
Sphäre.«
Wieder hörte Marcus die unausgesprochene Frage hinter ihren Worten,
und sie ließ nicht locker. Er wußte, worauf sie aus war, wußte, sie
suchte nach einem Hinweis auf seine Gefühle, womöglich sogar nach
einem Eingeständnis seiner Zuneigung für sie. Aber so tief er auch
für sie empfand, er würde es ihr nie sagen. Es stand eine Schlacht
bevor, und das hieß, er konnte sie verlieren wie so viele andere
vor ihr. Vielleicht war es besser, nur daran zu denken, was hätte
sein können. Er streckte den Arm aus, faßte ihre Hand, hielt sie
locker fest. Belaß es dabei,
Jericho.
»Wie geht es jetzt weiter, Marcus?« Dieselbe Frage wie zuvor.
Derselbe bittende Tonfall. So leise geflüstert, daß er es kaum
hören konnte.
»Ich gehe zurück zum Hangar«, stellte er mit ruhiger Stimme fest.
Er stieß sich mit einem schnellen Schulterstoß von der Hauswand ab,
gab ihre Hand dabei aber nicht frei. Mit der anderen zog er die
Jacke gerade. »Unterwegs werde ich einen ganzen Beutel dieser
teuren Orangen kaufen. Und später habe ich vor, mich mit meinen
Offizieren zusammenzusetzen und einen Plan zu schmieden.« Er ließ
ihre Hand los. »Und darüber hinaus plane ich nicht. Noch
nicht.«
5. Juli 3058
Cameron St. Jamais blieb vor der Türöffnung stehen, das Gesicht fast auf den schweren Holzperlen des Vorhangs. Die Wachen hatten ihn anstandslos passieren lassen, und nun belauschte er Kalif Shervanis und Erzwesir Ji-Drohmien, während letzterer seinem Meister von den Verteidigungsanstrengungen der Nachbarstadt Rashier berichtete. St. Jamais war sich bewußt, daß es wahrscheinlich als Ehre galt, als eine von nur zwei Personen unbeschränkten Zugang zu Shervanis zu haben, aber tatsächlich empfand er für den Kalifen nur Abscheu und Verachtung.
Beim Erzwesir war das allerdings etwas anderes. Irgend etwas an dem Mann beunruhigte den Demipräzentor. Ji-Drohmien war schlau, möglicherweise sogar ebenso verschlagen wie Shervanis. Auf Astrokazy konnte das einen Mann mächtig machen. Aber gleichzeitig schien er ein Gefühl für Angemessenheit zu besitzen, und nach allem was St. Jamais gesehen hatte: schier unendliche Geduld. Eine Seltenheit auf diesem barbarischen Planeten, und eine Qualität, die jeden Mann gefährlich machen konnte. In diesem Augenblick versuchte der Erzwesir geduldig zu erklären, warum Shervanis keine Großoffensive gegen das Kalifat Ras
hier befehlen
sollte. habe ich immer noch mehr»Selbst ohne den Clint
Mechs als Rashier«, erklärte Shervanis. »Wie kannst du behaupten,
es wäre anders?«
Wir wissen, daß die Heaven Sent innerhalb der Stadtmauern gelandet ist, und daß sie mindestens fünf BattleMechs von besserer Qualität als Eure mitführt.«
Shervanis fuhr mit dem Stummel des rechten Handgelenks durch die Luft. »Zur Hölle mit den Söldnern und ihren Mechs. St. Jamais kann mir eine seiner Lanzen geben, um sie zu stoppen. Oder eine Kompanie, um sie zu zermalmen.«
»St. Jamais wird nichts dergleichen tun«, stellte der Demipräzentor gelassen fest und schob sich durch den raschelnd hinter ihm wieder an Ort und Stelle fallenden Perlenvorhang. »Meine Truppen bleiben, wo sie sind, bis die Angeli neutralisiert sind.«
»Rashier ist in meine Stadt eingefallen. Das
schreit nach einer Antwort.«
St. Jamais zuckte die Schultern. »Dann legen Sie ein paar Brände in
seiner Stadt und stehlen Sie ein paar seiner Gefangenen. Ich sehe
keine Veranlassung, BattleMechs einzusetzen, wenn ich dabei nichts
gewinne.«
»Verspotte mich nicht, Blakist. Du hast gewisse Übereinkünfte
abgeschlossen, und du wirst sie einhalten.«
»Mein Gebieter will nur sagen«, erklärte Ji-Drohmien und trat einen
Schritt näher, »daß er sich an Ihr Versprechen erinnert, ihm dabei
zu helfen, die Vorherrschaft über die anderen Kalifate zu
erlangen.«
St. Jamais sah hinüber zu Shervanis, der neben einem kleinen Tisch
mit Wein und Obst stand und ihn wütend anstierte. »Unsere
Vereinbarung war klar: wir werden Ihnen nach Verfügbarkeit unserer
Kräfte beistehen. Es wurde keinerlei Zeitplan festgelegt. Im
Augenblick bin ich zufrieden, die Verteilerstelle gegen die Reste
der Angeli zu bewachen. Ich habe nur noch eine Kompanie Mechs und
kann bis zum Eintreffen des nächsten Schiffs von Campoleone keine
Verstärkung erwarten. Ich werde keine weiteren Mittel des Ordens
darauf verschwenden, Wüstenvagabunden zu jagen oder persönliche
Rachefeldzüge zu verfolgen. Meine Streifen werden in wenigen Tagen
zurückkehren und dann in der Stadt bleiben.«
»Ich hätte vielleicht gar keinen Bedarf für Ihre Kräfte, wenn ich
meine Maschinen mit dem Material hätte überholen können, das Sie
aus dem anderen Landungsschiff geborgen haben. Unsere Übereinkunft
sah vor, daß Maschinen und Material der Söldner mir gehören, wenn
ich ihren Kommandeur neutralisiere. Was ich getan habe.«
»Erst, nachdem meine Truppen für tatsächliche Gefechtsverluste
entschädigt wurden. Wegen dieses verdammten
Festungsklasse-Landungsschiffs habe ich gegen die Söldner drei
Mechs verloren. Und dann zwei weitere bei dem Versuch, die Angeli
in die Wüste zu verfolgen.« St. Jamais machte eine Pause. »Und Sie
haben Marcus GioAvanti nicht
neutralisiert. Um genau zu sein, Sie haben ihn entkommen lassen und
dann versucht, mich zu belügen und Ihr Versagen zu verschleiern,
als ich noch ohne weiteres ein paar Mechs hätte abstellen können,
um sicherzugehen, daß er die Stadt nicht verläßt.«
»Soll das heißen, ich erhalte nichts?«
»Ich überlasse Ihnen das Landungsschiff.« »Das ich nicht reparieren
kann«, erwiderte Shervanis knurrend. Als St. Jamais die Achseln
zuckte, verschränkte er die Arme und fragte gehässig: »Und was ist
mit den Gefangenen? Sie haben zwei MechKriege
rinnen und noch ein paar andere gefangengenommen. Oder haben Sie vor, sie als Ersatz für Ihre eigenen Krieger zu rekrutieren?«
»Die Gefangenen interessieren mich nur so
lange, wie ich den Eindruck habe, daß sie über Informationen
verfügen oder mir in irgendeiner anderen Weise gegen die Angeli
helfen können. Sobald ich mit ihnen fertig bin, können Sie die
Frauen haben.«
»Ich habe Ihnen auch den anderen Angeli ausgehändigt. Den
Mann.«
»Machen wir uns nichts vor, Malachye. Der kümmert Sie einen Dreck. Er hat Glück noch zu leben, bei dem Zustand, in dem Sie ihn mir übergeben haben.«
»Mein Vater hätte sie alle auf Pferde gefesselt in die Wüste getrieben, damit die Sonne sie langsam verzehrt.« Shervanis lächelte dünn. »Ich finde zumindest eine angemessene Verwendung für zwei von ihnen.« Eine Pause. »Finden Sie irgend etwas amüsant?«
»Nur ein Gedanke, Malachye-Pascha. Sie haben mich auf eine interessante Idee gebracht, für die ich in der Zukunft noch Verwendung haben könnte.«
»Gut. Dann werden Sie mir im Gegenzug eine Lanze Ihrer Maschinen leihen, um Rashier zu bestrafen.«Er gibt einfach nicht auf. Vielleicht braucht er noch eineErinnerung. »Und wenn ich das nicht tue?« fragte St. Jamais leise.
Shervanis schüttelte die mahnende Hand Erzwesir Ji-Drohmiens auf seiner Schulter ab. »Sie könnten feststellen, daß mein Kalifat ihrer Sache weniger aufgeschlossen gegenübersteht als bisher.«
»Es gibt mehrere Dutzend Kalifate auf Astrokazy, die für unsere Zwecke groß genug sind. Ich könnte mir vorstellen, allein die Miete, die wir Ihnen für die Verwendung einiger leerstehender Lagerhallen bezahlen, würde genügen, Rashiers Loyalität zu kaufen.«
Shervanis' Grinsen wurde bösartig. »Aber Sie möchten nicht, daß allgemein bekannt wird, daß Blakes Wort hinter dieser Operation steckt. All die Spuren, die in die Konföderation Capella führen, die wir so mühsam gelegt haben ... Es wäre doch eine Schande, wenn die ganze Arbeit umsonst gewesen wäre.«
St. Jamais schüttelte traurig den Kopf. »Dann lassen Sie mir wenig Wahl.«Shervanis schlug mit dem Stummel seines rechten Handgelenks in die linke Handfläche. »Gut. Wir erwarten ...«
»Nein, gar keine Wahl«, unterbrach St. Jamais. »Immerhin stehen zur Zeit mehr BlakeGuard-Mechs in Ihrer Stadt als Astrokazy-Mechs.«
Diesmal trat Ji-Drohmien mit dem eigenen Körper zwischen seinen Kalifen und den Demipräzentor. »Natürlich ist dem so«, stellte er geschmeidig fest. »Und wir wissen, daß wir nichts zu befürchten haben, weil Blakes Wort ein Freund Astrokazys und daher ein Freund Kalif Shervanis' ist. Mein Meister wollte soeben vorschlagen, daß Sie die auf Haus Liao hinweisenden Spuren gründlich überprüfen. Besonders den Hinweis, der deutlich macht, daß wir keine andere Wahl hatten als mitzuarbeiten, wenn wir keinen Angriff der Todeskommandos provozieren wollten.«
St. Jamais verschränkte die Arme vor der breiten Brust. »Ist das wahr, Kalif?« Er wartete auf Shervanis' knappes Nicken. Na, so einfach kommst du mir nicht davon. »Dann sind wir immer noch Freunde, ja? Und ich würde die Spuren mit Freuden überprüfen. Aber mein Terminkalender ist so voll, Kalif. Sie werden verstehen, daß es wertvolle Zeit kostet, unsere gemeinsamen Angelegenheiten zu überwachen.« Du erkennst mich als den Stärkeren an, also mußt du für meine Dienste zahlen. Das sind deine eigenen Regeln. Lerne, sie einzuhalten.
Ji-Drohmien zuckte mit keiner Wimper, aber St. Jamais bemerkte über die Schulter des Erzwesirs, wie Shervanis' Haltung sich versteifte. »Wenn mein Meister die Güte hat, seine Erlaubnis zu geben, würde ich Ihre Geduld und Großzügigkeit gerne mit einem Geschenk ehren. Natürlich aus meinen Gütern. Ein halbes Dutzend der feinsten arabischen Pferde meiner Stallungen. Auf einer anderen Welt würden sie eine hübsche Summe einbringen. Und natürlich einen steten Vorrat an frischem Obst für Ihre Männer.«
Und alle wahren das Gesicht, wie? St. Jamais nickte demErzwesir zu. Welche Verschwendung, daß so ein Mann Shervanis dient. Ich werde ihm einen Gefallen tun und Shervanis aus dem Weg räumen, bevor ich abfliege. Der 6. Juni kann seine bewährten Methoden überall anwenden, selbst an einem so armseligen Ort wie Astrokazy.
35
Shaharazadische Wüste Astrokazy, Peripherie 7. Juli 3058Die Hitze traf Charlene wie eine Backsteinmauer, als der konstante Einsatz des schweren und der mittelschweren Laser die Cockpittemperatur zuerst in den gelben und dann in den roten Bereich trieb. Die Ventilatoren bemühten sich so gut es ging, die Hitze abzuleiten, aber inzwischen rang sie nach Luft, während der Schweiß an ihrem Gesicht herablief und auf Armen und Beinen perlte. Nur die Kühlweste hielt sie noch bei Bewußtsein - die Kühlweste und ein dickköpfiger Widerstand gegen alles, was an Kapitulation erinnerte, selbst ihrem eigenen Körper gegenüber.
Die großen wogenden Dünen der Shaharazad breiteten sich auf allen Seiten aus, hoben und senkten sich wie ein gewaltiger, sandfarbener Ozean. Dunkle, glasige Flecken, wo BattleMechlaser den Sand geschmolzen hatten, schleuderten grelles Sonnenlicht zurück. Die einzigen Orientierungspunkte waren in die Bordcomputer der Kampfkolosse einprogrammiert. Nach mehreren Tagen dieser Tortur fing Charlene allmählich an, die winzigen Unterschiede zwischen den Dünen zu erkennen, aber sie war zu sehr Realistin, um diesen Eindrücken zu vertrauen.
Der Feuerfalke wurde nach hinten geworfen, als eine volle Salve aus zehn LSR des Mordbanden-Großdracon, dem sie gegenüberstand, sich links in seinen Torso grub. Eine bläulichweiße Energielanze aus der rechten Arm-PPK folgte und sprengte weiter Durallex-Panzerung ab. Allmählich war von ihrem Panzerschutz in dieser Trefferzone mehr Erinnerung als Wirklichkeit übrig. Vorsichtig bewegte sie denFeuerfalke rückwärts und um die Steigung der Düne, die ihre Sichtprojektion als Navigationspunkt A-1 markiert hatte. Sechzig Meter weiter hielt sie die riesige Kampfmaschine an und sah zwischen der Sichtprojektion und dem Schauspiel auf ihrem Sichtschirm hin und her, während die Temperatur in der Kanzel langsam auf erträgliche Werte zurückging.
Und
jetzt soll ich warten.
Ihr Zielerfassungsystem hatte einen der Wüstenkrieger und den
Mordbuben, gegen den er kämpfte, bereits verloren. Der Mordbube
verfügte über einen Attentäter, auch wenn sie nicht sagen konnte,
ob es dieselbe Maschine dieses Typs war, auf die sie schon früher
gestoßen war. Aidar Sildig in seinem Vollstrecker wurde
nur ab und zu kurz gezeichnet, gute dreihundert Meter links von
ihr, wo er in ein tödliches Katz-und-Maus
-Spiel verwickelt war, mit zwei schweren MordbandenMechs als
Katzen. Sie hatte ihre Arbeit getan und den Großdracon aus der
Formation gelockt, indem sie vorgab, vor der schwereren Maschine
zurückzuweichen. Nicht, daß sie dazu viel Schauspielkunst
gebraucht
hatte. Der Mordbanden-Pilot war verdammt gut, und zudem hatte er ihrem Mech 15 Tonnen Masse voraus. Der größte Teil der Panzerung, die Aidars Leute ersetzt hatten, war seinen LSR und der PPK bereits wieder zum Opfer gefallen.
Der Großdracon kam um die Düne. Seine breiten Füße wirbelten große Sandwolken auf. Er drehte sich plötzlich nach links, um Charlene anzugreifen. Rauch und Flammen schlugen aus den Abschußrohren, als eine neue LSR-Salve aus der vorragenden Lafette zischte. Charlene löste hastig die Sprungdüsendes Feuerfalke aus und legte ihn in einen kurzen Sprung nach hinten. Nur zwei der Raketen trafen und konnten kaum die Panzerung am rechten Bein der Maschine einbeulen. Sechzig Meter weiter hinten sank sie hinter dem Ausläufer einer anderen Düne in teilweise Deckung. Nur noch ein paar Schritte, lockte sie in Gedanken und feuerte ihre beiden mittelschweren Laser absichtlich zu hoch. Nur, damit du siehst, daß ich noch interessiert bin.
Der Großdracon kam drei Schritte näher und erzielte dabei weitere Treffer mit PPK und Langstreckenraketen. Der künstliche Blitzschlag schlug hoch in der Torsomitte des Feuerfalke ein, konnte die Panzerung jedoch nicht durchschlagen. Zum Glück traf die gesamte LSRSalve die Düne, hinter der die untere Rumpfhälfte des Mechs verborgen war und schleuderte eine Sandwolke wie einen Vorhang empor. Der Sand schwappte wie ein Brecher in der Brandung über Charlenes Mech, und als der Sichtschirm wieder klar wurde, schien es, als wäre sie aus dem Gefecht mitten in ein Holoviddrama transportiert worden.
