20
Der
Montagstyp ist arrogant,
Der Dienstagstyp trinkt immer nur Scotch.
Der Mittwochstyp will sich nicht engagieren,
Der Donnerstagstyp niemals telefonieren.
Der Dienstagstyp trinkt immer nur Scotch.
Der Mittwochstyp will sich nicht engagieren,
Der Donnerstagstyp niemals telefonieren.
Heather Wells
Mit vereinten Kräften müssen Tom, Steve, Gavin,
ich selbst und Jamie – »Dressur«, informiert sie mich, als ich ihre
muskulösen Oberarme bewundere – Cooper von Reverend Mark wegzerren.
Das schaffen wir nicht rechtzeitig. Später diagnostizieren die
Sanitäter eine gebrochene Nase und Rippenprellungen – Mark – sowie
einen ausgerenkten Finger und Verdacht auf Gehirnerschütterung –
Cooper. Letztere lässt sich nicht feststellen, weil Cooper sich
weigert, das Krankenhaus aufzusuchen.
»Was würden Sie denn gegen eine
Gehirnerschütterung machen?«, fragt er den Sanitäter, der ihm den
kleinen Finger einrenkt. »Die sagen mir, ich muss Codein schlucken,
und alle zwei Stunden soll mich jemand wecken, damit ich nicht ins
Koma falle. Tut mir leid, darum kann ich mich daheim auch
kümmern.«
Mark nimmt seine gebrochene Nase erstaunlich
gutmütig hin und verkündet, er würde auf eine Anzeige verzichten,
nachdem er erfahren hat, wer sein Angreifer ist, nämlich ein
Cartwright von Cartwright Records. »Vielleicht«, sagt er zu mir,
bevor er in die Ambulanz steigt – im Gegensatz zu Cooper lässt er
sich bereitwillig zur Klinik fahren, wahrscheinlich, um
unangenehmen Fragen seines Vorgesetzten zu entrinnen -, »könnte das
mein Problem lösen, weil ich nicht mehr so anziehend auf die Damen
wirke.«
»Ja, mag sein«, stimme ich zu. »Viel Glück.«
Obwohl er Owen nicht getötet hat, gilt er nach wie
vor als Persona non grata. Jamie wird ihre formelle Beschwerde
einreichen, mitsamt meinen Notizen über Marks Geständnisse und den
Informationen über seine früheren Entlassungen ohne Angabe von
Gründen. Wenn er auch keinen Mord begangen hat – er ist nun mal ein
Lüstling.
Nachdem sich die Aufregung gelegt hat, gehen wir
alle langsam zur Fischer Hall. Langsam, weil wir auf Cooper
Rücksicht nehmen. Anscheinend leidet er an Gleichgewichtsstörungen,
die er den Sanitätern verschwiegen hat.
»Das war – ziemlich schlimm«, bemerkt
Sebastian.
»Allerdings«, fauche ich ihn an, »und Sie hätten
uns das Ganze erspart, wenn Sie nicht aufgetaucht wären.«
Sicherheitshalber bleibe ich an Coopers Seite, um ihn festzuhalten,
falls er umkippt. Das misshagt ihm, er hat mich schon zwei Mal
aufgefordert, ihm nicht auf die Füße zu steigen. Darauf antworte
ich, natürlich würde ich ihm beistehen so wie er mir im Sport
Center. Aber er betont, seines Wissens würde ihm kein
gemeingefährlicher Priester auflauern.
Ein weiterer Beweis für die These, man könnte
keine gute Tat ungestraft begehen.
»Alles meine Schuld!«, jammert Sarah, während wir
im Schneckentempo die Bleecker Street entlangschlendern, vorbei an
Underground Comedy Clubs und oberirdischen Maniküresalons und
Sushi-Lokalen. »Ich hielt es für eine gute Idee, wenn Sebastian zur
Trauerfeier gehen würde, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu
erweisen. Wie sollte ich ahnen, dass Mrs Veatch ein Psycho
ist?«
»Was dachtest du denn, wie sie reagieren würde?«,
will Gavin wissen. »Vorgestern wurde ihr Mann erschossen.«
»Aber sie ist geschieden«, argumentiert sie. »Also
hat sie total überreagiert, offenkundig gab es ungelöste Probleme
zwischen Owen und seiner Ex.«
Sarah und Sebastian halten sich an den Händen, was
mir nicht entgeht. Anscheinend ist das Dinner mit den Blumenthals
erfreulich verlaufen. Übrigens sind Cooper und ich die Einzigen,
die sich nicht an den Händen halten. Ganz eindeutig – Liebe liegt
in der Luft.
