Sechstes Buch
FERDINAND
WALLENSTEIN GING nicht aus Böhmen. Die Bitten, die der Wiener Geheime Rat aussprach, schon als er auf dem Marsch über Leipzig war, nicht nach Böhmen zu kommen, die Lande des Kaisers zu schonen, waren erfolglos geblieben. Es erfolgte keine Antwort, bis das ganze Heer sich über Böhmen ausgebreitet hatte, und dann eine ungenügende: es sei hier am sichersten, man könne am besten den Feind beobachten, sich selbst am raschesten wiederherstellen. Das Reich bot bessere Kreise zu Quartieren als das Erbland Böhmen; aber der Herzog lehnte Verhandlungen ab. Er dehnte sogar die Quartiere über Mähren aus. Niemand in Wien hatte etwas anderes erwartet; man erschrak doch, als es eintrat. Der Herzog war so logisch wie ein Verhängnis geworden. Er wollte auf die rascheste Weise den Kaiser unter die Sohlen nehmen. Die Einnahmen des Kaisers, seine einzigen, aus den Erblanden wollte er zum Schrumpfen bringen, aus der schweren Verschuldung eine förmliche Armut machen. Der grausame Wucherer und Geldeintreiber stand über ihnen.
Bittreisen nach Prag und Gitschin traten der Abt von Kremsmünster, Breuner und dann persönlich Trautmannsdorf im Winter an. Trautmannsdorf war der Gast des Feldhauptmanns in der heiligen Zeit der zwölf Nächte; sie hatten gemeinsam Spaß an den ländlichen Gewohnheiten. Die Kinder liefen mit geschwärzten Gesichtern vor die Häuser, holten sich Gebratenes. Ernsthaft stiegen Männer von Baum zu Baum auf den Chausseen, umwickelten sie mit Stroh, um sie vor dem Bösen zu bewahren. Trautmannsdorf horchte an dem Herzog wie an einem interessanten Naturgegenstand herum, unternahm es dann, ihn zu verlocken, ihm gütlich zuzusprechen, damit doch diese sonderbare große Erscheinung Wien nicht verloren ginge. Es sei unendlich schade, sagte er offen, daß sie nicht Freunde sein könnten; es seien Fehler vorgekommen, Mißverständnisse; man könnte erwägen, die Dinge zurückzubiegen und auf ein vernünftiges Geleis zu kommen. Er redete sich, klug phantastisch wie er war, in eine Wärme hinein, die beinah herzlich war, aber leicht in eine respektvoll beobachtende Entfernung zurückging. Er sah darauf nichts am Herzog; es schien ihm nur, als ob er den Friedland reize; sie sahen sich tagelang nicht; bei neuen Begegnungen war der Herzog wie er immer war – höflich, falsch, zu Drohungen geneigt, undurchdringlich. An der Maßnahme der Belegung Böhmens und Mährens wurde nichts geändert. Der Böhme hielt fest, es sei nach den Abmachungen sein Recht, sich in die Erblande zurückzuziehen. Trautmannsdorf erkannte, daß also Wallenstein schon früher diesen Plan gehabt hatte, staunte den Böhmen an.
Da er angeblich für neue Rüstungen nicht flüssig sei, verlangte der Friedländer die rasche Eintreibung bestimmter Beträge durch den Reichshofrat. Bevor sich Abt Anton zu dieser schlimmen Maßregel entschloß, wandte er sich an den spanischen Botschafter, was man antworten solle nach Prag. Der erklärte sehr geheim, man sei in Madrid gewiß geneigt und habe es den drängenden Herren Eggenberg und Trautmannsdorf versprochen, den Kaiser gegen etwaige friedländische Übergriffe zu schützen, aber bisher sei doch die Lage nicht dringend; unbotmäßig sei der Herzog nicht; man wolle einmal sehen, wie er sich gegen das spanische Heer für die Niederlande verhalten werde, das bald aus Mailand heranrücken werde.
Seufzend sah der kleine Abt, daß Spanien wieder nur seine Interessen vertrat; die Beträge mußten eingetrieben werden. Schatz- und Säckelmeister bekamen Befehl, die Auflagen an den Friedländer zu zahlen. Nieder- und Oberösterreich mußten steuern in einer nicht gekannten Weise: Karossen- und Kutschensteuern wurden eingeführt, Schlittensteuern; jeder Eimer Ungarwein schlug für den Kaiser mit fünfzehn Kreuzern auf, Bankiers und Juden entrichteten eine zweiprozentige Vermögensabgabe, fünf Gulden hatten in allen Erblanden zu zahlen Baumeister, Organisten, Schulmeister, Musikanten, Spielleute, Mesner, Rauchfangkehrer; zweiundfünfzigtausend Gulden monatliche Kontribution die Bauernschaft in Oberösterreich. Und wie man nicht wußte, woher noch mehr nehmen, als die Beträge für den kaiserlichen Hofstaat und die herzoglichen Ansprüche nicht reichten, kam aus Gitschin die höhnische Anregung: Vermögenskonfiskationen aus religiösen Gründen vorzunehmen. Anton und andere Herren rebellierten; nur die Jesuiten bissen, wie sie es hörten, scharf an. »Wie hat sich der Herzog geändert«, lachten sie heftig, »wie hat er sich gesträubt bei der Restitution der kirchlichen Güter.« Die Kalamität in einigen Hofämtern wurde unmittelbar dringend; man ließ sich stoßen.
Ein kaiserliches Patent im Beginn des neuen Jahres bestimmte für das Herzogtum Österreich unter der Enns, daß jede adlige Person, die nicht der heiligen römisch-katholischen alleinseligmachenden Religion zugetan sei, binnen vierzehn Tagen bei Verlust ihrer adligen Freiheiten, bei Vermeidung kaiserlicher höchster Ungnade, Leib- und Geldstrafe sich in Person durch den Hofkammer-Türhüter anmelden lassen solle. Wer sich nicht bequemte, wurde verwiesen oder hatte einen Revers zu unterschreiben, in Kürze das Land zu verlassen; von seinem Vermögen fiel ein Teil an den Kaiser. Nichtkatholische fremde Kaufleute wurden ohne weiteres Landes verwiesen unter Konfiskation ihrer Handelsware und eines beliebigen Teils ihres Geldbesitzes.
Den meisten Räten wurde flau bei der Maßnahme; vor den Berechnungen der Finanzleute wichen sie zurück. Nur einige am Hofe wußten, daß man schon in Verhandlungen stand mit reichen Männern, getrieben von Wallenstein, um Städte zu verkaufen, in Ungarn und anderswo, die sich unter kaiserlichen Schutz gestellt hatten, kaiserliche Schutzstädte – ein tief beschämendes Vorhaben, vor dem man immer wieder zurückzuckte.
AUS NÜRNBERG war von dem Schweden der Mann abgewichen, den er »Majestät«, »Königliche Würde von Böhmen« nannte, der Pfälzer Friedrich. War gegangen, weil es ihn nicht reizte, noch mehr von der schwedischen Herrschaft zu sehen. Mit der englischen Elisabeth reiste er gemächlich auf Frankfurt.
Seltener wurden die schwedischen Streifkorps; er wurde ruhiger, gewann es manchmal über sich, seine Frau anzublicken. Die klagte viel, daß man den Schweden verlassen habe und welche Irrwege Friedrich jetzt gehen wolle, wo er nicht mehr jung war. Sie fuhren durch die traurige Herbstlandschaft in den offenen Karossen; Friedrich lag nach rückwärts bis über die Ohren in Pelze gehüllt; sie blickte aufrecht sitzend rechts und links, machte ein schnippisches enttäuschtes Gesicht, gähnte viel, klopfte mit den Füßen. »In Frankfurt wird es besser sein«, lächelte Friedrich.
Und sie war auch beruhigt, als in dem schönen Quartier, das die reiche freie Stadt ihnen zur Verfügung stellte, ihr alter Freund, der galante graubärtige Ludwig Camerarius, der lange in Hamburg und Stockholm gewohnt hatte, vorsprach. Er hatte wohl einen dringenden Auftrag schwedischerseits, sich des Pfälzers zu versichern und dafür Sorge zu tragen, daß er der schwedischen Sache nicht abtrünnig werde. Ein lächelnder spöttischer Herr, klug und überall interessiert, liebevoll, bewegte er sich um seine pfälzische Herrschaft, zeigte ihnen frankfurtische Kuriosa, kaufte Pferde für die Dame, trieb von unbekannter Seite für sie Gelder auf, sorgte für Pracht im Quartier, arrangierte Unterhaltungen für die Damen des Gefolges. Inzwischen bewachte er mit dem kleinen entschlossenen Rusdorf die Korrespondenz des Pfälzer Kurfürsten, besonders als es schien, daß Friedrich, ohne ein Wort davon zu verlautbaren, an mehrere Verwandte schrieb, denen er lange nicht geschrieben hatte, Männer, die mit dem Kaiserhof in einiger Verbindung standen.
Rusdorf war außer sich: »Die schwedische Majestät ist daran schuld. Der Kurfürst war dem König in allen Dingen freundwillig. Da hat der König den Bogen überspannt. Der Kurfürst verdenkt dem Schweden nicht, daß er sich einige Genugtuung für seine Auslagen und Opfer im Reiche verschafft, aber es scheint um mehr als bloße Genugtuung und Kostenersatz zu gehen.« »Wie könnt Ihr das sagen«, Camerarius lächelte zurückhaltend. »Zunächst wird ja gefochten und der Friedenskongreß ist noch in weitem Felde.« »Und er wird uns niemals beschert sein, wenn der Eigennutz und die Selbstsucht in so gräßlicher Weise triumphiert. Die sächsische Durchlaucht hat längst gerochen, worauf der Schwede hinauswill: uns deutsche Protestanten unter seinen Hut zu bringen. Und das will unser gnädiger Herr nicht. Und sagt selbst, Camerarius, hat er nicht recht.« »Der Krieg ist noch lange nicht zu Ende. Es kommt alles in ein Gleichgewicht. Man soll nicht das Gute aufgeben, um das Bessere zu suchen.«
Rusdorf trat dicht an Camerarius, der an seinem Stuhl stand und sich den grauen Bart strich, flüsterte erregt: »Ich habe nicht weniger Geld von Schweden bekommen als Ihr. Gewiß. Ihr braucht nicht staunen. Ich weiß, daß er Euch zahlt. Mich zahlt er längst. Viel behalte ich nicht. Ich wäre ein reicher Mann, wenn ich alles hätte, was unser gnädiger Herr mir schuldig ist. Ich nehme es für nichts weiter an. Ich weiß ja auch, daß Ihr daran denkt, wenn Ihr schwedisches Geld empfangt; es ist unser Herr und wir sind nicht so unglücklich wie er. Aber Ihr übertreibt: Ihr habt darum nicht nötig, so dem Schweden zu dienen. Was wir nicht verhindern können, können wir nicht verhindern. Sucht der Kurfürst Anschluß an den Kaiser und ist der Kaiser gnädig: mit Gott! Wir haben genug geduldet; Ihr seid grau wie ich geworden.« Kopfschüttelnd schritt der andere durch das Zimmer, untersuchte, ob die Türe fest geschlossen war: »Schon gut. Wir sind einer Meinung. Er wird den Anschluß nicht finden.« Die Fäuste ballend Rusdorf: »Und ist dies richtig, was der Schwede in Nürnberg erklärte als sein erstes und letztes Wort?« »Was ist das?« »Wieviel er sich vom kurpfälzischen Besitz am Rhein erhalten wird?« »Nun?« Er bedrängte den andern, bis der den Mund auftat: »Wir werden nicht mehr hergeben, als wir müssen. – Vielleicht ist es nicht so töricht, wenn wir unserem Herrn eine kleine Korrespondenz mit dem Kaiser gestatten. Und davon etwas verlauten lassen.« Sprühend Rusdorf: »Wir sind in Wuchererhänden beim Schweden.« »Seid nicht so laut.« »Es ist Zeit, laut zu werden. Er ist nicht besser als die britischen Herren, die uns kujoniert haben, mich und Pawel.« Camerarius drückte ihm die Hand: »Einigkeit, Rusdorf.«
Aber kaum schrieb der Kurfürst, kaum öffnete er einen Brief. Er freute sich der Stadt, trank viel, war herzlich mit seiner Frau Elisabeth. Dann erlag das pfälzische Quartier der Nachricht vom Tode Gustavs in Sachsen. Im Augenblick fiel alles in Zuckungen: ratlos schweifte man umeinander. Die Kurfürstin drängte, weiterzureisen, nach dem Haag, verlangte fort nach England, schmähte das Reich.
Da begann Friedrich lebhafter die Wiener Korrespondenz aufzunehmen. Ungestört festierte er in seinem Quartier, die Engländerin betäubte ihre Erregtheit in heftigen Vergnügungen, pompösen Reitereien, Schlittenfahrten und Späßen, die sie zum Getuschel der Stadt machten.
Gegen Weihnachten wollte eines Abends Friedrich seinen Trinkkumpanen in einem sonderbar heftigen Drange seine Ansicht über den toten Gustav, über die Kriegsdinge und allerlei sonst sagen. Es kam aber niemand, sie waren zu Festlichkeiten in der Stadt verstreut. Er saß allein mit seinem Narren, der auf dem Stühlchen bald einschlief. »Ich habe so heftig und herzlich ihnen allerlei zu sagen«, dachte Friedrich; er wußte nicht was; alles nahm solchen guten Verlauf, er kam zum Reich zurück, er hatte ein großes Ungestüm in sich.
