Jahr Zwei, 10. Oktober, Morgen
»Wir brauchen einen Plan. Und zwar einen guten.«
Eckhardts Stimmung befand sich irgendwo weit unter dem Nullpunkt. Seit nun fast vierundzwanzig Stunden saß das Besorgungsteam, das er anführte, in der Kaserne an der Route d’Uzès fest. Die Männer hatten sich in einem Nebengebäude verschanzt, in dem Wochen zuvor einige von ihnen bei der Panzerklau-Aktion übernachtet hatten.
Im Gegensatz zum letzten Trip hierher war das Gelände mittlerweile von einigen Hundert Zeds aus Nîmes überrannt worden und an Flucht war derzeit nicht zu denken. Zudem hing das Überleben ihres Dorfes Rennes-le-Château unter anderem erheblich davon ab, dass sie hier ausreichend Munition für ihre Waffen würden requirieren können.
Nun klebten die Zeds draußen an den Scheiben, und es würde wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis die ersten Hunter hier auftauchen und die Scheiben zertrümmern würden.
Sepp hatte eine Idee.
»Vielleicht können wir die Hackfressen weglocken. Wenn wir sie etwas weiter nördlich zum Übungsgelände locken könnten, hätten wir hier Gelegenheit, die Trucks zu beladen.«
»Okay«, antwortete Eckhardt, »wir müssen aber ordentlich Lärm veranstalten und auch schnell genug sein, um nicht erwischt zu werden. Vielleicht könnte ich mit dem Eisenschwein …«
Sepp unterbrach ihn.
»Das ist vielleicht gar nicht nötig. Ich hab eine andere Idee. Lass mich mal machen. Zunächst ist es aber wichtig, die Zeds hier an der Vorderseite des Gebäudes zu halten, damit ich mich mit zwei, drei Leuten hinten rausschleichen kann.«
»Lässt sich machen. Ich nehme ein paar Leute mit aufs Dach, und wir scheppern mit den Kochtöpfen und Deckeln aus der Küche. Dann gehen wir zur südwestlichen Gebäudeecke und schießen mit aufgesetzten Schalldämpfern auf die Eisentüren und Fenster des Nachbargebäudes.
Wenn das funktioniert, hast du ein Zeitfenster, um dich zum Nordeingang rauszuschleichen. Aber was hast du vor?«
Sepp grinste.
»Genug Lärm machen, damit die Rasselbande mir folgt.«
»Also gut. Gib mir ein paar Minuten, um unser Blechkonzert vorzubereiten.«
Eckhardt ging hinüber zu Benny und Gerárd, denen er den Plan kurz erläuterte. Sepp verabredete sich mit zwei Franzosen, die im Heer gedient hatten.
Als Eckhardt sich mit den beiden jungen Leuten auf das Dach begab, entriegelte Sepp eine der Türen an der nördlich gelegenen Rückseite des Gebäudes. Seine beiden Begleiter und er hatten ebenfalls ihre Schalldämpfer aufgeschraubt, um – im Fall der Fälle – möglichst geräuscharm ihren Weg zu den Fahrzeugremisen gehen zu können.
Wenige Minuten später erreichten Eckhardt und seine Mitstreiter das Dach. Da es sich jedoch als zu steil erwies, öffneten sie eine Treppe tiefer im Obergeschoss die Fenster und begannen, mit Töpfen, Pfannen und großen Suppenkellen, die sie aneinander gebunden hatten, gegen die Hauswand zu scheppern. Der Lärm wirkte infernalisch in der sie umgebenden Stille, die nur vom Grunzen und Röcheln der Zeds durchbrochen wurde. Über einhundert Zeds versammelten sich an der Front des Gebäudes, und Eckhardt stellte mit Genugtuung fest, dass aus der Richtung, in die Sepp zu gehen beabsichtige, ebenfalls Untote herbeiströmten.
Ihre schlurfende und hinkende Gangart ließ die Bewegung der Menge skurril aussehen, wie ein einziger, zuckender Leib drängten sich die Walker um die Lärmquelle. Verfaulte, zum Teil fleischlose Arme reckten sich dem Geschepper entgegen, doch die Zeds erkannten nicht die Sinnlosigkeit ihrer Bemühungen. Benny und Gerárd saßen an benachbarten Fenstern und schossen auf vereinzelte Hunter, die sich flink durch die Menge der lahmen Walker bewegten. Die Jäger-Zeds mussten unbedingt ausgeschaltet werden, denn bei ihnen bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie die Finte durchschauten.
Derweil hatten Sepp und seine beiden Begleiter das Gebäude verlassen und arbeiteten sich mit schussbereiten Waffen in Richtung Norden zu den Maschinenhallen vor. Nachdem sie den Schutz einer Baumgruppe verlassen hatten, überquerten sie einen Parkplatz.
