Edwards Anblick in der Sonne war ein
Schock. Ich starrte ihn zwar schon den ganzen Nachmittag lang an,
konnte mich aber einfach nicht daran gewöhnen. Seine Haut war
blütenweiß, vielleicht mit dem Hauch einer Rötung von der Jagd am
Vortag, und sie glitzerte, als hätte man Tausende winziger
Diamanten in sie eingelassen. Er lag vollkommen reglos im Gras; das
offene Hemd enthüllte die Skulptur seiner Brust, seine Arme waren
unbedeckt und seine zart lavendelfarbenen Lider geschlossen, obwohl
er natürlich nicht schlief. Und alles funkelte. Er war eine Statue
der Vollkommenheit, gemeißelt aus einem unbekannten Stein, der
glatt wie Marmor war und glänzend wie ein Kristall.
Hin und wieder bewegten sich seine Lippen, so schnell, dass es aussah, als bebten sie. Als ich ihn danach fragte, sagte er, dass er vor sich hin sang; die Töne waren so tief, dass ich sie nicht hören konnte.
Auch ich genoss das schöne Wetter, obwohl mir die Luft längst noch nicht trocken genug war. Ich hätte mich gerne, genau wie er, auf den Rücken sinken lassen, um die Wärme der Sonne auf meinem Gesicht zu spüren. Doch dann hätte ich meinen Blick von ihm abwenden müssen – und so saß ich mit angezogenen Beinen da, stützte mein Kinn auf die Knie und betrachtete ihn. Ein sanfter Wind blies durch meine Haare und bewegte das Gras rings um seine bewegungslose Gestalt.
Die Wiese, deren Schönheit mir vorher noch den Atem geraubt hatte, war neben seiner Pracht verblasst.
Zaghaft und wie immer voller Angst, dass er sich – zu schön, um tatsächlich wahr zu sein – wie ein Trugbild in Luft auflösen könnte, näherte ich meine Hand seinem Arm und strich ihm mit einem Finger über den Handrücken. Zum hundertsten Mal bestaunte ich die perfekte Beschaffenheit seiner Haut: glatt wie Seide und kühl wie Stein. Als ich wieder aufblickte, sah er mich an; die Jagd hatte seine Augen verändert – sie waren viel heller als vorher und hatten einen warmen karamellfarbenen Ton. Seine makellosen Lippen hoben sich zu einem flüchtigen Lächeln.
»Mach ich dir denn keine Angst?«, fragte er schalkhaft, doch es lag auch wirkliche Neugier in seiner weichen Stimme.
»Nicht mehr als sonst auch.«
Sein Lächeln wurde strahlender; seine Zähne blitzten in der Sonne.
Ich rutschte etwas näher zu ihm heran und strich mit allen Fingern einer Hand über seinen Unterarm. Sie zitterten – seiner Aufmerksamkeit, wusste ich, würde das nicht entgehen.
»Darf ich?«, fragte ich, da er seine Augen wieder geschlossen hatte.
»Ja«, sagte er und seufzte wohlig. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie sich das anfühlt.«
Mit einer Hand fuhr ich leicht über die perfekt modellierte Muskulatur seines Armes und folgte dem blassen Muster der bläulichen Adern an seiner Innenseite. Mit der anderen Hand griff ich nach seiner, um sie umzudrehen, doch er erriet meine Absicht und kehrte seine Handfläche mit einer verstörend schnellen, kaum sichtbaren Bewegung nach oben. Ich erschrak und für einen Moment erstarrten meine Finger an seinem Arm.
»Verzeihung«, murmelte er. Ich blickte ihn an und sah gerade noch, wie sich seine goldenen Augen wieder schlossen. »In deiner Nähe fällt es mir zu leicht, ich selbst zu sein.«
Ich hob seine Hand an, drehte sie hin und her und betrachtete das Glitzern der Sonne auf ihrer Innenfläche. Dann führte ich sie näher an mein Gesicht und versuchte, die verborgene Struktur seiner Haut zu erkennen.
»Sag mir, was du denkst«, flüsterte er. Ich blickte auf und sah, dass er mich eindringlich musterte. »Es ist immer noch so seltsam für mich, es nicht zu wissen.«
»So geht es uns anderen die ganze Zeit.«
»Was für ein hartes Leben.« Hörte ich wirklich eine Spur des Bedauerns in seiner Stimme? »Aber das war keine Antwort.«
»Ich hab mir auch gerade gewünscht zu wissen, was in dir vorgeht …« Ich stockte.
»Und?«
»Ich hab mir gewünscht, ich könnte glauben, dass es dich wirklich gibt. Und, dass ich keine Angst habe.«
»Ich will nicht, dass du Angst hast.« Seine Stimme war nicht mehr als ein sanftes Murmeln. Ich hörte ihr an, was er nicht sagen konnte, ohne zu lügen: dass es keinen Grund zur Angst gab – dass ich nichts zu befürchten hatte.
»Hmmm, na ja, das ist nicht die Angst, die ich meine, obwohl ich das vermutlich im Auge behalten sollte.«
Plötzlich – zu schnell für mich – hatte er sich halb aufgerichtet und stützte sich auf seinen rechten Arm. Seine linke Hand hielt ich immer noch in meiner, sein engelhaftes Antlitz war nur noch Zentimeter von meinem entfernt. Normalerweise wäre ich vor seiner unerwarteten Nähe zurückgezuckt, doch ich war unfähig, mich zu bewegen. Seine goldenen Augen hielten mich in ihrem Bann.
»Wovor hast du dann Angst?«, flüsterte er eindringlich.
Doch ich konnte nicht antworten. Zum zweiten Mal spürte ich seinen kühlen Atem auf meinem Gesicht, seinen süßen, köstlichen Duft, der keinem anderen glich, den ich kannte. Ohne nachzudenken, beugte ich mich vor und atmete tief ein.
Im nächsten Moment hatte er mir seine Hand entrissen und war verschwunden. Bis ich meine Augen scharf gestellt hatte, war er fast zehn Meter zurückgewichen. Er stand am Rand der kleinen Wiese unter einer Tanne und starrte mich mit einem unergründlichen Ausdruck an. Im Schatten des riesigen Baumes waren seine Augen dunkel.