Wie dann der nächste Morgen graute, setzte er sich in den ungeheuren Saal, in dem Becher Hüte Degen herumlagen, zog eine Kanne an sich, fing zu trinken an. Die anderen würden schon kommen, er würde auf sie warten. Er trank. Auf einem Thronsessel saß er, den er sich in einen Winkel geschoben hatte. In die Ecke geduckt saß er.
Die Sonne schien hell, als Elisabeth hinten die Tür öffnete. Die kurze Nase vor Kälte gerötet, die schwarze hohe Pelzmütze über die Ohren gezogen, blonde Stirnlöckchen zwischen die Augen fliegend. Sie stolperte über einen schlafenden Lakaien; drei Taburette standen auf dem Kopf; die Matten auf dem Parkett waren zu Thronen verschoben. Das perlenbezogene silbergraue Seidenkleid mit beiden Händen anhebend, strich sie zu dem Thronsessel herüber, an dessen Außenseite eine Hand baumelte. Sein Gesicht – sie hatte ihn seit Tagen nicht gesehen – blickte sie ernst und klar an, so daß ihr Herz freudenvoll erbebte. Sie zog ihre weißen Handschuhe aus, wischte ihm das weinbespritzte Haar ab, wischte ihm den fetten schweißbestandenen Hals unter der zerknickten spanischen Krause und faßte ihn, wie er sie nur stumm ernst anblickte, am Kinn, um ihn auf den Mund zu küssen. Sein Nacken war weich und schwer, der Kopf wich an der Rückwand des Sessels leicht links ab. Vornübergebeugt zu ihm, die pelzbezogene Wange an seinem Gesicht, rief sie nach rückwärts: »Tischwart, Schenk, Wein.« Da wehrte es ab: »Nicht, nicht«, aus dem Munde vor ihr, aus dem Körper vor ihr. Der Körper hob sich wenig, sie abdrängend, auf die Füße. Er strahlte sie innig, armhebend an, blieb starr mit dem Blick auf sie. Sein Mund ging auf, er schien lachen zu wollen oder zu weinen oder trübselig zu klagen. Die Nase, die Oberlippe hob sich in einem Weh. Er plumpte schwer zurück. Sein Hals, sein Kopf lief rotblau an, schwoll unter leisen, dann heftigen Zuckungen der Wangenmuskeln, rollte, während sich die blauen Augen trübten, von der rechten Schulter auf die Brust. Die Beine standen eingeknickt unter dem Sessel, der Körper schien herabrutschen zu wollen. Lautes Schnarchen, der linke Arm griff abwärts in die Luft neben einem Sesselbein. Die Fürstin schrie angstvoll mit zusammengebissenen Zähnen auf. Dann torkelte der Kopf mit einem brüsken Stoß wieder auf die Schulter, die Wange zuckte noch, die weißlichen Augen stellten sich blicklos in eine Ecke, der ganze Körper wiegte sich leicht in einigen Wellen.
Sie stand da, ging nicht weg, biß sich auf die Finger, watete langsam durch den Saal zurück, immer mit gedankenlos hebenden Bewegungen der Arme, erst an der Türe sich umdrehend, als es hinten dröhnte und polterte und der Mann in der Ecke kopfaufschlagend auf das Parkett rutschte. Sie ging ohne zu sehen über den Hof, indem sie sich den Nasenrücken rieb, den Schnee von ihrer Schleppe schüttelte. Bei jedem vierten fünften Schritt blickte sie rückwärts, an sich herunter, schüttelte die Schleppe.
Ein Roßbube sah sie vom Stall aus gehen, pfiff zwei aus dem Fenster schauenden Damen, wies stirnrunzelnd auf die langsam wandernde Frau. Die zitternden weißen Damen legten die Hände an ihre fortzuckenden Arme. Sie schrie auf, knirschte mit den Zähnen, stürzte wälzte sich nach einigem Stöhnen in sie hinein.
IN WIEN wuchs nach dem Tode Gustavs und des Pfälzers die kriegerische Stimmung. Nicht einmal die Wissenden an der Spitze taten ihr Einhalt. Die Waffenerfolge der kaiserlichen Armada schollen durch Europa.
Der Heilige Vater in Rom, der eben Wien kalt abgewiesen hatte, hatte es fast zu einem Bruch auch mit Spanien kommen lassen, als ihn der brutale spanische Gesandte Borgia, der Kardinal, unverblümt im Konsistorium der Herzlosigkeit und Saumseligkeit gegen katholische Interessen zieh. Urban, der große buschbärtige Kriegsmann, wußte, daß das Schlachtenglück wechseln könne. Hielt, den Kardinal aus Rom verjagend, mit einem letzten Entschluß an. Nun kirrte den Goten dieser andere Barbar, der Friedländer, der Mantua hatte verwüsten lassen; es schien fast, als ob er der Lage in Deutschland Herr werden würde. Ein Breve Urbans traf in Wien ein, der Nuntius las in der Burg dem Kaiser Ferdinand und seinem stolzen, feierlichen Hofe vor, was der Papst unter dem Fischerringe im zehnten Jahre seines Pontifikats verkündete: welche Wohltat allen verliehen sei durch den Tod Gustavs. Dem Sitz Seiner Heiligkeit hätten sich die Klagen und der Jammer seiner Söhne genähert und wären seinem Gemüt zu beständiger Trauer vorgeschwebt. Der ganze christliche Erdkreis empfände Genugtuung, der mit Schrecken vernommen habe, daß ein König als Feind des katholischen Namens, trotzend auf seine Waffenmacht und seine Siege, von den Ufern des baltischen Meeres bis zum Fuß der Alpen alles mit Feuer und Schwert verwüstend, sich rühmen durfte, den ganzen Landstrich mit höchster Schnelligkeit unterworfen zu haben. »Darum haben Wir in der Kirche der allerseligsten Jungfrau Maria dell’Anima der deutschen Nation mit hoher Freude das heilige Meßopfer dargebracht und zugleich mit Unseren geliebten Söhnen, den Kardinälen der heiligen Kirche, und dem stark zugeströmten römischen Volke für die große Wohltat Gott unseren Dank dargebracht.«
Ferdinand, freundlich still auf seiner purpurbezogenen Bank dem kloßigen Redner zuhörend, küßte ihm aufstehend die behaarte Hand. Schweigend, als wenn er sich besinne, sanft stand er eine kleine Weile vor dem verbindlich wartenden Mann, um langsam von sich zu geben: »Lasset uns in Demut voranschreiten und in Ergebung Gott die Sachen befehlen.«
Hinter ihm Siegeslärm. Mit Unruhe bemerkte der Nuntius, der eine klägliche Rolle spielte, welche Wellen die Erregung schlug; er sah sich genötigt, abzureisen. Die Väter vom Orden Jesu verlangten, wo sie sich am Hofe sehen ließen, Krieg bis zur Vernichtung des schwedischen Heeres. Die traurigen Meldungen aus Bayern hatten sie in äußersten Zorn gebracht; sie ließen an allen Stellen, die ihnen zugänglich waren, beim Beichtvater des Kaisers, der Kaiserin, des ungarischen Königspaares, bei den anwesenden Herren des Zivilstaates, besonders beim Grafen Schlick, dem Präsidenten des Hofkriegsrats, erklären, daß in allen eroberten Gebieten als Schadenersatz die höchsten erträglichen Kontributionen eingetrieben werden müßten; jeder protestantische Besitz dort müsse der Konfiskation verfallen. Des Herzogs von Friedland, der die religiösen Vermögenskonfiskationen angeraten hatte, fühlten sie sich gar nicht sicher. Sie gedachten jetzt ihn mit Gewalt zu sich zu zwingen und ihre Position auszunützen. Bei Regensburg hatte er ihre Macht gefühlt; er sollte nicht glauben, jetzt seiner unberechenbaren Laune und bloß militärischen Politik folgen zu dürfen. Die Herren am Kolleg formierten eine Spezialdeputation aus sich, bestehend aus dem Provinzial, einigen Rektoren und Präfekten, die in einer Schrift niederlegten, wie der Krieg zum Ruhme der katholischen heiligen Kirche zu einer Entscheidung geführt werden müsse, wobei weder Gut noch Blut eine Rolle spielen dürfe. Wie ihre Beteiligung und Eingreifen nicht in solchem Augenblick als anmaßlich gelten könne, besonders wenn man mit Azorius, Cornelius a Lapide, Santarelli der Auffassung sei, daß die Menschheit ein übernatürliches Ziel habe und die Geistlichen Vertreter des höchsten Erdenkönigs, des Papstes, seien. Sie sprächen aus dem Sinne ihres Generals. Und wenn dies, was sie erwähnt hätten über die Beendigung des Krieges, schon sicher sei, so noch mehr, was die sächsischen Punkte anlange. Und nun folgte ein zornsprühender Erguß über des Herzogs von Friedland Liebden Verhandlungen mit dem Kursachsen, einem Häuptling und der Stütze der Ketzer im Reich neben dem von Gott und der Jungfrau weggerafften und in das Höllenpech verstoßenen schwedischen König.
Aus Residenzhäusern Bursen Kollegien quollen die gelehrten Streiter, scharfe Gesichter, breite langsame Menschen, heiße Augen, strenger Blick, entschlossene Münder. Lange schwarze Kleider, offenes Obergewand, sehr weite Ärmel, Unterkleider talarartig mit offenen Überröcken, flachrandige Krempenhüte, Krempen mit Schnüren rechts und links hochgebogen, schwarze viereckige Mützen. In die große Aula des Profeßhauses flossen sie ein; von weißem Stuck war sie ausgekleidet, phantastische Heiligensonnen waren in üppigen Farben auf den meterbreiten Wandbildern gemalt, Maria stand überlebensgroß mit goldenem Gesicht, weißen Seidenkleidern, schmucküberladen unter einer rubinbesetzten Krone auf einer getigerten Marmorsäule hinter dem Katheder an der Wand. Sie sangen ein Lied zum Preis Marias, als sie sich nebeneinander barhäuptig auf die knarrenden Bänke gesetzt hatten.
Der schwammige Beichtvater der Königin von Ungarn sprach: Wohin Jesuiten kämen im Reich, sollten sie auf die Gefahren hinweisen, vor Fürsten und Untertanen, in denen das Reich schwebe. Die höchste Gewalt, hätte der große Mariana erklärt, liege beim Volk, das einen rechten Gebrauch von seiner Einsicht machen müsse. Führer und Herrscher könnten so irren wie jeder Mensch und ebenso in Sünde verfallen. Die Armeen sind nicht zum Dienst der Herrscher und Heerführer, sondern des ganzen Volkes. Nur dann darf sich der Heerführer ihrer ungestört bedienen, wenn er des Vertrauens des Volkes sicher sein kann. Wenn er aber gegen den Willen und das Glück des Volkes handelt, muß sich das Volk und ebenso das Heer von ihm abwenden und ein Fluch über ihn ausgesprochen werden. Ein doppeltes Gesicht, wie der heidnische Götze Janus, habe der kaiserliche Oberste Generalfeldhauptmann von Wallenstein, der Herzog zu Friedland; eins blicke liebreich der heiligen Kirche und ihren geweihten Söhnen in die Augen, die Hände verschwenden Gaben an sie wie wenige Fürsten. Das andere Gesicht aber ließe Hauer aus dem Maul herabstoßen, blicke und grinse gierig und gehässig; die Hände dieser Seite ringen mit denen der anderen, und wem hier ein Scheffel Korn geschenkt sei, rauben diese wütigen eisernen Arme zwei drei. Dieser liebreiche Mund spricht das Ave und den Rosenkranz, dieser Kopf senkt sich fromm bei der beseligenden Darbringung des Opfers – jenes grimmige Maul hat nur Freude an dem Trübsinn der Ketzer, lobt ihre bösen Begierden und Ansprüche, und der Kopf ist von Anschlägen auf die Freiheit und Macht der süßen katholischen Kirche voll. Solch Mensch sei er, entstanden auf böhmischem Boden, mit Sorgen hätte man ihn dem falschen Glauben entrissen, aber nicht entschlossen genug das widrige Unkraut mit der Hacke gejätet. Der zum Schmerz aller Frommen mit dem sächsischen Kurhut bedeckte trunkene Ketzer, Johann Georg benannt, glaubt Anspruch auf Güter und Gebiete zu haben, die er und seine Vorfahren der katholischen Kirche in ihrer einstigen Schwäche gestohlen haben. »Oh, grenzenlos war der Schmerz, als uns diese Stifter, Klöster und Güter geraubt wurden, viele verzagten an dem Glück unseres Schiffleins. Grenzenlos ist unser Frohlocken, wo uns unsere Habe wieder zufallen soll auf den Spruch eines weisen gerechten frommen herrlichen Kaisers. Aber der doppelgesichtige Mann hat unser Verderben vor. Er will sich mit dem Ketzer in Dresden über den Raub verständigen und sich mit seinem eigenen Gewinn rechtzeitig aus dem Krieg schleichen. Ihm liegt nicht an Sieg und Niederlage. Wir hören es von allen Seiten. Ja, er will Frieden, und wenn der Friede auch die Ohnmacht und Schmach unserer heiligen Kirche besiegeln soll.«
Darauf sangen sie ein lateinisches Lied, indem sie aufstanden. Sie sprachen in Gruppen. Der große hinkende Luxemburger, Beichtvater der Römischen Majestät, trat während der Rede in den Saal, blieb an der Tür stehen, mischte sich horchend in die Gruppen. Er hatte ein unentschlossenes müdes Gesicht und sprach kein Wort.
