Im Türrahmen stand, zwei Meter groß, das geballte Böse: Cyrus Clay sah wahrhaftig nicht fröhlich aus.

Sein Gesicht war blutverschmiert, und der Inhalt seines Bauches schien durch mehrere Schnittwunden herauszuhängen. Seine schwarzen Eingeweide tropften und baumelten bei jedem Schritt gegen seine Oberschenkel.

Er knurrte.

Dann griff er an.

Er war schneller als jede der anderen Kreaturen die sie gesehen hatten, es war unmenschlich. Er preschte sofort auf Shane zu, in seiner Hand – ein Fleischerbeil. Shane drehte seinen Kopf beiseite, um nicht aufgeschlitzt zu werden. Er spürte den Windzug der Klinge über seinem Gesicht. Billy rief etwas, das Shane nicht verstand. Alles, was er hörte war das Zischen des Beils, dass die Luft über ihm spaltete.

Kurz darauf stürzte sich die Kreatur auf Shane. Die beiden fielen zu Boden, Shane schnappte nach Luft, es schien keine mehr vorhanden zu sein.

Das Monster – ehemals Cyrus Clay –, versuchte seine schmutzigen Zähne in Shanes Kehle zu versenken. Shane gelang es, sich unter dem enormen Gewicht seines Gegners hervorzuwinden. Die Zähne bissen ins Nichts.

Cyrus’ Kiefer schnappte nach links, dann nach rechts. Eine Faust, und zwar die von Billy, traf den hektischen Kopf, als dieser versuchte in Shanes Gesicht zu beißen. Der schwarze Sabber hing aus seinem Maul. Als er auf Shanes Overall auftraf, dehnte er sich und riss ab.

»Erstich ihn!«, schrie Shane halb unter der Kreatur hervor, doch Billy konnte nicht nahe genug heran. Es bewegte sich zu ruckartig, um einen präzisen Schnitt hinzubekommen. Abgesehen davon war Billy besorgt, wenn er die Kreatur aufschlitzte, dass das Herausspritzende Shane infizieren könnte. Vielleicht reichte nur ein einziger Tropfen in seinem Mund, um ihn zu infizieren.

Das war ein Risiko, das er nicht eingehen wollte.

Die Kreatur hob das Beil an, doch Shane erkannte die Absicht, packte es am Handgelenk und zwang es zu Boden.

Der Blick der Kreatur spiegelte reine Mordlust.

Shane umklammerte den Aluminiumschiene, hob diesen hoch, sodass er zwischen ihnen war.

Billy trat nach Cyrus, der einen guturalten Schrei aus Wut und Frustration von sich gab. Der Fuß traf die Kreatur seitlich am Hals, verursachte einen Riss nahe des Kopfes.

Shane zog langsam seine Waffe hoch, bis diese sich unter dem vollgeschleimten Kinn des Dings befand.

»Fick dich!«, keuchte Shane und stieß mit dem Stab so fest er konnte zu. Das Aluminium fuhr durch Kinn und Gaumen des Geschöpfes, hinter der Nase entlang bis ins Gehirn. Auf seinem Gesicht entstand kurz ein Bild der Verwirrung, kurzzeitig traten die Augen aus den Höhlen, als würden sie gleich herausfallen und das Gesicht der Kreatur näherte sich Shane, als das Leben aus ihr wich.

»Brauchst du Hilfe?«, fragte Billy. Shane erkannte den nervös lächelnden Blick seines Freundes.

»Zieh das Ding von mir runter«, bat Shane. »Es wiegt eine Tonne.«

Billy zerrte den Toten beiseite, gleichzeitig zog Shane die Waffe aus dessen Schädel. Sofort sprudelte schwarzes Sekret heraus. Das Aluminiumteil sah wie ein Ölmessstab aus, der gerade verwendet wurde, um den Ölstand zu messen.

Shane sprang auf, als hätte ihn etwas gestochen.

»Hast du was von dieser Scheiße in den Mund bekommen?«, fragte Billy, der sich selbst nach möglichen Wunden und Kratzern überprüfte.

»Denke nicht«, antwortete Shane. Billy konnte in Shanes Gesichtsausdruck die Besorgnis ablesen.

Was, wenn durch eine unglückliche Wendung des Schicksals, Blut oder Speichels in seinen Mund getropft war und ihn infiziert hatte?

»Du siehst okay aus«, beruhigte Billy ihn.

»Scheint so«, antwortete Shane.

»Dann lass uns aus dieser beschissenen Kantine abhauen, bevor noch mehr von denen auftauchen.«

Das, fand Shane, war die beste Idee, die Billy je geäußert hatte.


***


Die Wachen auf der Mauer waren sich einig, genug sei genug, und sie zogen gemeinsam los, um herauszufinden, was los war, weshalb sie nicht abgelöst wurden und wie viele Überstunden sie überhaupt schon zusammenhatten.

Sie begaben sich ins Innere der Einrichtung, wo sie von einer hungrigen Horde in Empfang genommen wurden. Sie fanden sich von Angesicht zu Angesicht mit den Insassen gegenüber, die sie des Öfteren beschimpft, geschlagen und sonst was hatten, um sich im Anschluss darüber lustig zu machen.

Als sie in Panik gerieten, war die Ironie des Schicksals spürbar.

Aus der Acht-Mann-Patrouille kehrten vier von den Toten zurück. Die anderen vier entpuppten sich als köstliche Mahlzeit – vielleicht die Beste, die besagte Gefangenen seit sehr langer Zeit hatten.


***


Das Tor, welches den Zutritt in den Hof verschaffte, war verschlossen. Terry hatte es bereits vermutet, doch Jared schien es nur schwer zu verdauen. Er nervte Terry, und Marla war nicht allzu erpicht darauf, Jared weiter zu ertragen, so wie er sich benahm. Es war nicht sicher, solche verwirrten, durchgeknallten Idioten um sich zu haben. Jared war dabei, ihr aller Leben zu riskieren und Marla hatte nicht vor, das zu akzeptieren.

»Und was jetzt?«, jammerte Jared. Seine Augenbrauen schienen ihren Platz auf dem obersten Teil seiner Stirn eingenommen zu haben. »Zum Teufel, was machen wir jetzt, Terry?«

»Ich denke nach«, knurrte Terry, und Marla fragte sich, wie lange Terry wohl Jared in der Zelle ertragen hatte, ohne ihm seinen verfluchten Kopf abzureißen.

Marla entfernte sich ein wenig, was Terry ermöglichte, nachzudenken. Und Jared jammerte. Sie lauschte auf die Geräusche, die von überall herzukommen schienen. Schreie, Gegrunze, Kratzgeräusche, Stöhnen. Das ganze Gefängnis ächzte.

In gewisser Weise war es lebendiger als je zuvor.

Egal wie sie darüber dachte, sie wusste, dass die Dinge nie wieder so sein würden, wie sie es mal waren. Selbst wenn sie die Nacht überleben sollten, würde es nicht erklären, was hier vor sich ging. Angenommen diese Kreaturen würden aus eigenem Antrieb sterben, wenn sie nichts zu Essen bekämen und einfach aushungern würden, welchen Beweis hätten sie dann für die unerklärlichen Ereignisse? Niemand bei klarem Verstand würde auch nur ein Wort davon glauben. Marla konnte es selbst kaum glauben, obwohl sie es erlebt hatte.

Sie drehte sich um und sah zu ihren beiden Begleitern, die sich stritten, was nicht sehr überraschend war.

»Was?«, fragte sie.

»Terry möchte, dass wir uns auf den Weg zur Kapelle machen«, erklärte Jared. »Er ist ein Mann des Glaubens, nicht wahr Terry?«

»Und wo liegt das Problem?«, fragte Marla.

»Die Kapelle«, seufzte Jared, »liegt auf der anderen Seite vom Gefängnis. Nur weil Terry seinen Glauben wieder erlangt hat, glaubt er, dass es keine andere Chance auf der Welt gibt.«

Marla antwortete Jared nicht.

»Tut mir leid«, sagte sie zu Terry. »Wollen Sie wirklich, dass wir durch das halbe Gefängnis latschen, nur weil Sie sich einbilden, dass Gott uns hier heraushilft?«

Terry nickte. »Wird er.«

Marla zuckte mit den Schultern. »Hier herumzustehen und darauf zu warten, dass sie uns finden ist genauso gefährlich.« Sie wandte sich an Jared, der ungläubig dreinsah. »Gott wird es richten.«

»Ihr habt doch den Verstand verloren«, schimpfte Jared, der versuchte, das Volumen seiner Stimme zu minimieren. »Das ist Selbstmord

»Ebenso wie hier bleiben und zu warten«, sagte Terry. »Die Kapelle ist sicher. Du hast mein Wort.«

Terrys Wort, dachte Jared, war ebenso unnütz wie Titten auf einem Fisch. Wieso sollte die Kapelle sicher sein? Dies war kaum noch ein Hochsicherheitsgefängnis, selbst wenn sie es schaffen würden, was sollten sie dort machen? Es aussitzen? Darauf zu hoffen, dass die Kavallerie kam und die Horden umpustete?

»Mir gefällt das nicht«, betonte Jared.

»Zur Kenntnis genommen«, lächelte Terry. »Gehen wir. Wenn uns die Bestien hier erwischen, haben wir keine Chance.«

Marla nickte. »Dann los.«

Sie wollten gerade aufbrechen, als sie in die Enge getrieben wurden, und es bewahrheitete sich, was Terry gesagt hatte.

Sie hatten keine Chance.


***


»Halt!«, schrie Jenson und zielte mit seiner Schrotflinte auf Marla. Als ihm bewusst wurde, wer sie war, klang er erleichtert. »Doc, sind Sie oder irgendwer von Ihnen infiziert?«

Marla schüttelte ihren Kopf. »Nein«, sagte sie. Ihre Arme hielt sie immer noch in die Luft, was eine gute Idee zu sein schien, als sie in den Lauf der Schrotflinte schaute.

»Das sind zwei Häftlinge«, sagte Michaelson, der beide Pistolen hochhielt und damit wie ein Lone Ranger aussah. »Hoffe ihr nutzt die Lage nicht aus, um freizukommen.«

Terry schüttelte den Kopf. »Nicht im Geringsten«, lächelte er. »Eigentlich vermisse ich meine Zelle. Das warme Bett, die gute Mahlzeit …«

»Halt’s Maul«, schnappte Jenson. »Oder ich puste dich hier an Ort und Stelle um.«

Jared machte ein quietschendes Geräusch, er war sich nicht sicher, woher es kam. »Wir versuchen nicht auszubrechen«, flehte er. »Wir versuchen nur, nicht getötet zu werden.«

Michaelson steckte eine seiner Pistolen weg und trat einen Schritt auf Marla zu, die wiederum einen zurück machte.

»Wir sind nicht infiziert«, sagte Jenson. »Wir haben schon eine ganze Weile keinen mehr von denen gesehen. Seit wir unsere Waffen haben.« Er beendete den Satz mit ein wenig Bedauern. Die Waffen waren dazu da, um sie einzusetzen, doch leider hatte der arme Officer Jenson noch keine Gelegenheit dazu gehabt.

»Von wo kommt ihr?«, fragte Marla.

»Der Waffenkammer«, antwortete Jenson, der seine Schrotflinte immer noch so hielt, als hätte er sie auf einer Jahrmarkt gewonnen. »Dann hörten wir Geräusche. Dachten sie kämen auf uns zu.«

»Aber ihr habt keine von denen gesehen?«, fragte Jared, in dessen Stimme mehr als nur ein Hauch Sorge mitschwang.

»Nicht mal einen«, sagte Michaelson, während er seine zweite Pistole einsteckte. Er stufte diese Situation als ungefährlich ein.

»Wenn das so ist, worauf warten wir noch?«, fragte Jared und trat einen Schritt vor.

Michaelson griff nach unten und umfasste mit seiner Hand den Griff der Pistole. Jared blieb sofort stehen. »Wir warten«, fing er an, »bis wir entschieden haben, was wir machen.«

Marla wurde in diesem Moment klar, dass dieses Aufeinandertreffen nicht das Beste war, was passieren konnte. Gewiss, sie hatten ein paar Waffen und waren darin ausgebildet, doch auch sie würden von den Monstern in die Ecke getrieben werden.

»Wir wollten in die Kapelle gehen«, sagte Terry und durchbrach die Stille.

»Was ihr wollt, ist nicht von Belang«, höhnte Michaelson. »Ihr macht das, was wir sagen.«

Marla verdrehte die Augen. Dieser Macho Scheißkerl war das Letzte, was sie hier brauchten.

Jared war erleichtert – es waren Wachen, Männer mit Waffen. Was konnte da schon schief gehen?

Die Antwort auf diese Frage würde bald folgen.


***


Der Gang war leer, abgesehen von den fünf Überlebenden. Die Wachen waren vor Ihnen und versuchten auszusehen, als wüssten sie, was zu tun war und sie machten ein richtiges Schauspiel daraus. Die Art und Weise, wie sie mit ihren Waffen herumgingen, bewies, dass sie viel Zeit mit Stirb Langsam verbracht haben mussten, oder dergleichen Videospielen, während ihre Frauen beim Wocheneinkauf waren.

Marla für ihren Teil, fühlte sich unwohl.

»Also, wie sieht der Plan aus?«, fragte Terry gelassen. Seine Hände hatte er lässig in die Hosentaschen gesteckt, und sein Gang wirkte zurückhaltend.

»Wir gehen zum Funkgerät«, murmelte Michaelson. »Wenn wir durchkommen, kommen wir hier vermutlich als Ganzes raus.«

Marla verstand, was sie suchten. »Das Funkgerät befindet sich im Büro des Direktors«, sagte sie. Sie wollte es wie eine Frage klingen lassen, doch sie wusste, wo sie es gesehen hatte.

»Richtig«, sagte Jenson. »Hat eine Direktverbindung zum Armeestützpunkt und der Jackson Polizeistation. Damit können wir herausfinden, was hier los ist und kommen hier verflucht nochmal raus.«

Theoretisch klang es perfekt, doch das taten alle Dinge auf Papier.

»Ich war dort«, sagte Marla. »Bin da einem von denen über den Weg gelaufen.«

»Haben Sie es getötet?«, fragte Jared plötzlich gleichermaßen fasziniert wie verängstigt. »Bitte sagen Sie mir, dass sie es getötet haben.«

»Ich habe es getötet«, sagte sie. »Ich hatte keine andere Wahl, nachdem es wie ein wildes Tier auf mich losgegangen ist.«

»Das sind keine Menschen mehr, und sie greifen ohne jeden Grund an«, meinte Michaelson.

»Ich weiß«, sagte Marla. »Wie ich schon sagte, unsere Wege haben sich gekreuzt.«

»Gab es dort noch mehr von denen?«, wollte Jenson wissen.

Jared nickte bei der Frage und wartete gespannt auf die Antwort.

»Ein paar«, sagte Marla. »Doch sie schienen zu beschäftigt mit dem, was sie aßen. Allerdings möchte ich wetten, dass sie mit ihrem Abendmahl jetzt fertig sind.«

»Sie hat recht«, sagte Terry Lewis, er zog seine Hände aus den Hosentaschen. »Sie würden uns sofort erwischen.«

»Wir werden nicht zu deiner beschissenen Kapelle gehen«, grunzte Michaelson. »Erstens, weil es eine dämliche Idee ist und zweitens, weil ich dich nicht leiden kann. Du bist ein beschissener Sträfling, nicht besser als die Monster, die hier herumlaufen.«

Terry zuckte lässig mit den Schultern. »Wenn Sie es für richtig halten«, sagte er. »Es ist ja nicht so, als hätten wir eine verfluchte Wahl.«

»Das ist korrekt«, Jenson trat vor, seine Flinte baumelte neben seinem Bein. »Das nächste Mal solltest du deine beschissene Meinung für dich behalten.«

Terry grinste, sagte aber nichts dazu. Er wusste, dass es sinnlos war.

Die Stille blieb eine Weile erhalten. Terry blieb wie Marla einige Meter hinter den Wachen, die vorausgingen und ihre Gewehre am Anschlag hielten. Die Macht, die mit den Waffen kam, weckte falsches Vertrauen, und diese falsche Zuversicht würde es sein, die sie zum Schluss alle töten würde.

Als sie durch ein Tor schlüpften und dorthin schlichen, wo die Zellen waren, veränderte sich die Atmosphäre dramatisch. Sie hatten sich sicher mit der Wand auf einer Seite gefühlt, und jetzt liefen sie im Freien, und der Mangel an Kommunikation innerhalb der Gruppe lastete schwer auf ihnen.

In der oberen Etage sahen sie zwei von ihnen, sie schlurften herum und stöhnten bei ihrer unermüdlichen Suche. Die Waffen der Wachen waren auf die Monster gerichtet, es wäre jedoch keine gute Idee, sie abzuknallen, da es möglicherweise weitere 100 – vielleicht auch mehr – aufscheuchen könnte. Das wäre Selbstmord. Der Lärm würde sie wie das Licht die Motten anziehen.

Die einzige Möglichkeit lag darin, an ihnen vorbeizuschleichen, so leise wie möglich, zwischen den Reihen entlang, und zu hoffen, dass sie in keine Kreatur hineinliefen.

»Da oben«, sagte Terry leise. Als Michaelson sich umdrehte, um zu sehen, was der Mann meinte, wünschte er sich er hätte es nicht getan.

Da waren mindestens acht, vielleicht auch zehn, und sie schienen sich zu laben. Blut tropfte durch den Stahlboden wie ein rostiger Wasserfall. Die Lache, die sich sammelte, breitete sich aus, wie von einer überlaufenden Badewanne, in die ein fettleibiger Körper sank.

Soweit es Marla beurteilen konnte, gab es im Erdgeschoss keine von denen, das war das einzig Wichtige in diesem Moment. Das grauenhafte Geräusch von tropfendem Blut schien lauter als es hätte sein sollen.

Michaelson ballte seine Faust und hielt sie hoch, ein weiterer Beweis, der Marla bestätigte, dass er zu viele Filme gesehen hatte. Diese Filme vermittelten auch, ruhig zu bleiben, sich nicht zu bewegen, nichts zu unternehmen. Mit erhobener Faust ging er ein paar Schritte vorwärts, alle folgten ihm. Für Jared gab es keine Veranlassung zurückzubleiben, nicht mit dem Ausdruck in seinem Gesicht. Michaelson drehte sich um, stellte sicher, dass die Gruppe ihm folgte und ging zufrieden weiter.

Die Kreaturen waren nun direkt über ihnen. Die Geräusche die sie machten, während sie sich nährten, waren schrecklich. Sie saugten am Fleisch und nagten an den Knochen. Marla wich gerade noch rechtzeitig einem Fleischstück aus, das klein genug war, um durch den Rost zu passen, es landete neben ihr, ein widerliches, dumpfes Platschen ertönte. Nur wenige Zentimeter, und es wäre auf ihrem Kopf gelandet, sie verbot sich, weiter darüber nachzudenken.

Michaelsons Pistole war nach vorne gerichtet, langsam gingen sie weiter. Alle folgten sie ihm, ohne nach oben zu blicken.

Der Boden über ihnen hatte offene Stellen, verzinkter Stahl mit verdrehten Stäben. Was bedeutete, dass die über ihnen in der Lage waren, jede Bewegung unter ihnen zu verfolgen.

Marla hoffte, dass sie zu abgelenkt waren, um sie zu bemerken.

Blut tropfte vor ihnen zu Boden. Ein Klecks landete auf Jareds rechter Schulter, er musste einen Schrei unterdrücken. Er hielt sich eine Hand vor den Mund, als ob er nicht wusste, wohin damit.

Terry warf ihm einen flüchtigen Blick zu: Halt’s bloß zusammen, sonst sind wir alle tot! Jared verstand ihn und nickte.

Sie alle erreichten den Zugang, vor dem Michaelson stand. Er fing leise an, die Schlüssel an seinem Gürtel zu mustern. Als sie sich auf den Weg machten, gingen sie alle davon aus, dass diese Tür nicht abgesperrt sei.

Das war ein Fehler.

Terry griff nach Michaelsons Hand. Die Wache trat mit dem Häftling in Augenkontakt, ein Blick der sagte, dass es besser war, seine Hand loszulassen oder zu riskieren seine zu verlieren.

Die Schlüssel klirrten auf dem Ring. Alle Augen wanderten zwischen den Kreaturen und der Wache hin und her.

»Willst du in Sicherheit kommen, oder nicht?«, flüsterte Michaelson.

Terry überlegte einen Moment lang, dann ließ er die Hand der Wache los. Ein paar Sekunden starrte der Wächter in Terrys Gesicht. Marla war klar, dass er kurz davorstand, ihm eine zu verpassen, doch er tat es nicht.

Michaelson machte sich wieder an seinem Schlüsselbund zu schaffen. Ein paar Sekunden klimperte der aufeinandertreffende Stahl.

Nachdem er den Schlüssel gefunden hatte, zog Michaelson ihn von der Kette und steckte ihn in das Schloss. Leise drehte er nach rechts, der Riegel sprang auf. Trotz der Sorgfalt ertönte ein lauter metallischer Klang.

Ein Stöhnen von oben verriet ihnen, dass sie gesehen worden waren.

Stille, so schien es, war nicht mehr das Allerwichtigste.

Genau dann als Michaelson das Tor öffnete, kamen drei Kreaturen die Stiegen herab, dabei fielen sie übereinander. Einer von ihnen rutschte ab, sein Ellbogen knallte gegen das Stahlgeländer, dann stürzte er zur Seite und landete grunzend direkt neben Jenson, der sofort seine Flinte auf ihn richtete. Er hätte beinahe geschossen, hätte Terry nicht rechtzeitig seine Hand auf den Lauf gelegt.