Die Verletztheit und der Schock versteinerten mein Gesicht. Leer brannten meine Handflächen.
»Tut mir … leid … Edward«, flüsterte ich. Ich wusste, er konnte es hören.
»Lass mir einen Moment Zeit«, rief er gerade so laut, dass ich es mit meinem weniger feinen Gehör verstehen konnte. Ich rührte mich nicht.
Nach etwa zehn unendlich langen Sekunden kam er vorsichtig näher. Zwei Meter vor mir blieb er stehen und sank anmutig in den Schneidersitz, ohne seinen Blick von mir abzuwenden. Er atmete tief durch und lächelte entschuldigend.
»Es tut mir so leid.« Er zögerte. »Verstehst du, was ich meine, wenn ich sage, ich bin auch nur ein Mensch?«
Ich nickte einmal, doch mir war nicht nach Lachen zu Mute. Langsam wurde mir bewusst, wie real die Gefahr war, die von ihm ausging, und mir schoss nachträglich das Adrenalin ins Blut. Er konnte das riechen. Sein Lächeln wurde sarkastisch.
»Bin ich nicht das perfekte Raubtier? Alles an mir wirkt einladend auf dich – meine Stimme, mein Gesicht, selbst mein Geruch. Als ob ich das nötig hätte!« Abrupt kam er wieder auf die Beine, machte einen Satz nach hinten, verschwand und stand einen Moment später wieder unter demselben Baum – im Bruchteil einer Sekunde hatte er die Wiese umrundet.
»Als ob du mir davonlaufen könntest«, sagte er mit einem bitteren Lachen.
Er griff nach oben und brach mit einem ohrenbetäubenden Krachen mühelos einen halbmeterdicken Ast vom Baum, balancierte ihn einen Augenblick lang auf seiner Handfläche und schleuderte ihn dann mit atemberaubender Wucht gegen den Stamm eines anderen Baumriesen, an dem er zerschmetterte. Der Baum bebte.
Und dann stand er wieder vor mir, einen knappen Meter entfernt, regungslos wie eine Statue.
»Als ob du dich gegen mich wehren könntest«, sagte er sanft.
Ich saß da und rührte mich nicht – noch nie hatte ich eine solche Angst vor ihm gehabt, noch nie hatte er mich so weit hinter seine sorgsam gepflegte Fassade blicken lassen. Niemals war er mir weniger menschlich erschienen – oder schöner. Kreidebleich und mit weit aufgerissenen Augen saß ich vor ihm, wie eine Maus vor einer Schlange, fixiert vom Blick ihres Jägers.
Seine wundervollen Augen glühten vor Aufregung; dann wich ganz langsam der Glanz aus ihnen, und seine Gesichtszüge formten eine Maske tiefer, uralter Traurigkeit.
»Hab keine Angst«, murmelte er. Seine samtene Stimme war ungewollt verführerisch. »Ich verspreche …« Er stockte. »Ich schwöre, dass ich dir nichts tue.« Viel mehr als mich schien er sich selbst überzeugen zu wollen.
»Hab keine Angst«, flüsterte er wieder und trat mit übertriebener Langsamkeit auf mich zu. Er ließ sich geschmeidig zu Boden sinken, bedacht darauf, keine hastige Bewegung zu machen, bis unsere Gesichter auf derselben Höhe waren, nur dreißig Zentimeter voneinander entfernt.
»Bitte verzeih mir«, sagte er förmlich. »Ich kann mich zusammenreißen. Du hast mich auf dem falschen Fuß erwischt. Ab sofort zeige ich mich nur noch von meiner besten Seite.«
Er wartete, doch ich konnte noch immer nicht sprechen.
»Ich bin heute nicht durstig, ehrlich.« Er zwinkerte.
Ich musste lachen, doch es klang unsicher und atemlos.
»Alles okay mit dir?«, fragte er sanft, hob vorsichtig seine glatte, kalte Hand und legte sie langsam wieder in meine.
Ich betrachtete sie, dann schaute ich ihm in die Augen. Sein Blick war weich und voller Reue. An Stelle einer Antwort fuhr ich fort, die Linien seiner Hand mit meiner Fingerspitze nachzuzeichnen. Dann lächelte ich zaghaft.
Und er antwortete mit einem strahlenden Lächeln.
»Also, wo waren wir, bevor mein Betragen so ungehörig wurde?«, fragte er in der ritterlichen Sprache eines vergangenen Jahrhunderts.
»Ganz ehrlich – ich kann mich nicht erinnern.«
Verschämt lächelte er. »Ich glaube, wir haben darüber geredet, wovor du Angst hast, abgesehen von den offensichtlichen Dingen.«
»Stimmt.«
»Und?«
Ich senkte meinen Blick wieder auf seine Hand und ließ meinen Finger ziellos über die glatte, irisierende Haut wandern. Die Sekunden verstrichen.
»Wie schnell ich ungeduldig werde«, seufzte er. Ich schaute ihm in die Augen, und mit einem Mal wurde mir klar, dass das alles für ihn genauso neu war wie für mich. Wie viele Jahre unbegreiflicher Erfahrungen auch hinter ihm lagen – das zwischen uns beiden verunsicherte auch ihn. Der Gedanke ermutigte mich.
»Ich habe Angst … Na ja, aus naheliegenden Gründen kann ich nicht mit dir zusammenbleiben. Und ich habe Angst, dass ich genau das will, viel zu sehr.« Beim Reden schaute ich ihn nicht an; es kostete mich Überwindung, diesen Gedanken überhaupt auszusprechen.
»Ja«, sagte er langsam. »Davor solltest du auch Angst haben. Dass du mit mir zusammen sein willst. Das ist tatsächlich nicht vernünftig.«
Ich runzelte die Stirn.
»Ich hätte schon längst weggehen sollen.« Er seufzte. »Und spätestens jetzt sollte ich es wirklich tun. Doch ich weiß nicht, ob ich das kann.«
»Ich will nicht, dass du weggehst«, murmelte ich verzagt und senkte abermals den Blick.