Als sie sich wieder gesetzt hatten, sank ihr Tuscheln vor der scharfen aufreizenden Stimme eines Rektors. Wie Fanfaren fing er an: »Ecclesia militans! Ecclesia militans! Das sind die Diener der Jesugesellschaft. Wir, wir! Ein Fähnlein hat uns unser geheiligter Stifter genannt, die Sturmkompagnie des Papstes sollen wir bilden zum Kampf gegen die Heiden im Ausland und in der Christenheit. Kein Frieden! Kampf unser Ruf, bis zum Sieg des Papstes. Wir stehen dem ungeheuersten Geschick gegenüber: der gewaltige Krieger des Kaisers will uns zum Frieden zwingen. Wir sollen aufhören zu sein. Die Kirche soll verkrüppeln. Wir werden nicht aufhören zu leben, sein Reichtum soll uns nicht töten, Armut wird das Bollwerk unserer Kompagnie sein. Es sind Boten aus Sachsen zu uns gekommen, Boten aus Böhmen, die erkennen lassen, daß der Kampf auf Bestehen und Vergehen jetzt entbrennen soll; der Krieger des Kaisers hat ihn uns angesagt. Er will das Reich einigen. Wir sind katholisch und bleiben katholisch. Daran scheitert alle Einigkeit. Die Lauheit seines Religionsfriedens entlarven wir: sie deckt die Niederlage des alleinseligmachenden Glaubens. Ecclesia militans! Provinzial, Professoren, Magister, Adjutoren: die Armeen des böhmischen Wallenstein marschieren gegen uns. Ich rufe auf: wollt ihr weniger sein als seine Feldzeugmeister, Wachtmeister, Obersten, Hauptleute, Leutnants und Kornetts. Der Geist gegen Waffen! Die Seligkeit gegen Politik! Im Zeichen des heiligen Ignaz: wir werden des Friedländers Herr werden.«
Sie murmelten freudig, bildeten gestikulierend Gruppen, von den Bänken aufstehend. Der bayrische Doktor Leuker war in Wien, von dem jungen Küttner begleitet. Maximilian hatte seinen jungen Gehilfen ungern gehen lassen. Der vermochte das hilflose Herumsitzen in den kaiserlichen Räumen des Münchener Palastes nicht zu ertragen, konnte die schreckliche Vereinsamung, in der sich sein Herr befand, nicht ansehen, und ohne zu bedenken, daß er seinem Herrn die einzige Fröhlichkeit der langen langen Wochen war, riß er sich los, reiste nach Wien, zu Leuker, um auf eigene Faust etwas zu unternehmen. Der Jesuitenspektakel gefiel ihm, die Väter begriffen den Augenblick, aber waren nicht mächtig genug. Er suchte aufzustöbern, wer Bayern helfen wollte. Wie Doktor Leuker, ratlos wie er, herumwanderte bei den Herren des engeren Konferenzrates, des Hofkriegsrates und der Kammer, fand der scharf beobachtende Resident, daß man ihn zu Klagen über den Generalissimus förmlich anregte. Als wenn man eine Genugtuung darin fände, solche Klagen zu hören. Man wollte etwas auch von ihm, als geheimem Verbündeten gegen irgend jemand. Er sah rechts und links: es ging etwas am Hof gegen den Herzog vor. Man wurde nicht deutlich.
In diesen Tagen begegneten sich in den Burgkorridoren der bayrische Resident und der böhmische Oberstlandmeister Wilhelm Slawata. Langsam schritten sie durch die Höfe in die Stadt. Der Graf zog den Bayern mit sich. Er sprach Gleichgültiges, suchte die Gesinnung des anderen zu erforschen. Sie trieben im Gedränge der inneren Stadt hin und her, umgingen mehrmals die Pestsäule am Graben, in schwere Pelze gemummt; wichen vor den Gesellen des Rumormeisters, die auf sie aufmerksam wurden, nach dem Hohen Markt, zwischen dessen Krämergeschrei sie verschwanden.
Wie die Kurfürstliche Durchlaucht zu Bayern ihre schweren Verluste verwunden habe, fragte der schöne Slawata, und was sie weiter zu tun vorhabe. Der Bayer klagte heimlich: das sei ja das Unglück; Bayern sei verbündet mit Habsburg und so sei alles glatt; aber wer könne denn verschweigen, daß dieses Bündnis zum Lachen wäre. Im Ernst: niemals sei es dem Kurfürsten Maximilian so schlimm gegangen wie in dem Feldzug des verflossenen Jahres; alle die ihn vor Nürnberg begleitet hätten, hätten darüber lamentiert. Er begann die Zahl der Kränkungen weitläufig aufzuzählen, die der Friedländer dem Kurbayern bei Zirndorf und schon vorher, von Eger her, angeboten hätte; halbtot, hätte Maximilian seinem Vater gesagt, sei er von dem rachsüchtigen Mann gequält worden. Ja, es sei ein Unglück, meinte verstohlen lächelnd der andere, in die Hände seines Feindes zu fallen, denn man könne es ja dem Friedländer nicht verdenken, wenn er den Regensburger Konvent nicht so leicht vergesse.
Indem sie über den Lobkowitzer Markt zwischen den Hühnerkörben streiften, begegnete ihnen der lustig durch den Schnee schlürfende Küttner, der in einfacher federloser Kappe und ohne Degen ging und lachend gestand, er sei auf Diebeswegen und wolle in die Rotenturmstraße, wo es den schönsten Honigtrank in einem Metkeller gebe. Der dunkel blickende Slawata wurde zum ersten Male des rotwangigen Menschen ansichtig. Sie reichten sich die Fingerspitzen. Nach kurzem Plaudern wollte Küttner weiter. Da schlug Slawata einen gemeinsamen Weg nach der Rotenturmstraße vor; Leuker nahm nach einigem Wandern Urlaub, da der böhmische Herr wesentlich mit dem jungen unbedeutenden Fant sprach. Der Böhme hatte sich an Küttner verhakt. Etwas lockte ihn an dem Knaben.
Vor der Wirtshaustonne mit Met gab der gesprächige Küttner Schnurren von sich; wie er zuerst von dem sonderbaren Zwergenprofessor, dem Genueser Licetus, hierher geführt sei, der ihm allerlei Taschenkunststücke vorgemacht habe und so weiter. Nach Maximilian gefragt, wurde er stiller, äußerte sich dann in heftigem Schmerz, wie er den Kurfürsten verlassen habe, daß solch Unglück über den frommen klugen tiefen Mann habe hereinbrechen können. Nun säße er wieder in München; wie lange, und die Schweden seien von irgendeiner Seite wieder da; wer könne dies mit ansehen, er sei fast davongelaufen. Das nahm, im dunklen Winkel sitzend, den Pelz über den Knien, Slawata mit niedergeschlagenen Augen entgegen; mit seinen stumpfen samtnen Blicken betrachtete er gelegentlich rasch den erhitzten Jüngling. Er drängte den andern auf den Weg, den er wollte, und als der nicht weiterfand, meinte er zweideutig vor sich lächelnd, an einem Lebküchel spielend, man sei ebenso weit wie vor Jahren in Regensburg; Karthago müsse zerstört werden. Küttner fand das fast naiv, von der Art der Jesuitenväter; unwillig fragte er, ob man nichts Konkretes zur Abhilfe wisse. – Noch einmal, Karthago müsse zerstört werden. – Gutmütig gab der Bayer zu, es könne auch das Haus Habsburg abgesetzt werden; was solle zunächst geschehen. – Soll also Karthago zerstört werden oder nicht? – Nun ja; der Bayer lachte und trank; aber zur Sache. Darauf wollte aber der zähe sehr langsame Vornehme nicht eingehen; sie müßten sich erst über das Prinzip einig sein. Und da erst, auf diese unbeirrbare Dringlichkeit und Gewißheit, wurde Küttner unsicher, hörte auf, an seinem Becher zu ziehen, betrachtete den feinen kopfsenkenden Mann vor sich genau. Was also.
Slawata merkte den Umschwung in dem andern, blickte ihn von unten fest an; wie es nunmehr mit Karthago stünde. Man kann es vielleicht zerstören; es scheint, als ob auch der bayrische Herr das wünscht. – »Man kann« und »vielleicht« und »es scheint«, die bayrische Durchlaucht hat nichts Sehnlicheres als dies; man kann nicht, man wird, und wird müssen. Oder? – »Ihr denkt, Ihr kluger junger Herr, sogar ein Oder. Dieses Oder, das etwas von einer Sintflut an sich hat. Wißt, ich denke nicht im Schlaf an dieses Oder. Mir ist es nicht von Gott verliehen, so weit zu denken.« »So, meint Ihr, steht es.« »Es wird ja schon von vielen begriffen; sie warten aber so lange und freuen sich so lange am Begreifen, bis es nichts mehr zum Begreifen gibt.«
Küttner, über die Tonne gebückt, tippte mit dem Zeigefinger der linken Hand eine Weile rhythmisch auf das Holz. »Weiter«, brachte er heraus. Slawata erhob sich, warf ein Silberstück auf den Schanktisch; sie trabten durch die schnell sich verdichtende Dunkelheit.
Als der Böhme allein auf sein Quartier zog, wunderte er sich über dieses plötzliche Winterabenteuer, das Sitzen in einer Metstube, den kecken eigentümlich herzlichen und kindlichen Küttner. Wie war er plötzlich in dieses Gespräch mit dem Knaben hineingezogen worden. Es hatte etwas Schönes Süßes Lyrisches an sich; es zwang ihn hinein, und jetzt schwang noch das Freudige rätselhaft Belebende davon in ihm. Als wenn er selbst junge glückliche Wege schwebte. So dachte er, im dunklen Erker sitzend. Es hat beinah nichts mit dem Friedländer zu tun, dachte er in sich, sich zärtlich betrachtend; es ist für sich genug. Während sein Gesicht im Dunkeln ein Lächeln war, dachte und träumte er: ich werde den Friedländer mit dem jungen Knaben umwinden; er ist meine Waffe. Was habe ich denn für Waffen gegen den Friedländer. Ich bin auch nur eine Nachtigall, die um den Löwen fliegt. Was wird das für ein sonderbarer Tod des Löwen werden, wenn ich ihn töte. Und er freute sich an dem schönen weichen Vorgang. Und was will ich auch von dem gelben starken Löwen; was tut er mir. Wieviel fehlt dazu, daß ich ihn anbete. Aber ich bin dabei und bin im Begriff, ihn zu töten. Es ist sonderbar, die Dinge sind in dem Laufe, gerade in diesem Laufe.
ZUR FASTNACHT wurde im friedländischen Palast eine Maskerade abgehalten. Türken Ungarn wilde Männer Kobolde drängten sich, der Satan schlich in rotem Kostüm mit entsetzlich schlagendem Schwanz dazwischen. Bei dem Narrengericht auf einer Bühne im geheizten Treppenflur wurde gegen einen grünhaarigen Wassermann verhandelt, der sich weigerte, die Ehe unter Menschen anzuerkennen und schließlich unter Toben und Gewieher verurteilt wurde, sich mit einem schmierigen dicken Wiesel zu verheiraten. Darauf führte der ungarisch verkleidete Graf Trzka den schweren Grafen Schlick, den Präsidenten des Hofkriegsrates, der aus Wien sich eingestellt hatte, Friedland zu. Der Herzog, schrecklich anzusehen, ein Produkt seiner furchtbaren Leiden und der Rastlosigkeit, bewegte sich hinter einer Palmengruppe, ausgemergelt lang und gebeugt, auf zwei Stöcken, die kurzen Haarstoppeln schneeweiß, der spitze Kinnbart grau und weiß gemischt, über blauroten Augensäcken die kleinen spielenden Augen mit peitschenden Blicken, die Nase herabgezogen auf die dicken Lippen. Die Herzogin und einige Vornehme saßen auf Polsterstühlen um einen Tisch. Der Herzog zog den Fremden neben sich.
Während sie lebhaft sprachen, trat ein wüster Mensch aus dem Saal an ihre Gruppe heran, mit langem blondem Bart, den wilden Haarwuchs bis über die Schultern. In steifen braungelben Schäften bis an die Hüften stieg er, die Muskete trug er in der Rechten, stellte sie aufstoßend vor sich wie ein Totschläger. Er hatte sich mit dem mächtigsten weißen Kragen geputzt und einen ungeheuren Federhelm aufgesetzt, eine braune Dogge zog er mit der linken Hand beim Nacken. Er griff nach einem Becher, trank ihn aus. Dann legte er unmittelbar vor dem Tisch seine Muskete in die Gabel und schickte sich trunken lachend an, einen Schuß auf den Herzog oder den Grafen zu lösen. Mit einem Fußtritt warf im Augenblick Trzka die Gabel um.
Mit dem Menschen, der grunzte lachte gluckste, tschechisch stammelte, balgte er sich eine Minute, dann krachte ausrutschend der Strolch zwischen die Palmen hin, die sich auf dem Parkett in ihren Riesenbehältern rückwärts auseinanderschoben und raschelten. Die Herzogin in ihrem weiten roten Rock, dem weißen Mühlradkragen war aufgesprungen, hatte geschrien. Masken schwankten an. In ungestümen Sprüngen riß sich, mit den Partisanen schlagend, die Saalwache Raum, brach durch, räumte, sich immer verstärkend, einen Kreis um die herzogliche Gruppe. Zwei Pikeniere schleppten den juchzenden Betrunkenen, der nach seinem Köter greifen wollte und rückwärts die Masken anlachte.