»Was?«, schnappte Jenson.

»Wenn Sie hier herumballern, werden gleich hunderte kommen«, antwortete Terry. »Dann wären wir voll im Arsch

Die Kreatur zog sich auf die Gruppe zu, die sich bereits durch eine Tür drängte, Jenson und Terry folgten.

»Wir haben keine Zeit«, sagte Marla. »Schwingt eure Ärsche hierher.«

Die Hand der Kreatur fuhr hoch, ihr Maul war weit geöffnet, ihre Augen waren zurückgerollt, Jenson nahm seine Waffe und lief hinterher. Terry trat nach dem Ding, bevor er ebenfalls durch das Tor ging, gerade noch rechtzeitig, bevor die anderen beiden die Treppe herunter und um die Ecke kamen.

»Schnell«, rief Jared. »Schließen Sie ab!«

»Wonach, verdammt noch mal, sieht das wohl aus?«, bellte Michaelson. Er versuchte, zumindest sah es für die Gruppe so aus, den Schlüssel in das Schloss zu bekommen, doch aus irgendeinem Grund passte er nicht.

»Die Zeit geht uns aus«, sagte Marla, sie sah zu den Monstern, ein weiteres kroch auf sie zu.

»Ich kann nichts sehen!«, sagte Michaelson, er versuchte die Nerven zu behalten, mehr als je zuvor. »Ich mach so schnell ich kann!«

»Machen Sie einfach«, tadelte Terry. »Nur schneller.«

Eins der Monster knallte gegen das Tor, dabei fiel fast der Schlüssel aus Michaelsons Hand. Der Aufseher trat kurz zurück und probierte weiter. Zum Glück hatten die Dinger keine Ahnung, wie man die Tür öffnete, stattdessen knallten sie nur gegen die Gitterstäbe, als ob sie zwischen den Lücken durch wollten.

Da glitt der Schlüssel ins Loch und Michaelson drehte ihn um.

Die Erleichterung war spürbar, jeder atmete auf und Michaelson grinste, als ob er etwas Heroisches vollbracht hatte.

Die verzerrten Gesichter, die zuvor gegen die Gitter trafen, waren nun dagegen gequetscht, da es hinter ihnen zu einem Gedränge kam. Die Augen traten ihnen aus den Höhlen hervor und Sabber aus ihren Mundwinkeln.

Marla war die Erste, die zu sprechen anfing. »Sollten wir nicht weiter?«, fragte sie.

»Klingt für mich nach einer guten Idee«, sagte Terry, er wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Alle stimmten zu.


***


»Das ist absolut verrückt«, sagte Billy, als sie die Kapelle betraten. »Ich kann es wirklich kaum glauben, dass keiner überlebt hat.«

Shane nickte. »Ich weiß, aber es sieht verdammt danach aus.«

Billy gab Shane einen Klaps auf den Rücken.

»Was?«, fragte Shane.

»Jetzt bist du verflucht«, sagte Billy. »Hast du vergessen, wo wir sind?«

Shane wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. »Dieser Aberglauben ist verdammt kindisch, würde ich meinen, oder?«

»Im Gegenteil«, lächelte Billy. »Wenn überhaupt, dann sollten wir ein paar Gebete sprechen. Ich meine, keiner von uns war ein Guter, nicht im geistlichen Sinn.«

»Ja, dennoch waren wir nie besonders böse«, sagte Shane, er klang, als wollte er sich selbst mehr davon überzeugen, als Billy. »Ziemlich sicher muss keiner von uns Buße tun.«

»Ich schon«, sagte Billy. »Oder zumindest sollte ich es tun, für den Fall, dass es einen Himmel gibt.«

Shane sah zu, wie die massige Gestalt von Billy Toombs in einen Beichtstuhl schlüpfte. Allerdings gab es keinen Pfarrer, doch Billy fing an zu sprechen. Shane verstand die Worte nicht ganz, aber das musste er auch nicht.

Er wusste, Billy war nicht so schlecht, dass er die Hölle verdiente. Es handelte sich bloß um eine Vorsichtsmaßnahme, etwas, das Billy machte, um sich aufgrund seines vergeudeten Lebens und die Jahre, die er hinter Gittern verbracht hatte, besser zu fühlen.

Während Billy sein Herz ausschüttete, begab sich Shane in der Kapelle auf die Suche nach etwas Brauchbaren. Er hatte nicht erwartet, dass er etwas Waffenähnliches finden würde, aber zumindest ein Stück Seil …

Ein kleiner Schrank stand an der rechten Seite des Raumes, darauf ein Bildnis Christi, mit Stigmata und der Dornenkrone. So wie die Figur auf Shane herabstarrte, stellte es ihm die Nackenhaare auf, und einen Moment lang hielt er den Atem an.

Er wollte das Bildnis nicht zu lange ansehen und fuhr sofort mit der Suche fort. Drei Kirchenbänke befanden sich in der Kapelle, für ein Gefängnis wie dieses reichte das alle mal. Es gab nur eine sehr kleine Glaubensgemeinde. Kaum mehr als drei Menschen pro Tag, so machte es wirklich keinen Sinn, mehr Bänke bereitzustellen.

Vor jedem Platz – in jeder Reihe –, lag eine Bibel: King James.

Shane griff sich eine und stopfte sie in seine Tasche. Ob er unterbewusst wieder den Glauben finden würde oder nicht, im Augenblick schien es eine gute Idee zu sein, eine bei sich zu haben.

Er ging auf den Altar zu, sehr vorsichtig. Billy Toombs sprach immer noch in seiner monotonen Stimme. Shane dachte, es wäre das Beste, ihn noch alleine zu lassen.

Auf dem Altar lag eine aufgeschlagene Bibel, Shane las einen kleinen Absatz daraus.

Matthias 9:32-33: »Da nun diese hinausgekommen waren, siehe, da brachten sie zu ihm einen Menschen, der war stumm und besessen.«

»Wie verflucht passend«, murmelte Shane. Er drehte sich um und ging über die Apsis, die nicht wirklich groß genug war, um als solches bezeichnet zu werden, jedoch hatte Shane keine Ahnung, wie er es sonst nennen sollte.

Genau hier war es, wo Shane den Körper entdeckte.

Der Pater hatte sich mit einem Vorhang selbst bedeckt, um sich vor den Augen Gottes zu verbergen und vielleicht auch vor den Kreaturen.

Shane konnte seine Beine sehen, sie lugten unter dem königsblauen Vorhang hervor, sie waren mit Blut befleckt, einige Zehen fehlten …

Shane machte das Kreuzzeichen auf seiner Stirn, wieder war er sich nicht sicher, warum er es tat, er hielt es nur für angemessen in Anbetracht der Situation.

Er wollte Billy rufen, um ihn wissen zu lassen, dass er den Pater gefunden hatte, doch er wusste, dass es nicht fair gewesen wäre, Billy, der gerade dabei war, sein Herz auszuschütten, zu unterbrechen.

Zum Glück war das nicht der Fall.

»Fertig?«, fragte Billy und forderte Shane auf seinen Aluminium Stab zu schwingen.

»Heilige Sch–«, fing Shane an, bevor er sich erinnerte, wo er war. »Du hast mich zu Tode erschreckt.«

»Sorry«, lächelte Billy. »Ich denke, ich habe die Antwortmaschine entdeckt.« Er wies auf den Beichtstuhl, aus dem er gerade gekommen war.

»Hoffen wir nicht«, sagte Shane. »Ich hab den Kerl gefunden, der sich immer hier herumtreibt.« Er wies auf den Vorhang bedeckten Körper.

Billy bekreuzigte sich. »Armer Pater«, sagte er. »Frage mich nur, ob er Zeit hatte, bei einigen den Exorzismus durchzuführen.«

Shane schüttelte seinen Kopf. »Sie sind nicht besessen«, sagte er. »Sie sind so wie wir, jedoch ohne Logik und Motorik. Es ist so, als hätten sie die Tollwut.«

Das, dachte Billy, war der beste und umfassendste Weg es zu beschreiben. Die Art, wie sie auf einen zukamen, mit dieser Missachtung, der Dunkelheit in ihren Augen, ihrem schaumigen Mund, obwohl es kein Schaum war, sondern aussah wie schwarzer Teer, der aus allen ihren Öffnungen troff. Es war der Tollwut ähnlich.

»Hast du irgendetwas gefunden?«, fragte Billy.

Shane dachte an die Bibel, die sich in der Tasche seines Overalls befand, und schüttelte den Kopf. »Nichts, was sich als nützlich erweisen würde.«

»Dennoch sollten wir uns verbarrikadieren«, meinte Billy, doch er kannte die Antwort bereits.

»Nicht hier«, sagte Shane. »Wir sollten hier verschwinden. Ich denke nicht, dass wir zusätzlich was aufgebrummt bekommen, wenn es um unser Überleben geht.«

»Ich auch nicht.«

»Dann lass es uns über die verfluchte Mauer probieren.«

Diese war nicht sehr weit entfernt.

Durch die Tür der Kapelle drang ein Grunzen, etwas stolperte vorwärts und kratzte am Holzdekor.

»Merk dir wo wir waren«, sagte Billy. Er griff nach seinem Messer und führte sie in die Schlacht.


***


»Hinter dir!«, schrie Shane. »Verdammt, pass auf deinen Rücken auf!«

Die Kreatur fiel vor, beinahe auf Billy, der sich gerade gegen andere zur Wehr setzte. Shane schnappte nach dem Fuß der Kreatur und zog sie zurück. Mit Leichtigkeit riss er das Bein heraus, aber das Ding fühlte keinerlei Schmerzen. Es prügelte wie ein betrunkener Mann um sich, der von einem Türsteher rausgeschmissen wurde. Shane schaffte es, das Ding zum Altar zu ziehen, der wenige Meter entfernt war, es reichte, um es von Billy fernzuhalten, damit es ihn weder kratzen oder noch schlimmer beißen konnte.

Shane blieb keine Zeit aufzusehen, Billy hatte ihnen die Kehlen aufgeschlitzt und dies machte sie noch wütender, sie versuchten, ihren Gegner blind zu finden. Ihre Kehlen waren so weit geöffnet, dass ihr Kopf nach hinten kippte und nur von wenigen Fleisch am Rücken gehalten wurde. Dort wo Shane stand, konnte er nur die geöffneten Hälse und die Wirbelsäulen der Kreaturen sehen. Billy stach mit seinem Messer nochmals zu, dieses Mal machte er ihnen den Garaus, was er beim ersten Mal verabsäumt hatte.

Der Kopf rutsche nach hinten, fiel von den Schultern der Kreatur. Er landete auf dem Gang, rollte ein paar Meter davon und prallte gegen eine Kirchenbank.

Shane richtete seine Aufmerksamkeit auf das Ding, welches er festhielt. Die Beine ruderten und traten wild um sich, doch Shane gelang es ihnen auszuweichen. Er erkannte zu spät, dass er den Aluminiumschiene fallen gelassen hatte. Da er unbewaffnet war, musste er improvisieren.

Er stieß gegen die Beine der Kreatur, sprang über deren Rücken und stand nun hinter ihr. Das Ding knurrte und wand sich unter ihm. So ähnlich musste es sein, mit einem Alligator zu ringen, kam Shane in den Sinn.

Er konnte hören, wie Billy das andere Monster verspottete, er bat darum, dass es sein Glück versuchen solle.

Die Kreatur unter ihm bockte und stöhnte, Shane streckte vorsichtig seine Hand vor, dabei achtete er auf einen sicheren Abstand vom Mund und griff sie am Hals. Als er den Kopf herumzog, war ein leichtes Knacken zu hören, es klang, als ob jemand auf trockenes Holz im Wald trat. Shane zog fester, schlang seinen Arm um ihren Hals. Die Kreatur gurgelte, schwarzer Schleim sprudelte aus ihrem Mund.

In der Hoffnung – er wusste nicht, was er sonst tun sollte –, dass es klappte, riss er den Kopf nach hinten, so dass er von Angesicht zu Angesicht mit dem Ding war, die Augen traten hervor, der Lebenssaft sickerte aus den Mundwinkeln, diesmal klang das Knacken wie ein Feuerwerk und Shane wusste sofort, dass er das Rückenmark durchtrennte. Als klar war, dass das Schicksal der Kreatur besiegelt war, löste Shane den Druck und der Körper sackte nach vorne.

Aufatmend richtete sich Shane auf. Er blickte nach vorne zu Billy, der mit der zweiten Kreatur das Gleiche wie mit der Ersten machte. Als er die blutige Klinge an seinem Hosenbein abwischte, lächelte er.

»So viel Fitnesstraining hatte ich geraume Zeit nicht mehr«, sagte er.

Shane stützte sich auf alle vier und atmete tief ein, er versuchte Luft zu bekommen, die scheinbar rar war.

»Ja«, brachte er hervor. »So hatte ich es mir zwar nicht vorgestellt ...«

»Die Mauer?«, fragte Billy. »Immer noch bereit es zu riskieren?«

»Besser als hierzubleiben«, sagte Shane. Er hob seinen Aluminiumschiene auf. »Meinst du, wir sollten beichten gehen, wegen dem was wir eben getan haben?«

Billy Toombs schüttelte seinen Kopf. »Denke Gott hat mitbekommen, dass wir zum Angriff übergehen«, sagte er und lachte dabei. »Wird bestimmt besser für uns sein, einfach aus seinem Sichtfeld zu verschwinden und das ohne viel Wenn und Aber.«

Shane nickte.

Sie verließen die Kapelle und ihr Gewissen lastete schwer auf ihnen, noch schwerer als sonst.


***


Er lag am Boden, das wusste er, weil er den Mund voller Kies hatte. Er bemerkte auch, dass er nicht allein war, er konnte Füße in einem orangefarbigen Overall sehen, die an seinem Kopf vorbei gingen. Sie stöhnten und knurrten, während sie ihn umkreisten und er würde gerne das Gleiche tun.

Er schob sich langsam hoch und fing zu knurren an, jedoch nicht genug. Er war hungrig, sehr hungrig. Als er zu den anderen sah, stellte er sich vor, wie sie wohl schmecken würden. Nach einiger Zeit, wurde ihm klar, dass er sie nicht essen wollte. Sie waren wie er und sie waren genau so hungrig.

Er stand auf seinen Beinen, schaukelte und kippte fast um und auf einmal fühlte er, dass es in Ordnung war. Einige der anderen – sie alle waren orangefarbig gekleidet, was seltsam war, denn er war es nicht – sahen ihn an, als würden sie überlegen, wie er wohl schmecken würde.

Sie ignorierten ihn bald, ihnen wurde klar, dass er einer von ihnen war, er mal gut geschmeckt hatte, doch das tat er jetzt nicht mehr.

Eines war ihm bewusst. Er musste etwas essen, irgendetwas. Um ihn herum gab es nichts, er wusste, dass er keinen von ihnen essen konnte, weil sie es auch nicht taten. Er ging vorwärts, was zuerst unmöglich schien, doch mit jedem Schritt fiel es ihm leichter und leichter.

Hunger.

Ein paar von ihnen stießen gutturale Laute aus. Als er sich näherte, ignorierten sie ihn und er wusste, dass sie ihm nichts tun würden. Vielleicht wollten sie einfach nur mit ihm reden? Egal.

So hungrig …

Er kippte fast um, als er mit dem Gesicht gegen eine Reihe Gitterstäbe traf, dann gelang es ihm wieder, Stand zu bekommen.

Wo war die Nahrung?

Er hatte sich verletzt, aber es war ihm egal. Er blickte nach unten, da wo sein Magen sein sollte, war stattdessen ein riesiges Loch, aus dem ihm seine Eingeweide hingen. Vermutlich konnte er nicht mehr richtig verdauen, was aber egal war.

Was zählte, war kauen …

Er verspürte so ein Gefühl, als sollte er wissen, wo er sich befand, so wie er das als Mensch immer wusste, doch da war nichts. Es war, als ob er in eine Welt geboren wurde, in der sein einziger Antrieb es war, zu jagen, zu fressen … alles, was auch immer er konnte. Aber wie sollte er Nahrung finden, wenn er gefangen war, denn so fühlte er sich im Moment. Es war nichts Essbares in der Nähe und ein Impuls teilte ihm mit, die Augen offen zu halten, auf den Beinen zu bleiben, bis er etwas fand, und das sollte er dann so schnell wie möglich verzehren.

Er ging stundenlang im Kreis, zweimal wäre er fast hingefallen, und als er immer weiterging, fühlte er sich wie neu geboren. Er schnupperte in die Luft, in der Hoffnung irgendetwas würde seinen Hunger stillen. Während er ging, streifte seine Hand versehentlich ein Namensschild, welches auf seinem Hemd steckte, dabei fiel es zu Boden.

Darauf stand ein Name: Charles Dean – Gefängnisdirektor.

Doch es spielte keine Rolle.

Nicht mehr.

Nur noch Nahrung war, was zählte …


***


»Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine tolle Idee ist«, sagte Marla, während sie den Flur hinaufsah. Da waren acht von ihnen und sie alle schienen sich auf das Büro des Direktors zuzubewegen. »Keiner von denen ist da drinnen. Es ist, als ob sie sich noch daran erinnern könnten, und es schaut so aus als wollen sie den Direktor aufsuchen, um ihm Schmerzen beizubringen.«

»Das ist unmöglich«, spuckte Terry aus. »Wir wissen nicht, was der Virus aus ihnen gemacht hat, aber eines wissen wir ganz sicher. Es hat sie mit Sicherheit nicht schlauer gemacht.«

Terry schien recht zu haben, obwohl es Marla schwerfiel, dass zuzugeben. Sie erinnerten sich sicherlich nicht daran, wo sich das Büro des Direktors befand, somit konnten sie wohl auch keine Hintergedanken haben. Dem war sicher nicht so.

Marla trat zurück und suchte hinter der Gruppe Schutz. »Wie auch immer. Der springende Punkt ist, wir müssen in das Büro, richtig?«

Michaelson nickte. »Das Funkgerät ist die einzige Chance die wir haben«, sagte er. »Sollte es uns gelingen, mit der Polizeistation Kontakt aufzunehmen, schicken sie uns jemanden, der uns hier herausholt. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit.«

Jared gefiel diese Aussage und er lächelte erleichtert, für ihn schien alles bald ein Ende zu haben.

»In diesem Fall«, sagte Terry, »brauchen wir einen Plan. Oder treten wir ihnen mit rauchenden Revolvern gegenüber und schicken sie alle zur Hölle?« Dies sollte eine rhetorische Frage sein, etwas zum Auflockern, doch alle nickten, als ob es der beste Plan wäre. Terry schüttelte den Kopf. »Ah … Also wollt ihr wirklich auf sie zugehen und ihnen die Köpfe wegballern?«

»Wir müssen in das Büro kommen«, sagte Jenson und deutete mit seiner Flinte darauf. »Das Beste, was wir tun können ist, uns diese Dinger vom Leib zu halten. Wenn wir sie erschießen, wo sie jetzt sind, haben sie keine Chance uns zu erwischen und uns zu infizieren, und wir alle kommen in einem Stück hier heraus.«

Marla wollte es zwar nicht, doch sie unterstützte ihn. »Ich weiß mit Sicherheit, dass ich keine von denen werden möchte«, sagte sie. »Wenn wir denen ein paar direkte Schüsse in den Schädel verpassen, sind wir frei.«

Terry seufzte. Er hatte es zwar erst in Erwägung gezogen, zu seinem Glauben zurückzufinden, doch würde er in der Lage sein, ein solches Massaker aufzuhalten?

»Tut, was getan werden muss«, murmelte er. »Wir brauchen das Funkgerät, wie Sie schon sagten.«

»Bist du bereit«, fragte Michaelson Jensen, der seine Flinte kontrollierte.

»Legen wir los.«


***


Sie liefen um die Ecke und schossen ohne zu wissen worauf, es war ihnen egal. Was zählte war, dass alle zu Boden gingen.

Jenson vergeigte seinen ersten Schuss und traf eine Kreatur nur in die Schulter. Sie kam mit klappernden Zähnen auf sie zu. Jensons zweiter Schuss verteilte ihre Zähne über den Flur.

Michaelson, eine Pistole in jeder Hand, brachte zwei zu Fall. Es gab keine Zeit zum Jubeln, denn die anderen stiegen über die beiden am Boden und kamen mit grässlichen Absichten auf sie zu.

Jenson schritt vorwärts, lud nach und schoss, traf einen von ihnen – den er aus Block A wiedererkannte, obwohl sein halber Unterkiefer fehlte – mitten ins Auge. Das Ding wankte, dann stolperte es rückwärts und traf auf eine Tür hinter sich. Seine schwarze Gehirnmasse bedeckte die Wand.

Die anderen beiden Kreaturen kamen gurgelnd näher. Michaelson traf den Linken, dabei hatte er eigentlich erwartet, dass die Wache neben ihm den rechten übernehmen würde, doch Jensons Waffe klickte nur.

Ladehemmung.

Jenson geriet in Panik. Die Linie, die er und Michaelson halten sollten, war nicht mehr oberste Priorität, er wich etwas zurück und wollte das Problem seiner Waffe beheben.

»Passen Sie auf«, schrie Marla.

Michaelson feuerte mit beiden Pistolen und zu seinem Glück, zerplatzte der Kopf der sich nähernden Kreatur. Das Ding ging dramatisch zu Boden und rollte auf die Vorderfront zu, wo sie regungslos liegenblieb.

Zwei von ihnen waren noch da, einer davon lief auf sie zu, zumindest schien es so. Es eilte voran, mit einer unheimlichen Geschwindigkeit.