Ein Dutzend prächtiger Rösser stürmte auf den Großdracon zu, galoppierte zu beiden Seiten die Dünen herab, ein Teil preschte auch aus seinem Rücken heran. Die langen, seidenen Mähnen und Schweife der starken, eleganten Tiere peitschten im Wind. Sie trugen ihre Reiter auf den Mordbanden-Mech zu, dessen Pilot ihre Annäherung überhaupt nicht zu bemerken schien. Angesichts der hohen Hintergrundwärme der Wüste überraschte das Charlene nicht weiter.
Aber als die ersten Enterhaken emporflogen und sich in den Mecharmen, Schulterwülsten und Kommantennen verfingen, mußte der Pilot schließlich doch erkannt haben, daß irgend etwas nicht stimmte. Sein Kampfkoloß wich mit einem schwerfälligen Schritt nach hinten aus, und der PPK-Lauf des rechten Mecharms schwang auf der Suche nach einem Ziel herum.
Charlene hatte gehört, was sie zu erwarten hatte, aber es war trotzdem ein erstaunlicher Anblick, wie acht Reiter plötzlich vom Rücken ihrer Pferde sprangen und mit Hilfe von Seilen und Enterhaken am Rumpf der riesigen Kampfmaschine hochkletterten. Vier andere, die mit dem ersten Wurf kein Glück gehabt hatten, galoppierten in verwirrenden Mustern um den BattleMech und versuchten, die Aufmerksamkeit des Piloten von ihren Kriegergefährten beim Aufstiegsritus abzulenken. Als ein Schuß aus dem mittelschweren Laser im linken Arm des Großdracon einen Reiter samt dem halben Pferd, auf dem er saß, verdampfte, schien niemand außer Charlene dem weiter Beachtung zu schenken.
Sie war baß erstaunt, daß die reiterlosen Pferde weder davonstürmten noch die mindeste Panik erkennen ließen. Sie warteten geduldig auf die Rückkehr ihrer Reiter, wo diese sie zurückgelassen hatten, den Kopf hoch erhoben - ein edles Bild. Einige von ihnen werden nicht zurückkehren, dachte Charlene, als der Großdracon nach rechts ruckte und einen der Krieger abschüttelte, der an seiner Flanke emporstieg. Ein Krieger war zum Teil in das Kniegelenk des Mechs gerutscht, und als der Kampfkoloß sich jetzt aufrichtete, wurde der Mann von den sich drehenden Metallplatten regelrecht zerteilt. Ein anderer wurde vom ausladenden linken Unterarm des Mechs auf dessen Hüfte zerquetscht. Und ein vierter stürzte ab, als er versuchte, über die ausladenden Schulterwülste desGroßdracon zur Cockpitluke des Mechs hinunter zu rutschen - der nachfolgende Schritt der Kampfmaschine zur Seite begrub ihn unter sechzig Tonnen Metall.
Was für eine Verschwendung guter Krieger, dachteCharlene. Sie stand selbstvergessen vor dem Großdracon, während dieser sich der Wüstenkrieger zu erwehren versuchte, die an seinem Rumpf hingen. Vier von ihnen hatten die Cockpitluke erreicht und klammerten sich an die Handgriffe für Techs und den Piloten. Jeder von ihnen hatte eine geformte Sprengladung dabei. Einer mußte in die Pilotenkanzel eindringen und den MechKrieger im Innern ausschalten, so daß die Maschine nahezu unbeschädigt in die Hände der Noma-, den fiel. Als der Kopf des Großdracon nach vorne ruckte und eine kleine weiße Rauchwolke hinter ihm aufstieg, war klar, daß die Luke offen stand.
Aidar Sildig hatte ihr das Ritual erklärt, aber sie hatte es kaum fassen, geschweige denn glauben können, daß er die Wahrheit sprach. Reiter gegen einen BattleMech? Mit Seilen und Enterhaken statt den Kletterstangen der Mechabwehrtruppen? Ganz abgesehen davon, daß ihre gesamte Bewaffnung aus Messern bestand. Das Ganze erschien ihr wie Selbstmord, aber die besten Krieger des Stammes drängten sich darum, unter den zwölfen sein zu dürfen. Vier von ihnen waren tot, vier hatten nur Pech gehabt, und vier weitere saßen auf den Schultern des Großdracon. Noch während Charlene entgeistert zusah, drang einer der Krieger mit gezücktem Messer in die Pilotenkanzel ein.
Die Sprengladungen, mit denen die Nomaden das Cockpit aufgebrochen hatten, waren bewußt schwach gewesen, um keine wichtigen Kontrollelemente zu beschädigen. Die Wüstenkrieger hatten keine Skrupel, was das Leben des Piloten betraf, aber sie wollten den Mech so intakt wie möglich erbeuten. Der Mordbanden-Pilot hatte mit ziemlicher Sicherheit eine Waffe dabei, die ihn einem einzelnen Krieger mit einem Messer mehr als gleichwertig machte. Aber der Kampf mit unterlegener Bewaffnung war ein wichtiger Teil des Rituals. Die drei anderen Nomaden warteten außerhalb der Luke darauf, ob der erste Krieger Erfolg hatte oder versagte.
Anscheinend hatte er es nicht geschafft. Der nächste Krieger hechtete durch die Luke, das Messer zwischen den Zähnen.
Charlene kam die Galle hoch, aber sie riß sich zusarnmen. Das Ritual schien barbarisch in seiner Einfachheit, in seiner tragischen Verschwendung von Leben, dachte sie, als der nächste Krieger im Cockpit des Großdracon verschwand. Sie konnte den puren Mut und die Treue zu ihren Traditionen auf Seiten der Nomaden bewundern, aber ihre Gleichgültigkeit dem Tod gegenüber ließ sie erschauern.
Plötzlich wurde ihr klar, wie sehr sie sich in Marcus geirrt hatte, als sie ihm vorgeworfen hatte, das Leben der Söldner grundlos gefährdet zu haben. Wie hatte sie so ungerecht sein können? Es mußte die Trauer um Brent gewesen sein, die sie dermaßen verwirrt hatte. Nur weil Marcus versuchte, eine gewisse emotionale Distanz zu wahren, bedeutete das nicht, daß ihm seine Leute gleichgültig waren.
Dann setzte sich der Großdracon plötzlich wieder in Bewegung, aber unbeholfener als zuvor, und der vierte Krieger rutschte an seinem Seil zurück in den Sattel des Pferdes. Sie haben ihn. Sie hatte es selbst mitangesehen nur mit einem Messer bewaffnete Reiter hatten einen BattleMech erbeutet -, aber trotzdem fiel es ihr schwer, ihren Augen zu glauben. Die überlebenden Krieger ritten davon. Jeder von ihnen führte wenigstens ein Pferd eines Reiters mit, der nicht zurückkehren würde.Sie werden sich eine Stunde Wegs von hier neu gruppieren, wo Aidar und ich wieder zu den Transportern stoßen, die sie hergebracht haben. Bis dahin muß ich den anderen helfen, die Verfolger abzuschütteln.
Und wenn ich Glück habe, bekomme ich irgendwann noch eine Gelegenheit, mich bei Marcus zu entschuldigen.36
Mechsammelplatz, Rashier, Kalifat Rashier Astrokazy, Peripherie
8. Juli 3058
Haken flogen an der Seite der Spinne empor und zwei von fünf verfingen sich in einem der Rücken->Flügel<, die gleichzeitig als Kühlflossen fungierten und halfen, den leichten Scoutmech auf längeren Sprüngen zu stabilisieren. Zwei von Rashiers Männern kletterten die Seile hoch. Einer von ihnen verpatzte seine ersten Versuche, einen Halt am Rumpf zu finden, und kam nur zwei Meter hoch, bevor die schrille Pfeife des >Generals< die Übung abbrach.
Marcus sah zu, wie der >General< die traurigen Gestalten der Infanteristen von seiner Position auf einem Container mit der Aufschrift: Gefahr! Explosiv! MG-Munition musterte. Hanford Lee war der Kommandeur der Bodentruppen der Angeli, aller vierzehn Mann. Sie hatten es geschafft, die Stecknadelkopf in den Savannah Masters zu verlassen und die Heaven Sent zu erreichen, bevor Mordbanden-Streifen oder marodierende Wüstennomaden sie aufgreifen konnten. Die Angeli setzten außer für Wachaufgaben oder Aufräumarbeiten wie auf New Home nur selten Fußtruppen ein. Aber in vierzig Jahren Dienstzeit, erst in den VSDK, dann bei den Rasalhaag-Drakenern, hatte Lee gelernt, seine Truppen vorzubereiten und in Bereitschaft zu halten. Alle nannten ihn den >General<, aber trotz seines Alters und seiner Gefechtserfahrung hatte er keine Probleme damit, Marcus als Vorgesetzten anzuerkennen.
Lee öffnete den Mund und ließ die Pfeife an ihrem Band auf seine Brust fallen. »Nennt ihr das einen Angriff?« Seine Stimme war laut und kräftig, gewohnt, Befehle über eine heißumkämpfte Gefechtszone zu brüllen. Er sprang von der Kiste und ging zu der Gruppe Astrokaszykrieger hinüber. Er hinkte leicht, weil er das rechte Bein mit dem künstlichen Kniegelenk etwas schonte.
Die beiden Männer hingen noch mit angespannten Muskeln hoch über dem Boden am Seil. Die drei anderen standen wie festgefroren in Hab-Acht-Stellung. Gleich am ersten Tag hatten sie gelernt, sich ohne Befehl nicht zu rühren, als einer von ihnen sein Seil losgelassen und sich mit dem >General< angelegt hatte. Nachdem er sich vom Boden aufgerappelt hatte, war Nihail Sallahan hinübergegangen und hatte ihn wegen Insubordination gleich wieder niedergeschlagen.
»Warum. hängen bloß zwei von euch da oben?« fragte der >General<. Er stieß den Daumen in Richtung einer langen, schweren Eisenstange, die in etwa drei Metern Höhe zwischen zwei Leitern hing. Alle drei Männer, deren Würfe das Ziel verfehlt hatten, setzten sich in Bewegung und sprangen hoch, um mit halbgebeugten Armen hängenzubleiben. Der >General< wandte sich derweil dem höchsten der beiden Kletterer zu, der knapp über dem Knie der Spinne hing.
»Du wolltest zur Hüfte, nicht wahr, Blitz?« Er wartete, bis der dunkelhäutige Mann auf den Spitznamen reagierte, den ihm der >General< verpaßt hatte, und nickte. »Wenn diese Babys im Gefecht mal kurz anhalten, hast du höchstens zehn Sekunden. Wenn deine Ladungen bis dahin nicht plaziert sind, jagen sie wie die Raketen wieder los, und wie ein Wimpel hinter ihnen herzuwehen bringt einen Dreck. Solange du nicht weißt, daß du es schaffen kannst, werd nicht übermütig. Nimm das Knie.« Noch ein Nicken. »Komm runter.«
»Bodenwelle«, rief Lee, und drehte sich dem Mann zu, der kaum zwei Meter hoch gekommen war. »Knöchel zählen nicht. Du mußt mit dem Seil hochschwingen. Niemals den Schwung verlieren. Es ist ohne weiteres möglich, mit jedem Zug einen Meter höher zu kommen. Du schaffst bestenfalls dreißig Zentimeter. Wenn du nicht so verdammt gut mit dem Haken wärst, würde ich dich aus der Truppe werfen. Aber mit Kletterstangen würdest du wahrscheinlich jedesmal einen Treffer landen.« Er seufzte schwer. »Komm runter. Der Rest bleibt eine Weile hängen und überlegt sich, wie er das Klassenziel beim nächstenmal erreicht.«
Marcus verbarg sein Grinsen unter einem leichten Husten. Er hatte eine entsprechende Ausbildung in der Vergangenheit schon freiwillig mitgemacht und erinnerte sich nur zu gut daran, was für eine Folter es war, so zu hängen. Dann schluckte er seine Belustigung und brach das Schweigen mit einer eigenen Beobachtung. »MechKrieger werden euch in aller Regel ignorieren. Jedenfalls bis die Haken fliegen. Mit tragbaren Waffen könnt ihr nicht viel Schaden anrichten, es sei denn, ihr wärt eine ganze Menge Leute mit schwerer Ausrüstung. Sie werden euch unterschätzen. Nutzt es aus! Und verlaßt euch nicht auf die zehn Sekunden. Wir sind vielleicht manchmal langsam, aber das heißt nicht, daß wir blöd sind. Haken und Seile bedeuten Sprengladungen, und kein MechKrieger, der schon einmal mit einem zertrümmerten Kniegelenk zurück ins Landungsschiff humpeln mußte, legt Wert darauf, das ein zweites Mal zu erleben.«
Lee nickte und hatte ebenfalls einen Kommentar parat. »Und werdet nicht übermütig, wenn ihr es schaffen solltet, einen Blechkameraden umzuwerfen. Selbst flach am Boden mit beschädigtem Gyro und heißlaufendem Fusionsreaktor ist ein Mech noch gefährlich. Er kann immer noch schießen, und er kann sich herumwerfen. Wenn ihr einen am Boden findet, Klasse. Verpaßt ihm einen Einlauf. Das Beste, was ihr für eure MechKrieger tun könnt, ist über einen Mech schwärmen, nachdem sie ihn abgeschossen haben und ihm den Rücken zukehren. Nicht wahr, Kommandant?«
Marcus zuckte bei der Erinnerung zusammen. »He,
er hat den Reaktor runtergefahren.«
»Ja. Und gleich wieder hoch, nicht wahr?«. Der >General< sah
ihn streng an, und Marcus hob kapitulierend die Hände. »Traut
keinem MechKrieger«, sagte er und betonte jedes Wort wie den
wichtigsten Rat, den er überhaupt geben konnte.
Dann ließ der >General< die anderen Männer herunter, und nach
ein paar Sekunden Zeit, um wieder etwas Leben in ihre Arme zu
massieren, wiederholte er die Übung. Vier der fünf Haken fanden ihr
Ziel. Marcus sah den Blick der Verzweiflung im Gesicht des fünften
Mannes und fragte sich, wie es dem >General< gelang,
innerhalb von drei Tagen eine solche Angst in einem zunächst
feindseligen und streitsüchtigen Krieger zu wecken. Aber diese
Runde würde er nicht verfolgen können. Gerade als die Pfeife wieder
ertönte, bemerkte Marcus Kalif Rashier und seine Eskorte aus
Wachen, die durch den alten Hangar in seine Richtung kamen. Er
sprang zu Boden, damit der >General< nicht gestört wurde.
Hauptsächlich, weil er nicht dafür garantieren konnte, was der Mann
vor dem Kalifen gesagt hätte.
Oder sogar zum Kalifen.
Nihail schob sich zwischen zwei der vorderen Wachen und machte
Marcus den Weg zu Rashier frei. Ihre Blicke trafen sich einen
Augenblick, und wie immer hatte Marcus den Eindruck, als wolle der
andere ihm etwas mitteilen, das er einfach nicht verstand. Es war
zwar irritierend, daß Nihail ihm immer noch ein Rätsel war, aber
nicht unangenehm. Eher eine Herausforderung.
Marcus überlegte, was er von dem Mann wußte. Nihail Sallahan hatte
eine hohe Stellung im Beraterkreis des Kalifen und schien
gleichzeitig die einfache Bevölkerung besser zu verstehen, als
Rashier es jemals erhoffen konnte. Es war Nihail gewesen, der
Marcus geraten hatte, seine Waffen an Bord der Heaven Sent zu lassen.
Der Schutz des Kalifen ist innerhalb der
Stadtgrenzen völlig ausreichend, hatte Nihail versprochen.
Und er hatte recht gehabt. Marcus hatte den Mann nie anders als in
den fließenden schwarzen Gewändern des Wüstenkriegers gesehen, mit
einem roten Stoffgürtel und gelegentlich mit einer roten Kordel um
sein Kaffiych. Außer den beiden Schwertern, die manchmal aus den
Falten seiner Kleider auftauchten, schien er keine Waffen zu
tragen, aber es machte den Eindruck, daß er darin nahezu alles
verstecken konnte. Aber was sagt mir das über
den Mann?