Der Herzog stand mit den Stöcken da, brüllend mit glitzernden Augen: »Vorbeigeraten! Graf Schlick, ha! Seht Ihr, vorbeigeraten.« Der murmelte etwas: »Seht. Wer steckt dahinter. Man wollte kommen. Sie haben es nicht gekonnt. Haha.« Friedlands wildes verzerrtes Gesicht; er schnaubte schwer, tastete sich zu einem Sitz, blickte alle an. Der halbe Saal war vor ihnen gesperrt.
Schlick, der ungeheuer schwere Mann, der Kopf war ihm abwärts zwischen die Schultern gerutscht, saß da, betrübt, mit langem weißem Bart, buschigen schwarzen Augenbrauen, die sich hochsträubten; die Arme lagen ergeben auf dem Schoß; stumpf verwittert grau saß er wie aus porösem Stein. Er brummte beruhigend, wie stark die herzogliche Leibgarde sei. Wallenstein, beide Hände auf den stehenden schweren Stökken, noch atemknapp, bissig: man müsse sich gründlich vorsehen, im Haus nicht weniger wie im Feld; man könne nicht wissen, von welcher Seite man angegriffen würde. Ob übrigens Graf Schlick glaube, daß der schwedische König, was man sich erzähle, von seinen eigenen bestochenen Leuten erschossen sei. Der Gast nickte; vielleicht haben die Schweden oder ein Deutscher ihn beseitigt; es sei keine schlechte Kriegsmethode, den Führer zu erschlagen; das spart Kanonen. Er, knurrte Wallenstein, möge die Methode nicht; es sei doch etwas Verruchtes darin. Er schickte Trzka fort, beim Obersten der Leibgarde nachzuforschen, was man von dem Betrunkenen ermittelt habe. Noch höher hob Schlick die Schultern: ruchlos oder nicht, wer will die Mittel wählen; überall entstehe die weltliche Gewalt niedrig, durch Mord und Waffen; man wisse ja, daß die Fürsten erst mittelbar von Gottes Gnaden seien. – Was? der Herr billige solchen Mord am eigenen Herrn und Fürsten. – »Nicht doch; ich sage, solch Mord ist unvermeidlich. Bisweilen. Wenn der heilige Glaube es verlangt.« – Wallenstein kniff aufmerksam die Augen, fixierte den versunkenen Fleischblock lange: so, so; der Herr Bruder sei Anhänger der frommen Jesuväter; das freue ihn zu hören, denn auch er hielte zu ihrer heilsamen Lehre. – Ja, kam aus dem schweren Block, die Gewalt entstehe überall niedrig; man müsse sich an das Bessere anlehnen überall, um sich zu rechtfertigen. – Abbrechend begann der trinkende Herzog, der sich ganz beruhigt hatte, auch die verlegene Isabella zum Tanzen hinausschickte, von Bernhard von Weimar zu sprechen, der nach dem dänischen Krieg beim Kaiser wieder anklopfte, ein tapferer junger Fürst, und jetzt hinge er am Oxenstirn. Es sei leicht, von Verrat zu sprechen. Schlick möchte am Hof dafür sorgen, daß man Leute nicht zur Verzweiflung treibe durch starrsinniges Behaupten von Gehässigkeiten. – Was der Herr Bruder meine. – Das Aufflackern der religiösen Politik. Man müsse die Protestierenden anerkennen im Reich. – Er hätte davon gehört. – Man müsse nicht alte Dinge aufrühren. – Verbrechen verjähren nicht. – Damit komme man nicht vorwärts. Sie hätten einen kaiserlichen und keinen katholischen Krieg zu führen. Sollen die Jesuiten den Sack selber tragen, statt einen Esel treiben zu wollen. Und als Schlick nicht antwortete, rückte Wallenstein lippenbeißend von ihm ab: die Lügen der Federfuchser; ob Schweden nicht mehr vorhanden sei, Frankreich nicht abseits warte. – Schlick lächelte zum erstenmal: der Herr Bruder möge die Jesuiten wohl nicht recht. – Friedland kaute an seinem Schnurrbart. – Stumpf blickte der graue Mensch vor sich: jedenfalls werde, den Bernhard anlangend, ein Reichsfürst wissen, was Verrat sei.
Friedland schob, die Stöcke gegen die Tischkante fallen lassend, die Arme an seinem Säbel nach vorn: nun, auch er sei Reichsfürst. Er habe ehrlich und legitim die Gewalt vom Kaiser erhalten, vertrete, wie man ihm ja nachschreie, die Monarchie und habe in Regensburg verspürt, was die Reichsfürsten könnten. Am eigenen Leibe habe er ihre, ihre Kraft verspürt. Und so singe er mit aller Ehrerbietung auch dies Lied: es möchte ihm keiner zu nahe treten und seine Reichsfürstenschaft für nichts achten; es sei begründet: das Reich ist nichts ohne den Kaiser, aber auch nichts ohne die Fürsten. – Als Wallenstein nach langer Pause nichts zufügte, sagte Schlick, der Herzog habe in der Tat früher anders gesprochen; er wünsche ihm, daß er sein Herzogtum Mecklenburg bald von den Schweden erobere. – Dieses oder ein anderes werde ihm durch kaiserliche Gnade zufallen; er dränge auf den Frieden, nichts, nichts sei wichtiger. Sie wollten gemeinsam daran denken, dem lieben Frieden näher zu kommen.
Die Herzogin und ihre Schwester schlüpften, von Trzka geführt, heran, hatten noch Gesichtsmasken vor, kicherten von den Späßen im Saal. Der Herzog griff nach einem Stock, schrie im ersten Augenblick: »Fort mit euch!«
Finster saß er nach Schlicks Abgang neben Isabella: »Sie zahlen es mir heim. Feinde, Feinde, immer mehr Feinde. Und so soll ich zum Ende kommen.« Im Gefühl der Schwäche senkte er den Kopf, blinzelte: »Du hältst mich für böse, Isabella. Ich sehe es dir an. Ich habe Schlimmes in meinem Leben getan. Gott wird viel Gnade an mir üben müssen. Ich will meine Bosheit jetzt eine gute Zeit fahren lassen und den Frieden für die gequälte Welt befördern.«
Er ließ das Frühjahr anbrechen, den April vergehen, ohne sich aus Böhmen zu rühren. Es hieß, daß er seine Geldgeber und sich selbst bis zum Letzten erschöpfe. Man wußte, daß die Börsen erzählten, so könnten die Rüstungen nicht lange fortgehen; alles dränge auf den Ruin des Reiches; der Herzog werde versuchen, einen entscheidenden Schlag zu tun und dem Krieg eine entscheidende Wendung zu geben, weil er die Verhältnisse überblicke und weil besonders das Haus Habsburg vor dem nahen Bankrott stehe; er werde sich dann mit seiner gebietenden Macht als Reichsfürst und finanzielles Oberhaupt des Kontinents zurückziehen, so oder so. Dies war bekannt von ihm wie von seinen Freunden Michna und de Witte und den hinter ihnen stehenden mächtigen Geldhäusern, die gedachten, dem Krieg den Faden abzuschneiden durch Verweigerung der Kredite. Der Druck, den diese Finanzleute mit den befreundeten Börsen ausübten, sollte die Friedensneigung zum Durchbruch bringen; in ungeheurer Spannung sahen die Informierten den Dingen des Jahres entgegen; es hieß allgemein, die Würfel würden fallen. Und die Spannung wuchs um so mehr, als die Jesuitenpartei am Hofe ihren Einfluß täglich vermehrte, mit ihrem Drang, dem alleinseligmachenden Glauben zum Sieg zu verhelfen, und der Abneigung gegen Kompromisse. In Hamburg und London sagte man sich: es wird dem Herzog zu Friedland nichts nutzen, zu siegen, er wird sich mit dem kaiserlichen Hofe auseinandersetzen müssen – oder der Hof wird es mit ihm tun; das Jahr wird die Absetzung des Herzogs oder den Frieden bringen.
Einflußreiche Männer und Bürgerschaften großer Städte suchten sich der verhängnisvollen Entwicklung entgegenzuwerfen. Fromme katholische Männer Mitteldeutschlands, Bischöfe traten miteinander in Korrespondenz, faßten den verwegenen Plan, dem Jesuitentreiben am Hofe das Wasser abzugraben. Massenhaft Broschüren und Bilderbogen warfen sie unter das Volk, ließen sie an die Söldner verteilen, schickten sie den Regenten und herrschenden Körperschaften, Schriften, die Versöhnlichkeit atmeten, die Kriegsnot beklagten, mit glühenden Worten die Verantwortlichen beschworen, das Reich nicht das Letzte, den Satz des Kelches trinken zu lassen; das Verderben stünde vor der Tür; es sei die Stunde, wo Beelzebub sich zum Triumph anschicke. Die Bischöfe, die es wagten, nach Wien zu reisen und die Väter aufzusuchen, wurden von ihnen herzlich aufgenommen, darauf mit andeutenden Worten der Tölpelei, des Micheltums geziehen. Vor der überlegenen Dialektik der Väter wichen sie; ihre Wärme kam nicht auf neben dem sengenden Feuer der Fanatiker; manche der Reisenden wurden in ihrer eigenen Auffassung wankend. Die Jesuväter kannten nur dies Ziel: reiner Glauben; sie waren schrecklich in ihrer Folgerichtigkeit, man konnte sie nicht von der Erde wegleugnen, sie zogen betörend auf allen Wegen Menschen an sich, Christentum ihre Parole: wie konnte man sich vor ihnen retten. An vielen Orten vergruben sich die Kundigen: jammernd über Deutschland, auf dessen Boden diese furchtbare Entscheidung gesucht werden sollte, und heimlich das Land segnend, dessen Menschen in sich den Drang fühlten, diesen großen Kampf auszutragen.
Träge erhob sich im Mai der Herzog aus Prag, prunkhaft wie früher: vierzehn sechsspännige Galawagen, für ihn vierzig Hofkavaliere, hundertzwanzig neulivrierte Diener; Packwagen; zehn Trompeter vorauf mit silbervergoldeten Trompeten. Bei Königgrätz musterte er die Armada: sechzig Regimenter mit vierhundertfünfundachtzig Kompagnien. Dann schob sich alles unversehens ostwärts, nordostwärts; eine kleine Armee deckte das nordwestliche Böhmen.
Nach Schlesien schob sich die Armee, auf Glatz zu. Dort hielten Kaiserliche unter Matthias Gallas gegen eine feindliche Armee, der Kern Kursachsen, von Hans Arnim von Boitzenburg kommandiert, bei ihm der weißköpfige Böhmenführer Thurn, Oberst Duwall.
Stumm ruhte Friedland ihnen gegenüber. Laues Scharmützeln, Geplänkel.
Nach zehn Tagen unterschrieben Parlamentäre in Heidersdorf einen Waffenstillstand.
Die ungeheure Maschine stand still.
GELLENDES GEKREISCH, vielstimmig, in Wien.
Sie bogen sich wie Weiden zusammen, schnellten pfeifend hoch. Da stand er, stand, in Schlesien, ein Gigant an Kraft, zahllose Kompagnien, Massen von Artillerie Munition, bezahlt aus den Steuern der gepreßten Stände, rückte sich nicht, zuckte nicht, nicht einmal vor Schande über das, was geschah. Es war bewiesen: er wollte nicht, ging eigene Wege. Ein Hundsfott Verräter an allen Erbländern, an jedem Einzelnen, am Habsburger Hause, am Reich, am katholischen Glauben. Man mußte ihn strafen, zwingen. Mußte ihm die Armee wegnehmen. Es mußte ein neues Haupt über die Armee gesetzt werden. Der Friedländer, der Erzschelm, mußte weg.
Mit grenzenlosem Tosen erfüllten die Jesuväter die Ämter, liefen grade und ungrade Wege, die Ruhe war aus ihren Konventen entfernt. Niemand unter ihnen, der nicht blitzartig begriffen hätte, daß in Heidersdorf auch für ihn die Würfel geworfen wurden: der Friedland mußte ihnen jetzt oder später an den Leib. Es gab keinen Ausgleich zwischen ihm und ihnen. Wie er dastand, der Koloß, entlarvt, war er ihnen scheusäliger und bedrohlicher als Schweden und Sachsen und alle Protestierenden. Sprünge der Jesuiten in ihrer Aufregung: sie suchten sich des Mannes zu versichern, der dem Friedland die Beichte abnahm, aber es kam heraus, daß er keinen ständigen Beichtvater hatte. Boten durch ihre Freunde im schlesischen Lager dem Doktor Stroperus, Wallensteins Arzt, Geld, große geistliche Versprechungen, wenn er ihm die Sorgen der Kirche vorhielte und wie die heilige Kirche in Gefahr schwebe. Erreichten nichts, als daß sie den kleinen schon ängstlichen Arzt noch unsicherer vor dem Herzog machten und daß er beim Beginn mit dem geistlichen Sermon ein heftiges Gelächter seines Patienten auslöste.
