3. KAPITEL

“Fünfzehn Dollar, drei Schokoladenriegel und einen Geschenkgutschein für den Schnellimbiss für jedes Mädchen. Dazu zwei Taschenbücher. Neue Mäntel für diejenigen, die sie benötigen. Pullover -- und was sonst noch? Jeans für die anderen? Oder was meinst du, Chloe?”

“Auf keinen Fall Jeans!” entfuhr es Chloe. Sie schaute auf und merkte, dass Martha sie verwundert ansah. “Tut mir Leid, ich wollte das nicht so heftig sagen.”

“Was ist an Jeans auszusetzen?”

An Jeans war überhaupt nichts auszusetzen, wohl aber an Chloes Weihnachtserinnerungen. Sie verzog das Gesicht. “Lass uns etwas Schöneres aussuchen.”

Martha beugte sich wieder über ihre Liste. “Was zum Beispiel?”

Die Besprechung dauerte schon den ganzen Vormittag. Chloe stellte sich vor, dass es, hätte sie jemals eigene Kinder, für sie ein Vergnügen wäre, Geschenke auszusuchen. Im Heim wurden nur wenige Beschlüsse ohne die Zustimmung der gesamten Leitung getroffen. Deshalb lief die Arbeit hier auch so gut. Aber manchmal fielen auf diese Weise selbst kleinste Entscheidungen sehr schwer.

“Vielleicht Schmuck?” schlug sie vor. “Armbänder mit Initialen? Ketten oder Anhänger? Einfache Ohrringe für die Mädchen mit Löchern in den Ohrläppchen?”

“Bunny möchte die Ohrläppchen durchstochen haben, und sie wünscht sich Rubinohrringe.”

“Die sind viel zu teuer”, wandte Chloe ein.

“Alles ist viel zu teuer.”

“Bei den Mänteln bekommen wir einen guten Preis. Zwei Geschäfte haben uns einen Preisnachlass versprochen.”

“Das sind wahrscheinlich Mäntel aus der letzten Saison.”

“Im Stil hat sich seit letztem Jahr nicht viel geändert. Den Mädchen wird das gar nicht auffallen.”

“Dass ich nicht lache.”

Jemand klopfte an die Bürotür. Von draußen war ein Kichern zu hören. “Komm herein”, rief Chloe.

Mona öffnete die Tür gerade weit genug, um die Nase ins Zimmer stecken zu können. “Ich bekomme einen Punkt auf meiner Liste. Ich erledige gerade etwas.”

Chloe unterdrückte ein Lächeln. “Erledige das zuerst und bitte dann erst um den Punkt.”

“Da unten ist jemand, der dich sprechen möchte.” Mona sah Chloe an. “Es ist eine Dame. Sie sagt, sie heißt Mrs. O’Brien. Sie sagt, sie sei Egans Mutter. Ist Egan nicht schon zu alt, um eine Mutter zu haben?”

“Ich habe auch eine Mutter”, erklärte Martha.

Monas Augen wurden größer. Doch überraschenderweise hatte sie es irgendwo gelernt, zu Marthas Erklärung keinen Kommentar abzugeben. Chloe nahm sich vor, ihr dafür zwei Punkte zu geben. “Sagst du ihr bitte, dass ich gleich herunterkomme?”

“Klar. Übrigens, sie gibt uns Weihnachtskekse. Ich möchte mir meine nicht entgehen lassen.”

Chloe vermutete, dass Mona ihren Anteil bereits zweifach erhalten hatte. “Sorg dafür, dass Jenny etwas abbekommt.”

Mona verdrehte die Augen. “Aber das habe ich doch schon getan.”

Chloe konnte nicht widerstehen. Sie stand auf und umarmte Mona ganz spontan. “Ich mag dich wirklich, Mona.”

“Das sagst du dauernd.”

“Sie mag dich auch”, sagte Martha zu Chloe, als Mona gegangen war. “Seit du Sonntag mit ihr geredet hast, gibt sie sich sehr viel mehr Mühe.”

“Ich habe ihr gesagt, dass ich sie in das kleinste Zimmer im Haus stecken werde, wenn sie sich nicht zusammennimmt.”

“Oh weh!”

“Ja, das habe ich gesagt.”

“Lass deinen Besuch nicht warten. Ich schließe die Liste ab und werde mal herumtelefonieren, um die Preise zu erfahren.”

