Greyville House, August 1899
Comtesse Louise de Rouven traf wie erwartet zwei Tage später gegen Abend in Greyville House ein. Alle Angestellten hatten sich vor dem Hauseingang aufgestellt, um den hohen Besuch aus Frankreich zu begrüßen. Georgina versuchte krampfhaft, nicht die ganze Zeit in Jamies Richtung zu starren, aber er machte es ihr nicht gerade leicht, da seine Blicke ebenfalls die ganze Zeit auf ihr ruhten.
Als die Kutsche vor dem Hauseingang hielt, öffnete Richard persönlich dir Tür, um der Comtesse beim Aussteigen behilflich zu sein. Neugierig hielt Georgina den Atem an: Wie würde die französische Aristokratin wohl aussehen?
Das Erste, was Georgina auffiel, war die Tatsache, dass Louise de Rouven sehr klein und zierlich war. In ihrem für ihren Stand unangemessen schlichten Reisegewand wirkte sie wie eine zerbrechliche Puppe. Ihr Gesicht war blass und Georgina meinte, darin Tränenspuren zu entdecken. Kaum ausgestiegen wurde die Comtesse von einem schweren Hustenanfall ergriffen, der sie zwang, sich an die Kutsche anzulehnen.
Besorgt trat Georgina auf sie zu.
„Willkommen, liebe Comtesse. Fühlen Sie sich nicht wohl? Sie müssen von der langen Reise ja völlig erschöpft sein. Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“
Entschlossen reichte Georgina der jungen Frau ihren Arm und geleitete sie ins Haus. Die Bediensteten knicksten oder verbeugten sich artig, als die beiden Frauen sie passierten. Louise hatte bis zu diesem Zeitpunkt kein Wort herausgebracht. Nur ein gehauchtes „Merci“ war über ihre Lippen gekommen, als Georgina ihre Hilfe angeboten hatte.
Richard konnte offensichtlich wenig mit dem neuen Gast anfangen. Nachdem er die Comtesse knapp, aber höflich begrüßt und sich nach ihrem Befinden erkundigt hatte, entschuldigte er sich unter einem Vorwand und verließ den Salon, wo sich Georgina mit ihr nun niederließ.
„Warten Sie kurz, Comtesse. Ich lasse uns eine Erfrischung bringen. Für englische Verhältnisse ist es sehr warm heute.“
Georgina lächelte ihr zu und tatsächlich schien sich Louise de Rouven ein wenig zu entspannen, denn sie antwortete ebenfalls lächelnd:
„Ich danke Ihnen, Lady Grey. Sie sind sehr freundlich und ich freue mich, bei Ihnen zu Gast sein zu dürfen.“
Ihr Englisch war tadellos, lediglich ein charmanter Akzent verriet, dass es sich dabei nicht um ihre Muttersprache handelte. Sofort, nachdem sie ihren artigen Satz beendet hatte, schlug die junge Comtesse die Augen nieder und schien nur noch körperlich anwesend zu sein.
Ich habe selten einen Menschen gesehen, der eine solche Traurigkeit ausstrahlt, dachte Georgina. Sie muss sehr unglücklich sein. Ob sie wirklich lieber in ein Kloster gehen wollte, als einen englischen Lord zu ehelichen? Nun, wenn ich Lord Andrews hätte heiraten müssen, hätte ich wohl auch das Leben in einem katholischen Kloster vorgezogen.
Als Georgina an den eiskalten und rücksichtslosen Lord Andrews dachte, überkam sie eine Woge des Mitleids. Claire hatte ihr erzählt, dass dieser sich vor kurzem fast an deren Schwester Megan vergangen hatte. Wäre Jamie nicht dazwischen gegangen, hätte er das Mädchen wohl völlig ungeniert vor allen Leuten mitten auf dem Hof vergewaltigt. Nein, es war in der Tat kein leichtes Los, welches dieses zarte, verschüchterte und tieftraurige Mädchen fern der Heimat erwartete.
In diesem Moment beschloss sie, sich um die Freundschaft der Comtesse zu bemühen. Sie brauchte jemanden, der sich um sie kümmerte und sie behutsam auf das vorbereitete, was auf sie zu kam. Alleine würde die Comtesse die kommende Zeit kaum durchstehen- zumal sie auch gesundheitlich angeschlagen zu sein schien.
Es klopfte an der Tür. Megan erschien und servierte Ihnen eine erfrischende Limonade. Georgina lächelte Ihren Gast aufmunternd an.
„Bitte bedienen Sie sich, Comtesse. Ich hoffe, Sie mögen Limonade.“
Schüchtern blickte die Angesprochene auf.
„Danke, Lady Grey. Aber bitte, sagen Sie doch Louise zu mir.“
Sie errötete und schlug sofort die Augen nieder. Georgina erwiderte mit warmer Stimme:
„Gerne, Louise. Mein Name ist Georgina. Ich hoffe sehr, dass wir Freundinnen werden.“
Louise nickte eifrig und nippte an ihrer Limonade.
„Das wäre schön, Lady Grey... ich meine ... Georgina.“
Die nächsten Tage verbrachte Georgina damit, Louise einiges über englische Sitten und Gebräuche zu erklären und ihr die Ländereien zu zeigen, die sich rund um Greyville House erstreckten. Da sie nach eigener Aussage nicht gut reiten konnte, mussten sie entweder zu Fuß gehen oder sich den kleinen, offenen Einspanner ausleihen. Georgina sorgte dafür, dass Jamie diesen lenkte – so konnte sie unauffällig ein wenig Zeit mit ihm verbringen.
Obwohl das Wetter angenehm warm war und sich der englische Sommer von seiner schönsten Seite präsentierte, besserte sich Louises Stimmung kaum. Teilnahmslos lauschte sie Georginas Worten und in ihren Augen war immer ein Hauch von Melancholie zu sehen.
Irgendwann hielt Georgina diese anhaltende Traurigkeit nicht mehr aus. Sie waren gerade zu Fuß aufgebrochen, um den höher gestellten Personen im Dorf, darunter dem Bürgermeister und dem Pfarrer, einen Pflichtbesuch abzustatten, als Georgina plötzlich Louises Hand ergriff.
„Louise, so kann das doch nicht weiter gehen. Ich verstehe, dass du Heimweh hast und dich nach Frankreich sehnst, aber du kannst doch nicht dein ganzes Leben damit verbringen wie ein Häuflein Elend herumzusitzen und in die Ferne zu starren!“
Wenn Sie die junge Comtesse betrachtete, so schämte sie sich für ihr eigenes Selbstmitleid. Ihre Situation schien bei Weitem nicht so traurig und aussichtslos zu sein wie das Leben, welches Louise vor sich hatte. Zudem erkannte Georgina, dass sie selbst stärker und optimistischer war, als sie sich immer eingeredet hatte.
Louises Augen füllten sich jetzt mit Tränen. Georginas energische Ansprache hatte sie wohl völlig die Fassung verlieren lassen. Die bekam ein schlechtes Gewissen und reichte Louise eines ihrer bestickten Taschentücher.
„Aber Louise, bitte weine doch nicht. Ich wollte dich nicht kränken. Erzähle mir, was dich so sehr ängstigt und bedrückt. Vielleicht kann ich dir helfen.“
Louise schüttelte verzweifelt den Kopf.
„Niemand kann mir helfen.“
Sie schluchzte leise und versuchte krampfhaft, ihren Tränenstrom zu stoppen.
„Ich … ich wollte nicht hierher kommen. Ich ...“
Sie drehte sich um und überzeugte sich, dass Jamie, der die beiden Damen begleitete, außer Hörweite war.
„Ich wollte immer schon mein Leben Gott weihen und in ein Kloster eintreten. Das ist der Weg, der eigentlich für mich vorgesehen war. Doch als meine ältere Schwester im Winter überraschend starb, teilte mein Vater mir mit, dass ich an ihrer Stelle Lord Andrews heiraten müsse.“
Louise versuchte, wieder Kontrolle über ihre zitternde Stimme zu erlangen, bevor sie weiter sprach.
„Bestimmt ist Lord Andrews ein guter Mensch, aber ich kann mich einfach nicht an den Gedanken gewöhnen einen fremden Menschen zu heiraten, wenn ich doch eigentlich Gott versprochen bin.“
Georgina zuckte zusammen und auch Jamie, der etwas näher gekommen war und die letzten Worte der Comtesse gehört hatte, schaute betreten in die entgegengesetzte Richtung.
Georgina kannte sich mit dem katholischen Glauben nicht besonders gut aus. Sie selbst war anglikanisch erzogen worden und bisher auch nie einem Katholiken begegnet, meinte jedoch gelesen zu haben, dass es einige Briten gab, die dem katholischen Glauben angehörten und sogar zum Priester geweiht worden waren. Zudem hatten sich in London in den letzten Jahren immer mehr Iren niedergelassen, die vor dem Hunger in ihrer Heimat geflohen waren. Viele von ihnen träumten davon, nach Amerika auszuwandern.
Georgina war sich jedoch ziemlich sicher, dass in dem Dorf, welches zu Richards Ländereien gehörte, keine Anhänger des katholischen Glaubens lebten. Lord Grey hätte das niemals geduldet. Auch wenn Katholiken heute deutlich mehr Rechte besaßen als noch vor 50 Jahren, so waren sie für ihn doch nach wie vor Menschen zweiter Klasse.
Georgina beschloss jedoch, Louise nichts von Richards Abneigung zu erzählen. Der Lord wusste sicherlich über die Konfession der Comtesse Bescheid, hielt sich wahrscheinlich jedoch mit Kritik zurück, weil diese seinen besten Freund heiraten sollte.