Und dann wurde Marcus klar, was Nihail so auffällig machte, und es
hatte nichts mit seiner Kleidung zu tun. Die
Bevölkerung unterstützt Rashier, weil er die Macht hat und sie ihn
fürchten. Die Krieger kämpfen aus so ziemlich demselben Grundfür
ihn. Aber Nihail hatte keine Angst. Er diente Rashier aus
Respekt und Loyalität. Was das anging, war sich Marcus
sicher.
Und möglicherweise ist das einer der Gründe
für meine Abneigung dem Kalifen gegenüber. Er scheint die Loyalität
eines Mannes wie Nihail nicht zu verdienen, der das Zeug zu einem
weit besseren Herrscher zu haben scheint. Er erinnerte sich,
ganz ähnlich über Ji-Drohmien gedacht zu haben, Shervanis'
Erzwesir. Gibt es auf Astrokazy ein Gesetz,
daß überlegene Führer unter Tyrannen oder religiösen Fanatikern
dienen müssen? Dann dachte Marcus an die Alternative - das
Amt des Kalifen, mit einer imaginären Zielscheibe auf der Stirn,
auf die ein Dutzend anderer Herrscher angelegt hatten -, und fragte
sich, ob Ji-Drohmien und Nihail nicht klüger waren, als er ihnen
zugestand.
»Kommandant GioAvanti«, begrüßte Kalif Rashier ihn. »Verzeihen Sie
die Störung Ihres Trainings.«
Marcus fragte sich, was der Mann ihm jetzt wieder abpressen wollte,
aber natürlich sprach er das nicht aus. »Kein Problem, Srin-Pascha.
Ich bin mit Ihren MechKriegern für heute fertig, aber der
>General< würde sich auch nicht unterbrechen lassen, wenn der
Hangar um ihn herum niederbrennt.«
Rashiers Blick zuckte besorgt zu den Mauern des alten Bauwerks
hinüber. »Ja, nun, ich würde hoffen, daß es in meiner Stadt zu so
etwas nicht kommt.«
Aus irgendeinem Grund fühlte Marcus sich an die Geschichten
erinnert, die er über Romano Liao und deren blutige Säuberungen im
Namen ihrer persönlichen Sicherheit gehört hatte. Das könnte auch hier leicht geschehen, dachte er,
wäre Nihail nicht als die Stimme des gesunden
Menschenverstands zur Stelle. »Was kann ich heute für Ihre
Hoheit tun?«
»Ich möchte wissen, ob Ihre Krieger in drei Tagen gegen den
räudigen Köter Shervanis losschlagen können.«
In drei Tagen! Marcus hatte eher an
drei Wochen gedacht, um genug Zeit für die Suche nach seinen Angeli
zu haben. »Warum so schnell? Ist etwas geschehen?«
Rashier nickte Nihail zu, der auf seine geduldige Art die Erklärung
übernahm. »Der bösartige Shervanis versucht den Ketzerkommandeur zu
überzeugen, mit ihm Kalif Rashiers Besitztümer anzugreifen. Wir
möchten dem zuvorkommen.«
»Das kann ich verstehen. Aber wir sollten nicht losschlagen, bevor
wir bereit sind. Wir hätten keine Chance, die Stadt
einzunehmen.«
Nihail schüttelte den Kopf. »Wir glauben schon. Nur könnten wir sie
wahrscheinlich nicht halten. Der Angriff hätte den Zweck,
Shervanis' Kräfte zu schwächen, wie Sie es bereits vorgeschlagen
haben. Dann hätten wir Hoffnung, beim nächsten Angriff zu siegen.
Oder vielleicht beim übernächsten.«
Was ist das? Rashier wird endlich vernünftig? Marcus war erstaunt. »Wir versuchen, eine schwere oder überschwere Lanze wegzulocken, und sie mit minimalem Schaden für uns zu vernichten. Ein Verlust dieser Größenordnung würde ihn treffen.«
»Nein«, antwortete der Kalif. »Wir müssen in größerem Rahmen denken. Sie werden Ihre gesamte Streitmacht aus der offenen Wüste führen, genau südlich der Stadt, durch die Wildnis, und die Männer herausziehen, die unter falschen Farben kämpfen. Diese Fremdweltler. Nach Beginn der Schlacht werden meine Maschinen und zweihundert meiner besten Krieger sie von der Seite angreifen, aus dem Nordwesten, und gemeinsam werden wir sie vernichten. Dann bleiben Shervanis nur seine eigenen Maschinen.«
»Shervanis erwartet Verstärkungen«, stellte
Nihail fest. »Mehr dieser gottlosen Schurken.«
Marcus zuckte zusammen. »Sind Sie sicher?«
Kalif Rashier wirkte beleidigt. »Ich habe es Ihnen bereits gesagt:
In Shervanis' Reich geschieht nichts, ohne daß ich davon erfahre.
Also, können Sie es tun?«
Marcus schüttelte den Kopf. »Fünf BattleMechs gegen zwei Kompanien
aufgerüsteter Kampfkolosse? Wir wären aufgerieben, noch bevor Ihre
Truppen erscheinen.« Er dachte nicht daran, Rashier die Reste der
Angeli als Köder verbraten zu lassen. »Selbst dann stünden wir
einer zweifachen Übermacht gegenüber.«
»Aber wenn Sie zweimal soviel Maschinen
hätten?« Die Stimme des Kalifen war ein beinahe seidiges
Schnurren.
»Mit Ihren Maschinen in der Hauptstreitmacht? Dann hätten wir keine
brauchbare Angriffseinheit mehr für den Überraschungsschlag aus der
Flanke.« Marcus stockte. Rashiers Betonung auf dem >Sie<
drang langsam zu ihm durch. »Die Angeli?«
Nihail zog ein Blatt rauhes Papier aus den Falten seiner schwarzen
Robe und reichte es GioAvanti. Während Marcus es öffnete und
überflog, informierte Nihail ihn gleichzeitig mündlich über den
Inhalt. »Ihre Stellvertreterin erklärt, sie habe fünf Ihrer Leute
plus einen weiteren gefunden. Aber nur fünf Maschinen, die nicht
alle in gutem Zustand sind. Sie warten im Schutz des
Wüstenwind-Stammes.«
Fünf Angeli! Und der sechste mußte ein
Mitglied von Jerichos Lanze sein. Die Angeli waren angeschlagen,
aber jetzt sah er die Möglichkeit eines Wiederaufbaus als sehr viel
mehr denn nur ein Versprechen, das er Jericho gegeben hatte. Seine
Gedanken rasten, berechneten die Zeit für den Transport und die
Reparatur der beschädigten Maschinen. »Dieser Wüstenwind-Stamm. Wo
ist er?«
Rashier zuckte die Achseln. »Das weiß niemand, und wenn doch, würde
es keiner zugeben. Irgendwo zwischen uns und dem finsteren
Shervanis.«
»Also in einem fünfhundert Kilometer großen Gebiet östlich von
hier, wahrscheinlich näher, sonst hätte die Funkstation der
Heaven Sent den Spruch nicht
aufgefangen, bei dem Zustand, in dem sie sich befindet. Wir könnten
sie mit einem Gewaltmarsch innerhalb eines Tages erreichen, da bin
ich sicher. Geben Sie mir einem Tag, sie mit dem Rest unserer
Materialreserven neu zu bewaffnen und zu panzern, und, ja, dann
könnten wir in drei Tagen angreifen.« Marcus konnte kaum fassen,
daß die Angeli wiedervereint werden sollten. »Aber können Sie den
Zeitpunkt Ihres Eingreifens garantieren? Ich kann die Stellung
halten, solange wir in Bewegung bleiben, aber ohne Ihren
Flankenangriff, um sie zu verwirren, habe ich keine Siegchance.
Diese Mordbanden sind gut.«
Rashier winkte ab, als sei Marcus' Besorgnis ohne jede Bedeutung.
»Ihr Anmarschweg ist gut versteckt. Sie können durch die Wildnis
bis in den Bereich vorstoßen, den wir den Übergang nennen, ein
felsiges Hügelland, das in die Ebene übergeht. Indem sie die
nördliche Route wählt, dürfte meine kleinere Streitmacht an Ort und
Stelle versteckt sein, bevor Sie überhaupt in Stellung sind. Und
wenn nicht, befindet sich ein kurzes Stück östlich ein Irrgarten
ausgetrockneter Flußtäler, in dem sie diese Mordbanden sicherlich
eine gute Stunde binden könnten, ohne übermäßige Verluste zu
erleiden.«
Wieviele Leben betrachtest du als mäßige
Verluste, Rashier? wollte Marcus fragen, hielt sich aber
zurück.
»In der Zwischenzeit«, fuhr Rashier fort, »werde ich meine Agenten
in der Stadt anweisen, kleinere Überfälle und andere
Ablenkungsmanöver zu starten. Das wird dafür sorgen, daß ein Teil
der Ketzer-Krieger zusammen mit allen Maschinen Shervanis' in der
Stadt zurückbleibt. Dadurch bessern sich ihre Chancen noch
weiter.«
»Wir bereiten uns seit einiger Zeit auf diesen Angriff vor«,
erklärte Nihail. »Wir kennen das Gelände und ein Dutzend
Anmarschwege für jeden Bereich rund um die Stadt.« Er sah
bedeutungsvoll zu dem Centurion
hinüber, dem anderen Mech im Innern des Hangar, und gab Marcus
damit zum erstenmal einen Hinweis darauf, daß dieser Mann ebenfalls
ein MechKrieger war. Irgendwie überraschte es ihn nicht. »Wir
werden da sein«, versprach er. »Und Shervanis' Helfer vor uns
hertreiben.«
Marcus nickte. Nihails einfache Worte hatten ihn weit mehr beruhigt
als alle Versprechungen Rashiers. »Das genügt mir«, stellte er
Nihail gegenüber fest, dann wurde er wieder allgemeiner. »Der Plan
könnte funktionieren. Aber ich muß Karten von der Gegend sehen und
vielleicht noch ein, zwei kleine Anpassungen einbringen. Zunächst
einmal, Kalif Rashier, brauche ich zwei Ihrer MechKrieger-Anwärter,
um die zusätzlichen BattleMechs an Bord unseres Landungsschiffs zum
Nomadenlager zu bringen. Unsere Infanterie kann ich in normalen
Schwebern transportieren, würde aber Ihre Savannah Master gerne als Geleitschutz ausleihen,
bis wir für den letzten Vorstoß auf Shervanis Aufstellung nehmen.«
Zur Abwechslung bist du mir etwas
schuldig, dachte Marcus, und du
bezahlst besser verdammt hurtig.
Kalif Rashier zögerte keinen Augenblick. Er nickte Marcus grinsend
zu. »Natürlich, Kommandant. Was immer Sie brauchen.«
37
Oase Amina, Shaharazadische Wüste Astrokazy, Peripherie10. Juli 3058
Im Wüstenwind-Lager wimmelte es von Aktivitäten wie in einem Ameisenhaufen. Manche der Nomaden waren noch damit beschäftigt, die schwerer angeschlagenen BattleMechs der Angeli so gut es ging zu reparieren, eine Arbeit, bei der die Techs, die Marcus mitgebracht hatte, ihnen zu helfen versuchten. Der Rest des Stamms schwärmte nervös - und die Neuankömmlinge mißtrauisch beäugend - herum. Charlene bezweifelte, daß irgendwer unter ihnen jemals so viele Kampfkolosse versammelt gesehen hatte, und wahrscheinlich fühlten sie sich mehr als nur ein wenig bedroht.
Der Kampftitan und Schütze der Angeli ragten über dem Schluchteingäng auf wie zwei gigantische Wachen und befanden sich zur offenen Wüste gekehrt reglos auf Posten: Sechs weitere Mechs standen an den Klippenwänden, wo sie hoch über dem Lager und den Palmenhainen aufragten. An den beiden letzten Mechs wurde noch gearbeitet, einschließlich eines verzweifelten Versuchs, den linken PPK-Arm wieder an Brian Phillips' Kriegshammer anzubringen.
Charlene wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Selbst bei 32° im Schatten der Felswände war ihr klar, daß es nicht allein an den Temperaturen lag. Sie konnte nur hoffen, daß man ihr die Nervosität nicht ansah. Sie hatte vor, ihren Posten als Stellvertretende Kompanieführerin aufzugeben, sofern Marcus ihr nicht zuvorkam und sie entließ. Bei dem Gedanken wurde ihr übel. Die Angeli sind mein Leben. Aber ich habe töricht und mit derselben Fahrlässigkeit gehandelt, die ich Marcus vorgeworfen habe. Und dadurch sind sie fast vernichtet worden.
Bevor sie etwas sagen konnte, war Marcus an ihr vorbei zum Rest der versammelten Angeli gegangen. Sie beobachtete, wie er sie alle persönlich begrüßte und sich nach ihrem Zustand erkundigte. Obwohl er es beiläufig tat und immer mit Blick auf ihre Gefechtsbereitschaft, konnte sie die Erleichterung in seiner Stimme spüren, und einmal sah Charlene sie auch in seinen schiefergrauen Augen, als ihre Blicke sich kurz begegneten. Auch die andern schienen eine leichte Veränderung zu spüren und reagierten entsprechend. Marcus zuckte nicht einmal zurück, als Paula einen Kuß auf seine Wange drückte.
Dann drehte er sich wieder zu Charlene um, die augenblicklich Haltung annahm und einen militärischen Gruß geradewegs aus dem Drillhandbuch des Vereinigten Commonwealth ablieferte. »Übergebe die Einheit wieder Ihrem Befehl.«
Marcus antwortete mit der kurzen - fast knappen Verbeugung und dem Zusammenschlagen der Absätze, die ein Überbleibsel seiner Erziehung als Mitglied des wohlhabenden Hauses GioAvanti war. Dann sah er sich unter den Angeli um, die sich auf typische Weise entspannten. »Fünf?« zählte er. »In deiner Nachricht hieß es fünf plus eins. Ich dachte, das hieße eine von Jerichos Leuten.«
»Stimmt. Chris Jenkins hilft bei Paulas Valkyrie aus.« Sie deutete mit einem Kopfnicken zu Connor Monroe. »Connor ist erst heute morgen eingetroffen, leider ohne seinen Kampfschütze.«
»Mein Lösegeld« erklärte der junge Mann sichtlich verärgert. »Sie haben ihn ausgeschlachtet, was auch so ziemlich das einzige war, wozu er noch taugte. Die Nomaden haben ihn praktisch aufgeschlitzt, als sie mich überfielen. Trotzdem, es war unsere Maschine.« »Hatte eh eine papierdünne Panzerung«, stellte Marcus fest. »Fabers Marodeur hat ein einigermaßen ähnliches Cockpit. Meinst du, du kommst damit klar?« Er wartete auf Monroes überraschtes Nicken. »Wer hat noch keine Maschine?«
Brandon Corbett zuckte unbehaglich die Achseln. »Das wäre dann wohl ich, Marc. Mehr oder weniger dieselben Umstände. Mein Quasimodo wurde von den Wüstenkriegern auf weite Entfernung zu Fetzen geschossen. Ich habe ihn aufgegeben, um freies Geleit für Tamara und ihren Mech zu erkaufen.«
»Der in beinahe perfektem Zustand ist«, fügte Charlene hinzu. »Bis du aufgetaucht bist, war der Grashüpfer die beste Maschine, die wir hatten.«
Marcus nickte. »Jericho ist auf dem Kampftitan abgenommen«, sagte er zu Corbett. »Du kannst ihren Greif nehmen. Der ist ohnehin näher an deiner Gewichtsklasse. Der Greifund der Marodeur sind freigestellt, ihr könnt also eure eigenen Sicherheitsprozeduren installieren und euch an die Maschinen gewöhnen. Nehmt sie raus in die Wüste, wenn ihr wollt, aber höchstens einen Kilometer. Abmarsch.«
Beide Männer setzten sich sofort in Richtung der BattleMechs in Bewegung. Charlene entging der ernste Gesichtsausdruck der beiden nicht, und sie ahnte: ihre Miene sah nicht anders aus. Sie wußten immer noch nicht sicher, wer es aus der Stadt geschafft hatte und wer nicht. »Jase und Thomas?« fragte sie, um sich zu vergewissern.
»Haben Shervanis nicht mehr verlassen«, antwortete Marcus, dann faßte er die Ereignisse der vergangenen Woche knapp zusammen. »Was wissen wir von den anderen?« fragte er, als er fertig war.
