10.

 

Als mein Be­wußt­sein in die Welt der greif­ba­ren Din­ge zu­rück­kehr­te, sah ich das Au­ge des ers­ten Brut­wäch­ters mit ver­wir­ren­der Neu­gier­de auf mich ge­rich­tet. So­lan­ge ich te­le­pa­thisch ak­tiv war, er­starr­te ich nach au­ßen hin in ei­ner Art Tran­ce. In die­sem Zu­stand konn­te man mich an­spre­chen, oh­ne daß ich et­was hör­te. Ich hat­te den Kon­takt zu Han­ni­bal an­schei­nend ge­ra­de noch recht­zei­tig un­ter­bro­chen. Noch ein paar Se­kun­den län­ger, und Par­tyn-Yak oder ei­ner der an­de­ren hät­te Ver­dacht ge­schöpft.

»So – nun weißt du, mit wel­chem Recht ich hier bin«, don­nerte ich ihn an. »Und du wirst au­ßer­dem er­ken­nen, daß ich mir die­ses Recht nicht um einen Fin­ger­breit schmä­lern las­se. Von die­sem Au­gen­blick an bin ich die obers­te Macht auf dem Pla­ne­ten Ghost­ly Cast­le. Der Rat der Drei­zehn Brut­wäch­ter ist ab­ge­setzt, und die Mit­glie­der des eins­ti­gen Ra­tes ha­ben sich als mei­ne Gei­seln zu be­trach­ten. Mei­ne Sol­da­ten und Ro­bo­ter be­set­zen die stra­te­gisch wich­tigs­ten Punk­te des Lan­des, und dann wer­den wir se­hen, was wei­ter ge­schieht. Seid ihr marsch­fer­tig?«

Par­tyn-Yak wand­te sich sei­nen Ge­nos­sen zu. Er hob die Ar­me zu ei­ner viel­sa­gen­den Ges­te ab­grund­tiefer Ver­zweif­lung. Sie ant­wor­te­ten ihm nicht. Wenn ich mich auf ih­re Ge­dan­ken ein­stell­te, emp­fand ich nichts als Nie­der­ge­schla­gen­heit, Rat­lo­sig­keit und ei­nem dump­fen Zorn über die Aus­weg­losig­keit des Di­lem­mas.

»Üb­ri­gens«, sag­te ich so ganz ne­ben­bei, »möch­te ich wis­sen, wo sich eu­er drei­zehn­ter Bru­der be­fin­det. Er ist nicht hier. Wo hält er sich ver­steckt?«

Par­tyn-Yak ant­wor­te­te oh­ne Zö­gern, aber auch oh­ne ver­däch­ti­gen Über­ei­fer:

»Der Vier­te Brut­wäch­ter, Na­nu­ku-Vjat, be­fin­det sich auf ei­ner Rei­se in die süd­li­chen Pro­vin­zen des Lan­des. Er hat sich bis­lang noch nicht mit uns in Ver­bin­dung ge­setzt. Ich neh­me an, er hat von der Ent­wick­lung der La­ge er­fah­ren und hält sich im Hin­ter­grund, um ab­zu­war­ten.«

Ich blick­te in sein Be­wußt­sein. Die Fest­stel­lung war oh­ne Arg ge­trof­fen. Par­tyn-Yak war fest da­von über­zeugt, daß sich sein Amts­kol­le­ge auf ei­ner Rei­se durch die süd­li­chen Pro­vin­zen be­fin­de. Ich ver­säum­te es lei­der, die ei­ne Fra­ge zu stel­len, aus de­ren Be­ant­wor­tung ich wich­ti­ge Schlüs­se über die Ab­sich­ten des Vier­ten Brut­wäch­ters hät­te zie­hen kön­nen – näm­lich die Fra­ge, wann er sei­ne Rei­se an­ge­tre­ten ha­be. Spä­ter, nur we­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter, wür­de sich mir Ge­le­gen­heit bie­ten, die­ses Ver­säum­nis zu be­reu­en.