Louise hatte sich inzwischen ein wenig beruhigt und lief mit blassem Gesicht neben Georgina her. Diese war froh, dass Louise ihr keine Fragen über ihren zukünftigen Ehemann stellte: Sie hätte nicht gewusst, was sie antworten sollte. Es würde jedoch sicher nicht mehr lange dauern, bis Lord Andrews Greyville House einen Besuch abstattete, um seine Braut kennenzulernen. Bei diesem Gedanken lief ein Schauer über Georginas Rücken. Sie konnte nur hoffen und beten, dass Andrews die Vermählung gut tun und seinen Charakter positiv beeinflussen würde. Wenn sie an ihre eigene Ehe dachte, hielt sie eine solche Entwicklung jedoch für eher unrealistisch.
Im Dorf angekommen, spürte Georgina die neugierigen Blicke auf sich und ihrer Begleiterin. Jeder wollte die französische Comtesse sehen, die den unbeliebten Lord Andrews heiraten sollte. Dessen zweifelhafter Ruf eilte ihm voraus, wo immer er auch auftauchte. Georgina hatte bereits mehrfach beobachtet, dass besorgte Eltern ihren Töchtern verboten das Haus zu verlassen, wenn Lord Andrews in der Nähe war.
Und nun sollte ausgerechnet dieses schüchterne junge Mädchen die Frau dieses Despoten werden? Georgina registrierte sofort, dass Louise eine Welle des Mitleids entgegenschlug. Die meisten Engländer waren nicht besonders gut auf ihre französischen Nachbarn zu sprechen, doch die schüchterne, blasse Comtesse schlossen sie sofort in ihr Herz.
Der Bürgermeister, Mr. Stevens, empfing die beiden Besucherinnen in seinem Wohnhaus in der River Street. Jamie wollte in der Zeit einige alte Freunde treffen. Nachdem sich beide Damen gemeinsam mit dem Bürgermeister niedergelassen hatten, erkundigte sich dieser nach Richards Befinden. Georgina spürte es jedoch sofort: Niemand war wirklich traurig darüber, dass der Lord seine Frau und die Comtesse nicht begleitet hatte.
Nachdem die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht waren, setzte Mr. Stevens eine ernste Mine auf.
„Lady Grey, ich möchte Sie in einer wichtigen Angelegenheit um Rat bitten. Unsere Lehrerin, Miss Heavenrich, ist ernstlich erkrankt. Der Arzt befürchtet, dass sie an einer schweren Kreislaufschwäche leidet, von der sie sich vielleicht nicht mehr erholen wird. Bereits seit drei Wochen fällt deshalb der Unterricht für die knapp 100 schulpflichtigen Kinder des Dorfes aus. Ich weiß nicht, wo wir so schnell eine neue Lehrerin herholen sollen.“
Er zuckte mit den Achseln und sah dabei ziemlich ratlos aus.
„Ich hatte gehofft, Sie könnten vielleicht ein gutes Wort bei Lord Grey einlegen, damit wir möglichst schnell den Unterricht wieder aufnehmen können.“
Georgina dachte angestrengt nach. Wie könnte sie Richard klar machen, dass er sich für die Schulbildung der Dorfbewohner einsetzen sollte? Bisher waren ihm die meisten Belange der Dörfler ziemlich gleichgültig gewesen. Zu ihrer Überraschung kam plötzlich Leben in Louises Blick. Schüchtern schaute diese erst Georgina und dann Mr. Stevens an. Mit leiser, aber fester Stimme begann sie zu sprechen.
„Monsieur, verzeihen Sie, ich möchte mich nicht aufdrängen, aber ich habe in Frankreich zwei Jahre lang als Lehrerin für meine Cousine gearbeitet. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich die Kinder hier unterrichten dürfte.“
Georgina war erstaunt. Das hätte sie der zurückhaltenden Louise gar nicht zugetraut. Doch Mr. Stevens strahlte jetzt über das ganze Gesicht.
„Liebe Comtesse, das ist ja ganz entzückend! Aber wollen Sie wirklich eine so anstrengende Aufgabe übernehmen?“
Bevor Louise antworten konnte, fühlte sich Georgina genötigt die Euphorie ein wenig zu dämpfen.
„Ich finde die Idee auch großartig, Mr. Stevens. Wir werden jedoch erst Lord Andrews um Erlaubnis bitten müssen.“
Mr. Stevens blickte enttäuscht drein. Daran hatte er nicht gedacht. Georgina ergriff erneut das Wort.
„Mr. Stevens, ich habe einen Vorschlag. Lord Andrews wird in den nächsten Tagen bei uns zu Gast sein. Ich werde Ihnen Jamie schicken, wenn der Lord eingetroffen ist. Dann sollten Sie persönlich kommen und den Lords Ihr Problem schildern. Ich werde derweil schon einmal ein gutes Wort für unsere Sache einlegen.“
Georgina war sich keinesfalls sicher, wie Lord Andrews ihre Einmischung auffassen würde, aber sie musste wenigstens versuchen zu vermitteln. Eine solche Aufgabe würde Louise von ihrem Kummer ablenken.
Auch Mr. Stevens schien die Vorstellung, bei Lord Andrews vorsprechen zu müssen, nicht besonders angenehm zu finden, doch er nickte tapfer.
„Vielen Dank, Lady Grey. Die Angelegenheit ist mir sehr wichtig. Wir haben hier einige sehr fleißige und clevere Jungen und auch Mädchen, die vielleicht später einmal eine höhere Schule besuchen könnten. Doch dazu brauchen sie eine gute Schulbildung.“
Auf dem Rückweg wirkte Louise fröhlicher als sonst. Sie berichtete Georgina von den Unterrichtsstunden für ihre jüngere Cousine und bekam dabei ganz glänzende Augen. Georgina versuchte wirklich, sich zu konzentrieren, doch ihre Augen ruhten auf Jamie, der ein Stück vorausgegangen war. Sie vermisste die Treffen mit ihm und Georgina musste zugeben, dass sie mehr für Jamie empfand, als sie sich zunächst hatte eingestehen wollen. Ihre Gefühle für ihn waren noch stärker geworden, seit sie sich völlig aufgelöst in seine Arme geflüchtet hatte, nachdem sie von Richard gedemütigt und beschimpft worden war.
Der Gedanke an Richard machte sie wütend, aber auch traurig. Im Grunde ihres Herzens war sie ebenso verzweifelt wie Louise. Das durfte sie ihr jedoch auf keinen Fall zeigen. Die junge Französin brauchte sie. Sie hatte keinen Jamie, der ihr tröstende Worte ins Ohr flüstern konnte. In den nächsten Tagen würde Louise ihren Ehemann kennenlernen- und dann würde sie Georginas Freundschaft und Stärke nötiger brauchen denn je. Nein, sie durfte sich nicht unterkriegen lassen. Sie musste sich so gut es ging zusammenreißen und ihren eigenen Kummer zumindest vorerst vergessen.
Zurück in Greyville House suchte Georgina das Gespräch mir Richard. Sie musste wissen, wann mit Lord Andrews Besuch zu rechnen war.
Richard sah sie erst irritiert und gleich darauf mit offenem Misstrauen an.
„Seit wann bist du erpicht darauf, dass Andrews sich hier blicken lässt? Ich liege doch richtig in der Annahme, dass du ihn nicht unbedingt zu deinen besten Freunden zählen würdest?“
„Da liegst du richtig. Aber ich habe mich mit Louise angefreundet und sicherlich kannst du verstehen, dass sie ihren Ehemann so schnell wie möglich kennenlernen möchte. Schließlich dauert es nur noch wenige Wochen bis zur Hochzeit.“
Georgina gratulierte sich in Gedanken zu dieser überzeugenden Rede.
„Nun, meine Liebe, in diesem Punkt magst du Recht haben. Ich kann ebenfalls nicht nachvollziehen, weshalb sich Andrews so lange von seiner zukünftigen Braut fern hält. Allerdings finde ich seine Wahl nicht sehr glücklich, Mitgift hin oder her. Die kleine Comtesse ist blass, kränklich und fade.“
„Richard!“ Georgina war empört. Hastig sah sie sich um und stellte erleichtert fest, dass Louise nicht in der Nähe war.
„Wie kannst du nur so etwas sagen? Louise hat niemand gefragt, ob sie in einem fremden Land einen ihr völlig unbekannten Menschen heiraten möchte. Zeige doch einmal, dass du ein wenig Mitleid und Feingefühl besitzt.“
Richard schnaubte verächtlich.
„Mitleid? Feingefühl? Wach auf Georgina. Die Welt ist ungerecht. Wenn es dir dreckig geht, so interessiert das niemanden. Im Gegenteil, du erntest noch Spott und Häme.“
Nicht zum ersten Mal fragte Georgina sich, warum Richard so zynisch und unzufrieden war. Sein Landbesitz war riesig und neben Greyville House besaß er eine moderne Stadtvilla mitten in London. Sicher, das Verhalten seiner Frau entsprach nicht seinen Vorstellungen, aber es gab doch nun wirklich Menschen, die das Schicksal deutlich härter getroffen hatte.
Anscheinend betrachtete Richard ihre Unterhaltung als beendet, denn er entschuldigte sich und steuerte auf den Salon zu. Seufzend wandte sich Georgina ab. Irgendetwas war mit Richard nicht in Ordnung. Sie fragte sich, welche Angelegenheit ihm so zusetzte, dass er diese seit Monaten verschwieg.