Sie brandeten vor den Mann, den sie für den kompetentesten hielten, den Präsidenten des Kriegsrates, Collaltos Nachfolger, den plumpen Schlick. Der wie ein Stier gläubig fragend sie anblickte. Er stimmte ihnen bei, es kam kein Leben in ihn. Was er tun sollte; der Herzog werde Gründe angeben. – Er muß herbeigezogen werden, es muß jemand ins Lager. – Schmerzlich runzelte sich die Stirn des Mannes in breite Querfalten: ihn herbeiziehen; es konnte sein, daß er käme – mit der gesamten Armee; sie durchschauten die Verhältnisse nicht. – Sie drangen tiefer in ihn; er wies sie reglos an den Abt von Kremsmünster und Breuner, die Finanzkammer. Die sagten ihnen vieles. Und mit dieser Beute zogen sie knirschend raschelnd ab, planend, sich betäubend, aufstachelnd, begierig nicht nachzugeben, von neuem ausschwärmend, fielen über die Herren des zivilen Hofstaates. Die wollten sich nicht einreden lassen, daß sich der Herzog gegen Wien selbst wende, wichen von den Vätern, die ihnen folgten. An die Herren des Geheimen Rates wagten sich die Jesuiten nicht. Eisiges Schweigen um die Herren. Ein paar böse Worte warf Fürst Eggenberg hin; er werde sich von den Vätern nicht das Heft aus der Hand winden lassen.
Ein Schauern ging durch die kontinentalen Hauptstädte, als der Herzog unbeweglich der sächsischen Armee gegenüberlag. Der Herzog hatte den Kampf aufgenommen. Der letzte Akt des Stückes hatte begonnen.
IN GANZ loser Fühlung mit dem kaiserlichen Hofe hatte der Friedländer den Feinden einen förmlichen Friedensvorschlag zugehen lassen. Er werde verhandeln, hatte er nach Wien melden lassen, nicht was wie warum. Auf diese erschütternde Selbständigkeit war niemand vorbereitet. Im Kirchlein zu Heidersdorf Arnim begegnend, enthüllte Wallenstein: die Feindseligkeiten zwischen kursächsischem und kaiserlichem Heer sollen aufhören; beide werden vereint die Waffen gegen den richten, der sich unterfange, das Reich weiter zu stören und die Religionsfreiheit zu hemmen. Sie saßen mit Trzka auf der vordersten Kirchenbank nebeneinander; Arnim machte Notizen auf seiner Schreibtafel. »Der Herr Bruder sieht das Heer, das ich aus Prag mitgebracht habe, und das des Feldmarschalls Gallas. Er weiß, wie es Sachsen im vorigen Jahr ergangen ist. Ich kann ihn heute und morgen zerschlagen. Er kennt, da er mein Freund ist, meine Meinung; daß ich zum Frieden kommen will. Der Kaiser läßt sich von Pfaffen anführen.« Noch einmal: sich zusammenwerfen, rasch und ohne Lärm; jeden fesseln, der Friedensverhandlungen widerstrebe. Im Gespräch rührte Arnim mit keinem Wort an Friedlands Stellung zum Kaiser. »Ich habe keine Lust«, sagte der Herzog, mit steifem Kreuz am veilchenbestellten Marienaltar entlangschleichend, »nur einen Heller und einen Soldaten noch für fremde Interessen zu opfern. Sagt der Kurfürstlichen Durchlaucht in Sachsen und in Brandenburg: meine Vollmacht ist ausreichend groß, ich tue kein Unrecht; ich habe gewußt, was ich festsetzte, als ich mein Kommando übernahm.« Später wagte der Herzog einen Vergleich mit dem Bernhard von Weimar: »Seit ich Reichsfürst bin und vor dem Römischen Kaiser mich bedecke, bin ich selbstherrlich. Ich stehe dem Reich bei, nicht mehr und nicht weniger als meinen Absichten entspricht. Zwischen mir, Bernhard und dem Bayern, der dem König in Schweden Neutralität angeboten hat, ist kein Unterschied; Hundsfott, wer mir das bestreitet.« Auf diesen Punkt, erklärte Arnim, wolle er nicht eingehen.
Bei der Tafel an diesem Tage, zu der Arnim und der Oberst Duwall zugezogen waren, verfolgte Wallenstein noch zäh diesen Gedanken. Sowohl der schwedische Oberst wie Arnim hatten, soweit sie bei der schallenden Trompetenmusik verstehen konnten, den Eindruck, daß sich der Herzog festbiß in seiner Wut auf den kaiserlichen Hof. Während die anderen den Luxus des herzoglichen Tisches speisten, saß der Herzog selbst hinter gerösteten Semmeln, bröckelte daran, schluckte mit angewiderter Miene einen Brunnen, den man ihm eingoß. Er bohrte an dem schwachen Punkt der kaiserlichen Politik, den habsburgischen Hausmachtinteressen; das Reich sei verfehlt konstruiert, werde darum verfehlt regiert. Man solle offen sagen, ob man ihn mit dem Titel eines Reichsfürsten zum besten habe. Er werde wie ein Löwe um seine Rechte kämpfen. Wenn es sein sollte, schlüge er sich auf schwedische Seite. Der Oberst Duwall wurde beauftragt, den Herzog dem Bernhard von Weimar zu empfehlen: »Ein forscher Herr; ich bedaure, daß er nicht bei mir ist.« Die Obersten, die am Tische saßen, akklamierten dem Herzog lebhaft.
Arnim reiste nach Sachsen. Darauf lagen sich die Heere ruhig gegenüber, aber es war ein Beißen, Ringen, Niederdrükken. Sie verstärkten sich, bogen sich, warfen sich herum, verschoben sich. Eine unruhige Bewegung machte das sächsische Heer, schon riß sich Holk drohend los, mit seinen Reitern hinfahrend auf Sachsen. Als gäbe es keine Verhandlungen, begann er das Plündern und Morden. Diesmal brach die Pestilenz unter seinen Regimentern aus. Vor Adorf verendete Holk selber mit Tausenden seiner Leute. Der Herzog stöhnte eine Woche, der Tote war sein Liebling, er fluchte auf den Krieg. Heftiger drückte er auf das sächsische Heer.
Breslau war nicht weit; da sollten gute Astrologen hausen. Zenno wurde aus Gitschin berufen; welche Chancen man für bestimmte Eventualitäten im Augenblick oder bald danach hätte; er sollte sich mit den Breslauern in Verbindung setzen. Eine Woche war Zeit für Berechnungen.
Zenno kam ins Lager zurück mit einem der Sterndeuter, der unter dem Merkur geboren schien: ziegenäugig, schwärzlich, schlank. Mit dünner Stimme berichtete der: der unheildrohende Saturn sei eben im Eintritt in das Haus der Zwillinge begriffen; die Situation war für Maßnahmen nicht schlecht, da der Stern zum Horoskop in keinem wirksamen Aspekt stand; sie sei auch nicht einladend.
Im letzten Augenblick schlug der Herzog, durch das wochenlange Warten auf Arnim aufs höchste gereizt, eine Verbindung zu Oxenstirn, den er um einen Unterhändler bat. Es traf ein Generalwachtmeister ein, mit dem er allerhand vor dem offenen Feldlager besprach; er wollte die Sachsen in die Zange nehmen. Um die Vertraulichkeit der Verhandlungen zu erhöhen, fuhr der Herzog mit dem Unterhändler, der von Haus ein böhmischer Emigrant war, nach Gitschin. Keine Ruhe werde im Reich herrschen, solange Habsburg regiere, erklärte der schwedische Sendling. Der Herzog warnte vor dem Wankelmut Sachsens; er werde Sachsen Geld schwitzen lassen, wenn es sich nicht dem friedlichen Ansinnen füge. Zurück mit dem Unterhändler nach Nimptsch kehrend, ließ er sich von ihm um den Mund gehen mit Versprechungen der Krone Böhmens.
Der Sommer ging schon um. Da schleppte sich müde und langsam Arnim mit seinem Trompeter an. Der Herzog saß im Nimptscher Schlosse. Arnim bat ihn viel um Entschuldigung, klagte über den lauen Mut der beiden Höfe. Friedland gab grollend und böse lachend zurück, also man traue ihm nicht, er solle erst Beweise bringen. Er dem Sachsen. Ob er das nötig hätte. Wer ihn gezwungen hätte, hier in Schlesien Monat um Monat stillzuhalten. Sei ihnen das nicht als Beweis erschienen. Er forschte Arnim stärker aus. Er bekam es fertig, den Sachsen den Tod seines Holk in die Schuhe zu schieben. Während der Unterhaltung kam der Herzog erst allmählich dazu, die Tragweite der Antwort zu überblicken. Die Evangelischen hofften noch auf einen Sieg Schwedens. Die Evangelischen waren wie die Jesuiten; sie hatten es mit ihrem Glauben zu tun. Blödsinnige Kinder; die Eselsköpfe. Die Evangelischen waren noch nicht reif, sie waren zu stolz. Plötzlich faßte er den Feldmarschall am Wehrgehenk, stierte ihn an: so wollten sie zusammen ihr Geschäft abmachen. Es sollte nicht gegen den Kaiser gehen, dem wolle man Zeit geben, sich zu besinnen; aber gegen die Schweden. Gleichviel gegen wen von ihnen: Duwall, Thurn oder wen. Arnim konnte sich knapp aus dem Schloß retten. Friedland verlangte tollwütig Antwort in vierundzwanzig Stunden. Und hinterher ein friedländisches Ultimatum durch einen Oberst: »Die Schweden werden in drei Tagen angegriffen, oder vom Heer des Herrn Bruders bleibt nicht ein Mann neben dem andern.« Dicht bei Strehlen auf dem Wege zu seinem Lager war Arnim in Gefahr, von Kroaten gefangengenommen zu werden; der Herzog hatte sie hinter ihm hergeschickt. Der Küster in Strehlen, auf seinem Dache mit dem Ausnehmen von Taubennestern beschäftigt, sah den Schwarm, gab durch Steinwürfe vom Turm herab dem Feldmarschall und seinem Trompeter Winke; sie entkamen.
Das friedländische Heer war im Augenblick losgebrochen. Graf Gallas auf Sachsen, Arnim hinterdrein. Wallenstein schob sich nach, bei Goldberg warf er die Kroaten unter Isolani nach Sachsen, schwenkte nach Osten, packte, auf die Oder zugehend, das Schwedenlager des Grafen Thurn an, siebzig Kanonen auf das Lager richtend; sechstausend Mann ergaben sich, traten in seinen Dienst, Thurn und Duwall hatte er in Händen. Thurn gab er frei, Duwall ließ er entkommen. Glogau Crossen fielen. Zurück von der Oder auf die Lausitz hin; Görlitz geplündert, Bautzen. Nach Brandenburg das Heer, Frankfurt ohne Schwertstreich besetzt, Landsberg, bis Pommern Kroaten. Wallenstein stand vor Dresden.
Bernhard von Weimar mit den Schweden lag an seiner Flanke. Vorbei, in Friedlands Rücken brauste er.
Und dann die Schweden wie von einer abschüssigen Ebene gegen die Donau vorrollend, Regensburg angegriffen, erobert, Bayern bedroht, die Erblande in Gefahr.
Verblüfftes Stocken, Schnüffeln des Herzogs. Er ließ Sachsen los. In zehn Sturmtagen marschierte er von Leitmeritz über Rakonitz Pilsen auf Furth. Zuletzt war er langsamer geworden, in Furth stand er, mürrisch, sich besinnend. Er griff den Schweden nicht an.
Wortlos machte er kehrt. Das Jahr war vorgerückt. Nach Böhmen ging er in Winterquartiere.
KEINER WUSSTE, was das war.
Sechseinhalb Regimenter zu Fuß, dreizehn zu Pferde hatte der Bayer, dazu im letzten Augenblick Truppen des Aldringen, die aber auf Befehl des Generalissimus nichts riskieren durften. Die Schweden hingegen, wieder und wieder die Schweden, wie Schmeißfliegen an faulem Fleisch an seinem unglücklichen Land. Maximilian schrie nach Wallenstein. Es entspannen sich beispiellose Szenen in Braunau, wohin er wieder floh, der Kurfürst beschuldigte seine Räte und Geschäftsträger des Verrats, der Faulheit. Er hätte durch sie jeden Einfluß auf die Wiener Hofkreise verloren. Wie hätte er dagestanden vor einigen Jahren, Wien hätte gezittert vor München, die Mißlaune des bayrischen Gesandten wäre ein politisches Ereignis gewesen, Verträge hätte er mit dem Kaiser gemacht, die ihm, ihm die Oberhand gewährten. Als Böhmen abfiel, die Dänen sich zeigten, immer hieß es: die Liga, Bayern. Jetzt Flennen Kriechen Speichellecken.