Bevor Chloe ins Erdgeschoss kam, wurde sie dreimal aufgehalten. Dottie hatte gerade den letzten Beutel mit Keksen verteilt, als Chloe sie in der Küche fand. Sie begoss eine Pflanze auf der Fensterbank, so als habe sie schon immer in diesem Haus gewohnt.

“Was für eine nette Überraschung”, sagte Chloe, und sie meinte das wirklich.

Dottie begrüßte sie mit einer Umarmung. Chloe erwiderte die Umarmung wie selbstverständlich.

“Ich wollte Sie fragen, ob Sie Zeit haben, mit mir Weihnachtseinkäufe zu machen, Chloe.”

“Gleich jetzt?”

“Ich weiß, dass Sie viel zu tun haben.”

Offiziell hatte Chloe am Mittwochnachmittag frei, aber das nutzte sie nur selten aus. Doch jetzt schien es ihr eine sehr gute Idee, mit Dottie einkaufen zu gehen. “Ich komme sehr gern mit”, sagte sie. “Bisher habe ich noch gar nicht an Einkäufe gedacht.”

“Großartig. Ich bin froh, dass ich zu Ihnen gekommen bin. Dabei hatte ich auch Gelegenheit, das Haus zu sehen. Es ist ganz toll.”

Chloe lächelte stolz. “Kommen Sie, ich führe Sie herum.”

Sie zeigte Dottie jede Ecke und jeden Winkel. Noch vor wenigen Monaten hätte sie sich für eine Menge entschuldigen müssen: für die kaputte Heizung, die Farbe, die von Wänden und Decken abblätterte, die lockeren Fußbodenbretter, die antiquierten Badezimmer. Jetzt konnte sie auf die Reparaturen verweisen, auf die liebevoll erneuerten Wandverkleidungen, die frische Farbe und die Tapeten. Die Zimmer waren auf geschickte Weise geteilt oder vergrößert worden, ohne die architektonische Gestalt des Hauses zu beeinträchtigen. Es war noch längst nicht alles fertig. Aber schon jetzt konnte man auf das Haus stolz sein.

“Die Firma O’Brien hat das alles gemacht”, erläuterte Chloe, während sie mit Dottie zum dritten Stock hinaufging. “Wenn uns Ihre Söhne nicht geholfen hätten, wüsste ich nicht, was wir hätten tun sollen.”

“Ist es Ihnen nicht zu anstrengend, jeden Tag die drei Treppen hinaufzusteigen?” Dottie blieb einen Moment stehen, um sich auszuruhen.

“Überhaupt nicht. Ich werde Ihnen auch den Grund dafür zeigen.” Chloe öffnete die Tür zu ihrer Wohnung und bat Dottie herein.

“Das ist ja wirklich entzückend!” Dottie bewunderte die Räume.

“Alles ist Egans Idee und das Ergebnis seiner harten Arbeit. Der Verwaltungsrat wollte kein Geld für eine Wohnung der Leiterin ausgeben. Sie dachten, es sei billiger, wenn sie mir das Gehalt erhöhten und es mir überließen, eine Wohnung in der Nähe zu finden. Aber als ich das Egan erzählte, rechnete er aus, wie er den Umbau so billig gestalten könnte, dass der Verwaltungsrat nicht Nein sagen würde. Die Mädchen haben mir beim Anstreichen geholfen.”

“Ist es denn so wichtig, dass Sie hier im Haus wohnen? Ich könnte mir vorstellen, dass Sie sich jeden Abend freuen, von hier wegzukommen.”

“Die Mädchen brauchen eine feste Bezugsperson in ihrem Leben, jemand, mit dem sie rechnen können, der nicht von Schicht zu Schicht wechselt.”

“So etwas wie eine Mutter?”

“Ich wollte, ich könnte das für die Mädchen sein.”

Dottie berührte Chloes Arm, als verstehe sie sie. “Lassen Sie uns gehen. Zuerst essen wir etwas. Ich lade Sie ein.”

Beim Essen unterhielten sie sich lebhaft über alle möglichen Dinge, über Kleidung, die ihnen beiden gefiel, über ihren Geschmack, was Musik und Film betraf. Chloe erzählte Dottie lustige Geschichten aus ihrer Collegezeit, und Dottie verriet, was Egan als Kind in Windeln angestellt hatte. Drei Stunden nach dem Mittagessen und voll beladen mit Dotties Weihnachtsgeschenken betraten sie ein anderes Restaurant, wo sie Kaffee und Kuchen bestellten.