»Und genau deshalb sollte ich es tun. Aber keine Sorge. Im tiefsten Innern bin ich eine selbstsüchtige Kreatur. Ich begehre deine Nähe zu sehr, um zu tun, was ich tun sollte.«
»Gut.«
»Nein, nicht gut!« Wieder entzog er mir seine Hand, doch sanfter als vorher. Seine Stimme klang rauer als gewöhnlich, wenn auch immer noch schöner als jede menschliche Stimme. Es war schwer, aus ihm schlau zu werden – seine abrupten Stimmungswechsel verwirrten mich immer wieder aufs Neue.
»Es ist nicht nur deine Nähe, die ich begehre! Vergiss das nie! Vergiss nie, dass ich für dich gefährlicher bin als für jeden anderen.« Er hielt inne, und als ich aufblickte, schaute er mit leerem Blick in den Wald.
»Ich bin nicht sicher, ob ich das verstanden habe. Vor allem das Letzte«, sagte ich.
Er schaute mich an und lächelte unerwartet.
»Wie soll ich das bloß erklären?«, überlegte er laut. »Und am besten, ohne dir schon wieder Angst einzujagen … Hmmmm.« Scheinbar ohne darüber nachzudenken, legte er seine Hand wieder in meine; ich legte meine andere Hand obenauf und hielt seine fest umschlossen.
»Diese Wärme – das ist so angenehm«, sagte er ganz versunken.
Es dauerte einen Moment, dann hatte er seinen Faden wiedergefunden.
»Jeder hat doch seinen Lieblingsgeschmack, richtig?«, setzte er an. »Der eine mag Schokoeis, der andere Erdbeer.«
Ich nickte.
»Tut mir leid, dass ich ausgerechnet an Essen denke – mir fällt gerade nichts Besseres ein.«
Ich lächelte und er grinste zerknirscht zurück.
»Die Sache ist, jeder Mensch hat einen anderen Geruch. Wenn du einen Alkoholiker in einem Raum voll mit abgestandenem Bier einschließt, wird er vermutlich nicht Nein sagen. Doch er könnte widerstehen, wenn er wirklich wollte – wenn er zum Beispiel auf Entzug ist. Wenn man aber ein Glas mit hundertjährigem Brandy vor ihn hinstellt, mit dem edelsten Cognac, und wenn sich der Raum langsam mit dessen Aroma füllt – wie würde es ihm dann wohl ergehen?«
Wir saßen stumm da und schauten einander in die Augen; jeder versuchte die Gedanken des anderen zu lesen.
Dann brach er das Schweigen.
»Obwohl – vielleicht hinkt der Vergleich ja. Vielleicht wäre es zu einfach, dem Brandy zu widerstehen. Machen wir aus dem Alkoholiker lieber einen Drogenabhängigen.«
»Heißt das, ich rieche wie deine Lieblingsdroge?«, scherzte ich, um die Stimmung aufzuhellen.
Er lächelte, dankbar dafür, dass ich darauf einging. »Du bist meine Lieblingsdroge.«
»Passiert das öfter?«
Er schaute hinauf in die Wipfel der Bäume und dachte nach.
»Ich hab mit meinen Brüdern darüber gesprochen«, sagte er, den Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet. »Für Jasper seid ihr eigentlich alle gleich. Er ist als Letzter in unsere Familie gekommen und muss sich noch grundsätzlich zur Enthaltsamkeit zwingen. Es dauert seine Zeit, bis sich ein persönlicher Geschmack herausbildet, was den Geruch und das Aroma betrifft.« Er warf mir einen zerknirschten Blick zu.
»Tut mir leid«, sagte er.
»Es stört mich nicht. Tu mir einen Gefallen und mach dir nicht ständig Sorgen, mich zu kränken oder zu ängstigen oder sonst was. So denkst du nun mal, und ich verstehe das, oder ich kann’s zumindest versuchen. Erklär es mir einfach, so gut es geht.«
Er atmete tief ein und schaute wieder in den Himmel.
»Jedenfalls, Jasper war sich nicht sicher, ob er schon mal jemandem begegnet ist, der so …« – er zögerte und suchte nach dem richtigen Wort – »anziehend auf ihn gewirkt hat wie du auf mich. Also eher nicht. Emmett ist schon länger abstinent, sozusagen, und er wusste, was ich meine. Ihm ist es zweimal passiert, sagt er – einmal war es sehr heftig, das andere Mal nicht ganz so sehr.«
»Und dir?«
»Noch nie.«
Einen Moment lang schwebten die Worte in der warmen Luft.
»Was hat Emmett gemacht?«, fragte ich, um das Schweigen zu brechen.
Doch es war die falsche Frage. Seine Miene verfinsterte sich, und seine Hand ballte sich zwischen meinen Fingern zur Faust. Er schaute weg. Ich wartete, doch er antwortete nicht.
»Na ja, ich kann’s mir denken«, sagte ich schließlich.
Er heftete seine Augen auf mich – wehmütig und flehend.
»Selbst die Stärksten haben ihre schwachen Momente, nicht?«
»Was soll das heißen? Bittest du mich um Erlaubnis?« Meine Worte klangen schärfer als beabsichtigt. Es tat mir leid – ich konnte mir vorstellen, welche Überwindung es ihn kosten musste, so ehrlich zu sein. »Ich meine, heißt das, es ist unvermeidlich?«, fragte ich beschwichtigend. Wie gelassen ich über meinen eigenen Tod sprechen konnte!
»Nein, natürlich nicht!«, erwiderte er hastig. »Klar ist es vermeidbar! Ich meine, ich könnte nie …« Er ließ den Satz unvollendet und schaute mir tief in die Augen. »Das mit uns ist anders. Bei Emmett … das waren Fremde, die er zufällig traf. Und es ist lange her – er war noch nicht so … erfahren und so vorsichtig wie jetzt.«
Er verstummte und musterte mich eindringlich; ich ließ mir seine Worte durch den Kopf gehen.
