Dreizehn

Bajonette aufpflanzen!» Major Bird brüllte den Befehl und hörte zu, als er an der Flanke der Legion weitergerufen wurde. Die Männer zogen die wuchtigen Schwertbajonette aus den Scheiden und schoben sie über die rauchgeschwärzten Läufe ihrer Gewehre und Musketen. Die meisten Männer der Legion hatten nie daran gedacht, dass sie die Bajonette tatsächlich bei einem Infanterieangriff einsetzen würden, stattdessen hatten sie geplant, die Bajonette nach dem Krieg, wenn sie die Yankees zurück in den Norden gejagt haben würden, mit nach Hause zu nehmen und als Saufänger oder zum Heumachen zu verwenden. Doch nun standen sie dort hinter dem schwindenden Rauchschleier, der über den verkohlenden Resten des Koppelzauns hing, befestigten die Stichwaffen an den glühend heißen Läufen und versuchten nicht daran zu denken, was sie dort draußen im Sonnenlicht erwartete.

Denn dort wartete eine riesige Horde Yankees – Männer aus Rhode Island, New York und New Hampshire, deren Freiwilligeneifer von den Berufssoldaten der U.S. Army und der Marines unterstützt wurde. Die Angreifer aus dem Norden waren Nathan Evans’ Männern inzwischen vier zu eins überlegen, und doch war der Yankee-Angriff über eine Stunde lang von der härtnäckigen Verteidigung der Südstaatler aufgehalten worden. Die Linie dieser Verteidiger war mittlerweile gefährlich ausgedünnt, und deshalb wollte Evans den Angriff des Nordens in einer letzten Anstrengung ins Chaos stürzen, um so ein paar Minuten herauszuholen, in denen die übrigen Truppen der konföderierten Armee ihre Angriffslinie umformieren konnten, um sich dem Flankenangriff entgegenzustellen. Evans würde dem Norden einen letzten Akt trotziger Herausforderung bieten, bevor sich seine Rebellenfront auflöste und der gewaltige Nordstaatler-Vorstoß ungehindert weiter ins Land rollte.

Major Bird zog sein Schwert. Seinen Le-Mat-Revolver hatte er immer noch nicht geladen. Er vollführte einen spielerischen Hieb mit dem Schwert und hoffte zu Gott, dass er es nicht würde benutzen müssen. Nach Birds Meinung gehörten verzweifelte letzte Bajonettangriffe in Geschichtsbücher oder Liebesromane, nicht in die Gegenwart, doch Bird musste zugeben, dass die Bajonette der Legion schrecklich wirkungsvoll aussahen. Es waren lange, schlanke Klingen mit einer unheilverkündenden Aufwärtskurve an der Spitze. In Faulconer County hatte der Colonel darauf bestanden, dass sich die Männer mit dem Bajonett übten, er hatte sogar einen Rinderkadaver an einen niedrigen Ast binden lassen, um ein realistisches Angriffsziel zu schaffen. Und jetzt bereiteten sich genau diese Männer darauf vor, ihre Bajonette gegen den echten Feind einzusetzen, während ihnen der Schweiß weiße Linien in die vom Schießpulver geschwärzten Gesichter zog.

Ermutigt von der Pause im Infanteriebeschuss des Südens, begannen die Nordstaatler weiter vorzurücken. Eine neue Geschützbatterie der Südstaatenartillerie hatte die rechte Flanke von Evans’ Linie erreicht, und die Kanoniere feuerten ihre Kartätschen und Kanonenkugeln auf die Frontlinie des Unionsangriffs, sodass die Nordstaatler ihr Vorrücken noch beschleunigten. Drei Kapellen aus dem Norden spielten nun gegeneinander an, trieben die mit schweren Fransen geschmückten Flaggen vorwärts durch die Rauchschlieren über der Wiese, die so von Granaten und Kanonenkugeln aufgewühlt war, dass sich in den Schwefelgestank und den Rauchgestank der süße Duft von frischgemähtem Gras mischte.

Major Bird sah auf seine altmodische Uhr, blinzelte, und sah noch einmal hin. Er hielt die Uhr an sein Ohr, weil er dachte, sie müsse stehengeblieben sein, doch dann hörte er ihr gleichmäßiges Ticken. Irgendwie hatte er geglaubt, es müsse schon Nachmittag sein, doch es war erst halb elf. Er leckte sich über die trockenen Lippen, hob das Schwert und drehte sich zu dem anrückenden Gegner um.

Dann erfolgte das Hornsignal.

Ein falscher Ton, eine Pause, dann erklang eine klare, dreifache Tonfolge, eine weitere dreifache Tonfolge, einen Augenblick herrschte Stille, und plötzlich riefen die Offiziere und Sergeants den Soldaten der Südstaatenfrontlinie den Befehl zum Vorstoß zu. Eine Sekunde lang rührte sich niemand, dann kam Bewegung in die graue Linie an dem von Granaten und Kugeln zerfledderten Waldrand.

«Vorwärts!», rief Major Bird und ging ins Sonnenlicht hinaus, das Schwert in Schulterhöhe nach vorne gerichtet. Diesen heroischen Anblick beeinträchtigte er etwas dadurch, dass er stolperte, als er über die Streben des Koppelzauns stieg, doch er rappelte sich wieder auf und ging weiter. Adam hatte das Kommando über Kompanie E übernommen, deren Captain Elisha Burroughs getötet worden war. Burroughs war Bürovorstand in der Faulconer County Bank gewesen, hatte sich im Grunde nicht zur Legion melden wollen, dann aber gefürchtet, seinen Aufstieg in Washington Faulconers Bank zu gefährden, wenn er ablehnte. Und jetzt war er tot, Fliegenschwärme saßen auf seiner Leiche, und Adam hatte seinen Platz eingenommen. Adam hielt den Revolver in der rechten, die Säbelscheide mit der linken Hand und lief gute fünf Schritt vor den Männern seiner Kompanie. Er musste die Säbelscheide von seinen Beinen weghalten, damit sie ihn nicht zum Stolpern brachte. Starbuck, der neben Bird vorwärtsrückte, hatte mit seiner eigenen Säbelscheide das gleiche Problem.

«Ich bin nicht sicher, dass es sich lohnt, ein Schwert zu tragen», kommentierte Bird. «Dass die Pferde eine schlechte Idee waren, wusste ich vorher schon, aber jetzt sieht es so aus, als wären die Schwerter ein ebenso gefährlicher Einfall. Mein Schwager wird bitter enttäuscht sein! Manchmal denke ich, er träumt davon, mit einer Lanze in die Schlacht zu ziehen.» Bird lachte atemlos bei dieser Vorstellung. «Sir Washington Faulconer, Lord von Seven Springs. Das würde ihm gefallen. Ich habe nie verstanden, warum unsere Gründerväter die Titel abgeschafft haben. Sie kosten nichts und verschaffen solchen Narren eine unglaubliche Befriedigung. Und meiner Schwester würde es nur allzu gut gefallen, die Lady für seine Lordschaft Faulconer abzugeben. Ist Ihr Revolver geladen?»

«Ja.» Doch Starbuck hatte noch keinen einzigen Schuss abgefeuert.

«Meiner nicht. Ich vergesse es ständig.» Bird köpfte mit seinem Schwert einen Löwenzahn. Zu seiner Rechten rückte Kompanie E in geordneter Formation vor. Mindestens zwei Männer der Kompanie hatten sich das Gewehr über die Schulter gehängt und stattdessen lange Jagdmesser in der Hand. Schlachtermesser nannte Thaddeus Bird sie gern, doch für diesen verzweifelten Vorstoß schienen die langen, plumpen Klingen recht geeignet. Mit ihrem charakteristischen Pfeifen peitschten die Kugeln aus den Gewehren der Nordstaatler durch die warme Luft. Die Fahnen der Legion zuckten, wenn Gewehrkugeln auf den Stoff trafen. «Haben Sie bemerkt, dass die Yankees immer noch so hoch schießen?», fragte Bird.

«Gott sei Dank», sagte Starbuck.

Erneut wurde das Horn geblasen, um die Linie der Rebellen voranzutreiben, und Bird schwang sein Schwert, um die Männer zu ermutigen, die halb rannten und halb gingen. Starbuck machte einen Bogen um einen Fleck rauchender Erde, auf dem Granatenfragmente und die Leiche eines verstümmelten Tirailleurs lagen. Die Granate hatte dem Mann den größten Teil seines Bauchs und den halben Brustkorb herausgerissen, und auf dem, was von ihm noch übrig war, wimmelten die Fliegen. Der Tote hatte hervorstehende Zähne in einem Gesicht, das sich in der Hitze schon dunkel färbte. «Ich glaube, das war George Musgrave», sagte Bird im Plauderton.

«Wie können Sie das wissen?», brachte Starbuck heraus.

«Diese Nagerzähne. Er war ein elender Kerl. Ein Raufbold. Ich wünschte, ich könnte sagen, sein Tod tue mir leid, aber so ist es nicht. Ich habe ihm in der Vergangenheit mindestens hundertmal den Tod gewünscht. Er war wirklich ein übler Geselle.»

Ein Mann der Kompanie K wurde von einer Kugel getroffen und begann keuchende Schreie auszustoßen. Zwei Männer hasteten hin, um ihm zu helfen. «Lasst ihn!», bellte Sergeant Truslow, und der Verwundete, der sich im Gras krümmte, wurde allein zurückgelassen. Die Musiker der Legion, die am Waldrand Deckung gesucht hatten, waren auch die Krankenträger, und zwei von ihnen kamen vorsichtig auf das Feld, um den Verletzten zu bergen.