»Wir sind marsch­be­reit!« herrsch­te ich die Or­ghs an. Mein Arm wies auf den Aus­gang, durch den mei­ne Grup­pe ein­ge­drun­gen war. »Ver­sam­melt euch dort und stellt euch in Rei­hen zu je drei ne­ben­ein­an­der auf.«

Sie ge­horch­ten – zö­gernd zwar, aber doch oh­ne auf­zu­mu­cken, wie es man­cher von uns viel­leicht er­war­tet ha­ben moch­te. Sie wa­ren ein ge­schla­ge­ner Trupp. Der Schreck über un­ser un­er­war­te­tes Auf­tau­chen wür­de ih­nen noch lan­ge in den Kno­chen sit­zen. Das jüngs­te Mit­glied des Ra­tes schi­en der Drit­te Brut­wäch­ter zu sein, Ror­rho­do-Sqyn, der mich am Raum­ha­fen emp­fan­gen hat­te. Ich stell­te mich auf sei­ne Ge­dan­ken ein und be­merk­te, daß er ech­te, tie­fe Angst vor uns emp­fand. Er war der ein­zi­ge, der mich bis­her aus der Nä­he in Ak­ti­on ge­se­hen hat­te. Es war ihm von vorn­her­ein klar­ge­we­sen, daß ich ei­ne Ver­let­zung der von mir ge­setz­ten Frist nicht straf­los hin­neh­men wür­de. Aber er war mit sei­ner An­sicht nicht durch­ge­drun­gen. Und jetzt, da sich die Wahr­heit sei­ner Be­fürch­tun­gen er­wie­sen hat­te, war sei­ne Furcht noch um ein Viel­fa­ches ge­stie­gen. Er rech­ne­te nicht da­mit – das konn­te ich sei­nen Über­le­gun­gen deut­lich ent­neh­men –, daß wir die Mit­glie­der des Ra­tes am Le­ben las­sen wür­den.

Die Or­ghs stell­ten sich auf, wie ich es ih­nen be­foh­len hat­te. Un­se­re Wa­chen an der Tür wa­ren zur Sei­te ge­wi­chen, denn wir woll­ten die Ge­fan­ge­nen vor uns her trei­ben. Ich woll­te ge­ra­de den Marsch­be­fehl ge­ben, da mel­de­te sich Han­ni­bal auf te­le­pa­thi­scher Ebe­ne.

»Da kommt ei­ner!« stieß er her­vor.

Ich wand­te mich ab, so daß die Or­ghs mich nicht se­hen konn­ten, wäh­rend ich in tran­ce­ähn­li­che Star­re ver­fiel. Ich lausch­te und emp­fand deut­lich die Ge­dan­ken ei­nes ein­zel­nen We­sens, das sich oh­ne Zwei­fel schon im In­nern des Tur­mes be­fand und sich un­se­rem Stand­ort nä­her­te. Ich wä­re be­reit ge­we­sen, die Be­ob­ach­tung als un­wich­tig ab­zu­tun, wenn ich hät­te ver­ste­hen kön­nen, was in den Ge­dan­ken des Frem­den vor­ging. Sei­ne Im­pul­se wa­ren zwar kräf­tig, aber völ­lig un­ver­ständ­lich. Es kam mir vor, als un­ter­hielte er sich mit je­mand, und den­noch war da nie­mand in sei­ner Nä­he, mit dem er hät­te spre­chen kön­nen. Auch der In­halt der Un­ter­hal­tung war ei­gen­ar­tig. Er be­stand aus ein­zel­nen kur­z­en, ab­ge­hack­ten Im­pul­sen, die wie Be­feh­le klan­gen, oh­ne daß ich sie je­doch hät­te ver­ste­hen kön­nen.

Als ich auf­sah, fiel mein Blick auf Fra­mus G. Al­li­son. Der mäch­ti­ge Aus­tra­lier kam mir ge­ra­de ge­le­gen.