Gerüchte über Revolten bei den bayrischen Landfahnen traten auf, die sich bestätigten; Hinrichtungen in der Zahl von sechshundert setzte der Kurfürst an. Eines Freitagmittags meldete ihm der verzagte schneeweiße Marchese Pallavicino, sein Kämmerer, die dringliche Audienzbitte einiger Herren vom Landschaftshaus. Es erschienen vom großen Ausschuß Valentin von Selbitz, Hugo Beer, Rieter von Kornburg, Hans Hundt. Sie könnten nicht durchhalten, furchtbares Unglück breche über sie her, sie müßten allesamt verderben. Er ließ sie nicht weiterreden, fragte, wer sie seien. Und rief dann, sich vom Sessel erhebend, gegen die Tür: man solle den Abt von Tegernsee, von Metten, den Probst von Vilshofen, die Dekane hereinlassen. Die Herren erst stumm, dann wispernd einige, während sich in Maximilians Gesicht nichts verzog: es sei niemand mehr da. Aufstampfend der Kurfürst in Ungeduld und Erregung: man möchte nachsehen, auf den Gängen, auf dem Hof. Ging, während sie zurücktraten, rasch hinaus; höflich zu den Verwunderten: sie möchten sich gedulden, er würde gleich wiederkommen. Nach knapp einer Viertelstunde stand er vor dem Sessel, blickte unter die Herren, zischte sehr leise: »Nein, nein.« Seine Augen halb geschlossen, der Mund verzerrt. Wer sie seien. – Vertreter der Vierundsechzig. »Ihr seid der Landschaftsausschuß und Ihr da und Ihr da? Wer ist die Landschaft von Euch? Wer hat Euch zusammenberufen?« Er hielt ihr Audienzgesuch in den zitternden nassen Händen: »Ihr seid nicht die Landschaft. Ihr seid der Herr Hundt und der Herr Kornburg, Selbitz. Ihr habt die Form zu wahren. Ihr habt nicht meine Verordnungen mit Füßen zu treten. Ich bin es, der die Landschaft beruft. Meine Berufung, wo habt Ihr sie, Herr Hundt, Herr Selbitz, Ihr.« Er rief sie in steigender Wut, wie sie wachsbleich vor ihm zurückwichen, bei Namen. »Es ist nichts da«, schrie er, »Kämmerer, Signor Pallavicino, die Herren haben Euch belogen. Das soll die Landschaft sein, es sind Lügner. Jagt sie fort, sperrt sie ein.« Pallavicino öffnete mit kläglichem Lächeln die Tür, Leibwachen mit Musketen rissen die Herren, die keinen Ton von sich gaben, auf den Flur.
Er drohte offen nach Wien, jetzt nicht mit den Franzosen, sondern daß ihm die Verzweiflung gebiete, alles auf eine Karte zu setzen. Entscheide man sich dort nicht rasch, setze er seine ganze Armee in Bewegung – gegen Wien. Mit den Schweden.
Dazwischen gellten seine Briefe mit dem trostlosen Geheul; er sei im Stich gelassen von dem Kaiser, werde verraten.
Da nahm Küttner, zitternd im Gedanken an das Gesicht Maximilians, unfähig, der Aufforderung nach Braunau zu folgen, dem hilflosen Leuker die Führung aus der Hand. Neben Küttner ging der schöne aufgeblühte verjüngte Slawata, die Augen wenig aufgeschlagen, den Arm des Jünglings umschlingend. Die blonden Haare schaukelten dem Bayern in den Nakken; sie standen im Wintergarten von Slawatas Quartier. Küttner, mit dem Degen im Kies spielend, dachte an den Zwerg Maximilians und seinen Zweikampf mit dem Storch: »Ich soll mich ekeln«, sagte Maximilian. Slawata setzte sich auf eine Bank:
»Ihr werdet nichts schaffen mit Euren Petitionen Querelen und Deputationen beim Römischen Kaiser und seinen Räten. Bin ich doch selber ein Rat, will Euer besonderer Bayrischer, Küttnerscher sein. Der Kaiser ist weit. Ich weiß nicht wie weit. Wir hatten uns geeint, daß Karthago zerstört werden muß. Unsere Ratssitzung kann beginnen, oder seid Ihr zerstreut?« Von der Seite her über die lange weiße Nase kamen große leicht sentimentale Blicke zu ihm: »Die Sitzung kann beginnen. Ich dachte an meinen gnädigen Herrn, wie schuldlos er dieses Unglück trägt.« »Da, seht Ihr, Karthago nicht im Augenblick zerstört werden kann, ist es gut, Karthago zu schwächen und uns zu stärken. Laßt nur Euren Degen; denkt nicht an München und doch mehr an München; gehen wir. Habt Ihr Durst? Uns kommen die spanischen Wünsche genehm. Wir haben seit langem geplant, uns der Spanier zu bedienen, wenn sie einmal von Mailand heraufkommen wollen. Ihr werdet mitmachen müssen.« »Was könnten wir tun?« »Mitmachen; ich sagte schon. Denkt an München. Träumt nicht davon, Küttner. Habt Ihr mir wirklich zugehört? Ich sagte: Spanier kommen von Mailand herauf, oder sie wollen, sie möchten gern. Sie wollen nach den Niederlanden. Sie haben nichts Böses gegen Bayern. Der Herzog zu Friedland will sie aber nicht dulden, er will sie nicht auf dem Kriegsschauplatz, auch nicht für den Durchzug; sie sollen sich eben ihm unterstellen. Ihr seht, Küttner, Kompetenzschwierigkeiten, Eifersucht, Ehrgeiz: das alte Lied.« Küttner lächelte: »Vielleicht fürchtet Friedland die Spanier für sein Spiel, von diesem Rivalitätsstreit wird mein Kurfürst nicht satt.« »Nun also, setzt Euch dahinter, daß ihm der Braten mundet. Er muß erst angerichtet werden. Wenn man Karthago zerstören will, braucht man nichts als Feuer und Holzscheite. Diese Speise erfordert Geschicklichkeit, Talente. Nicht zu große. Sagt etwa: Ihr schert Euch nicht um Habsburg. Ihr hättet vor eigenen Schmerzen keine Neigung zur Rücksichtnahme auf Wien. Ich hab’ doch übrigens gehört, die Briefe Eures Herrn seien auf diesen Ton gestimmt. Auf einen schlimmen Ton; Fürst Eggenberg klagte; er sagte, der Bayer ginge schon fast zu weit. Nun wollen wir auf keinen Fall den Spanier hier haben, wir dürfen ihn nicht wollen; es ist uns gleich, es muß uns als kaiserlichen Räten pflichtgemäß gleich sein, ob ein Infant oder der Mailänder Gouverneur kommandiert. Wir sind nun einmal an unsern Herzog zu Friedland gebunden. Wir dürfen ihm nicht die Laune verderben.« »Es ist ein Elend. Warum greift Ihr nicht durch.« »Seht Ihr. Ich bin so schlau: ich bin kaiserlicher Rat; das sollt Ihr für mich tun, das Durchgreifen. Mir sind die Hände gebunden.« »Ihr habt ihn doch angestellt. Ich bitte Euch, Graf Slawata.« »Wir haben ihn angestellt, er hat uns angestellt; wir kommen damit nicht weiter. Ihr paßt jetzt übrigens lobenswert auf, mein zerstreuter Kavalier.«
Küttner stellte sich dem Grafen Slawata gegenüber auf, stützte sich mit beiden Händen auf den Degen, seine rotseidenen Ärmel fielen über den Degenknauf, er lachte offen dem Böhmen ins Gesicht: »Meinen Segen zu Eurem Plan. Wir sollen die Spanier rufen. Ihr werdet dazu schweigen. Die werden kommen, und wir werden Krieg führen nach hinten mit den Schweden, nach vorn mit Wallenstein, nach links mit den Sachsen. Habt Ihr guten Weizen auf Eurer Mühle.« »Einem jungen Menschen steht Lachen immer gut. Wer Euch lachen hört, wird nie Euer Feind sein.«
Er führte den feingesichtigen Mann vor eine junge Zypresse, die hinter einer Marmorbank aus einem riesigen Kübel im schwarzen Erdboden wuchs: »Kennt Ihr meine junge Zypresse. Ich habe sie so lieb wie ein Hündchen. Was glaubt Ihr, wie sie gepflegt werden muß. Wir setzen uns hier. Wenn man einen jungen Samen pflanzt, wird man ihn nicht bald verlassen. Wenn man einen jungen Gedanken pflegt, wird man ihn nicht bald hinfallen lassen. Der Weizen auf meiner Mühle ist nicht schlecht, wollt ihn mir herzhaft kosten.« »Graf Slawata, Ihr meint es gut mit mir. Ihr seid uns Bayern hold, der Kurfürst sprach gut von Euch, Leuker lobt Euch, sooft ich ihn sehe. Darauf können wir aber nicht beißen. Der Herzog ist uns jetzt wenigstens der Form nach freund. So bekommen wir ihn zum Feind und sind dann wirklich verloren. Ihr, Ihr und Ihr seid unsere Hilfe. Er ist Euer General. Wir sind Eure Verbündeten.« »So kostet doch erst meinen Weizen. Ihr sollt den Spanier verlangen. Ihr sollt es tun, wenn es sein muß, über unseren Kopf weg. Was denkt Ihr denn, junger Kavalier, was wir tun? Ihr meintet, schweigen. Das ist schon möglich. Der Herzog zu Friedland hielt das immer für besser, den Menschen auf die Faust statt auf das Maul zu sehen.« »Ihr würdet also –« »Den Mund halten. Zum wenigsten. Gewiß.«
Sie blickten sich lange still an; ihre Blicke wiegten sich. »Denkt an meine Zypresse«, fing der Graf an. »Wenn man einen Gedanken pflanzt, läßt man ihn nicht bald vergehen. Ihr seid in Not. Wie Ihr in Not seid, wißt Ihr selbst. Ihr könnt tun, was Euch einfällt. Ich weiß, Eggenberg und Trautmannsdorf denken nicht anders. Keiner darf das Euch jetzt verwehren. Der Spanier wartet auf eine deutsche Einladung.« »Wißt Ihr das sicher?« Slawata lächelte fein: »Ich habe mich orientiert. Ihr könnt jeden Gebrauch von Eurer Entschlußfreiheit machen. Wir werden Euch jedenfalls nicht hindern.«
Ein breitkrempiger brauner Samthut saß auf Küttners langsträhnigem Blondhaar weit in der Stirn. Vom linken Krempenrand hing ein goldener Stern mit einer Kugel, gegen die die angehobene linke Hand rhythmisch mit den Fingerkuppen schlug. Er träumte wieder; mit schmerzlicher Weite des seitwärts gedrehten Blicks traf er den dunklen Böhmen: »Die Spanier sind fromme Katholiken; sie werden meinen gnädigen Herrn verstehen, wenn er sie um Hilfe bittet.« »Denkt, in welcher Lage Ihr seid. Wißt«, er näherte sich flüsternd dem Kopf des andern, »wir warten auf Euch.« »Wieder? Wieder auf Bayern?« Das Gesicht des Jungen leuchtete auf. »Seht Ihr«, flüsterte Slawata.
In seinem roten Wams mit den losen Purpurhosen, die weiße Spitzen trugen, beugte der schlanke Bayer vor ihm ein Knie: »Wenn Ihr meinem gnädigen Herrn beistehen wollt.« »Wir werden Euch nicht verlassen.«
DER BERICHT des Herzogs Feria, Mailänder Gouverneurs der Spanier, gelangte gleichzeitig an den Hofkriegsratspräsidenten, den Grafen Schlick, den Fürsten Eggenberg und den Botschafter Oñate. Der Mailänder meldete: ihm seien durch besondere Bevollmächtigte des Bundesobersten der Liga Nachrichten zugekommen, die erkennen ließen, daß dieser um die gemeinsame Sache so hochverdiente Fürst in die äußerste Kriegsnot geraten sei. Angewiesen auf eine Truppe von nur wenig Regimentern, unterstützt von nicht kampfbereiten kaiserlichen Regimentern unter der Führung Seiner Liebden, des Generalwachtmeisters Aldringen, sehe sich die Liga der gesamten Heeresmacht der Schweden gegenüber. Und dies zu einer Zeit, wo es im bayrischen Lande gäre, wo die rheinischen Hilfsquellen der Liga durch feindliche Besetzung verstopft seien und der kaiserliche Generalfeldhauptmann Friedland sich mit seiner gesamten Armee in Böhmen eingeschlossen habe. Bei Erwägung dieser Sachlage und seiner eigenen zugekommenen Nachrichten, die ihm vom deutschen Kriegsschauplatz geworden seien, käme er zu dem Schluß, daß es in naher Zeit sowohl um die kaiserliche wie die gemeinsame Sache bänglich bestellt sei. Weswegen mit der Herrüstung des geeigneten Widerstandes nicht gar so lange gefackelt werden dürfe. Er, der Herzog Feria, sei nun, wie dort bewußt, gemäß erteiltem Befehl der Spanischen Majestät längst im Begriff und im Zuge, in das Römische Reich aufzubrechen, um Truppenkörper nach den Niederlanden zu überführen, wo der Infantin Isabella Hoheit auf den Tod daniederliege und tägliches Ableben zu gewärtigen sei. Begehre er selbst und schlage vor, der dortigen Not Abhilfe zu tun mit seinen spanischen und italienischen Regimentern. Er beschrieb dann noch den Weg, den er nunmehr sogleich einzuschlagen gedachte, endete nicht, ohne vorher auf die eingetretenen und voraussichtlichen Schwierigkeiten der Befehlsgewalt hinzuweisen, die seiner Tätigkeit Eintrag tun könnten und die behoben werden müßten.
»Ich habe es meinem gnädigen Herrn geraten«, jubelte Küttner, die beiden Hände Slawatas pressend, »Doktor Leuker war nur zaghaft dabei. Ihr laßt mich nicht im Stich.« »Ihr werdet alles von mir erfahren, was Ihr braucht, meine junge Zypresse.«
In den dunklen Korridoren der Burg drängte sich der Graf Slawata mit den Vätern der Jesugesellschaft, die den Grafen Schlick täglich heimsuchten, ihren Affiliierten: er solle entschlossen den Friedländer anfassen. Den Grafen Slawata widerten die Jesuiten an; es war ihm zuwider, daß sie sich an Wallenstein, seinem Wallenstein vergriffen; er ließ sich mit ihnen in keine Gespräche ein. Sie sahen ihn süß vertraut an; er ekelte sich, dachte oft die Angelegenheit fallen zu lassen, aber immer wieder wurde er von einer schwebenden Bewegung in sich veranlaßt nachzugeben. Er hatte das Gefühl, diese Sache zu Ende bringen zu müssen, dazu vorbestimmt zu sein; er suchte sich ihr zu entziehen, sie fiel ihn wieder an, es war ein Spiel zwischen ihm und der Sache, er war daran verloren. Lächelnd ging er zum Grafen Schlick, dachte, wie sonderbar einfach es sei, ein Werkzeug der Fügung zu sein, und daß er eigentlich nichts mit Wallenstein zu tun habe. Schlick, der Papist, schwer und träge in seinem Stuhl, erklärte, er könne das Vorgehen Spaniens nicht verhindern. Der graue Mann schien es dann für einen wertvollen eigenen Einfall zu halten, daß man die Situation gegen den Herzog ausnützen könne.