Nun, Richard würde sein Schweigen wohl nicht so schnell brechen. Georgina beschloss, sich ihr Lieblingspferd satteln zu lassen. Sie brauchte frische Luft.
Auf dem Weg zu den Ställen lief Georgina Jamie über den Weg. Als er sie anlächelte, hatte sie kurz das Gefühl, sich nicht mehr auf den Beinen halten zu können.
„Geht es Ihnen gut, Mylady? Sie scheinen ein wenig wacklig auf den Beinen zu sein.“
„Danke James, es geht schon. Könntest du bitte Daphne für mich satteln? Ich möchte ein wenig ausreiten.“ Jamie nickte und machte sich auf den Weg zu den Pferdeboxen.
Zehn Minuten später galoppierte Georgina bereits am Fluss entlang. Sie war nicht besonders aufmerksam, weil sie in Gedanken bei Jamie war. Warum hatte dieser Mann eine solche Anziehungskraft auf sie?
Gedankenverloren lenkte sie Daphne in das kleine Wäldchen, in dem sich auch die alte Hütte befand, in der sie Jamie vor einigen Wochen erwartet hatte. Die Erinnerung an dieses Treffen ließ sie erröten.
Georgina sah den Ast vor ihr viel zu spät. Ihr verzweifelter Versuch, noch rechtzeitig auszuweichen, führte dazu, dass sie ihr Gleichgewicht verlor und stürzte. Als Sie auf dem Boden aufschlug, spürte sie einen dumpfen Schmerz in ihrem Knöchel. Einige Zeit lag sie wie benommen auf dem Waldboden und sie befürchtete fast, das Bewusstsein zu verlieren. Daphne stand schnaubend neben ihr und wirkte verwirrt.
„Daphne, du bist wirklich ein treues Pferd.“
Georgina versuchte, sich aufzurichten, aber sofort sackte sie wieder zusammen. Anscheinend hatte sie sich den rechten Knöchel verstaucht oder sogar gebrochen, jedenfalls gelang es ihr nicht, sich auf Daphnes Rücken zu schwingen. Sie war wohl auch auf den Kopf gefallen, denn dieser schmerzte fürchterlich und Georgina fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Es hatte keinen Zweck. Sie würde warten müssen, bis jemand sie hier fand. Vorsichtig robbte sie am Boden entlang und lehnte sich gegen einen Baum. Die Übelkeit verschwand langsam.
„Lauf nach Hause, Daphne. Los, lauf heim.“
Sie hatte schon immer gewusst, dass die Stute ein außergewöhnlich kluges Tier war. Als hätte sie ihre Worte verstanden, machte Daphne kehrt und trabte aus dem Wald hinaus. Georgina schloss die Augen.
Sie erwachte, weil sie Feuchtigkeit auf ihrem Gesicht spürte. Es hatte angefangen, heftig zu regnen. Zwar boten die hohen, dichten Bäume ein wenig Schutz, doch bald war Georgina fast vollständig durchnässt. Langsam spürte sie die Panik in sich aufsteigen, denn es musste bereits später als neun Uhr abends sein. Warum wurde sie nicht gefunden?
Plötzlich hörte sie ein Rascheln im Dickicht. Georgina richtete sich auf.
„Hier bin ich! Bitte, ich brauche Hilfe!“
Eine Gestalt kam auf sie zu. Jamie! Tatsächlich, er hatte sie gefunden. Am Zügel führte er Daphne.
Sie war so erleichtert, dass sie fast angefangen hätte zu weinen.
„Georgina! Himmel, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! Was machst du nur für Sachen?“
Er kniete sich vor ihr nieder und ohne weiter darüber nachzudenken küsste er sie erst zärtlich, dann mit kaum unterdrückter Leidenschaft auf ihre trockenen, aufgesprungenen Lippen. Georgina konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Alle Schmerzen waren einen Moment lang vergessen und die Zeit schien still zu stehen. Wie sehr hatte sie sich nach Jamie und seinen Berührungen gesehnt! Sie schloss die Augen und inhalierte seinen Duft. Er roch nach Heu, Stroh, Sonne und Abenteuer.
Mühsam löste sich Jamie jetzt von Georgina.
„Bist du verletzt?“ Seine Stimme klang sanft und ernsthaft besorgt.
„Ja, ich denke mein Knöchel ist gebrochen. Und mein Kopf fühlt sich an als würde er gleich explodieren.“
„Mylady, Sie sind wirklich ein wenig ungestüm.“
Jamie lächelte und betastete behutsam Georginas geschwollenen Fuß.
„Ich denke, du hast recht. Du kannst froh sein, dass du ein so treues Pferd hast. Daphne ist geradewegs in den Stall gelaufen und hat nicht eher Ruhe gegeben, bis ich ihr gefolgt bin. Aber jetzt müssen wir dich irgendwie auf ihren Rücken heben. Du bist zwar ein Fliegengewicht, aber ich fürchte ich schaffe es trotzdem nicht, dich bis zum Haus zu tragen.“
Nachdem Jamie Georgina nicht ohne Mühe auf Daphnes Rücken gehoben hatte, machten sie sich auf den Rückweg.
In Greyville House angekommen, wurde sofort Doktor Williams verständigt, der erwartungsgemäß einen gebrochenen Knöchel und eine leichte Gehirnerschütterung diagnostizierte. Die nächsten Tage musste Georgina im Bett verbringen, was sie zu Tode langweilte. Zwar bekam sie mehrmals täglich Besuch von Louise, doch deren inbrünstige Rosenkranzgebete empfand Georgina als eher anstrengend als tröstend.
Am fünften Tag in Folge, den Georgina im Bett verbringen musste, griff sie aus lauter Verzweiflung zu der kostbar verzierten Bibel, die Louise ihr geschenkt hatte und blätterte lustlos darin.
Wenigstens stellt dieses Buch keine Gefahr für meine Tugend dar, dachte sie grimmig. Ich kann wohl darauf verzichten Richard um Erlaubnis zu bitten, die Heilige Schrift lesen zu dürfen.
Gerade als sie noch tiefer im Selbstmitleid zu versinken drohte, stürmte Louise in Georginas Zimmer. So aufgeregt hatte sie die junge Französin selten erlebt.
„Stell dir vor, er ist auf dem Weg hierher!“
Georgina sah sie verständnislos an.
„Wer denn?“
„Lord Andrews! Dann können wir ihn fragen, ob ich die Kinder im Dorf unterrichten darf.“
Louises Augen leuchteten.
Es ist schon sehr seltsam, dachte Georgina halb belustigt halb besorgt, die Braut interessiert sich kein Stück für ihren zukünftigen Ehemann, aber die Aussicht auf eine Aufgabe versetzte sie regelrecht in Euphorie.
Laut sagte sie:
„Dann werde ich mich jetzt ankleiden, herunterkommen und Jamie zu Mr. Stevens schicken.“
Louise errötete leicht.
„Ähm, das habe ich schon gemacht. Ich dachte, dann musst du dich nicht mehr darum kümmern.“
Georgina konnte angesichts dieses ungewohnten Aktionismus nur verwundert den Kopf schütteln. Sie konnte nur hoffen und beten, dass Lord Andrews Louise erlaubte, die Kinder zu unterrichten. Wenn nicht, würde diese wohl in eine noch tiefere Depression verfallen und Georgina möglicherweise gar nicht mehr an sich heran lassen. Das galt es unbedingt zu verhindern.
Schwungvoll stand Georgina auf. Den verletzten Fuß konnte sie natürlich noch nicht belasten, ansonsten fühlte sie sich jedoch recht wohl.
Nachdem Megan ihr beim Ankleiden geholfen hatte, humpelte Georgina langsam die Treppe hinunter und ließ sich im Salon auf einen Sessel fallen. Lord Andrews würde in Kürze eintreffen und sie wollte ihn in würdevoller Haltung empfangen. Auch Richard hatte sich jetzt im Salon eingefunden und Louise starrte erwartungsvoll aus dem Fenster. Jeder musste glauben, sie freue sich darauf, endlich ihren Ehemann kennenzulernen. Georgina war die Einzige, die es besser wusste.
Endlich war es soweit. Lord Andrews Kutsche hielt vor der Tür und nur wenige Sekunden später betrat ein großer, blonder Mann den Raum. Lord Samuel John Andrews wirkte auf den ersten Blick wie ein sympathischer, gut aussehender Mann. Seine Züge waren ebenmäßig und sowohl seine Haltung als auch seine Manieren konnten nur als tadellos bezeichnet werden.
Schaute man jedoch in seine Augen, so hätte man erfrieren können. Eiskalt waren sie, es lag keinerlei Wärme darin. Im Gegenteil, zwischendurch blitzte die pure Boshaftigkeit darin auf.
Georgina beobachtete die sensible Louise. Diese hatte sofort gespürt, dass Gefahr im Verzug war und verfiel wieder in übliche Abwehrhaltung.
Lord Andrews Blick ruhte nun abschätzig auf seiner zukünftigen Frau. Die senkte den Kopf und Georgina hatte das Gefühl, dass sie sich am liebsten in Luft aufgelöst hätte.
Richard begrüßte seinen Freund überschwänglich.
„Ich freue mich sehr, Samuel, dass du heute den Weg hierher gefunden hast. Darf ich dir unseren Gast, deine zukünftige Braut vorstellen? Das ist die reizende Louise de Rouven, die schon ungeduldig darauf wartet, dich kennenzulernen.“
Lord Andrews Lächeln wirkte kalt und aufgesetzt, als er auf Louise zueilte, ihre Hand in seine legte und mit einem gehauchten Kuss bedachte.