»Wie lange noch?«, schnappte Michaelson, der der auf sich zukommenden Kreatur zwei Kugeln verpasste. Beide Schüsse verfehlten ihr Ziel, doch einer davon riss ihr das Ohr ab, welches in die Luft flog und auf der Decke einen abscheulichen Abdruck hinterließ.

»Fast geschafft!«, sagte Jenson, der kniend seine Waffe nachlud. »Eine Sekunde noch.«

Michaelson blieb keine Zeit einen weiteren Schuß abzufeuern. Er wurde von der Kreatur überrannt, sie schnappte nach seinen Schienbeinen, obwohl er am Boden lag. Der Wachmann trat ihr mitten ins Gesicht. Es knackste laut als ihr Kopf zurückflog, währenddessen gelang es Michaelson nach seiner Pistole zu greifen und abzudrücken.

Das Kinn der Kreatur zerschmetterte; Zähne flogen ihr aus dem Mund und landeten in einem schwarzen Meer. Die zweite Kugel traf mit solcher Wucht, dass ihr gesamter Körper herumgeschleudert wurde. Michaelson verlagerte sein Gewicht, worauf er sich sofort besser fühlte.

Jenson hörte eine Stimme den Gang entlang. »Einer ist noch über«, sagte sie, was kaum ein Trost war, wenn man sie sah.

Wachmann Michaelson kauerte am Boden, als die Kreatur ihn erreichte. Sie schrie, ein kehliger Schrei, der die Mauern zum Beben brachte. Und dann sprang das Ding vorwärts, mit weit offenem Mund, bereit für den ersten Biss.

Bereit zu fressen.

Der zweite Biss war es, der Michaelson dazu brachte, sein Schicksal zu akzeptieren. Wie hätte er es aufhalten können? Es war unmöglich, ein paar Kugeln aus seinen Pistolen abzufeuern; das beschissene Ding war bereits über ihm.

Dann zerbarst etwas. Die Kreatur flog in die Luft. Sie krachte gegen die Wand und sackte langsam hinab, bis sie aufrecht in ihrem eigenen Blutbad saß. Michaelson starrte auf das riesige Loch in der Brust der Kreatur. Eingeweide hingen lose heraus, eine große dunkle Masse Fleisch platschte auf ihren Schoß.

Das Ding glotzte auf das Loch, als ob es sich fragte, wie es nur so weit kommen konnte, dann folgte ein weiterer Schuss. Als Michaelson zurücksah – er hatte den Schuss der anderen Wache ganz und gar nicht erwartet –, fehlte die Hälfte des Kopfes der Kreatur.

»Bist du gebissen worden?«, brachte Jenson zitternd heraus. Als Michaelson sich auf seine Beine begab, bemerkte er, dass Jenson mit der Flinte auf ihn zielte.

»Nein«, sagte er und ließ seine Pistolen in die Holster gleiten. »Kein einziger verfluchter Kratzer.«

Jenson atmete tief durch. »Heilige Scheiße«, sagte er. »Ich dachte, schon du wärst weg vom Fenster.«

Im Flur erschien die restliche Gruppe, die fast genauso atemlos wie die Wachen war.

»Seid ihr okay?«, fragte Marla niemand Besonderen. »Das war verrückt.«

»Mir geht’s gut«, antwortete Michaelson. »Hatte nicht erwartet, dass dieses Ding so auf mich losgehen würde.«

Terry Lewis lehnte über einem Kadaver und murmelte etwas Zusammenhangloses vor sich in. Als er sich aufrichtete, sagte er: »Ich würde jetzt gerne zu dem Funkgerät gehen, wenn das nicht zu viel verlangt ist.«

Jared nickte zustimmend.

Die Tür zu Charles Deans Büro nahm vor ihnen Gestalt an. Jenson ging darauf zu und wollte sie öffnen, doch eine Kreatur von der Seite hielt ihn kurz auf. Ihr Kopf traf auf den Boden und hinterließ eine schwarze Schlammpfütze. Jenson fluchte, bückte sich und zog das Ding beiseite.

»Drecksding«, schnappte er, als er die Beine hochhob, der Rücken knackste.

Michaelson stieß die Tür des Büros auf, seine Hände lagen auf dem Griff der Pistolen.

Die Gruppe folgte ihm.


***


»Verdammte Scheiße!«, entwich es Jared, der dabei auf die Kreatur, die in der Mitte des Büros lag, deutete. »Waren Sie das etwa?«

Marla nickte. »Es hat mich angegriffen«, erklärte sie. »Wusste nicht, dass sich dieses ganze beschissene Gefängnis in solche Dinger verwandelt hat. Eigentlich bin ich sogar ziemlich froh, dass ich keine echte Person getötet habe.«

»Das ist ja alles gut und schön«, schalte Michaelson. »Aber wir haben keine Zeit, um in Erinnerungen zu schwelgen. Kann einer von euch die Tür blockieren?«

Terry trabte bereits los; er packte einen Eckschrank mit Trophäen und anderen Dingen und zog ihn zu der geschlossenen Tür. Er war nicht schwer, doch kostete es ihnen viel Zeit, sollten sie angegriffen werden.

»Ist das das Funkgerät?«, fragte Jared und deutete mit dem Finger in die Ecke des Büros. Dort stand eine alte Holzkiste, zumindest sah es nach einer aus. Michaelson ging darauf zu, hob den Deckel hoch, und als er die Drähte sah, war ihm klar, dass es stimmte.

»Bin wohl kein Technikfreak, was?«, sagte Marla. »Ich nahm an, es wäre noch eine Hausbar.«

»Er war auch keiner«, sagte Jenson, ein Anflug von Trauer erschien auf seinem Gesicht. »Seine Ansicht war immer, warum sollte man tausend Bücher auf einem Gerät speichern, wenn man damit ein Zimmer füllen konnte?«

»Besitzen Sie nicht auch so etwas?«, fragte Jared fasziniert. »Eine digitale Bibliothek?«

Jenson grinste. »Ihr würdet überrascht sein, was es noch so alles gibt«, sagte er. »Vielleicht werdet ihr es eines Tages herausfinden.«

»Seid mal alle leise«, befahl Michaelson. Er drehte an einem Knopf, bis es knisterte. Für Marla klang es wie eine Popcorn-Maschine.

Sie blieben alle still, sie wollten nichts verpassen, wenn es losging. Michaelson schien zu wissen, wie er mit dem Apparat umzugehen hatte, weil alle anderen davon keine Ahnung hatten.

»Polizeistation Jackson, hier spricht Wachmann Michaelson von der Jackson Justizanstalt. Hören Sie mich?«

Nichts.

»Polizeistation Jackson, ich wiederhole, hier spricht die Jackson Anstalt, wir brauchen Unterstützung, hören Sie mich? Over.«

Die Stille die folgte war unerträglich. Jared ging im Büro auf und ab, jammerte vor sich hin. Jenson sagte zu ihm, er solle ruhig sein, oder er bekäme die Flinte in den Arsch geschoben. Jared hielt sich kurz mit der Hand den Mund zu.

Das Knistern nervte nach einer Weile, doch sie hörten weiterhin zu und Michaelson flehte fast eine halbe Stunde lang. In dieser Zeit setzte sich Terry in einen bequemen Stuhl und legte seine Beine auf den antiken Schreibtisch, an dem immer Direktor Dean gesessen hatte.

»Es funktioniert nicht«, sagte Terry und lehnte sich zurück. Der Sessel knarrte unter seinem Gewicht. »Niemand hört ihn.«

»Polizeistation Jackson, hier spricht die Jackson Justizanstalt, hören Sie mich?«, fuhr Michaelson unbeirrt fort. Als das Funkgerät wieder nur rauschte, wandte er sich mit leidvoller Miene an Terry Lewis. »Warum zum Teufel antwortet niemand?«

Terry zuckte mit den Achseln. »Ich habe keine Ahnung«, sagte er. »Nehme mal an, dass das Funkgerät funktioniert und niemand kann uns hören. Was meint ihr?«

Michaelson wusste genau, was er dachte und hatte Angst es auszusprechen. Terry dachte an das Schlimmste.

Das Gefängnis war nicht der einzige Ort, der im Ausnahmezustand war. Diese Kreaturen waren demnach überall, sie griffen die ganze Stadt an, vielleicht sogar das ganze Land.

»Das kann doch nicht möglich sein, oder?«, fragte Jenson Terry. »Hat sich der Virus wirklich so schnell verbreitet? Ich meine, es hat gestern erst angefangen, davor war alles verdammt normal. Meine Frau … meine Kinder …«

Terry nickte. »Ich weiß, es ist schwer zu glauben, aber warum sollten wir sonst keine Antwort erhalten? Warum ist das Polizeibüro nicht besetzt? Es müsste immer wer dort sein, oder?«

Marla unterbrach sie. Sie hatte dem Gespräch von der anderen Seite aus zugehört und beschlossen einzuschreiten. »Ich stimme der Wache zu«, sagte sie. »Im Gefängnis kann sich ein Virus schnell ausbreiten, es ist fast unmöglich ihn loszuwerden, aber draußen sieht es anders aus. Es gibt Orte um sich zu verstecken oder man kann fliehen. Sollte es eine Pandemie geben, würde die Regierung sofort einschreiten, nicht zu vergessen die CDC. Es würde sich nicht ausbreiten, es würde sofort alles unter Quarantäne gestellt werden.«

»Vielleicht haben sie das hier getan«, jammerte Jared. »Vielleicht ist hier der Quarantäne Bereich?«

Terry und Jenson starrten sich an; es wäre nicht ganz ausgeschlossen, zumindest wenn es nach der Regierung ging.

Michaelson ging zum Fenster. Draußen war es dunkel, abgesehen von den drei Scheinwerfern, die automatisch betrieben wurden und die von der einen Seite des Hofes zu der anderen fegten. »Da sind Flugzeuge am Himmel«, sagte er. »Ich kann das Licht sehen.«

»Das hat nichts zu bedeuten«, murmelte Terry. »Soviel ich weiß, können die stundenlang da oben sein. Sie könnten blind ihre Strecken fliegen.«

Jenson nickte. »Wenn es wirklich so sein sollte«, setzte er an, »dann hat es sich genau so leicht wie LAX ausgebreitet. Würdet ihr wo landen, wo ihr wisst, was da unten ist?«

»Aber was ist mit der Quarantäne-Theorie?«, unterbrach Marla. »Gerade eben haben Sie gesagt, dass wir womöglich der einzig infizierte Bereich sind.«

»Nein«, sagte Terry. »Wir sind unter Quarantäne gestellt, dass könnte sein, doch der Virus kommt ja von irgendwoher.«

»Carlos Silva«, sagte Jenson, so als würde der Name etwas bedeuten. »Er war der erste Infizierte und derjenige, der sich in Tylers Bein verbissen hat.«

»Dann muss irgendetwas Silva infiziert haben«, sagte Terry, dabei kratzte er sich über seine Stoppeln am Kinn. »Er hat es in das Gefängnis geschleppt und es war bereits da draußen, was auch immer es ist.«

»Was bedeutet, dass es sich da draußen wie ein Lauffeuer ausbreitet«, sagte Michaelson, der immer noch auf die geschwungenen Lichter in der Dunkelheit starrte. »Was weiter bedeutet, dass wir am Arsch sind.«

Jared geriet in Panik. »Ahhh, das sind die schlechtesten Neuigkeiten des Tages«, sagte er. »Wir könnten genauso gut liegen bleiben und sterben!«

»Beruhig dich mal«, sagte Terry zu seinem Zellengenossen. »Wir spekulieren nur, das ist alles. Ich vermute, dass es sich hierbei um einen Versuch der Regierung handelt. Aber eigentlich wissen wir gar nichts, Hauptsache wir sind am Leben.«

»Ich nehme mal an, das ist der Plan?«, sagte Marla. »Einfach hier herumsitzen und warten, bis etwas durch die Türen kommt?«

Das war wahr; es war nur eine Frage der Zeit, bis das passieren würde. Wenn zehn, oder mehr dagegen drücken würden, würde die Tür nicht lange halten.

»Schlägst du also vor, dass wir zurückgehen?«, fragte Michaelson und dachte dabei, dass dies eine lächerliche Idee sei. In der Ecke des Büros schüttelte Jared verzweifelt den Kopf.

»Wir warten«, sagte Marla. »Zumindest bis morgen. Wenn die Sonne aufgegangen ist, sind wir sicherer.«

»Ich wüsste nicht warum«, sagte Terry. »Die haben Zähne, auch bei Tageslicht.«

»Wir warten«, sagte Jenson, bevor Marla noch die Chance hatte zu antworten. »Bis morgen.«


***


Sie befanden sich in einer Art Heizraum; überall waren Rohre, es dampfte und zischte, wo auch immer sie hinsahen. Keiner von ihnen hatte gewusst, dass es so etwas hier gab, warum auch. Eine solche Freiheit hatten sie im Gefängnis noch nie genossen und wären dies nicht die schlimmsten Umstände, so wäre es fast angenehm.

Es stank nach abgestandenem Wasser und Metall, zumindest für Shane. Der Boden unter ihren Füßen war aus Beton. Wasser – knapp drei Zentimeter hoch – überflutete alles, und im rostigen Wasser schwammen Glasscherben.

»Wie sind wir bloß hier rein gekommen?«, fragte Billy und trat etwas aus dem Weg, was versucht hatte, sich um sein Schienbein zu wickeln. »Zumindest werden wir schnell wieder raus sein.«

Das, dachte Shane, war nun sehr unwahrscheinlich. Bis jetzt hatte er noch gar nicht daran gedacht, doch jetzt, wo Billy es wähnt hatte, dachte er an Megan und Holly.

Er hoffte, dass es ihnen gut ging. Womöglich hatten sie sich genau in diesem Moment unter ihren Betten versteckt?

»Ich denke, die Dinge haben sich verändert«, sagte Shane schließlich. »Mein Entlassungsdatum zählt einen Dreck. Ich befürchte, wir können nur versuchen, so schnell wie möglich von hier weg zu kommen, über die Konsequenzen sorgen wir uns später.«

Billy seufzte. »Es wird alles gut werden, Shane. Okay?«

Shane wusste es nicht mit Sicherheit, genau so wenig wie Billy Toombs.

Billys Großvater war ein sehr weiser alter Mann, einer der Stammesführer, ein Mann der Dinge wahrnehmen konnte, deren sich die anderen nicht bewusst sind. Shane hoffte, dass irgendeine Art von Magie über die Generationen weitergegeben wurde. Es wäre schön zu wissen, dass Billy ein solches Geschenk erhalten hätte; es würde Shanes Angst etwas lindern, sowohl um sich, als auch um seine Familie.

»Alles was ich weiß ist«, fing Shane an, »dass hier etwas sehr im Argen liegt, etwas sehr Böses vor sich geht. Je früher wir herausfinden was, desto besser.«

Billy wich einem dicken Rohr aus, das sich vom Boden erhob und –

»Pass auf!«, schrie Shane, doch es war zu spät. Die Kreatur sprang vor und versenkte ihre Zähne in Billys Schulter. Billy stöhnte auf, er versuchte das Ding abzuschütteln, was ihm nicht gelang.

»Verfluchter Bastard!«, brüllte Shane und schlug mit dem Aluminiumstab auf dessen Kopf ein. Während das Ding zubiss, schüttelte es den Kopf, wie ein Hund der an einem Knochen zog. Billys Gesicht verzerrte sich vor Schmerzen, seine Beine gaben nach und beide fielen auf den überfluteten Boden.

»Scheiße, verdammt!«, Shane packte das Ding an den Schultern und zog es zurück. Es klang furchtbar, als es sich mit einem Stück Schulter im Mund löste. Blut spritzte sofort aus der offenen Wunde ins Wasser, was dem ganzen einen noch rötlicheren Ton verpasste.

Während Shane die Kreatur nach hinten zog, erkannte er ihr Gesicht: Jimmy Kelly, einer von Dennis Harts Jungs, der genau das bekommen hatte, was ihm zustand. Aber doch nicht Billy! Billy hatte so etwas ganz und gar nicht verdient.

Die Kreatur knurrte, trat im Wasser um sich und versuchte sich von Shanes Griff zu lösen. Billy kam nach vorn, stützte sich dabei auf seine Ellbogen und holte das Messer aus seiner Hosentasche. Er packte es so fest er konnte, dabei liefen seine Knöchel weiß an.

»Halt ihn fest«, brachte Billy mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Halt diesen Scheißkerl fest!«

Shane tat es so weit es ihm möglich war und sah zu, wie Billy Toombs die Klinge in der Stirn versenkte und sie drehte. Es knackste und knirschte, das Ding machte ein seltsames Geräusch – es war kein Wort, oder vielleicht doch, aber jetzt nicht mehr, aufgrund der Infizierung –, dann rollten sich die Augen in den Kopf zurück.

Shane schob das Ding zu Boden und spuckte es an.

»Bist du okay?«, fragte er, doch er kannte bereits die Antwort. Billy war gebissen worden, er war bereits tot, sein Gehirn wusste es nur noch nicht. Billy Toombs warf einen Blick auf die Wunde, da wo einst mal Fleisch gewesen war. Als Shane ihn ansah, erkannte er in dessen Blick Sorge und Akzeptanz.

»Du wirst wieder in Ordnung kommen«, sagte Shane. »Vielleicht bist du nicht infiziert worden. Vielleicht gibt es etwas das wir –«

»Es gibt nichts«, lächelte Billy. »Also hör auf, Ausreden zu suchen.« Er biss die Zähne zusammen und drückte mit seiner Hand gegen die Wunde. »Hätte diesen verfluchten Hurensohn kommen sehen sollen. Der war nicht mal so gut versteckt.« Er lachte, doch es war ein nervöses Lachen.

»Wir wissen nicht sicher, ob es nicht etwas gibt«, sagte Shane und riss einen Ärmel von seinem Overall ab. »Ich werde das nicht einfach so hinnehmen, nicht jetzt

Er wickelte den orangenfarbenen Stoff um die Wunde; Billy grunzte. Als er zu sprechen anfing, war es das, was Shane erwartet hatte und nicht hören wollte.

»Du musst mich töten«, sagte Billy. »Ich möchte mich nicht in eines der verdammten Dinger verwandeln. Und der einzige Weg das sicherzustellen ist–«

»Nein!«, schnappte Shane. »Das werde ich nicht tun, und du wirst ab jetzt tun, was ich sage.« Er sprach mit einer solchen Kraft und Zuversicht, auch wenn er selbst den Worten die aus seinem Mund kamen, keinen Glauben schenkte. »Wir werden Hilfe auftreiben. Du wirst dich in keines von diesen … diesen Drecksdingern verwandeln. Du hast mein Wort.«

»Aber es ist ein verfluchter Biss –«

»Du hast mein Wort«, wiederholte Shane. Er stand auf, zog Billy auf seine Beine und lächelte. »Ich dachte, du hättest Supersinne. Warum wusstest du nicht, dass dieses Ding hier war?«

Billy schüttelte seinen Kopf. »Wir sind im Keller«, sagte er. »Ist doch klar, dass ich hier unten kein Signal bekomme.«

Sie lachten, es war ein trauriges Lachen, sie wollten ignorieren, was soeben passiert war; sie wollten einfach nicht daran denken, was früher oder später folgen würde.

Eher früher als später.


***


»Was zum Teufel ist hier passiert?«, fragte Rooster Hill, als er die Krankenstation betrat. Er griff in seinen Overall, holte eine halb gerauchte Zigarette heraus und zündete sie an. »Ein Aufstand.«

»Sieht so aus«, sagte Marvin Manson, der jeden Raum begutachtete. »Dies erklärt weder, warum alle Zellentüren offen stehen, noch warum wir keine Schutzmaßnahme der Wachen oder einen Insassen hier gesehen haben.«

Das, dachte Rooster, war sehr seltsam. Hier sollte es von Wachen nur so wimmeln, so wie es die Regel war bei einem Aufstand. Bis jetzt hatten sie keinen einzigen Insassen gesehen.

»Vielleicht sind alle im Hof«, sagte er. »Oder der Mob hat sich auf das Dach bewegt.« Dies war keine Frage, auch wenn es so geklungen hatte.

»Gut möglich«, sagte Marvin, obwohl er nicht wirklich davon überzeugt war. »Hast du das ganze Blut im Gang gesehen? Ziemliche Sauerei, selbst für die Wachen in diesem Höllenloch.«

Rooster hatte das Blut gesehen; er glaubte nicht daran, dass er das jemals wieder aus seinem Kopf bekam. Es war einfach überall, an den Wänden, am Boden – überall. Von einer Zelle tropfte es sogar noch frisch herab, vermutlich war es immer noch warm.

»Ein grauenhaftes Schlamassel«, sagte Rooster, er betrat einen Raum und hielt inne.

Ein Körper, oder was es mal gewesen war, lag verteilt im Raum. Kurz dachte Rooster, er müsse an dem Kloß in seinem Hals ersticken. Genau dann, als er erkannte, dass er erkrankt war.

»Was zum Teufel«, sagte Marvin, als er vorsichtig näherkam. »Wer ist das?«

Rooster ging langsam auf die Leiche zu. »Ich würde mal sagen eine Wache«, sagte er. »Und dem ganzen Fett nach zu urteilen, war es wohl Reynolds.«

Jetzt konnte auch Marvin die Uniform erkennen. Das Blut, das sich ausgebreitet hatte, verlieh dem ganzen eine andere Farbe. Reynolds Namensschild und Gürtel waren unverkennbar.