Eine Haubitzengranate fuhr kreischend vom Himmel, bohrte sich tief in die Wiese und explodierte, augenblicklich gefolgt von der nächsten Granate. Die Infanterie der Nordstaaten hatte ihren Vormarsch unterbrochen und lud die Gewehre. Starbuck sah, wie Ladestöcke gehoben und in die Läufe gerammt wurden, und er sah die vom Schießpulver schwarz gefärbten Gesichter, die von den Waffen aufblickten, um zu der anrückenden Rebellenlinie hinüberzuschauen. So wenige Südstaatler schienen diesen Angriff zu führen, und sie wurden von so vielen Nordstaatlern erwartet. Starbuck zwang sich dazu, ruhig weiterzugehen, keine Angst zu zeigen. Merkwürdig, dachte er, aber in diesem Moment würde seine Familie wohl ihre Plätze in ihrer Bank der hohen, düsteren Kirche einnehmen, und sein Vater stünde betend in der Sakristei, und die Gemeindemitglieder würden aus dem Sonnenschein in die Kirche hereinkommen, die Türen der Familienbänke würden aufgeklinkt, und darüber stünden, wie im Sommer üblich, die hohen Fenster offen, sodass die Brise vom Bostoner Hafen den Kirchgängern etwas Abkühlung bringen konnte. Der Gestank von Pferdemist würde von der Straße in die Kirche geweht, in der seine Mutter vorgeben würde, in der Bibel zu lesen, während sie in Wahrheit einzig auf die Gemeinde achtete. Wer war gekommen und wer fehlte, wer sah gut aus und wer eigenartig. Starbucks ältere Schwester Ellen Marjory, die mit dem Pastor aus New Hampshire verlobt war, würde ihre Frömmigkeit demonstrativ zur Schau stellen, indem sie betete oder in der Heiligen Schrift las, während die fünfzehnjährige Martha die Blicke der Williams-Söhne aus der Bank auf der gegenüberliegenden Seite des Mittelgangs auf sich ziehen würde. Starbuck fragte sich, ob Sammy Williams unter den blau uniformierten Gegnern war, die dreihundert Schritt entfernt auf dieser Wiese in Virginia standen. Er fragte sich, wo James war, und plötzlich durchzuckte ihn Angst bei der Vorstellung, dass sein wichtigtuerischer, aber gutherziger älterer Bruder irgendwo tot auf der Erde liegen könnte.

Das Horn erklang erneut, noch drängender dieses Mal, und die Rebellenlinie begann stolpernd zu rennen.

«Jubeln!», rief Major Bird. «Jubeln!»

Auf Starbuck wirkte es, als würden die Männer nicht jubeln, sondern schreien. Oder jaulen, wie der Mann, den Truslow auf der Wiese zurückgelassen hatte. Das Geräusch hörte sich an wie ein Angstschrei, nur dass dieser gemeinsame Schrei aus vielen Kehlen etwas an sich hatte, das anderen das Blut in den Adern gefrieren ließ, und die Männer selbst nahmen das wahr und ließen das eigentümliche Schreien noch lauter über die Wiese hallen. Sogar Major Bird, der mit seinem sperrigen Schwert nach vorn stürmte, stimmte in den schaurigen Schrei ein. Es war etwas Bestialisches an diesem Geräusch, etwas, das grauenvolle Gewalt anzukündigen schien.

Und dann eröffneten die Nordstaatler das Feuer.

Einen Moment lang war der ganze Sommerhimmel, das ganze große Firmament nur noch mit dem Kreischen und Pfeifen der Kugeln erfüllt, und der Schrei der Rebellen verstummte, bevor er wiederaufgenommen wurde, nur dass dieses Mal echte Schmerzensschreie durch das schrille Geräusch tönten. Männer stürzten zu Boden. Männer wurden von der Gewalt der treffenden Kugel zurückgerissen. Einige Männer versuchten taumelnd weiterzugehen. Auf dem Gras glitzerte frisches Blut. Starbuck hörte ein Klappern, dann wurde ihm klar, dass es die Kugeln der Nordstaatler waren, die Gewehrschäfte und die Klingen von Jagdmessern trafen. Der Angriff der Südstaatler war langsamer geworden, und die Männer schienen nur noch vorwärts zu waten, als habe sich die Luft zu einem zähen Sirup verdichtet, in dem die geordnete Linie der Rebellenregimenter zuerst unterbrochen und dann zu verstreuten Gruppen verschmolzen wurde. Die Männer blieben stehen, feuerten und rückten wieder vor, aber es ging nur noch langsam und zögerlich voran.

Von der Unionsseite kam eine weitere Salve, und mehr Männer wurden aus dem Rebellenangriff zurückgeworfen. Major Bird brüllte seinen Männern zu, sie sollten angreifen, aber die Legion war wie betäubt von der Grausamkeit des Gegenfeuers und überwältigt von dem unglaublich dichten Artilleriebeschuss, der nun um sie herum krachte und aufflammte und pfiff. Die Haubitzengranaten der Nordstaatler jagten wie Blitze auf die Erde herab, und jede explodierende Granate schleuderte eine Wagenladung rote Erde hoch in die Luft.

Adam war zehn Schritt vor der Kompanie E. Er ging langsam, anscheinend unbeeindruckt von der Gefahr. Ein Sergeant rief ihn zurück, doch Adam, den Revolver niedrig in der Hand haltend, beachtete ihn nicht.

«Weiter! Weiter!», brüllte Major Bird seinen Leuten zu. Bisher war noch kein einziges Jagdmesser und kein Bajonett mit Blut gefärbt worden, doch die Männer konnten nicht mehr weiter. Stattdessen fielen sie zurück, schweigend, und die Unionstruppen bellten einen tiefen Triumphschrei, und dieser Schrei schien den Rückzug der Rebellen in eine stolpernde Flucht zu verwandeln. Die Konföderierten waren noch nicht in Panik, aber sie waren kurz davor. «Nein!» Major Bird war wütend. Er versuchte seine Männer durch die pure Kraft seiner Persönlichkeit zum Angriff zurückzuzwingen.

«Major!» Starbuck musste schreien, um von Bird gehört zu werden. «Sehen Sie nach links! Nach links!» Ein neues Regiment der Nordstaaten war auf der linken Flanke der Legion aufgetaucht und drohte nun die ungeschützte Flanke der Virginier aufzuwickeln. Dieser neue Angriff würde nicht nur den gescheiterten Bajonett-vorstoß zurückdrängen, sondern auch bis zum Wald vordringen. Evans’ Verteidiger waren schließlich doch noch auf der Flanke umgangen und bezwungen worden.

«Gottverdammt!» Bird starrte auf die neue Bedrohung. Sein Fluch klang ganz und gar nicht überzeugend, wie von einem Mann, der das Fluchen nicht gewohnt war. «Sergeant Major! Bringen Sie die Flaggen zurück.» Bird erteilte den Befehl, zog sich jedoch selbst noch nicht zurück.

«Kommen Sie, Sir, bitte! Kommen Sie!» Starbuck zog an Major Birds Ärmel, und dieses Mal begann sich der Major zurückzuziehen. Kugeln pfiffen durch die Luft, als Bird und Starbuck zurückstolperten, vor den Scharfschützen der Nordstaaten durch den Gefechtsrauch geschützt, der genaues Zielen unmöglich machte.

Nur Adam wollte sich nicht zurückziehen. Er rief seinen Männern zu, bei ihm zu bleiben und dass keine Gefahr drohe und sie nur bis auf die andere Seite der Wiese vorstoßen müssten, doch die Kompanie E hatte den Rückzug der gesamten konföderierten Linie gesehen, und deshalb wichen auch sie langsam zurück. Adam blieb stehen und drehte sich nach den Männern um, brüllte, sie sollten vorrücken, aber dann schwankte er und ließ beinahe seinen Revolver fallen. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, doch kein Geräusch kam heraus. Es gelang ihm irgendwie, das Gleichgewicht zu halten, als er, sehr langsam und sehr vorsichtig, wie ein Betrunkener, der vorgibt, nüchtern zu sein, den Revolver in das Holster schob. Dann sank er mit einem merkwürdig erstaunten Gesichtsausdruck in die Knie.

«Du dämlicher Hund.» Sergeant Truslow hatte Adam fallen sehen und rannte nun an der Linie der vorrückenden Nordstaatler entlang. Der Rest der Legion zog sich hastig in die Deckung des Waldes zurück. Der Rebellenangriff war komplett gescheitert, und die Nordstaatler stürmten heran.

«Es ist mein Bein, Truslow», sagte Adam verwundert.

«Es hätte dein gottverdammtes Spatzenhirn treffen sollen. Heb den Arm.» Selbst während er Adam rettete, klang Truslow noch feindselig und grimmig. «Los, komm schon hoch, Junge. Beeilung!»

Adam war in den linken Oberschenkel getroffen worden. Der Einschuss war gewaltig wie ein Hammerschlag gewesen, hatte zu Beginn jedoch kaum weh getan. Nun aber raste weiß glühender Schmerz von Adams Leiste bis in seinen Fuß. Er zischte gequält auf und war außerstande, einen Aufschrei zu unterdrücken. «Lassen Sie mich hier!», keuchte er Truslow ins Ohr.

«Halt die Klappe, verdammt noch mal.» Halb zog, halb trug Truslow Adam zu den Bäumen zurück.

Weder Major Bird noch Starbuck hatten gesehen, was Adam passiert war. Sie rannten zurück zum Wald, besser gesagt, Starbuck rannte und Thaddeus Bird schlenderte in aller Ruhe dahin. «Fällt Ihnen auf», fragte Bird erneut, «wie viele Kugeln zu hoch abgeschossen werden?»

«Ja.» Starbuck versuchte, sich zugleich zu ducken und zu rennen.

«Daran sollten wir etwas ändern», sagte Bird entschlossen, «denn wir haben ganz bestimmt auch zu hoch geschossen, würden Sie nicht auch sagen?»

«Ja.» Starbuck hätte jeder erdenklichen Annahme Birds zugestimmt, solange der Major sich nur ein wenig beeilte.

«Ich meine: Wie viele hundert Kugeln sind heute morgen auf dieser Wiese verschossen worden», Bird erwärmte sich immer mehr für sein Thema, «und wie viele Ausfälle haben sie verursacht? Bemerkenswert wenige, muss man sagen.» Er deutete mit seinem unbefleckten Schwert über die Wiese, auf die etwa sechzig Toten, die dort lagen, wo der Angriff der Legion gescheitert war. «Wir sollten uns die Baumstämme ansehen, um festzustellen, wo die Beschussspuren sind, und ich wette mit Ihnen, Starbuck, dass sich die meisten in mindestens acht bis zehn Fuß Höhe finden.»

«Das würde mich nicht überraschen, Sir, ganz und gar nicht.» Starbuck sah jetzt den Koppelzaun vor sich. Nur noch ein paar Schritte, und sie wären zwischen den Bäumen. Die meisten Angehörigen der Legion waren schon in der sicheren Deckung des Waldes oder jedenfalls so sicher, wie man sein konnte, wenn man sich zwischen Bäumen zusammenkauerte, die von einem Dutzend Unionshaubitzen beschossen wurden.

«Da! Sehen Sie! Zwölf Fuß hoch, fünfzehn. Da ist noch eine Kerbe, zehn Fuß hoch, auf einen Zoll mehr oder weniger kommt es nicht an. Sehen Sie?» Major Bird war nun ganz stehen geblieben und deutete mit seinem Schwert auf das interessante Phänomen der hohen Schusskerben an den Baumstämmen. «Die Spur da vorn ist etwas niedriger, zugegeben, aber schauen Sie dort. Sehen Sie das? Dort, auf dem Hickory, Starbuck? Keine Kugelspur unterhalb von zehn Fuß, und wie viele sehen Sie oberhalb dieser Höhe? Vier, fünf, sechs, und das ist nur ein einziger Stamm!»