„Ich freue mich sehr, liebe Comtesse, dass wir uns endlich kennenlernen. Bisher habe ich lediglich mit Ihrem Vater korrespondiert, aber das ist doch reichlich unpersönlich.“
Verschachert habt ihr das arme Mädchen, dachte Georgina gereizt und versuchte, ihre aufkeimende Wut zu unterdrücken. Sie wollte Lord Andrews schließlich eine Zustimmung für Louises Vorhaben entlocken.
Die schaffte es, ihrem zukünftigen Ehemann kurz in die Augen zu sehen und ihn mit einem leise gehauchten: „Ich freue mich auch, Sir“ zu begrüßen.
Lord Andrews hatte jedoch bereits das Interesse an ihr verloren und bewegte sich nun geschmeidig wie eine Raubkatze auf Georgina zu.
„Lady Grey, ich habe bereits von Ihrem bedauerlichen Unfall gehört.“
Der Ton seiner Stimme verriet deutlich, dass er sich über ihr Missgeschick lustig machte.
„Ich hoffe, es geht Ihnen bereits etwas besser? Nun, ich halte ohnehin nichts davon wenn Frauen alleine in der Welt herum reiten.“
„Ich kann euch versichern, dass es mir erstens besser geht und dass ich zweitens in Zukunft umsichtiger reiten werde. Soweit ich weiß, hat es unten im Wäldchen jedoch bereits mehrere Stürze gegeben, sogar erfahrende Reiter waren unter den Unglücksraben.“
Georgina triumphierte innerlich während Lord Andrews Augen sich auf einmal zu kleinen Schlitzen verengt hatten. Er sah aus wie ein Raubtier, dem man seine Beute streitig machte.
In diesem Moment öffnete sich die Tür. Megan trat in den Salon und stellte ein Tablett mit Tee und kleinen Sandwiches auf den Tisch. Dabei wich sie Lord Andrews Blicken aus, die ziemlich schamlos auf ihr Hinterteil gerichtet waren.
Auch Louise war dies offensichtlich nicht entgangen, denn sie bekreuzigte sich verstohlen. Leider hatte Andrews genau in diesem Moment zu ihr hingesehen.
„Meine Liebe, Sie sind jetzt in einem Land, in dem solche katholischen Unarten nicht gerne gesehen werden. Nur dieses Iren-Pack bekreuzigt sich. Ich bitte Sie also, dies in einem guten anglikanischen Haushalt zu unterlassen.“
Louise war erstarrt und wurde nur wenige Sekunden später von einem starken Hustenanfall heimgesucht. Weil die Herren sich nicht rührten, humpelte Georgina zu Louise und versuchte, sie zu beruhigen. Es dauerte mehrere Minuten, bis Louise in der Lage war, sich an den Tisch zu setzten. Ihr Gesicht war leichenblass.
Auch Richard und Lord Andrews hatten inzwischen Platz genommen. Letzterer schenkte sich gerade eine Tasse Tee ein und bemerkte beiläufig:
„Ihr Vater hat wohl versäumt mir mitzuteilen, dass Sie gesundheitlich angeschlagen sind. Das ist bedauerlich, aber die frische, englische Luft wird Ihnen sicherlich gut tun.“
In diesem Augenblick trat Francis, der Butler ein und meldete den Besuch des Bürgermeisters. Richard und Lord Andrews schienen alles andere als erfreut über diesen unerwarteten Gast zu sein, sie konnten ihm jedoch schlecht den Eintritt verwehren. Also wurde noch ein Gedeck für Mr. Stevens aufgetragen, der sich augenscheinlich recht unwohl inmitten dieser adeligen Gesellschaft fühlte. Dementsprechend zügig trug er dann auch sein Anliegen vor.
„Lord Grey, Lord Andrews, ich möchte Sie beide darüber informieren, dass unsere einzige Dorfschullehrerin, Miss Heavenrich, seit Langem erkrankt ist und wohl auch in Zukunft nicht mehr unterrichten können wird. Daher fällt seit mehreren Wochen der Schulunterricht aus. Letzte Woche erzählte ich Lady Grey und der Comtesse von diesem Missstand. Freundlicherweise bot die Comtesse ihre Hilfe an und erklärte sich bereit, den Unterricht zu übernehmen, bis wir eine neue Lehrerin gefunden haben.“ An Lord Andrews gewandt fuhr er fort:
„Ich möchte Sie nun inständig bitten, Sir, Ihrer zukünftigen Frau erlauben, uns zu helfen. Sie würden dem Dorf und seinen Bewohnern einen großen Dienst erweisen.“
Die Erleichterung darüber, dass er seine Rede flüssig und mit Nachdruck vorgetragen hatte, war Mr. Stevens deutlich anzumerken.
Nun ruhten alle Blicke auf Lord Andrews. Vor allem Louise starrte ihn gespannt an und spielte nervös mit einer der aufwendig bestickten Servietten. Zu Georginas Überraschung ergriff Louise jetzt sogar das Wort und schaffte es außerdem zum ersten Mal an diesem Nachmittag, ihrem zukünftigen Ehemann in die Augen zu sehen.
„Bitte Sir, ich würde diese Aufgabe sehr gerne übernehmen. Daheim in Frankreich unterrichtete ich meine Cousine und … und ich denke, ich eigne mich gut als Lehrerin.“
Das war wohl die längste und energischste Ansprache, die Georgina je von Louise gehört hatte. Erwartungsvoll schaute sie in Lord Andrews Richtung. Dieser fühlte sich offensichtlich ein wenig überrumpelt. Wollte er Mr. Stevens Anliegen ablehnen, so würde er sich ziemlich schnell einen plausiblen Grund ausdenken müssen.
„Nun, ich freue mich natürlich, dass meine Braut einen solchen Enthusiasmus an den Tag legt. Ich denke jedoch, dass es sich für eine Frau ihres Standes nicht ziemt, einen Beruf auszuüben.“
Georgina hielt den Atem an.
„Daher möchte ich Sie nachdrücklich bitten, Stevens, so schnell wie möglich eine neue Lehrerin ausfindig zu machen und anzustellen. So lange soll sie meinethalben ihre Bauernkinder unterrichten.“
Georgina jubelte innerlich und freute sich über Louises glückseligen Gesichtsausdruck. Hoffentlich würde diese Aufgabe ihr Mut, Kraft und Selbstvertrauen schenken: Um mit diesem Mann leben zu können, waren eben solche Eigenschaften bitter nötig.
Sichtlich erleichtert bedankte sich Mr. Stevens überschwänglich, verabschiedete sich jedoch bald. Auch Richard und Lord Andrews zogen sich zurück, um über die bevorstehende Jagd zu debattieren. Georgina war ein wenig enttäuscht, dass sie wegen ihrer Fußverletzung an der Jagd nicht würde teilnehmen können. Sie war eine gute Reiterin und es war durchaus nicht ungewöhnlich, dass auch Frauen mitritten. Richard hätte es zwar nicht gerne gesehen, aber es wäre ihr sicherlich gelungen Mittel und Wege zu finden, sich durchzusetzen.
Doch nun würde sie drei Tage lang das Geschnatter und Gezeter der aristokratischen Damen ertragen müssen. Bei dem Gedanken wurde ihr übel, wie schon häufiger innerhalb der letzten Tage. Bisher hatte sie den Sturz auf ihren Kopf dafür verantwortlich gemacht, allerdings lag der Reitunfall Unfall nun bereits fünf Tage zurück. Wenn sich keine Besserung einstellte, würde sie wohl oder übel den Doktor konsultieren müssen.
Georginas Übelkeit verstärkte sich in den kommenden Tagen jedoch und trat vor allem morgens auf. Sie kannte diesen Zustand von ihrer Mutter, die nach ihr noch sieben weitere Kinder geboren hatte, von denen zwei jedoch nicht lange überlebten.
Einen Arzt brauchte sie daher nun nicht mehr um Rat zu fragen: Alle Anzeichen sprachen dafür, dass sie ein Kind erwartete. Jamies Kind!
Verzweifelt lief sie stundenlang humpelnd in ihrem Zimmer auf und ab. Richard würde wissen, dass es sich bei dem Ungeborenen unmöglich um sein Kind handeln konnte: Zu lange war es her, seit er zuletzt mit ihr geschlafen hatte. Tatsächlich war ihr letzter intimer Kontakt die Vergewaltigung im Esszimmer gewesen. Nachdem Richard sie als Hure beschimpft und aus seinem Zimmer geworfen hatte, war er nicht wieder zu ihr gekommen. Wahrscheinlich hatte Lizzie ihn über die Schande, eine solch verdorbene Ehefrau zu haben, hinweggetröstet.
Während dieser Gedanke sie früher traurig gemacht hatte, war sie Lizzie nun fast dankbar. Immerhin sorgte die junge Haushälterin dafür, dass Richard sich nicht ganz so despotisch aufführte wie Lord Andrews. Allerdings fragte sie sich manchmal, welche Methoden Lizzie anwandte, um eine Schwangerschaft zu verhindern.
Georgina starrte aus dem Fenster und überlegte nun angespannt, was sie nun tun konnte. Wenn Richard harausfand, dass er nicht der Vater seines lang ersehnten Erben war, würde er sie dafür büßen lassen. Möglicherweise würde er sie zudem so lange unter Druck setzten, bis sie den Namen des Vaters verriet. Dazu durfte es auf keinen Fall kommen!