Hier und da hielten sie inne, suchten Deckung hinter einem PKW oder Geländewagen, oder schossen lautlos auf Zeds, die ihren Weg versperrten. Kurz darauf erreichten sie eine der Remisen, die mit großen Stahlblechtoren verschlossen waren. Die beiden Franzosen, die bereits bei der letzten Tour dabei gewesen waren, erzählten Sepp, was sie hinter den Toren erwartete, und er grinste.
Durch einen Seiteneingang verschafften sie sich Zutritt zu der Halle und Sepps Grinsen wurde breiter. Vor ihnen stand ein auf Basis des Leclerc fabrizierter Büffel-Bergepanzer in fahrbereitem Zustand.
Schnell überprüften die Männer das Fahrzeug und befanden es für gut. Sepp besetzte den Platz des Kommandanten und seine Begleiter verriegelten das Fahrzeug von innen. Sepp brauchte einige Minuten, um sich mit der Optik des Binokulars vertraut zu machen, dann jedoch startete er die Maschine und drückte die Steuerungshebel nach vorn und nach hinten, um sich mit dem Spiel des Überlagerungslenkgetriebes vertraut zu machen. Dann gab er die Hydraulikkreisläufe für die Vorwärtsfahrt frei und verließ mitsamt der Tore die Halle.
Eckhardt verstand jetzt Sepps Idee, als er weiter hinten in einer Halle die eintausendfünfhundert PS eines Panzermotors aufbrüllen hörte. Das Geklingel seines eigenartigen Kochtopfwindspiels war mit einem Mal völliger Nutzlosigkeit anheimgefallen, denn der Lärm des Panzers, der mit Vollgas durch eine Stahlblechtür brach, war hier vor Ort nicht zu toppen. Das fanden auch die Zeds, denn sie wandten sich ab, um in Richtung der Geräuschquelle nach Beute zu schauen. Genau das war ihr letzter Fehler.
Sepp steuerte den Panzer um das Gebäude herum und fuhr mitten in die Zombieherde, die das Gebäude ebenfalls gerade umrunden wollte. Unter den Ketten des schweren Bergepanzers wurden die Leiber von fast einhundert Zeds zermahlen und zu matschigen Bestandteilen des Sandbodens verarbeitet.
Mitten im größten Pulk aus Zeds drückte Sepp die Steuerhebel vollständig in entgegengesetzte Richtungen und wendete auf der Kette. Sämtliche Zeds, die sich in Reichweite der Ketten oder unter dem Panzer befanden, wurden im wahrsten Sinne aufgerieben. Zurück blieb eine bräunlich-matschige Sandfläche, die der Panzer zu einer ekligen Mischung aus Fleisch und Erde verarbeitete. Myriaden von Fliegen würden hier in den nächsten Tagen Nahrung und Brutstätten finden, soviel stand fest.
Sepp umrundete das Gebäude einmal und beendete die bejammernswerte Existenz von weiteren über einhundert Zeds abrupt. Doch der gewaltige Lärm des Fahrzeugs lockte natürlich noch weitere Gruppen Untoter an. Deshalb verließ Sepp den Vorplatz des Gebäudes und steuerte Richtung Norden, wo sich an das Kasernengelände angrenzend diverse Schießbahnen und Fahrübungsgelände befanden.
Zügig, aber nicht zu schnell steuerte Sepp also die von zahlreichen Panzerspuren zerfurchten Sandebenen an, während die Zeds ihm hinterherwankten. Einige flinke Hunter hatten sich bereits auf dem fahrenden Panzer festgekrallt, doch das scherte den Fahrer wenig. Eine spontane Fahrt durch einen Eichenhain entfernte lästige Parasiten nachhaltig von dem Gefährt.
Eckhardt und seine Männer nutzten die Gunst der Stunde, um die LKW zu den südlich gelegenen Munitionsbunkern zu fahren. Sofort begannen sie, die Container mit Gabelstaplern zu beladen, während vier Mann am Eingang des Bunkers Wache standen, in dem die Beladungsaktion durchgeführt wurde. Zur gleichen Zeit drehte Sepp gute sechshundert Meter weiter nördlich mit der geifernden Zombieherde im Schlepptau seine Runden.
Ein Bild für die Götter, wie die staksigen und zum Teil sehr unbeholfen wirkenden Kreaturen über den Sand stolperten, um einen schweren Panzer zu verfolgen, in dem es nach Dosenfutter roch.