«Sir!», Starbuck schob Bird weiter.

«Immer mit der Ruhe!», protestierte Bird, setzte sich aber wieder in Bewegung, sodass sie endlich in die Deckung der Bäume kamen. Starbuck sah, dass sich die meisten Männer instinktiv tiefer in das Waldstück zurückgezogen hatten, um größere Sicherheit zu suchen, doch einige wenige, die wenigen Tapferen, hielten sich am Waldrand und feuerten stetig auf die anrückenden Yankees.

«Zieht euch zurück, Männer!» Major Bird wusste, dass dieser Widerstand sinnlos war. «Gott allein weiß, wohin», murmelte er leise. «Sergeant Major Proctor?»

«Sir!»

«Sorgen Sie dafür, dass die Regimentsfarben in Sicherheit gebracht werden!» Wie lächerlich, überlegte Bird, dass er an solche Dinge dachte, denn was waren die Flaggen schon anderes als zwei grellbunte Stoffbahnen, die im Schlafzimmer seiner Schwester aus Seidenstücken zusammengenäht worden waren? Die Kugeln der Nordstaatler schnellten zischend durchs Laubwerk. «Starbuck?»

«Sir?»

«Würden Sie bitte Doc Billy vorwarnen? Sagen Sie ihm, dass wir den Rückzug einleiten. Er muss so viele Verwundete mitnehmen, wie er kann, und die übrigen zurücklassen. Ich vermute, die Yankees werden anständig mit ihnen umgehen.»

«Das werden sie ganz bestimmt, Sir.»

«Dann ab mit Ihnen.»

Starbuck rannte durch den Wald zur hinteren Stellung. Eine Granate explodierte rechts von ihm und ließ einen schweren Ast absplittern, der durch die Kronen der umstehenden Bäume krachend auf die Erde stürzte. Trupps von Männern liefen zwischen den Bäumen zurück, warteten nicht auf Befehle, sondern versuchten sich nur in Sicherheit zu bringen. Sie ließen Jagdmesser, Decken und Habersäcke fallen, beinahe alles, was ihre Flucht verlangsamen konnte. Starbuck traf auf Männer, die sich wild um die festgemachten Pferde drängten, und dann sah er einen Corporal, der Pocahontas von dem Chaos wegführen wollte. «Das gehört mir!», rief Starbuck und schnappte sich die Zügel.

Eine Sekunde lang wirkte der Corporal, als wolle er ihm das Pferd streitig machen, dann sah er Starbucks grimmiges Gesicht und floh. Captain Hinton rannte vorbei, rief nach seinem Pferd, gefolgt von Lieutenant Moxey, von dessen linker Hand Blut tropfte. Starbuck zog sich in den Sattel und lenkte Pocahontas zu der Lichtung, auf der er Doctor Danson zuletzt gesehen hatte. Ein weiterer Trupp Männer lief mit unverständlichen Rufen vorbei. Vom Waldrand klang knatternd das Geräusch einer Gewehrsalve herüber. Starbuck stieß Pocahontas die Fersen in die Flanken. Die Stute hatte die Ohren nach hinten gelegt und zeigte damit, wie unruhig sie war. Starbuck duckte sich unter einem Ast hindurch und fiel gleich darauf beinahe aus dem Sattel, als die Stute über einen umgestürzten Baumstamm sprang. Er galoppierte auf die Straße, weil er Richtung Süden nach dem Feldlazarett suchen wollte, doch plötzlich zischte eine Kugel an seinem Kopf vorbei, und er sah im Wald gegenüber Mündungsfeuer in einer Rauchwolke und blaue Uniformen. Ein Mann rief ihm zu, er solle sich ergeben.

Starbuck riss die Zügel herum und fiel um ein Haar wieder aus dem Sattel. Die Stute drehte schnaubend um, und Starbuck trieb sie mit den Fersen an. «Komm schon!», schrie er und zuckte zusammen, als eine weitere Kugel an seinem Kopf vorbeipeitschte. Er hielt immer noch seine schwere Pistole in der Hand und schlug Pocahontas mit dem Lauf auf die Flanke, und plötzlich machte das Tier einen Satz nach vorn, warf Starbuck beinahe ab, doch es gelang ihm, sich mit der linken Hand festzuhalten, als Pocahontas zurück in den Wald galoppierte. Der Versuch, einen geordneten Rückzug mit den Verwundeten zu organisieren, schien aussichtslos. Stattdessen musste er Bird finden und ihm berichten, dass die Legion auf der Flanke in einem weiten Bogen umgangen worden war. «Major Bird!», rief er. «Major Bird!»

Thaddeus Bird hatte Sergeant Truslow entdeckt und half ihm nun, Adam zurück in Sicherheit zu tragen. Die drei Männer gingen mit der Fahneneinheit und waren die letzten Angehörigen der Legion in dem oberen Waldstück der Hügelkuppe. Sergeant Major Proctor trug eine der Flaggen, ein Corporal aus der Kompanie C die andere, doch es war schwierig, mit den schweren Flaggen auf ihren sperrigen Stangen durch das Dickicht aus Dornsträuchern und Unterholz zu kommen. Der Rest der Legion und auch der Rest von Nathan Evans’ Brigade schien geflüchtet zu sein, und Bird gab die Schlacht verloren. Er überlegte, wie die Historiker den Aufstand der Südstaaten wohl beschreiben würden. Als sommerlichen Wahnsinnsanfall? Als Verirrung der amerikanischen Geschichte, genau wie die Whiskey-Rebellion, die George Washington so brutal niedergeschlagen hatte? Eine Granate raste durch die Baumkronen, ein Blätterregen ging auf die Fahneneinheit herab.

«Major Bird!», rief Starbuck. Er galoppierte blindlings durch den Wald. Flüchtende riefen ihm etwas zu, doch Starbucks Welt bestand nur noch aus einer verschwommenen Mischung aus Sonnenstrahlen und grünen Schatten, einem panisch galoppierenden Pferd, Schweiß und Durst. Er hörte die Yankee-Kapelle von der Wiese, und er lenkte das Pferd von dem Geräusch weg. Erneut rief er nach Major Bird, doch die einzige Antwort bestand in prasselnden Schüssen irgendwo links von ihm. Kugeln zischten dicht an ihm vorbei, schlugen in Baumstämme ein, aber die Nordstaatler feuerten in dichten Wald und konnten nicht sorgfältig zielen. Rechts schleuderte eine Granate Rauch und glühend heiße Metallfragmente durch die Luft, dann war Starbuck auf einer Lichtung, sah an ihrem anderen Ende ein Rot und Weiß aufblitzen, das er als die Regimentsfarben der Legion Faulconer erkannte, und lenkte sein Pferd dorthin. Er glaubte, Thaddeus Bird zusammen mit etwa einem Dutzend weiterer Männer zu erkennen. «Major Bird!»

Doch Bird verschwand zwischen den Bäumen. Starbuck jagte hinter der Fahneneinheit her, brach durch Rauchwolken, die über der Lichtung hingen. Schüsse klangen durch den Wald, ein Horn wurde geblasen, und immer noch spielte die Yankee-Kapelle. Starbuck galoppierte zwischen die Bäume auf der anderen Seite der Lichtung, schmerzhaft schlugen ihm niedrighängende Zweige ins Gesicht. «Major Bird!»

Endlich drehte Bird sich um, und Starbuck sah Adam bei ihm, dessen Uniform an einem Oberschenkel blutgetränkt war. Starbuck wollte rufen, dass Yankees auf der rechten Flanke standen, doch er war zu spät gekommen. Eine Abteilung blau uniformierter Männer rannte, von der Landstraße kommend, schon durch den Wald, und es schien unvermeidlich, dass die Regimentsfahnen fallen und Bird, Adam, Truslow sowie die anderen Männer bei den zwei Flaggen gefangen genommen würden. «Aufpassen!», schrie Starbuck und deutete auf die Gefahr.

Die Männer der Fahneneinheit flüchteten durch den Wald, doch Bird und Truslow wurden von Adam behindert. Die Nordstaatler riefen ihnen zu, sie sollten stehen bleiben und die Hände heben, und Major Bird rief Sergeant Major Proctor zu, er solle weglaufen. Adam, dessen Bein über Zweige und Steine holperte, als er durch den Wald geschleppt wurde, schrie auf.

Starbuck hörte den Schrei und spornte sein Pferd weiter an. Die Nordstaatler riefen und jubelten wie Halbwüchsige beim Spielen. Ein Gewehr wurde abgefeuert, die Kugel verschwand im Laub der Bäume. Major Bird und Truslow schwankten unter Adams Gewicht. Erneut forderten die Nordstaatler, sie sollten sich ergeben, und Truslow drehte sich kampfbereit um, doch dann sah er die Bajonette direkt auf sich zukommen.

Und Starbuck handelte. Er galoppierte direkt auf die Yankees zu und brüllte, sie sollten sich davonmachen, Adam in Ruhe lassen. Die Nordstaatler schwangen ihre aufgepflanzten Bajonette in seine Richtung, doch Starbuck ritt zu schnell. Er kreischte sie an, ohne jede Selbstbeherrschung, hatte schließlich doch entschieden, dass er kämpfen musste. Die Yankees wichen nicht zurück, sondern versuchten auf Starbuck zu zielen, während Starbuck den rechten Arm ausstreckte und den unteren Abzug durchzog, dann den oberen, und die Waffe fuhr im Rückstoß heftig zurück, hüllte ihn in einen flüchtigen Rauchschleier, der sofort wieder verwehte. Er jubelte vor Freude auf, als hätte er seiner Seele durch das Abfeuern der Waffe die Erfüllung einer dunklen Begierde erlaubt. Er hörte Gewehrschüsse, aber keine Kugel traf ihn, und er brüllte herausfordernd.