Es gab nur eine Möglichkeit, wie sie sich, Jamie und das ungeborene Kind schützen konnte: Sie musste dafür Sorgen, dass Richard in dem Baby sein Kind sah. Jamie durfte auf keinen Fall von ihrer Schwangerschaft verfahren!
Georgina versuchte verzweifelt, einen klaren Gedanken zu fassen und ihre aufgewühlten Gefühle zu kontrollieren. Fest stand, dass ihre Schwangerschaft sich noch in einem frühen Stadium befand. Sie würde Richard so schnell wie möglich dazu bringen müssen, mit ihr das Bett zu teilen.
Doch was, wenn Doktor Williams sie durchschaute? Nun, sie musste einfach auf seine Verschwiegenheit hoffen. Es gab keine andere Möglichkeit. Der alte Arzt war immer sehr freundlich zu ihr gewesen. Zudem setzte er sich unten im Dorf dafür ein, dass auch die Mädchen ärmerer Familien so lange wie möglich zur Schule gehen konnten.
Richard schien sich auf die bevorstehende Jagd zu freuen. Die Aussicht auf Abwechslung und den willkommenen Vorwand, den Alkohol in Strömen fließen zu lassen, stimmten ihn milde. Dieses Stimmungshoch musste Georgina nutzen, um ihren Ehemann davon zu überzeugen, dass es an der Zeit war, für einen Erben zu sorgen. Sie würde die liebevolle, aber sittsame Ehefrau spielen, die Richard immer haben wollte.
Georgina ballte ihre Faust. Ihr Plan musste einfach gelingen! Sanft umfasste sie ihren noch schlanken Leib mit den Händen. Leise flüsterte sie:
„Ich werde dich beschützen! Ich verspreche es dir!“
Die nächsten Tage verbrachte Georgina mit Jagd-Vorbereitungen. Da sie nach wie vor ihren Fuß nicht belasten konnte, musste sie sich meinst darauf beschränken, Lizzie, den Hausmädchen, der Köchin und dem Butler Anweisungen zu erteilen. Insgesamt fünf zusätzliche Gästezimmer galt es herzurichten: Drei Lords reisten mit ihren Gattinnen an, Lady Brixton würde zudem ihre Tochter mitbringen. Auch Lord Andrews musste selbstverständlich ein Zimmer zur Verfügung gestellt werden.
Richard erwartete von seiner Ehefrau, dass sie sich als perfekte Gastgeberin präsentierte. Georgina musste ihn unbedingt zufriedenstellen, damit ihr Plan gelingen konnte. Daher stürzte sie sich mit Eifer in die Arbeit, obwohl ihr das morgendliche Unwohlsein nach wie vor zu schaffen machte.
Louise wurde unterdessen täglich mit der Kutsche hinunter ins Dorf gefahren und mittags wieder dort abgeholt. Schon nach zwei Tagen blühte die Französin sichtlich auf und wirkte zum ersten Mal seit ihrer Ankunft glücklich und zufrieden. Auch ihr Gesundheitszustand besserte sich: Georgina hatte Louise seit Tagen nicht husten hören.
Die Jagd würde drei Tage dauern und die ersten Gäste trafen bereits am Freitag Vormittag ein. Lord und Lady Sullivan waren schon seit zwanzig Jahren verheiratet. Den Kummer darüber, dass es ihnen nicht vergönnt war, eigene Kinder in die Welt zu setzen, hatten sie inzwischen überwunden. Lord Sullivan würde in naher Zukunft seinen Neffen adoptieren, damit der Besitz nach seinem Tod nicht in fremde Hände viel.
Georgina mochte die beiden älteren Herrschaften sehr, weil sie sich ihr gegenüber immer freundlich verhalten hatten. Das konnte man von Lady Brixton nicht gerade behaupten. Dieser war deutlich anzumerken, dass sie sich für etwas Besseres hielt. Zudem prahlte sie ständig mit der Schönheit und Intelligenz ihrer Tochter Jane, die in Kürze einen engen Vertrauten Königin Victorias heiraten sollte.
Georgina empfand die achtzehnjährige Jane als entsetzlich altklug und arrogant. Sie war es gewohnt, alles zu bekommen, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte. Georgina vermutete, dass Jane jedes Mittel Recht war, wenn es dazu diente, ihren Willen durchzusetzen. Zudem schien sie nicht so unschuldig zu sein, wie Lady Brixton jeden Glauben machen wollte: Bei ihrer Ankunft hatte sie jedenfalls Jamie zahlreiche eindeutige Blicke zugeworfen, als der ihr geholfen hatte, aus der Kutsche auszusteigen.
Lord Brixton war nicht weniger arrogant als der Rest seiner Familie. Er verabscheute alle Franzosen, seit er als Student bei einem illegalen Duell mit einem französischen Soldaten zwei Finger seiner linken Hand verloren hatte. Um zu beweisen, dass er trotzdem noch ein hervorragender Reiter war, nahm er an so vielen Jagdgesellschaften wie möglich teil und unternahm alles, um sich dort hervorzutun.
Georgina hatte Louise geraten, sich in Lord Brixtons Gegenwart lieber im Hintergrund zu halten: Dies sollte ihr jedoch nicht besonders schwer fallen.
Vervollständigt wurde die Jagdgesellschaft durch Lord de Winter, dessen Besitz sich über halb England erstreckte. Als entfernter Verwandter der Königin genoss er großen Einfluss bei Hofe. Lord de Winter gehörte zu den wenigen Aristokraten, die nicht allein von den Erträgen ihrer Güter lebten. Er besaß mehrere Textil-Fabriken in Manchester, die seit Jahren ordentliche Gewinne abwarfen. Erst im letzten Jahr hatte um die Hand von Charlotte Johnson angehalten, der Tochter eines bürgerlichen Großindustriellen. Die Heirat war ein riesengroßer Skandal und nur de Winters gute Beziehungen zum Königshaus hatten ihn vor der gesellschaftlichen Ächtung bewahrt.
Lady de Winter aber hatte es nach wie vor schwer in der Gesellschaft, zumal sie sich vehement für das Frauenwahlrecht einsetzte.
Richard machte keinen Hehl um seine Abneigung gegen die temperamentvolle junge Frau, traute sich jedoch nicht, Charlotte vor den anderen Gästen zurechtzuweisen.
Georgina hingegen bewunderte Lord de Winters Frau für ihren Mut. Wenige Frauen wagten es, sich so vehement für eine Verbesserung der Rechtslage einzusetzen.
In Anbetracht der sehr unterschiedlichen Gäste, die in den nächsten Tagen aufeinandertreffen würden, versprach das Wochenende recht unterhaltsam zu werden. Trotzdem fiel es Georgina schwer, nicht jede Minute an Jamie und an das Kind zu denken, welches sie unter dem Herzen trug. Trotzdem war sie dankbar für die Ablenkung. Für trübe Gedanken und Grübeleien würde wenig Zeit bleiben. Allerdings durfte sie nicht ihr wichtigstes Vorhaben aus den Augen verlieren: Sie musste mit Richard schlafen - koste es, was wolle!
Am Freitag Abend waren alle Gäste eingetroffen und die Jagdgesellschaft saß beim Dinner im festlich geschmückten Speiseraum. Lady Brixton schwärmte seit einer halben Stunde ununterbrochen von ihrem zukünftigen Schwiegersohn, während ihre Tochter Jane lustlos und mit einem leicht angewiderten Gesichtsausdruck in ihrem Gemüse herumstocherte. Zuvor hatte sie sich bereits über ihr kleines Zimmer beschwert und Louise gefragt, ob derart schlichte Kleider der neuesten Pariser Mode entsprachen. Die war daraufhin errötet und hatte, wie nicht anders zu erwarten, die Augen gesenkt.
„Nun, Miss Brixton, die Comtesse ist äußerst bescheiden und mag es ganz und gar nicht, mit ihrer Stellung zu prahlen.“
Louise warf ihr einen dankbaren Blick zu, aber Georgina kochte innerlich. Diese Jane war ein unglaublich verwöhntes Mädchen ohne jedes Taktgefühl. In Ihrer Taktlosigkeit wurde dieses Geschöpf nur noch von ihrer Mutter, Lady Brixton, übertrumpft, die sich durch die gelangweilten Gesichter der übrigen Gäste nicht stören ließ und munter weiterplapperte. Gerade pries sie Janes äußerliche Vorzüge an und klang dabei ein bisschen wie ein Pferdehändler, der für seine beste Stute im Stall einen möglichst hohen Preis erzielen will.
„Selbst die Königin hat sich neulich lobend über Janes dickes, kräftiges Haar geäußert. Manchmal haben unsere Zofen Mühe, diese Lockenpracht zu frisieren.“ Lady Brixton kicherte.
Lord Andrews quittierte diese Bemerkung, indem er die Augen verdrehte. Seine Geduld war offensichtlich erschöpft.
„Ich schlage doch vor, dass wir die Tafel aufheben und uns in den Salon zurückziehen. Was meinst du, Richard?“ Der nickte und erhob sich.
„Lord Sullivan, Lord Brixton, Lord de Winter, wenn Sie mir bitte folgen möchten. Ich wünsche den Ladys noch einen angenehmen Abend.“
Daraufhin verbeugte Richard sich knapp und beeilte sich, den anderen Heeren voran in den Salon zu eilen.
Geogina blieb mit Louise, Jane und den anderen Damen zurück. Ein Seufzen unterdrückend erhob sie sich ebenfalls. Auch Lady de Winter und Louise machten den Eindruck, als hätten sie sich lieber zurückgezogen. Nun waren sie gezwungen, sich noch länger Lady Brixtons sinnentleerte Worte anzuhören. Georgina wollte daher wenigstens für einen Ortswechsel sorgen.