Der Körper selbst war so schlimm zugerichtet, dass keiner von den Gefangenen ihn lange ansehen wollte, sie blickten stattdessen zur Seite, damit sie nicht allzu viel sahen.

Reynolds rechter Arm fehlte, seine Beine waren an den Knien abgetrennt. Eines lag einige Meter entfernt und der Stahlklappenstiefel hing immer noch dran. Das andere lag auf der gegenüberliegenden Seite. Der Torso war von sämtlichen Organen befreit, Teile davon lagen am Fußboden im Staub. Der Brustkorb sah für Rooster Hill wie eine gotische Orgel aus, wie sie in alten Kirchen oft zu finden waren. Ein paar Fliegen summten um die Leiche, nicht viele, der Rest würde spätestens morgen kommen.

»Da läuft etwas ganz falsch«, brachte Rooster schließlich heraus. Er biss sich auf die Zunge, ein Versuch das Hochgekommene wieder hinunterzudrücken. »Wer ist dazu wohl im Stande?«

»Ich kenne nur einen Menschen, der krank genug dafür ist«, sagte Marvin. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und sagte: »Cyrus Clay.«

Rooster stimmte zu; Cyrus Clay war ein Psychopath, gut möglich, dass er seine eigene Mutter vergewaltigte, als er die Gelegenheit dazu hatte. »Sollte er Amok gelaufen sein«, fing Rooster an, »hätten die Wachen gemacht, dass sie hier wegkommen.«

»Sie hätten ihn erschossen«, sagte Marvin. »Sie hätten nur einen Grund dazu gebraucht.«

»Los, lass uns hier abhauen«, sagte Rooster. »Ich will hier weg, bevor er zurückkommt und –«

Marvin streckte seine Hand aus und hielt sie über Roosters Mund. »Psst.« Mit seiner anderen Hand wies er zu einer dunklen Ecke, in der ein Tapeziertisch stand. Rooster lauschte, er hörte ein Kratzen, dann ein Geifern. Warum hatten sie das nicht schon früher gehört?

Marvin nahm seine Hand weg und sie schlichen zur Tür; sollte es ihnen gelingen, hier herauszukommen, ohne in etwas verwickelt zu werden, wäre das prima. Ohne ihren Blick von der dunklen Ecke abzuwenden, wichen sie zurück. Rooster fragte sich, in welcher Stimmung sich Cyrus Clay wohl momentan befand, sollte er plötzlich herauskommen und bemerken, dass er nicht alleine war.

Das wäre nicht gut für sie, dachte Rooster.

Ein tiefes Grollen, gefolgt von einem Knurren ließ Marvin hochfahren und brachte ihn dazu, sich auf die Brust zu greifen, um sein wild schlagendes Herz zu beruhigen.

Dann tauchte er auf, es war nicht Cyrus Clay. Es war eine Wache. Die Uniform, cremefarbig und blau, doch größtenteils tiefrot und schwarz. Aus dem Gesicht tropfte etwas dunkel Zähflüssiges, sein Blick war leer, selbst in der Dunkelheit der Ecke. Als er sie entdeckte, knurrte er und kletterte ungelenk über den Tapeziertisch.

»Das ist der beschissene Tyler«, rief Rooster, er konnte nicht glauben, was er da sah. »Tyler ist durchgeknallt!«

Marvin versuchte etwas auf den Wachmann zu werfen. Es war erstaunlich, was sich zuvor noch als Waffe eignete, war plötzlich wie Gummi. »Schieb den Tisch!«, befahl er.

Rooster blickte ihn verwirrt an. »Was?«

»Schnell, bevor er es hinüberschafft.«

Rooster drehte sich um und sah, wie die Wache ein Bein hob und damit auf das Aluminiumregal trat. Die Schwärze in seinen Augen war unnatürlich; Rooster hatte noch nie solche Augen gesehen.

»Schneller!«

Rooster ging zum Tisch und schob so fest er konnte. Die Tischbeine quietschten, während der Tisch nach vorne glitt und beinahe umfiel. Als er die Wand traf, steckte der Aufseher dazwischen und Rooster drehte schnell seinen Kopf zur Seite, versuchte dem schwarzen Schlamm auszuweichen. Die Flüssigkeit quoll aus dem Mund des Wächters und erwischte Roosters Wange, und das Einzige, woran er denken konnte war, wie widerlich warm sich das Zeug anfühlte.

»Halt ihn in Schach«, keuchte Marvin, der sich kniend vorm Tapeziertisch befand und versuchte, darunter hindurch zu greifen. Als er aufstand, hielt er den Schlagstock des Wächters in der Hand.

Marvin ging sofort dazu über, dem Wächter auf den Kopf zu schlagen, bis nichts mehr übrig war und man nur noch das Rückenmark und ein paar Schädelknochen sah. Rooster musste würgen, obwohl er seinen faszinierten Blick nicht davon abwenden konnte.

Der Schlagstock triefte vor grauem und schwarzem Schleim; wer hätte gedacht, dass der Blick auf den schwarzen Stock mit dem Gehirn des Wachmanns, Rooster umkippen ließ. Er übergab sich so heftig, dass ihm die Adern am Hals herausragten. Sein Kopf pochte, nach wie vor unter lautem Brechreiz entfernte er sich ein paar Schritte.

»Alles okay?«, fragte Marvin, dabei wischte er Gehirnmasse vom Stock in sein Hosenbein. »Das hat ja mal richtig Spaß gemacht, was?«

»Verdammten Spaß«, würgte Rooster. »Freu mich schon auf das nächste Mal.« Als er an das nächste Mal dachte, musste er sich gleich wieder übergeben, erst Minuten später war er wieder fit. »Was ist mit ihm passiert?«, fragte Rooster. »Der wurde ja richtig übel gefickt, was.«

»Nein, Scheiße!«, erwiderte Marvin. »Er hat Reynolds gefressen, zumindest das, was von ihm übrig war. Das ist ganz und gar nicht normal, selbst für einen Wächter

Dann sagte Rooster etwas, das in dieser Situation total verrückt klang. »Ich hab hunger.«

»Was?«

»Ich denke, weil mein Magen leer ist«, seufzte Rooster. »Ich muss etwas essen.«

Marvin fing trotz allem was passiert war zu lachen an, dann wurde er sich einem seltsamen Geschmack in seinem Mund gewahr, er wischte mit seinem Hemdärmel darüber. Als er auf seine Handflächen sah, erkannte er darauf verschmiertes Blut.


***


Draußen zerschnitten Suchscheinwerfer die Dunkelheit. Sie waren außerhalb, die Kreaturen und sie wanderten ziellos auf die meterhohen Zäune zu. Als sie diese erreichten, kehrten sie um und gingen wieder retour. Als sie von den Scheinwerfern angestrahlt wurden, schienen sie dies zu bemerken und folgten dem Strahl kurz. Kaum war das Licht verschwunden, wurde ersichtlich, dass einige von ihnen nicht einmal mehr richtig stehen konnten; einer von ihnen, ein Gefangener namens Martin Jukes zog sich am Boden entlang, da er nur noch blutige Stümpfe hatte. Statt Beinen war da nur noch fasriges Fleisch. Sein rechter Arm war irgendwo an der Schulter abgerissen, nur ein Knochenstummel war geblieben. Während er sich unaufhaltsam vorwärts zog, sein Gesicht schob den Kies des Hofes vor sich her, konnte Michaelson sich nicht erklären, wie es möglich war, mit so viel Leid noch immer zu existieren.

»Armer Scheißkerl«, murmelte der Wachmann. Jenson stand neben ihm und beobachtete alles inbrünstig.

»Das würdest du nicht sagen, wenn einer von denen auf dich losgeht«, sagte Jenson. »Oder?«

»Ich würde demjenigen den verdammten Schädel wegblasen«, spuckte Michaelson, dabei wirbelte er demonstrativ mit seiner Waffe herum. »Ich hasste sie, als sie Häftlinge waren, aber jetzt habe ich irgendwie Mitleid mit ihnen.«

»Wieso?«

»Ich weiß nicht«, sagte Michaelson. »So wie ich das sehe, ist jegliches Menschliche in ihnen gestorben und sie sind einfach nur tot. Es ist irgendwas Unschuldiges an ihnen. Sie sind wie verdammte Neugeborene die bei null anfangen.« Er lachte, als ihm die Ironie seiner Worte bewusst wurde. »Das ergibt keinen Sinn, oder?«

»Nicht wirklich«, antwortete Wachmann Jenson. »Ich sehe einfach nur Mörder und Vergewaltiger und jetzt auch noch Dämonen. Und hinzu kommt, sie sind doppelt so schwer zu töten.«

Von hinten kam ein Husten. Die Wachen wandten sich vom Fenster ab und trafen auf die wunderschönen Augen von Marla Emmet. Sie hielt zwei Gläser, die beide mit einer goldenen Flüssigkeit befüllt waren. »Ich dachte, Sie hätten gerne einen Drink«, sagte sie. »Ich weiß, wie durstig Sie die Arbeit macht.« Sie überreichte die Gläser; Jenson starrte seines zweifelnd an.

»Ich habe nichts hineingetan«, kicherte sie. »Wir brauchen Sie und ihre Waffen noch.«

»So ist es«, grinste Michaelson, er kippte sein Glas hinunter und genoss es, wie es brannte. »Jenson traut Frauen die nett zu ihm sind einfach nicht.«

»Fick dich«, grinste Jenson und tätschelte spielerisch Michaelsons Wange. Dann sagte er zu Marla: »Ich habe kein Problem mit Frauen. Ignorieren Sie diesen Idioten; seine Mutter fragt sich wohl gerade, wo er steckt und warum er noch nicht angerufen hat, weil es schon so spät ist.«

Marla lachte und seit langem war es wiedermal ein natürliches Lachen, dass genau so klang, wie es sich anfühlte.

»Es gibt noch viel mehr im Globus des Direktors«, sagte Marla, »aber ich nehme mal an, Sie wollen nüchtern bleiben.«

»Korrekt«, sagte Michaelson, mit seinem Finger deutete er auf sie, als wollte er sagen: Hol alles her, Schätzchen.

Jenson nippte an seinem Glas und fragte dann: »Worüber reden sie?« Er deutete zu Terry und Jared. »Über noch mehr dämliche Theorien?«

Marla schüttelte den Kopf. »Terry glaubt, dass es ein Gegenmittel gibt, oder vielleicht etwas Vorbeugendes. Jared bezweifelt es. Er meint, dass die Regierung einen Virus für die moderne Kriegsführung gezüchtet hat, ihr wisst schon, eine Art biologische Waffe.«

»Er hat zu viele Comics gelesen«, sagte Jenson, er nahm einen weiteren Schluck. »Sie schmieden also keine Fluchtversuche?«

»Nicht dass ich wüsste«, sagte Marla. »Warum sollten sie fliehen wollen, wenn sie Männer mit Waffen bei sich haben? Sie sind vermutlich die einzige Möglichkeit, die ihr Überleben sichern, und ich wette, dass sie Sie dafür hassen..«

»Hoffen wir es«, grinste Michaelson. »Würde sie nicht über den Zaun lassen wollen.«

Von draußen ertönte ein Stöhnen. Die Wachen wandten sich wieder dem Fenster zu, zwischen ihnen ließen sie genügend Platz für die Ärztin.

Die Kreaturen stritten in der Mitte des Hofes; es waren fünf, die um etwas schwer Erkennbares standen.

»Sie spielen mit Sicherheit nicht Karten«, seufzte Marla. »Was hat sie wohl so aufgebracht?«

Die Antwort kam genau so schnell, wie die Frage gestellt wurde. Der Kreis öffnete sich ein wenig, was einen Blick auf das Innere ermöglichte und Jenson schlug sich mit seiner Hand angewidert über den Mund.

»Einer der Hunde«, sagte er. »Verdammte Scheiße, sie haben einen der Hunde erwischt.«

»Wir können nichts dagegen unternehmen«, sagte Michaelson, er legte seine Hand auf die Schulter des Wärters. »Wir können nur hoffen, dass es schnell geht.«

Kaum stürzten sie sich auf das Tier, war ein lautes Jaulen zu hören. Der Deutsche Schäferhund knurrte ein paar Mal, dann wurde es still, und nur die Kreaturen knurrten noch.

»Ich könnte kotzen«, sagte Marla und wandte ihren Blick ab. »Wie können die einem Hund so etwas nur antun?«

»Ich glaube kaum, dass die ein paar Haare stören«, sagte Jenson, er versuchte ungerührt zu klingen, scheiterte jedoch kläglich. »Es sind Bestien, beschissene Monster, die vor nichts Halt machen.«

»Ich hoffe, sie ersticken daran«, zischte Marla, dann wurde ihr bewusst, dass sie bereits tot waren und ein Erstickungsgefühl ihnen wohl wenig ausmachen würde.

Minuten verstrichen, bis die Kreaturen mit dem blutigen Chaos in der Hofmitte fertig waren. Nur noch wenig wies darauf hin, dass es sich dabei mal um einen Hund gehandelt hatte, alles, was übrig geblieben war, waren Knochen und Fell. Es zeigte, dass sie anders als Jenson vermutet hatte, Fell nicht mochten.

»Ich brauche einen Drink«, sagte Marla. »Ihr Chef hat wohl keine Verwendung mehr dafür, nach all dem.« Sie ging zum Globus und sah auf eine einladende Flasche.

Gerade wollte sie nach unten greifen und die Flasche herausholen, als etwas gegen die Tür knallte. Ihr Herz klopfte laut. Auf der anderen Seite des Büros sprangen Terry und Jared hoch. Michaelson und Jenson packten ihre Waffen und zielten Richtung Tür, sie misstrauten der Blockade davor.

»Hallo«, rief eine Stimme. »Ist da jemand, wir brauchen Hilfe.«


***


Es herrschte kurzes Schweigen, in entsetzlich langen Sekunden wurden ängstliche und verwirrte Blicke ausgetauscht. Michaelson signalisierte Jenson mit einer seiner Pistolen nach vorne zu gehen, was der Wachmann auch tat, dabei hielt er die Flinte fest im Anschlag.

»Wer ist da?«, fragte Michaelson, während er sich der Tür näherte.

»Die Insassen Toombs und Bridge«, war die Antwort.

Jenson wandte sich an Michaelson und hob seine Augenbraue. Das waren, so weit sie beide wussten, keine gewalttätigen Gefangenen; keiner hatte je Probleme gemacht, selbst während der letzten Unruhe nicht. Jenson zuckte mit den Schultern, Michaelson verzog sein Gesicht.

»Wurdet ihr gekratzt oder gebissen?«, fragte Michaelson.

Ein lautes Seufzen war von der andern Seite der Tür zu hören, »Nein. Toombs hat sich verletzt, aber das war ein Unfall im Kesselraum.« Kurze Pause. »Wir versuchten nur herauszufinden, wo wir hin sollen. Ich höre die Dinger kommen!«

Michaelson trat einen Schritt näher. Aus der Büroecke winselte Jared.

»Sie werden sie doch nicht hier hereinlassen?«, fragte Jared, sein Blick war ängstlich, seine Atmung schwer und unkontrolliert.

»Denken Sie, wir sollen sie einfach da draußen lassen?«, fragte Marla. »Sie haben doch gehört, was sie gesagt haben. Die Monster kommen. Wenn wir sie nicht hereinlassen, haben wir sie auf dem Gewissen. Ist es das, was Sie wollen?«

Jared wollte gerade antworten, dass er einen Scheiß auf sein Gewissen gab, doch Terry fuhr dazwischen. »Natürlich nicht«, sagte er. »Macht die Tür frei.«

Die Wachen traten einen Schritt zurück. Mit ihren Waffen im Anschlag behielten sie die Tür im Auge, während Terry sie frei schob.

»Langsam«, sagte Terry, als er die beiden Insassen hereinließ. »Die Jungs haben Waffen und ich bin mir ziemlich sicher, dass einer davon Gebrauch machen würde.«

Die Aufseher tauschten Blicke aus, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder den Neuankömmlingen widmeten.

»Sieht ziemlich übel aus«, sagte Marla, als sie auf Billy Toombs verbundene Schulter sah. »Erst kürzlich passiert?«

»Vor nicht mal einer Stunde«, sagte Billy. »Fühlt sich Scheiße an, aber ich denke nicht, dass es sich infiziert.«

Gerade rechtzeitig wurde die Tür wieder verbarrikadiert. Eine Horde Untoter stürzte sich auf das Holz, das sich einen Spalt öffnete. Der obere Teil des Türrahmens zersplitterte, Späne rieselten zu Boden. Michaelson schob den Schrank wieder auf seinen Platz und wartete ein paar Sekunden. Die Monster mussten wohl bemerkt haben, dass sie nicht hereinkamen. Der Druck ließ nach und das Stöhnen verstummte, als sie weiter schlurften, auf der Suche nach Beute.

Kaum war die Sicherheit wieder hergestellt, entspannte sich die Lage etwas. Marla nahm den behelfsmäßigen Verband ab, und fing an die Wunde mit Alkohol zu reinigen.

»Sie können sich glücklich schätzen«, sagte sie. »Wir verschwenden gerade Deans teuersten Wodka.«

Billy grinste. »Ich fühle mich schon viel besser.« Ein Schweißfilm bedeckte sein Gesicht und er sah bleicher aus als bei seiner Ankunft. Seine Augen waren eingefallen, dunkel umrandet, sein Haar war schweißnass. »Wie schlimm ist es?« Die Frage war natürlich ein Test, er wollte wissen, ob es wie ein Biss aussah. Sollte die Ärztin dies nicht erkennen, war er sicher. Sollte Marla Bissspuren entdecken, unter all dem Blut und Dreck, würde er eine Kugel in den Schädel bekommen, denn die Wachen schienen erpicht darauf zu sein, alles was verdächtig schien unter Beschuss zu nehmen.

»Sieht schlimm aus«, sagte sie, »doch wenn es gereinigt ist, wird es wieder.«

Er wusste, dass er nicht wieder in Ordnung kommen würde. Er war infiziert. Beinahe konnte er den Virus, der durch seine Adern wanderte und ihn in ein Raubtier verwandelte, spüren. Ihm war klar, dass er sein Verhalten im Auge behalten musste, zumindest solange er seine Triebe noch unter Kontrolle halten konnte und wenn die Zeit kam, an der alles verloren war, würde er selbst dafür Sorge tragen oder Shane nochmals darum bitten. Es war unfair, jemandem eine solch schreckliche Aufgabe aufzuladen. Seinem Stamm war es untersagt, Selbstmord zu begehen. Eine Ewigkeit der Klage im Tod wäre die Folge, und von Klagen hatte er schon genug.

»Geht’s dir gut, Kumpel?«, fragte Shane, er zog einen Sessel vor seinen Zellengenossen, dem es offensichtlich nicht gut ging, denn er war kreidebleich. »Die Ärztin kümmert sich um dich?«

Marla sah auf und lächelte. Es war ein nettes, aufrichtiges Lächeln. Shane bemerkte, dass die Ärztin die gleiche Augenfarbe wie Holly hatte, Smaragdgrün. Zu lange durfte er nicht in diese Augen sehen, denn es fühlte sich an, als würde er seine Frau betrügen, die irgendwo da draußen war. Musste sie sein.

»Die Antwort auf deine erste Frage«, sagte Billy und biss die Zähne so fest zusammen, dass sie knirschten. »Ich habe mich noch nie besser gefühlt. Ich wünschte, ich würde mich ständig so fühlen.« Er lachte nervös, beendete es aber, als Marla Wodka auf die Wunde schüttete. Vor Schmerzen zischte er, verdrehte seine Augen und wartete darauf, dass der Schmerz nachließ. Es fühlte sich an, als ob jemand in seine Schulter bohrte, mit einer gigantischen Bohrmaschine, die nur auf Bohrinseln im Einsatz sind. Als er wieder sprechen konnte, meinte er: »Und ja, die Ärztin ist meine beste Freundin. Sie ist ein viel besserer Freund, als du es je warst, noch dazu ist sie viel schöner als du.«

»Das meinst du nicht so«, lachte Shane. »Nicht nach all den Nächten, in denen wir uns die Koje geteilt haben.«

Marla kicherte. »Sie beide sollten auf die Bühne«, spottete sie. »Ich musste die Wunde säubern, bevor ich sie zunähe und bevor ich vor Lachen nicht mehr kann.«

Shane klopfte mit seiner Faust auf Billy Toombs Oberschenkel. »Du wirst wieder, Bruder. So wie ich es dir versprochen habe.«

Billy schüttelte seinen Kopf. »Wenn du das sagst.« Er verzog sein Gesicht, im Versuch gegen den Schmerz anzukämpfen. »Sei dir nur sicher, dass du bereit für diese verdammten Bestien bist. Das sind heimtückische Schlampen.«

Shane nickte. Er wusste genau, was Billy damit meinte, doch in der Anwesenheit der Ärztin konnte er nichts darauf sagen.

Mach dich bereit, wenn ich mich verwandle.

Shane ließ die Ärztin allein ihre Arbeit beenden und hoffte insgeheim auf ein Wunder.


***



Der Wagen stand wie immer neben dem Gehsteig geparkt. Der Motor lief, das Fahrzeug zitterte in freudiger Erwartung, bald weiterfahren zu können. Shane sah hinüber in den Schnapsladen, er war fast soweit, die ganze Sache zu vergessen.

Schweiß tropfte von seinem Gesicht; Pfützen bildeten sich auf seinem Schoß, kurz bildete er sich ein, er hätte sich angepisst. Er starrte nur einen Augenblick nach unten, dann war ihm klar, dass es kein Schweiß war.

Es war Blut.