Charlene schluckte schwer. »Geoff ist tot. Das ist sicher. Ebenso eine von Jerichos Kriegerinnen. Kelsey Chase könnte es geschafft haben, sich aus ihrem Jenner zu retten, und wir wissen nicht, was aus Shannon Christienson geworden ist, der vierten Canopierin.« Sie setzte ein gequältes Lächeln auf. »Vince Foley lebt. Er und sein Vollstrecker werden von einem anderen Stamm als Geiseln gehalten. Selbst wenn wir die Ausrüstung hätten, die sie verlangen, wäre keine Zeit da, ihn zu holen.«
»Und die anderen? Wie hast du sie herbekommen?« »Wir schulden zwei Stämmen Zeit in unseren Mechhangars, falls wir das hier überleben. Sie waren bereit, Schuldscheine zu akzeptieren. Ich habe getan, was ich konnte.«
Marcus zuckte die Schultern, als er ihren entschuldigenden Tonfall hörte. »Damit kann ich leben.« Mit einem Kopfnicken entließ er die anderen. »Gehen wir ein wenig spazieren.«
Charlene hatte keine Ahnung, was in Marcus' Kopf vorging, und jedesmal, wenn sie ihren Rücktritt anbringen wollte, mußte sie eine andere Frage beantworten. Sie führte ihn durch das Lager und stellte ihn den Kriegern vor, die sie kannte. Aidar Sildig und Scheich Carrington - sie hatte endlich seinen Namen in Erfahrung gebracht - waren gerade in einer Besprechung. Marcus schien über Aidars Status nicht erstaunt. »Es scheint auf dieser Welt die Regel zu sein, daß kompetente Männer es zum Stellvertreter bringen. Was ich nicht verstehe, ist, warum sie uns nicht gegen Shervanis helfen.«
»Carrington hat sie alle in irgendeine religiöse Queste nach einem mythischen Schatz verstrickt«, meinte Charlene. »Aidar plant, uns mit einigen seiner Krieger in Richtung Stadt zu folgen. Aber sie werden nur Nachzügler ausschalten, die sich zu weit vom Rest der Truppe entfernen. Sie sind nicht bereit, ihre Leute bei einer Operation zu riskieren, die einem Kalifen nutzt.«
Marcus verzog das Gesicht. »Verdammt. Wir hätten sie gebrauchen können. Wie es momentan aussieht, rechne ich höchstens mit einem Fenster von zwanzig Minuten für Kalif Rashiers Flankenangriff, auch wenn er optimistisch von einer Stunde ausgeht. Vier zusätzliche Mechs hätten die Zeit auf dreißig oder sogar vierzig Minuten erhöhen können.«
So wie diese Nomaden kämpfen, hätten wir Rashier vielleicht gar nicht gebraucht, dachte Charlene. »Ich habe mir den Grundplan angesehen, den du uns geschickt hast, und ich glaube, wir können uns selbst mehr Zeit erkaufen. Es hängt alles davon ab, wie wir unsere Kräfte aufteilen.« Sie dachte einen Augenblick nach. »Wie dicht willst du an die Stadt heran?«
»Rashier garantiert, daß wir bis auf fünf Klicks herankommen können. Persönlich rechne ich nur mit zehn.«
Charlene sah hinüber zur Reihe der BattleMechs. »Hat dir schon mal jemand gesagt, daß Weiß und Grau nicht unbedingt die Farben für ein Wüstentarnschema sind?« fragte sie, und war nicht in der Lage, die Belustigung in ihrer Stimme ganz zu verbergen. Vier der fünf Mechs, die Marcus mitgebracht hatte, waren in diesen Farben bemalt.
Er lächelte dünn. »Wenn wir erst so nahe rankommen, sind wir ohnehin nicht zu übersehen. Da macht die Farbe nichts mehr aus. Und sie sollen wissen, wer wir sind.«
»Das Problem hast du bereits gelöst, würde ich meinen.« Sie blickte zu dem fünften Mech in der Reihe, Marcus' Caesar. Er hatte eine glänzendweiße Grundierung mit einer darüberliegenden Speziallackierung erhalten, die ihm einen schimmernden Effekt fast wie Perlmutt verlieh. Und als hätte das noch nicht gereicht, um Aufmerksamkeit zu erregen, leckten in dunklen Rot- und Brauntönen gemalte Flammen außen an beiden Beinen hoch. Auf der Brustpartie des Mechs prangte in einem leicht zur Seite verschobenen Halbkreis der Name >Erzengel< in glänzend goldenen Lettern.
»Das hat Jericho gemacht, nach einem ... « - er
stockte - »... Gespräch, das wir hatten.«
Die beiden standen eine Weile schweigend nebeneinander und sahen zu
dem Mech hinüber. Schließlich entschied Charlene, daß der Zeitpunkt
gekommen war. Die eisige Hand um ihre Eingeweide drückte noch
fester zu, als sie sich endlich räusperte. »Erlaubnis, eine
persönliche Verpflichtung zu erfüllen?«
»Gewährt.« Marcus klang beinahe amüsiert.
Ihre Stimme wurde leiser, und sie sprach fast ins Leere. »Es tut
mir leid«, sagte sie einfach. »Es war falsch von mir, dich auf New
Home zu kritisieren, ein Fehler, dir vorzuwerfen, du hättest die
Leben der Einheit fahrlässig aufs Spiel gesetzt. Und ich bin
bereit, Empfehlungen für einen neuen Stellvertreter auszusprechen,
Marc.« Sie sah zu ihrem Kommandeur auf. Marcus schürzte die Lippen,
als dächte er darüber nach. Sie riß sich zusammen, um einen
Gefühlsausbruch zu unterdrücken, als er zu seiner Antwort
ansetzte.
»Ich habe schon jemanden im Auge«, erklärte er und rieb sich mit
einer Hand die Wange. »Soweit ich es gehört habe, steuert sie
inzwischen einen Feuerfalke.«
Die Verkrampfung löste sich, als Charlene sah, daß er es ernst
meinte. »Ich bin sicher, du kannst auf sie zählen.« Das war alles.
Es war genug. Vielleicht ist zwischen uns noch
nicht alles wieder im Lot. Aber ich werde es einrenken.
38
Industriegebiet, Shervanis, Kalifat Shervanis Astrokazy, Peripherie11. Juli 3058
Die Vormittagssonne knallte draußen vom Himmel und heizte die Umgebung auf die gewohnten Tagestemperaturen auf. Das Innere der Lagerhalle war dagegen relativ kühl. Im Innern des Lehmziegelbaus standen zwei Kompanien BlakeGuard-BattleMechs in engen Rängen aufgebaut. Die MechKrieger kletterten zum Teil in ihre Cockpits, zum Teil waren sie bereits aufgesessen und dabei, die Maschinen hochzufahren.
Cameron St. Jamais hielt in der Luke seiner Pilotenkanzel an und sah zu einem Paladin hinüber, der in der Nähe der riesigen Hallentore die ersten schwerfälligen Schritte tat. Nach all den Jahren seiner Ausbildung bei ComStar und später bei Blakes Wort, bei all den Plänen und Intrigen der Toyama und der Bewegung des 6. Juni, blieb das ein Anblick, der ihn immer wieder beeindruckte.
BattleMechs auf dem Marsch in die Schlacht. Er
duckte sich durch die Luke, zog sie hinter sich zu und verriegelte
sie mit einer ruckartigen Drehung des Griffs. Es ging in den
Kampf.
Rashiers Krieger hatten während des Morgens bereits verschiedene
Angriffe im Stadtgebiet durchgeführt. Scharfschützenfeuer auf
Palastwachen. Ein paar Kommandoeinheiten waren in das Palastgelände
eingedrungen, und mindestens eine Gruppe befand sich immer noch im
Innern des Palastes bei einem Feuergefecht. Dann hatte Ji-Drohmiens
Agentennetz verstärkte Landungsschiffaktivität im Kalifat Rashier
gemeldet. St. Jamais erinnerte sich noch deutlich daran, wie
frustriert er wegen der mangelnden Präzision dieser Angaben gewesen
war. Verstärkte Landungsschiffaktivität
konnte alles mögliche bedeuten, einschließlich der Ankunft
canopischer Verstärkungen. Er war gezwungen gewesen, seine
verbliebenen Luft/Raumjäger einzusetzen, um Genaueres in Erfahrung
zu bringen.
Schließlich hatten Shervanis' Beobachtungsposten am Rand der
Shaharazad Anzeichen einer vollen Kompanie Angeli-BattleMechs
gemeldet, die aus der Wüste im tiefen Süden der Stadt anrückten.
Die Söldner sind also doch noch nicht so
dauerhaft zerschlagen, wie ich dachte. Die Meldungen über
Landungsschiffaktiväten konnten eine Finte sein. Tatsächlich
schienen sie genau die Art von Täuschungsmanöver, die Marcus
GioAvanti einfallen würde. Aber es war trotzdem besser,
sicherzustellen, daß nicht doch irgendwelche canopischen
Ersatzeinheiten auf wundersame Weise Wochen früher eingetroffen
waren als erwartet.
Soso, Kommandant GioAvanti. Wir begegnen uns
doch noch einmal auf dem Schlachtfeld.
St. Jamais ließ sich auf die Pilotenliege gleiten, und seine Finger
preßten eine Serie von Knöpfen, die den Fusionsreaktor seines
Todesbote in Betrieb setzte. Unter
seinem Platz klang ein tiefes Grollen auf, wie das Knurren eines
eingesperrten Raubtiers. Er zog das Gurtgeschirr über den Kopf und
befestigte alle Riemen an dem Schnellverschluß auf seiner Brust.
Als nächstes folgte die Leitung zur Kühlweste. Er steckte sie in
eine Buchse an der linken Seite und zuckte zusammen, als der erste
Kühlmittelschub durch die Leitungen strömte, die in das
ballistische Tuch der Weste eingelassen Waren.
Der Neurohelm stand auf einer Leiste über seinem Kopf. Er nahm ihn
herunter und setzte ihn auf. Die gepolsterten Schultern der Weste
halfen, das beträchtliche Gewicht aufzufangen. Vier Sensorleitungen
hingen von
353 der Kinnpartie des Helms herab. Er verband sie mit Biomedpflastern. Dann zog er die Abdeckschicht von der Unterseite der Sensorpflaster und klebte sie auf Oberarme und Schenkel. Mensch und Maschine waren zu einer Einheit verbunden. Er fühlte einen Adrenalinstoß, der seine Muskeln vor aufgestauter Energie erzittern ließ.
Die Angeli können in keinem guten Zustand sein, dachte er. Ich werde sie am Rand der Wildnis stellen, bevor sie in den Schluchten und Hohlwegen untertauchen können, und sie ein für allemal zerquetschen. Diese Söldner erwiesen sich als konstante Bedrohung, und St. Jamais wollte sie vernichtet sehen.
Anscheinend galt dasselbe für Shervanis und JiDrohmien. Trotz starker rashierischer Aktivität innerhalb der Stadt hatte der Kalif vier seiner sieben einsatzbereiten Mechs befohlen, die Blake-Truppen zu begleiten. Ji-Drohmien hatte dem Kalif versichert, daß drei Mechs ausreichten, jeden Infanterieangriff Rashiers hier in der Stadt niederzuschlagen, insbesondere, da seine Agenten gemeldet hatten, alle BattleMechs Rashiers befänden sich noch in dessen Kalifat.
St. Jamais war nicht so arrogant, daß er diese Unterstützung zurückgewiesen hätte, erst recht nicht, nachdem er die Angeli bereits zweimal unterschätzt hatte. Vielleicht zertrete ich nach dieser Aktion Rashier, als Lektion für alle anderen, sich Blakes göttlichem Willen nicht zu widersetzen. Und als Gefälligkeit für Shervanis. Mit zwei Kompanien seiner >Mordbanden<, verstärkt durch eine Lanze von Shervanis' Mechs, sollte er in der Lage sein, mit allem fertigzuwerden, was die Angeli ihm entgegenwerfen konnten.
Dann erinnerte er sich an eine Bemerkung, die Shervanis ein paar Tage zuvor gemacht hatte, und St. Jamais nickte grimmig. Ja, das konnte ganz nützlich werden. Für den Fall eines Falles. In seinem Innern nagte leiser Widerstand gegen die Idee. Es sind MechKrieger, wandte eine innere Stimme ein, aber er schmetterte sie ab. Hatte er nicht erst letztens entschieden, daß die Prinzipien des 6. Juni gegen jedermann zum Tragen kommen konnten?
Als die Bildschirme um ihn herum aufflackerten und Informationen über den Status der Waffen und anderen Bordsysteme lieferten, klang in seinem Ohr eine Computerstimme auf. »Identifikation.«
»Cameron St. Jamais.« Er wartete eine Weile, während der Bordcomputer sein Stimmuster mit den tief im Innern seiner Sicherheitssysteme gespeicherten Daten abglich. Aber weil die Stimmerkennung mit einer Aufzeichnung getäuscht werden konnte, gab der Computer die Kontrollen erst frei, nachdem er zusätzlich einen Kennsatz erhalten hatte, den der autorisierte Pilot der Maschine selbst einprogrammiert hatte und den nur er allein kannte.
»Ich bin meines Bruders Hüter«, sagte St. Jamais und schwor in Gedanken, daß die Angeli ihm zum letzten Mal Schwierigkeiten gemacht hatten.
Thomas Faber widerstand der Versuchung, den Clinthochzufahren.Gerade war der Befehl an Shervanis' Erste Lanze über Funk gekommen, sich außerhalb des Südosttors bei jemandem namens St. Jamais zum Einsatz zu melden. Thomas hatte keine Ahnung, wer dieser St. Jamais war, aber er hätte wetten können, daß es sich um den capellanischen Kommandeur der falschen HegemonieMordbanden handelte. Und die beiden Truppen sollten sich keine zweihundert Meter von seiner Position treffen, was eine Menge Mechs sehr viel näher an ihn heranbrachte, als ihm lieb sein konnte.
Zwölf Tage im Untergrund hatten ihre Spuren bei dem hünenhaften MechKrieger hinterlassen. Die Lagerhalle, in die er gestürzt war, befand sich am Rand eines Viertels, das Shervanis wahrscheinlich ein Industriegebiet nannte. Die meisten der Gebäude in der Nähe standen leer und wurden nur noch von gelegentlichen Patrouillen aufgesucht, die ihm die Suche nach Nahrung und Wasser unliebsam erschwerten. Trotzdem war es ihm in der zweiten Nacht gelungen, Amaäli in eines der sichereren Wohngebiete zu schmuggeln, wo sie sich verstecken konnte. Seitdem hatte er die Tage mit dem Versuch gebracht, die Neurotransmitter des gestohlenen BattleMechs ohne entsprechendes Werkzeug an seine Hirnwellenmuster anzupassen.
Nachts allerdings sah alles anders aus. Nachts
ging er auf Erkundungstour.
In der achten Nacht hatte er die drei Lagerhallen gefunden, die als
Waffenverteilerstelle für die Marianische Hegemonie dienten. Sie
lagen tiefer im Industriegebiet. Es überraschte ihn, daß sie nicht
besser gesichert waren. Außer den Routinestreifen in diesem Gebiet
gab es keine weiteren Schutzmaßnahmen. Anscheinend befürchteten die
Capellaner nicht, entdeckt zu werden. Vor zwei Nächten war es ihm
endlich gelungen, in eines der Gebäude einzubrechen, und dort hatte
er Container mit dem Katanawappen der Konföderation Capella
gefunden. Er hatte ID-Nummern, Transportrouten und alles andere
aufgeschrieben, was er finden konnte, und was später als Beweis
dienen konnte. Beinahe zu einfach, hatte er gedacht, es aber auf
die jüngste Niederlage der Angeli und die lasche Disziplin
geschoben, die Missionen auf Hinterwäldlerplaneten häufig eigen
war.
Thomas hatte sich entschieden, den Angeli noch ein paar Tage Zeit
zu einer Aktion zu geben. Seine Position, unter teilweiser
Kontrolle eines gestohlenen Mechs zu stehen, mochte einen gewissen
taktischen Vorteil bringen. Jetzt schien es, daß sich der Kampf
außerhalb der Stadt abspielen würde. Sobald die Mordbanden-Mechs
weit genug voraus waren, konnte er hier weg und versuchen, sie
einzuholen.
Er schaltete die Cockpitbeleuchtung an und starrte eine ganze Weile
ins Licht, um seine Augen an die ungewohnte Helligkeit zu gewöhnen.
Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, und er mußte sich auf das
grelle Tageslicht vorbereiten. Dreißig
Sekunden, den unteren Rumpf aus dem Schutt zu befreien,
schätzte er. Noch eine Minute, um den
Stadtrand zu erreichen und Shervanis' erleuchtete Herrschaft ein
für allemal hinter mir zu lassen. Selbst wenn sie mich bemerken,
wird Shervanis es kaum schaffen, einen seiner Mechs schnell genug
hier zu haben, um mich aufzuhalten.