»Das heißt, wenn wir uns, weiß nicht … in einer dunklen Gasse getroffen hätten …«
»Es hat mich damals meine ganze Kraft gekostet, nicht vor der ganzen Klasse aufzuspringen und –« Er unterbrach sich und wandte den Blick ab. »Als du an mir vorbeigingst, war ich drauf und dran, in Sekunden alles zu zerstören, was Carlisle für uns aufgebaut hat. Wenn ich meinen Durst nicht bereits seit … allzu vielen Jahren unterdrückt hätte, wäre ich nicht in der Lage gewesen, mich zu bremsen.« Er hielt inne und betrachtete die Bäume.
Dann schaute er mich grimmig an, und uns beiden gingen dieselben Bilder durch den Kopf. »Du musst gedacht haben, ich bin wahnsinnig.«
»Ich hab’s einfach nicht verstanden. Wie du mich so schnell hassen konntest.«
»Du kamst mir vor wie eine Art Dämon, der aus meiner persönlichen Hölle aufgestiegen ist, um mich zu ruinieren. Der Duft, der von deiner Haut ausging … an dem Tag war ich davon überzeugt, dass er mich um den Verstand bringt. Während dieser einen Stunde spielte ich in Gedanken hundert verschiedene Möglichkeiten durch, wie ich dich aus dem Raum locken könnte, irgendwohin, wo uns keiner sieht. Und eine nach der anderen schlug ich sie mir wieder aus dem Kopf, indem ich an die Folgen für meine Familie dachte. Als es dann klingelte, musste ich hinausrennen, um nichts zu sagen, was dich dazu gebracht hätte, mir zu folgen …«
Er sah, wie ich um Fassung rang, wie ich versuchte seine bitteren Erinnerungen zu begreifen. Unter seinen Wimpern waren seine goldenen Augen auf mich gerichtet – hypnotisch und potenziell tödlich.
»Und du wärst mitgekommen«, sagte er.
Ich gab mir Mühe, ruhig zu sprechen. »Auf jeden Fall wäre ich mitgekommen.«
Als er seinen Blick senkte und mit gerunzelter Stirn meine Hände betrachtete, war es, als hätte er mich freigegeben. »Und dann«, fuhr er fort, »während ich gerade vergeblich versuchte, dir aus dem Weg zu gehen, indem ich meinen Stundenplan änderte, warst du schon wieder da, und in dem warmen kleinen Raum war dein Duft schier überwältigend. Ich war so kurz davor, mich auf dich zu stürzen! Es war ja nur ein einziger anderer Mensch außer uns dort – so zerbrechlich, so einfach zu beseitigen.«
Trotz des warmen Sonnenscheins lief es mir kalt den Rücken runter. Erst jetzt wurde ich mir der Gefahr bewusst, in der ich geschwebt hatte. Arme Ms Cope – der Gedanke daran, dass ich beinahe ungewollt ihren Tod verschuldet hätte, ließ mich gleich noch einmal erzittern.
»Ich widerstand der Versuchung, aber frag mich nicht, wie. Ich zwang mich, nicht auf dich zu warten, dir nicht nach der Schule zu folgen. Als ich vor der Tür stand und dich nicht mehr riechen konnte, war es einfacher, klar zu denken und die richtige Entscheidung zu treffen. Ich stieg zu den anderen ins Auto; sie wussten, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte, aber ich schämte mich meiner Schwäche zu sehr, um es ihnen zu erzählen. Ich setzte sie in der Nähe unseres Hauses ab und fuhr direkt zu Carlisle ins Krankenhaus, um mich zu verabschieden.«
Ich starrte ihn verblüfft an.
»Ich nahm sein Auto – es war vollgetankt, und ich wollte unterwegs möglichst nicht anhalten – und ließ ihm meines da. Ich traute mich nicht, nach Hause zu fahren und Esme unter die Augen zu treten – sie hätte mich nicht so ohne weiteres gehen lassen. Sie hätte versucht, mich zu überzeugen, dass es nicht nötig war …
Am nächsten Morgen war ich in Alaska.« Er klang so beschämt, als hätte er gerade eine unglaubliche Feigheit eingestanden. »Dort blieb ich zwei Tage bei alten Freunden … doch ich hatte Heimweh. Es schmerzte mich, Esme und den anderen Sorgen zu bereiten. Und in der klaren Bergluft fiel es mir plötzlich schwer zu glauben, dass du so unwiderstehlich sein solltest. Ich redete mir ein, dass es ein Zeichen von Schwäche war, einfach Hals über Kopf davonzulaufen. Schließlich hatte ich schon früher mit Versuchungen zu kämpfen gehabt, zwar nicht in dem Ausmaß, nicht einmal annähernd, aber ich war immer stark geblieben. Wer warst du denn schon? Sollte wirklich irgendein kleines Mädchen« – er grinste mich an – »die Macht besitzen, mich ins Exil zu zwingen? Also kehrte ich zurück …« Er starrte vor sich hin.
Ich war unfähig zu sprechen.
»Bevor ich dich wiedersah, traf ich meine Vorsichtsmaßnahmen: Ich jagte und trank dabei mehr als normalerweise. Keine Sekunde lang zweifelte ich daran, dass ich stark genug sein würde, dich wie jeden anderen Menschen auch zu behandeln. Ich war allzu selbstsicher und arrogant.
Allerdings konnte ich deine Gedanken nicht lesen, was die Sache definitiv erschwerte. Ich musste unbedingt wissen, was du über mich denkst, war es aber nicht gewohnt, dabei solche Umwege in Kauf zu nehmen – in Jessicas Gedanken nach deinen Worten zu lauschen und so. Außerdem sind ihre Gedanken nicht sonderlich originell, und ich war sauer, dass ich dazu gezwungen war. Dazu kam, dass ich nicht wusste, ob du immer meinst, was du sagst. Es war alles extrem ärgerlich.« Er runzelte die Stirn.
