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Als ich in vier Meter Höhe aufwachte, war meine Mutter da. Sie beugte sich über mich und küßte mich auf die Stirn. »Ich bin so froh, daß du noch lebst«, flüsterte sie und küßte mich erneut.
»Warum hast du denn die ganze Sache alleine durchziehen wollen?« kam es jetzt vorwurfsvoll. Das war gar nicht meine Mutter. Es war Alexa.
»Ich bin auch froh, daß ich noch lebe«, sagte ich, doch ich glaube, ich war der einzige, der mich verstand.
Alexa legte ihren Kopf auf meine Brust, so daß ich fast erstickte.
»Gott sei Dank ist der Osterfeld vom Gerüst abgestürzt. Wenn dir etwas zugestoßen wäre!« Alexa schniefte in meine Brust hinein. Es hätte mich interessiert, wie sie meinen jetzigen Zustand beurteilte, da mir ihrer Meinung nach nichts zugestoßen war. Ich nahm es locker.
»Wär schon ärgerlich gewesen«, murmelte ich. »Wo doch jetzt gerade die Sommerferien anfangen.«
Drei Stunden später saß ich geduscht und versorgt in meiner Wohnung. Draußen trommelte nach wie vor der Regen. Das Gewitter, das mit lautem Krachen begonnen hatte, als ich gerade in höchster Lebensgefahr gewesen war, hatte einen schier endlosen Regen mit sich gebracht. Wie Alexa richtig diagnostiziert hatte, war mir »nichts« zugestoßen. Kurz: Ich konnte weder Knochenbrüche noch Blutergüsse, weder Platzwunden noch eine Gehirnerschütterung vorweisen. Lediglich eine Beule am Kopf war mir nach dem Duschen übrig geblieben.
»Deine ist die größte«, sagte Alexa und glaubte wohl, daß ich jetzt irgendwie stolz wäre. Robert und Max saßen mir gegenüber auf dem Sofa. Tatsächlich sahen wir mit unseren unförmigen Beulen auf dem Kopf aus wie die drei von der Tankstelle: Robert mit dem Horn, das er sich an Moni Königs Terrassentür zugezogen hatte, Max mit einer Beule, die von Gerhard Streiters Schraubenschlüssel stammte, und ich mit einem Andenken an Johannes Osterfelds Eisenregale.
»Eine starke Truppe«, sagte Alexa, die nicht müde wurde, uns mit peinlichen Komplimenten zu strafen. »Zu dritt habt ihr tatsächlich zwei Mörder zur Strecke gebracht, und das obwohl die Polizei auf einer ganz anderen Fährte war.«
»Unser sicherer Instinkt«, erklärte Max selbstzufrieden.
»Unsere nicht nachlassende Einsatzbereitschaft«, fügte Robert hinzu.
»Der schnöde Zufall«, brummte ich unzufrieden.
»Egal, was«, vollendete Alexa pragmatisch. »Hauptsache, die Geschichte hat endlich ein Ende.«
»St. Sebastianus wird nie wieder so sein wie bisher«, sinnierte Max.
»So ist das mit gereiften Persönlichkeiten, die eine Menge hinter sich haben«, erklärte ich altklug. »Ich kann da aus Erfahrung sprechen.«
Alexas Handy klingelte. Ich ignorierte es großmütig. Auch den Umgang mit diesen störenden Piepsern sieht man gelassener, wenn man gerade dem Tode entronnen ist. Alexas Antworten hörte ich nur mit einem Ohr, während ich Robert und seiner Geschichte ein drittes Mal zuhörte. Offensichtlich telefonierte meine Liebste mit ihren Eltern.
»Natürlich kommen wir gern«, hörte ich Alexa in den Hörer sagen.
»Nein, nein, Vincents Urlaub verschiebt sich um eine gute Woche nach hinten. Er und sein Freund sind etwas angeschlagen und fahren deshalb später. Nein, nichts Ernstes, ganz bestimmt nicht, Mama.«
Robert und ich sahen uns verwundert an. Was mußte eigentlich passieren, damit man Alexas Mitleid erregte?
»Ich würde dann sagen, wir sehen uns am Sonntag gegen Mittag«, fuhr Alexa fort und strahlte mich an. »Ja, natürlich, wir freuen uns. Besonders, weil doch am Wochenende bei euch Schützenfest ist.«