Wässriges Blut, verdünnt mit seinem Schweiß, tropfte von seinem Kopf. Seine Poren schienen diesen schneller zu produzieren, als er in der Lage war ihn wegzuwischen, weshalb er ihn schließlich einfach auf sein T-Shirt tropfen ließ. Es war sinnlos. Sein Shirt war durchnässt und im Wagen verteilte sich Kondenswasser schneller, als es physisch möglich war. Seine Beine zuckten kurz, als er den Gurt löste.

War er noch angeschnallt?

Er war sich nicht mehr sicher.

Das Radio begann zu stottern, Rock-Songs wurden von Wasser ertränkt, welches nicht da war. Noch nicht jedenfalls.

Als er versuchte die Tür zu öffnen, ging das Schloss zu.

Er wollte fluchen, doch auch dies gelang ihm nicht. Nicht einmal ein Wimmern.

Während sich der Wagen immer mehr mit blutigem Wasser füllte, geriet Shane in Panik und versuchte mit dem Ellbogen das Fenster zu zerschlagen.

Das Fenster hätte offen sein sollen … wie es das immer war.

Nicht so heute. Er schlug einige Male gegen das Glas, doch es zersprang nicht. Eigentlich sollte es das, denn er war stark genug um ein solches Glas mit seinem Ellbogen einzuschlagen, jedoch nicht gerade.

Dann sah er eine kleine Gruppe von Kreaturen auf sein Auto zugehen. Einige von ihnen kamen aus dem Schnapsladen, den einzigen Ort den er ausrauben wollte, um seine Ehre zu retten. Sie schlurften stöhnend auf ihn zu, fletschten ihre Zähne.

Kaum hatten sie den Wagen umrundet, wurde Shane bewusst, dass ihm das Wasser bis zum Hals stand. Er konnte es riechen – nach Kupfer und abgestanden –, als es höher kam.

Die Kreaturen schlugen mit ihren Handflächen gegen das Auto. Sie rüttelten fest daran. Shane bekam noch mit, wie er durch die wogenden Wellen, die seinen Mund und seine Nase umspülten, im Fahrzeug hin und her geschaukelt wurde. Er spuckte und versuchte das faulige Wasser loszuwerden, aber mehr und mehr davon drang in seine Kehle, er musste würgen.

Als die Dunkelheit ihn überkam, sah er Gesichter, die Gesichter seiner Frau und seiner Tochter, und das von Billy Toombs, und eines von jemandem, der ihm bemerkenswert ähnlich sah.

Sie rüttelten auch am Wagen. Holly und Megan sahen in das überflutete Auto, grinsten, schwarzer Schlamm drang aus ihren Mundwinkeln, während Shane verzweifelt um sich schlug.

Als die Dunkelheit ihn ganz einhüllte, schloss Shane seine Augen und versuchte, die Visionen auszublenden, es gelang ihm aber nicht.

Shane …


***


»Shane, bist du okay?«, fragte Billy, der sich nahe vorlehnte und einen üblen Geruch verströmte, die Tage der schlechten Hygiene machten sich bemerkbar.

Shane stützte sich auf seine Ellbogen und blickte durch das Büro. In der einen Ecke unterhielten sich die Wachen, dabei rauchten sie Zigarren. Marla saß auf dem Boden, gegen die Wand gelehnt, ihre Knie angezogen. Sie war wach, sah aber müde aus.

»Du hattest einen Alptraum«, sagte Billy.

»Kein Scheiß ...«, murmelte Shane.

Billy half Shane hoch. Nach all dem konnte Shane nicht wieder einschlafen nicht jetzt, nicht nach all dem.

»Möchtest du darüber reden?«, fragte Billy.

»Niemals«, antwortete Shane.

Sie gingen durchs Büro auf die Wachen zu. Diese unterbrachen ihre Unterhaltung – etwas über Tod, wenig überraschend –, als Billy und Shane auftauchten. Michaelson zog eine weitere Zigarre aus der Box und zündete sie an.

»Besteht irgendeine Chance, dass ich eine davon bekomme?«, fragte Shane.

Der Aufseher starrte Shane schweigend an; Shane war nicht klar, ob es deswegen war, weil er eine Zigarre abgeben sollte oder einfach nur baff darüber war, dass Shane die Kühnheit besaß, eine solche Frage zu stellen.

Jenson wandte seinen Blick nicht von Michaelson ab, denn er wollte die Entscheidung des Wächters nicht verpassen. Als Michaelson in die Box griff und Shane eine überreichte, schüttelte Jenson ungläubig seinen Kopf.

»Dafür wird man dich knebeln«, grinste Jenson verschmitzt. »Darauf wette ich.«

»Vermutlich«, sagte Michaelson, als er Shane die Zündhölzer gab. »Spielt auch keine Rolle mehr, oder? Zumindest nicht, solange wir von diesen Kreaturen gejagt werden.«

Shane entflammte das Streichholz und genoss den Rauch, der in seine Lungen eindrang. Es war schon eine Weile her, seit er das letzte Mal geraucht hatte. Es war wie Fahrradfahren; man steigt voll Vertrauen in den Sattel, und bevor man es noch mitbekommt, fährt man ohne Stützen los.

»Schlecht für dich«, sagte Billy.

»Wenn wir hier rauskommen«, lächelte Shane, »verspreche ich dir, dass ich mir Pflaster auftreiben werde.«

»Rauchen ist billiger«, sagte Michaelson, dabei zog er genüsslich an seiner Zigarre. »Ich kann es mir nicht leisten, den Dienst zu quittieren.«

Etwas Verstörendes lag an der Aussage des Wachmannes. Als Shane rauchte, wurde ihm klar, dass er es wieder tun würde, sobald er hier raus war. Holly hätte wohl nichts dagegen, oder? Und Megan, auch sie war alt genug zu wissen, dass Papa ein gutaussehender Mann war, wenn er rauchte. Zu rauchen, würde er erklären, sei in manchnen Situation einfach nötig. In gewisser Weise waren es Lebensretter; vielleicht nicht für das eigene Leben, doch für andere.

»Irgendetwas los da draußen?«, fragte Shane, vorsichtig trat er zum Fenster und blickte in den Hof.

Michaelson rappelte sich hoch und gesellte sich zu Shane. »Nur das Übliche«, sagte er. »Einige von ihnen wandern herum, essen irgendeinen Scheiß von Weiß Gott wo.«

»Haben wir eine Chance, über den Zaun zu kommen?«, fragte Shane.

Michaelson schüttelte den Kopf. »Nicht solange die da sind«, sagte er und deutete auf die Kreaturen im Hof. »Vielleicht wenn nur ein, zwei da wären, aber das müssen 50 oder mehr sein. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie die raus gekommen sind, und ich möchte es auch gar nicht wissen.« Er pausierte, dann machte er einen letzten Zug von seiner Zigarre und zerdrückte sie am Fenster. »Das Beste, was wir tun können ist, die Codes herauszufinden und durch die Tür zu gehen.«

»Wie stehen die Chancen?«, fragte Shane. »Wo sind die Codes?«

Michaelson deutete auf den Computer, der auf Charles Deans Schreibtisch stand.

»Ich habe keine verdammte Ahnung, wie man so ein Scheißding bedient«, sagte er erschöpft. »Hatte noch nie was für Computer übrig.«

»Wenn wir diese Codes brauchen«, fing Shane an, »dann kann ich es ja mal versuchen. Ich war immer ziemlich gut darin.« Auf der Volkshochschule hatte er einen Kurs belegt.

»Dann stellt sich nur noch die Frage, wie wir in den Keller kommen«, meinte Michaelson wenig überzeugt. »Ich schätze unsere Chancen dafür schlecht ein.«

»Erstmal die Codes«, lächelte Shane. »Lassen Sie mich mal sehen, was ich tun kann.«

Michaelson entfernte sich vom Fenster und begab sich zu Jenson, der ihm sofort Fragen stellte. Billy blieb bei den Wachen stehen. Shane starrte auf den Computer, er hoffte, dass er die Codes herausfinden konnte, das würde zumindest eine reelle Fluchtmöglichkeit schaffen.

»Kein guter Buchersatz«, sagte Terry Lewis, was Shane überraschte. Terry nickte auf den Computer. »Ich habe noch nie einen benutzt, aber was die Leute so darüber sagen, bevorzuge ich lieber ein Buch. Sehe keine Verwendung dafür. So etwas kann ich nicht in mein Bett mitnehmen, du?«

Shane lachte. »Schätze nicht«, sagte er. Er mochte Terry. Er schien keineswegs gefährlich zu sein. Er hätte ihn gerne vor dieser ganzen Sache kennengelernt, bevor alles zur Hölle ging. Die Umstände hatten sie zusammengeführt und das war’s, mehr nicht.

»Gott hat für jeden von uns einen Plan«, sagte Terry, als ob er das Gesprächsthema bereits vorausgeahnt hatte. »Bist du ein gläubiger Mann, Shane?«

Das, dachte Shane, war eine Frage, die er nicht beantworten konnte, zumindest nicht gleich. Er spürte die Bibel in seiner Tasche, die er in der Kapelle gefunden hatte, während er nach einer Waffe suchte. Hatte er geahnt, dass er Terry einen Gläubigen treffen würde? War das überhaupt möglich?

Er griff in seinen Overall und holte die Bibel heraus. Als Terry sie sah, strahlten seine Augen. Er leckte seine Lippen, um sie zu befeuchten, dabei sah er wie Fagin aus, als die diebischen Waisen ihre Taschen für ihn leerten.

»Hast du was dagegen?«, fragte Terry und streckte ihm seine zitternde Hand entgegen.

Shane überreichte ihm die Bibel lächelnd. »Ganz und gar nicht«, sagte er. »Glaube kaum, dass ich mich in absehbarer Zeit damit beschäftigen kann.«

Terry rieb über das Leder, als ob es Seide wäre, dann hielt er es zu seiner Nase, sog den Duft des Materials in sich auf. »Du kannst dich mit deinem Computer beschäftigen«, sagte er. »Das ist alles, was ich brauche.«

Als er damit zurück in die Ecke des Büros ging, blätterte er vorsichtig die ersten paar Seiten durch. Shane fühlte sich überwältigt; er hatte die Bibel nicht für sich selbst mitgenommen – so wie er anfangs dachte –, sondern für Terry Lewis, einem Mann des Glaubens, dem sie wichtig war.

»Worum ging es?«, fragte Billy, als er zu Shane kam.

»Ach, nichts«, antwortete Shane. »Hab den Typen nur glücklich gemacht, das ist alles.«

Shane wandte sich an den Computer und seufzte. Er hatte Arbeit vor sich und er musste damit anfangen, wenn sie die Codes noch vor Tagesanbruch haben wollten.

Er saß im Ledersessel und startete den PC. Billy Toombs sah ihm über die Schulter. Shane fiel zum ersten Mal auf, dass Billy mit seiner Atmung zu kämpfen hatte, und fühlte sich schrecklich, als ob auch in ihm etwas absterben würde.


***


Das Passwort, von dem Shane anfangs dachte, es würde eine Hürde darstellen, war simpel. Als der Bildschirm mit der Aufforderung erschien, war Shane zunächst ratlos, fast eingeschüchtert. Er zog die Lade auf und holte ein Adressbuch heraus – ein altmodisches Ding, das in etwas eingebunden war, das wie Tapete aussah. In krakeliger Schrift stand darauf: 2011. Mehr nicht.

»Wonach suchst du?«, fragte Billy, der sich für Shanes Geschmack zu nahe heranlehnte. Sein Atem roch ranzig, und Shane kämpfte mit sich, nicht zu erbrechen. Wie konnte er seinem Freund wohl dieses Problem mitteilen? Was würde er darauf sagen? Kannst du bitte ein paar Schritte zurückgehen, du fängst an, wie ein beschissener Hinterwäldler, zu stinken? Er schluckte schwer, er hoffte, dass Billy sich seines Unbehagens nicht gewahr wurde, und fing an, die Seiten durchzublättern.

»Alles was acht Buchstaben hat«, sagte Shane. »Ein Name oder irgendetwas.«

Er blätterte weiter das Buch durch, das einige Notizen über das Gefängnis enthielt, und ein paar Gedanken was er in seinem Ruhestand tun würde, und schließlich wurde er auf der letzten Seite fündig.

SERENITY.

»Was bedeutet das?«, fragte Billy. »Das klingt für mich nach einem Code.«

Shane schüttelte seinen Kopf. »Das ist der Name seiner Tochter«, sagte er und deutete auf ein eingerahmtes Foto auf dem Schreibtisch. »Ich bilde mir ein, ich habe die Wachen über sie sprechen gehört.«

Ohne zu zögern klopfte er den Namen in die Tasten und betätigte die Eingabetaste. Es surrte und ein kleiner blauer Donut trat ins Leben, um zu signalisieren, dass der Computer beschäftigt war. Eine Sekunde lang dachte Shane, dass es falsch war; der Name seiner Tochter wäre zu einfach gewesen, es musste etwas viel Schwereres sein. Doch dann verblasste der Donut und der Bildschirm tauchte auf.

»Sehr gut, Bill Gates«, kicherte Billy, dann hustete er. Er bedeckte seinen Mund. Shane konnte den grässlichen Fäulnisgeruch dennoch riechen.

»Bist du okay?«

»Ja, Mann«, antwortete Billy. Er unterdrückte ein weiteres Husten. »Brauch nur einen Drink. Du weißt schon, um die alten Nerven zu beruhigen.«

»Hau rein«, sagte Shane und deutete zur Hausbar. »Heute ist alles frei.«

Billy klopfte Shane auf die Schulter und ging zur Bar, wo er seine Schmerzen betäuben wollte. Seine Schulter pochte, der Rest von ihm kribbelte, als ob kleine Nadeln ihn am ganzen Körper stechen würden. Es war ein seltsames Gefühl und eines, das er auf keinen Fall mit dem Rest der Gruppe teilen wollte. Verwandelte er sich schon? Was wenn er sterben würde und als Kreatur zurückkehrte?

Es wurde ihm klar, als er sich ein großes Glas Whisky einschenkte, dass es nichts gab, was er dagegen tun konnte. Er war bereits krank, das wusste auch Shane; die Art, wie er seinen Kopf abwandte, führte Billy zu der Erkenntnis. Als er in das Glas atmete, hoffte er den Geruch des Whiskys zu inhalieren, doch der Gestank, der ihm entgegenkam, roch nach Tod. Er kippte den Whisky in einem Schluck und füllte nach. Er hoffte, dass er keinen verletzen würde, sobald er verwandelt war.

Wenn …


***


Auf dem Desktop befanden sich unzählige Ordner, einige davon waren uninteressant; Familienfotos und Videos ließ Shane aus und ging auf das Laufwerk C über, dort wollte er fündig werden.

Akten aller Wachen mit ihren Diensträngen und Hintergrundinformationen waren zu finden. Viele Ordner gehörten zum Betriebssystem, was Shane auch nicht sonderlich überraschte, denn diese gehörten dahin.

Er öffnete den Programmordner und wurde fündig. Ein Programm namens GenaLock, welches genau für diesen Zweck entwickelt wurde, sprang ihm ins Auge.

Er startete und bediente es, so als sei er ein erfahrener Profi. Es fühlte sich gut an, etwas Nützliches zu tun. Wäre der Computer in die Hände der Wachen geraten, wäre vermutlich alles gelöscht worden.

Auf dem Schirm war ein Kalendersymbol. Shane klickte es an. Er öffnete das heutige Datum, klickte es an, und da stand es.

7471.

»Ich hab den Code, denke ich«, sagte Shane laut, dabei versuchte er nicht zu sicher zu klingen, für den Fall, dass er falsch lag.

»Wie sicher ist das?«, fragte Michaelson und erhob sich. Jenson erhob sich ebenfalls.

»Ziemlich sicher«, sagte Shane. »Es war mit heutigem Datum markiert und es war das Einzige, was ich dazu finden konnte.«

Marla trat hinzu; ihre Augen zwinkerten müde und sie gähnte. »Was haben wir?«

»Unser Genie hier denkt, dass er die Codes für die Kellertür hat«, sagte Jenson.

Für Shane klang sein Tonfall mehr als herablassend. Zu gern hätte er Jenson – das verfluchte Sackgesicht – den Computer bedienen sehen.

»Ist das alles was wir brauchen, um hier raus zu kommen?«, fragte Marla ein wenig munterer.

»Nein«, sagte Michaelson. »Es werden auch unsere Fingerabdrücke und Stimmen benötigt.«

»Wenn das so ist«, lächelte Marla. »Sollten wir sichergehen, dass ihr am Leben bleibt.«

»Freut mich zu hören«, sagte Jenson. »Vermutlich durchkreuzt das deine Pläne, nicht wahr?« Er deutete mit einem widerwilligen Ausdruck in Shanes Richtung.

»Ich habe keine Ahnung, was Sie damit sagen wollen«, lächelte Shane, er wusste, die Wache würde ihn weiter provozieren. »Ich liebe Sie wie meinen Bruder, Mann.«

Billy stieß ein Lachen hervor, es gefror sofort, als ihm Michaelson einen warnenden Blick zuwarf.

»Also, worauf warten wir noch?«, fragte Marla. »Gehen wir los.«

»Einen Moment noch, Herzchen«, sagte Jenson. »Wir können da nicht einfach mit geladenen Kanonen und dicken Eiern hinausgehen. Wir müssen ein paar Regeln aufstellen. Wir sollten sichergehen, dass wir alle auf der selben Seite sind.«

Terry war bereits dabei, die Barrikade zu verschieben. »Wir sind alle auf der selben Seite«, sagte er. »Wir werden heute Abend alle hier raus sein, und es ist mir egal, wenn ich noch Jahre hinter Gittern verbringen muss, solange diese Gitter weit genug weg von diesen Monstern sind.«

Jenson wollte gerade Terry rügen, doch Michaelson trat dazwischen.

»Er hat Recht. Die einzige Möglichkeit hier lebend rauszukommen ist Vertrauen. Normalerweise würde ich keinem von euch vertrauen«, er deutete herum, »weil ich weiß, wenn ich von euch Tee bekomme, dass ihr da reingepisst habt. Uns bleibt jedoch keine andere Wahl.« Jenson versuchte erneut etwas zu sagen, Michaelson unterbrach ihn. »Ich weiß, dass alles was hier passiert ist, die Dinge verändert hat. Uns sollte klar sein, was wir tun, sollten wir es hier herausschaffen. Ist es das was du gemeint hast?«

Jenson schüttelte seinen Kopf. »Ich rede von dem Haufen Gefangener, die sich einen Scheiß um unsere Sicherheit kümmern«, spuckte er hervor.

»Wenn Sie meinen, es sei besser es auf eigene Faust zu regeln«, fing Terry an, während er das restliche Zeug von der Tür wegschob, »dann los.«

Jenson öffnete seinen Mund und schloss ihn dann wieder.

»Dachte ich mir. Nun, ihr habt Waffen, was bedeutet, dass wir verdammt viel Vertrauen in euch stecken. Wenn du das Gefühl hast, dass der Druck zu groß ist, dann gib die Waffe jemand anderem.«

»Scheiße nein«, schrie Jenson, starrte böse durch das Büro. »Ich kann damit umgehen, sehr gut sogar; besser als jeder andere hier, also behalt deine Weisheiten für dich, alter Mann.«

Terry nickte. »Okay. Stellt nur sicher, dass ihr immer auf den Kopf zielt. Alles andere würde nichts bringen. Ihr könnt ihnen hunderte Male in den Schwanz schießen und sie werden immer noch auf euch zukommen.«

»Was ist mit ihm?«, fragte Marla. Sie deutete zu Billy Toombs, der Charles Deans Schreibtisch nutzte, um sich aufrecht zu halten. Schweiß floss von seinem Kopf und er sah immer bleicher aus. »Wer wird sich um ihn kümmern?«

»Ich«, sagte Shane, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern. »Ich bin für ihn verantwortlich und –«

»Für mich ist niemand vera–«

»Du weißt, was ich damit meine, Mann«, sagte Shane. »Ich werde dafür sorgen, dass du hier herauskommst, so wie der Rest von uns.«

Billy seufzte, er akzeptierte sein Schicksal. Es war nur noch eine Frage der Zeit.

»Okay«, sagte Michaelson und zog seine Pistolen aus den Holstern. »Solltet ihr beiden zurückfallen, dann ist es so.«

Shane nickte. »Nichts anderes hätte ich erwartet.«

»Gut, dann ist wohl alles geklärt«, sagte Jenson, der sich mit seiner Flinte der Tür näherte. »Wollen wir?«

»Wir wollen«, sagte Terry Lewis und zog die Tür auf.


***


Die Lichter im Gang gingen an und aus, es war nicht sehr förderlich für die Sicht. Zum Glück waren da keine Kreaturen, die ihnen entgegenkamen, als sie nervös aus dem Büro sahen. Sie stießen auf allerlei unkenntliche Eingeweide, drei Körper lagen da, die vor Stunden noch nicht da waren.

Die Monster zerrten Körper durch die Gegend, oder fingen an, sich gegenseitig zu fressen. Schwächere wurden zum Ziel für andere; dies war alles im Bereich des Möglichen, nach allem, was in den letzten Stunden schon passiert war.

Terry und Jared, zusammen mit Wachmann Jenson, hielten sich auf der linken Seite des Ganges; Shane, Billy und Marla gingen hinter Michaelson, der eher danach aussah, als würde er sie beschützten.

»Langsam«, flüsterte Michaelson seinen Leuten zu. Sie kamen zu einer Ecke und es wäre äußerst unklug, sie alle in Gefahr zu bringen. Michaelson streckte seine Hand hoch, damit vermittelte er den anderen stehen zu bleiben, um einen Blick zu wagen.