Nach der Abfahrt des Krankenwagens habe ich mich
umgesehen und festgestellt, dass Tad und Muffy verschwunden sind.
Was nicht heißt, sie müssten gemeinsam weggegangen sein, aber es
wäre möglich.
Natürlich haben um diese Zeit auch alle anderen
Trauergäste das Weite gesucht. Wenn bei einem Leichenschmaus eine
Ambulanz eintrifft, weist das zweifelsfrei auf das Ende der
Veranstaltung hin. Tom und Steve zogen sich in ihr Apartment hinter
dem Park zurück, was verständlich ist. Und die Allingtons fuhren in
ihrem Auto davon, ebenso wie die beiden Mrs Veatches.
Trotzdem – man sollte meinen, Tad hätte dableiben
und mich nach Hause begleiten müssen. Denn für ihn sah es doch
sicher so aus, als wäre ein Mordanschlag auf mich verübt worden.
Aber sobald man mit einem Kerl Schluss gemacht hat, ist wohl alles
vorbei.
»Wenn Sie sich Owens Exfrau vorstellen wollten«,
sage ich zu Sebastian, »war das Timing denkbar schlecht.«
»Aber das ist es ja.« Inzwischen sind wir in die
Mac-Dougal Street gebogen. Die Fischer Hall liegt nurmehr zwei
Häuserblocks entfernt. Aus der Ferne dringt bereits das Geschrei
der GSC-Demonstranten herüber – der Lärm des Events, bei dem ich
nicht »Sugar Rush« singe. »Ich kannte Pam schon.«
»Eh – netter Versuch«, meine ich. »Leider ist es
unmöglich. Sie kam erst heute in die Stadt. Und Sie wurden erst vor
ein paar Stunden aus dem Knast entlassen, nicht wahr?«
»Ich bin hungrig«, sagt Jamie. Kein Wunder. Wir
überqueren die West Third Street, und die Abendbrise weht köstliche
Düfte von Joe’s Pizza zu uns.
»Wenn wir daheim sind, bestellen wir was«,
verspricht Gavin. »Oder willst du ausgehen?«
»O nein«, erwidert Jamie glücklich. »Ich mag Pizza
mit Wurst und Pilzen. Und du?«
»Unglaublich! Ich bin ganz wild auf Wurst und
Pilze.«
»Gestern Abend haben wir Pam auf dem
Rasenschachplatz getroffen«, erklärt Sarah, während wir zur West
Fourth wandern. »Zumindest glauben wir das. Es war jemand, der so
aussah. Nicht wahr, Sebastian?«
»Genau. Sie erkundigte sich nach der GSC und nahm
was von unserer Literatur mit.«
»Nein, unmöglich«, wende ich ein. »Gestern Morgen
war sie noch gar nicht in New York. So schnell könnte sie nicht
hier gewesen sein, weil sie in Iowa lebt.«
»Illinois«, verbessert mich Cooper.
»Wo auch immer... Heute Morgen tauchte sie mit
ihrem Koffer in der Fischer Hall auf.«
Verwirrt runzelt Sarah die Stirn. »Wer war dann
diese Lady gestern, Sebastian?«
»Keine Ahnung.« Sebastian schüttelt den Kopf. »Oh,
ich bin so müde, ich kann nicht mehr klar denken.«
»Armes Baby«, murmelt sie und streichelt seine
Bartstoppeln. Offenbar bekommen die Häftlinge im Rikers keinen
Rasierapparat. »Ich bringe dich sofort ins Bett. Morgen wirst du
dich besser fühlen.«
»Das geht nicht«, protestiert er mit schwacher
Stimme, »weil wir zur Demo müssen.«
»Diesen einen Abend wird die GSC auch ohne dich
auskommen«, erwidert sie zu meiner Verblüffung.
