RUNDUM MEERBLICK

Sie haben rundum Meerblick und eine Lage, um die sie viele beneiden: die sieben Ostfriesischen Inseln. Sieben Eilande, die mit den Salzwiesen vor den Festlandsdeichen und dem Watt zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer gehören – einem einzigartigen Lebensraum, der die Auszeichnung Weltnaturerbe trägt. Die Inselschwestern, die in der Insulaner-Hymne Die Sieben zum Verlieben besungen werden, faszinieren nicht zuletzt wegen ihrer Unterschiedlichkeit: Borkum hat eine bewegte Geschichte als Walfängerinsel und kann mit Hochseeklima prahlen. Juist wird auch »Zauberland« genannt und wartet mit 17 Kilometern Strand auf. Norderney hat das Prädikat ältestes Nordseebad, war einst Sommerresidenz der hannoverschen Könige und ist heute das Eiland für Kurzentschlossene. Auf dem kleinen Baltrum hingegen hat die Beschaulichkeit das ganze Jahr über Saison, während sich auf der Insel Langeoog viele Sportbegeisterte rund um den historischen Wasserturm tummeln.

Spiekeroog bietet ein grünes Dorf mit viel Geschichte, ein altes Gotteshaus und eine Museumspferdebahn. Wangerooge wiederum ist das Ziel vieler Heiratswilliger, die sich per Inselbahn auf den Weg zum Alten Leuchtturm machen, um dort ihre Ringe zu tauschen.

»Wangeroog hett ’n hoge Toorn,
Spiekeroog hett sien Naam verloorn,
Langeoog – de lange Strand,
Baltrum is ’n Bohntjeland,
Nördernee – de halve Stadt.
De Juister eten sük halv satt,
man kamen wi na Börkem,
dar steken s’ sük mit Förken

Auf Norderney spottete man in früheren Zeiten gerne mit einem Abzählreim über die sieben Eilande, in dem die Norderneyer ihre eigene Insel als städtisch deklarierten, indem man die »halbsatten« Nachbarn auf Juist ob ihrer Armut verhöhnte und den Borkumern nachsagte, dass sie sich mit Heugabeln stritten.

Die Autorin Silke Arends ist an der ostfriesischen Nordsee geboren und kennt die sieben Inseln. Sie weiß, woher der Wind weht, wann die Fähren fahren, und sie kennt die Menschen, die seit Generationen stolz darauf sind, Insulaner zu sein.

Ob nun Borkum, das heutzutage mit der Maxime »Nordseeinsel unter weitem Himmel« wirbt, oder die Insel Wangerooge, die mit dem Motto »Erholung ist eine Insel« kokettiert: Der individuelle Charme der ostfriesischen Eilande inspiriert. Erleben Sie sieben kleine Welten inmitten eines bizarr-schönen Wattenmeeres, das von jeher der Willkür der Gezeiten unterworfen ist.

AUF SAND GEBAUT UND VOM MEER BEWEGT

Die Ostfriesischen Inseln sind auf Sand gebaut. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie sind in erdgeschichtlich noch sehr junger Zeit als Düneninseln aus dem Meer entstanden. Das unterscheidet sie von den Nordfriesischen Inseln vor der Westküste Schleswig-Holsteins, die sich dereinst aus Fragmenten des Festlands bildeten. So wie die Anziehungskräfte von Sonne und Mond die Gezeiten bedingen, so war der Entstehungsprozess der Ostfriesischen Inseln dem stetigen Kommen und Gehen des Meeres und den Launen des Windes unterworfen. So ist es bis heute. Die See gibt. Die See nimmt. Die Menschen hierzulande sprechen davon, dass die Eilande wandern – und deren Bewohner tun es seit Jahrhunderten mit ihnen. Tatsächlich spült ein stetiger Strom aus Nordwesten Sand im Westen der Inseln fort, der hernach an deren Ostende wieder angeschwemmt wird. So kommt es, dass dort, wo dereinst manches Inselkirchlein stand, längst Wellen brechen.

Und so entwickelte sich auch jene Sandbank im Südwesten von Juist zu einer Insel, die als Vogelschutzinsel Memmert bekannt und geschützt ist. Nach der Brutzeit kann die Insel von Naturfreunden entdeckt werden – aber der Inselvogt zählt lieber die Schnäbel in den Vogelkolonien, als die Besucher des ansonsten unbewohnten Eilandes. Drei Kilometer nordwestlich von Memmert ist seit einiger Zeit eine weitere Sandbank dabei, Land gutzumachen. Die Kachelot-Plate (cachalot, französisch für Pottwal) ist inzwischen auf eine Länge von drei Kilometern angewachsen. Wie es mit diesem Insel-Nachwuchs weiter geht, ist eine Frage der (Ge)-Zeiten. So wie der Gezeitenstrom von jeher ein unwägbares Naturschauspiel ist. Eine spektakuläre, zweimal tägliche Inszenierung mit den bewährten Akteuren Ebbe und Flut. Bei Ebbe ziehen sich die Wassermassen durch die Seegats zwischen den Inseln zurück und geben vor der Küste einen amphibischen Lebensraum frei, der von Prielen und Schlickbänken durchzogen ist. Hier tummeln sich Überlebenskünstler wie der Sandpierwurm, Schlickkrebse und Wattschnecken – begehrte Appetithappen für Abertausende von Zugvögeln, die im Watt rasten. Doch schon bald darauf flutet das Wasser unaufhaltsam zurück und nimmt das graue Areal wieder für sich ein. Experten haben herausgefunden, dass während einer Tide rund 200 Millionen Kubikmeter Wasser durch das Norderneyer Seegat – den Meeresdurchlass zwischen Juist und Norderney – in das Wattenmeer hineinbeziehungsweise herausfließen.

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Kein Wunder also, dass dieses einzigartige, bizarr-schöne Terrain mit den Schutzbereichen Salzwiesen, Inseln und Dünen seit 1986 zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer gehört und 2009 zum Weltnaturerbe erhoben worden ist. So, wie es einen nicht überraschen muss, dass das Wattenmeer Rückzugsgebiet vieler geschützter Vogelarten ist. Dort, wo sich Seehunde auf Sandbänken rekeln und wo es Möwen wie Sand am Meer gibt. Letzteren wird es niemals langweilig. Ihr Lebensraum bietet ihnen nicht nur ein abwechslungsreiches Meeresfrüchte-Büffett, sondern auch viel fürs Auge. Wer die Besonderheiten des Weltnaturerbes Wattenmeer erleben möchte, dem sei deshalb ein Rundflug empfohlen – wo sonst kann man aus der Möwenperspektive auf 90 Kilometern eine schmucke Inselkette bestaunen. Dem sei aber auch eine geführte Wanderung über den für nur wenige Stunden freigelegten Meeresboden ans Herz gelegt. Dort ist jenes Knistern zu hören, das der norddeutsche Dichter Theodor Storm in seinem Gedicht »Meeresstrand« als »des gärenden Schlammes geheimnisvollen Ton« beschrieb. Ist die See zurück, wird jenes geheimnisvolle Geräusch von der Brandung überspült – doch die nächste Ebbe kommt bestimmt! Bis dahin kann sich der Strandgänger beim Muschelsuchen die Zeit vertreiben, ohne sie zu vergeuden. Im Land der Pharaonen hieß es nämlich, dass die Götter von der Lebensspanne eines Menschen jene Tage nicht abziehen, die er mit Muschelsammeln verbracht hat.