Die einsetzende geheime Ratsdebatte legte die Schwierigkeit der Situation und die Zerrissenheit der Auffassungen bloß. Questenberg wollte empört über Bayern fallen. »Da Bayern offenbar hinterrücks den Spanier gerufen hat, soll man gegen Bayern verfahren. Es ist ein unerhörtes Vorgehen, beleidigend gegen das Kaiserhaus im äußersten. Es grenzt an Verrat. Freilich ist man es von Bayern gewohnt.« Was er also gegen Bayern tun wolle. »Wir haben einen Generalfeldhauptmann; der Spanier hat sich ihm sogleich zu unterstellen und seine Befehle entgegenzunehmen. Dies müssen wir anordnen.« »Ja, wir können es anordnen«, lächelte Trautmannsdorf. Schlick: »Möglicherweise müssen wir es sogar anordnen, denn es steht in seinem Vertrag, im Vertrag des Herzogs.« Eggenberg: »So wäre ja alles in bester Ordnung. Wir sind uns einig, daß angeordnet werden muß, der Mailänder Gouverneur mit seiner Armee unterstellt sich dem Befehl Friedlands.« Questenberg unterstrich das Verlangen durch Wiederholung.
Schlick nickte gleichmütig. Slawata und Trautmannsdorf, die beiden, die gern miteinander plauderten, tauschten Blicke, lächelten. Plötzlich, wie auf Signal, sahen sie voneinander weg. Gähnend meinte Schlick, er werde das Schreiben, welches ihren Standpunkt charakterisiere, gleich verfassen; bliebe nur die Frage, wer sich zur Überbringung des Briefes und mündlichen Diskussion mit Friedland bereit erkläre. Alle fixierten Questenberg.
Plötzlich war der durch die Einhelligkeit unsicher geworden; er blickte zur Erde, suchte nach Worten; er wolle natürlich gern den Auftrag übernehmen; wozu aber übrigens – das schloß er nach überlegender Pause an – wozu eine mündliche Diskussion da noch benötigt werde, der Brief werde doch wohl rund und nett den hier vorgetragenen Standpunkt wiedergeben; ein Kurier könne dasselbe tun. Trautmannsdorf vorsichtig sanft vor Questenberg: nicht doch, ein Kurier, das sei nicht besser als ein Bote, ein Mensch, der nichts weiß, nichts hört, nichts spricht; und der Herzog wird fragen; er zweifle nicht, daß Friedland wird fragen wollen. – Was denn. – Etwa, wie sich der Hof dazu stelle. – Nun, das sei doch einfach; der Brief ist darin doch von genügender Deutlichkeit; der Hof verlangt völlige Unterstellung des Mailänders unter Friedland. – Eifrig bestätigte das Trautmannsdorf; plötzlich fing er wieder einen Blick Slawatas auf, er fragte: »Warum lächelt Ihr mich an, Slawata?« »Weil Ihr so eifrig seid. Ich sehe, Ihr seid selbst noch immer so bequem wie früher.« Eggenberg und Schlick hörten schweigend die Debatte an.
Da fühlte sich der etwas verwirrte, sogar bestürzte Questenberg genötigt, sich an jeden einzelnen zu wenden und ihn zu fragen, ob es denn nun so wäre, wie man besprochen habe, und wo denn da eine Schwierigkeit zu erwarten sei.
Wie dieses Wort fiel, »Schwierigkeit«, und wie Questenberg so fragte, wurde es ernst und streng in der Kammer. Fest erklärte Schlick: »In dieser Hinsicht habt Ihr den Friedländer darüber aufzuklären, daß er unsere einzige Stütze sei und daß wir keine Machtmittel besitzen, den Mailänder zu zwingen, falls der etwa, wie es scheint, seiner Wege gehen will.« »Es versteht sich auch von selbst«, fuhr Eggenberg feindselig fort, »daß wir ohnmächtig den Bestrebungen Bayerns gegenüberstehen, sich ausländische Hilfe zu verschaffen. Es liegt bei Bayern ebenso wie bei den rheinischen Städten: wir können ihnen nicht helfen, wir dürfen ihnen darum auch nicht einmal böse sein, wenn sie sich selbst nach Hilfe umsehen. Immerhin könnt Ihr in diesem Zusammenhang dem Friedland bemerken, daß die Schuld an dem Auftreten Bayerns auf ihn selbst falle. Denn er war auch gedacht als Schutz für Bayern; er ist der Befehlshaber eines Reichsheeres.« Fade lächelte Questenberg: »Ich glaube, ich werde das nicht so sagen.« »So sagt es anders. Aber irgendwann wird einmal unser Standpunkt hervortreten müssen, Ihr werdet da nicht herumkommen. Was tut denn jetzt Friedland, was hat er im Sommer getan, wofür sind unsere eigenen Steuerquellen in Anspruch genommen worden? Die Herren wissen alle, daß ich kein Fürsprecher bayrischer Politik bin. Nicht von mir hat Maximilian den Kurhut erhalten; aber jetzt haben wir mehr als zurückgezahlt an ihn. Wir fangen alle an, uns des Kurfürsten Maximilian zu erbarmen.« »Ihr werdet mir noch einen mitgeben müssen; es wird sich leichter verhandeln lassen.« Eggenberg, herumspazierend, überhörte ihn; er redete laut und scharf: »Wir reden gewiß davon, was uns eigentlich selbst mit alldem von Friedland geschehen ist. Wie uns dies ins Herz schneiden muß, daß ungefragt, ungebeten eine spanische Truppenmacht sich in Bewegung setzt und ins Reich eindringt. So gräßlich liegt das Reich und Habsburg danieder. Wir sind machtlos gegen Friedland, wir wissen es selbst. Er soll es aber nicht bis zum Äußersten treiben. So machtlos sind wir hier nicht, daß wir uns widerstandslos ergeben.« Dröhnend fiel Schlick ein: »Ich billige ganz, was Ihr sagt, Fürst Eggenberg. Ich werde den Herrn von Questenberg in das Lager Friedlands begleiten. Wir sind nicht so machtlos, daß wir schweigen müssen.«
Trautmannsdorf bat, die Augen leuchtend, um die Erlaubnis, reden zu dürfen: was man mit alledem denn vorhabe, worauf es hinausginge. Schlick übernahm die Antwort: »Wir haben es über, zu schweigen. Wir haben es nicht nötig, zu schweigen.« »Ihr habt es nicht nötig?« »Nein, Euer Liebden. Wenn es sein muß, haben wir Bayern und Spanien mit uns. Wir werden uns auch des Friedlands erwehren können, nachdem wir mit Böhmen und anderen fertig geworden sind.«
Zurückweichend pfiff der verwachsene Graf: »Also Kampf.« »Nein, Entscheidung. Kampf haben wir seit zwei Jahren.« Betroffen Trautmannsdorf, sich einen Sitzplatz suchend: »Verzeiht, wenn ich Euch in Anspruch nehme. Ihr redet von einem Mann, den ich verehren gelernt habe. So rasch lerne ich nicht um. So rasch hab’ ich mir das alles nicht gedacht. Ihr zeigt mir gütigst die Notwendigkeit, diese sogenannte Entscheidung zu suchen.« Schwer über sich hängend Schlick, aus großen schlaffen Augensäcken um sich blickend, den Stuhl erdrükkend: »Ich sag’ Euch gern meine Meinung. Ich halte Friedland für einen Verräter. Er ist nicht besser als Bernhard von Weimar, aber schlauer.« Trautmannsdorf lachte, er saß, ihm war schwindlig: »Das sagen die Jesuväter auch. Sie predigen es schon lange. Was ist damit gesagt.« Eggenberg leise, unterbrechend: »Ich halte ihn nicht für einen Verräter. Er ist uns aber gefährlich. Er muß sich entscheiden.« »Tut das nicht«, bat Trautmannsdorf. »Was?« fragte fast zärtlich Eggenberg neben ihm. »Schickt jedenfalls nur Questenberg allein. Graf Schlick bleibt besser hier. Was soll bei alledem herauskommen.« Schlick: »Wir werden Klarheit finden.« »Und«, bettelte Trautmannsdorf, »Ihr werdet durch Euer Auftreten Klarheit in ganz falscher Richtung schaffen. Klarheit, die ohne Euch gar nicht so geworden wäre.«
Sie kamen dann, da Schlick nicht nachgab, überein, Schlick dem Questenberg beizugeben und sie beide zu verpflichten, nicht über eine Aufklärung hinauszugehen. Zuletzt entschied man sich noch, an den Herzog schriftlich mitzugeben, was etwa erforderlich sei, und mit der Reise in das Pilsener Lager noch etwas, jedoch nicht gar so lange zu zögern. Man wollte erst warten, ob es ernst war mit dem Anmarsch der Spanier.
Schwebend ging Slawata hinaus, an Trautmannsdorf hängend. »Was meint Ihr«, fragte der Böhme, »Ihr weint ja fast. Der Herzog lebt noch. Er ist noch nicht tot.« »Sie werden ihn umbringen. Sie wollen ihn beseitigen. Graf Schlick ist kein Mensch. Er ist ein Untier. Es wäre besser, Friedland regierte hier, ganz, schrankenlos, und nichts bewegte sich gegen ihn.« »Meint Ihr«, seufzte Slawata und hing dem Gedanken träumerisch nach, »warum wollen wir so Unmögliches bedenken. Es schickt sich in der Tat alles gegen Friedland. Es hat etwas Elementares an sich.« »Slawata, Ihr seid mein Freund«, Trautmannsdorf wandte sich plötzlich an den andern, »wollen wir uns zusammentun. Wir wollen dem Herzog helfen. Ich kann es nicht mit ansehen. Seit Monaten geht es so gegen ihn, Schlick hat alles in der Hand, Eggenberg sagt nicht nein, der Weg ist fast schon vorgezeichnet.« Ein glückliches Gefühl ging durch Slawata; es war so schön, was der andere vorschlug; kurios war es, daß grade ihm dieser Antrag wurde, aber warum sollte er nicht einmal dem Herzog helfen, helfen, ihn retten. In ihm winselte, zwitscherte es: ich will mit dem Grafen dem Herzog helfen, wir spielen zusammen mit ihm, ich muß ihn doch beseitigen.
Und erst in diesem Augenblick war ihm flammend klar und durchrieselte ihn mit Wonne und Seligkeit, daß er wahrhaftig vorhatte, den Herzog zu töten. Riesenhoch lohte es durch ihn: ich will ihn töten, er labte sich an dem Feuer, wuchs stolz daran hoch.
Voll Dank drückte er dem kleinen Grafen den Arm; ihm sei nichts Lieberes begegnet den Tag als dieses Wort des Grafen Trautmannsdorf, man solle den Herzog nicht dem Grafen Schlick überlassen; nein, sie wollten sich selbst an ihn heranmachen. Trautmannsdorf starrte ihn an; Slawata in seiner halben Berauschtheit merkte es erst spät: »Was stiert Ihr so.« »Wir wollen uns selbst an ihn heranmachen.« Slawata sah ihn an; das hatte sein Mund gesagt, er erinnerte sich nicht; was tat sein Mund. Launisch, gefaßt lachte er: »So will ich meinen Mund schlagen, der sich auf eigene Füße stellen will. Was sagte er. Er ist ein Kalb. Ich möchte mich an den Herzog heranmachen, ihm die Gefahren schildern, ihn führen.« »Das will ich doch auch so gerne. Wollen wir ihm helfen.«
Und Slawata sog den aufrichtigen Schmerz und die Sorge des anderen wie einen starken leidenschaftlichen Geruch ein.
Wie er vor seinem Schreibkabinett saß, schrieb er. Er teilte dem Friedland die Machenschaften am Hofe mit, daß Schlick mit den Jesuiten den Ton angebe, Eggenberg aus Angst mitmache; daß viele gegen ihn seien; bald werde Schlick und Questenberg ihn zur Rede stellen; wichtige Personen am Hofe hätten ihn im Verdacht des Verrats, wichtige entscheidende Personen. Er überlegte sich nicht einmal, als er dies schrieb, wie er seine Teilnahme für den Herzog begründen sollte und was der Herzog dazu sagen würde.
DER KAISER hielt sich in der Burg auf. Er beobachtete mit argwöhnischen Mienen, was um ihn vorging. Ein sonderbares Vibrieren hatte noch in Wolkersdorf in ihm begonnen. Es trieb ihn, seine Umgebung zu beschnüffeln. Man hatte ihm von den Befürchtungen um Friedland berichtet: das waren dieselben Worte, die sie zu ihm gesprochen hatten, ehe man ihm das Generalat übertrug. Der Schwede war hin, jetzt mußte man auf der Hut vor dem General sein. Sie sagten es.