»Nein«, seufzt er total erschöpft. »Für diese
Aktion bin ich verantwortlich, also muss ich hin...«
»Okay«, stimmt sie resignierend zu. »Zuerst müssen
wir uns umziehen. In diesen Outfits dürfen wir uns da nicht
zeigen.«
Nun erreichen wir den Park. Immer lauter dringt
das Protestgeschrei zu uns. Wir sehen das Getümmel drüben beim
Washington Square Arch. Dort ist eine Bühne errichtet worden, auf
der jemand steht und die Leute anfeuert, ein Megafon in der Hand.
»Was wollen wir?«
»Gleiche Rechte!«
»Wann wollen wir sie?«
»Jetzt!«
Die Dämmerung bricht herein. An diesem milden
Abend ist das übliche gemischte Volk unterwegs – Skateboarder,
Bongospieler, Vagabunden mit ihren Hunden – warum haben die immer
Hunde? -, junge Liebespaare, Drogenhändler, zänkische alte Männer,
die den Rasenschachplatz ansteuern.
Und natürlich die Cops. Der ganze Park wimmelt
davon wegen der Gewerkschaftsdemo.
Vor Owens Apartmentgebäude, an derselben Stelle
wie heute Nachmittag, parkt der Ryder-Lieferwagen. Diesmal ist die
Heckklappe geschlossen. Wer immer ihn gemietet hat, muss alles drin
verstaut haben und bald wegfahren. Sehr gut. Weil man nachts an
dieser Stelle nicht parken darf.
»Wenn ich ein Gästeformular für Sebastian
ausfülle, würden Sie es dann unterschreiben, Heather?«, fragt
Sarah.
»O Sarah!«, stöhne ich ärgerlich. Ich will Cooper
nach Hause und ins Bett bringen. Alle zwei Stunden muss ich ihn
wecken. Also werden wir beide heute Nacht nicht viel schlafen. Bei
dem Gedanken, dass ich ihn beinahe verloren hätte, erschauere ich.
Auf dieser Treppe hätte er sich das Rückgrat brechen können. Oder
noch schlimmer …
»Ja, ich weiß«, sagt Sarah, »so was muss man
vierundzwanzig Stunden vorher einreichen. Aber wie sollte ich denn
wissen, dass man ihn entlassen würde?« Flehend schaut sie mich im
schwindenden Tageslicht an. »Bitte!«
»Also gut«, seufze ich. »Coop, macht es dir was
aus, wenn du in der Fischer Hall ein bisschen auf mich
wartest?«
»Alles klar, ich geh schon mal nach Hause.«
»Hör mal, Coop!« Anscheinend hat die
Gehirnerschütterung
seine Persönlichkeit nicht verändert. »Es dauert nur eine
Minute.«
»Ich bin ein erwachsener Mann«, betont er, »und
ich kann allein zu meinem Haus gehen, das gleich um die Ecke
liegt.« Als er meine kummervolle Miene sieht, zerzaust er mein
Haar. »Keine Bange, Heather, ich bin okay. Wir sehen uns
daheim.«
Dann wankt er davon.
Sarah schaut ihm nach und kaut nervös an ihrer
Unterlippe. »Tut mir ehrlich leid«, beteuert sie, als sie meinen
Dolchblick sieht. »Wirklich, das ist so nett von Ihnen. Nach allem,
was ich getan habe. Das verdiene ich gar nicht, ich weiß
das...«
»Gehen Sie rein«, unterbreche ich sie und folge
ihr ins Gebäude.