Der Trupp bestand aus sechs Yankees. Fünf waren bei Starbucks irrwitzigem Angriff zurückgewichen, aber der sechste versuchte mit seinem Bajonett nach dem wahnsinnigen Reiter auszuholen. Starbuck zog den unteren Abzug der Pistole zurück, drehte die Trommel, und dann richtete er den schweren Lauf auf seinen Gegner. Einen Augenblick lang sah er buschige schwarze Koteletten und tabakgeschwärzte Zähne, dann zog er am Abzug, und das Gesicht des Mannes verschwand in einem Wirbel von blutigem Rauch, Knochensplittern und scharlachroten Tropfen. Starbuck stieß einen grauenvollen Laut aus, zugleich ein Siegesschrei und ein Wutgeheul, als ein weiterer Yankee von Pocahontas’ massigen Hufen niedergetrampelt wurde. Ein Gewehrschuss krachte unglaublich laut neben seinem rechten Ohr, und Pocahontas schrie und bäumte sich wiehernd auf, doch Starbuck hielt das Gleichgewicht und trieb sie weiter an. Er versuchte, auf einen blau uniformierten Mann zu schießen, doch die Pistole blockierte, weil er beide Abzüge gleichzeitig gezogen hatte, aber das spielte keine Rolle. Major Bird, Adam und Truslow waren entkommen, die Fahneneinheit war in die Sicherheit des Laubwaldes abgetaucht, und mit einem Mal ritt Starbuck frei und unbedroht durch den stillen grünen Wald.

Er lachte. Es war, als würde ihn eine rätselhafte Freude erfüllen, als hätte er gerade den aufregendsten, wunderbarsten Augenblick seines Lebens erfahren. Er wollte sein Glück zum Himmel hinaufbrüllen, als er an das Gesicht des Yankees dachte, das vor der Mündung seiner Pistole explodiert war. Bei Gott, diesem Bastard hatte er es gezeigt! Er lachte laut auf.

Unterdessen tanzten im fernen Boston Staubpartikel im Sonnenlicht, das durch die hohen Kirchenfenster auf Reverend Elial Starbuck fiel, der, mit geschlossenen Augen und das Gesicht in Passionsqualen verzerrt, den Allmächtigen um Schutz und Beistand für die rechtschaffenen Truppen der Unionsstaaten anflehte und darum, ihnen den Mut zu verleihen, mit dem sie alle Bedrängnisse überstehen würden, und die Stärke, um die üblen Mächte des unaussprechlich Bösen niederzuwerfen, die von den Südstaaten ausgespien worden waren. «Und wenn es zur Schlacht kommen sollte, o Herr, dann lass Deinen Willen geschehen und Deinen Sieg errungen sein und lass das Blut Deiner Feinde die Erde tränken und lass ihren Stolz von den Hufen der Gerechten zertrampeln!» Seine Anrufung war tiefempfunden, sein Gebet widerhallend und seine Stimme so hart wie der New-Hampshire-Granit, aus dem die Kirche erbaut worden war. Elial ließ das Echo seines Gebets verklingen und öffnete die Augen, doch seine Gemeindemitglieder, die darauf gefasst waren, dass der grimmige Blick ihres Pastors die Bankreihen nach dem geringsten Hinweis auf Ungläubigkeit absuchen würde, hielten ihre Augen fest geschlossen, und keine Dame rührte ihren Fächer. Niemand bewegte sich, wahrhaftig, die Leute wagten kaum zu atmen. Elial senkte die Hände, um sich ans Predigtpult zu klammern. «Darum flehen wir in Deinem heiligen Namen. Amen.»

«Amen», echote die Gemeinde. Ängstlich wurden Augen aufgeschlagen, raschelnd die Seiten der Gesangbücher umgeblättert, und Mrs. Sifflard pumpte dem Harmonium feuchte Luft in die Eingeweide. «Lied Nummer zweihundertsechsundsechzig.» Reverend Elial klang wie ein Mann, den jäh die Kräfte verlassen hatten und der rechtschaffen müde war. «Es ist ein Born, draus heil’ges Blut für arme Sünder quillt, ein Born, der lauter Wunder tut, und jeden Kummer stillt.»


Ein Pferd, das sich losgerissen hatte, galoppierte aus dem Gebüsch und zwischen einer Reihe verwundeter Südstaatler hindurch, die der Gnade der anrückenden Yankees überlassen worden waren. Ein Mann schrie auf und krümmte sich zusammen, als das Pferd mit einem Huf seinen Oberschenkel traf. Ein anderer Mann rief schluchzend nach seiner Mutter. Ein Dritter hatte seine Augen an das Fragment einer Granatenhülle verloren und konnte nicht mehr weinen. Zwei der Verletzten waren schon tot, ihre Bärte ragten himmelwärts, und auf ihrer Haut krabbelten Fliegen. Immer mehr Nordstaatentruppen kamen in den Wald. Bei den Toten blieben die Männer stehen, um ihre Taschen und Beutel zu durchsuchen. Der Granatenbeschuss hatte aufgehört, doch die Feuer, die durch die Explosionen ausgelöst worden waren, brannten immer noch knackend im Unterholz.

Östlich des Waldes marschierte das grau uniformierte 2nd Wisconsin Regiment auf das Regiment von Georgia zu, das nun die rechte Flanke der unterbrochenen konföderierten Verteidigungslinie bildete, und wurde irrtümlich für Verstärkung der Südstaaten gehalten. Die Flagge des Nordens, die schlaff in der windstillen Luft hing, war leicht mit dem Banner der Konföderierten zu verwechseln, und die Männer aus Georgia ließen das Regiment aus Wisconsin so dicht an sich herankommen, dass sämtliche Offiziere des Südens von der Eröffnungssalve der Yankees getötet oder verwundet wurden. Die überlebenden Männer aus Georgia standen einen Moment wie erstarrt da, dann flüchteten sie Hals über Kopf. Und so war schließlich auch noch der letzte Rest der notdürftigen Verteidigungslinie, die Nathan Evans zusammengebracht hatte, bezwungen. Doch die Linie hatte ihre Aufgabe erfüllt. Sie hatte einen überwältigenden Angriff lange genug aufgehalten, um auf der flachen, weiten Kuppe des Hügels, auf der die Legion ihren Tag angefangen hatte, eine zweite Verteidigungslinie zusammenzuflicken.

Eine Geschützbatterie aus Virginia, unter dem Kommando eines Anwalts, der zum Kanonier geworden war, wartete am nördlichen Rand des Plateaus. Die Kanonen waren auf das Tal gerichtet, aus dem die Männer von Evans’ geschlagener Brigade nun vor den siegreichen Yankees zurückströmten. Hinter den Kanonen des Anwalts stand eine Brigade aus Virginia, die vom Shenandoah Valley eingetroffen war und von einem gottesfürchtigen Mann mit exzentrischen Ansichten und grimmiger Entschlossenheit angeführt wurde. Thomas Jackson war ein recht unbeliebter Ausbilder an der Militärakademie von Virginia gewesen und danach ein ebenso unbeliebter Kommandant der Milizbrigade, die er ausgebildet und gedrillt, gedrillt und ausgebildet hatte, bis den Bauernburschen in seinen Reihen die Ausbildung und der Drill zu den Ohren herausgekommen waren. Aber jetzt standen Thomas Jacksons Bauernburschen auf einem weitläufigen Plateau und warteten auf den Angriff einer siegreichen Yankee-Armee, und sie waren gedrillt, ausgebildet und kampfbereit. Und sie wollten kämpfen.

Eine weitere Geschützbatterie der Konföderierten kam auf den Hügel und brachte die Kanonen dicht neben den aufgestapelten Zelten der Legion Faulconer in Stellung. Der Kommandant der Batterie war ein Pastor der Episkopalkirche, der nun seinem Stellvertreter befahl, die Schneckenschrauben, Schwammbeutel, Schaber, Handspeichen und Ladestöcke erneut zu überprüfen, während er selbst laut um Gottes Mitleid für die sündhaften Seelen der Yankees betete, die er mit seinen vier nach den Evangelisten benannten Kanonen in eine bessere Welt zu schicken beabsichtigte. Thomas Jackson, der jeden Moment mit einer gegnerischen Kanonade rechnete, befahl seinen Männern, sich flach auf den Boden zu legen, um den feindlichen Kanonieren kein Ziel zu bieten, während er selbst ganz ruhig im Sattel sitzen blieb und in seiner Bibel las. Er machte sich Sorgen darum, dass seine Männer in den Rauchwolken des Gefechts die Orientierung verlieren könnten, und deshalb hatten sämtliche Virginier weiße Stoffstreifen um ihre Oberarme oder Hutbänder geknotet und den Befehl erhalten, beim Kampf ein Losungswort zu rufen. «Unsere Heimat!» lautete der Ruf, und Jackson erwartete, dass sich die Männer mit der linken Hand auf die Brust schlugen, wenn sie diese Worte riefen. Captain Imboden, Anwalt und Kanonier, war längst zu dem Schluss gekommen, dass Jackson zwar verrückter war als ein angestochenes Huhn, man sich aber immerhin freuen könne, auf Jacksons Seite zu sein, weil man den Wahnsinnigen dann nicht im Kampf gegen sich hatte.

Eine Meile rechts von Imboden, bei der Steinbrücke, auf der mehr und mehr Nordstaatentruppen den Bull Run überquerten, um ihren vernichtenden Angriff fortzusetzen, saß General Irvin McDowell neben der Mautstraße auf seinem Pferd und jubelte seinen Männern zu. «Sieg, Jungs!», rief er wieder und wieder. «Sieg! Auf nach Richmond! Gut gemacht, Jungs, gut gemacht!» McDowell triumphierte beinahe ekstatisch, er war so glücklich, dass er sogar die Verdauungsbeschwerden vergessen konnte, die ihn geplagt hatten, seit er sich am Vorabend unvernünftig große Portionen Rindfleischpastete einverleibt hatte. Wen kümmerten Verdauungsstörungen? Er hatte gewonnen! Er hatte die größte Armee in der Geschichte des amerikanischen Kriegswesens zu einem glänzenden Sieg geführt, und sobald mit den Rebellentruppen aufgeräumt war, würde er ein Bündel erbeuteter Flaggen nach Washington schicken, damit sie dem Präsidenten als Trophäen vor die Füße gelegt werden konnten. Nicht, dass er schon irgendwelche erbeuteten Flaggen gesehen hätte, aber er war sicher, dass sie bald schon in großen Mengen bei ihm abgegeben würden. «Starbuck!» Er hatte seinen Sous-Adjutanten in einer Gruppe prächtig uniformierter ausländischer Attachés entdeckt. McDowell war in Frankreich in einem Internat gewesen und an europäische Uniformmode gewöhnt, doch nun fand er den Anblick der blitzenden Uniformen zwischen den einfachen, ehrlichen Waffenröcken seiner eigenen Armee lächerlich überladen. «Captain Starbuck!», rief er noch einmal.

«Sir?» Captain James Starbuck war gerade damit beschäftigt gewesen, den Musikern der Regimentskapelle vergnügt den Takt vorzugeben, während sie den vorrückenden Truppen eine Auswahl Opernmelodien vorspielten. Nun ritt er zu seinem siegreichen General hinüber.