»Al­li­son, da kommt ei­ner«, sag­te ich halb­laut, so daß ich von den Or­ghs, falls ei­ner von ih­nen doch einen Trans­la­tor trug, nicht ver­stan­den wer­den konn­te. »Neh­men Sie sich zwei Mann und einen Ro­bo­ter und se­hen Sie nach, ob Ge­fahr be­steht!«

Al­li­son nick­te grin­send, als ma­che ihm der Auf­trag Spaß. Wort­los, nur mit Hand­be­we­gun­gen, be­or­der­te er zwei Mann, ihn zu be­glei­ten. Den Ro­bo­ter setz­te er mit Hil­fe sei­nes Ko­da­tors in Be­we­gung. Die klei­ne Grup­pe ver­ließ den Raum durch einen auf der ge­gen­über­lie­gen­den Sei­te lie­gen­den Aus­gang. Ich war da­bei, mei­ne Leu­te an­zu­wei­sen, daß wir bis zu Al­li­sons Rück­kehr war­ten müß­ten. Es wa­ren mir je­doch kaum die ers­ten Wor­te über die Lip­pen ge­kom­men, als sich drau­ßen ein wüs­tes Ge­tö­se er­hob, das von un­glaub­li­cher Laut­stär­ke sein muß­te, da es so mü­he­los die di­cken Mau­ern durch­drang. Ich hat­te kei­ne Zeit, mich auf Al­li­son ein­zu­stel­len, um zu er­fah­ren, was sich da drau­ßen tat. Es muß­te ge­han­delt wer­den, und zwar so­fort!

»Die Ge­fan­ge­nen zu­rück in die Mit­te des Raum­es!« schrie ich. »Wir wer­den an­ge­grif­fen!«

Die Leu­te rea­gier­ten mit be­wun­derns­wer­ter Schnel­lig­keit. Sie stürz­ten sich auf die völ­lig ver­dutz­ten Or­ghs und dräng­ten sie zum Teil mit kör­per­li­cher Ge­walt wie­der in die Saal­mit­te. Noch wäh­rend die­ses Durch­ein­an­der im Gan­ge war, bars­ten zur Rech­ten und zur Lin­ken meh­re­re Tü­ren, und in dem sprü­hen­den Re­gen der Trüm­mer­stücke tauch­ten Ge­schöp­fe auf, wie ich sie bis­lang noch nicht ge­se­hen hat­te. Sie gli­chen flie­gen­den Ei­ern – Rie­se­nei­ern, um ge­nau zu sein. Sie be­weg­ten sich mit ei­nem hel­len, sum­men­den Ge­räusch zwei bis drei Me­ter hoch über dem Bo­den. Von ih­ren et­wa einen Me­ter lan­gen, ei­för­mi­gen Kör­pern hin­gen ten­ta­ke­l­ähn­li­che Ge­bil­de her­ab, die äu­ßerst be­weg­lich zu sein schie­nen und me­tal­lisch glit­zer­ten.

Ich wuß­te plötz­lich, mit wem der Frem­de sich un­ter­hal­ten hat­te – und wuß­te auch, warum ich die ge­dank­li­chen Aus­strah­lun­gen de­rer, mit de­nen er sich un­ter­hielt, nicht hat­te emp­fan­gen kön­nen. Die ei­för­mi­gen Ge­schöp­fe, die zu Dut­zen­den durch die nie­der­ge­bro­che­nen Tü­ren ein­dran­gen, wa­ren nicht na­tür­li­cher Art. Wir er­leb­ten in die­sem Au­gen­blick die ers­te Be­geg­nung mit or­gh­schen Kampfro­bo­tern!

 

Die Pla­nung des Geg­ners war eben­so ge­schickt wie die uns­ri­ge. Er ließ sei­ne Trup­pen von meh­re­ren Rich­tun­gen her gleich­zei­tig in den Saal ein­drin­gen und schloß uns da­durch ein. Es ent­stand ei­ne un­ge­müt­li­che Patt­si­tua­ti­on, in der wir die ge­fan­ge­nen Or­ghs um­ring­ten, wäh­rend wir un­se­rer­seits von den feind­li­chen Ro­bo­tern um­ringt wur­den. Über Ko­da­tor hat­te ich un­se­re Kampf­ma­schi­nen an­ge­wie­sen, vor­läu­fig Ru­he zu be­wah­ren. Mei­nen Män­nern brauch­te ich die­sen Be­fehl nicht zu ge­ben: Sie sa­hen mit ei­ge­nen Au­gen, wie es um uns be­stellt war.