Ab und an hielt Sepp an und ließ die Zeds aufschließen, nur um im nächsten Moment mit voller Kraft rückwärts über sie zu brettern und dann wieder davonzufahren. So ging es ein ums andere Mal, denn die stupiden Walker lernten nicht dazu. Wieder und wieder dasselbe Spiel. Anhalten, warten, rückwärtsfahren, stoppen, vorwärtsfahren. Und wieder und wieder wurde die Zahl der Untoten dezimiert.
Sepp hatte errechnet, dass der Sprit im Tank für ungefähr fünf Stunden reichen sollte. Fünf Stunden, in denen er nichts weiter zu tun hatte, als wie in einem Videospiel Zombies plattzufahren. Er fand das irgendwie unterhaltsam.
Nachdem gute drei Stunden ins Land gezogen waren, hatten die Besatzungen der Trucks sämtliche Container bis zum letzten Winkel vollgestopft mit Munition aller Kaliber, die im Dorf genutzt wurden. Darunter sogar zwei Paletten voll mit Panzergranaten für den Leclerc-Kampfpanzer, den Eckhardt zu einem Artilleriegeschütz umfunktioniert hatte. Die Einundertzwanzig-Millimeter-Glattrohrkanone war Eckhardt Zinners liebstes Spielzeug; das mächtige Geschütz erinnerte ihn stets an seine Zeit als Artillerist in der Nationalen Volksarmee der DDR.
Dieses seltsame Faible gründete wohl auf einer Art von Romantik, die sicherlich nicht jeder im Dorf nachzuvollziehen in der Lage war. Aber, und da hatte er durchaus Recht, wenn es zu Übergriffen räuberischer Banden kommen sollte, dann konnte dieses Kaliber auf Distanz durchaus klarstellen, dass Rennes-le-Château keine leichte Beute bedeutete. Hauptsächlich bestand die Ladung jedoch aus Munition für die Zwanzig-Millimeter-Maschinenkanonen und die automatischen Waffen wie Sturmgewehre und MG.
Insgesamt hatten die Männer fast 91 Tonnen Material verladen, und Eckhardt hoffte inständig, dass diese Munition nicht zum Einsatz kommen musste. Obwohl, ein paar Probeschüsse mit der Artilleriekanone würde er sicherlich abgeben müssen, um die Technik korrekt zu justieren, dachte er sich und grinste innerlich.
Er zündete eine rote Leuchtkugel in Richtung Truppenübungsplatz, das Signal für Sepp, mit der Herumgurkerei aufzuhören. Dann setzte Eckhardt sich hinter das Lenkrad des Eisenschweins, während die Männer vorsichtshalber alle Trucks besetzt hielten und die Motoren laufen ließen, falls sie in Eile aufbrechen müssten. Eckhardt trat das Gaspedal durch, kuppelte ein, gab Zwischengas, schaltete und kuppelte aus.
Der Bronjetransporter machte einen gehörigen Satz nach vorn und stob davon in Richtung Fahrübungsstrecke. Der lockere Sand machte dem schweren und gepanzerten Geländewagen nicht im Mindesten zu schaffe. Binnen weniger Minuten hatte Eckhardt den langsam vorwärtsfahrenden Panzer erreicht und steuerte sein Gefährt parallel dazu.
Im Turmluk erschienen nacheinander die beiden Franzosen, um während der Fahrt auf die Ladefläche des Eisenschweins umzusteigen. Als der eine der beiden es geschafft hatte, sprang der zweite Mann, doch er rutschte ab und fiel in den Sand. Die Zeds, die dem Panzer folgten, hatten das bemerkt und näherten sich gierig sabbernd und abscheuliche Grunzlaute ausstoßend.
»Hilfe! Helft mir!«, rief der Franzose in seiner Muttersprache. Eckhardt stoppte den Transporter sofort und setzte zurück. Die Zombies kamen dem Mann, der sich gerade aufrappelte, bedrohlich nahe. Näher als das Eisenschwein. Es sah nicht so aus, als würde er es schaffen.
»Runter!«
Mit einem Mal hämmerte ein hartes metallisches Tackern durch die Luft. Der erste der beiden Männer hatte geistesgegenwärtig die Tarasque-Maschinenkanone auf der Ladefläche entsichert und schickte den Zombies eine Ladung Zwanzig-Millimeter-Geschosse entgegen, die das Kontingent der Untoten förmlich zerfetzten.
»Los! Los!«, schrie der Schütze, und sein Freund sprang auf, rannte, was das Zeug hielt und hechtete über die Bordwand des Eisenschweins auf die Ladefläche. Der Schütze schlug mit der flachen Hand auf das Dach der Fahrerkabine und Eckhardt gab Gas. Die Räder des Transporters wühlten im losen Sand, eine Staubwolke wurde aufgewirbelt und deckte die nachfolgenden Zombies ein.