«Machen Sie einen Aufklärungsritt über die Brücke, ja?», bat ihn McDowell heiter. «Und sagen Sie unseren Leuten, dass sie mir alle erbeuteten Flaggen bringen sollen. Sorgen Sie dafür, ja? Alle! Und machen Sie sich keine Gedanken um ihre ausländischen Gäste. Ich werde mich ein wenig mit ihnen unterhalten.» Der General winkte einer vorbeiziehenden Artillerieeinheit zu. «Sieg, Jungs, Sieg! Auf nach Richmond! Auf nach Richmond!» Ein fetter, betrunkener Kongressabgeordneter aus New York ritt auf einer Protze westwärts, und der General grüßte leutselig auch den Politiker. Der Kongressabgeordnete war ein Halunke, aber bei ihm gut angeschrieben zu sein konnte der weiteren Karriere eines siegreichen Generals nutzen, wenn dieser kurze Krieg vorbei war. «Ein großer Tag, Herr Abgeordneter! Ein großer Tag!»

«Ein neues Yorktown, General! Ein veritables Waterloo!» Ein siegreicher General konnte der weiteren Karriere eines Kongressabgeordneten ebenfalls nützlich sein, und deshalb winkte der fette Politiker dem stattlichen McDowell mit seinem Biberhut einen freundlichen Gruß zu. «Auf zum Ruhm!», rief der Abgeordnete und schwenkte seinen Hut so heftig, dass er beinahe das Gleichgewicht auf dem schmalen Protzensitz verlor.

«Und, Starbuck», rief McDowell seinem Adjutanten nach, der sich schon seinen Weg über die überfüllte Brücke bahnte, «passen Sie auf, dass sich nicht so viele Zivilisten an den Vormarsch hängen. Um den Kerl dort würde es mir nicht leidtun, aber wir wollen doch nicht, dass irgendwelche Damen von verirrten Schüssen verletzt werden, nicht wahr?»

«Nein, Sir!» James Starbuck machte sich auf die Jagd nach gegnerischen Flaggen.

Auch Colonel Washington Faulconer hielt nach Flaggen Ausschau, nämlich nach seinen eigenen, und er entdeckte sie auf dem Weideland nördlich der Mautstraße. Zuerst sah er nur die geschlagenen Reste seiner kostbaren Legion. Eine Reihe erschöpfter Männer mit vom Schießpulver verdreckten Gesichtern, die aus dem Wald traten, ihre Gewehre hinter sich herzogen und kaum imstande waren, ihren eigenen Colonel wiederzuerkennen. Ein paar Männer marschierten unter dem Druck ihrer Offiziere und Sergeants noch in ordentlicher Formation, doch die Mehrheit hatte ihre teure Ausrüstung verloren und keine Ahnung, wo ihre Kompanien, ihre Offiziere oder gar ihre Freunde waren. Einige hatten sich dem Rückzug der Truppen aus South Carolina angeschlossen, andere denen aus Louisiana, während Männer aus diesen Regimentern nun mit den Virginiern auf dem Rückzug waren. Sie waren eine geschlagene Einheit, kraftlos und benommen, und der Colonel betrachtete sie mit ungläubigem Entsetzen. Ethan Ridley, der endlich wieder zu Faulconer aufgeschlossen hatte, wagte nichts zu sagen, aus Furcht, mit jedem Wort den Zorn des Colonels auf sich zu lenken.

«Das ist Starbucks Werk», sagte Washington Faulconer schließlich, und Ridley nickte eine stumme Bestätigung. «Haben Sie Adam gesehen?», rief der Colonel den Überlebenden der Legion zu, aber sie schüttelten nur den Kopf. Einige sahen zu dem prunkvoll uniformierten Colonel auf, der so elegant auf seinem Pferd saß, und wandten sich dann ab, um mit trockenem Mund auf die Wiese zu spucken.

«Sir!» Ridley hatte nach rechts geschaut und blau uniformierte Yankees auf der Mautstraße über die Holzbrücke vorrücken sehen. «Sir!», wiederholte er eindringlich.

Doch der Colonel hörte nicht zu, denn er sah endlich seine Fahneneinheit aus dem Wald auftauchen und galoppierte den Männern entgegen. Er war entschlossen, ganz gleich, was sonst noch an diesem schrecklichen Tag passierte, diese beiden Flaggen nicht zu verlieren. Selbst wenn die Konföderation in einer vernichtenden Niederlage unterginge, würde er diese Zwillingsflaggen nach Seven Springs heimholen und die Flaggen in der Eingangshalle aufhängen, um seine Nachfahren daran zu erinnern, dass ihre Familie für Virginia gekämpft hatte. Ridley folgte dem Colonel, sprachlos angesichts der ungeheuren Katastrophe.

Zuerst übersah der Colonel Adam, der nun von Sergeant Truslow und Sergeant Major Proctor gestützt wurde. Er erblickte nur Thaddeus Bird, der das Familienwappen der Faulconers in den Schmutz gezerrt hatte. «Was zum Teufel hast du mit meiner Legion gemacht?», schrie Faulconer. «Was zum Teufel hast du bloß getan?»

Thaddeus Bird blieb stehen und starrte den wütenden Colonel an. Er schien ein paar Sekunden zu brauchen, bevor er Washington Faulconer erkannte, als es aber so weit war, lachte er bloß.

«Verflucht, Pecker! Verflucht noch mal!» Faulconer hätte dem lachenden Schulmeister am liebsten die Reitpeitsche durchs Gesicht gezogen.

«Adam ist verwundet.» Bird hatte abrupt zu lachen aufgehört und redete nun mit ernster Eindringlichkeit. «Aber er wird sich wieder erholen. Er hat gut gekämpft. Sie haben alle gut gekämpft oder fast alle. Allerdings müssen wir ihnen beibringen, niedrig zu zielen, und außerdem gibt es noch unzählige andere Lektionen, die wir zu lernen haben. Aber für einen ersten Kampf haben wir uns nicht schlecht geschlagen.»

«Nicht schlecht? Du hast die Legion verschleudert, du verfluchter Kerl! Du hast sie einfach weggeworfen!» Der Colonel spornte Saratoga an, um zu Truslow und Proctor zu galoppieren, die Adam halfen. «Adam!», rief der Colonel und wunderte sich, seinen Sohn beinahe glücklich lächeln zu sehen.

«Achten Sie auf den Wald, Faulconer», knurrte Truslow. «Da hocken massenweise Yankees drin.»

Der Colonel hatte Adam anschnauzen wollen, weil er zugelassen hatte, dass Bird seine Befehle missachtete, doch das blutige Bein seines Sohnes brachte seine Wut zum Verstummen. Dann blickte er auf und sah eine letzte Gestalt aus dem Wald kommen. Es war Starbuck, und sein Anblick ließ Washington Faulconers Wut augenblicklich wieder derart hochkochen, dass er unbeherrschbar zu zittern begann. «Ich komme gleich wieder zu dir, Adam», sagte er und galoppierte auf Starbuck zu.

Starbuck war zu Fuß. Er hinkte. Nach dem Schrei von Pocahontas hatte er ihren Kopf zur Seite gezogen, ihr die Fersen in die wunden Flanken gestoßen und war dann von den verblüfften Yankees weggaloppiert. Er hatte der flüchtenden Fahneneinheit folgen wollen, doch dann war die Stute gestolpert, und Starbuck sah Blutstropfen aus ihrem Maul und ihren Nüstern sprühen. Sie wurde langsamer, atmete blutigen Schaum aus, und dann gaben ihre Vorderbeine halb nach. Sie versuchte trotzdem weiterzukommen, aber das Leben floss aus ihrer durchbohrten Lunge, und sie taumelte seitwärts, durch Gebüsch und Dornen. Starbuck gelang es gerade noch, die Steigbügel abzuschütteln und sich aus dem Sattel zu werfen, bevor die sterbende Stute gegen einen Baum prallte. Sie erbebte, versuchte den Kopf zu heben, wieherte einmal, und dann trommelten ihre Hufe ein Sterbemuster auf den Boden.

«O Gott.» Starbuck zitterte. Er kauerte auf den Fersen, mit Schrammen übersät, ängstlich und keuchend. Das Pferd erbebte wieder, und ein Blutstrom quoll aus seinem Maul. Die Schusswunde in seiner Brust wirkte sehr klein. Schon sammelten sich überlaut summende Fliegen über dem toten Tier.

Im Wald herrschte eine seltsame Stille. Weit weg knatterten Musketenschüsse, aber in der Nähe hörte Starbuck keine Schritte mehr. Mühsam kam er auf die Füße und zischte vor Schmerz, als er sein Gewicht auf den linken Knöchel verlagerte. Seine Pistole war in das blutverschmierte Laub gefallen. Er hob sie auf, schob sie in sein Holster und wollte gerade weghinken, als er sich daran erinnerte, dass Colonel Faulconer noch an diesem Morgen betont hatte, wie teuer dieser Sattel war, und bei diesem Gedanken kam in Starbuck die lächerliche Idee auf, dass er gewaltigen Ärger bekommen würde, wenn er diesen Sattel zurückließ. Also kniete er sich neben den Bauch des toten Pferdes und tastete daran herum, um den Sattelgurt aufzuschnallen. Halb schluchzend und halb keuchend zerrte er den schweren Sattel von dem Tier und zog die Steigbügel und den Sattelgurt unter dem schweren toten Körper der Stute heraus.

Er wankte durch den Wald, behindert von seinem verdrehten Knöchel und in der Hitze taumelnd unter dem Gewicht des Sattels. Er brauchte beide Arme, um den Sattel zu tragen, und konnte deshalb nichts dagegen tun, dass ihm sein Schwert ständig zwischen die Beine kam. Nachdem er ein drittes Mal darüber gestolpert war, löste er die Schlaufen des Schwertgurts und schleuderte die verfluchte Klinge weit weg ins Unterholz. Eine leise Stimme in seinem Kopf sagte, dass es dumm sei, den Sattel zu retten und den Säbel wegzuwerfen, aber irgendwie schien der Sattel in diesem Moment wichtiger. Aus der Ferne klangen Rufe durch den Wald, ein Horn wurde geblasen, ein Mann schrie triumphierend auf, und weil er fürchtete, in eine Falle zu tappen, zog Starbuck die Pistole, spannte den unteren Abzug und hielt sie in der rechten Hand unter dem schweren Sattel. Er taumelte weiter und kam endlich aus dem Wald auf eine ausgedehnte Weide, über die Südstaatler auf dem Rückzug liefen. Vor ihnen lag die Mautstraße, dahinter stieg ein Hügel steil zu dem Plateau an, auf dem die Legion ihren Tag begonnen hatte. Er sah das kleine Blockhaus auf dem Hügel und daneben ein paar Kanonen. Er fragte sich, ob die Geschütze dem Norden oder dem Süden gehörten, dem Gegner oder den Freunden.