Sein Gesichtsausdruck entspannte sich, als der Gang leer war, abgesehen von einem Körper, der zusammengesackt an einer Wand lehnte. Er gab Zeichen, dass sie weitergehen konnten.

Eines war sicher; die Monster waren in der Nähe. Aus allen Richtungen klangen stöhnende, kratzende Geräusche. Hin und wieder kam auch ein kehliges Knurren dazu, laut genug, um Besorgnis unter den Überlebenden zu verursachen. Sie gingen unbehelligt weiter, sie hofften, dass es weit genug weg war.

Die Lichter flackerten, ein abgehacktes Surren entwich den Lampen dabei. Überall stank es nach Fleischresten und Kot. Der ekelhafte Geruch war ähnlich dem eines Schlachthofes. Er brannte sich in die Nasenlöcher, wo er eine gefühlte Ewigkeit zu bleiben schien. Während sie durch den Gang schlichen, wünschte sich Marla, dass ihr Geruchsinn nachlassen würde, und alle Sonstigen bis auf ihr Sehvermögen, welches sie noch brauchte, um in den Keller zu kommen.

Sie erreichten eine Tür. Sie war verschlossen, der Fingerabdruckscanner an der Wand funktionierte noch. Michaelson steckte seine Waffen ein und rutschte mit dem Daumen über den Bildschirm. Es folgte ein Piep, gefolgt von einem rot aufflackernden Licht, das grün wurde.

Im Türrahmen war ein metallisches Klicken zu hören.

»Na das ging ja mal gut«, sagte Terry süffisant von der Seite her.

Michaelson ignorierte ihn und stieß die Tür auf. Er murmelte etwas, während er den nächsten Raum betrat – vermutlich etwas Gotteslästerndes, gegen Terry gerichtet.

»Wo sind wir hier«, fragte Marla sich nähernd. Auf den Wänden hingen Poster nackter Frauen, die provokant für verschiedene Pornohefte posierten. In einer Ecke summte ein Kühlschrank. Die Lichter leuchteten größtenteils konstant, nur ab und an flackerten sie. Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes lagen Spielkarten; sie lagen wild verstreut, selbst am Boden und rund um die Stühle.

»Willkommen im Chaos«, sagte Jenson, er öffnete den Kühlschrank und holte eine Dose Cola heraus. Während er den Inhalt gierig hinunter leerte, starrte ihn der Rest der Gruppe durstig an. Jared leckte sich über die Lippen und hoffte, dass es noch mehr geben würde.

»Hier esst ihr also, ihr Perversen«, stellte Marla fest, sie ging zu den Wänden und begutachtete die Bilder. Darauf war ziemlich viel zu sehen; man konnte förmlich spüren, wie diese Bilder täglich zum Frühstück verschlungen wurden.

»Irgendwo müssen wir ja hin«, lächelte Jenson.

»Vermutlich alle von euch, was?«, grinste Terry. Er bekreuzigte sich, als er die Bilder ansah. »Wer nimmt hier wen ran? Michaelson dich oder umgekehrt?«

»Fick dich, Lewis«, schnappte Michaelson. »Ich schwöre bei Gott, du fängst langsam an, mich nervös zu machen.«

»Sorry«, sagte Terry. »Wollte ich nicht, wollen wir jetzt?«

»Hört auf damit«, sagte Marla. Sie ging auf den Kühlschrank zu. »Ist da auch etwas für uns drinnen?«

Jenson kniete nieder und fing zu essen an. »Scheint euer Glückstag zu sein«, grinste er. »Reynolds hat heute sein Mittagessen ausgelassen; ist alles von ihm.«

Er fing an, auf dem Kühlschrank Folienpakete zu stapeln. Am Ende waren es dann acht, genug um eine kleine Familie zu verköstigen.

Sie aßen. Für die Gefangenen war es die beste Mahlzeit seit langem. Wer hätte gedacht, dass Wurst und ein Stück Käse zwischen zwei Scheiben Brot so gut schmecken würden? Im Seitenfach des Kühlschranks stand eine Dose Cola, die Marla, Jared und Billy teilten. Billy kleckerte jedoch das meiste auf seinen Overall.

Als sie mit dem Essen fertig waren, durchsuchten sie den Raum nach allem, was als Waffe dienlich sein konnte – ein Mopp in der Ecke, den Shane zerbrach und die Teile Terry und Jared überreichte –, dann standen sie wieder vor der Tür, bereit für ihre weitere Reise.

Gerade als Marla etwas sagen wollte, wurde sie von riesigen Händen zurückgezogen. Sie schrie und Billy Toombs knurrte, als er nach ihrer Kehle schnappte.


***


Es dauerte eine Weile, bevor allen bewusst wurde, was los war. Shane war der Erste, der Marla packte – und den Fuß des irischen Halbindianers – und sie zu Boden drückte. Sie stießen hart aufeinander. Marlas Kopf traf brutal auf. Er rollte beiseite, Blut sickerte aus der Wunde. Ihr Haar färbte sich rot. Als Shane nach ihr griff, konnte er an ihren Augen sehen – sie waren weit aufgerissen –, dass sie bewusstlos war. Sie konnte dankbar sein, dass Billy sie nicht erwischt hatte, sein Kopf wippte wild hin und her, seine Zähne versuchten etwas Fleisch zu ergattern. Zum Glück war Marla so gelandet, dass Shane noch Zeit gehabt hatte, sie zu erreichen.

»Zieht sie weg!«, schrie Shane die Wachen an, die bei ihren Beinen standen und mit ihren Waffen auf den Untoten zielten. »Scheißt auf die Waffen!«

Michaelson steckte seine Waffen ein und packte Marla an den Füßen. Er zog sie, sie drehte sich.

Shane hielt die beiden riesigen Hände auseinander, Billy war schnell. Lebend war Billy schon stark gewesen, doch dies war etwas anderes. Es schien unnatürlich, und während Shane um Marlas Freiheit kämpfte, knacksten und knickten Billys Knochen, als sie gebrochen wurden, und dennoch ließ er von seiner Beute nicht ab.

»Geben Sie mir die Waffe«, schrie Shane. Es war unvermeidlich – er fiel vor Billy auf die Knie, denn er wusste, es blieb ihm nichts anderes übrig.

Michaelson ließ Marlas Bein los und griff nach seiner Pistole. Als er sie herauszog, erkannte er, was er gerade tun wollte.

Einem Häftling seine Waffe geben?

War er denn völlig verrückt?

Er ging zu Shane und starrte voller Intensität in seine Augen. Nach einem kurzen Augenblick – Shane verstand nicht, was gerade los war –, überreichte Michaelson ihm seine Waffe.

Shanes Finger war am Abzug, den Lauf richtete er auf Billy Toombs Kopf.

»Es tut mir leid, mein Freund«, flüsterte Shane.

Billy, oder das Ding, das einst Billy gewesen war, wehrte sich energisch – er wollte sich in alles verbeißen, was ihm zu nahe kam. Seine Augen waren dunkel, endlos scheinende Tiefen des Wahnsinns und aus seinem Mund lief schwarzer Speichel.

Shane schloss die Augen.

Dann drückte er ab.


***


Es waren hunderte von ihnen; es war fast unmöglich sich zu bewegen, ohne gegeneinanderzustoßen. Als Gefängnisdirektor Dean langsam den Gang entlang wankte, überkam es ihn, sollte er nicht bald was zu essen bekommen, würde er sterben. Natürlich war er bereits tot, doch dann wäre es endgültig. Er konnte die Fäulnis innerlich spüren – die Nahrung verlangsamte sie, wenn auch nur für eine Weile – und dies trieb ihn verzweifelt an.

Einige von den anderen schleppten Nahrung mit sich herum, Körperteile, die sie von irgendwo her hatten. Er wollte diese haben, sie ihnen entreißen und sie verschlingen, bevor ihnen überhaupt klar wurde, was passiert war. Er hatte es bereits versucht, dabei war er auf wütende Gegenwehr gestoßen. Er schätzte sich glücklich, immer noch mit der Horde weiterziehen zu können, trotz seiner schier verzweifelten Angriffe. Wenn auch nur einer von ihnen einen Arm oder ein Stück Rücken fallen lassen würde, hätte er genug, um zu überleben, genug, bis zur nächsten Mahlzeit, die hoffentlich viel größer ausfallen würde.

Er konnte sie bereits riechen, sie wartete da draußen auf ihn und dies trieb ihn an.

Er erreichte eine Gabelung. Die anderen gingen nach links.

Der Untote, der einstmalige Direktor, bog rechts ab.

Sollte er etwas finden, so war er nicht bereit, es mit den anderen zu teilen.

Alleine schlurfte er weiter. Ein Teil seines Magens hing heraus und schleifte am Boden, während er ging. Er starrte den Teil an, fast dankbar, so war mehr Platz für andere Dinge darin.


***


Nachdem was Billy widerfahren war, verzweifelte Shane immer mehr. Marla versuchte mit ihm zu reden, doch er schüttelte nur seinen Kopf. Er war noch nicht bereit; das war alles. Er hatte seinen Zellenkumpan erschossen, einen Mann, mit dem er fast drei Jahre sein Leben geteilt hatte, und das war nichts, mit dem man leicht umgehen konnte.

Sie warteten geraume Zeit in der Pausenkammer. Shane saß am Tisch und flüsterte zusammenhangloses Zeug vor sich hin, während Terry und Jared Billys Körper mit allen verfügbaren Mitteln bedeckten – den Nacktbildern.

Terry sprach ein Gebet vor dem Körper. Er las aus der Bibel, die er von Shane bekommen hatte. Die Wachen schauten gelangweilt zu, Marla stand in der Ecke und kaute an ihren Fingernägeln. Sie war nur wenige Minuten bewusstlos gewesen. Ihr Kopf pochte; er war mit einem Geschirrtuch umwickelt. Sie sah wie jemand aus Tausendundeine Nacht aus. Nach ein paar Sekunden nahm sie den Finger aus dem Mund und spuckte etwas in die Luft.

Was, wenn sich Blut an ihren Fingern befand? Es wäre gut möglich, dass sie während des Kampfes etwas davon abbekommen hatte. Sie dachte nicht, dass sie Billy gekratzt hatte, doch was war mit dem anderen im Büro des Direktors?

Sie verwarf den Gedanken und setzte sich an den Tisch neben Shane.

Als ob er auf diesen Moment gewartet hätte, stand er auf und sagte: »Gehen wir.«

»Sind Sie sicher?«

»Ja, bin ich«, unterbrach Shane Marla. »Wir müssen verdammt noch mal hier raus. Daran hat sich nichts geändert. Und jetzt hält uns auch nichts mehr auf.« Dies waren harte Worte und er wusste, dass er sie nicht so meinte, zumindest erleichterte es den Weg in den Keller, wenn sie nichts belastete …

»Gehen wir«, sagte Terry. Er steckte seine Bibel ein und hielt den halben Besenstiel in seiner Hand. »Wir halten zusammen, dann schaffen wir es hier lebend raus.«

Shane glaubte zwar nicht daran, allerdings gab es nur einen Weg das herauszufinden. Er nahm das Messer aus Billy Toombs Tasche und hielt es fest in der Hand.

Er nickte Michaelson zu.


***


Erinnerungen an eine schlechte Kindheit waren nie eine gute Sache; niemals regiert etwas Gutes in Zeiten des Chaos, schon gar nicht, wenn man zu jung war, um etwas dagegen unternehmen zu können. Rooster Hills Kindheit war weit schlimmer gewesen, als von den meisten und alles kam hoch, so als ob ihn Gott persönlich quälen wollte. Sein Kopf zersprang beinahe – Schach … kleine Schwuchtel … die Berührungen … Erzähl ja nichts davon deiner Mutter, es bleibt unser beider Geheimnis

Es traf ihn so hart, dass er beinahe umkippte. Er kämpfte damit, aufrecht stehenzubleiben.

»Was zum Teufel ist los mit dir?«, fragte Marvin.

Rooster nahm seine Nase mit zwei Fingern und kniff sich so fest, dass über seinen Augen Falten entstanden. Atme, atme, atme. »Nichts«, Rooster verzog sein Gesicht, trotz der Tatsache, dass er seine Nase quetschte und gegen eine Wand lehnte, als ob seine Beine nachgeben würden.

»Du siehst nicht gut aus, Mann«, sagte Marvin, er dachte an das Schlimmste. »Hast du dich angesteckt, oder so?«

Rooster fing zu blinzeln an. »Was? Natürlich nicht. Ich bin mehr als vorsichtig gewesen.«

»Gut«, murmelte Marvin, er hoffte, dass sein Freund ihm auch alles sagte. »Du hast nur eine seltsame Farbe, das ist alles. Möchte nur nicht, dass du hier austickst.«

Marvin entspannte sich, die Dunkelheit im Gang schien seinen Freund elender aussehen zu lassen, als er es tatsächlich war. Marvin wollte kein Risiko eingehen. Er wusste nur, dass er Rooster die Tatsache verheimlichen musste, dass er gebissen wurde.

Marvin fühlte sich nicht heiß an, obwohl sich sein Magen seit den letzten 15 Minuten wie ein Vulkan kurz vor der Explosion gebärdete. Es war sein Hunger, und nur der – zumindest redete er sich ein, dass es nur an seinem Hunger lag. Er hatte eine Weile nichts gegessen, und obwohl der Gefängnisfraß Scheiße war, reichte er um einen Mann auf den Beinen zu halten. Er sagte sich, weil er normalweise in der Nacht schlief – und diesmal hatte er überhaupt nicht geschlafen –, wollte sein Hunger durch ein Frühstück gestillt werden.

Ja, genau das war es.

Nichts anderes.

»Du siehst nicht gut aus, Marv«, sagte Rooster, der Marvins Schweißfilm bemerkte. Zu spät erkannte er, was mit seinem Freund los war. Marvin drehte sich um und stürzte sich auf ihn, seine Augen traten aus den Höhlen, sein Mund war zu einem furchterregenden O geformt.

Rooster blieb keine Zeit abzutauchen – zudem gab es auch nichts, wo er hin konnte –, also stand er da, es schien das Einzige, was er tun konnte.

Marvin traf auf ihn, seine rechte Faust landete hart in Roosters Gesicht. Sterne fingen an, um ihn herum zu tanzen.

Er wurde aber nicht ohnmächtig. Wenn das passiert wäre, würde alles vorbei sein.

Beiden knallten gegen die Tür. Das Holz zersplitterte, aber nicht genug um sie hindurch zu befördern. Als Marvin knurrte und sabberte und dabei versuchte ein Stück von Rooster zu erwischen, hielt Rooster den Kopf seines Freundes so weit weg wie er nur konnte, wohl wissend, dass ein einziger Biss, sogar ein Kratzer ihn infizieren würde.

Er konnte sich nicht beherrschen, er äußerte etwas Unverständliches, dass wie ein Wort klingen hätte sollen, und auch wieder nicht.

Rooster versuchte die Gestalt so fest wie möglich wegzuschieben. Er wusste, dass er eine Waffe brauchte, um sie zu Boden zu bekommen. Er hatte nichts, was ihm nützlich sein konnte.

Marvin grunzte, schnappte – wollte eine Vene erwischen –, doch er verfehlte sein Ziel. Er war stark, stärker als Rooster vermutet hatte. Klar hatten sie in den letzten Jahren gekämpft; das gehörte dazu, wenn man sich eine Zelle teilte. Wenn man die Scheiße nicht sofort aus einem herausprügelte, machte sie einen verrückt.

Aber Marvin, der tote Marvin, war außergewöhnlich stark. Bevor Rooster noch Zeit zum Überlegen hatte, was er als nächstes tun sollte, war er bereits außer Atem. Kurz fragte er sich, ob er genau hier sterben sollte, vielleicht würden seine Gefäße zerplatzen, oder er zerplatzte wie ein beschissener Dampfkessel.

So fühlte es sich an.

Er presste Marvin gegen die Wand, stieß ihm seinen Ellbogen direkt ins Auge, bis er es zerquetschte. Als er seinen Arm zurücknahm, konnte er den Schaden sehen, den er dem Ding verursacht hatte; das Auge war zerdrückt und teilweise hing es heraus, wie der Inhalt eines angeknacksten Eies. Schwarze Schmiere lief Marvins Wange hinab und von da auf seinen Overall, der bereits stank, als ob eine Leiche ihn ein paar Jahre angehabt hätte.

Da keine Waffe in Reichweite war – auch nichts, was er sonst verwenden konnte –, stieß Rooster Marvins Kopf wieder und wieder gegen die Wand, in der Hoffnung, dass er irgendwann – verdammt bald – aufhören würde, sich zu wehren und starb. Auf jeden Schlag folgte ein grausiges Geräusch; es klang wie ein Ballon voller Schleim, der gegen eine Wand prallte. Marvins Augen, die eigentlich nicht mehr seine waren (nicht wirklich), verdrehten sich, ohne die Lider zu schließen, was schrecklich aussah. Rooster prügelte seinen Zellengenossen zu Brei. Bis nichts anderes als Zähne und Knochen übrig waren – einige davon steckten im Unterkiefer, es sah aus, als versuchten sie zu fliehen. Erst dann hörte Rooster auf, obwohl er dem Ganzen noch nicht traute.

Die Kreatur – Marvin, Herrgott nochmal, es war immer noch Marvin! – rutschte an der Wand zu Boden. Ein Klang ertönte aus dem Loch, das einst ein Mund war, es war ein endgültiges Ausatmen.

Rooster trat zurück und sah hinab. War er das gewesen? Er musste es gewesen sein. Er konnte sich nicht mehr genau erinnern.

Ein paar Minuten später, holten Roosters Erinnerungen ihn ein, die er schon lange, lange Zeit verdrängte. Erinnerungen, die ihn verfolgten und die er weggesperrt hatte.

Schach, Schwuchtel …

Sie kehrten zurück, als er sie am wenigsten brauchte. Er hatte sie noch nie gebraucht … Scheiße, er wollte sie nie wieder durchleben. Während dieser Erinnerungen, stellte er sich die Frage; wenn irgendwer ihn infiziert hatte, wann war das passiert?

Und das war noch nicht alles.

Irgendwo kam Marvin mit dem Virus in Kontakt. Rooster nahm an, es war, als sie gegen Tyler gekämpft hatten. Das war das einzige Mal gewesen, an dem er Kontakt mit dem Virus gehabt hatte.

Was, wenn es sich durch die Luft verbreitete?

Rooster erschauderte bei dem Gedanken. Sollte es sich durch die Luft verbreiten, dann war er bereits tot.

Panisch überprüfte er sich selbst nach Kratzspuren. Ein kleiner Hinweis wäre genug, obwohl sich das Virus in seiner Theorie durch die Luft ausbreitete.

Zufrieden, dass er noch heil war, tauschte er seinen Overall mit dem von Marvin. Als er fertig war, sackte er erschöpft gegen die zertrümmerte Tür rechts von ihm. Er schloss seine Augen, nur für eine Sekunde, dann kamen die Stimmen, die er für einen Traum hielt. Er zwang sich die Augen offen zu halten, er wollte nicht nochmal in diesen höllischen Alptraum fallen, den er nur wenige Augenblicke zuvor durchlebt hatte.

Die Stimmen kamen unaufhaltsam näher.

Rooster zog sich auf die Beine, die Türklinke half ihm dabei und er wich ein paar Schritte zurück in die Dunkelheit.

Er wartete.

Die Stimmen würden bald hier sein.


***


Es war die Hölle. Das musste sie sein. Schmerz, Leid, Hunger, keine Reue; es war die Hölle, daran gab es nichts zu zweifeln und sie fühlte sich soooo gut an.

Er stieg den ersten Treppenabsatz hinab, stützte sich dabei aufs Stahlgeländer. Einige der anderen waren über die Seiten gefallen und landeten kopfvoran auf dem Stahlboden. Ein paar lagen still da, drei oder vier, regungslos, was bedeutete, dass sie mit enormer Wucht aufgeschlagen waren. Überall war Blut, schwarzes Blut, das durch den Gitterboden sickerte und hinabtropfte.

Er ging weiter nach unten. Seine Knie gaben unter seinem Gewicht fast nach, mit Hilfe des Geländers schaffte er es, sich aufrecht zu halten. Er stöhnte und grunzte dabei nicht zu laut; er wollte den anderen nicht verraten, wohin er ging, denn er wollte seine Nahrung keinesfalls mit den anderen teilen.

Acht Stufen hatte er geschafft, die weiteren würde er ebenso vorsichtig überwinden. Er konnte fast das Blut in der Luft schmecken, es schmeckte süß.

Er konnte es nicht mehr erwarten.


***


»Sollten nicht mehr von denen hier sein?«, fragte Jared, obwohl er froh war, das dem nicht so war.

»Wir sind nun ein paar Gänge von der Hauptanlage entfernt«, sagte Jenson, dabei schwang er gelangweilt seine Schrotflinte hin und her. »Es könnten ein paar Nachzügler kommen. Ich denke, der Rest von denen macht sich gerade über das tote Fleisch her, einige 100 Meter weiter weg.« Er hielt an und deutete mit dem Lauf der Waffe in die Richtung.

»Gut zu wissen«, seufzte Marla, obwohl sie eigentlich seiner Theorie nicht vertraute. Es war einfach dumm, seine Schrotflinte so herum zu schwingen, als gäbe es nichts Gefährliches, außer ein paar Gummibällen. Sie blickte zu Shane. »Sind Sie okay?« Sie fragte leise, laut genug für Shane und für Terry vielleicht, der harmlos war.