»Du solltest, wenn möglich, mein Verhalten vom ersten Tag vergessen, also versuchte ich ganz normal mit dir zu reden. Ich war sogar ziemlich erpicht darauf, mit dir ins Gespräch zu kommen, weil ich hoffte, dich ein wenig zu durchschauen. Aber von wegen – du warst viel zu interessant, und am Ende war ich einfach nur in deine Mimik vertieft … und manchmal hast du mit deiner Hand oder deinen Haaren die Luft bewegt, und mich traf erneut dieser Duft …
Na ja, und dann kam der Tag, an dem du fast vor meinen Augen zerquetscht worden wärst. Hinterher legte ich mir eine vollkommen logische Erklärung für mein Eingreifen zurecht: Ich musste dich retten, sonst wäre dein Blut geflossen und nichts hätte mich dann davon abhalten können, uns als das zu entblößen, was wir sind. Aber die Ausrede fiel mir erst später ein. Als es passierte, dachte ich nur: ›Nicht sie!‹«
Er schloss die Augen, tief versunken in sein Geständnis. Ich hatte begierig an seinen Lippen gehangen, ohne dass mir auch nur einmal der Gedanke kam, dass ich eigentlich Angst haben müsste. Stattdessen war ich einfach nur erleichtert, endlich alles zu verstehen. Und noch etwas: Obwohl er mir eben sein Verlangen nach meinem Blut offenbart hatte, litt ich mit ihm.
Irgendwann fand ich meine Sprache wieder. »Und im Krankenhaus?«, fragte ich mit schwacher Stimme.
Er schlug die Augen auf. »Ich war so angewidert von mir selbst! Ich konnte es nicht fassen, dass ich uns tatsächlich in Gefahr gebracht, dass ich mich dir ausgeliefert hatte – ausgerechnet dir! Als hätte ich nicht schon genug Gründe gehabt, dich zu töten.« Wir zuckten beide zusammen, als ihm das Wort entwischte. »Doch es hatte den gegenteiligen Effekt«, fuhr er hastig fort. »Als Rosalie, Emmett und Jasper sagten, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, stritt ich mich mit ihnen … so heftig wie nie zuvor. Carlisle war auf meiner Seite, und Alice.« Er verzog das Gesicht, als er ihren Namen nannte – ich hatte keinerlei Vorstellung, warum. »Esme sagte, ich solle tun, was ich tun musste, um hierbleiben zu können.« Er schüttelte den Kopf, vertieft in seine Erinnerung.
»Den ganzen nächsten Tag belauschte ich die Gedanken von allen Leuten, mit denen du sprachst, und war vollkommen verblüfft, dass du dein Versprechen hieltst. Du warst mir ein Rätsel. Ich wusste nur, dass ich mich nicht weiter auf dich einlassen durfte, also bemühte ich mich, dir fernzubleiben. Doch der Duft deiner Haut, deines Atems, deiner Haare … er traf mich jeden Tag aufs neue, so intensiv wie beim allerersten Mal.«
Wir schauten uns an; seine Augen waren überraschend sanft.
»Dabei wäre es letztendlich viel besser gewesen, wenn ich uns alle tatsächlich bei der ersten Begegnung verraten hätte, als wenn ich dir jetzt, hier – ohne Zeugen, ohne Hindernisse – etwas tun würde.«
Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen. »Warum?«
»Isabella.« Sorgsam sprach er meinen Namen aus, dann verwuschelte er mit seiner freien Hand liebevoll meine Haare. Die beiläufige Berührung ließ mich erstarren. »Bella, wenn ich dir je wehtun würde, könnte ich mir nie wieder in die Augen sehen. Du hast ja keine Ahnung, wie es mich quält.« Wieder schaute er beschämt nach unten. »Der Gedanke, dass du bewegungslos, blass, kalt daliegst … dass ich nie mehr sehe, wie du rot anläufst oder wie die Erkenntnis in deinen Augen aufblitzt, wenn du wieder mal intuitiv durchschaust, dass ich dir etwas vormache … ich könnte es nicht ertragen.« Er richtete seine herrlichen, schmerzerfüllten Augen auf mich. »Du bist jetzt das Wichtigste in meinem Leben. Das Wichtigste, was es je gab in meinem Leben.«
Mir schwirrte der Kopf von der plötzlichen Wendung – eben waren wir noch beim heiteren Thema meines baldigen Ablebens, jetzt schon bei den Liebesgeständnissen. Er wartete, und ich musste nicht von unseren verschlungenen Händen aufblicken, um zu wissen, dass seine goldenen Augen auf mir ruhten.
»Was ich fühle, weißt du ja schon«, sagte ich schließlich. »Ich bin hier … mit dir … was, grob gesagt, bedeutet, dass ich lieber sterben würde, als mich von dir fernzuhalten.« Ich runzelte die Stirn. »Was bin ich nur für ein Idiot.«
»Das kannst du laut sagen«, stimmte er lachend zu. Unsere Blicke begegneten sich, und ich musste ebenfalls lachen. Gemeinsam lachten wir über den Aberwitz und die schiere Unwahrscheinlichkeit dieses Augenblicks.
»Und so verliebte sich der Löwe in das Lamm …«, murmelte er. Ich schaute zur Seite, um zu verbergen, wie erregt ich war. Verliebte … hatte er gesagt!
»Was für ein dummes Lamm«, seufzte ich.
»Was für ein abartiger, masochistischer Löwe.« Er starrte in die dunklen Tiefen des Waldes hinein; ich fragte mich, wo er wohl mit seinen Gedanken war.
Ich wollte ihn etwas fragen, wusste aber nicht recht, wie. »Warum …?«, setzte ich an, doch dann stockte ich.
Er schaute mich an und lächelte; Sonnenlicht glitzerte auf seinem Gesicht und seinen Zähnen.
»Ja?«
»Warum bist du vorhin weggerannt?«
Sein Lächeln verschwand. »Das weißt du doch.«
»Nein, ich meine, was genau hab ich falsch gemacht? Ich muss schließlich auf mich aufpassen, also sollte ich wissen, was ich besser sein lasse. Das zum Beispiel« – ich strich über seinen Handrücken – »scheint okay zu sein.«
Sein Lächeln kehrte zurück. »Du hast überhaupt nichts falsch gemacht, Bella. Es war meine Schuld.«
»Aber … was kann ich denn tun, um es dir nicht noch schwerer zu machen?«
»Hmmm …« Er überlegte. »Du warst einfach so nahe – die meisten Menschen schrecken instinktiv vor uns zurück. Unsere Fremdheit stößt sie ab. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du so nahe kommst. Dazu noch der Geruch deiner Kehle.« Er hielt inne, um zu sehen, wie ich reagierte.