«Du Bastard!» Der Schrei echote über die Weide, und als sich Starbuck umdrehte und den brennenden Schweiß aus den Augen blinzelte, sah er Colonel Faulconer auf sich zugaloppieren. Er brachte seinen Hengst so abrupt vor Starbuck zum Stehen, dass Erdklumpen von den Hufen des Tieres aufflogen. «Was zum Teufel hast du mit meiner Legion gemacht? Ich habe dir gesagt, du sollst nach Hause gehen! Ich habe dir gesagt, du sollst zu deinem verdammten Vater zurückgehen!» Und Colonel Faulconer, der zu wütend war, um über das nachzudenken, was er tat, oder darüber, ob ein einfacher Second Lieutenant überhaupt so viel Macht haben konnte, wie er sie jetzt Starbuck zuschrieb, riss die Hand mit der Reitpeitsche hoch, sodass die Lederschnur über Starbucks Gesicht fuhr. Starbuck zuckte keuchend vor Schmerz zurück und fiel zu Boden, als er sich wegdrehte. Salziges Blut rann aus seiner Nase.

«Ich habe Ihren Sattel hergebracht», versuchte er zu sagen, doch stattdessen war er auf allen vieren, mit blutender Nase, und der Colonel hob erneut die Peitsche. «Du hast deine schmutzige Arbeit für den Norden erledigt, was? Du hast meine Legion zerstört, du Bastard!» Er schlug ein zweites Mal zu, dann ein drittes Mal. «Du Bastard!», schrie er und hob die Hand zum vierten Hieb.

Die ersten Yankees, die den flüchtenden Südstaatlern nachsetzten, tauchten am Waldrand auf. Einer von ihnen, ein Corporal, war bei der Gruppe gewesen, die Starbuck angegriffen hatte, und jetzt, als er zu der Weide kam, sah er einen berittenen Konföderierten keine fünfzig Schritt entfernt, und er dachte an seinen toten Kameraden, als er sich auf sein rechtes Knie fallen ließ, sein Gewehr anlegte und sofort schoss. Der Rauch aus der Gewehrmündung nahm ihm die Sicht, aber er hatte gut gezielt, und die Kugel traf den erhobenen rechten Arm des Colonels, ließ den Knochen splittern und prallte in Richtung seines Körpers ab, wo sie an seinen Rippen vorbeiraste und in seinen Bauchmuskeln steckenblieb. Blut floss von dem Arm herab, den die Wucht der Kugel nach hinten gerissen hatte, und die Reitpeitsche wirbelte durch die Luft. «O Gott», sagte Washington Faulconer mehr vor Erstaunen als vor Schmerz. Doch dann bohrte sich der Schmerz in seinen Körper, und er schrie laut auf, als er versuchte, den Arm herunterzunehmen und zu begreifen, was dieser zerfetzte, blutdurchtränkte Stoff und der stechende Schmerz zu bedeuten hatten.

«Colonel!» Ethan Ridley galoppierte in genau dem Moment zu Faulconer, als am Waldrand eine Salve der Nordstaatler krachte. Ridley duckte sich und nahm die Zügel zurück, während ihm die Minié-Geschosse um die Ohren pfiffen. Der Colonel ließ sein Pferd umdrehen, bohrte ihm die Fersen in die Seiten und schrie vor Schmerz, während Ridley auf Starbuck herunterstarrte, der die rechte Hand gehoben hatte, um sich vor den Schlägen des Colonels zu schützen. Er hielt die Savage-Pistole in der Hand, und Ridley, der sie sah, dachte, der Nordstaatler hätte versucht, den Colonel umzubringen. «Du hast auf ihn geschossen!», schrie Ridley entsetzt, dann zog er seinen eigenen Revolver.

Blut tropfte von Starbucks Nase herunter. Er stand immer noch unter Schock, zu benommen, um zu verstehen, was vor sich ging, doch er sah, wie sich Ridleys Gesicht zu einer Grimasse verzerrte, sah Rauch aus der Revolvermündung aufsteigen, und dann zuckte der Sattel, den Starbuck mit der linken Hand hochhielt, als Ridleys Kugel in den hölzernen Sattelbaum unter dem Leder einschlug.

Der Schuss in den Sattel weckte Starbuck aus seiner Benommenheit. Hinter ihm schwärmten die Nordstaatler zwischen den Bäumen hervor, und Ridley drehte sich schon weg, nicht weil er Starbuck fürchtete, sondern um den Yankees zu entkommen. «Ridley!», rief Starbuck, doch Ridley riss seine blutigen Sporen zurück, während Starbuck die schwere Waffe hob. Er hatte ein Versprechen zu halten, und ihm blieben nur Sekunden, um es zu erfüllen, und deshalb zielte er mit der großen Savage-Pistole und zog den oberen Abzug. Funken stoben von dem explodierenden Zündhütchen auf, und der Rückstoß ließ die Waffe in Starbucks Hand zurückfahren.

Ridley schrie auf und bog sich im Sattel zurück. «Ridley!», rief Starbuck erneut, und um ihn zischten die Kugeln einer Yankee-Salve, und Ridleys Stute bäumte sich schreiend auf. Ridley war verwundet, doch er schüttelte unwillkürlich die Steigbügel von den Füßen, und drehte sich nach Starbuck um. «Das ist für Sally, du Bastard!», kreischte Starbuck wie von Sinnen. «Für Sally!» Er hatte versprochen, dass ihr Name das Letzte sein würde, was Ridley im Leben hörte, und er rief ihn noch einmal, als er mit dem unteren Hahn den Savage spannte und den oberen noch einmal durchzog.

Ridley zuckte zusammen, als die zweite Kugel traf, dann stürzte er aus dem Sattel. Nun schrien er und sein Pferd, doch das Pferd versuchte wegzuhinken, während Ridley liegen blieb.

«Du Bastard, Ridley!» Starbuck war auf den Füßen und zielte auf Ridley. Er schoss erneut, doch diese dritte Kugel riss nur eine Narbe neben Ridley in den Boden. Der Colonel war etwa fünfzig Schritt entfernt, hatte sich aber im Sattel umgedreht und starrte Starbuck entsetzt an. «Das ist für Sally», sagte Starbuck und feuerte seine letzte Kugel in den Körper seines Feindes, und plötzlich explodierte der Boden vor Starbuck, als eine Granate der Konföderierten in Ridleys sterbenden Körper einschlug, das zuckende Fleisch ausweidete und einen Fächer aus blutigen Fetzen emporschleuderte, der Starbuck vor der zurückweichenden Legion verbarg.

Die warme und blutige Druckwelle der Granate warf Starbuck zurück und durchtränkte seinen grauen Uniformrock mit Ridleys Blut. Weitere Granaten flogen kreischend über das Tal und explodierten schwarz und rot auf der Weide, wo die vorrückenden Nordstaatler zwischen den Bäumen hervorgekommen waren. Auf der Kuppe des gegenüberliegenden Hügels wuchs eine niedrige Wolke an, die pulsierte, als aus den Geschützrohren noch mehr Rauch quoll. Starbuck war wieder auf die Knie gefallen, während Ridley wie ein zerlegtes Schlachttier im Gras lag. Vor Starbuck zogen sich die geschlagenen Konföderierten über die Mautstraße zurück und stiegen auf den Hügel mit seiner Krone aus grauweißem, flammendurchzucktem Rauch. Starbuck aber blieb auf der Weide, starrte das Gemisch aus Fleisch und Blut, aus weißen Rippen und blauen Därmen an, und wusste, dass er einen Mord begangen hatte. O lieber, gnädiger Gott, versuchte er zu beten, zitternd in all der Hitze, doch mit einem Mal stürmte ein Trupp Nordstaatler an ihm vorbei, und einer trat Starbuck die Pistole aus den kraftlosen Fingern, und dann traf der messingbeschlagene Schaft eines Gewehrs seinen Hinterkopf, und er fiel vornüber, während eine Yankee-Stimme knurrte, er solle sich nicht rühren.

Er lag mit dem Gesicht im süß duftenden Gras und dachte an Ridleys letzten verzweifelten Blick über die Schulter, bei dem das Weiße in seinen Augen sichtbar war, an das Entsetzen auf Ridleys sterbendem Gesicht, das Geschenk eines Mädchens, das er in Richmond betrogen hatte. Es hatte eine Sekunde, nur eine kurze Sekunde gedauert, zum Mörder zu werden. O Gott, dachte Starbuck, doch er konnte nicht beten, denn er empfand keine Reue. Er spürte kein Schuldbewusstsein. Er wollte einfach nur um Sallys Willen lachen, weil er ihr Vertrauen nicht enttäuscht und ihren Feind getötet hatte. Er hatte eine Freundespflicht erfüllt, und dieser Gedanke brachte ihn dazu, laut zu lachen.

«Rumdrehen!» Ein Mann schubste ihn mit dem Bajonett an. «Dreh dich rum, du verrückter Bastard!»

Starbuck rollte sich auf den Rücken. Zwei bärtige Männer durchsuchten seine Beutel und Taschen, fanden aber nichts, was sich zu stehlen lohnte, bis auf seine Munitionstasche mit einer Handvoll Patronen für die Savage-Pistole. «Von dem ist weniger zu holen als von einem verhungerten Köter», sagte einer der beiden Männer und hob mit vor Abscheu verzogenem Gesicht das Kinn in Richtung der schrecklichen blutigen Masse, die einmal Ethan Ridley gewesen war. «Willst du den Fleischhaufen dort durchsuchen, Jack?»

«Nein, verflucht. Auf die Beine!» Er stieß Starbuck mit seinem Bajonett an. «Dort rüber, Rebell.»

Etwa zwanzig Gefangene waren am Waldrand zusammengetrieben worden. Die Hälfte stammte aus der Legion, die übrigen waren entweder aus South Carolina oder von dem Zuavenregiment aus Louisiana. Die konföderierten Gefangenen saßen niedergeschlagen auf dem Boden und sahen zu, wie sich die Nordstaatenregimenter immer zahlreicher auf den niedrigeren Hängen des gegenüberliegenden Hügels sammelten. Immer neue Regimenter tauchten vom Bull Run her auf und rückten vor, um die Angriffsmacht zu verstärken. Immer mehr Kanonen wurden von der Mautstraße heruntergefahren und auf die konföderierten Verteidiger gerichtet. «Was passiert jetzt mit uns?», fragte einer der Gefangenen aus der Legion Starbuck.