»Mordbanden, hier spricht St. Jamais.« Die Stimme drang aus dem
leise gestellten Funkgerät, das Thomas hastig lauter stellte. Er
hörte die Spur eines Akzents durch die Filter der Anlage, konnte
ihn aber nicht einordnen. Das war nicht weiter überraschend
angesichts der tausend möglichen Dialekte in der Inneren Sphäre und
Peripherie. »VorhutLanzen rücken geradeaus vor und nehmen
fünfhundert Meter hügeleinwärts Aufstellung. Sturm- und
EinsatzLanzen stellen sich am Rand der Hügel auf. Auf mein Zeichen
warten. Raymond und Terrence bleiben einen Moment hier bei
mir.«
Worauf warten sie noch? Thomas ging
davon aus, daß sie sich am Stadttor befinden mußten, wenn sie ihre
Aufstellungsbefehle erhielten, aber wozu die Verzögerung? Er
erhielt die Antwort einen Augenblick später, als St. Jamais
weitersprach, und sie ließ kalte Schauer über seinen Rücken
laufen.
»Bringt die Gefangenen«, befahl die Stimme. »Die beiden Frauen zu
Terrence und Raymond, aber diesen Torgensson-Burschen nehme
ich.«
Thomas' Hand legte sich auf den Schalter, der seinen Mech zum Leben
erwecken konnte. »Nein«, flüsterte er in der Stille der Kanzel.
»Noch nicht. Halte dich an den ursprünglichen Plan, oder das hier
wird dein Grab.«
Es kostete ihn seine ganze Kraft, die Hand zurückzuziehen, aber er
versprach sich, nicht länger zu warten als nötig war. Wozu er die Gefangenen auch immer braucht, es kann nichts
Gutes sein.
11. Juli 3058
Marcus stieg in seinem Caesar über einen felsigen Hügel, dann bewegte er die Kampfmaschine hinab in ein weites, dürres Talbecken. Rote Felsformationen beherrschten den Sichtschirm. Ringsum hatten der Wind und gelegentliche Springfluten den Stein zu irrsinnigen Mustern ausgehöhlt. Selbst die seltenen ebenen Flächen, wie die, über die er seinen Mech gerade bewegte, waren von tückischen engen Spalten und Löchern übersät, die einen BattleMech das Bein kosten konnten, wenn der Pilot sich nicht vorsah.
»Erster Kontakt. Speerspitze meldet eine
mittelschwere Lanze.« Pause. »Korrektur: Zwei.«
Verdammt. Soviel zu Rashiers Garantien.
Marcus schluckte trocken. Der Ozongeruch und beißende Geschmack
heißer Schaltkreise kratzte in seiner Kehle, als Ki-Lynn ihn
gelassen über die Präsenz von Mordbanden-Truppen vierzig Minuten
früher als erwartet informierte. Das war gar nicht gut.
Schon jetzt hatte die Leistung des Fusionsreaktors kombiniert mit
der natürlichen Hitze des Tages die Temperatur im Innern des
Cockpits in die Höhe getrieben. Die Angeli hatten die Nachladezeit
aller Waffen neu konfiguriert, um sie an die langsamere
Wärmeableitung anzupassen, aber trotzdem würden ein paar Minuten
heißen Gefechts genügen, die Abwärme in den roten Bereich zu
treiben. Marcus faßte die Kontrollknüppel des Caesarfester. Die Neolederverkleidung der Knüppel
brannte in seiner Handfläche. Und wir müssen
das lange genug hinziehen, damit Rashier sich uns anschließen
kann. Geschickt umging er einen Felsspalt, der fast den Fuß
Erzengels eingeklemmt hätte.
Ich sollte mir besser schnell etwas einfallen
lassen.
Speerspitze bestand aus den beiden Mechs von Paula Jacobs und
Brandon Corbett. Jericho Ryan und Chris Jenkins, die letzten
Canopier, waren Besucher, ein zweites Mechelement aus zwei
Maschinen, das,parallel zu Speerspitze als Vorhut dem Rest der
Einheit vorauslief, wenn auch mit kleinerem Bewegungsradius. Beide
Elemente fungierten als Kundschafter und bewegten sich mehrere
Minuten vor der Hauptstreitmacht der Angeli einen in
nordnordöstlicher Richtung verlaufenden Weg entlang, der sie bis an
die Stadtgrenze von Shervanis hätte führen sollen.
Marcus befehligte die Hauptstreitmacht, eine Lanze ihrer schwersten
Kampfkolosse, die bereits in einer lockeren Schlachtreihe
aufgestellt war. Kis Schütze, sein
Caesar, Connor Monroe in Fabers
Marodeur und Brian Phillips, der in
Marcus' altem Kriegshammer die
Westflanke hielt. Sie lieferten einen soliden Anker für die äußeren
Elemente.
Die beiden letzten BattleMechs waren Charlenes Feuerfalke und Tamar Cross im Grashüpfer. Begleitet vom >General< und
seinen Bodentruppen in drei zivilen Schwebern formten sie das in
ein paar Kilometer Abstand folgende Reserve-Element. Das war
Charlenes Beitrag zur Planung, mit dem Ziel, für eine weitere
Verzögerung zu sorgen. Wie es schien, würden sie die auch
brauchen.
Zwanzig Kilometer weiter hätte Speerspitze laut der Planung, die
Marcus und Kalif Rashier ursprünglich aufgestellt hatten,
wenigstens eine Lanze der Mordbanden nach Osten abziehen können, um
sie im Labyrinth enger Felsspalten und ausgetrockneter Flußbetten
in ein Versteckspiel zu verwickeln. Wenn sie das jetzt täten, hätte
es die Angeli hier festgesetzt, mitten in der Wildnis, wenigstens
eine Stunde südöstlich von Rashiers Einheiten - wahrscheinlich
näher an neunzig Minuten.
Und das war einfach zu weit entfernt.
Marcus öffnete die Verbindung zu Ki-Lynn. »Speerspitze soll nach
Westen ausweichen. Ich wiederhole, nach Westen.« So ergab es einen
Sinn. Wenn die
Verstärkung dich nicht rechtzeitig erreichen kann, bring die
Schlacht zur Verstärkung. »Sie sollen ein Rennen daraus
machen. Sie zum Rendezvouspunkt locken.« Marcus spielte mit dem
Gedanken, Ki die Funkstille brechen und bei Rashier nachfragen zu
lassen, aber das wäre riskant geworden. Ki ist
gut, aber das ist eine beachtliche Strecke durch schwieriges
Gelände, und Rashier würde sich wahrscheinlich eh nicht
melden.
Vierzig Minuten zu früh. Die Zeit hing wie ein dunkler
Schatten über seinen Gedanken, und Marcus kämpfte gegen den Drang
an, seinen Mech losrennen zu lassen. Das verfrühte Auftauchen des
Feindes machte ihm Sorgen. Was war geschehen? Patrouillen, von
denen sie nichts gewußt hatten? Rashier hatte Marcus einen
unbemerkten Anmarsch garantiert. In diesem Augenblick hätten die
Krieger des Kalifen ihre ersten Ablenkungsangriffe gegen Shervanis
ausführen müssen, Angriffe, mit denen sie einen Teil der
feindlichen Truppen binden sollten. Jetzt konnte Marcus nicht
einmal darauf zählen.
Es war der Alptraum jedes Kommandeurs. Kein Plan überlebt
Feindberührung.
Laß sie auf deine Maßnahmen reagieren.
Der Gedanke schnitt durch die ganzen sinnlosen Überlegungen. Es war
eine militärische Taktik, die Tausende Jahre zurückreichte, und
lief im Grunde darauf hinaus, den Feind denken
zu lassen, daß man dabei war ihn zu besiegen. Die Angeli
wußten, wie das funktionierte. Und Marcus wußte, daß irgendwo weit
abseits beider Flanken die MechKrieger des Wüstenwinds und
möglicherweise noch anderer Stämme lauerten. Sie würden sich nicht
einmischen, aber es bestand die Chance, daß sie Nachzügler
erledigten.
»Drache, hier Lyra«, rief er Ki-Lynn. Wie üblich fungierte sie als
Filter, auch wenn einer seiner Kanäle als offene Leitung diente,
über die ihn jeder erreichen konnte. Marcus nannte ihn den
Panikkanal. Stimmen auf dieser Verbindung brachten schlechte
Nachrichten. »Speerspitze soll etwas weiter als geplant abbiegen
und sich keine Sorgen machen, zu schnell zu werden. Wenn sie es
einrichten können, daß ein Teil der Mordbanden zurückbleibt,
könnten uns die Stämme doch noch helfen.« Falls sie uns tatsächlich
in die Wildnis gefolgt sind, dachte Marcus. Und nicht in der offenen Wüste geblieben sind.
»Verstanden, Lyra«, antwortete Ki, und die Funkfilter nahmen ihrer natürlich ruhigen Stimme jede Spur von Emotion, die sie möglicherweise gezeigt haben mochte. Ein paar Sekunden später teilte sie ihm ebenso ruhig mit: »Besucher fällt zurück, meldet Kontakt mit schweren BattleMechs.«
Jericho Ryan und Chris Jenkins. Sie würden zu Marcus' Mechlanze zurückfallen und versuchen, die schnelleren Mordbanden mitzuziehen, damit sie von den sechs Maschinen gemeinsam schnell erledigt werden konnten. »Alarmiere die Reserve«, befahl er. »Akute Bereitschaft.« Eine der Optionen, die ihnen die Reserve lieferte, bestand darin, im Kleinen zu exerzieren, was Rashier im Großen plante - einen Flankenangriff nach Beginn des Gefechts, um den Gegner zu
verwirren. Alle Spieler sind auf dem Feld, und jeden Augenblick muß der Startschußfallen.Der Caesar kam keine zwei Dutzend Schritte weit, bevor Jerichos Kampftitan und Chris Jenkins' Vulkan weniger als dreihundert Meter rechts voraus aus einem Hohlweg auftauchten und auf Marcus' Lanze zurannten, die in einer Linie über das Becken verteilt war. Nach hundert Metern drehte sich derKampftitan um. Marcus hob die rechte Arm-PPK auf den Ausgang des Hohlwegs und legte den Daumen auf den Auslöser gerade als ein Mordbanden-Ostsol ins Tal stürmte und ein Paladin zu seiner Deckung über eine niedrige Felsformation sprang. Auf der entfernten linken Seite traten zwei andere Mordbanden-Mechs hinter hohen Felssäulen hervor und versuchten, Brian Phillips im Kriegshammer auf extreme Distanz in einen Kampf zu verwickeln.
Der Computer war noch damit beschäftigt, die Mordbanden-Mechs als rote Quadrate auf der Taktikanzeige des Caesar zu zeichnen, im Gegensatz zu den blauen Kreisen der Angeli, als Marcus die größere Bedrohung erkannte. Er drückte den Feuerknopf der PPK und löste eine Entladung blauleuchtender Energie aus, die in Richtung des Paladin zuckte. In hoher Umgebungstemperatur waren mit Raketen und Autokanonen bewaffnete Mechs die gefährlicheren. Der Ostsol war mit Lasern bestückt, die schnell zum Wärmestau führen und die Kampfkraft des Mechs dramatisch senken würden.
Bei einem Kräfteverhältnis von vier gegen zwei oder fünf gegen zwei, wenn er Connor Monroes Marodeur mitzählte, der sich gegen beide MordbandenTeams am äußersten Rand seiner Waffenreichweite befand - hätte man denken können, daß der Kampf schnell vorbei sein würde. Aber Marcus wußte es besser. BattleMechs konnten eine Menge Schaden wegstecken, und das gab den Mordbanden die Chance, sich zurückzuziehen oder ihrerseits ansehnlichen Schaden bei den Söldnern anzurichten. Wie auch immer, die Hauptstreitmacht der Angreifer konnte nicht weit sein, und die Angeli konnten sich keine Feldschlacht leisten, egal, wie gut sie die Truppen des Gegners aufteilen konnten.
Der erste schwere Feuerwechsel bewies ihm, daß errecht hatte. mit
einer BreitseiteAuch Jericho hatte den Paladin
aus vier mittelschweren Lasern und den KSR erwischt. Connor Monroe
hatte ihm mit beiden PPKs des Marodeur zugesetzt. Zehn Jahre früher wäre
ein derartiger Schuß für den Marodeur unmöglich gewesen: Die Entfernung
zum Ziel betrug fast sechshundert Meter. Aber die wiederentdeckten
Technologien hatten die Waffenreichweite verbessert, und die
K3-Computer, die Monroes
Feuerleitsystem an das von Jerichos Kampftitan koppelten, verbesserten die
Zielerfassumg um fast fünfzig Prozent.
Ihr kombiniertes Geschützfeuer schlug in den Paladin ein, als der gerade landete, ließ Panzerung verdampfen und warf eine Wolke geschmolzenen Metalls rund um den Mordbanden-Mech auf. Dessen Pilot konnte das Gleichgewicht nicht halten, feuerte aber, bevor er stürzte, eine weitere Breitseite aus Lang- und Kurzstreckenraketen in den Rücken von Jenkins' noch auf der Flucht befindlichem Vulkan.
Schon ein paar Raketen hätten genügt, die dünne Rückenpanzerung des Mechs zu durchschlagen. Noch während der Paladin unter dem schweren Beschuß zu Boden ging erschauderte der Vulkan, stolperte, fiel auf die Knie und kippte schließlich ganz um. Gyroskoptreffer, konstatierte Marcus und biß die Zähne zusammen, bis sein Kiefer schmerzte. Der Paladin wird wahrschein
lich schneller wieder auf den Beinen sein als Jenkins.Marcus fluchte leise, dann warf er einen Schalter an der Funkkonsole um und öffnete eine Leitung nur zum Besucher-Element. »Jenkins, Ihre Waffen befinden sich an der Vorderseite des Mechs. Genau wie die bessere Panzerung. Stehen Sie auf, verdammt.«
Der Ostsol richtete in Marcus' Team fast ebensoviel Schaden an. Der Pilot wählte Kis nahenSchütze als sein Ziel und fraß mit beiden schweren Impulslasern die Panzerung an dessen rechter Torsohälfte ab. Er zerkochte fast die gesamte Panzerung über Ki-Lynns Munitionsvorrat. Ki hielt den Mech aufrecht und reagierte, indem sie eine Breitseite aus vierzig Raketen auf den Weg schickte. Nur ein Drittel von ihnen schlug im Ziel ein, und die Hälfte der Geschosse detonierte zu früh. Die Wirkung schien minimal.
Bis der Ostsol den nächsten Schritt tat.
Die Frühzündungen hatten den Boden mit DonnerSprengköpfen übersät
und fast neunhundert Quadratmeter vor den Füßen des Ostsol in ein
Minenfeld verwandelt. Der Fels selbst schien hinter der
Mordbanden-Maschine zu explodieren, die hinter einem Schleier aus
Rauch und aufgewirbeltem Gestein verschwand. Einen Moment lang
wagte Marcus zu hoffen, daß beide feindlichen Mechs am Boden lagen
und schnell unschädlich gemacht werden konnten, aber dann war der
Ostsol
aus der Rauch- und Trümmerwolke heraus und rannte immer noch
geradewegs auf den Schütze zu. Die Panzerung seines rechten
Beins war zerfetzt - bis auf die Titanstahlknochen der Inneren
Struktur abgeschält -, aber er lief weiter.
Schweiß strömte an Marcus' Gesicht herunter und brannte salzig auf
seinen Lippen. Er konnte sich nicht erlauben, die
Betriebstemperatur so früh hochzujagen, und er durfte auch die
Munition für das Gaussgeschütz im Torso nicht verschwenden.
Nur sechzehn
Schuß, erinnerte er sich und nahm sich extra Zeit, den
drohenden
Der Mordbanden-Pilot war nicht so dumm, seine Maschine aufzuheizen, bevor er auf eine Entfernung heran war, in der seine mittelschweren Laser den Gegner zerfetzen konnten. Darauf zählte Marcus, auch wenn KiLynn so früh wie möglich eine weitere Raketenbreitseite abfeuerte. Diesmal waren alle vierzig Geschosse von der normalen Sorte, und mehr als die Hälfte traf ins Ziel. Panzerplatten auf der gesamten Frontpartie, des Ostsol zerbarsten. Ein paar Geschosse gruben sich tiefer in das bereits ruinierte rechte Bein, aber anscheinend trafen sie nichts von Bedeutung. Wie ein Bulldozer kam der Mordbanden-Mech unaufhaltsam näher.