Sepp, der die Fahrhebel des Panzers arretiert hatte, stand oben auf der Turmluke und surfte quasi auf dem Panzer, der mit etwa dreißig Stundenkilometern geradeaus fuhr. Das würde er wohl auch solange weiter tun, bis ihn entweder ein entsprechend massives Hindernis aufhielt oder der Tank leer war. Eckhardt fuhr so dicht es ging an den Panzer heran, und Sepp sprang ebenfalls auf die Ladefläche des Transporters.
Eckhardt drehte sofort nach Süden ab und das Eisenschwein verschwand hinter einer Düne. Die Zeds folgten weiterhin dem lärmenden Panzer und würden mit ihm nach Nirgendwo laufen, bis die Reise zu Ende ging und der Motor erstarb. Knappe zehn Minuten später erreichte das Eisenschwein den Munitionsbunker, in dem die voll beladenen Trucks mit laufenden Maschinen standen. Sofort besetzten die Männer ihre Fahrzeuge. Sepp sprach sich noch mit Eckhardt wegen der Route ab. Zum Schluss äußerte er seine unbändige Freude, seinen geliebten Hulk-Truck unversehrt wiederzusehen.
»Weißt du, Eckhardt, Panzer fahren ist ja gut und schön. Aber es geht nichts über mein Baby. Ähm, ihr habt doch nichts kaputtgemacht, oder?«
Eckhardt lachte.
»Also, als wir den Truck rückwärts eingeparkt haben, knirschte es hinten ein wenig. Vielleicht ein Blinker eingedrückt oder so …«
Sepps Augen weiteten sich. Aber Eckhardt lachte noch lauter.
»Nein, nicht wirklich. Alles gut.«
»Das hätte ich euch auch wirklich übel genommen, mein Lieber.«
»Sepp. Deine Rücklichter sind vergittert.«
»Eben, eben drum!«
Nun lachte auch Sepp. Er klopfte nochmal auf die Fahrertür des Eisenschweins und ging dann hinüber zum Hulk-Truck. Er umschritt das Fahrzeug noch einmal, kontrollierte die Arretierungen der Container auf der Ladefläche und schaute sicherheitshalber trotzdem noch einmal nach den Rückleuchten und Blinkern. Dann enterte er die Fahrerkabine und die Luftdruckbremsen zischten laut.
Der Truck setzte sich in Bewegung und rollte auf den Ausgang zu, während die anderen Fahrzeuge sich hinter ihm einreihten, der Bronjetransporter fuhr zum Schluss.
Draußen auf dem Vorplatz hatten sich inzwischen wieder einige Dutzend Zombies versammelt. Ihre Köpfe ruckten synchron in Richtung Bunker herum, als sie das Aufbrüllen der Motoren vernahmen. Langsam schlurfend und bisweilen grotesk zappelnd bewegten sich die Untoten auf die große Halle zu, aus der ihnen die Geräusche entgegendröhnten.
Mit einem Mal flutete ihnen gleißendes Licht aus der dunklen Öffnung entgegen, denn Sepp hatte sämtliche Xenon-Scheinwerfer des Trucks gezündet, als er das Gaspedal voll durchtrat.
Eine Sekunde lang war die Zombieherde wegen des hellen Lichtes irritiert, eine Sekunde zu lange. Wie ein Raubtier aus einem dieser Transformers-Filme sprang ihnen der mächtige Truck entgegen und begrub mindestens zwanzig Zeds unter seinen mächtigen Rädern, die einen braunen, matschigen Brei auf dem gepflasterten Vorplatz hinterließen.
Die am Truck angebrachte umlaufende Sägekette zerfetzte augenblicklich die Kreaturen, die sich auf das Fahrzeug stürzen wollten, und als Sepp den schweren Räumschild mit der Fronthydraulik absenkte, flogen die lebenden Leichen nach rechts und links davon wie leere Pappkartons.
Als der Konvoi das Kasernengelände verlassen hatte, befanden sich die LKW äußerlich in einem eher unvorteilhaften Zustand, sie waren über und über mit Fleischfetzen, Knochensplittern und einer braunen, glitschigen Masse überzogen, dass man meinen konnte, sie wären von einem Offroad-Einsatz in einem Schweinestall zurück.
Glücklicherweise kam die Kolonne südlich von Nîmes in eine schwere Regenfront, die das meiste von dieser ausgesprochen ekligen Patina wieder abwusch.
Zufrieden meldete Eckhardt über Funk verschlüsselt, dass er vom »Brötchenholen« nun erfolgreich zum Dorf zurückkehren würde.