»Das ist doch schon mal was«, sagte ich munter, um die plötzliche Anspannung zu zerstreuen. Ich drückte mein Kinn an die Brust. »Keine entblößte Kehle in deiner Gegenwart.«
Es funktionierte – er lachte. »Im Ernst, es war mehr die Überraschung als alles andere.«
Er hob seine freie Hand und legte sie sanft an die Seite meines Halses. Ich saß still da; der Schauer, den seine Berührung auslöste, war eine natürliche Warnung. Doch ich fürchtete mich nicht. Ich fühlte alles Mögliche, nur keine Angst …
»Siehst du«, sagte er. »Kein Problem.«
Das Blut schoss mir durch die Adern, und ich wünschte mir, ich könnte es abbremsen – mein frenetischer Pulsschlag machte es sicher noch viel schwerer für ihn. Ich war überzeugt davon, dass er ihn hörte.
»Es sieht so hübsch aus, wenn deine Wangen rot werden«, sagte er leise. Sanft entzog er mir seine Hand; schlaff fielen mir meine Hände in den Schoß. Er strich mir leicht über die Wange, und dann hielt er mein Gesicht zwischen seinen marmornen Handflächen.
»Nicht bewegen«, flüsterte er – als wäre ich nicht längst vollkommen erstarrt.
Er schaute mir in die Augen und kam langsam näher, bis er abrupt und sanft zugleich seine kalte Wange an die Senke unterhalb meiner Kehle legte. Reglos – selbst wenn ich gewollt hätte, wäre ich zu keiner Bewegung fähig gewesen – lauschte ich auf seinen Atem und betrachtete das Spiel der Sonne und des Windes in seinen bronzefarbenen Haaren, die so viel menschlicher wirkten als alles andere an seinem Körper.
Ganz langsam glitten seine Finger von meinen Wangen hinunter zu meinem Nacken. Ich zitterte und hörte ihn nach Luft schnappen. Doch er hielt in der Bewegung nicht inne, bevor seine Hände auf meinen Schultern lagen.
Sein Gesicht bewegte sich an meinem Hals entlang, seine Nase strich über mein Schlüsselbein, und dann, ganz sanft, drückte er seinen Kopf seitlich an meine Brust.
Und lauschte meinem Herzschlag.
»Ah«, seufzte er.
Ich weiß nicht, wie lange wir so saßen, ohne uns zu bewegen. Es fühlte sich an wie Stunden, und irgendwann beruhigte sich mein Puls. Solange er an mich geschmiegt blieb, sprach und bewegte sich Edward nicht. Ich wusste, es könnte jeden Augenblick zu viel für ihn werden – mein Leben könnte so schnell enden, dass ich es womöglich nicht einmal merkte. Doch ich vermochte keine Angst zu spüren. Ich dachte nur an eines: dass er mich berührte.
Und dann, viel zu früh, ließ er mich wieder los.
Seine Augen waren vollkommen ruhig.
»Von jetzt an wird es einfacher sein«, sagte er befriedigt.
»War es denn sehr schwer?«
»Es war nicht annähernd so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Und für dich?«
»Nö, für mich war’s … nicht schlimm.«
Er musste lächeln. »Du weißt schon, was ich meine.«
Ich lächelte auch.
»Schau mal.« Er griff nach meiner Hand und drückte sie an seine Wange. »Warm, oder?«
Und tatsächlich war seine sonst so eisige Haut beinahe warm, doch ich bekam es kaum mit, denn ich berührte sein Gesicht – davon hatte ich seit unserer ersten Begegnung geträumt.
»Beweg dich nicht«, flüsterte ich.
Niemand konnte so reglos sein wie Edward. Er schloss seine Augen und versteinerte unter meiner Hand zu einer Skulptur.
Darauf bedacht, keine unerwartete Bewegung zu machen, ließ ich meine Hand langsam – noch langsamer als zuvor er – über seine Haut wandern. Ich streichelte seine Wange, strich zart über seine Augenlider und die Schatten unterhalb seiner Augen; ich folgte der Linie seiner perfekt geformten Nase und berührte, ganz vorsichtig, seine makellosen Lippen. Als ich spürte, wie sehr es mich danach verlangte, mein Gesicht seinem zu nähern und seinen Geruch einzuatmen, zog ich meine Hand zurück und lehnte mich weg – ich wollte seine Selbstbeherrschung nicht überstrapazieren.
Er schlug seine Augen auf und sah mich hungrig an – nicht auf eine Art hungrig, die mir Angst einflößte, sondern so, dass mein Blut erneut wild zu pulsieren begann.
»Ich wünschte«, flüsterte er, »ich wünschte, du würdest das auch spüren … dieses Durcheinander … diese Verwirrung. Damit du weißt, was in mir vorgeht.«
Er hob seine Hand und berührte meine Haare; dann strich er mir sanft über das Gesicht.
»Kannst du es beschreiben?«, hauchte ich.
»Ich weiß nicht, ob das geht. Einerseits, wie gesagt, ist da diese Begierde – der Durst dieses grauenhaften Wesens, das ich bin. Ein bisschen verstehst du das, glaube ich, wenn auch nur bis zu einem gewissen Grad. Schließlich« – ein Lächeln umspielte seine Lippen – »konsumierst du keine illegalen Substanzen.
Aber dann …« Seine Finger berührten leicht meine Lippen, und wieder lief mir ein Schauer über die Haut. »Dann sind da noch andere Begierden, die ich noch nicht einmal selbst verstehe – die mir fremd sind.«
»Diese Art von Begierde verstehe ich vielleicht besser, als du denkst.«
»Ich bin es nicht gewohnt, mich so menschlich zu fühlen. Ist das immer so?«
»Für mich, meinst du?« Ich hielt inne. »Nein, nie. Das ist das erste Mal.«
Er hielt meine Hände in seinen. Sie fühlten sich klein und schwach an in seinem übermächtigen Griff.
»Ich weiß nicht, wie ich dir nahe kommen kann«, gestand er. »Ob ich dir nahe kommen kann.«
Ich schaute ihm in die Augen und beugte mich ganz langsam zu ihm hin; dann legte ich meine Wange an seine Marmorbrust. Ich hörte seinen Atem, sonst nichts.