Während der Nacht herrscht ein anderer Rhythmus in
der Fischer Hall als tagsüber. Glücklicherweise arbeite ich nur am
Tag. Wenn ich um neun Uhr morgens zu arbeiten beginne, schlafen die
meisten Bewohner und Bewohnerinnen noch. Und die Mehrheit kommt
erst herein – oder steht auf -, wenn ich um fünf verschwinde. Wenn
sie daheim sind, so wie jetzt, wimmelt es in der Halle von
Aktivitäten – Teenager sausen auf Rollerblades umher, tragen
Gästenamen in die Formulare ein, hämmern auf die Lifttasten,
beklagen sich über den Fernsehempfang, telefonieren mit ihren
Freunden in den oberen Stockwerken, verfluchen ihre Post, rufen
einander »Hallo« zu … Mit anderen Worten, die Eingangshalle ist ein
Zoo. Keine Ahnung, wie die einzelnen Leiter der anderen Halls, die
darin wohnen, das aushalten. Einige kompensieren den
nervenaufreibenden Job, indem sie sich wie Simon Hague in
salbungsvolle Ekelpakete verwandeln.
Andere bewahren ihre Gelassenheit, indem sie – wie
Tom – alles einfach nur an sich abprallen lassen. Schon immer hatte
ich gehofft, ich würde mich zu einer solchen Leiterin entwickeln,
wenn ich wie durch ein Wunder mein Bakkalaureat und dann meinen
Magister mache und schließlich eine so erlauchte Position erringe –
obwohl mir der Himmel helfen möge, wenn es jemals dazu kommt.
Andere verwandeln sich in Bürokraten wie
Owen.
Irgendwie habe ich das Gefühl, das wird auch mit
mir passieren. Allein schon der Anblick dieser schmutzigen
Radspuren von den Rollerblades auf dem Marmorboden erhöht meinen
Blutdruck. Wenn Julio morgen früh von seinem Urlaub zurückkommt und
das sieht, wird er einen Schlaganfall erleiden.
Dann erinnere ich mich, dass er gar nicht
erscheinen wird. Wegen des Streiks.
»So, Sebastian«, sage ich, als ich ihm das
unterschriebene Gästeformular gebe. »Schlafen Sie sich aus.«
»Wow«, murmelt er und inspiziert das Papier. In
diesem Moment sieht er nicht wie ein Mordverdächtiger und der
Anführer einer Studentenrevolution aus, sondern wie ein
verängstigter Junge in einer Situation, die ihm über den Kopf
wächst. »Vielen Dank, Heather. Sie ahnen gar nicht, wie viel mir
das bedeutet. Klar, Sarah hat Ihnen erzählt, dass ich im Augenblick
kein Quartier habe. Meine Eltern haben ein Hotelzimmer für mich
gebucht. Aber ich wohne lieber bei Sarah. Wie wichtig sie für mich
ist, das habe ich erst neulich gemerkt.«
Verlegen starrt Sarah die Spitzen ihrer High Heels
an, errötet hinreißend und scheint Sebastians bewundernden Blick
nicht zu bemerken. Ich fühle mich hin und
her gerissen zwischen dem Bedürfnis, gequält zu stöhnen, und dem
Impuls, die beiden zu umarmen. Wie süß sie sind …
Dann steigt noch eine dritte Emotion in mir auf –
Neid. Das will ich auch, was die haben.
Eine Zeit lang dachte ich, ich hätte es –
gewissermaßen. Glücklicherweise erkannte ich meinen Irrtum. Gerade
noch rechtzeitig. Nicht, dass ich ernsthaft in die Gefahr geraten
wäre, eine Dummheit zu machen, zum Beispiel zu heiraten oder im
Sommer dem Appalachian Trail zu folgen.
Trotzdem, was die beiden haben, möchte ich auch
genießen. Eines Tages.
Vorerst begnüge ich mich mit dem Rat, den ich
ihnen missgelaunt gebe. »Denkt daran – Safer Sex. Und Sarah, Sie
sind immer noch im Dienst. Wenn die Beratungsstelle für die
Studentenheimbewohner anruft, müssen Sie sich melden. Ganz egal,
was Sie gerade tun.«
In Sarahs Wangen vertieft sich die Röte.
»Selbstverständlich, Heather«, verspricht sie dem
Marmorboden.