»Mir geht’s gut«, antwortete Shane. Er war immer noch mitgenommen, aber nicht mehr so wie zuvor. Seinen Zellengenossen zu töten war kaum etwas, dass man leicht wegstecken konnte. Es war fast so, als ob Shane und Billy eine Beziehung geführt hatten; sie waren Freunde, Kumpel, die füreinander gestorben wären.

Am Ende hatte er keine andere Möglichkeit gehabt.

»Wir werden hier rauskommen, Shane«, sagte Marla. Etwas lag in ihrer Stimme – todernste Entschlossenheit –, was Shane dazu brachte, ihr zu glauben.

Alles woran er denken konnte, waren Holly und Megan, und daran ob es ihnen gut ging. Vielleicht hatte sich die Infektion nicht so ausgebreitet, wie zuerst angenommen. War es plausibel zu glauben, dass der Virus nur bis nach Jackson vorgedrungen war? Shane hoffte, dass es nicht zu spät war, seine Frau und Tochter zu erreichen. Hoffentlich würde alles in Ordnung sein. Im Gegensatz zu Billys Tod, denn dieser würde ihn eine Ewigkeit heimsuchen. Mit seiner Familie um sich, würde es möglicherweise erträglicher sein.

Ohne dass die Gruppe es bemerkt hatte, war Jenson langsamer geworden, er blieb stehen, beide Hände hielten die Flinte. »Ich hoffe, dass ihr keine verfluchten Fluchtpläne schmiedet«, sagte er. »Ich würde dich erschießen, bevor du noch Zeit dafür hast darüber nachzudenken.«

»Runter mit der Waffe«, befahl Michaelson; das war keine Bitte. »Du bist ein verdammter Idiot. Hast du nichts mitbekommen? Bist du wirklich so dämlich, dass es bis zu dir noch nicht durchgedrungen ist? Alles hat sich verändert. Diese Leute sind keine Gefangenen, nicht mehr, zumindest nicht, bis wir hier raus sind … und selbst dann wird es nicht in unseren Händen liegen. Verflucht, wir sind keine Wachen mehr. Du, ich, sie, wir sind alle gleich. Wir sind einfach nur Menschen, die versuchen, diese Nacht zu überleben, und wenn wir es schaffen, weiß ich nicht, worauf wir da draußen stoßen werden. Aber eines schwör ich dir; du und ich, wir werden keine Freunde mehr sein. Denn du bist ein Arsch

Fassungslose Stille herrschte. Marla hätte beinahe applaudiert. Jensons Gesicht fiel zusammen; er sah aus, als würde ihm wer in die Eier treten. Sein Mund öffnete und schloss sich. In der Tat sah er beschämt aus. Als er seinen Kopf senkte, fühlte Michaelson nur Mitleid mit ihm.

»Wir müssen weiter«, sagte Shane und deutete in die Dunkelheit. »Wie weit ist es noch zum Tor?«

»Nicht mehr weit«, seufzte Jenson. Er sah deprimiert aus, seine Flinte hing lose herab.

Es war ein denkbar schlechter Zeitpunkt sich seiner Niedergeschlagenheit hinzugeben.

Aus dem Schatten tauchte eine Gestalt auf, sie schrie zusammenhanglos. Als ihnen klar wurde, was los war, hatte der Mann bereits Michaelsons Pistolen aus den Holstern geholt.

»Vorsicht!«, schrie Terry, doch es war zu spät; die Gestalt trat aus dem Dunkel, hielt in beiden Händen die Pistolen.

Jenson riss seine Waffe nach oben und schoss. Der Rückstoß beförderte ihn ein paar Schritte zurück. Aus der Dunkelheit drang ein qualvoller Schrei.

Der Wahnsinnige war getroffen.

Was die nächsten zehn Sekunden geschah, war allen unklar. Shane, Marla und Jared warfen sich zu Boden; Jared wimmerte wie gewöhnlich. Michaelson trat im Gegensatz ein paar Schritte nach vorne – somit dem Irrsinn ein Stück näher –, wusste aber nicht was er tun sollte. Er schaffte es auf seine Knie zu fallen, was viel schwieriger war als es klang, da sich jeder Muskel in seinem Körper versteift zu haben schien. Terry Lewis blieb stehen, aus Gründen, die nur ihm bekannt waren. Shane starrte ihn vom Boden aus an und sah, dass er leise betete; seine Augen waren geschlossen, sein Mund bewegte sich schnell. Selbst in der Dunkelheit erkannte Shane eine kleine Träne von Terrys Wange auf den Overall fallen.

Und Jenson, der ein paar Meter vor Terry Lewis stand, schoss wieder. Diesmal war keine schmerzerfüllte Antwort zu hören.

Die Antwort bestand aus Kugeln.

Einige davon.

Jensons Körper zuckte bei jeder Kugel, die ihn traf. Blut spritzte heraus, besprenkelte die Wände rund um ihn. Der Wachmann schrie nicht – konnte nicht –, denn er wurde von Schüssen durchsiebt.

An seiner Stelle schrie Marla. Ein schrilles, nicht enden wollendes Kreischen, das selbst noch anhielt, als Jensons lebloser Körper zu Boden fiel.

Als die Schüsse aufhörten, hallten sie noch den Gang entlang. Was eine schockierte Stille hätte sein sollen, hörte man als dumpfe Nachwirkungen. Jared wimmerte immer noch, Marla schrie, Terry betete stillschweigend, Michaelson murrte und Shane konnte seinen eigenen Herzschlag hören, der unaufhörlich in seine Ohren drang.

»Gut, gut, gut?«, fragte eine Stimme aus dem Dunklen. »Was machen wir hier?«


***


Ahhh, eine Schießerei war ein Zeichen, dass er auf dem richtigen Weg war. Bevor sie zu hören gewesen war, hatte er in Erwägung gezogen, seine Richtung zu ändern. Vor ihm war eine Tür, durch die er hindurch wollte.

Ein Zeichen.

Er ging weiter, er wusste, dass er dem Ganzen näher kam. Er konnte das Blut riechen, aber vielleicht spielte ihm sein Körper auch nur etwas vor.

Sein Magen, zumindest das, was davon übrig war, wusste das es bald an der Zeit sein würde. Eine Darmschlinge hing zu Boden, er bemerkte sie nicht, auch als diese sich um sein Bein wickelte und er strauchelte.

Er schleppte sie einige Zeit hinter sich her, bevor sie auf dem Weg liegenblieb.


***


Ein unverwechselbarer Geruch von Patronenschmauch hing in der Luft, er stach in der Nase und brachte die Augen zum Tränen. Niemand sprach – konnte es auch nicht – in den Sekunden, in denen der Wachmann zu Boden sackte. Blicke, ängstlich und verwirrt, wurden ausgetauscht. Der Besitzer der Pistolen sah sie an, er wollte herausfinden, ob jemand dumm genug war, ihm entgegenzutreten.

»Gut, hier ist es schön und gemütlich«, sagte Rooster, der einen Schritt vor die Gruppe trat. Als er sich bewegte, zuckte Marla zusammen; Jared wimmerte, auch wenn es schon Gewohnheit war. »Dachtet ihr, ihr könntet ohne mich hier raus? Mich unter diesen Kreaturen verrecken lassen?«

Michaelson, die letzte Wache – und die einzige Person mit Anschein von Autorität – schüttelte den Kopf.

»Hill, das war nicht der Plan.« Die Art und Weise, wie er sprach, war ähnlich einem Berater, der einen Junkie überzeugen wollte, nicht von einem siebenstöckigen Gebäude zu springen. Fast gönnerhaft, aber nicht mit Absicht.

Rooster wandte sich an den Aufseher. »Sie und Ihre kleinen Freunde hier waren auf der Flucht, nicht wahr? Wollten wohl das Weite suchen und den Rest von uns hier verrotten lassen.«

Terry Lewis stand stocksteif da und rezitierte Auszüge aus der Bibel in seinem Kopf, dabei streckte er seine Hand beruhigend aus. »Wir wussten nicht, dass es noch weitere Überlebende gab«, sagte er, ein kleiner Hauch von Lachen schwang in seiner Stimme mit, um das Ganze etwas abzumildern. »Wir haben nur versucht, diesen verfluchten Dingern zu entkommen, solang wir die Chance dazu hatten. Hätten wir gewusst, dass Sie nicht infiziert sind – von dem ich ausgehe –, dann hätten wir nach Ihnen gesucht.«

»Bullshit!«, spuckte Rooster Hill, was er eigentlich gar nicht wollte: Ein kleiner Schleimspritzer hing an seinem Kinn. Niemand sah hin oder war mutig genug es ihm zu sagen.

»Er sagt die Wahrheit«, bestätigte Shane. »Wir haben uns alle auf dem Weg hier heraus getroffen. Es war nicht unser Plan.«

»Und wenn doch, von dem ich verdammt noch mal ausgehe, dann habe ich euch einen beschissenen Strich durch die Rechnung gemacht.«

Als ob wir einen weiteren Knüppel zwischen den Beinen nötig hätten, dachte Shane.

»Sei nicht dumm, Mann«, sagte Michaelson, dann schloss sich sein Mund, denn Rooster hob die Waffe und zielte damit auf seine Weichteile.

»Dumm? Ich bin nicht dumm. Ich bin der Einzige hier, der sieht, was hier vor sich geht. Und Ihr werdet nicht davonlaufen und mich hier sterbend zurücklassen –«

»Du kannst mit uns kommen«, sagte Shane. Da wurde ihm bewusst, dass er immer noch zusammengekauert auf dem Boden lag. Er kam hoch; dann würde er zumindest Rooster ansehen, wenn dieser ihm eine Kugel verpasste, was ehrenhafter wäre, als wie ein Wurm in der Scheiße zu liegen.

»Ich kann mit euch kommen?«, fragte Rooster. Er dachte darüber nach. »Ja, ich könnte, oder auch nicht. Ich könnte mit euch kommen, und dann würdest du mit deiner fröhlichen Bande über mich herfallen und mich an die Monster verfüttern. Er spannte den Hahn jener Pistole, mit der er auf Michaelsons Kopf zielte. Er schloss die Augen, als ob dies den Schuss lindern würde. »Ich denke nicht, dass ich mit euch mit möchte, nicht jetzt. Eigentlich möchte ich alleine weiter. Nun, nicht ganz alleine. Irgendwer muss mich begleiten, oder nicht?«

Er blickte herum. Marla Emmets Ausdruck änderte sich so drastisch, dass sie zu einer völlig anderen Person mutiert zu sein schien.

»Lass sie in Ruhe«, sagte Shane und schritt vor. Er wusste, dass er eine Kugel in sein Knie bekommen würde, sollte er sich zu schnell bewegen. »Wenn dich wer begleitet, dann ich.«

Rooster kicherte. »Warum verflucht, sollte ich dich nehmen, wenn ich sie haben kann.« Er leckte sich die Lippen, der Schleim an seinem Kinn wippte. »Sie und ihr pralles Stück Arsch. Ich möchte wetten, dass sie einen Schwanz in Gartenschlauchlänge blasen kann, nicht wahr Süße?«

»Fick dich«, Marla verzog das Gesicht. Ein paar Sekunden lang dachte sie, dass sie sich übergeben müsste, schaffte es aber, es hinunterzuschlucken.

»Ich wette, das würdest du gern tun«, grinste Rooster. »So, Schätzchen, ich möchte, dass du dich erhebst, und bau bloß keinen Mist, sonst erschieß ich dich auf der Stelle. Zuerst das, und dann ficke ich dich.«

Marla wusste, was das bedeutete, und sie wollte es nicht herausfinden, nicht solange er mit einer Waffe auf ihre Brust zielte.

»Langsam«, sagte Rooster, wieder leckte er über seine Lippen. »Wenn du dich zu schnell bewegst, werde ich deinen kleinen Freund hier behandeln.« Er nickte zu Michaelson, der immer noch mit geschlossenen Augen dastand.

Marla bewegte sich langsam und vorsichtig, sie wollte dem Revolverhelden keinen Grund geben, dem Aufseher in den Kopf zu schießen.

»So ist es gut«, sagte Rooster. »Immer schön langsam, hm-mm, so wie es Mama immer gemacht hat.«

Als sie auf den Beinen war – die sich anfühlten, als würden sie jeden Moment nachgeben –, befahl Rooster ihr, zu ihm zu kommen, dann drohte er damit, jeden zu erschießen, der sich ihm näherte.

»So wirst du hier nicht herauskommen«, sagte Terry. »Sohn, glaube mir. Es gibt andere Möglichkeiten.«

»Bekommen die meinen Schwanz steif?«, fragte Rooster. »Denke nicht.«

»Den werde ich auch nicht steif machen«, sagte Marla fest.

»Oh, du wirst«, sagte Rooster und deutete mit der Pistole nach unten. »Das wirst du, und es wird verdammt gut tun.«

Während des ganzen Austausches schritt Jared zurück. Die Dunkelheit im Gang machte es fast unmöglich es zu sehen, doch Rooster sah es und das reichte.

Er riss seine Waffe von Michaelsons Schritt hoch und deutete damit auf Jared. »Bloß nicht!«, schnappte er. »Ich schwöre dir, es wird das Letzte sein, was du getan hast!«

Jared fiel auf die Knie und fing hemmungslos zu betteln an. Es war schon fast peinlich. Shane empfand Mitleid mit dem armen Kerl, dem es wohl offensichtlich nicht bewusst war. Shane fragte sich, wie Jared wohl hier gelandet war.

»Wir werden jetzt gehen«, sagte Rooster. »Zusammen werden wir uns aus dieser Hölle verpissen. Sollte es wer von euch wagen uns zu folgen, werde ich ihn erschießen. Und du, Süße, du bleibst besser artig, sonst werde ich grob und dann wirst du dir wünschen, dass ich dich gleich erschossen hätte.«

Er packte Marla an den Haaren und drehte sie zu sich. Sie quietschte unterdrückt. Shane dachte kurz darüber nach, irgendwie einzuschreiten. Rooster war auf jeden Fall ernst zu nehmen, und er log sicherlich nicht, wenn er meinte, er würde wen erschießen.

Rooster zog sie mit in die Dunkelheit des Ganges. Widerspenstig wehrte sie sich mit den Beinen. Ihr blieb keine andere Wahl als das zu tun, was der Arsch mit der Waffe von ihr verlangte.

»Bye, bye, Jungs«, lachte Rooster, dann war er fort, verschwand in der Richtung, aus der die Gruppe gerade gekommen war.

Marla schrie, als der Klang einer zuschlagenden Waffe die Gruppe erreichte.

»Das hatte ich nicht erwartet«, sagte Terry Lewis. »Sollten wir ihr nachgehen?«

Shane schüttelte seinen Kopf. »Ich schon, aber ihr solltet hier raus, solange noch die Chance dazu besteht.«

Jared seufzte erleichtert vom Boden.

»Ich komme mit dir«, sagte Michaelson, während er sich den geröteten Fleck von der Pistole auf seiner Stirn rieb. »Dieses Arschloch braucht eine verpasst.«

»Terry«, sagte Shane. »Ich möchte, dass du mit Jared hier abhaust. Du kennst den Code, oder?«

Terry nickte. »Sieben-vier-sieben-eins«, sagte er. »Aber was ist mit dem Fingerabdruckscanner?«

Shane kratzte sich, dann meinte er: »Darüber habe ich bereits nachgedacht.« Er blickte auf den reglosen Körper von Jenson. »Ich übernehme das.«

Er ging auf die Knie und zog seine Klinge heraus – Billys Klinge – und fing an, einen Finger des Wächters abzuschneiden.


***


»Sie gehen in die falsche Richtung«, stöhnte Marla und wischte sich das Blut aus ihrem Mundwinkel. »Sie haben den Code, um hier herauszukommen.«

»Wie auch immer«, sagte Rooster, er zog Marla an den Haaren und riss ihr einige davon aus. Sie schrie auf. »Wir werden meinen Weg gehen. Später, natürlich. Zuerst werden wir uns vergnügen, und wenn du weißt, was gut für dich ist, wirst du das tun, was ich sage. Wenn du am Leben bleiben und ein hübsches Ding bleiben willst, solltest du schön artig sein. Ich schwöre dir, es wird dir gefallen. Wahrscheinlich nicht so wie mir, aber es wird dir gefallen.«

Der Gedanke, dass der Irre sich an ihr verging, machte sie krank und ihr Magen schmerzte. Warum wollten immer alle Männer, denen sie begegnete, sie vergewaltigen oder belästigen? Strahlte sie irgendein Signal aus, von dem sie nichts wusste?

Scheiße nein!

Sie war in einem Gefängnis, mit Mördern und Vergewaltigern; einiges davon mussten ja auf die Wärter abfärben. Der eine, der widerlicher als die Insassen war – Tyler –, der war so einer, und Marla war sich nicht sicher, ob Jenson nicht auch so einer war.

»Ah, hier sind wir«, sagte Rooster. Sie erreichten eine Tür, die verglast war, und als Rooster den Knauf drehte, klickte sie. Die Tür schwang nach innen auf. »Perfekt. Ein Platz nur für uns beide«, kicherte er. »Nach dir.«

Marla zeigte es äußerlich zwar nicht, innerlich jedoch geriet sie in Panik. Gedanken wirbelte in ihr, wie in einem Zementmischer. Sie wusste, dass sie sich übergeben würde, und es kam ebenso schnell wie der Schock.

»Das ist doch kein Benehmen«, sagte Rooster, er strich ihr durch ihre Haare und über ihr Gesicht. »Man könnte glauben, dass du keine Lust auf mich hast.«

Das Gefühl in ihrem Bauch und der Schmerz vom Brechreiz machte es fast unmöglich, sich weiter zu übergeben und sie schaffte es irgendwie, es zu kontrollieren. Roosters Hand strich sanft über ihre Wange, so als wäre er ihre Mutter, die versuchte, sie zu beruhigen. Das machte sie wütend und dazu kam, dass sie ihm nicht ins Gesicht schlagen konnte.

»Besser?«, fragte Rooster, der einen Schritt hinein machte. Er reichte Marla seine Hand und machte einen Knicks. »Sollen wir?«

Das konnte doch nicht passieren. Es durfte einfach nicht wahr sein. Wenn sie schon dabei war, den Rest zu glauben – die Tatsache, dass hier Leute herumirrten, die versuchten andere aufzufressen –, aber dass ein Häftling jetzt dabei war sie zu vergewaltigen, schien schon fast zu weit hergeholt.

Sie trat in den Raum, da sie keine Alternative sah. »Versprich mir eines«, sagte sie, mit einer Hand wischte sie sich eine Träne aus dem Auge.

»Klar, Schätzchen«, sagte Rooster, er leckte sich über die Lippen, als wären sie mit Zucker bedeckt. »Alles, was du willst.«

Alles? Dann fick dich, du beschissener Scheißkerl!

»Bitte tun Sie mir nicht weh.«

Kaum hatte sie es ausgesprochen, merkte sie, wie erbärmlich das klang. Genauso gut hätte sie ihn fragen können, ob er sich zurücklegen und ihr die ganze Arbeit überlassen wollte. Ihr Verstand fing an es zu durchlaufen, versuchte herauszufinden, warum sie so etwas vollkommen Demoralisierendes gesagt hatte, kam aber zu keinem Ergebnis.

»Das werde ich nicht«, versprach Rooster. Er zog sie zart am Handgelenk in den Raum, dabei grinste er von einem Ohr bis zum anderen. »Gefällt dir Schach?«

Marla wusste nicht, was sie darauf sagen sollte, froh die Unterhaltung in die Länge zu ziehen, zumindest würde ihr so lange nichts passieren – nun, nichts Schlimmes.

»Ich liebe Schach«, keuchte sie, sie hoffte sich auf das Spiel konzentrieren zu können, vorzugsweise über die Regeln und einen Anekdoten Austausch.

»Dann wirst du es verdammt lieben«, sagte Rooster. Dann war er über ihr und seine Hand fummelte zwischen ihnen an seinem Overall. Er leckte ihr über das Gesicht, versuchte seine Zunge in ihren Mund zu schieben. Sie presste ihre Lippen so fest sie konnte zusammen, dabei schwor sie sich, was auch immer geschehen würde, dass würde sie nicht tun, niemals würde seine Zunge die ihre berühren.

Er grunzte, während er sich aus der Hose befreite. Sie konnte ihn fühlen, grausam und hart, als er gegen ihr Bein drückte.

Sie wollte ihn beißen. Daran kauen, so wie es die Kreaturen tun würden.

Er keuchte, seine Zunge glitt ihren Nacken entlang. Sie fühlte sich, als müsse sie erneut kotzen, allerdings wusste sie, dass sie dafür bezahlen würde. Als er an ihrer Kleidung herumzerrte, ihr den Rock herunterzog und Knöpfe von ihrer Bluse abriss, versuchte sie ihre Gedanken auf etwas anderes zu lenken, auf irgendetwas … anderes. Es misslang ihr. Alles woran sie denken konnte, war die Unterhaltung mit Charles Dean, die eine, die praktisch ihren Vertrag beendet hatte.

Sie wünschte sich, es wäre gestern geschehen, oder einen Tag davor. Dann wäre sie nicht hier, sondern irgendwo in Sicherheit, unberührt.

Rooster rutschte auf ihr herum. Sie konnte kaum atmen, da sein volles Gewicht auf sie drückte, ihr blieb keine Luft. Rooster musste ihre Atmung als Wimmern verwechselt haben.

»Das gefällt dir, was?«, fragte er. Er leckte ihr den Nacken, seine schleimige Zunge glitt auf und ab, als ob er etwas malen würde. Er grunzte, spreizte ihre Beine weit auseinander, lehnte sich zurück und wollte in sie eindringen.