»Das ist nahe genug«, flüsterte ich und schloss die Augen.
Mit einer sehr menschlichen Bewegung legte er seinen Arm um meine Schultern und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren.
»Du machst das besser, als du denkst«, bemerkte ich.
»Ich hab durchaus menschliche Instinkte. Sie sind vielleicht tief vergraben, aber sie sind da.«
Wieder verharrten wir für die Dauer eines unmessbaren Augenblicks. Ob er sich wohl, fragte ich mich, ebenso wenig rühren mochte? Doch ich sah, dass das Licht schwächer wurde und die Schatten des Waldes sich nach uns ausstreckten. Ich seufzte.
»Du musst nach Hause«, sagte er.
»Ich dachte, du kannst meine Gedanken nicht lesen.«
»Sie werden langsam etwas klarer.« Ich hörte ein Schmunzeln in seiner Stimme.
Plötzlich ergriff er meine Schultern und funkelte mich begeistert an. »Kann ich dir was zeigen?«
»Was denn?«
»Wie ich durch den Wald laufe?« Ich zog ein Gesicht, was ihm nicht entging. »Keine Sorge, dir passiert nichts, und außerdem sind wir viel schneller beim Transporter.« Dann zuckten seine Mundwinkel und er zauberte sein schiefes Lächeln hervor. Es war so schön, dass beinahe mein Herzschlag aussetzte.
»Verwandelst du dich in eine Fledermaus oder so?«, fragte ich argwöhnisch.
Er lachte lauter als je zuvor in meiner Gegenwart. »Das ist ja wirklich mal was Neues!«
»Ja, stimmt, wahrscheinlich hörst du das öfter.«
»Na los, Angsthase – rauf auf meinen Rücken mit dir!«
Ich wartete, um zu sehen, ob das ein Scherz sein sollte, aber anscheinend meinte er es ernst. Er lächelte, als er mein Zögern sah, und dann ergriff er mich einfach und schwang mich auf seinen Rücken. Mein Herz raste – meine Gedanken konnte er zwar nicht hören, dafür aber meinen verräterischen Puls. Ich schlang meine Arme und Beine so fest um ihn, dass jeder normale Mensch daran erstickt wäre. Es fühlte sich an, als klammerte ich mich an einen Felsen.
»Ich bin ein bisschen schwerer als ein Rucksack«, warnte ich.
»Hah!«, stieß er verächtlich hervor. Noch nie hatte ich ihn in so guter Stimmung erlebt.
Dann erschreckte er mich, indem er nach meiner Hand griff, sie an sein Gesicht presste und tief einatmete.
»Sag ich doch, immer einfacher«, murmelte er vor sich hin.
Und dann rannte er.
Sollte ich je zuvor in seiner Gegenwart Todesangst gehabt haben, war es nichts im Vergleich zu jetzt.
Er flog durch das dunkle, dichte Unterholz des Waldes wie ein Geschoss oder ein Geist. Ich hörte kein Geräusch – nichts deutete darauf hin, dass seine Füße den Boden berührten. Sein Atem war gleichbleibend ruhig; nicht die geringste Anstrengung war ihm anzumerken. Doch die Bäume flogen mit tödlicher Geschwindigkeit zentimeterdicht an uns vorbei.
Ich war so verängstigt, dass ich meine Augen weit aufriss, obwohl die kühle Waldluft mir ins Gesicht peitschte und sie zum Tränen brachte. So musste es sich anfühlen, wenn man aus reiner Blödheit unterwegs seinen Kopf aus einem Flugzeug steckte. Nur dass mir beim Fliegen bislang nie schlecht geworden war.
Und dann war es vorüber. Am Vormittag waren wir stundenlang gewandert, um Edwards Wiese zu erreichen, nun waren wir innerhalb von Minuten wieder am Transporter angelangt.
»Aufregend, oder?« Die Begeisterung war ihm anzuhören.
Er stand still, damit ich von seinem Rücken rutschen konnte. Ich versuchte es, doch meine Muskeln verweigerten den Dienst. Arme und Beine waren in der Umklammerung erstarrt, mein Kopf schwirrte.
»Bella?«, fragte er besorgt.
»Ich glaub, ich muss mich hinlegen«, japste ich.
»Oh, tut mir leid.« Er wartete, doch ich konnte mich nicht bewegen.
»Ich glaub, ich schaff’s nicht allein.«
Er lachte in sich hinein und löste sanft meinen Würgegriff von seinem Hals – gegen seine Kräfte war kein Kraut gewachsen. Dann zog er mich nach vorne und nahm mich wie ein Baby in die Arme. So hielt er mich einen Moment lang, bevor er mich vorsichtig auf die weichen Farne legte.
»Wie geht’s dir?«, fragte er.
Ich konnte es nicht sagen, weil sich in meinem Kopf alles drehte. »Ich glaub, mir ist schwindlig.«
»Steck den Kopf zwischen die Knie.«
Ich probierte es aus, und es half ein wenig. Langsam atmete ich ein und aus. Ich spürte, dass er neben mir saß. Die Sekunden verstrichen, und nach einer Weile konnte ich meinen Kopf wieder heben. Ich hatte ein dumpfes Klingen in den Ohren.
»Das war wohl doch keine so gute Idee«, stellte er fest.
»Wieso, war doch interessant.« Es sollte munter klingen, doch das Resultat war eher kläglich.
»Erzähl mir nichts. Du bist so blass wie ein Gespenst. So blass wie ich!«
»Ich hätte mal lieber meine Augen zumachen sollen.«
»Beim nächsten Mal.«
»Beim nächsten Mal?!«
Er lachte; seine Laune war noch immer blendend.
»Angeber«, brummelte ich.
»Mach mal die Augen auf, Bella«, sagte er leise.
Sein Gesicht war ganz nahe an meinem. Er war unbegreiflich und über alle Maßen schön. Zu schön, um sich je daran zu gewöhnen.
»Beim Laufen kam mir der Gedanke …« Er stockte.