“Ich habe noch nie jemanden gesehen, der wie Sie aus vollem Herzen gerne einkauft”, bemerkte Chloe. “Das ist wirklich beeindruckend.”

“Ich fange erst an.” Dottie lehnte sich zurück und zog die Schuhe aus. “Und Sie haben überhaupt noch nicht angefangen.”

Aus den Lautsprechern des Restaurants erklang Adventsmusik, und draußen stand ein magerer, aber fröhlicher Weihnachtsmann, der eine Glocke über einem eisernen Kessel schwang, in dem sich die Spenden nicht schnell genug häuften. “Vermutlich stehe ich unter einem Schock”, sagte Chloe. “Weihnachten wirft mich immer aus der Bahn.”

“Mögen Sie Weihnachten nicht?”

“Ich tat es, als ich noch klein war.”

“Was haben Sie damals am liebsten gemocht?”

Chloe versuchte sich zu erinnern. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte sie nicht mehr daran denken mögen, wie sie mit ihnen die Festtage verbracht hatte. Das wäre zu schmerzlich gewesen. Aber jetzt war sie erwachsen. Zu ihrer Überraschung waren die Erinnerungen noch vorhanden, vielleicht nur schwach, aber sie steckten noch in ihr, und sie taten nicht mehr weh.

Sie lächelte leise. “Ich musste immer den Stern auf der Spitze des Baums befestigen. Mein Vater hob mich hoch über den Kopf, damit ich die Spitze erreichte. Meine Mutter buk Baklava. Natürlich wusste ich damals nicht, was das war. Aber irgendjemand servierte es mir während meiner Collegezeit, und da erinnerte ich mich.”

“Haben Sie es jemals selbst zubereitet?”

Chloe schüttelte den Kopf.

“Ich werde es Ihnen beibringen.”

“Sagen Sie nur nicht, dass es auch in Ihrer Familie zur Weihnachtstradition gehört.”

“Nein. Es schmeckt viel zu gut, um es nur zu Weihnachten zu machen.”

Chloe trank ihren Kaffee. Als Dottie nichts weiter sagte, fuhr Chloe fort: “Wir hatten immer einen echten Baum. Wir gingen in eine Tannenpflanzung und suchten uns den schönsten aus. Wenn der Stern befestigt war, sangen wir Weihnachtslieder. Mein Vater konnte in einer Sprache singen, die ich nicht verstand. Einmal sagte mir meine Mutter, es sei Griechisch und dass er die Lieder von seinem Vater gelernt habe.”

“Ich finde, das sind schöne Erinnerungen.”

“Ja, sehr schöne. Und meine Eltern … nun, sie waren einfach wunderbar.”

“Und Sie vermissen sie immer noch.”

“Ja.” Chloe hatte keine Schwierigkeiten, das Dottie gegenüber zuzugeben. Dottie schien zu erwarten, dass Chloe über ihre Gefühle ganz offen sprach, und sie für wichtig und völlig verständlich zu halten.

Ebenso wie Egan.

“Dottie …” Chloe blickte auf. “Egan hat mir erzählt, dass Sie Puppenhäuser bauen.”

Kaum merkte Dottie, dass ihr gegenüber eine weitere Liebhaberin von Puppenhäusern saß, da drängte sie Chloe, mit ihr zu kommen. Kurz darauf waren sie auf der Straße.

Der Laden, an den Dottie ihre Puppenhäuser verkaufte, war nur sechs Häuserblocks von der Stelle entfernt, an der sie ihren Wagen geparkt hatte. Eine Glocke begrüßte sie fröhlich, als sie die Tür öffneten. Zu beiden Seiten des Eingangs breitete sich ein Dorf aus kleinen Häusern aus. Jedes war mit blinkenden Lichtern und winzigen Weihnachtsbäumen verziert.

Die Besitzerin begrüßte Dottie überschwänglich und wandte sich dann in gleicher Weise Chloe zu, bis sie gerufen wurde, um einer Kundin zu helfen.

“Ich zeige Ihnen erst meine”, sagte Dottie. “Es sind die besten.”