Als eine Studentin meinen Namen hört, holt sie
tief Luft und läuft zu mir. »Sind Sie Heather Wells?«
Mit einem leidvollen Blick nach oben bitte ich um
göttlichen Beistand. »Ja. Warum?«
»O mein Gott, ich weiß, das Büro für die Leitung
der Fischer Hall ist schon geschlossen. Aber mein Vetter ist ganz
plötzlich aufgetaucht, das schwöre ich, und ich brauche ein
Gästeformular. Wenn Sie eine Ausnahme machen könnten, nur dieses
eine Mal? Dafür wäre ich Ihnen ewig dankbar...«
Entschlossen zeige ich auf Sarah. »Wenden Sie sich
an dieses Mädchen, ich bin nicht mehr da.«
Dann flüchte ich aus dem Haus in die frische
Abendluft. Im bläulichen Licht, das die Sicherheitslampe verströmt,
schaue ich zum Park hinüber und suche die kleine Schar der
Drogenqualmer zu ignorieren, die bei meinem Anblick ihre Stimmen
senken. Zweifellos halten sie mich für einen Polizeispitzel.
Inzwischen schreien die studentischen Demonstranten: »Jetzt gründen
wir eine Gewerkschaft! Nehmt euch in Acht vor uns!« Ziemlich
vollmundig. Sie scheinen sich zu amüsieren.
Welch ein schöner Abend – zu früh, um schon
heimzugehen. Andererseits, nachdem mein Dad ausgezogen ist, muss
ich den Hund ausführen, ganz zu schweigen von einem halb
bewusstlosen Privatdetektiv, für den ich verantwortlich bin.
Was macht ein normales Single-Mädchen in New York
City – jemand wie Muffy? Zweifellos geht sie mit Freundinnen
Cocktails trinken. Natürlich habe ich keine Freundinnen. Nun, das
stimmt nicht ganz. Aber meine Single-Freundin hat alle Hände voll
zu tun, weil sie einem unserer Mitarbeiter und seinen Kids
nachstellt. Und meine verheiratete Freundin wird dermaßen von
Hormonen gesteuert, dass sie mir keinen Spaß mehr macht.
Unwillkürlich schaue ich zum Ryder-Lieferwagen
hinüber, der immer noch unten an der Straße steht.
Was wird mit Muffy passieren, wenn der Streik
vorbei ist? Irgendwann muss er ein Ende nehmen. Der Präsident wird
sich nicht allzu lange mit einer aufgeblasenen Riesenratte vor
seinem Büro abfinden. Natürlich wird sie ihren Job nicht verlieren,
das sollte sie beruhigen. Aber sie muss ihr Apartment aufgeben, für
das sie Hochzeitsporzellan verkauft hat. Und was wird sie den
ganzen Tag treiben?
Nun ja, sie könnte für den Trip mit Tad
trainieren. Was für ein süßes Paar die beiden wären... Gewiss haben
sie noch weniger gemeinsam als er und ich. Ich kann mir Muffy nun
wirklich nicht auf dem Appalachian Trail vorstellen. Wie soll sie
denn ihr Haar ohne Föhn aufplustern? Und wird Tad jemals Interesse
an exquisit gemustertem Porzellan aufbringen?
Aber die Menschen können sich ändern.
Irgendwer profitiert immer von einem Mord. Das hat
Cooper gesagt, in der Nähe der Stelle, wo ich jetzt stehe.
Immer.
Da trifft es mich wie ein Schlag in die
Magengrube. Schon die ganze Zeit hat es mich irritiert, am Rand
meines Bewusstseins, so wie meine wahren Gefühle für Tad. Aber ich
habe es verdrängt – aus irgendwelchen Gründen – wahrscheinlich,
weil es so unangenehm ist.
Aber diesmal schiebe ich den Gedanken nicht
beiseite, er haftet in meinem Gehirn. Und ich weiß, ich muss mich
damit befassen. Sofort.
Statt mich nach links zu wenden, zum
Sandsteinhaus, gehe ich nach rechts, zu Owens Apartmentgebäude und
dem Ryder-Lieferwagen. Ich betrete das Haus, in dem Pam jetzt
wohnt, und bitte den Pförtner, in Dr. Veatchs Apartment
anzurufen.