Im unteren linken Teil des Caesar-Torsos floß Energie in die Kondensatoren des Gaussgeschützes, um sie bei dessen Auslösung in sehr viel höherer Geschwindigkeit freizugeben, als es der Fusionsreaktor konnte. Voll aufgeladen drang genug Strom ins Freie und in die Spulen, die den langen Lauf umhüllten, um ein leichtes Magnetfeld zu erzeugen. Das Feld erfaßte die solide Nickel-Eisen-Kugel in der Geschützkammer und magnetisierte sie. Dann pumpten die Kondensatoren nacheinander Energie in jeden der Spulensätze, beschleunigten die Kugel den gesamten Lauf entlang und schleuderten sie schließlich mit einer Mündungsgeschwindigkeit von nahezu einem Kilometer in der Sekunde davon.
Die leicht ovale Kugel, die durch den Zug des Laufs in nahezu perfekte Rotation versetzt war, wog über hundert Kilo und brauchte nicht einmal eine halbe Sekunde für die Distanz bis zum linken Torso des Ostsol. Sie schlug mit einer Wucht ein, die sich mit der größten Autokanone messen konnte, zerschmetterte Panzerung wie Glas und durchschlug mehrere interne Streben. Sie prallte von der Abschirmung des Reaktors ab, wobei sie eine Bresche schlug, durch die reichlich Hitze entweichen konnte. Schließlich rammte sie, nachdem ihre Energie fast völlig verbraucht war, noch in das Munitionslager des Raketenabwehrsystems, das mit genug Kraft auseinanderflog, um die letzten Überreste des linken Torsos auszuweiden.
Marcus sah denOstsol nicht zu Boden gehen. Er hatte den Torso des Caesar schon wieder weggedreht und sich auf den Paladin konzentriert, sobald er die ersten Sekundärdetonationen der Rakabwehr-Munition sah. Der zweite Mordbanden-Pilot hatte sich entschieden, am Boden zu bleiben und stützte seinen Mech mit dem linken Arm auf dem Boden ab, während er die Raketen und den rechten Armlaser einsetzte. Jericho und Connor Monroe pumpten Megajoules an Energie in die Maschine, deren Gegenschläge sich auf JerichosKampftitan konzentrierten. Endlich zog sich die Canopierin aus der Reichweite seiner mittelschweren Waffen zurück. Auf einer vielleicht achthundert Meter entfernten Bergkuppe zählte Marcus drei weitere anrückende Mechs. An der linken Flanke geriet Brian Phillips allmählich in Verzweiflung, als sein Kriegshammer unter konzentriertem Beschuß von vier weiteren mittelschweren und schweren Mordbanden-Mechs zurückgetrieben wurde.
»Wir brauchen die Reserve«, erklärte Marcus. Über das Zielerfassungssystem des Kampftitan konnte er den Paladin anvisieren und die Probleme des MordbandenPiloten mit einem erneuten Stoß elektrischblauer PPKEnergie noch erhöhen. Kis Bestätigung des Befehls kam einen Augenblick später, während sie demOstsol den Garaus machte, unterstützt von Chris Jenkins, der den Vulkan endlich wieder hochbekommen hatte.
»Monroe soll abbrechen und Phillips an der linken Flanke helfen. An alle: Wir ziehen uns nach Westen zurück und schwingen dann nach Norden, hinter Speerspitze her.« Auf diese Weise konnten der Kriegshammer und der Marodeur, zwei Maschinen, die auf Distanzgefechte ausgelegt waren, die Bresche schlagen, die sie brauchten. Marcus konnte die Gesamtstruktur des Planes sehen und hatte alle taktischen Implikationen ausgearbeitet. Aber die Details bereiteten ihm Kopfzerbrechen, weil er Menschen und Maschinen weitgehend nach Gefühl plazierte.
»Hier spricht der Kommandeur der Marianischen
Hegemonialkräfte.«
Die Stimme klang selbst durch die elektronischen Filter tief und
böse, und Marcus erkannte instinktiv, daß sie für den Einsatz im
Schlachtfeld trainiert war. Sie vermittelte Emotion durch Tonhöhe
und Rhythmus. Wahrscheinlich hat er für die
eigenen Leute eine sanfte, beruhigende Stimme auf Lager,
dachte Marcus.
»Wir sind bereit, die Kapitulation aller Mitglieder von Gli Angeli
di Avanti anzunehmen. Wer jetzt sofort das Feuer einstellt, wird
mit seinem Mech vom Planeten abtransportiert und darf nach Outreach
zurückkehren. Dies ist das einzige Angebot dieser Art, das wir
machen werden.«
Und ein äußerst generöses dazu. Marcus
brachte Erzengel in Position, um
Phillips und Monroe zu unterstützen. Er glaubte dem Mann kein Wort.
Es war nicht nur die auf Einschüchterung trainierte Stimme. Die
Mordbanden hatten bereits zweimal extreme Anstrengungen
unternommen, um die Angeli mit überlegener Streitmacht zu
zerschlagen, und beide Male waren sie gescheitert. Sie wollen uns tot und begraben sehen. Um ihr Geheimnis zu
wahren. Er konnte kaum glauben, daß der
Mordbanden-Kommandeur ein derartiges Angebot auch nur aussprach,
und noch viel weniger, daß einer der Angeli es ihm
abnahm.
Er hat es klingen lassen, als hätten wir keine
Wahl.
»Marcus.« Jerichos Stimme war körperlos und elektronisch gefiltert,
aber trotzdem hörte er ihre Verzweiflung. Außer Charlie und Ki war
sie die einzige Person mit einem Privatkanal zu ihm. »Marcus, sieh
dir die anrückenden Mechs an. Den Todesbote.«
Der Todesbote war der Mech des
feindlichen Kommandeurs. Schon auf Marantha war sich Marcus dessen
sicher gewesen. Warum das Jericho so berührte, verstand er nicht,
aber wenn die Angeli diesen Mech zur Strecke bringen konnten,
bestand auch die Möglichkeit, daß es die Mordbanden aus dem Konzept
brachte. Er fand den Todesbote auf der
Sichtprojektion - eine der drei Maschinen auf der Bergkuppe direkt
voraus - und rief eine Großansicht auf dem Hauptschirm auf. In
Gedanken dirigierte er bereits den Angriff, mit dem er den
überschweren Mech zur Strecke bringen wollte.
Seine Pläne zerbarsten in einem Sturm aus Schock und Entsetzen, als
die breitschultrige Kopfpartie des feindlichen Mechs auf seinen
Schirm kam.
Knapp unterhalb des Kanzeldachs befand sich ein schmaler
Metallsteg. Eine Deflektorplatte. Im Falle eines katastrophalen
Bruchs der Reaktorabschirmung lenkte diese Platte den Energiestoß
aus dem Bereich unmittelbar über dem Mech ab, damit ein mit dem
Schleudersitz aussteigender Pilot nicht erfaßt wurde. Auf dieser
Platte stand ein Mensch, an Armen, Beinen und Körper festgebunden.
Marcus holte das Bild noch näher heran, verlor dabei zwar an
Detailschärfe, konnte aber immer noch Körperbau und grobe Züge
erkennen.
Jase Torgensson.
Eine schnelle Überprüfung zeigte, daß knapp unter den Cockpits der
beiden Mechs, die den Todesbote
begleiteten, zwei weitere Krieger angebunden waren. Kelsey Chase
und möglicherweise Shannon Christienson, eine von Jerichos
MechKriegerinnen. Marcus benommener Verstand lieferte ihm den
Namen, während er den Caesar geschockt
zum Stehen brachte. Er konnte kaum fassen, was er sah.
Wer auch immer der Kommandeur der Mordbanden war, er hatte dafür
gesorgt, daß wenigstens drei MechKrieger starben, bevor auch nur
einer seiner Mechs getroffen wurde.
40
Übergang, Shaharazadische WüsteAstrokazy, Peripherie
11. Juli 3058
Eine Hitzewelle brandete durch das Cockpit und verwandelte es in eine Sauna. Die Luft stank nach Schweiß und dem beißenden Ozongeruch heißer Schaltkreise. Marcus riß den Torso des Caesar in einer harten Drehung herum, unter der die Drehkupplung in Hüfthöhe kreischend protestierte, und suchte den Horizont hinter sich nach dem Orion ab, der ihn in diesen Irrgarten aus Felsnadeln und engen Passagen gejagt hatte.
Die Flankenbewegung, die Marcus beim ersten Kontakt mit den .Mordbanden organisiert hatte, hatte den Angeli erlaubt, sich zunächst aus dem Gefecht zurückzuziehen. Sie hatten die Mordbanden in einem laufenden Gefecht nach Nordwesten gezogen - ständig nach Nordwesten - und versucht, zu Kalif Rashiers Truppen zu stoßen. Sie hatten fast vierzig Minuten gewonnen. Aber jetzt hatten sie die Wildnis und deren Deckung fast hinter sich gelassen und das Gebiet erreicht, das Rashier als den Übergang bezeichnet hatte. Und Marcus gingen allmählich die Möglichkeiten aus.
Ringsum kämpften und duckten sich die übrigen Mitglieder der Angeli durch das steinerne Labyrinth, zum Teil mit zwei Mordbuben auf den metallenen Fersen. Wann immer Marcus ein Ziel erfaßte, half er mit der höllischen blaustrahlenden Energie seiner Extremreichweiten-PPK aus. Alle paar Sekunden zwang ihn der Wärmestau, auf drei mittelschwere Laser umzuschalten, um nicht in den roten Gefahrenbereich der Wärmeskala zu geraten. Bis jetzt gelang es ihm, die Anzeige am äußeren Rand des gelben Bands tanzen zu lassen. Er schaltete immer knapp vor dem Punkt um, an dem die aufgestaute Abwärme zu einer ernsthaften Behinderung der Zielerfassung wurde.
Der Orion, der ihn verfolgte, litt unter keinen derartigen Problemen. Er neigte sich hinter einer breiten Felssäule hervor und feuerte seine LB-X-Autokanone. Die Granate zerplatzte kurz hinter der Mündung in kleinere Geschosse, die in einem lauten Stakkato in den Erzengel einschlugen und wie eine überdimensionale Schrotladung seine Panzerung wegscheuerten. Ein oder zwei Platten prallten seitlich vom nach vorne ragenden Kopf des Caesar ab und warfen Marcus so heftig in die Gurte, daß er das Feuer nicht erwidern konnte.
Er öffnete die Verbindung zu Ki-Lynn. »Wo, zum Teufel, bleibt die Reserve? Sie hätte vor zehn Minuten hier sein sollen. Dieser Orion nagt mich ganz allmählich zu Tode.«
Was das anging - wo, zur Hölle, blieb Rashier? fragte Marcus sich. Ki versuchte seit einer guten Viertelstunde, Kontakt mit dem Kalifen aufzunehmen. Inzwischen mußte der Mann doch erkannt haben, daß ihre Planung durch das verfrühte Auftauchen der Mordbanden Makulatur geworden war. Oder zumindest Nihail mußte Grips genug haben, das zu sehen.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, beantwortete Ki-Lynn beide Fragen. »Die Mordbanden haben ihre zweite mittelschwere Lanze in unseren Rücken geschoben«, teilte sie ihm wie immer ruhig mit. »Reserve meldet zwei Totschläger, die mit Blitz-Kurzstreckenlafetten Schwierigkeiten machen. Von Rashier noch keine Antwort.«
Marcus sah sich den Alptraum auf seiner Taktikanzeige an. Die Wege waren so schmal, und der Fels dick genug, um die Magnetischen Anomaliedetektoren so abzublocken, daß er nur eine ungenaue Vorstellung davon besaß, wo seine Leute steckten. Die Hälfte war aus dem hinteren nördlichen Bereich des Labyrinths auf eine Hochebene getrieben worden - einen Teil des als Übergang bezeichneten Bereichs. Der Übergang bot den Angeli noch eine gewisse Deckung, aber dahinter lag nur noch das offene Tiefland von Shervanis und einigen seiner beschützten Dörfer. Soweit Marcus es sagen konnte, befanden sich vielleicht nur noch vier der Angeli in diesem klaustrophobisch engen Teil der Wildnis. Um ihn herum tobte die Schlacht, aber im Augenblick hatte er keinerlei Kontrolle mehr über sie.
Dann hol sie zurück unter Kontrolle, befahl er sich. Die Knöchel seiner Hände an den Steuerknüppeln waren fahlweiß.
»Unterstützung mit indirektem Beschuß, Ki. Donnermunition. Charlie soll zurückweichen und als Beobachter fungieren, damit du die Minen außer Sicht der Totschläger und dessen, was sie, zum Teufel, da hinten noch haben, plazieren kannst. Dann kann Tamara sie in das Minenfeld locken. Die Donnergranaten werden den leichteren Mechs die Beine wegreißen.« Als er um die nächste Ecke bog, legte Marcus sich zu weit zur Seite und schlug gegen eine Wand aus rosa und rot gestreiftem Fels. Ein paar Sekunden mußte er gegen den Zug der Schwerkraft ankämpfen. Der über den Neurohelm mit Signalen aus seinem Innenohr gesteuerte Kreiselstabilisator des Caesar hatte Mühe, die Maschine am Umfallen zu hindern. »Ich weiß, dir geht die DonnerMunition allmählich aus. Zwei Salven müssen reichen. Sag Charlie, sie muß sehen, was sie damit ausrichten kann.«
Noch drei Mechs in diesem Irrgarten, die ihn gegen eine ganze Kompanie Mordbanden verteidigten. Vier oder fünf andere Angeli, die auf dem Hochplateau gegen eine weitere Kompanie kämpften. Lange konnte das so nicht weitergehen. Die Verzögerungstaktik seiner Einheit funktionierte bis zu einem gewissen Punkt. Die Schlacht zog sich bereits fast eine Stunde hin, aber während sie einerseits die Angeli funktionstüchtig hielt, verhinderte sie gleichzeitig andererseits, daß sie den Mordbanden genug Schaden zufügten, um sie auszuschalten. Es hatte keine Wiederholung des ersten Feuerwechsels mit den schnellen Abschüssen des Paladin und Ostsol mehr gegeben. Seit der Ankunft ihres Kommandeurs kämpften die Mordbanden sehr viel zurückhaltender und legten es darauf an, die Söldner zu ermüden.
Und mit Erfolg. Diese Gewißheit hing wie ein Fallbeil über Marcus' Kopf. Die Hälfte der Angeli war bereits aus der vorherigen Begegnung angeschlagen in den Kampf gezogen, und die Mordbanden hatten zusätzliche Unterstützung durch mindestens eine Lanze von Shervanis' BattleMechs. Noch eine Garantie Rashiers, die den Atem nicht wert war, den er dabei verbrauchte, dachte Marcus. Shervanis konnte kaum noch Truppen zum Schutz der Stadt behalten haben, und Marcus hoffte, daß die Ablenkungsangriffe der Männer Rashiers sie in Schutt und Asche legten. Marcus hatte den Befehl gegeben, die Mechs des Kalifen bei jeder sich bietenden Gelegenheit durch konzentrierten Beschuß zu vernichten, weil sie weniger gut ausgerüstet und leichter abzuschießen waren als die der Mordbanden. Aber die Zahlen sprachen trotzdem gegen die Söldner. Es war nur noch eine Frage der Zeit.
Wenn wir ihren Kommandeur ausschalten könnten, hätten wir vielleicht eine Chance. Aber in dem Augenblick, in dem der Gedanke aufkam, verwarf Marcus ihn wieder. Nicht um den Preis von Torgenssons Leben! Es hätte die Moral der Angeli zerschlagen, einen der Ihren so kaltblütig opfern zu müssen, eine Tatsache, die der gegnerische Kommandeur ausnutzte. Marcus hatte strikte Order gegeben, nicht auf diese drei Maschinen zu schießen, aber je länger sich die Schlacht hinzog, desto schwieriger würde es werden, diese Entscheidung durchzuhalten.
Der Caesar trat zwischen zwei hohen Felswänden hervor und fand sich in einer flachen Senke am Südrand der Hochebene. Voraus spielte die Hälfte seiner Angeli zwischen Kratern und spärlichen Felsformationen ein tödliches Versteckspiel mit den Mordbanden-Mechs, die es bis hierher geschafft hatten. Und hinter mir kommen noch mehr. Wo, zum Teufel, steckt Rashier? Dann kamen etwas entfernt zwei weitere Metallriesen in die Senke: Jericho in einem völlig zerbeulten und humpelnden Kampftitan, verfolgt von einem Caesar, wie Marcus ihn führte. In zweihundert Metern Entfernung befand sich der Mordbube außerhalb der Optimalreichweite, aber Marcus stand in seinem Rücken, und der Kampftitan hatte die K3-Mastereinheit der Angeli an Bord.