„Bitte meine Lieben, lassen Sie uns doch im Wintergarten einen Tee oder eine Limonade trinken.“
Jane widersprach jedoch.
„Mama, ich gehe lieber noch ein wenig im Garten spazieren. Ich brauche frische Luft.“ Ehe Lady Brixton antworten konnte, war Jane bereits verschwunden.
Louise entspannte sich augenblicklich.
Jamie konnte nicht behaupten, dass ihm das Ausmisten der Ställe besonders Spaß gemacht hätte. Auf der anderen Seite war dies keine besonders anspruchsvolle Aufgabe und bot ausreichend Gelegenheit, über alle möglichen Dinge nachzudenken.
Wie so oft in den letzten Wochen waren seine Gedanken bei Georgina, der schönen Lady und Hausherrin. Seit ihrem Unfall hatte er sie nicht mehr alleine angetroffen, was sicher auch daran lag, dass sie noch nicht ohne Hilfe laufen konnte und zudem mit den Vorbereitungen für die Ausrichtung der Jagd beschäftigt gewesen war. Er vermisste ihre leidenschaftlichen Treffen- das musste er sich eingestehen. Doch längst sah er in Georgina nicht mehr nur eine gelehrige Schülerin in Liebesdingen. Vielmehr hatte er das Gefühl, sie beschützen zu müssen. Wie oft hatte er sich selbst deswegen für verrückt erklärt. Sie war eine reiche, gebildete Lady, die in einem riesigen Herrenhaus wohnte und er ein einfacher Stallknecht.
Seit Georgina jedoch an jenem Morgen nach ihrem missglückten Versuch, ihren biederen Ehemann zu verführen, völlig aufgelöst bei ihm im Stall aufgetaucht war, fühlte er sich irgendwie für sie verantwortlich. Er war es schließlich gewesen, der sie davon überzeugt hatte, ihre Sinnlichkeit auszuleben und einzusetzen.
„Entschuldigung?“
Jamie drehte sich überrascht um. Vor ihm stand die junge Lady, die ihm bereits bei ihrer Ankunft schöne Augen gemacht hatte. Jetzt steuerte sie zielstrebig auf ihn zu und sah ihm dabei herausfordernd an.
„Entschuldigen Sie bitte, ähm … ?“
„Mein Name ist James.“
„Also, James, ich bin Jane, die Tochter von Lord und Lady Brixton.“
Sie betonte den Namen derart, als gehöre dieser einer weltbekannten Persönlichkeit. Jamie interessierte sich nicht sonderlich für Adelsgeschlechter, daher zuckte er nur mit den Achseln.
Jane fühlte sich anscheinend nicht ausreichend wertgeschätzt, denn sie fuhr in einem deutlich herrischeren Ton fort:
„James, bitte satteln Sie mir eines der Pferde. Ich möchte noch ein wenig ausreiten.“
„Ich denke nicht, dass Sie um diese Uhrzeit noch alleine reiten sollten, Miss. Wer weiß, wer sich so alles draußen herum treibt. Außerdem kann Ihnen niemand helfen, wenn Sie stürzen sollten.“
Jane verzog ein wenig ihren Mund und sah beleidigt aus.
„Ich bin eine gute Reiterin.“
Sie hielt kurz inne und lächelte ihn dann verführerisch an. Fast unmerklich war sie einen Schritt näher getreten und ihre wohlgerundeten Brüste berührten fast seinen Oberkörper, als sie ihm leise zuhauchte:
„Dann sollten Sie mich vielleicht begleiten, James.“
Jamie schluckte. Das war ganz sicher keine gute Idee.
„Mylady, ich denke nicht, dass es besonders schicklich ist, wenn Sie mit mir abends in der Dunkelheit ausreiten.“
„Haben Sie etwa Angst?“
Janes volle Lippen näherten sich seinen und schon spürte er ihren Kuss auf seinem Mund. Ihr Körper presste sich eng an ihn und er wusste nicht, wie er sich diese wollüstige junge Aristokratin vom Leib halten sollte.
„Was zum Himmel geht hier vor?“
Jane und Jamie lösten sich hektisch voneinander und starrten betreten Georgina an, die lautlos herein gekommen war.
„Jane, ich glaube Sie kommen besser mit mir. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht, aber wie ich sehe, sind Sie in guten Händen.“
Georgina funkelte Jamie böse an, während Jane sich betont langsam und mit arroganter Mine in Richtung Stalltür bewegte. Jamie blieb verlegen zurück.
Georgina empfand eine unbändige Wut auf Jamie, aber auch auf dieses kleine, arrogante Luder. Am liebsten hätte sie ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Jamie hatte ihrer Meinung jedoch ebenso eine Tracht Prügel verdient.
Zornig zischte Sie Jane zu: „Sie können froh sein, wenn ich Ihren Eltern nichts von diesem Vorfall erzähle!“
Jane verzog spöttisch den Mund. In ihren Augen konnte Georgina pure Berechnung erkennen, als sie ruhig erwiderte:
„Das werden Sie unterlassen, Lady Grey. Ich werde sonst aussagen, dass ihr Stallknecht mir aufgelauert und mich unsittlich berührt hat.“
Georgina fluchte. Dieses Mädchen war völlig skrupellos. So wütend sie auf Jamie auch war, sie wusste mit Sicherheit, dass alles, was im Stall vorgefallen war, im gegenseitigen Einverständnis geschah. Wenn Jane jedoch gegen ihn aussagte, würde er mit Sicherheit im Zuchthaus landen.
Wie konnte ich nur so dumm sein zu glauben, dass Jamie etwas für mich empfindet? Georgina hätte sich ohrfeigen können. Sie dachte an ihr Baby. Jetzt war es umso wichtiger Richard keinen Grund zu geben daran zu zweifeln, dass es sich bei dem Ungeborenen um sein Kind und damit vielleicht um den rechtmäßigen Erben handelte.
Zurück im Haus wurde Jane sofort von ihrer Mutter und der fürsorglichen Lady Sullivan belagert.
„Mein Kind, wo bist du nur gewesen?“
Jane ließ sich nichts anmerken und beteuerte, dass sie lediglich einen kleinen Spaziergang gemacht habe. Georgina fragte sich nicht zum ersten Mal an diesem Abend, wie jemand sich so dreist verhalten konnte. Insgeheim hoffte sie, dass Janes zukünftiger Mann sich als selbstgerechtes Ekel herausstellen würde, der sie mindestens genauso respektlos behandelte, wie sie sich anderen gegenüber aufführte.
Nach der allgemeinen Aufregung war allen die Lust auf Tee und Limonade vergangen. Lady de Winter und Lady Sullivan machten sich ebenso wie Jane und ihre Mutter auf den Weg in ihre Zimmer. Auch Georgina humpelte etwas umständlich mit Louise Hilfe die Treppen hoch, nachdem sie Megan und Claire noch einige Anweisungen für den nächsten Tag erteilt hatte. Mit klopfenden Herzen setzte sie sich auf ihr Bett und wartete. Irgendwann mussten die Männer schließlich auch zu Bett gehen: Bereits gegen acht Uhr morgens früh würde das Frühstück serviert werden, bevor die Lords sich mit Hunden und Pferden auf den Weg machten. Die Damen würden unterdessen daheim bleiben. Lady de Winter, eine gute und sichere Reiterin, hätte wohl gerne an der Jagd teilgenommen, ihr Mann hatte sie jedoch überzeugt, lieber den anderen Frauen Gesellschaft zu leisten. Georgina vermutete, dass nicht zuletzt Richards Abneigung gegen weibliche Reiterinnen Lord de Winter dazu bewegt hatten, seiner Frau ausnahmsweise einen Wunsch abzuschlagen.
Doch das war jetzt unwichtig. Nervös mit dem unverletzten Fuß wippend, wartete Georgina auf ihren Ehemann und hoffte, dass dieser noch halbwegs zurechnungsfähig sein würde, wenn er den Weg in sein Zimmer antrat. Bei Richards Whiskey-Konsum in den letzten Wochen war das durchaus keine Selbstverständlichkeit.
Es war weit nach Mitternacht, als Georgina ihren Mann die Stufen hinaufpoltern hörte. Er unterhielt sich laut lallend mit Lord Andrews, der ein Gästezimmer am anderen Ende des großen Flures bewohnte. Anscheinend hatten sich die beiden gestritten, denn jetzt hörte sie Richard sagen:
„Ich kann nicht verstehen, dass du mich in dieser Sache nicht unterstützt. Ich habe dir auch beigestanden, wenn du wegen deiner seltsamen Vorlieben in Schwierigkeiten geraten bist.“
Richard Stimme klang ungewohnt verzweifelt.
Lord Andrews hingegen sprach wie immer ruhig und gelassen.
„Verschieben wir dieses Gespräch, Richard. Du hast mehr getrunken, als dir gut tut.“
Daraufhin schienen beide in ihren Zimmern verschwunden zu sein, denn auf dem Flur war nun kein Geräusch mehr zu hören.
Langsam erhob sich Georgina von ihrem Bett. Alles in ihr sträubte sich gegen die Vorstellung, sich in das Zimmer ihres Mannes zu schleichen und sich ihm hinzugeben. Doch sie konnte sich in ihrer Situation keinen falschen Stolz leisten. Sie hoffte nur inständig, dass er sie nicht abweisen würde.