Ge­heim­nis­voll sum­mend um­schweb­ten uns die Or­gh-Ro­bots. Ich frag­te mich be­sorgt, was aus Fra­mus G. Al­li­son ge­wor­den war. Er konn­te sich ge­gen die feind­li­che Über­macht un­mög­lich durch­ge­setzt ha­ben. War es ihm we­nigs­tens ge­lun­gen zu ent­kom­men? Ich er­hielt kei­ne Ge­le­gen­heit, mich län­ger mit Al­li­son zu be­schäf­ti­gen. Der In­itia­tor des or­gh­schen Ge­gen­schlags er­schi­en auf der Sze­ne. Er trat durch ei­ne der ge­bors­te­nen Tü­ren, ein jun­ger Or­gh von her­ku­li­schem Kör­per­wuchs, ge­wiß das größte, stärks­te We­sen die­ser Art, das wir je zu Ge­sicht be­kom­men hat­ten. Ich brauch­te nicht in sei­nem Be­wußt­sein zu le­sen, um zu wis­sen, wer er war. Er war Na­nu­ku-Vjat, der Vier­te Brut­wäch­ter, und er hat­te auf­grund des Be­rich­tes, den Ror­rho­do-Sqyn er­stat­tete, ver­mu­tet, daß wir, wenn man un­se­re Be­din­gun­gen nicht er­füll­te, et­was Dras­ti­sches un­ter­neh­men wür­den. Auf die­se Mög­lich­keit hat­te er sich vor­zu­be­rei­ten ver­sucht, und wie man sah, war ihm sein Vor­ha­ben vor­züg­lich ge­lun­gen. Er hat­te es für rat­sam ge­hal­ten, sei­ne Amts­brü­der nicht über sei­ne Ab­sicht zu in­for­mie­ren. Des­we­gen hat­te er vor­ge­ge­ben, er ha­be drin­gend ei­ne Rei­se in die süd­li­chen Pro­vin­zen zu un­ter­neh­men.

Das eben war die Fra­ge, die ich zu stel­len ver­ges­sen hat­te: Wann der Vier­te Brut­wäch­ter ab­ge­reist war. Hät­te ich ge­wußt, daß sei­ne Ab­rei­se nach un­se­rer Be­geg­nung mit Ror­rho­do-Sqyn drau­ßen am Raum­ha­fen statt­fand, ich hät­te mich wahr­schein­lich we­ni­ger si­cher ge­fühlt und mich nicht der­art über­rum­peln las­sen.

Mit strah­len­dem Au­ge über­flog Na­nu­ku-Vjat die Sze­ne. Ich hat­te den M-Block wie­der ge­schlos­sen. Ein Blick auf Han­ni­bal be­lehr­te mich, daß der Klei­ne sich noch im­mer auf der te­le­pa­thi­schen Ebe­ne be­fand. Das war gut so. Na­nu­ku-Vjat war ein äu­ßerst ge­fähr­li­cher Mann. Man muß­te ihn stän­dig im Au­ge be­hal­ten. Die selbst­ge­fäl­li­ge, über­heb­li­che Mus­te­rung, der er uns un­ter­zog, be­hag­te mir nicht. Ich muß­te über­haupt dar­auf be­dacht sein, daß mir, Tu­madschin Khan, dem Be­herr­scher des Zwei­ten Rei­ches, die In­itia­ti­ve nicht aus der Hand ge­nom­men wur­de. Ich trat ei­ni­ge Schrit­te auf den Or­gh zu, mus­ter­te ihn nun mei­ner­seits aus halb zu­sam­men­ge­knif­fe­nen Au­gen und fuhr ihn dann an:

»Wer ist der Rü­pel, der sich er­dreis­tet, auf so un­ma­nier­li­che Wei­se ein wich­ti­ges Vor­ha­ben Tu­madschin Khans zu un­ter­bre­chen?«

Als der Trans­la­tor mei­ne Wor­te über­setzt hat­te, sah ich sein Au­ge in glü­hen­dem Rot auf­leuch­ten. Das war das äu­ße­re An­zei­chen hef­ti­gen Zor­nes, wie ich schon bei an­de­ren Ge­le­gen­hei­ten er­fah­ren hat­te.