Er klinkte sich in Jerichos Ortungs- und Zielerfassungssysteme ein und konnte den Mordbube anvisieren, als befände er sich hundert Meter näher. Das Gaussgeschütz des Erzengels schleuderte eine silberne Kugel aus Nickel-Eisen-Legierung aus dem Lauf, die mitten im Rücken des Mordbanden-Caesar einschlug. Marcus, der wußte, wie dünn die Panzerung dort war, konnte sich ein mitfühlendes Zucken nicht verkneifen.
Die Gausskugel krachte durch die Rückenpanzerung, als wäre sie gar nicht vorhanden, und zerschmetterte die darunterliegende Interne Struktur mit einer unglaublichen Gewalt. Die Einschußöffnung glühte einen Moment rot auf, fast, als blute der Mech. Dann breitete sich die aus der Gefangenschaft des Reaktors befreite Fusionsreaktion aus und verzehrte alles erreichbare Material. Der feindliche Caesar flog mit einer Wucht auseinander, die ausreichte, Felsen aus den ringsum aufragenden Klippenwänden zu schütteln. Eine Felsnadel brach hinter Marcus zusammen und verschüttete die Passage, durch die er kurz zuvor gekommen war.
Marcus warf den Mech in einen Sprint und hetzte leise fluchend auf einen flachen Krater zu, in dem er wenigstens etwas Deckung zu finden hoffte. Ich stehe völlig frei, genau wie der andere Caesar. Der Gedanke war kaum formuliert, als die Sensoren schon schrillten und der Computer einen Feindmech auf die Sichtprojektion zeichnete. Hinter mir! Marcus riß Erzengel hart nach links, geradewegs in eine steile Felsformation, aber das war die schnellste Möglichkeit, die dünne Rückenpanzerung aus dem Schußfeld des Mordbubens zu bringen. Roter Stein füllte den Sichtschirm, und er fühlte den Drang, nach dem Himmel zu greifen. Warum hast du an Stelle der zusätzlichen M-Laser keine Sprungdüsen eingebaut, machte er sich Vorwürfe, dann riß er die Arme hoch, um den Aufprall abzufangen und sich wieder abzustoßen.
Die Raketen schlugen in den linken Arm und Torso der Maschine ein, als er gerade zurückfederte und sich drehte, um zu verhindern, daß Erzengel an der Felswand zu Schaden kam. Marcus bewegte den Mech sofort rückwärts, denn ihm lag im Augenblick mehr daran, in Bewegung' zu bleiben, als das Feuer zu erwidern. Dann trat der Orion aus einer entfernteren Passage, schoß eine erneute Salve Langstreckenraketen ab und begleitete sie mit einem Feuerstoß der Autokanone. Diesmal schoß Marcus mit der Partikelkanone zurück. Die blaustrahlende Energiepeitsche schnitt eine Brandspur in den Fels unmittelbar rechts neben dem Mordbanden-Mech. Glücklicherweise hatte der OrionPilot auch nicht besser gezielt. Die Granatensalve war zu hoch plaziert, und nur ein Viertel der Raketen traf das rechte Bein des Caesar.
Marcus warf einen Blick auf die Munitionsanzeige des Gaussgeschützes und stellte fest, daß sie auf unter eine Tonne geschrumpft war. Dann müssen wir halt den Wärmestau riskieren, dachte er und feuerte noch einmal mit der PPK. Diesmal traf er den Orion voll in der Torsomitte.
Als er das Antwortfeuer über sich ergehen ließ, schaute er auf die Ortungsanzeige und bemerkte zum erstenmal einen grünen Kreis, der auf das Gefecht zuraste. Ein Fahrzeug? Dann tauchte ein zweites und ein drittes auf. Einen Augenblick lang hoffte Marcus, Rashier sei endlich gekommen, und suchte die Sichtprojektion nach anrückenden BattleMechs ab. Nichts. Dann identifizierte der Bordcomputer die Fahrzeuge als Zivilschweber, und er verstand, was los war. Der >General< und seine Infanteristen hatten sie endlich eingeholt und versuchten, den Orion abzulenken. Marcus bewunderte ihre Tollkühnheit, aber gleichzeitig konnte er nicht fassen, wie dumm sie waren. Die Schweber waren nicht gepanzert und kamen in ihren Leistungsdaten nicht annähernd an Savannah Masters heran. Die sind schon mit MG-Feuer zu zerfetzen.
Aber der Orion-Pilot sah sich bald einem ernsteren Problem gegenüber als der Infanterie in zivilen Sehwebern. Zwei BattleMechs brachen in seinem Rücken plötzlich aus der Wildnis und stürmten auf ihn zu. Wie auf ein Stichwort stiegen beide Maschinen auf Plasmazungen in die Luft und teilten sich, bis sie zusammen mit Marcus eine Dreiecksformation um den Orion bildeten, in der in jedem Fall eine Maschine dessen Rückenpanzerung im Visier hatte. Die Reserve, erkannte Marcus, und keinen Moment zu früh.
Von drei Seiten bedroht wandte der Mordbube seine schwächere Seite dem Feuerfalke zu und konzentrierte sich auf den Caesar. Muß die Bemalung sein, dachte Marcus mit einem grimmigen Lächeln. Das Gaussgeschütz verfehlte sein Ziel und die silbrige Kugel prallte von der in der Ferne aufragenden Klippenwand ab, aber die PPK traf. Charlene und Tamara Cross deckten den Orion mit Laserfeuer ein, auch wenn Tamara mit dem schweren Laser ihres Grashüpfer daneben schoß. Daß der Mordbanden-MechKrieger den leichtesten der drei Angeli-Mechs als die geringste Gefahr eingeschätzt hatte, erwies sich als böser Irrtum.
Charlenes Feuerfalke setzte den schweren und beide mittelschweren Laser ein und bohrte ihre Lanzen aus kohärentem Licht in den Rücken des Orion und das Gehäuse seines Gyroskops. Der schwere Mech brach zusammen wie eine Marionette, deren Fäden jemand durchgeschnitten hatte, Arme und Beine vom Torso abgespreizt. Am Boden, aber noch nicht besiegt.
Doch jetzt traten immer mehr Mordbanden-Mechsaus dem Felslabyrinth, ein Sturm eingeschlossen, derKi-Lynns Schütze vor sich her trieb. Die langsame Gangart und das deutliche Humpeln des Sturm zeugte von einer Begegnung mit Ki-Lynns Donner-Munition, aber er rückte unbeeindruckt weiter vor. Tamara und Charlene sprangen näher an Marcus' Position und gaben Ki-Lyren Deckung so gut sie konnten, während sie aus der Umgebung der gefährlichen MordbandenMechs verschwanden.
Wir haben die Initiative verloren, dachte Marcus. Über den Panikkanal kam nur ab und zu eine Bitte um Unterstützung, aber er fühlte es in seinem Innern. Er zog sich mit Erzengel in Richtung des Kraters zurück, den er sich zuvor als Ziel auserkoren hatte.Verdammt, wir haben ihnen zugesetzt, und nach meiner Zählung können wir bis jetzt nicht mehr als drei Mechs verloren haben. Aber Rashier kommt nicht mehr rechtzeitig, und wir werden müde. Marcus konnte an der Art ihrer Bewegung erkennen, daß mehrere seiner Mechs Gyroskopschaden erlitten hatten, und Maschinen wie Jerichos Kampftitanund jetzt auch Kis Schütze waren praktisch wandelndeSkelette.
376t, 377»Alle Einheiten«, rief er über eine der Allgemeinen Frequenzen, die er für derartige Gelegenheiten reserviert hatte. »Angeli aus der Wildnis zurückfallen. Verteidigungslinie auf dem Plateau etablieren. Reserve und Besucher Eins zu Lyra.« Er sah auf der Sichtprojektion, daß Chris Jenkins die Wildnis nicht mehr verlassen hatte. Jetzt ist Jericho allein, bis auf eine ihrer Kriegerinnen, die auf der Brustpartie eines Mordbanden-Kampfhund angebunden ist. »Haltet euch bereit, umzudrehen und auf die Mordbanden zu feuern, die schon auf der Hochebene stehen. Wenn wir die Chance bekommen, kämpfen wir uns den Weg nach Westen frei.«
Der Todesbote und seine beiden Begleitmaschinen, immer noch beschützt durch ihre menschlichen Schilde, bildeten das Zentrum der Mordbanden-Kampflinie, die sich im Schatten der Wildnisklippen formierte und jetzt mit tödlicher Entschlossenheit anrückte. Die meisten der BattleMechs waren kaum beschädigt, mit Ausnahme von ein oder zwei Maschinen wie dem Orion, der sich langsam und schwerfällig aufrichtete und einen Platz an der linken Flanke der Schlachtreihe fand. Wir können sie nicht besiegen, und wir können sie nicht aufhalten. Der Todesbote war ebenso der Schlüssel, wie die Mordbanden wußten, daß sie die Angeli besiegen konnten, indem sie seinen Caesar vernichteten. Aber nicht auf Kosten von Torgenssons Leben, verdammt. Wütend über die Ungerechtigkeit schlug Marcus mit der Faust auf die Armlehne der Pilotenliege. Aber es ist entweder das, oder die Flucht zurück in die Wüste, und beim nächstenmal werden wir nur halb so viele Mechs aufbieten können.
Das war die Lage. Klar und deutlich. Drei Leben gegen zehn. Nicht nur Torgensson, sondern alle drei gefangenen Krieger. Hier ging es nicht mehr darum, einen Kontrakt zu erfüllen. Von jetzt an wurde es persönlich. Gli Angeli hatten zuviel mitgemacht. Jetzt zu fliehen hätte sie vernichtet. Ja, auf Marantha oder New Home oder wann auch immer zuvor hätten sie die Flucht ergriffen, um ihre Verluste in Grenzen zu halten. Aber Marcus brachte es einfach nicht mehr über sich. Seine Leute litten, weil sie an ihn glaubten. Er schuldete ihnen mehr als ein paar Worte und ein Schulterzucken an einem Grab. Und er konnte nicht weglaufen, wenn das hieß, drei seiner MechKrieger einem Feind zu überlassen, dem ihr Leben so gleichgültig war.
Er schluckte schwer, fühlte, wie seine Kehle sich zuschnürte. Dann öffnete er erneut die Leitung zu allen Maschinen der Einheit. »Angeli, vorbereiten zum Angriff auf die Mordbanden-Linie. Feuer auf die linke Flanke konzentrieren. Reserve, ihr beide greift den Todesbote und seine beiden Partner an. Befreit die Geiseln, wenn möglich. Ihr habt nur einen Versuch, danach werden Besucher Eins und ich den Todesbote mit allem eindecken, was wir noch haben. Auf mein Zeichen.« Die Anspannung ließ jeden Muskel in Marcus' Körper verkrampfen. »Jetzt! Vorwärts, Angeli!«
Falls die Angeli irgendwelche Zweifel hatten, war davon nichts zu bemerken, als sich sämtliche Einheiten von den wenigen Mordbanden-Mechs im Zentrum der Hochebene lösten und plötzlich zur Hauptkampflinie der Angreifer umschwenkten. Die Mordbanden hatten über sechshundert Meter zurückgehangen, während sie sich formierten, aber jetzt zählten sie mehr als eine Kompanie, und die Hälfte der Maschinen zeigte keine Spur des Kampfes. Es kam zu einem gewissen Schußwechsel über größere Distanz, mit einzelnen Glückstreffern beider Seiten. Connor Monroe schleuderte im Marodeur einen PPK-Blitz geradewegs durch den Kopf des angeschlagenen Orion, mit dem Marcus zu tun gehabt hatte, und schoß ihn ab. Aber der Todesbote schlug zurück. Zwei seiner drei bläulich weißen Partikelstrahlen vereinigten sich zu einem enormen Energieblitz, der durch die verbliebene Torsopanzerung an Brandon Corbetts Greif schlug und dessen Gyroskop und Fusionsreaktor zerblies. Der junge MechKrieger wurde von der Rettungsautomatik seiner Maschine hundert Meter hoch und nach hinten geschleudert.
Marcus betrachtete das Geschehen mit kaltem, losgelöstem Blick. Beide Seiten brachen auseinander, auch wenn sie sich dabei weiter annäherten. Sein Caesar wurde von leichtem Autokanonenfeuer erschüttert, blieb aber auf den Füßen. Er beschleunigte den Mech in Vorbereitung des Angriffs auf den Todesbote, bremste aber schnell wieder auf Gehgeschwindigkeit ab, als die Szene auf dem Sichtschirm plötzlich surreale Aspekte entwickelte.
Die Infanterie der Angeli, die vorübergehend in Vergessenheit geraten war, während die Sehweber sich im Innern des flachen Kraters versteckt hatten, schoß auf die Vorauselemente der Mordbanden-Reihe zu. Es war nicht allzu überraschend, daß Hanford Lee sich entschlossen hatte, sich den Angeli bei ihrem verzweifelten Befreiungsschlag anzuschließen. Was Marcus überraschte, war jedoch, daß der >General< Helfer rekrutiert hatte - und was für Helfer!
Aus dem Krater strömten Pferde und ein paar alte Wüstenfahrzeuge und stellten sich zu einer eigenen Schlachtreihe nur fünfzig Meter vor den anrückenden Mordbanden auf. Große, herrliche Tiere mit wilden Mähnen und Schweifen, jedes mit einem kaftanbekleideten Nomadenkrieger auf seinem Rücken. Mindestens dreißig von ihnen. Auch die Geländewagen waren mit Wüstenkriegern bemannt, aber die waren mit Lasergewehren und KSR-Werfern bewaffnet, so wie Lee und seine Leute.
Marcus konnte sich nicht vorstellen, was sie zu erreichen hofften, abgesehen davon, daß sie Geschützfeuer auf sich zogen, das sonst seine Mechs getroffen hätte. »Volle Kraft voraus«, schrie er über die Gefechtsfrequenz. »Jetzt, da wir die Chance haben.« Die eisige Unbeteiligtheit, die ihn einen Moment zuvor noch in den Klauen gehabt hatte, war vergessen, als er dreißig Reiter, ein paar zerbeulte Geländewagen und drei zivile Schweber gegen die BattleMechreihe der Mordbanden prallen sah. Wir haben nur ein paar Sekunden, dachte er. Die Mordbanden werden die Linie durchbrechen, und nur die Schweber haben die geringste Chance, mitzuhalten.
Dann flogen die ersten Seile von den Pferden in die Höhe und die Enterhaken griffen an Schultergelenken und Funkantennen. Wenigstens die Hälfte der schwarzgekleideten Krieger verließen die Sättel und kletterten an der Seite der Mordbanden-Mechs empor, und Marcus erfaßte derselbe Schock, den Charlene bei diesem Anblick gespürt hatte. Ein elektrischer Schlag schien durch seinen Körper zu strömen und ihm plötzlich neue Kraft zu schenken.
Mut und Entschlossenheit gegen tausend Tonnen Technik. Wenn es sonst nichts gab, dessen er sich sicher sein konnte, diesen Augenblick würde Marcus wohl nie wieder erleben.
41Übergang, Shaharazadische Wüste
Astrokazy, Peripherie
11. Juli 3058
Und dann brach die Hölle auf.
Die uralte Zeile aus Miltons Paradise Lost drängte sich Charlene unwiderstehlich auf, als sie die Szenerie vor sich betrachtete. Die Nomadenkrieger schwärmten an der Seite eines halben Dutzends MordbandenMechs empor und brachten Chaos in die gesamte Schlachtreihe der Angreifer. Während die Angeli die linke Flanke der Mordbanden unter schweren Beschuß nahmen, ängstlich darauf bedacht, keinen Mech zu beschießen, auf dem sich Menschen befanden, tauchten hinter der Schlachtreihe plötzlich vier neue Mechs auf, die auf ihrer Sichtprojektion mit goldenen Dreiecken gekennzeichnet waren. Zwei flogen in flachen Sprungbahnen heran, die sie nur knapp über die zerklüfteten Felsformationen am Rand der Wildnis trugen, die beiden anderen stürzten sich aus der Wildnis ins Herz der Mordbanden-Kräfte. Charlene erkannte Aidars Vollstrecker, den Dunkelfalke und den erst kürzlich erbeuteten Großdracon. Der Wüstenwind-Stamm machte einen gewagten Zug, einen Zug, der eine gleich große Chance hatte, den ganzen Stamm zu vernichten, wie ihn zu stärken.