«Ich weiß nicht.»

«Ihnen passiert nichts», sagte ein Mann gereizt. «Sie sind Offizier, die werden ausgetauscht, aber wir nicht. Die werden uns erst nach der Erntezeit wieder freilassen.»

Ein Sergeant der Yankees hatte das Gespräch gehört. «Dann hättet ihr eben keinen Aufstand anzetteln sollen, oder?»

Um ein Uhr nachmittags wurden die Gefangenen zu dem roten Feldsteinhaus an der Kreuzung hinuntergeführt. Die Yankee-Soldaten bereiteten sich noch auf den Angriff vor, der den letzten Widerstand des Südens brechen würde, und während sich die Truppen sammelten, feuerte die Artillerie beider Seiten Granaten über ihre Köpfe, die Geschützbatterien auf den beiden Hügeln beschossen sich gegenseitig und sorgten für eine nicht endende Reihe Verwundeter, die zu dem im Steinhaus eingerichteten Lazarettposten hinkten, taumelten oder getragen wurden.

Starbuck, der wegen seines verdrehten Knöchels hinkte und dessen Uniform mit Ridleys Blut getränkt war, wurde auf die Küchentür des Hauses zugeschoben. «Ich bin nicht verwundet», protestierte er.

«Maul halten und reingehen. Du machst, was dir gesagt wird», fauchte der Sergeant und befahl anschließend den nicht verwundeten Gefangenen, sich um das Dutzend Verwundeter zu kümmern, die nach ihrer Operation ins Freie getragen worden waren. In dem Haus entdeckte Starbuck weitere Männer aus der Legion Faulconer. Einer aus der Kompanie K hatte durch eine Granatenexplosion ein Bein verloren, zwei hatten Lungendurchschüsse von Gewehrkugeln, einer war blind geworden und einem anderen steckte eine Minié-Kugel im Unterkiefer, aus dem eine Mischung von Blut und Speichel rann.

Ein Arzt mit rotem Bart arbeitete an einem Tisch, der in das Licht geschoben worden war, das durchs Küchenfenster hereinfiel. Er amputierte dem Verletzten ein Bein, und seine Knochensäge machte ein knirschendes Geräusch, bei dem Starbuck die Zähne schmerzten. Der Verwundete, ein Nordstaatler, stöhnte grauenvoll, und der Assistent des Arztes träufelte mehr Chloroform auf einen gefalteten Leinenlappen, den er dem Mann anschließend vor Nase und Mund hielt. Sowohl dem Arzt als auch seinem Assistenten liefen Schweißbäche vom Gesicht. Es war erstickend heiß in dem Raum, nicht nur aufgrund des warmen Sommertages, sondern auch durch ein lebhaftes Feuer im Küchenherd, über dem Wasser abgekocht wurde.

Der Arzt legte die Säge weg und nahm ein Skalpell mit langer Klinge in die Hand, um die Operation abzuschließen. Das blutige Bein, immer noch mit einem Stiefel und einer Socke bekleidet, fiel auf den Boden. «Ist mal was anderes als Syphilisbehandlung», sagte der Arzt heiter und wischte sich die Stirn an seinem Ärmel ab. «Das haben wir die letzten drei Monate ausschließlich gemacht. Syphilisbehandlung! Ihr Südstaatler hättet gar keine Armee aufzustellen brauchen, ihr hättet einfach nur eure Huren zu uns raufschicken müssen, die hätten uns dann alle infiziert und uns eine Menge Ärger erspart. Er ist doch noch bei uns, oder?» Diese Frage galt seinem Assistenten.

«Ja, Sir.»

«Gib ihm einen Hauch Ammoniak, damit ihm klarwird, dass er noch nicht an die Himmelspforte klopft.» Der rotbärtige Chirurg tastete mit einer Pinzette nach den Arterien, die abgebunden werden mussten. Er hatte den Knochenstumpf glatt gefeilt, und nachdem die Arterien abgeklemmt waren, schob er Fleisch über das Ende des Knochens, bevor er die Oberschenkelhaut darüberzog. Mit geübten Stichen schloss er den neugeformten Beinstumpf und löste anschließend den Druckverband, mit dem er die Blutversorgung des Oberschenkels während der Operation unterbrochen hatte. «Der nächste Held», bemerkte er trocken, um das Ende der Prozedur zu verkünden.

«Der kommt nicht durch, Sir.» Der Assistent hielt ein offenes Fläschchen mit Ammoniumcarbonat an die Nase des Patienten.

«Gib mir das Chloroform», sagte der Doktor, dann nahm er ein Skalpell und schnitt die zerfetzte, blutige Hose des Patienten auf, um die Genitalien freizulegen. «Sehet, ein Wunder», verkündete der Arzt und tröpfelte dem bewusstlosen Mann Chloroform auf die Hoden. Der Mann schien sich zu verkrampfen, doch dann öffnete er die Augen, brüllte vor Schmerz und versuchte sich aufzurichten. «Gefrorene Eier», sagte der Arzt gut gelaunt, «in Fachkreisen als Lazaruseffekt bekannt.» Er verschloss das Chloroformfläschchen mit einem Korken, trat von dem Tisch weg und suchte bei seinem unfreiwilligen Publikum nach Beifall für seinen Witz. Sein Blick fiel auf Starbuck, der von oben bis unten mit Blut besudelt war. «Du meine Güte, warum bist du nicht tot?»

«Weil ich nicht verwundet bin. Das ist nicht mein Blut.»

«Wenn du nicht verwundet bist, dann scher dich hier raus. Geh raus und sieh dir an, wie deine verdammten Träume zum Teufel gehen.»

Starbuck ging in den Hof und lehnte sich an die Hausmauer. Die Sonne schien grell auf die schreckliche Niederlage der Rebellen herunter. Die Weide im Norden, wo Evans seine dem Untergang geweihten Kompanien dem siegreichen Yankee-Vormarsch entgegengestellt hatte, war verlassen – abgesehen von den Toten und den verwundeten Pferden, die noch dort lagen.

Die Schlacht war über die Felder gezogen wie eine riesige Welle, die von einem Sturm vorangetrieben wurde, und nun stieg sie den Hügel Richtung Henry House hinauf, wo sich die Angreiferwelle an der zweiten Verteidigungslinie der Konföderierten brach. Die erste Verteidigungslinie hatte Nathan Evans aus einer dürftigen Reihe Männer zusammengestellt, und sie hatten den Angriff aus dem Norden lange genug aufgehalten, damit Thomas Jackson seine zweite Linie aufstellen konnte, die nun von den Yankees angegangen wurde. Neu eingetroffene Kanonen der Nordstaatler wurden auf die Hügelkuppe gezogen, während lange blaue Infanteristenkolonnen hinter den Kanonen marschierten, um jene Kameraden zu unterstützen, die schon den Hügelkamm angriffen. Die Kanonen der Rebellen, die ursprünglich vorn auf der Kuppe gestanden hatten, waren unter dem Vormarsch der Yankees weiter zurückgezogen worden. Verzweifelt ließ sich Starbuck neben der Küchentreppe des Steinhauses nieder und sah den Kanonenkugeln nach, die von den Konföderierten über das Plateau geschossen wurden und eine Rauchspur über den Himmel zogen. Diese vergeudeten Kanonenkugeln bewiesen, dass die Rebellenarmee noch kämpfte, aber auf der Mautstraße drängte sich inzwischen so viel Artillerie und Infanterie des Nordens, dass Starbuck nicht sah, wie der Widerstand aufrechterhalten werden sollte.

«Was zum Teufel machst du hier?», wollte der übereifrige Sergeant von Starbuck wissen.

«Der Doktor hat mich rausgeschickt.»

«Du sollst nicht hier sitzen. Geh dort rüber, zu den anderen Gefangenen.» Der Sergeant deutete auf das andere Ende des Hofes, wo eine kleine Gruppe unverletzter Rebellen unter Bewachung auf dem Boden saß.

«Der Doktor hat gesagt, ich soll mir das Blut abwaschen», log Starbuck. Er hatte gerade einen Brunnen neben der Straße bemerkt und hoffte, sich durch die Lüge ein paar Schlucke Wasser verschaffen zu können.

Der Sergeant zögerte, dann nickte er. «Aber beeil dich.»

Starbuck ging zu dem Brunnen und zog den Holzkübel herauf. Er hatte sich vorm Trinken das Gesicht waschen wollen, aber nun war er zu durstig. Gierig zog er den Kübel mit beiden Händen zum Mund und trank hastig in großen Schlucken. Das erfrischend kühle Wasser lief ihm übers Gesicht und die blutige Uniform, und er trank immer weiter, löschte den brennenden Durst nach den Stunden in der Hitze und im Pulverrauch.

Danach stellte er keuchend den Kübel auf dem Rand des Brunnens ab und entdeckte eine hübsche Frau mit blauen Augen, die ihn beobachtete. Er starrte zurück. Eine Frau. Er musste träumen. Eine Frau! Und eine schöne Frau, ein Engel, eine Vision, eine saubere, frische, hübsche Frau in einem weißen Spitzenkleid und einer rosa geränderten Haube, deren Gesicht von einem weißen Fransensonnenschirm beschattet wurde, und Starbuck starrte sie einfach nur an, fragte sich, ob er dabei war, verrückt zu werden, als die Frau plötzlich in Gelächter ausbrach.

«Lass die Lady in Ruhe!», brüllte der Sergeant. «Komm hierher zurück, Rebell!»

«Lassen Sie ihn bleiben!», verlangte die Frau gebieterisch. Sie saß gleich hinter dem Hofzaun mit einem wesentlich älteren Mann in einer offenen Kutsche, die von zwei Pferden gezogen wurde. Ein Schwarzer hockte auf dem Kutschbock, während ein Lieutenant der Union versuchte, die Kutsche zum Umdrehen zu bewegen. Sie seien viel zu weit nach vorn an die Front gefahren, erklärte der junge Offizier dem Begleiter der Frau, und dass es hier gefährlich sei und sie besser nicht über die Brücke gekommen wären.

«Wissen Sie, wer ich bin?» Der Mann war ein Dandy mittleren Alters mit einer bunten Weste, hohem Zylinder und einem weißen Seidenbinder. In der Hand hielt er einen Gehstock mit Goldknauf, und sein kleines graues Bärtchen war elegant zu einer Spitze gestutzt.