»Dass du aufpassen solltest, nicht gegen einen Baum zu rennen? Das beruhigt mich.«
»Bella, du Dummerchen«, sagte er glucksend. »Laufen ist meine zweite Natur, darüber muss ich nicht nachdenken.«
»Angeber«, brummelte ich noch einmal.
Er lächelte.
»Nein«, fuhr er fort. »Mir kam der Gedanke, dass ich gerne etwas probieren würde.« Und wieder nahm er mein Gesicht in seine Hände.
Mir stockte der Atem.
Er zögerte, doch nicht auf die übliche – menschliche – Art.
Nicht so, wie ein Mann zögert, bevor er eine Frau küsst, um ihre Reaktionen abzuschätzen, um ihre stumme Zustimmung einzuholen; nicht, um den Augenblick der Erwartung zu verlängern, der manchmal besser war als der Kuss selber.
Edward zögerte, um sich zu testen, um zu ermessen, ob es sicher war, ob er seine Begierde unter Kontrolle hatte.
Und dann trafen seine kalten, marmornen Lippen auf meine.
Doch es gab etwas, worauf keiner von uns beiden vorbereitet war: meine Reaktion.
Unter meiner Haut kochte das Blut und brannte in meinen Lippen. Ich atmete keuchend, griff in seine Haare und zog ihn an mich. Meine Lippen öffneten sich und ich saugte seinen berauschenden Duft ein.
Er versteinerte und löste meinen Mund sanft, aber bestimmt von seinem. Ich öffnete meine Augen und blickte in sein reserviertes Gesicht.
»Uups«, sagte ich tonlos.
»Ich würde sagen, das ist noch untertrieben.«
Seine Augen funkelten, seine Kiefer waren in gewaltsamer Selbstbeherrschung zusammengepresst, aber um eine Antwort war er trotzdem nicht verlegen. Er hielt mein Gesicht nur Zentimeter von seinem entfernt. Sein Anblick war überwältigend.
»Soll ich …?« Ich versuchte mich loszumachen, um ihm etwas Platz zu lassen.
Doch seine Hände versagten mir auch nur einen Zentimeter Bewegung.
»Nein, es ist erträglich. Gib mir nur einen Moment.« Seine Stimme war freundlich und kontrolliert.
Ich schaute ihm weiter in die Augen und sah, wie das Funkeln in ihnen nachließ und ihr Ausdruck weicher wurde.
Dann grinste er.
»So«, sagte er mit zufriedener Miene.
»Erträglich?«, fragte ich.
Er lachte laut auf. »Ich bin stärker, als ich dachte. Gut zu wissen.«
»Ich wünschte, das könnte ich von mir auch behaupten. Tut mir leid.«
»Na ja, du bist schließlich wirklich nur ein Mensch.«
»Schönen Dank auch«, sagte ich bissig.
Er schwang sich mit einer dieser geschmeidigen Bewegungen, die fast zu schnell für meine Augen waren, auf die Beine und hielt mir seine ausgestreckte Hand hin. Ich ergriff sie und merkte, wie nötig ich sie hatte. Mein Gleichgewicht war noch nicht wiederhergestellt.
»Ist dir immer noch von unserem Lauf schwindlig, oder liegt es an meinem Talent beim Küssen?« Er lachte; seine Miene war verzückt und sorgenfrei. Wie unbekümmert und menschlich er wirkte! Das war ein anderer Edward als der, den ich bis dahin kannte. Der mich deshalb aber nur umso mehr um den Verstand brachte. Mich in diesem Augenblick von ihm zu trennen, hätte mir körperliche Schmerzen bereitet.
»Weiß nicht genau, ich bin noch ganz benommen«, erwiderte ich. »Ein bisschen von beidem, würde ich sagen.«
»Vielleicht solltest du jetzt mich fahren lassen.«
»Hast du sie noch alle?«, protestierte ich.
»Ich kann jederzeit besser fahren als du an deinen besten Tagen«, zog er mich auf. »Deine Reflexe können mit meinen nicht mithalten.«
»Das stimmt wahrscheinlich, aber ich glaube nicht, dass meine Nerven oder mein Transporter das aushalten würden.«
»Wie wär’s mit ein bisschen Vertrauen, Bella?«
Meine Hand steckte in der Hosentasche und war fest um den Schlüssel geschlossen. Ich schürzte meine Lippen, dachte darüber nach, dann grinste ich und schüttelte den Kopf.
Ungläubig hob er seine Augenbrauen.
Ich wollte mich an ihm vorbeischieben und zur Fahrertür gehen, und wer weiß – vielleicht hätte er mich ja gelassen, wenn ich nicht leicht geschwankt hätte. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls legte sich sein Arm um meine Hüfte und ließ mich nicht entkommen.
»Bella, ich hab bereits zu viele Anstrengungen unternommen, dich zu schützen, um jetzt zuzulassen, dass du dich ans Steuer setzt, obwohl du nicht mal gerade laufen kannst. Außerdem: Echte Freunde lassen einen nicht betrunken fahren«, zitierte er aus der Verkehrserziehung und kicherte. Ich sog seinen unerträglich köstlichen Duft ein.
»Betrunken?«, fragte ich entrüstet.
»Meine bloße Gegenwart berauscht dich«, sagte er und grinste süffisant.
»Wo du Recht hast …«, seufzte ich. Es lag auf der Hand, dass ich ihm einfach nicht widerstehen konnte, worum es auch ging. Ich hielt den Schlüssel hoch und ließ ihn fallen – blitzartig schoss seine Hand hervor und fing ihn geräuschlos auf. »Lass es ruhig angehen, ja? Mein Transporter ist nicht mehr der Jüngste.«
»Sehr vernünftig«, sagte er zufrieden.
»Und du? Lässt dich denn meine Gegenwart ganz kalt?«, fragte ich verdrießlich.
Abermals wandelten sich seine Gesichtszüge: Sie wurden weich und liebevoll. Anstatt zu antworten, beugte er sich einfach vor und strich mit seinen Lippen an meinem Unterkiefer entlang, vom Ohr zum Kinn und wieder zurück. Ich zitterte.
»Trotzdem«, murmelte er schließlich. »Meine Reflexe sind besser.«