Es waren tatsächlich die besten, die unglaublich schönsten Puppenhäuser, die Chloe jemals gesehen hatte. Als Kind hatte sie sich ein einfaches Haus gewünscht, in dem man das Licht ein- und ausschalten konnte, mit soliden Möbeln, die sie von Zimmer zu Zimmer schieben konnte. Diese Häuser hingegen waren echte Kunstwerke. Sie hatten Dielen aus Hartholz, die sorgfältig Stück für Stück verlegt worden waren, und Treppen mit geschnitzten Geländern. Die Kamine waren aus echten polierten Steinen, die Wannen und Becken aus echtem Porzellan.

Chloe nahm eine Krippe aus einem altmodischen Kinderheim, das komplett eingerichtet war und auch eine Kinderschwester in Uniform enthielt. Die Seiten der Krippe waren mit winzigen Perlen geschmückt, die kaum größer als Mohnsamen waren.

“Ich hätte nie gedacht, dass es etwas so Schönes geben kann”, sagte sie begeistert. “Niemals. Aber kann ein Kind damit spielen?”

„Die Häuser sind für Kinder gebaut. Ich achte immer sehr sorgfältig darauf, auch wenn ich deshalb manches Detail opfern muss. Einige der Möbelstücke sind für kleine Kinder nicht geeignet. Aber wir raten den Eltern immer, zuerst solidere Stücke zu kaufen, die nicht so teuer sind, bis die Kinder alt genug sind, um mit dem Sammeln anzufangen.”

“Mit dem Sammeln?” fragte Chloe verwundert.

“Viele Erwachsene kaufen diese Häuser für sich selbst. Das wussten Sie nicht, wie?”

“Nein. Ich habe jedenfalls nie daran gedacht.”

“Das Sammeln ist oft nur eine Ausrede. In jeder von uns steckt ein kleines Mädchen, das gern spielt.”

Chloe war überrascht. “Glauben Sie das wirklich?”

“Absolut. Warum würde ich sonst meine Zeit mit diesen Puppenhäusern verbringen, während ich mit anderen Dingen doppelt so viel Geld verdienen könnte?”

Später, als Chloe wieder im Heim war und sie über das kleine Mädchen in ihr nachdachte, kam Egan, um fortzusetzen, womit seine Mutter angefangen hatte.

“Keine weiteren Weihnachtseinkäufe!” Chloe schüttelte den Kopf. Aber das kleine Mädchen in ihr, das von dem geschäftigen Hin und Her der Käufer, von den Weihnachtsliedern und dem unwiderstehlichen Zauber der Adventszeit entzückt war, rief ja.

Und das bedeutete zugleich ein Ja dazu, die Zeit mit Egan zu verbringen.

“Chloe.” Egan lächelte verschmitzt. “Meine Mutter hat mir erzählt, dass ihr den ganzen Nachmittag eingekauft habt. Aber mit mir wird das etwas anders sein. Ich brauche nicht mehr viel zu besorgen.” Er ergriff eine Locke von Chloes Haar und sah fasziniert zu, wie sie ihr über die Schulter glitt.

Chloe war seltsam berührt. “Weihnachten ist doch erst in drei Wochen. Da ist noch genug Zeit zum Einkaufen.”

“Bitte, Chloe.” Egan kam näher. “Ich möchte nicht ohne dich gehen.”

Chloe fragte sich, wohin ihre Abwehr entschwunden war. Offensichtlich war der Stein, aus dem sie gemeißelt war, nicht sehr solide gewesen. Sie versuchte, streng zu bleiben. “Gut, aber nur ein Laden.”

Chloe sah es Egan an, dass er sie durchschaute.

Er wählte das größte Kaufhaus in der belebtesten Straße der Stadt aus. Während sie durch die Gänge schlenderten, genoss Chloe es, immer wieder einmal gegen ihn gestoßen zu werden. Wenn sie durch die Menge für einen Moment voneinander getrennt wurden, schaute sie nach seinem goldblonden Haar, nach seinem männlichen Profil aus. Sie sah zu, wie seine kräftigen Hände über den weichen Satin eines ausgestellten Nachthemds glitten, wie sie mit einem Mohairschal spielten.

Sie genoss all dies und zusätzlich das erregende Gefühl, Ziel seines Lächelns zu sein. Aber sie verstand nicht, weshalb er auf ihre Gesellschaft oder moralische Unterstützung Wert legte, nur um für Rick einen törichten Sportfilm zu kaufen. Vier Abteilungen ohne Einkäufe, dann begann sie zu verstehen.