Auf Zehenspitzen schlich sie sich, so leise es mit ihrem Fuß möglich war, zu Richards Zimmer. Durch den Türschlitz erkannte sie, dass darin noch Licht brannte. Leise trat sie ein.
Richard saß auf dem Bett und versuchte mühsam die Augen offen haltend, seine Schuhe auszuziehen. Er starte Georgina überrascht an, als diese die Tür hinter sich schloss.
„Meine liebe Gemahlin! Wie schön, dass du mich besuchst.“
Richards Blick wurde glasig und Georgina zweifelte daran, ob er noch in der Lage war mit ihr den Akt zu vollziehen, doch sie musste diese Chance nutzen. Er schien sie zumindest nicht sofort hinauswerfen zu wollen.
„Ich hörte dich auf dem Flur und wollte mich erkundigen, ob heute alles zu deiner Zufriedenheit verlaufen ist.“
Sie eilte auf ihn zu, noch ehe er eine Antwort formulieren konnte.
„Warte, Richard, lass mich dir mit deinen Schuhen helfen.“
Nachdem Georgina ihn von seinen Schuhen befreit hatte, ließ er sich stöhnend auf das Bett sinken.
„Danke, meine Liebe. Wenigstens du hilfst mir.“
Er seufzte und lallte weiter: „Ich habe keine Freunde, keine Freunde. Niemand hilft einem Mann in Not.“
Er zog sie mit einer ruppigen Bewegung an sich.
„Aber meine schöne Frau, die ist für mich da.“
Richard presste seinen Mund auf Georginas. Einen Moment lange glaubte sie, sich übergeben zu müssen. Der abgestandene Whiskey-Geschmack ließ sie würgen. Angeekelt schloss sie die Augen und versuchte, an nichts anderes zu denken als an ihr ungeborenes Baby. Richard keuchte jetzt und begann, sich von Hemd, Hose und Unterkleidung zu befreien. Dann legte er sich mit seinem ganzen Gewicht auf Georgina und presste unsanft ihre Brüste zusammen. Immer wieder suchte sein Mund den seiner Frau und Georgina wagte nicht, ihm auszuweichen. Plötzlich erschlafften seine Hände und sie spürte, wie sein Körper noch schwerer wurde. Gleich darauf begann er, laut zu schnarchen.
Georgina versuchte vorsichtig, Richard von sich herunterzuschieben, sie bekam kaum noch Luft. Als sie es endlich geschafft hatte, war sie erschöpft und zitterte am ganzen Körper. Richard hingegen schlief tief und fest.
Georgina seufzte. Sie konnte nur hoffen, dass er sich morgen nicht mehr daran erinnern konnte, was in dieser Nacht geschehen oder besser, was nicht geschehen war. In letzter Zeit hatte Richard nach seinen Alkoholorgien häufiger Erinnerungslücken gehabt. Sie musste einfach darauf bauen, dass es diesmal nicht anders sein würde. Richard sollte davon überzeugt sein, in dieser Nacht sein Kind gezeugt zu haben.
Georgina atmete auf, als sie Richard am nächsten Morgen zu Gesicht bekam. Alle Gäste versammelten sich gerade am Tisch, die Herren hatten bereits ihre Reitkleidung angelegt. Lady Brixton musterte Richard pikiert, als dieser sich mit mürrischer Mine und zerzausten Haaren an den Tisch setzte.
„Richard, mein Lieber, das waren gestern wohl ein paar Schluck Whiskey zu viel, wenn ich deine Leidensmine richtig interpretiere. An deine Tanzeinlage kannst du dich aber hoffentlich noch erinnern? Du hast deinem Ruf als unterhaltsamer Gastgeber alle Ehre gemacht.“
Richards verwirrter Gesichtsausdruck verriet Georgina, dass dieser sich an rein gar nichts mehr erinnerte, was sich gestern im Salon abgespielt hatte. Vermutlich wusste er auch nichts mehr von ihrem Besuch in seinem Zimmer. In etwa sechs Wochen würde sie ihm also erklären müssen, dass er in dieser Nacht ein Kind gezeugt hatte. Sein Wunsch nach einem Erben war groß, zumal er bereits von Dritten auf die Nachfolgeregelung angesprochen worden war. Sogar sein Anwalt hatte sich diesbezüglich ein wenig ungeduldig gezeigt. Georgina musste also darauf spekulieren, dass die Freude und Erleichterung über die baldige Geburt eines möglichen Erben sein Misstrauen dämpfen würde.
Nachdem sie sich kurz ihrer Erleichterung hingegeben hatte, stieg der Ärger über Andrews Worte in ihr hoch. Warum stellte dieser Kerl ihren Mann vor allen bloß? Nicht, dass ihr Richard besonders leidgetan hätte, aber ein solches Benehmen war so ungehörig, zumal, wenn Damen anwesend waren, dass ihr schlicht die Worte fehlten. Auch alle anderen Anwesenden starrten peinlich berührt auf ihren Toast. Lady Sullivan kam Richard zu Hilfe, indem sie kurzerhand das Thema wechselte und sich nach Einzelheiten zum Ablauf der Jagd erkundigte. Erleichtert beeilte Richard sich, ihr die wichtigsten Regeln detailliert zu erläutern. Alle anderen, Louise ausgenommen, beteiligten sich an der Unterhaltung, sodass Lord Andrews nicht weiter beachtet wurde. Nun ja, das stimmte nicht ganz. Jane taxierte Lord Andrews aufmerksam und lächelte ihn immer wieder verführerisch an, wenn sie sich unbeobachtet fühlte.
Was für ein Traumpaar, dachte Georgina, Jane Brixton wäre die optimale Partie für Andrews. Die beiden standen sich in Hinblick auf Boshaftigkeit und Arroganz in nichts nach. Wahrscheinlich würden sich die beiden nach wenigen Tagen gegenseitig an die Gurgel gehen, aber wenigstens wäre Louise dann die Hochzeit mit diesem eiskalten und hartherzigen Menschen erspart geblieben.
Nachdem die Männer aufgebrochen waren, unternahmen Georgina und die anderen Damen einen Spaziergang durch den Garten. Jane hatte es vorgezogen, in ihrem Zimmer zu bleiben, was Georgina nur recht sein konnte. Der Tag verlief angenehm, da Lady Brixton sich zurücknahm und Lady de Winter alle mit humorvollen Anekdoten aus ihrer Kindheit unterhielt.
Gerade als alle im Garten auf einer Picknickdecke im Schatten saßen, überkam Georgina eine solch heftige Übelkeit, dass sie es gerade noch schaffte, zu einem der Rosenbüsche zu laufen, bevor sie sich übergeben musste. Lady de Winter, Louise und Lady Sullivan waren ihr gefolgt und Letztere reichte Georgina nun eines ihrer Taschentücher an.
„Was haben Sie denn, meine Liebe? Haben sie das Frühstück nicht vertragen?“
Lady Sullivans Gesicht sah nun sehr mütterlich und ernsthaft besorgt aus.
„Danke, es geht schon. Ich muss mich nur ein wenig ausruhen.“
Langsam ließ sie sich wieder auf die Picknickdecke sinken. Lady Brixton taxierte Georgina mit einer Mischung aus Neugier und Schadenfreude. Dann fragte sie:
„Wann ist es denn soweit, Lady Grey?“
Georgina zuckte zusammen. Woher konnte diese Vettel wissen, dass sie schwanger war? Natürlich, Lady Brixton war die einzige Dame in der Runde, die selbst ein Kind geboren hatte. Es wäre wohl sinnlos gewesen, ihre Schwangerschaft zu leugnen, daher erwiderte Georgina so gefasst wie möglich:
„Ich war mir bisher noch nicht ganz sicher, Lady Brixton, aber nun, da Sie ebenfalls eine Schwangerschaft vermuten, muss es wohl so sein.“
Louise, Lady Sullivan und Lady de Winter strahlten und gratulierten Georgina herzlich. Lady Brixton hingegen erkundigte sich sachlich:
„Hat Lord Grey bereits einen Namen ausgesucht? Er ist sicher froh, dass Sie endlich guter Hoffnung sind.“
Georgina wurde wütend. Wollte diese Frau tatsächlich ihr die Schuld dafür geben, dass es zwei Jahre gedauert hatte, bis sie schwanger geworden war?
Mühsam schluckte Georgina ihren Zorn hinunter und versuchte möglichst unbeschwert zu klingen, als sie sagte:
„Lord Grey ist noch nicht informiert. Ich wollte erst sichergehen, um ihm eine Enttäuschung zu ersparen. Über einen Namen haben wir folglich auch noch nicht gesprochen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Ladys, wenn Sie die Neuigkeit vorerst für sich behalten könnten.“
Alle nickten eifrig, allerdings hatte es Lady Brixton auf einmal ziemlich eilig, nach ihrer Tochter zu sehen und Geogina war sicher, dass ihr Geheimnis nicht mehr lange als solches bezeichnet werden konnte. Sie hoffte nur inständig, dass Richard noch keinen Verdacht schöpfen würde. Alles andere wäre eine Katastrophe! Georgina dachte nicht zum ersten Mal am heutigen Tag an Jamie. Sein Verhalten hatte sie verletzt und ein bisher unbekanntes Gefühl in ihr ausgelöst: Eifersucht.
Jetzt reiß dich zusammen, ermahnte Georgina sich selbst, er ist dir nicht verpflichtet. Trotzdem fragte sie sich pausenlos, wie Jamie reagieren würde, wenn er von seinem Kind wüsste und manchmal gestattete sie sich süße Tagträume, in denen Jamie mit seinem Sohn vor sich auf dem Sattel auf Daphne über die grünen Wiesen galoppierte, die Greyville House umgaben. Meist jedoch verdrängte sie solche Fantasien, denn sie riefen ihr schmerzhaft in Erinnerung, dass die Realität anders aussehen würde.