«Sir, ich muss nicht wissen, wer Sie sind», sagte der Nordstaatenoffizier. «Sie hätten die Brücke nicht überqueren sollen, und ich muss darauf bestehen …»

«Sie wollen darauf bestehen? Lieutenant! Sie wollen darauf bestehen? Ich bin Kongressabgeordneter. Benjamin Matteson aus New Jersey, und mir gegenüber besteht man auf gar nichts!»

«Aber es ist sehr gefährlich hier, Sir», protestierte der Lieutenant schwach.

«Ein Kongressabgeordneter kann überallhin gehen, wo die Republik in Gefahr schwebt», gab der Kongressabgeordnete Matteson hochmütig zurück. In Wahrheit war er, wie so viele andere Angehörige der Washingtoner Gesellschaft, einfach der Armee gefolgt, um später behaupten zu können, am Sieg Anteil gehabt zu haben und um ein paar unbedeutende Andenken wie Patronenhülsen oder die blutverschmierte Kappe eines Rebellen einzusammeln.

«Aber die Frau, Sir.» Der Lieutenant versuchte es erneut.

«Die Frau, Lieutenant, ist meine Frau, und die Frau eines Kongressabgeordneten stellt sich jeder Gefahr.» Die Frau lachte über das absurde Kompliment ihres Mannes, und Starbuck, immer noch wie betäubt von ihrem Anblick, fragte sich, warum so eine junge Schönheit einen so aufgeblasenen Kerl geheiratet hatte.

In Mrs. Mattesons Augen, die so blau waren wie das Sternenfeld der Flagge, stand der Schalk. «Sind Sie wirklich ein Rebell?», fragte sie Starbuck. Sie hatte gebleichtes blondes Haar, sehr weiße Haut, und ihr spitzenbesetztes Kleid war verschmutzt vom roten Staub der sommerlich trockenen Straße.

«Ja, Ma’am.» Starbuck starrte sie an, wie ein verdurstender Mann einen kühlen, schattigen Teich anstarren würde. Sie war so anders als die ernsthaften, langweiligen, braven Mädchen, die in der Kirche seines Vaters zur Messe gingen. Stattdessen war die Frau dieses Kongressabgeordneten das, was Reverend Elial Starbuck als liederliches Weib, als Schlange, als Isebel bezeichnet hätte. Sie war, wie Starbuck nun feststellte, das Abbild und das Ideal all dessen, was Sally Truslow sein wollte, und all dessen, was er sich von einer Frau wünschte, denn die alttestamentarische Strenge seines Vaters hatte eine Sehnsucht nach genau solchen verbotenen Früchten in Nathaniel Starbuck geweckt. «Ja, Ma’am», wiederholte er, «ich bin ein Rebell.» Er versuchte, möglichst tollkühn zu klingen.

«Insgeheim», vertraute die Frau Starbuck mit einer Stimme an, die klar über die Kakophonie aus Granaten und Musketen trug und bis zu jedem Gefangenen in dem Hof drang, «bin ich auch eine Lincoln-Hasserin.»

Darüber lachte ihr Mann etwas zu laut. «Sei nicht lächerlich, Lucy! Du kommst aus Pennsylvania!» Mit seiner behandschuhten Hand klopfte er seiner Frau tadelnd aufs Knie. «Aus dem großen Staat Pennsylvania.»

Lucy schob seine Hand weg. «Benimm dich nicht so widerwärtig, Ben. Ich bin eine Lincoln-Hasserin durch und durch.» Sie schaute auf den breiten Rücken ihres Kutschers. «Bin ich eine Rebellin oder nicht, Joseph?»

«Das sind Sie, Missus, ganz bestimmt.» Der Kutscher lachte.

«Und wenn wir gewinnen, dann versklave ich dich, Joseph, oder nicht?»

«Das werden Sie, Missus, das werden Sie.» Wieder lachte er.

Lucy Matteson richtete ihren Blick wieder auf Starbuck. «Sind Sie schwer verletzt?»

«Nein, Ma’am.»

«Was ist passiert?»

«Mein Pferd wurde erschossen, Ma’am. Ich bin heruntergefallen. Und dann wurde ich gefangen genommen.»

«Haben Sie», setzte sie zu einer Frage an, errötete leicht und fuhr nach einem kleinen Lächeln fort, «haben Sie jemanden getötet?»

In Starbuck flackerte das Bild Ridleys auf, wie er rücklings vom Pferd stürzte. «Ich weiß nicht, Ma’am.»

«Ich glaube, ich hätte Lust, jemanden zu töten. Wir haben gestern Nacht in einer überaus unbequemen Bauernhausküche in Centreville geschlafen, und Gott weiß, wo wir heute übernachten. Wenn wir überhaupt zum Schlafen kommen, was ich bezweifle. Die Unbilden des Krieges.» Sie lachte und zeigte dabei kleine, sehr weiße Zähne. «Gibt es in Manassas Junction ein Hotel?»

«Ich weiß von keinem, Ma’am», sagte Starbuck.

«Sie klingen nicht wie ein Südstaatler», unterbrach der Kongressabgeordnete das Gespräch in säuerlichem Ton.

Starbuck, der keine Erklärungen abgeben wollte, zuckte nur mit den Schultern.

«Sie sind geheimnisvoll!» Lucy Matteson klatschte in die behandschuhten Hände, dann streckte sie ihm eine Schachtel mit Seidenpapier entgegen. «Nehmen Sie eins», sagte sie.

Da sah Starbuck, dass eingebettet in das Seidenpapier kandierte Früchte lagen. «Sind Sie sicher, Ma’am?»

«Ja, natürlich! Bedienen Sie sich.» Sie lächelte Starbuck an, als er ein Fruchtstück nahm. «Werden Sie nach Washington gebracht? Was meinen Sie?»

«Ich weiß nicht, was sie mit den Gefangenen vorhaben, Ma’am.»

«Das machen sie ganz bestimmt. Sie werden eine riesige Siegesparade organisieren, mit lauter Musik und Glückwunschreden, und die Gefangenen werden mit vorgehaltener Waffe durch die Stadt getrieben, bevor man sie im Garten des Weißen Hauses abschlachtet.»

«Sei nicht so lächerlich, Lucy. Ich bitte dich.» Der ehrenwerte Benjamin Matteson runzelte die Stirn.

«Dann werden Sie vielleicht auf Bewährung freigelassen.» Lucy Matteson lächelte Starbuck an. «Und dann kommen Sie zum Abendessen. Nein, Benjamin, keine Einwände, ich habe mich entschieden. Gib mir eine carte de visite, schnell!» Sie streckte ihre Hand aus, bis ihr Mann mit offenkundigem Unwillen eine Karte herausgab, die sie lächelnd an Starbuck weiterreichte. «Wir Rebellen werden uns unter den missbilligenden Blicken der kaltherzigen Nordstaatler unsere Kriegserlebnisse erzählen. Und falls Sie im Gefängnis irgendetwas brauchen, dann müssen Sie sich melden. Ich wünschte, ich könnte ihnen jetzt noch etwas anderes geben als kandierte Früchte, aber der Herr Kongressabgeordnete hat all unser kaltes Huhn aufgegessen, weil er meinte, es würde verderben, sobald die Eiswürfel geschmolzen wären.» In ihrer Stimme lag reine Gehässigkeit, und Starbuck musste lachen.

Der Lieutenant, der ursprünglich versucht hatte, die Kutsche des Kongressabgeordneten zum Umdrehen zu bringen, kehrte nun mit einem Major zurück, dessen Autorität erheblich größer war. Den Major hätte es nicht einmal gekümmert, wenn der halbe US-Kongress in der Kutsche gesessen hätte, sie hatte die Mautstraße trotzdem nicht mitten in einer Schlacht zu blockieren, also grüßte er Lucy Matteson, indem er die Hand an die Hutkrempe legte, und anschließend bestand er darauf, dass der Fahrer die Kutsche umdrehte und über den Bull Run zurückfuhr.

«Wissen Sie, wer ich bin?», fragte der Kongressabgeordnete Matteson aufgebracht, und dann duckte er sich, weil hundert Schritt entfernt eine Rebellengranate explodierte und ein Metallsplitter über ihm vorbeiraste, bevor er die Hauswand traf, ohne Schaden anzurichten.

«Meinetwegen können Sie auch der Kaiser von Frankreich sein. Und jetzt machen Sie, dass Sie hier wegkommen, zum Teufel. Sofort! Bewegung!»

Lucy Matteson lächelte Starbuck an, als sich die Kutsche mit einem Ruck in Gang setzte. «Kommen Sie uns in Washington besuchen!»

Lachend trat Starbuck zurück. Über ihm rauchte der Hügel wie ein Vulkan, und die Granaten und das Gewehrfeuer pfiffen, und die Verwundeten schleppten sich über die Kreuzung zurück, wo die Gefangenen auf ihre Haft warteten und die Yankees auf den Sieg und die Toten auf ihre Beerdigung. Der Lieutenant beachtete Starbuck nicht mehr, weil es ihm nun anscheinend gleichgültig war, ob dieser zu den anderen Gefangenen zurückging, und so setzte sich Starbuck mit dem Rücken an die sonnenwarme Mauer des Hauses, schloss die Augen und fragte sich, was ihm die Zukunft wohl bringen würde. Er ging davon aus, dass die gesamte Südstaatenrebellion auf diesen Feldern niedergeschlagen wurde, und er dachte daran, wie sehr er den schnellen Ausgang dieses Krieges bedauern würde. Er hatte den Elefanten gesehen, und er wollte noch mehr davon. Es war nicht das Grauen, das ihn anzog, nicht die Erinnerung an das abgetrennte Bein, das über die Straße wirbelte, und auch nicht das Gesicht des Mannes, das sich in Rauch und Blut auflöste – es war die Neuordnung der Schöpfung, die Starbuck reizte. Der Krieg, das hatte Starbuck an diesem Tag gelernt, nahm alles, was existierte, schüttelte es durch und ließ die einzelnen Teile fallen, wohin sie fallen mochten. Der Krieg war ein gigantisches Glücksspiel, eine riesige Lotterie, eine Verleugnung aller Vorherbestimmung und Besonnenheit. Der Krieg würde Starbuck vor dem Schicksal eines wohlanständigen Familienlebens retten, während der Frieden nur Pflicht war. Der Krieg hatte ihn von diesen Verpflichtungen befreit, und der Frieden hatte nichts als Langeweile zu bieten, und Nathaniel Starbuck war jung und selbstbewusst genug, um nichts auf der Welt mehr zu hassen als Langeweile.

Doch jetzt war er ein Gefangener, und das Dröhnen der Schlacht ging weiter, während Starbuck, gewärmt von der Sonne und erschöpft von dem Tag, einschlief.