“Schau mal, sind die nicht hübsch?” Er zeigte auf eine Reihe von Ohrringen, die in der Schmuckabteilung in einer Vitrine ausgestellt waren. “Und sie sind gar nicht teuer.”

Chloe sah auf die Preisschilder und stieß einen Pfiff aus. “Fünfundvierzig Dollar, das ist nicht billig, sondern außerordentlich viel Geld.”

“Sie stechen dir hier kostenlos Löcher ins Ohrläppchen. Das kann man nicht irgendwo billig erledigen, sonst muss man Entzündungen befürchten.”

“Ohrringe würden dir bestimmt gut stehen”, scherzte Chloe. “Dein Stein ist der Diamant, nicht wahr?” Sie sah Egan an, der rot wurde. “Aber welches Ohr? Das ist die Frage. Ich vergesse immer, was bei Männern üblich ist. Vielleicht solltest du dir beide Ohrläppchen durchstechen lassen. Wenn du genug von den Diamanten hast, habe ich vielleicht einen Ohrreifen für dich. Ich finde Piraten schrecklich anziehend.”

Egan ergriff Chloe am Ellbogen und zog sie von der Vitrine weg. “Keine Reifen?” fragte sie mit unschuldiger Miene.

“Wir sehen uns jetzt Spielsachen an.”

“Für wen?” fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits ahnte.

Zuerst ging es um kleine Lastwagen, um Fußbälle und tragbare Videospiele. Doch langsam, ganz langsam, zog Egan Chloe mit sich zu den Puppen.

“Puppen und Ohrringe und Angorapullover -- du hast wirklich einen erlesenen Geschmack, Egan.”

“Sieh dir das an. Die Sachen sind so wirklichkeitsgetreu, dass ich schwören könnte, die Puppe dort in der Ecke hat Bauchweh.” Sie blieben vor einem Regal mit modischen Puppen stehen.

Chloe schaute Egan an und verschränkte die Arme vor der Brust. “Weißt du, dass ich dir auf die Schliche gekommen bin?”

“Mir auf die Schliche gekommen?”

Chloe lehnte sich gegen ein Brett voller Puppenkleider. “Ja, dir.”

“Vielleicht werde ich eines Tages Kinder haben. Ich wollte mir die Spielsachen nur vorsorglich einmal ansehen. Du willst doch auch mal Kinder haben, nicht wahr?”

“Du willst für meine Mädchen einkaufen! Du versuchst, mich milde zu stimmen, damit ich das zulasse. Stimmt’s?”

“Und wenn es stimmt?”

“Was soll ich nur mit dir machen?”

Egan gab den Versuch auf, Chloe etwas vorzumachen. “Lass mich den Weihnachtsmann spielen. Bitte.”

Sie schüttelte den Kopf, was ihr allerdings nicht so leicht fiel, wie sie erwartet hatte. “Wir haben dieses Thema schon abgehakt.”

“Aber inzwischen hattest du Zeit, noch einmal darüber nachzudenken.”

“Ich habe meine Meinung nicht geändert.”

Egans Gesichtsausdruck veränderte sich kaum merklich. Chloe spürte, dass Egan sich über ihren Widerspruch nicht länger ärgerte. Stattdessen war er traurig, als seien die Wünsche der Mädchen irgendwie zu seinen eigenen geworden.

“Es ist nicht so, dass …”, begann Chloe.

Er unterbrach sie mit einer Handbewegung. “Du verstehst immer noch nicht, wie? Weihnachten hat nichts mit harter Arbeit und damit zu tun, dass man sich seine Geschenke verdienen muss. Weihnachten -- da geht es um Träume und Wunder, um Dinge, die geschehen können, wenn man sie am wenigsten erwartet.”

Chloe presste die Lippen zusammen und musterte Egan. Er war offensichtlich zutiefst traurig, weil er nicht den Weihnachtsmann spielen durfte. Er war betrübt über den Zustand der Welt und darüber, dass ihm nicht erlaubt wurde, ihn zu verbessern.

Während Chloe ihn ansah, unternahm Egan einen letzten Versuch, sie umzustimmen. Er berührte ihre Wange. “Chloe, bei Weihnachten geht es um Vertrauen, um den Glauben, dass ohne jeden Grund etwas Wunderbares aus dem Nichts erscheinen kann, nur für dich.”