Der Rest des Wochenendes verlief ohne große Vorkommnisse. Die Herren hatten gute Laune, als sie abends von der Jagd zurückkehrten. Georgina hoffte, dass Richard seinen Alkoholgenuss an diesem Tag zügeln würde, um Andrews keine Angriffsfläche zu bieten.
Tatsächlich dauerte das gemeinsame Dinner länger als sonst, weil sich eine angeregte Unterhaltung über Pferderassen entwickelte. Danach suchten alle zeitig ihre Zimmer auf. Morgen früh würden die meisten Gäste aufbrechen, worüber Georgina mehr als erleichtert war.
Louises Hochzeit mit Lord Andrews stand jedoch kurz bevor, in drei Wochen würde sich Georgina daher wieder mit Lady Brixton und Jane auseinandersetzen müssen.
„Du siehst wunderschön aus, Louise.“
Georgina half ihrer Freundin, das lange, weiße Hochzeitskleid anzulegen, welches einen Tag zuvor aus Frankreich eingetroffen war. Das Kleid war kostbar und sicher einst sehr teuer gewesen, allerdings handelte es sich um ein Erbstück, das ein wenig aus der Mode gekommen war. Jetzt, nachdem Megan und Claire, die recht geschickt mit Nadel und Faden umgehen konnten, einige Änderungen vorgenommen hatten, stand es Louise jedoch großartig.
Diese sah jedoch alles andere als glücklich aus. Ihr Gesicht wirkte noch blasser als sonst und unter den Augen lagen tiefe Schatten.
„Ich würde am liebsten weglaufen, Georgina. Lord Andrews mag mich nicht. Im Gegenteil, ich glaube, er findet mich abstoßend. Ich werde nicht einmal meinen Rosenkranz beten können, um ein wenig Trost zu finden.“
Georgina wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie konnte Louise nicht helfen, aber sie hätte gerne irgendetwas für sie getan. Mr. Stevens hatte eine neue Lehrerin gefunden, die bereits im September ihren Dienst antreten würde. Das Unterrichten war das Einzige gewesen, was Louise wirklich Freude gemacht hatte und nun würde sie nicht einmal dieser Tätigkeit mehr nachgehen können.
Georgina stand auf und holte eine kleine Schachtel aus der Kommode in ihrem Ankleidezimmer.
„Hier Louise, das ist mein Hochzeitsgeschenk für dich. Eigentlich ist es für Geschenke noch zu früh, aber es ist besser, wenn nicht jeder sieht, was in der Schachtel ist.“
Georgina reichte Louise die kleine Box.
„Vielen Dank, Georgina.“
„Bevor du dich bedankst, solltest du dir dein Geschenk erst einmal ansehen, oder?“
Louise öffnete etwas umständlich den Geschenkkarton. Darin befand sich eine kleine, goldene Kette mit einem Kreuzanhänger.
„Georgina! Das war sicher sehr teuer! Aber die Kette ist wunderschön! Ich bin dir so dankbar!“
Louise Augen schimmerten feucht.
„Ich bin froh, dass dir die Kette gefällt, Louise. Ich möchte dir noch anbieten, dass du jederzeit hierher kommen kannst, wenn du beten möchtest. Am Ende des Flurs befindet sich eine kleine, abschließbare Kammer. Die kannst du als Gebetsraum nutzen, wann immer du möchtest.“
Jetzt konnte Louise nicht mehr an sich halten. Laut schluchzend fiel sie Georgina um den Hals.
„Das werde ich dir nie vergessen, Georgina! Wenn ich irgendwann einmal etwas für dich tun kann - bitte lasse es mich wissen. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich täte.“
Eines musste sie Lord Andrews lassen: Geizig war er nicht. Allein die aufwendige Dekoration auf den Tischen musste ein Vermögen gekostet haben.
Lord Andrews Besitz war noch größer als Richards. Er bewohnte ein riesiges Herrenhaus, welches eher einem Schloss ähnelte und beschäftige rund vierzig Angestellte. In seinen Ställen standen kostbare Zuchtpferde, die dafür sorgten, dass sich sein Vermögen immer weiter vergrößerte.
Die Einzige, die sich völlig unbeeindruckt von dieser Pracht zeigte, war die Braut. Louise lächelte tapfer alle Menschen an, die ihr gratulierten und immer wieder betonten, wie glücklich sie als Französin sein müsse, einen reichen, englischen Lord zum Mann nehmen zu können. Dabei schienen sie zu vergessen, dass Louise als Comtesse im Hinblick auf ihren Titel eine bedeutendere Stellung einnahm als ihr Ehemann. Louises Vater war Graf, Lord Andrews lediglich ein Baron, der es zu viel Geld gebracht hatte und gute Kontakte zum Königshaus unterhielt.
Louise war untröstlich gewesen, als sie erfahren musste, dass ihre Eltern nicht an ihrer Hochzeit teilnehmen konnten. Ihr Vater, der Comte de Rouven, war schwer erkrankt. Sein jahrelanges Lungenleiden hatte sich in den letzten Wochen verschlimmert und die Reise nach England hätte ein großes Risiko für seine Gesundheit dargestellt.
Georgina litt unter der Tatsache, dass sie ihrer Freundin nicht helfen konnte. Verzweifelt fragte sie sich, warum diesem herzensguten Menschen nicht einmal ein wenig Glück beschert sein konnte. Sie kannte niemanden, der es mehr verdient hätte.
Stattdessen stand Louise nun an der Seite ihres Ehemannes vor der Gartenlaube und unterhielt sich mit Menschen, die ihr genauso fremd waren, wie der Mann neben ihr. Reflexartig legten sich Georginas Hände über ihren noch flachen Bauch. Ihr Kind, egal, ob Mädchen oder Junge, sollte es einmal besser haben. Sie hoffte, dass es in ein neues Zeitalter hineingeboren werden würde, in der Frauen wählen durften, wen sie heirateten und wen sie politisch unterstützen wollten. Und entscheiden konnten, welche Bücher sie lesen, fügte sie in Gedanken hinzu.
„Lady Grey, Sie sehen ganz bezaubernd aus.“
Georgina stöhnte innerlich auf. Vor ihr standen Lady Brixton und Jane. Beide waren in kostbare Seidenkleider gehüllt und sahen aus, als warteten sie nur darauf, dass sich irgendein Skandal ereignete, der ihnen Gesprächsstoff liefern würde.
„Lady Brixton, Jane – schön, Sie beide zu sehen. Ich nehme an, Sie können Ihre eigene Hochzeit kaum erwarten, Jane?“
Georgina schaute der Angesprochenen provokant direkt in die Augen und bemerkte befriedigt, dass Jane ein wenig errötete.
„Sie können sich nicht vorstellen, Lady Grey, wie anstrengend die Vorbereitungen für diese Hochzeit sind. Janes zukünftiger Ehemann ist sehr wohlhabend und einflussreich, wissen Sie, und daher muss natürlich alles perfekt sein. Sehr wahrscheinlich wird auch die Königsfamilie zugegen sein.“
Lady Brixton plapperte munter weiter, doch Georgina hörte nicht mehr zu. Suchend sah sie sich um. Richard und auch Lord Andrews waren nirgendwo zu sehen.
„Entschuldigen Sie mich, Ladys, ich möchte meinen Mann suchen.“
Ohne sich noch einmal umzudrehen, ließ Georgina die beiden Frauen einfach stehen und betrat das Haus. Sie überlegte noch, wo sie Richard suchen sollte, als sie aufgebrachte Stimmen im Salon hörte. Vorsichtig näherte sie sich der halb geöffneten Tür.
„Du kannst dich nicht mehr länger winden, wie ein Aal, Richard!“
Es war Lord Andrews, der dies gesagt hatte. Wütend fuhr er fort:
„Seit Jahren speist du mich mit leeren Versprechungen ab und ich habe geduldig gewartet, dass du deinen Worten Taten folgen lässt. Unsere Väter waren sich so nahe wie Brüder, daher ließ ich mich darauf ein. Aber jetzt reicht es mir, Richard. Die Spielschulden, das teure Pferd, deine wertvollen Whiskeyflaschen: Ich werde nicht länger den Kopf für dich hinhalten.“
In diesem Moment sah Richard zur Tür und funkelte Georgina wütend an.
„Was tust du hier? Spionierst du mir hinterher? Mach, dass du zu deiner kleinen französischen Freundin kommst.“
Mit einem lauten Knall warf er die Tür zu.
Georgina war schwindelig, daher ließ sie sich auf einer der Bänke nieder, die im Flur standen. Was sie gerade gehört hatte, verwirrte sie. Richard hatte anscheinend jahrelang über seine Verhältnisse gelebt und zudem enorme Schulden bei Andrews. Die Frage war, ob er noch mehr Leuten Geld schuldete und um welche Summe es sich handelte.
Bisher hatte Georgina sich um Geld nie Sorgen machen müssen. Sie trug schlichte, aber hochwertig verarbeitete Kleider, hatte mehrere Reitpferde zur Verfügung und trank teuren Wein, wenn ihr danach war. Immer hatte Sie geglaubt, sich um Geld keine Sorgen machen zu müssen. Sie musste unbedingt mit Richard reden. Spätestens, wenn sie ihm von ihrer Schwangerschaft erzählte, konnte er ihr nicht länger ausweichen.