»Wen soll ich melden?«, fragt er. Auch das ist
einer von Rosettis Jungs, der sich bemüht, einen guten Eindruck zu
machen – gar nicht so einfach mit einem Zahnstocher im Mund.
»Sagen Sie Mrs Veatch, es ist Heather«, antworte
ich.
»Klar.« Ein paar Sekunden später dringt Pams
Stimme aus der Sprechanlage. Merklich erstaunt, fordert sie den
Mann auf, mich nach oben zu schicken.
Was ich als Nächstes tun werde, weiß ich nicht.
Nur eins weiß ich – ich beginne zu zittern. Nicht vor Angst.
Vor Zorn.
Unentwegt denke ich an das alberne
Fetzenpuppen-Sweatshirt, das sie getragen hat – mit der schwarzen
und der weißen Puppe, die einander an den Händen halten. Geradezu
unheimlich, diese Erinnerung – wenn man sich das zu kurze Leben
seines ermordeten Bosses vorstellt.
Mit langen Schritten eile ich zum Lift. In diesem
Gebäude, das Owen mit Präsident Allington und seiner Frau geteilt
hat, sieht es ganz anders aus als in der Fischer Hall. Elegant,
Marmor und Messing, und am Abend absolute Stille.
Niemand fährt im Lift mit mir nach oben. Sogar in
der Kabine höre ich die GSC schreien. Lautlos verläuft meine Fahrt
zum fünften Stockwerk, wo Owen gewohnt hat, bis ein Glöckchen
bimmelt – ding! -, und die Türen gleiten auseinander.
Dann gehe ich den Flur bis zum Apartment 6-J.
entlang. Noch bevor ich anklopfe, öffnet Pam die Tür. »Hi,
Heather!«, begrüßt sie mich lächelnd. Statt des schwarzen Kostüms,
in dem sie zur Gedenkfeier erschienen ist, trägt sie wieder das
Fetzenpuppen-Sweatshirt. Als könnte ein Sweatshirt, das Händchen
haltende Puppen verschiedener Rassen zeigt, harmonischen Frieden
ins Universum bringen. »Welch eine Überraschung! Ich habe Sie nicht
erwartet! Wollen Sie nach mir sehen? Wegen des Ärgers beim
Leichenschmaus? War das nicht grauenhaft? Was da passiert ist, kann
ich kaum glauben. Bitte, kommen Sie doch herein.«
Ich folge ihr ins Apartment. So wie ich vermutet
habe, ist es verschwunden. Das Porzellan, meine ich. Das
ganze blauweiß gemusterte Geschirr, das in dem kleinen Schrank des
Speisezimmers stand, ist weg. Ebenso wie der Schrank.
»Ist es nicht rührend, wie Sie sich um mich
kümmern?«, fährt Pam fort. »Schon immer sagte Owen, wie nett Sie
sind – und wie freundlich Sie die Studenten behandeln. Offenbar
geht Ihr Engagement weit über die beruflichen Pflichten hinaus,
Heather. Aber um mich machen Sie sich bitte keine Sorgen. Es geht
mir gut. Wirklich. Möchten Sie eine Tasse Kaffee? Oder Kräutertee?
Das macht gar keine Umstände, ich wollte ohnehin Tee
aufbrühen.«
Langsam drehe ich mich zu ihr um. Garfield schläft
zusammengerollt auf der Couch. Offenbar hat Pam an seiner Seite
gesessen. Der Fernseher läuft, die Fernbedienung liegt neben dem
Kater. Sie hat »Entertainment Tonight« gesehen.
»Wo ist es?«, frage ich. Meine Stimme klingt
heiser. Keine Ahnung, warum.
Verständnislos schaute sie mich an. »Wo ist – was,
Liebes?«
»Das wissen Sie. Haben Sie es unten in den
Lieferwagen geladen?«
Obwohl sie mich immer noch verständnislos
anstarrt, röten sich ihre Wangen ein wenig. »Leider weiß ich nicht,
was Sie meinen, Heather.«
»Das Porzellan. Das Hochzeitsporzellan, das Ihrem
Ex bei der Scheidung zugesprochen wurde. Deshalb haben Sie ihn
ermordet. Wo ist es?«