Chloe befürchtete, dass etwas Wunderbares gerade für sie erschienen war, und dass es -- in seiner Gestalt -- ausgerechnet in einem hell erleuchteten Warenhaus vor einem Regal voller Puppenkleider stand. Sie schmolz förmlich dahin. Auf der ganzen Welt gab es keinen Mann wie diesen. Es konnte keinen geben, dessen war sie sich völlig sicher.

Für einen kurzen Augenblick vergaß Chloe ihre Vorsicht. Sie beugte sich vor und gab Egan einen Kuss. Es störte sie nicht, dass andere Kunden auf sie aufmerksam wurden, und es machte ihr auch nichts aus, ob sie Egan aus dem Gleichgewicht brachte. Es war ihr gleichgültig, was dieser Kuss ihm sagen mochte.

Mit einer Ausnahme. “Ich kann das nicht zulassen”, sagte Chloe bedauernd, als ihr schließlich die beiden kleinen Kinder bewusst wurden, die nur wenige Meter entfernt standen und die beiden Erwachsenen anstaunten.

“Du kannst es wirklich nicht?” fragte Egan bedrückt.

“Nein. Alles, was ich dir gesagt habe, gilt immer noch. Ich bin dafür verantwortlich, dass die Mädchen im Heim lernen, auf die Aufmerksamkeiten irgendeines sagenhaften dicken Menschenfreundes verzichten zu können, der Jahr für Jahr durch den Schornstein heruntergerutscht kommt oder auch nicht. Wer bereitet ihnen Weihnachten, wenn du nicht mehr da bist, um es zu tun, Egan? Ich kann nicht zulassen, dass sie sich an etwas gewöhnen, das ihnen beim nächsten oder übernächsten Weihnachtsfest wieder weggenommen wird.”

“Aber wenn das nicht geschieht?”

“Ist dir nicht bewusst, wie sehr das Leben dieser Mädchen auf der Kippe steht? Ich kämpfe um sie. Aber wenn es hart auf hart geht und der Staat sagt, sie müssten anderswo unterkommen, kann ich sie nicht im Heim behalten. Wenn sie dann bei unfähigen Eltern oder in einer Verwahranstalt unterkommen oder in einem Pflegeheim sind, wie ich es kennen gelernt habe, wer wird dann für sie den Weihnachtsmann spielen? Du? Du wirst nicht einmal wissen, wo sie abgeblieben sind.”

“Aber wenigstens haben sie die Erinnerung an ein perfektes Weihnachten, an ein Weihnachtsfest, bei dem alle ihre Träume Wirklichkeit wurden.”

Chloe sah Egan eine ganze Weile an. Es war eine große Versuchung. Bestimmt ahnte Egan nicht, wie groß sie war. Aber dann erinnerte sie sich, wie sie Weihnachten um Weihnachten verbracht hatte, als sie im Alter dieser Kinder war. Sie hatte gewartet und gehofft, bis sie ihre Lektion gelernt hatte.

Bedauernd schüttelte Chloe den Kopf. “Es würde nicht genügen. Sie müssen lernen, dass sie ihre Träume selbst verwirklichen müssen. Das müssen sie jetzt lernen, wenn es noch nicht so wehtut.”

Egan seufzte. Es klang müde, geschlagen. “Nun gut.”

“Nun gut?”

“Ich habe kein Recht, so auf dich einzureden. Ich vertraue dir. Und ich möchte dich nicht unglücklich machen. Dafür bedeutest du mir zu viel.”

“Tatsächlich?”

“Was denkst du?”

Chloe dachte, sie sei wahrscheinlich die glücklichste Frau auf der Welt. Wie seltsam, dass ihr das gerade hier aufging, während Adventsmusik durch den Raum schallte und zwei erstaunte kleine Fremde neben ihnen standen. Noch seltsamer war es, dass dies geschah, nachdem sie Egan gesagt hatte, man könne nicht alles haben, was man sich wünsche.

“Ich denke, du bist … etwas ganz Besonderes”, sagte Chloe mit belegter Stimme.

“Für den Augenblick muss das wohl genügen.” Egan streckte den Arm aus. “Komm, lass uns gehen. Es wird Zeit, dass ich dich nach Hause bringe.”