»Wer ist der arm­se­li­ge Narr, der mich da an­quäkt?« ant­wor­te­te Na­nu­ku-Vjat im sel­ben Ton­fall wie ich. »Wer ist das arm­se­li­ge Ge­schöpf, das zwei Au­gen braucht, um halb so­viel zu se­hen wie un­ser­eins mit ei­nem?«

»Du weißt, wer ich bin, Or­gh!« don­ner­te ich ihn an. »Ich brau­che dir mei­nen Na­men nicht zu wie­der­ho­len. Un­ter­wirf dich, oder mei­ne Ro­bo­ter ver­wan­deln dich in ein grau­es Häuf­chen Asche!«

Er stieß ein gluck­sen­des Ge­räusch aus, das or­gh­sche Äqui­va­lent ei­nes mensch­li­chen La­chens.

»Schau hin­auf!« ver­spot­te­te er mich. »Was, meinst du, wür­den mei­ne Ro­bo­ter mit dir an­fan­gen, wenn du den Be­fehl gä­best, auf mich zu schie­ßen?«

»In un­se­rer Mit­te be­fin­den sich dei­ne Rats­brü­der, Or­gh!« hielt ich ihm vor. »Willst du sie er­mor­den?«

Wäh­rend die­ses lä­cher­li­chen Re­de­du­ells ar­bei­te­te mein Ver­stand auf Hoch­tou­ren. In die­ser Si­tua­ti­on lag ernst­haf­te Ge­fahr für uns. Je­de Se­kun­de, um die die­ses un­ent­schie­de­ne Kräf­te­ver­hält­nis län­ger an­dau­er­te, füg­te dem An­se­hen des Tu­madschin Khan nicht wie­der gutz­u­ma­chen­den Scha­den zu. Den Or­ghs wur­de der Be­herr­scher des Zwei­ten Rei­ches in ei­ner La­ge vor­ge­führt, in der er nicht, wie er es sonst ge­wöhnt war, den Ab­lauf der Er­eig­nis­se aus ei­ge­ner Macht­voll­kom­men­heit be­stim­men konn­te. Na­nu­ku-Vjats Bei­spiel wür­de Schu­le ma­chen, wenn ich mir nicht rasch die Ober­hand ver­schaff­te.

Da kam mir ei­ner zu Hil­fe, mit dem ich in die­ser Se­kun­de am we­nigs­tens ge­rech­net hät­te. Hin­ter mir hör­te ich plötz­lich Han­ni­bals schnar­ren­de Stim­me. So laut, daß je­der­mann in der Hal­le es hö­ren konn­te, sag­te er:

»Sei­ne Rats­brü­der küm­mern die­sen Schur­ken we­ni­ger als vie­les an­de­re. Er hält näm­lich schon seit lan­gem den Rat der Drei­zehn Brut­wäch­ter für ei­ne ver­al­te­te In­sti­tu­ti­on und möch­te an sei­ne Stel­le einen Al­lein­herr­scher ge­setzt se­hen. Na­tür­lich legt er Wert dar­auf, selbst die­ser Al­lein­herr­scher zu sein!«

Der Trans­la­tor über­setz­te Han­ni­bals kur­ze Re­de wort­ge­treu. Un­ter den Or­ghs, die wir in un­se­rer Mit­te ein­ge­schlos­sen hiel­ten, er­hob sich dump­fes Ge­mur­mel. Noch weitaus stär­ker je­doch war die Wir­kung, die der Vor­wurf des Klei­nen auf Na­nu­ku-Vjat selbst mach­te. Er er­schrak, das war an dem mat­ten Glanz sei­nes Au­ges zu er­ken­nen. Un­will­kür­lich wich er um zwei Schrit­te zu­rück und starr­te Han­ni­bal ent­setzt an.