Entlang der gesamten linken Flanke zogen die Angeli neue Kraft aus dem Eingreifen der Wüstenkrieger. Zwei der gegeiselten MechKrieger waren von den Nomaden befreit worden. Kelsey Chase saß bereits auf einem freien Pferd und ritt hinter einem Seil her, das von dem Orion baumelte, an dem sie angebunden gewesen war. Die MSK-MechKriegerin Shannon Christienson war vom >General< in seinem Schweber aufgenommen worden, während er den Gegnern weiter mit seinen Infanteristen zusetzte.
Blieb noch Torgensson.
Charlene im Feuerfalke und Tamara imGrashüpfer hielten
die Mitte des Felds für die Angeli. Sie hatten sich nicht durch die
Reihen der Nomadenreiter drängen wollen, aber es schien, daß ihnen
keine Wahl blieb. Der Todesbote feuerte seine PPKs auf jeden, der
sich ihm näherte, sei es ein Reiter oder ein BattleMech. Der
Mordbanden-Kommandeur hatte in einem konzentrierten Feuerstoß die
Torsomitte des Dunkelfalke ausgebrannt und den Großdracon
zurückgetrieben. Verkohlte Leichen und Asche einiger Pferde und
Reiter bedeckten den Boden rings um die Maschine, ein Beweis der
vernichtenden Feuerkraft des überschweren Mechs gegen ungeschützte
Gegner.
Charlene löste den schweren Laser aus und brannte eine Schmelzspur
über die Schulter eines Mordbanden-Fallbeil an der rechten Flanke. Nur der
Großdracon und der Vollstrecker der
Nomaden hielten diesen Teil des Schlachtfelds, und sie waren kurz
davor, zermalmt zu werden.
Als wäre das noch nicht genug, kam ein weiterer Mech aus der
Wildnis in die Reihen der Mordbanden, die auf ihrer Anzeige durch
rote Quadrate gekennzeichnet waren. Es war ein Clint, der sich
seltsam unbeholfen bewegte, wahrscheinlich auf Grund von Problemen
mit seinem Kreiselstabilisator. Aber trotzdem konnte er die
Angreifer mit einer weiteren AK/5 verstärken.
»Reserve Zwei, Sprung auf mein Zeichen vorbereiten. Spring hinter
den Todesbote. Greif ihn aus dem Rücken an,
vielleicht schaffen wir es, ihn stillzulegen, bevor es Torgensson
erwischt.« Es war nicht der geeignetste Plan, aber der einzige, der
Charlene in den wenigen Sekunden einfiel, bis Marcus den
konzentrierten Beschuß befehlen würde.
Dann kam ihr der Clint zuvor.
Thomas Faber kämpfte gegen das Neuralfeedback an. Er konzentrierte sich ganz darauf, aufrecht zu bleiben, während der 40 Tonnen schwere Clint mit der ganzen Grazie eines einbeinigen Goliath vorwärtsstolperte. Die Umluftventilatoren waren vor einer Stunde ausgefallen, und die Wüstenhitze hatte das Cockpit in einen Backofen verwandelt, in dem er bei mehr als fünfundvierzig Grad langsam gesotten wurde. Nur die Kühlweste hielt ihn noch bei Bewußtsein. Die Kühlweste und das Wissen, daß die Angeli ihn brauchten.
Er hatte es aus der Stadt und den ganzen Weg bis hier heraus geschafft, ohne einem von Shervanis' BattleMechs zu begegnen. Während er hinter den Mordbanden her hinkte, hatte er Funkverkehr über Ablenkungsangriffe gegen die Stadt aufgefangen. Aber er wußte, die Angeli waren da, wo die Mordbanden waren. Er hatte den Feind entlang der halbkreisförmigen Strecke geortet, und während er am Rand des Übergangs wartete, hatte er sehen können, wie sich die Dinge entwickelten und was genau dieser St. Jamais getan hatte. Als er die Mordbanden-Linie im Zentrum zurückweichen sah, während die Mechs versuchten, die hartnäckigen Nomadenkrieger abzuschütteln, hatte er entschieden, daß hier sein einziges Ziel darin bestehen mußte, den Mordbanden den Vorteil zu entreißen, mit dem sie seine Einheit unter Druck setzten. Er mußte Torgensson retten.
Auf dem Weg zu dem Todesbote dachte er nur daran, auf den Beinen zu bleiben und hoffentlich keinen wilden PPK-Blitz seiner eigenen Kameraden abzubekommen.
Eine neue Reitergruppe galoppierte auf den Todesbote zu, um in den toten Winkel seiner PPKs zu gelangen. Thomas trat von rechts hinten an den Mech heran, packte die Arm-PPK der überschweren Kampfmaschine mit der linken Hand des Clint und bog sie nach hinten.
Normalerweise kamen sich zwei Kampfkolosse nicht derart nahe. Aber der Pilot des Todesbote hatte keinen Grund gehabt, Thomas zu mißtrauen, und es war viel zu spät für eine Abwehrreaktion, als Thomas seine Autokanone an die Torso-PPK des Mechs setzte und eine Fünfzig-Millimeter-Granate geradewegs in die Mündung jagte. Der Todesbote hatte die Waffe für den nächsten Schuß vorbereitet, und jetzt entlud sich die aufgestaute Energie durch die Risse im Lauf. Aber sie reichte nicht bis zu Torgensson empor, der immer noch lebte, auch wenn er halbtot aussah. Und es kostete den überschweren Mech ein Drittel seiner Feuerkraft.
Das war die Öffnung, nach der die Nomaden Ausschau gehalten hatten. Drei von ihnen hängten sich an den Todesbote und kletterten über Flanke und Rücken an ihm hoch. Einer schwang sich nach vorne, wo er mit einem gefährlich aussehenden Krummdolch Torgenssons Fesseln durchtrennte. Den nahm er sofort wieder zwischen die Zähne, sobald die Geisel wegsackte. Faber schaffte es, die linke Mechhand unter den halb bewußtlosen MechKrieger zu bringen, der in die offene Handfläche des Clint rutschte.
Das reicht. Faber bewegte den Mech rückwärts und löste sich von dem Todesbote, dessen Pilot plötzlich mehr Interesse an den schwarzgekleideten Nomaden zeigte, die über seinen Rumpf krabbelten. Torgenssons Retter starb auf der Brustpartie des Mechs, als dessen riesige, kastenförmige Linke ihn gegen die Panzerung quetschte.
Aber der Mordbanden-Pilot hatte Faber nicht vergessen. Als er feststellte, daß er einen anderen Krieger nicht erreichen konnte, der an seinem Rücken hochkletterte, drehte er sich statt dessen um und feuerte aus beiden ihm verbliebenen PPKs, Lasern und Kurzstreckenlafetten auf den ohnehin schon angeschlagenen Clint. Ein PPK-Treffer amputierte dessen rechtes Bein am Knie, während die zweite Panzerung am oberen Torso verdampfte und sich tief in die Interne Struktur bohrte. Statt gegen das Unvermeidliche anzukämpfen, lieferte Thomas sich dem Zug der Schwerkraft aus und versuchte vor allem, die empfindliche Fracht in seiner linken Mechhand zu beschützen.
Es war nicht die Unterstützung, die Marcus erwartet hatte, aber er und seine Söldner wußten sie zu nutzen. Die linke Flanke der feindlichen Linie zerbrach unter dem entschlossenen Angriff durch kombinierte Breitseiten aus nächster Nähe, der sich jetzt in individuelle Mechduelle auflöste. Aber dann schob sich die rechte Flanke der Mordbanden heran und drohte, den Angeli mit gleicher Taktik den Garaus zu machen.
Marcus pumpte seine vorletzte Gausskugel in den linken Arm eines Fallbeil. Sie zerschmetterte den letzten Rest von Panzerung, durchschlug Myomerbündel und Titanstahlknochen und kam irgendwo in der Nähe des Schulteraktivators zur Ruhe. Der Arm fiel leblos herab, aber das Fallbeil konnte den Angriff mit dreien seiner vier mittelschweren Laser und einer Salve aus sechs Kurzstreckenraketen erwidern. Die rubinroten Lichtpfeile fraßen sich in das rechte Bein und die Torsomitte des Caesar, wo sie weitere Teile der Panzerung abschälten. Vier der Raketen trafen ins Ziel, schlugen aber verteilt genug ein, um die Panzerung nicht zu durchschlagen.
Viel mehr stehe ich nicht durch, dachte Marcus und kämpfte um die Kontrolle über seinen schwer beschädigten Mech. Das schafft keiner von uns.
Die Temperatur im Innern der Kanzel war auf erträgliche Maße gesunken, seit die Vernichtung der von den Clans erbeuteten Extremreichweiten-PPK des Caesardie Möglichkeiten des Mechs, Abwärme zu erzeugen, drastisch gesenkt hatte. Das Gaussgeschütz hat gleich keine Munition mehr, dann bleiben mir nur noch die mittelschweren Laser.
Auf der taktischen Anzeige der Sichtprojektion noch etwas zu erkennen, war praktisch unmöglich. Zu viele Mechs hieben aus nächster Nähe aufeinander ein. Soweit er es sehen konnte, hatten die Nomaden in der Mitte der Mordbanden-Linien ein Chaos verursacht und zwei ihrer zerbeulten Mechs gegen den Mordbanden-Kampfhund eingetauscht. Die Reiter hatten tatsächlich den ernsteren Schaden angerichtet und schienen drei feindliche Mechs erbeutet zu haben, auch wenn erst einer von ihnen, der zweite Orion, sich bereits wieder in Bewegung gesetzt hatte. Auf dem Sichtschirm
sah Marcus Charlenes Feuerfalke auf der anderen Seitedes Fallbeil zu Boden sinken. Sein rechter Arm war an der Schulter abgeschnitten, das rechte Bein hing nur noch an ein paar Myomerfasern von der Hüfte.
Damit haben wir noch fünf Mechs auf den Beinen. Und zwei der Wüstennomaden. Allerdings ist das Hauptgeschütz des Vollstrecker hin, und er sieht mehr nach einem wandelnden Schrotthaufen aus. Marcus tauschte mittelschwere Laserschüsse mit dem Fallbeil aus, rubinrote und smaragdgrüne Lichtpfeile, die den Raum zwischen den beiden Kampfmaschinen kreuzten und auf beiden Seiten Panzerung in rotglühenden Schmelzströmen zu Boden tropfen ließen. Ein letzter Gauss-Schuß, aber nicht für dich. Marcus drehte sich um, bereit, es dem Todesbotezu zeigen.
Den Mordbanden-Kommandeur ausschalten und zur Kapitulation zwingen. Das ist die einzige Chance, die uns noch bleibt. Das oder die Flucht. Und jetzt den Rückzug anzutreten, nachdem wir so viele Leben und Mechs verloren haben, würde das Ende der Angeli als effektive Kampftruppe be
deuten.»Landungsschiff!« brüllte eine Stimme über den Panikkanal.»Overlord im schnellen Anflug aus Nordnordwest, Entfernung ein halber Kilometer. Hegemo
nie-Insignien.« konnte die AngeliNein, verdammt, nein. Ein Overlordmit seiner gewaltigen Feuerkraft wie ein titanischer Hammer auf dem Amboß der Mordbanden-Mechs zerschmettern. Marcus stieß die Hand auf die Funkkonsole und schaltete auf einen einheitsweiten Kanal. »Verlange Bestätigung«, befahl er.
»Bestätigt, Lyra.« Es war Jerichos Stimme. Resignation drang durch den Äther, als ihr geborgter Kampftitan sich in einen Krater zurückzog, um etwas Schutz gegen die anrückende rechte Flanke der MordbandenLinie zu finden. »Es wird von ein paar Luft/Raumjägern attackiert, ist aber ohne Zweifel ein marianisches Schiff.«
Marcus zog den Caesar nach hinten, während er mit den Steuerknüppeln kämpfte, um den Torso in Richtung des Todesbote zu drehen. Nur ein Schuß ... Er
mußte jetzt fallen, oder die Angeli würden gezwungen sein, in die Wildnis zu fliehen, wenn sie überhaupt noch eine Chance haben wollten, der Vernichtung zu entgehen.
Luft/Raumjäger?Im selben Augenblick, in dem die Frage in Marcus' Gedanken laut wurde, fiel ihm auf, daß er keinen Treffer von den Waffen des Fallbeil mehr hatte einstecken müssen. Die Antwort darauf wurde offensichtlich, als er die Sichtprojektion überprüfte und mit einem ungläubigen Blick aus dem Kanzeldach bestätigte, was er dort sah. Die Mordbanden zogen sich zurück! Ein paar waren noch zurückgeblieben, um die weiterhin aktiven Angeli zu binden, aber das Fallbeil war schon gute hundert Meter weit entfernt und wurde immer schneller. Noch fünfhundert Meter hinter ihm war die fliehende
Silhouette des Todesbote zu erkennen.Jetzt drehte sich auch die Nachhut um und ergriff die Flucht. Die Mördbanden gaben keinen Schuß mehr ab, sondern konzentrierten sich darauf, so schnell wie möglich ihr Landungsschiff zu erreichen. Marcus verstand nicht, was da vorging, aber als das Fallbeil in zweihundert Meter Entfernung am Kampftitan vorbeilief, klinkte er sich in Jerichos Zielerfassung ein und feuerte seine letzte Kugel Gaussmunition ab. Die Silberkugel traf den schweren Mech voll in die rechte Rückenpartie, schmetterte durch die dünnere Panzerung und schleuderte die 70 Tonnen schwere Kampfmaschine herum und zu Boden.
Dann erschienen neue BattleMechs am Rand der Wildnis, preschten auf das Schlachtfeld und stellten sich in einer Kampfreihe zwischen den Angeli und den Mordbanden auf. Zunächst eine Lanze, dann eine ganze Kompanie. Alle Maschinen trugen das Wappen des Magistrats Canopus, drei goldene Sterne auf einem geschlossenen grünen Halbmondfeld. Sie schienen zufrieden, die Mordbanden fliehen zu sehen - und zeigten wenig Verlangen, sich mit einem Overlord anzulegen. Aber zumindest schützten sie die Angeli vor weiterem Schaden.
Marcus sah sich an, was von seiner Einheit noch übrig war. Jericho Ryan im Kampftitan. Tamara Cross imGrashüpfer. Kis Schütze half dem Marodeur Connor Mon
roes auf die Füße. Und er im Erzengel. Fünf Mechs
auf einem Schlachtfeld aus qualmendem Fels und verbogenen
Metalltrümmern.
Immer mehr Mechs strömten aus der Wildnis. Zwei
Kompanien. Ein ganzes Bataillon. Alle trugen die Farben der MSK. Es war nicht Major Woods Einheit, aber Marcus war keineswegs in der Stimmung, kleinlich zu sein. Wir leben noch, und können Gli Angeli wiederaufbauen.
Dann trat die letzte Lanze aus dem Felsenlabyrinth der Wildnis. Vier schwarzlackierte Mechs, drei davon mit einem großen Totenkopfsymbol auf der oberen rechten Brustpartie. Todeskommandos. Marcus lief es eiskalt den Rücken herunter, als er diese berüchtigten Krieger sah. Er konnte sich kein Szenario vorstellen, bei dem sie als Teil canopischer Truppen auftraten.
Der letzte Mech war mehr als beeindruckend, ja, erhaben, als er auf die Hochebene trat, als habe sein Pilot auf diesem Planeten nichts und niemanden zu fürchten. Ein 90 Tonnen schwerer Imperator, mit ausladenden Schultern und gewaltigen LB-X-Läufen als Unterarmen. Der Koloß wirkte gleichzeitig beherrschend und tödlich. Er trug keinen Totenkopf. Statt dessen prangte auf seiner breiten Brustpartie das Katanawappen der Konföderation Capella.
Marcus blieb stehen, wo er war, als der überschwere Mech sich langsam an seinem Caesar vorbeibewegte. Sein Pilot schien das Gefühl zu haben, das Schlachtfeld völlig zu kontrollieren. Arroganter Hurensohn, dachte Marcus. Dann entschloß er sich, ihn zunächst zu ignorieren. Er drehte Erzengel herum und beobachtete, wie das Overlord-Landungsschiff in einer riesigen Staubund Sandwolke abhob.
Es ist noch nicht vorbei, schwor er in Gedanken. Er war sich nicht sicher, wie oder wann - aber die Angeli würden wieder auf diese Mordbanden treffen. Ich werde dich finden, versprach er dem feindlichen Kommandeur. Ich werde dich finden, und dann werde ich dich zerquetschen. Er atmete tief aus, und die gesamte Anspannung der Schlacht verließ mit dem Atem seine Muskeln. Erschöpfung nahm ihren Platz ein. Aber nichtheute.
Erst mußte er nach seinen Kriegern - seinen Freunden - sehen und seine Einheit - seine Heimat - wiederaufbauen.