Marla holte tief Luft, als sie von seinem Gewicht befreit wurde. Sie konnte nicht erkennen, was vor sich ging; sie vermutete, dass Rooster eine bessere Position suchte. Vielleicht überkamen ihn Schuldgefühle und er würde sie nicht von Angesicht zu Angesicht ficken.

Dann hörte sie eine Stimme und fing sofort zu weinen an.

»Sind Sie okay?«, fragte Shane; er zog ihr die Kleidung zurecht. Er stand neben ihr und sie war noch nie so glücklich gewesen, jemanden an ihrer Seite zu haben.

Sie griff nach oben, schlang ihre Hände um seinen Hals und zog ihn nach unten. Sie küsste ihn innig auf die Wange, bevor sie zu heulen anfing.

»Ist schon okay«, sagte Shane und half ihr auf die Beine. Sie stolperte ein wenig und er hielt sie fest. »Alles wird gut.«

Marla schüttelte den Kopf. »Er wollte mich vergewaltigen«, schniefte sie. »Dieser beschissene kranke Bastard wollte mich vergewaltigen.«

»Ich weiß«, meinte Shane und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Er wird dir nichts mehr tun.« Er deutete durch den Raum und Marla beruhigte sich.

Erstens hatte Michaelson seine Pistolen wieder, und zweitens, presste er beide gegen Rooster Hill, eine auf den Kopf, die andere auf seine Eier, die lose aus dem Overall baumelten. Seine Erektion war verschwunden und sein Penis hatte die Größe eines Zigarrenstummels angenommen.

»Sag nur ein Wort«, sagte Michaelson. »Und ich werde abdrücken. Mit beiden …«

Nun war es Rooster, der wimmerte. »Ich wollte ihr nicht weh tun, Mann!«, flehte er. »Es war nur ein Spiel

Shane kam zu ihm; Marla streckte sich und berührte seinen Arm. So als wollte sie ihn aufhalten, oder ihm mitteilen, dass er es nicht tun sollte.

»Du bist ein Hurensohn«, knurrte Shane. »Alles hier bricht zusammen, beschissene Monster sind hier überall«, er deutete mit seinem Finger aus der Tür, »und du denkst nur daran, diese Frau zu vergewaltigen!«

»Ich wollte –«

Plötzlich tauchte im Türrahmen Gefängnisdirektor Dean auf, sein kompletter Magen war schwarz und seine Eingeweide hingen heraus, die Augen hetzten wild durch den Raum, als versuchten sie herauszufinden, wer ihm eine solche Behandlung zu teil werden ließ.

Shane schnappte Marla und zog sie zur Seite, als der Direktor in den Raum stürzte, dunkle Galle kam aus seiner Kehle. Rooster verspürte den Drang sich selbst zu erlösen, er griff nach einer Pistole von Michaelson. Der Aufseher schlug ihm mit der Waffe ins Gesicht, er fiel zu Boden und rollte mit ziemlicher Wucht gegen die Wand.

Marla versuchte sich zu überzeugen, dass alles nur ein Alptraum war, etwas, was sie weg blinzeln konnte, wenn sie es nur lang genug versuchte. Sie war dankbar, dass Shane und der Wachmann es geschafft hatten, ihre Vergewaltigung zu verhindern, und jetzt dies. Es war ein nicht enden wollender Albtraum.

Quer durch den Raum schoss Michaelson. Eine der Pistolen klickte leer; die Kugel traf die Kreatur im Gesicht, zerschmetterte ihr den Kieferknochen und verteilte diesen über die Wand. Es würde nicht reichen, erkannte Michaelson sofort und schoss nochmal.

Nichts passierte.

»Schießen Sie!«, flehte Marla, dabei flüchtete sie, so weit sie konnte, in eine Ecke.

Michaelson fummelte an der Pistole, versuchte herauszufinden, was nicht funktionierte. Ladehemmung vermutlich, es blieb keine Zeit mit einer Waffe zu spielen, die genau so nützlich wie eine heiße Tasse Schokolade war. Er warf sie weg, zielte mit der anderen und schoss auf die Gestalt, die auf ihn zu schlurfte. Es dauerte nicht lang, bis auch die zweite Waffe versagte, davor beseitigte sie noch das rechte Ohr des Direktors, er war fast überrascht.

Shane zog Marla zur Tür. Sie erschrak unglaublich, versuchte sich zu wehren, aber sie musste ihm vertrauen. Er hatte gerade ihr Leben gerettet und er würde es wieder tun. Sie gab nach und ließ sich Richtung Tür ziehen. Kaum waren sie hindurch, realisierte Shane, dass keine anderen Kreaturen außer Charles Dean hier waren, und befahl Marla stehen zu bleiben.

»Lass mich nicht allein«, bat sie. Es was okay jetzt ängstlich zu sein; selbst wenn sie es könnte, würde sie es momentan nicht verbergen.

»Ich muss Michaelson helfen«, sagte Shane. »Wir brauchen ihn lebend, um hier rauszukommen.«

Marla hatte nicht daran gedacht. »Sei vorsichtig«, sagte sie. Als Shane sich umdrehte, bedeckte Marla ihr Gesicht mit beiden Händen und fing hemmungslos zu schluchzen an.

Shane ging zurück in den Raum mit Billys Messer in der Hand. Und es war gut, dass er es bereits hatte. Die Kreatur war in der Mitte des Raumes, schnappte von einer Seite zur anderen, versuchte herauszufinden, wer von ihnen – Michaelson oder Rooster – den geringsten Widerstand leistete. Sie schien zu wissen, dass der Wachmann was in der Hand hielt, was sie eventuell töten könnte und so ging sie auf Rooster los, der hinter einem Stuhl kauerte.

Shane gab einen Scheiß auf Rooster, er war ein Vergewaltiger und Mörder. Ihm helfen – was Shanes Leben gefährdete – entsprach gegen seine Grundsätze. Jeder Mensch verdiente eine zweite Chance, doch der Mann, der hinter dem Stuhl kauerte und versuchte, Charles Dean in Schach zu halten, hatte diese bereits verwirkt.

»Michaelson«, sagte Shane in dem Versuch, die Aufmerksamkeit des Wächters zu bekommen und nicht die der Kreatur. Glücklicherweise nickte der Wachmann und stahl sich aus der Ecke des Raumes. Rooster, der immer noch seinen Schwanz und seine Eier hatte, versuchte auf die Beine zu kommen, als er bemerkte, was vor sich ging.

»Nein!«, schrie er. »Das könnt ihr nicht tun!«

Er hob den Stuhl und schleuderte ihn auf die Kreatur. Er zerbrach an Deans Kopf und riss ihm ein Auge weit auf, was ihn nur noch wütender machte. Die letzten paar Schritte lief er.

Als Shane und Michaelson aus der Tür waren, zogen sie diese hinter sich zu, die markerschütternden Schreie folgten ihnen.


***



Das Warten hatte sich gelohnt. Alles ging so leicht vonstatten, kaum bewegte es sich nicht mehr, oder versuchte davonzukommen. Er zog die Innereien heraus und fing an zu fressen, was wohl das Beste war, was er tun konnte; es wehrte sich nicht mehr. Geräusche waren noch kurz zu hören, bevor auch diese verblassten.

Als er mit seinen Händen und Zähnen das Fleisch zerpflückte, fiel ihm nicht auf, dass das meiste davon aus seinem Magen fiel.

Obwohl es ihm egal gewesen wäre.

Denn jetzt gerade war Direktor Charles Dean einfach glücklich.


***


Shane rappelte sich auf und zog Marla und Michaelson hoch.

»Wir müssen weiter«, sagte er. Das schreckliche Geräusch von Kratzen und Stöhnen drang von nicht weit entfernten Gängen her. »Es werden mehr von ihnen kommen.«

»Oh, Gott!«, weinte Marla. Sie fingen zu laufen an, das war schwerer als es klang, mit den flackernden Lichtern über ihnen und der Angst in eine Horde zu laufen.

»Scheiß Pistolen«, keuchte Michaelson; offensichtlich war Fitness keine Grundvoraussetzung für einen Gefängniswärter. Er warf die zweite Pistole gegen die Wand, wo sie in ihre Einzelteile zerfiel.

»Was machen Sie da?«, kreischte Marla, sie wurde etwas langsamer, damit sie den Satz herausbrachte.

»Keine Patronen mehr«, antwortete der Wachmann. »Hätte es sonst nicht getan, oder?«

Sie hetzten weiter. Shane hoffte, dass sie nicht falsch abgebogen waren, seine Befürchtungen lösten sich auf, als er eine Wand voller Feuerlöscher erkannte.

»Fast da«, sagte er. »Seid ihr okay?«

»Könnte schlimmer sein, denke ich«, sagte Marla, die ihre Bluse zusammenhielt. Dieser Arsch, Rooster, hatte sie zerrissen.

Zum Glück war es nicht zu mehr gekommen.

Nahe – so nah, dass sie innerlich zitterten – hörte man Stöhnen. Es klang, als ob sich die Tore zur Hölle unterhalb des Gefängnisses öffneten. Der Lärm hielt sie nicht auf; nichts würde das im Moment tun. Während sie auf das Kellertor zuliefen, musste Shane an seine Familie denken. Waren sie okay? Was, wenn sich der Virus so weit ausgebreitet hatte? Da fiel ihm ein, dass er vor dem Computer im Büro des Direktors gesessen hatte. Sicherlich hatte dieser Internetzugang. Das wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, die Außenwelt zu prüfen, ob es noch woanders solche Attacken gab.

Warum waren sie nur so dumm gewesen?

Shane sagte Marla und Michaelson nichts davon, nicht jetzt. Warum auch?

»Da ist es«, sagte Michaelson atemlos. »Tor eins.«

Shane blieb erst stehen, als er das Bedienfeld des Codes erreichte. Sein Verstand setzte aus.

»Fuck«, knurrte er. »Kann sich irgendwer an die verdammten Zahlen erinnern?«

Marla rief: »Willst du mich verarschen?«

»Seh ich so aus?«, fragte Shane, seine Finger strichen nervös über die Tasten. »Eine Sieben war dabei, soviel weiß ich.«

»Beeil dich«, sagte Michaelson. »Ich kann … sie sehen …«

Shane schaute nach links, an Marlas Kopf vorbei und sofort hefteten sich seine Augen auf etwas im Schatten, das auf sie zu schlurfte. Als die Beleuchtung aufflackerte, konnten sie noch mehr von ihnen sehen. Sie grunzten, wurden schneller, als ob sie wussten, dass ihnen ihre Mahlzeit gleich durch die Finger schlüpfen würde.

»Fuck!«, fluchte Shane und wandte sich wieder der Tastatur zu. Er tippte eine Nummer ein, sie klang richtig für ihn.

Sieben-eins-sieben-vier …

Das Licht, auf der Tastatur blinkte rot.

»Fuck!«, wiederholte Shane. »Ich dachte, das ist die Nummer.«

»Nun«, sagte Michaelson, der seine Augen nicht von den Kreaturen abwandte. »Denken ist nicht genug, um uns hier rauszuholen.«

Marla brachte nichts heraus. Eigentlich wollte sie nur noch schreien.

»Sieben-vier-sieben-eins«, murmelte Shane, dann tippte er die Zahlen ein. Sein Herz schien fast aus der Brust zu springen.

Klick …

Das Licht wurde grün.

»Danke, verflucht«, sagte Shane, mit der Hüfte stieß er die Tür auf. Sie war schwerer als sie aussah. Er musste sein Gewicht dagegen stemmen, um sie zu halten. »Schnell.«

Marla brauchte keine zweite Aufforderung, sie schlüpfte schon durch, als sie noch nicht ganz offen war. Michaelson schlüpfte hinterher.

»Beeil dich!«, schrie Marla. »Sie kommen!«

Shane wollte kurz etwas Sarkastisches erwidern, ließ es dann aber, es war weder die Zeit noch der Ort dafür. Er trat hindurch und alle drei zogen das Tor zu.

»Sie sind dran«, sagte Shane zu Michaelson, der vorm nächsten Tor stand, seine Augen blickten starr zu Boden, sein Gesicht verzerrte sich.

»Was ist los?«, fragte Marla, sie klang gehetzt. Die schreiende Horde hämmerte gegen das Tor.

Michaelson sagte nichts.

Das brauchte er auch nicht.

Er hob seine Hand – das war alles, was nötig war. Kratzer, die aussahen wie von vier Fingernägeln verursacht, zogen sich von seiner Hand hoch. Blut rann daran hinab.

»Scheiße!«, rief Shane und trat gegen die Mauer. »Scheiße! Scheiße! Scheiße!«

Michaelson sah schockiert aus. »Ich werde einer von denen«, flüsterte er. »Einer dieser beschissenen Bestien.«

»Es wird alles in Ordnung kommen«, sagte Marla, auch wenn sie nicht wusste, wie. Wie sollte überhaupt jemals wieder etwas in Ordnung kommen?

Michaelson sagte nichts weiter. Er ging zum zweiten Tor, legte seine Hand auf und wartete, dass den Rest der Scanner übernahm.

Das zweite Tor öffnete sich.

»Wir können Sie nicht hier lassen«, sagte Shane, obwohl ihm klar war, dass es keine andere Möglichkeit gab. »Es ist nicht richtig. Es ist verdammt falsch

Der Wachmann drehte sich um und lehnte sich gegen die Wand. Er hielt eine Hand hoch, die blutende und winkte ihnen zu.

»Wir müssen gehen«, sagte Marla. »Wir können nichts für ihn tun. Er ist infiziert.«

Shane schüttelte Marlas Hand ab. Er meinte es nicht böse, sie waren nur gerade dabei, etwas Unmenschliches zu tun.

»Fuck«, knurrte Shane und packte Marlas Hand. Dann liefen sie los.


***


Eine Kakophonie von Schreien kam aus dem Inneren des Gefängnisses, es war fast so, als ob die Kreaturen wussten, dass sie gefangen waren, ohne eine Chance woanders hin zu können, nichts fressen zu können. Sie waren in gewisser Weise völlig hilflos.

Shane und Marla liefen Hand in Hand durch den unterirdischen Parkplatz. Shane fragte Marla, wo sie ihr Auto geparkt hatte, und sie sagte ihm, dass es hier war, sie aber die Schlüssel in ihrer Jacke hatte, die im Büro hing. Typisch, dachte Shane, als sie durch die Reihen der Autos in Richtung Ausgang huschten, der durch ein großes grünes Schild mit einem weißen Pfeil darauf beleuchtet war.

»Shane«, sagte Marla und packte ihn am Arm. »Ich habe Angst. Was, wenn sie da draußen sind? Was, wenn es da auch nicht sicher ist?«

»Dann sitzen wir in einem riesigen Haufen Scheiße«, sagte Shane ohne es zu beschönigen. Ehrlich gesagt, versuchte er diesen Gedanken so weit wie möglich in seinem Hirn nach hinten zu schieben. Wenn der Virus da draußen war, dann war jegliche Hoffnung verloren – Holly und Megan wären hoffnungslos verloren.

Sie erreichten die Tür, die nach draußen führte, und blieben stehen. Shane nahm Marla an den Schultern und drehte sie so, dass sie ihn vollständig ansah. Ihre Augen waren mit Tränen gefüllt, sie glitzerten, ihre Lippen zitterten.

»Was auch immer da draußen ist«, fing Shane an »es wird alles gut. Das schwöre ich.«

Marla blickte zu Boden; Shane hob ihren Kopf mit dem Finger unter ihrem Kinn leicht an.

»Wir sind schon zu weit gekommen, um jetzt zu sterben«, sagte er, während er ihr über die Wange strich. »Und ich schwöre, egal was passiert, ich werde mich so gut ich kann um dich kümmern.«

Marla wusste – sein ernster Ton bestätigte es –, dass er die Wahrheit sprach. Er würde sie nicht verlassen, kaum gelang ihnen die Flucht; er würde sie nicht im Stich lassen, während er nach seiner Familie suchte, zumindest nicht sofort. Was auch immer geschah, er würde an ihrer Seite sein, bis sie ihn nicht mehr brauchte. Das Versprechen in seinen Augen bewies ihr das in wenigen Sekunden und schickte ihr einen Schauder durch den ganzen Körper.

»Danke«, sagte sie und drückte seine Hand, die noch immer ihr Kinn streichelte. Ihre Worte schienen nicht auszureichen, vorerst waren sie alles, was sie hatte.

»Okay«, sagte Shane und wandte sich zur Tür. »Bereit?«

Sie hielt inne, atmete tief durch, bevor sie sagte: »Bereit.«

Shane schob die Tür auf und sie traten im Licht der Morgendämmerung hinaus.


***


Einen Moment lang konnte Shane nicht glauben, was er sah. Es war so etwas Unwirkliches und Horribles, das sein Gehirn nicht so schnell verarbeiten konnte.

Der Helikopter war der Nagel im Sarg. Er befand sich genau in den Reihen der Autos, die schon eine Ewigkeit zu stehen schienen. Die Rotoren bewegten sich nicht, warum sollten sie das auch? Der Pilot hatte keine Ahnung, wie lange er warten sollte und wie die Dinge standen, war es besser Kraftstoff einzusparen. Die Seitentür des Helikopters klappte auf und Terry und Jared erschienen. Terry sprang herab und deutete dem Paar zu kommen. Als klar wurde, dass sie die letzten Überlebenden waren, schien die Zeit zu drängen.

Ein mechanisches Surren erklang, als sich die Rotoren in Bewegung setzten. Terry, aus Angst seinen Kopf zu verlieren – das hatte er mal in einem Film gesehen –, kletterte in den Helikopter zurück.

»Ich glaube nicht, dass das gute Neuigkeiten sind«, sagte Marla. Shane nahm die Szenerie auf. Der Helikopter war nur aus einem Grund hier, und da es ein Militärhubschrauber war – dies war am USAF-Symbol ersichtlich – war es ganz klar, dass landesweit die Kacke am Dampfen war.

»Kommt schon«, rief Terry von der Tür her. »Sie kommen!« Er deutete hinter sie.

In der Ferne kam eine Horde auf sie zu, Irre, Kreaturen, Monster, Zombies schlurften die Straße zum Hubschrauber entlang, sie wurden durch den Klang der Roten und dem Duft von Fleisch und Blut angelockt. Marla sah sie und schob Shane nach vorne. Shane versuchte positiv zu denken, es fiel ihm jedoch schwer.

»Los!«, rief der Pilot aus dem Cockpit. Während er sprach, lehnte sich der zweite Soldat heraus und feuerte auf die Horde. Ein paar von ihnen kippten um, ihre Schädel zerplatzten, Gehirnmasse verteilte sich in der Luft. Einige Kugeln trafen auf Fahrzeuge, Alarme gingen los, Rücklichter fingen zu blinken an.

Dies, dachte Shane, war nicht die Zeit zu erstarren. »Auf geht’s«, sagte er. Marla brauchte keine zweite Aufforderung. Sie liefen zum Helikopter, dabei ignorierten sie das Grunzen und die Schreie der Biester, die entweder richtig erschossen wurden oder weiter schlurften. Die Rotoren hatten nun volle Leistung aufgenommen. Er schwebte bereits ein paar Zentimeter über dem Boden, als sie hineinkletterten. Terry zog Marla hinein, die nicht hoch genug gesprungen war und deren Beine nach draußen baumelten.

Der Pilot – ein Mann, den sie später als Flyboy kennenlernen sollten – zog den Helikopter nach oben, und es schien keine Sekunde zu früh gewesen zu sein, als die Horde sie erreichte und manisch auf die Unterseite des Hubschraubers einschlug. Shane und Marla sahen nach unten. Kurz darauf klopfte Terry Shane auf die Schulter.

»Sie wollten ohne euch los«, sagte Terry und half Shane in den Sitz. Der Helikopter wendete steil, Shane rutschte fast durch die offene Tür. »Ich habe sie überreden können.«

Jared schwieg, er war so fest geschnallt, als ob sein Leben davon abhinge. Sein Kopf war in seinen Händen vergraben, als versuchte er Rückschlüsse auf das Geschehen zu ziehen, und sich Gedanken zu machen was noch folgen würde.

»Danke«, sagte Shane, er lächelte ein wenig. »Woher sind sie gekommen?«

Terry zuckte mit den Schultern. »Sie waren einfach auf der Straße. Haben nach Überlebenden gesucht, schätze ich. Wir wurden beschossen, dann ist es uns gelungen, ihnen zu zeigen, dass wir keine von denen sind, verstehst du?« Er machte eine komische Geste und spielte damit recht überzeugend eine Kreatur nach. »Ich vermute, er stand uns bei, nach all dem.« Natürlich meinte er damit, jemanden von weit oben.

»Vermutlich«, sagte Shane.

Er lehnte sich gegen den Rahmen, er wollte verhindern hinauszufallen. Als er das Gemetzel unterhalb sah, wurde ihm klar, dass die Chancen seiner Frau und seiner Tochter gleich Null standen. Ihm wurde bewusst, dass er kaum da runtergehen konnte. Aus seinem Augenwinkel fiel eine winzige Träne durch die Helikoptertür. Wo sie landen würden, wusste Shane nicht. Da unten gab es Hunderte – Tausende – von ihnen. Wie man sie auch nennen mochte: Kreaturen, Wesen, Dämonen. Es spielte keine Rolle. Was zählte war, dass es Überlebende gab, auch wenn es wenige waren. Es gab Hoffnung auf Überlebende, wie auch für seine Frau und seine Tochter.

Der Tagesanbruch linderte alles ein wenig. Die Sonne stieg am Himmel auf und färbte die Landschaft orange und rot. Sie mussten für jedwede Zukunft kämpfen.

Und bei Gott, dass würden sie.