»Wie kannst du …?« würg­te er her­vor. »Wo­her weißt du …?«

Da be­griff ich die Ab­sicht des Klei­nen. In die­ser ver­fah­re­nen La­ge setz­te er un­se­re Ge­heim­waf­fe, von de­ren Exis­tenz die Or­ghs nichts ah­nen soll­ten, die Te­le­pa­thie, ein, um den An­grei­fer un­si­cher zu ma­chen. Das war die ein­zi­ge Tak­tik, die in die­ser La­ge noch Aus­sicht auf Er­folg hat­te.

»Wicht!« fuhr ich den Vier­ten Brut­wäch­ter an. »Vor Tu­madschin Khan und sei­nen Hel­fern lie­gen dei­ne Ge­dan­ken wie ein of­fe­nes Buch. Ich weiß, daß du ge­kom­men bist, nicht um mir ent­ge­gen­zu­tre­ten, son­dern um den Rat der Brut­wäch­ter zu be­sei­ti­gen. Dei­ne Ro­bo­ter ha­ben Be­fehl, auf al­les zu feu­ern, was sich be­wegt. Die ein­zi­ge Aus­nah­me bin ich. Ich soll üb­rig­blei­ben; denn mit dem mäch­ti­gen Tu­madschin Khan will Na­nu­ku-Vjat ein Bünd­nis schlie­ßen, das ihm den Rücken deckt und ihm da­zu ver­hilft, Al­lein­herr­scher über das Ster­nen­reich der Or­ghs zu wer­den!«

Es hat­te nur we­ni­ger Se­kun­den be­durft, um die­sen Plan in sei­nem Be­wußt­sein zu le­sen. Sei­ne Ab­sicht so plötz­lich durch­schaut und öf­fent­lich aus­ge­brei­tet zu se­hen, raub­te ihm den letz­ten Rest sei­ner Fas­sung. Er tau­mel­te und stieß un­ver­ständ­li­che, lal­len­de Lau­te her­vor. Sei­ne le­der­ar­ti­ge Haut hat­te ei­ne to­te, graue Fär­bung an­ge­nom­men, und das rie­si­ge Au­ge schi­en aus der Höh­lung quel­len zu wol­len. Ich aber ent­deck­te et­was, das mein Herz hö­her schla­gen ließ: durch ei­ne der ge­bors­te­nen Tü­ren lug­te vor­sich­tig Fra­mus G. Al­li­sons som­mer­spros­si­ges Ge­sicht in die Hal­le.

 

Ich wand­te mich an die Ge­fan­ge­nen. Es muß­te al­les ge­tan wer­den, um nicht nur Na­nu­ku-Vjats Auf­merk­sam­keit, son­dern auch die der üb­ri­gen Or­ghs von Al­li­son ab­zu­len­ken. Ich glaub­te, den Plan des Aus­tra­liers zu ken­nen. Die ei­för­mi­gen Ro­bo­ter stan­den un­ter Na­nu­ku-Vjats Be­fehl. Die Ver­bin­dung zwi­schen dem Vier­ten Brut­wäch­ter und sei­nen Kampf­ma­schi­nen er­folg­te durch Sug­ge­s­tiv­kom­man­dos – je­ne Im­pul­se, die ich vor­hin so deut­lich emp­fan­gen hat­te, oh­ne sie zu ver­ste­hen. War Na­nu­ku-Vjat un­schäd­lich ge­macht, be­deu­te­ten auch die Ro­bo­ter kei­ne Ge­fahr mehr. So we­nigs­tens ver­mu­te­te ich, und so schi­en auch Al­li­son zu den­ken.

»Hört, ihr Or­ghs!« don­ner­te Tu­madschin Khans Stim­me. »Die­ser eu­er Rats­bru­der ist in Wirk­lich­keit eu­er Feind, nicht ich! Der Be­herr­scher des Zwei­ten Rei­ches wird sich mit sei­nem Ge­fol­ge ei­ni­ge Ta­ge lang auf die­sem Pla­ne­ten auf­hal­ten und sich dann wie­der ver­ab­schie­den und euch in Ru­he las­sen. Nicht aber Na­nu­ku-Vjat. Er trach­tet euch nach dem Le­ben, weil er weiß, daß er sich nicht zum Al­lein­herr­scher des Or­gh-Rei­ches ma­chen kann, so­lan­ge die üb­ri­gen zwölf Brut­wäch­ter ihm Wi­der­stand leis­ten. Des­we­gen sa­ge ich euch …«

Wei­ter kam ich nicht.

»Schweig, du er­bärm­li­ches Zwei­au­ge!« schrie Na­nu­ku-Vjat mit über­schnap­pen­der Stim­me. Es war ihm trotz sei­ner Be­stür­zung nicht ent­gan­gen, daß sich das Blatt zu mei­nem Guns­ten zu wen­den be­gann. Das durf­te er nicht zu­las­sen. »Dei­ne Be­haup­tun­gen sind er­fun­den. Du willst mei­ne Brü­der wan­kend ma­chen. Dei­ne Macht reicht nicht so weit, daß du mich …«

Ich hat­te den Blick voll auf ihn ge­rich­tet, aber aus den Au­gen­win­keln sah ich Fra­mus G. Al­li­son an­ge­schli­chen kom­men. Im Geis­te bat ich ihm al­les ab, was ich ihm sei­ner un­ge­fü­gen Ge­stalt we­gen je­mals vor­ge­wor­fen hat­te. Er be­weg­te sich mit der Ge­schick­lich­keit ei­nes Pan­thers, und in der Rech­ten trug er … was? Einen Knüt­tel, einen ech­ten Knüt­tel. Der Him­mel moch­te wis­sen, wo er ihn auf­ge­trie­ben hat­te. Aber der Ver­wen­dungs­zweck, dem er ihn zu­zu­füh­ren ge­dach­te, lag auf der Hand.

»Daß du mich …« – bis da­hin war Na­nu­ku-Vjat in sei­ner wü­ten­den Ti­ra­de ge­kom­men, da hat­te Al­li­son sich ihm bis auf zwei Schrit­te ge­nä­hert. Der mäch­ti­ge Aus­tra­lier hol­te zum Schlag aus. Jetzt erst wur­den die üb­ri­gen Or­ghs auf ihn auf­merk­sam. Ob sie mit Na­nu­ku-Vjat sym­pa­thi­sier­ten oder nicht, der un­er­war­te­te An­blick ei­nes völ­lig neu­en Geg­ners ent­lock­te ih­nen Aus­ru­fe der Ver­wun­de­rung oder des Schre­ckens. Na­nu­ku-Vjat un­ter­brach sich mit­ten im Wort und wir­bel­te her­um. Aber für ihn war es schon zu spät. Al­li­sons Hieb war gut ge­zielt. Er traf mit lau­tem Krach den haar­lo­sen Schä­del des Or­gh. Na­nu­ku-Vjat gab ein lau­tes, stöh­nen­des Ge­räusch von sich, dreh­te sich ein­mal um die ei­ge­nen Ach­se und stürz­te pol­ternd zu Bo­den. Er rühr­te sich nicht mehr, und sein Rie­sen­au­ge hat­te ei­ne dunkle, stump­fe Far­be an­ge­nom­men, als sei es nur noch ein Teil sei­ner Haut.

Vol­ler Sor­ge be­ob­ach­te­te ich die sum­men­den Ro­bo­ter, die uns nach wie vor um­schwirr­ten. Deu­te­ten sie den An­griff auf ih­ren Herrn und Meis­ter als einen feind­li­chen Akt? Nach zehn Se­kun­den ner­ven­zer­rei­ßen­der Span­nung ge­lang­te ich mit dem Ge­fühl tiefer Er­leich­te­rung zu der Er­kennt­nis, daß sie den Vor­fall of­fen­bar über­haupt nicht wahr­ge­nom­men hat­ten.

Tu­madschin Khan be­herrsch­te von neu­em die La­ge.