Er gab die Jagden auf. Eine Beängstigung Befremdung wuchs in ihm. Er verschwieg sich, daß er vor den Heiligenbildern und Kruzifixen nicht stillstehen konnte, daß er gepeinigt davon fortgetrieben wurde. Er wollte fort aus Wolkersdorf. Er war eines Morgens fast nach Wien geflohen. Er verlangte bald den, bald den Herrn zu sich zum Vortrag. Sein Geheimsekretär wurde von ihm herumgeschickt, dann befragte er ihn ruhelos. Etwas Ängstliches hielt ihn neuerlich in der Burg fest. Mit Widerwillen Widerstreben verharrte er. Die Kaiserin, die fast ein Witwendasein in tiefer Religiosität abgeschlossen in ihrem Flügel führte, kam näher an ihn. Sie tauschten Worte über einige Ordensdinge. Sie war beglückt, daß er nun selbst Schmerz über diesen Wallenstein empfand und damit rang; auch zu ihr waren diese Dinge gekommen durch ihren Beichtvater; auf den Kaiser zu wirken hatte sie aber abgelehnt. In ihr zuckte es wieder, sich ganz neben ihn zu stellen; die Trauer um Mantua lichtete sich etwas; der Mann neben ihr sah gequält aus.
Plötzlich bemerkte sie, daß, je mehr sie sich änderte, er von ihr abwich. Er erstaunte über sie; er fühlte: sie bemerkte, daß er den Halt verlor; sie wollte ihm helfen, er wollte es nicht, fand es schamlos, fand sich bloßgestellt, seine Unruhe vertieft; wich, hörte sie trübe an. Sie warb weiter um ihn, es geschah ab und zu, daß er sie wieder ansah.
Eleonore von Mantua, die in Regensburg vor ihm geflohen war. Sie hatten einmal nebeneinander gestanden vor der golden blinkenden Monstranz, die den Baum des Lebens darstellte. Ihr hochrotes Kostüm, die Perlenkrone auf ihrem spröden braunen Haar, dunkle dicke Augenbrauen, die Schleife an ihrer Hüfte mit seinem Namen. Dann hatte er sich hineingestürzt in sie; sie waren, wie sonderbar, auseinandergekrochen wie zwei grüne Kröten, plätscherten nebeneinander. Verwirrt hielt er sich jetzt in manchen Augenblicken an ihr fest, sie umschlangen sich, er war glücklich und besinnungslos, in ihr blieb die Freude und die Sehnsucht. Sie hatte nicht mehr in Erinnerung das verquollene leidende Wesen, das ihr in der Innsbrucker Kirche begegnet war, mißtrauisch aus seiner Schale blickend, das stumme machtgeschwollene Ungeheuer von Regensburg. Er verwandelte sich wieder; er blickte sie an. Sie wußte jetzt nur, aus ihrem Witwenzimmer schleifend, daß er ihr Vaterland war. Mantua war verloren: da ging, da schlich – Mantua! Wie sie aus ihrem Witwenzimmer zu ihm gefunden hatte, hatte sie nur dies Gefühl; es lebte zwangsartig in ihr, sog sich in ihr fest.
Nachdem der Kaiser sich bei vielen über die schwebenden Dinge orientiert hatte, lockte es ihn einmal, in Gegenwart der Kaiserin den großen Luxemburger, den hinkenden Jesuiten, zu sprechen. Ein undeutliches Gefühl hatte ihn bewogen, in Gegenwart der Kaiserin und Lamormains die Dinge auf sich wirken zu lassen, mit ihnen gemeinsam die Dinge zu übernehmen. Hilflos fühlte er sich, von Woche zu Woche mehr. Man sah am Hofe: seine große Hoheit war einer Müdigkeit gewichen; er wußte sich keinen Platz, fühlte sich beirrt, gehindert, gereizt, in einer unnatürlichen Lage. Das wehte launenhaft über ihn und breitete sich mehr aus, zerriß seine Einheit. Triebartig hatte er in manchen Stunden das Verlangen, die ganze Last und den Wust von sich abzuschütteln, um wieder zu seiner Macht zu finden. Seine alte Neigung, Schwierigkeiten durch die Flucht zu entgehen, erwachte gelegentlich.
Es drängte ihn jetzt leise zu Menschen, zu Eleonore. Sie sollte alles mit ihm dulden. Was würde sie sagen. Oh, er wollte sich fesseln lassen. Er fürchtete sich, fürchtete sich vor dem, was ihm bevorstand.
Wie Lamormain anschlich, erinnerte ihn Ferdinand, sich in seinen Abtstuhl senkend, an die Ruhe der Tage in Regensburg und wie die Ereignisse gräßlich geworden wären, gräßlich durch das Wanken aller menschlichen Beziehungen; was hätten sie aus seinem Wallenstein gemacht, dies sei kein Verräter, oft hätte er Lust, den Herzog zu rufen und mit ihm alles zu klären; Mißtrauen, Übelwollen, daraus sei das jetzige Ungemach geboren, es mußte auf ihrer Seite viel verschuldet sein. Lamormain, mit seinem Stock auf den Boden zeichnend – sie saßen in einer glasgeschlossenen geräumigen Galerie, die den Blick auf einen Hof gestattete, Gemälde Skulpturen an der seidenbespannten Längswand, bunte Ampeln hingen herunter, der Hof versammelte sich hier oft –, auch Lamormain dachte an Regensburg; Mariä Himmelfahrt, die gelbroten Flammenräder fuhren über die Wände des Musikzimmers im stillen Bischofspalast; wie ein Begnadeter legte dieser Kaiser alle Macht von sich, legte ihre Schwäche und Kleinheit bloß. Jetzt saßen die Hunde, die er losgelassen hatte, an ihm, fielen den Jäger an. Matt der Pater: Eggenberg hätte sich viel bemüht, Schwierigkeiten und Konflikte zu vermeiden, die Dinge nähmen aber einen Verlauf, der fast vorauszusehen war. Gereizt Ferdinand, an seinem grauen Kinnbart rupfend: der Priester möchte das nicht sagen, man möchte nicht Wallenstein schlimme Neigungen zuschreiben; er glaube das nicht, der Verlauf werde ihm vorgezeichnet. – Sein Beichtkind, das flattrig leidend im Stuhl sich bewegte, umfaßte Lamormain mit einem langen herzlichen Blick; er sah auch auf die Kaiserin, die das Kinn auf der Hand, den Arm auf die Sessellehne aufgestützt hatte, leicht vorgebeugt, beide beobachtend: so hätte die Römische Majestät es vielleicht richtig genannt; wenigstens zu einem Teil werde dem Herzog ein gefährlicher Weg von außen vorgezeichnet; seit Regensburg könne man das mit Recht sagen. Und als die Kaiserin den aufmerksamen Kopf hob, ihn fragend anblitzte, den Arm sinken ließ: ja, seit Regensburg, seit seiner Entlassung; seit da sei dem Friedland nicht mehr zu trauen; er verirre sich immer mehr. »Seit seiner Entlassung«, hauchte die Mantuanerin errötend, legte sich im Sessel zurück; »man durfte ihn doch wohl entlassen.« Ernst Lamormain: gewiß, er sei vom Kaiser angestellt und nicht auf Lebenszeit, aber die Menschen seien nun einmal im Grunde ihres Herzens eigentümlich, ein Gefühl für die Rechtsverhältnisse sei nicht da; da kümmere sich einer nicht darum, ob jener Kaiser sei und er Kämmerer; er will seine Begehrlichkeit befriedigen, er läßt sich nicht fortschicken.
»Was ist das?« Ferdinand fest angelehnt, die linke Hand vor dem Mund: »Fortgeschickt. In Regensburg. Der Herzog zu Friedland ist mein Freund gewesen. Sein Grimm, wenn er da ist, hat mit Regensburg nichts zu tun.« – Lamormain: man erzähle sich, er datiere seit Regensburg. – Ferdinand: in Regensburg sei das Reich geordnet worden; der Streit der Kurfürsten sei beendet worden; das Reich habe sich gefestigt wie niemals. Friedland hat auf Festigung und Sicherung des Reichs gedrungen; was komme man mit Regensburg; wie solle Regensburg ihn, gerade ihn schlimm beeinflußt haben. Mit demselben tiefen herzlichen Blick nahm Lamormain, gebückt über sich sitzend, seine Worte an, traurig die Stirn runzelnd; leise vorsichtig: »Er ist in Regensburg entlassen worden.« »Von wem redet Ihr, Ehrwürden.« »Vom Herzog zu Friedland.« »Eben. Es ist doch kein Lakai oder Barbier entlassen worden. Es ist der Herzog zu Friedland.« »Was macht es.« »Nun sprecht doch, Ehrwürden, um Jesu willen.« »Er ist von der Römischen Majestät mit Glimpf entlassen worden. Er war Generalfeldhauptmann der kaiserlichen Armada, hatte den dänischen König geschlagen, den niedersächsischen Kreis beruhigt.« »Ich habe ihn mit mehr als Glimpf entlassen. Ich habe ihm Geschenke geschickt, es ist keine Woche vergangen, daß ich ihm nicht ein freundliches Wort gab, er war mir immer mein Oberster Feldhauptmann, ich war ihm stündlich gnädig und huldvoll.« »Ihr wohl, Kaiserliche Majestät. Ihr wart ihm huldvoll und gnädig. Aber er nicht der Kaiserlichen Majestät. Denn er war der Friedländer, der Herzog zu Friedland, Wallenstein; oh, wer das ist, Wallenstein. Und er ist beleidigt worden, er hat gehen müssen, hat der Kurfürstlichen Durchlaucht in Bayern weichen müssen.« »Wir reden im Kreis. Das Reich hat es erfordert. Der Herzog weiß es. Ich habe ihm nicht übel gewollt.« Immer still der Priester: er hätte, sagt man, dem Kurfürsten in Bayern weichen müssen.
Flammend blickte, beide Arme schräg über die Lehne legend, Eleonore den Kaiser an, dessen Gesicht klein in seiner Gequältheit erschien, etwas Drohendes in ihrer Stimme: man erzähle sich überall, es sei nicht der Kaiser, sondern der Bayer gewesen, der den Herzog abgesetzt habe. Durchbohrend Ferdinand vorgebeugt: »Denkst du das auch?« Sie legte sich angstvoll zurück: »Ich fragte dich.« Heiser Ferdinand: »Frage nicht, Eleonore. Du denkst zuviel an Mantua.« Sein Ausdruck wechselte, wie er sie fixierte; dann sanfter: »Du weißt nicht, wie es zugegangen ist. Ich habe Italien nie übel gewollt. Friedland auch nicht. Ich hätte dir gern Freude gemacht, Eleonore.« Sie hauchte, fast zärtlich, sich über ihren Schoß errötend breitend: »Ich weiß, Ferdinand. Verzeih mir.«
Sie schwiegen. Die Schloßwache marschierte mit langsamem Gesang über den Hof, das helle Winterlicht erfüllte bis in die Winkel den warmen weiten Raum. Lamormain, anscheinend zuhörend: »Welche schönen weltlichen Lieder es gibt.« Der Kaiser, der gebrütet hatte, auffahrend, als wenn er etwas abwürfe: »Also es sieht aus, als wenn ich schuld an der Lage bin. An den Verwicklungen. Vielleicht, nein, ich bin schuld an dem sogenannten Verrat Wallensteins. Das alles leuchtet mir nicht ein. Ich sage es zehnmal. Und wenn man mir zehnmal und zwanzigmal widerspricht.« Nach einer Pause hitzig mit Gesten gegen Lamormain, der sich hochgesetzt hatte: »Und wenn ich Schuld habe. Wir reden jetzt nicht davon. Wie lange ist Regensburg her. Ich kann es schon gar nicht mehr denken. Regensburg ist schon fast nur eine Einbildung. Was kommt man mit Regensburg. Wenn ich den Herzog entlassen habe, dann ist alles wieder gutgemacht. Wenn er beleidigt war: er ist Feldhauptmann geworden; er hat, was er will. Was will er?« Die Mantuanerin drückte ihren langen Fächer auf seinen fuchtelnden Arm; er solle sich nicht erregen, die Dinge würden bald wieder ausgeglichen sein. – »Ausgeglichen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was das Ganze soll. Was dahinter steckt.« Eleonore behutsam: »Wohinter.« »Nun versteh doch, Eleonore. Ihr versteht mich gewiß, Ehrwürden. Höre doch einmal. Es ist ja gar kein Grund für den Herzog vorhanden, gegen mich zu sein. Ich habe ihm keinen Anlaß geboten. Er ist Haupt des Heeres mit der ungeheuersten Vollmacht. Wir bestreiten sie ihm nicht.« Seufzend Lamormain: »Er will nicht.« Bittend Ferdinand mit gespanntem Gesicht: »Was ist, Pater. Was wißt Ihr.« Nichts, als daß dem Herzog nicht genug sei an den Vollmachten und an dem Heer; daß er nicht zufriedenzustellen sei. – Was er denn wolle. – Er vergißt nicht, daß man ihn bei Regensburg weggeschickt hat. Er läßt das nicht liegen, es ist ihm wichtig für sein Handeln wie irgend etwas. Und nun gibt er keine Ruhe. – »Wir haben ihn nicht besänftigt mit dem neuen Kommando?« »Den Herzog?« »Nun?« Lamormain lachte freundlich, tauschte Blicke mit der Kaiserin, die lächelte: »Kaiserliche Majestät. Ich will kein Beispiel geben. Es sollte mir auch schwer sein, für den Herzog ein Beispiel zu finden. Im Grunde braucht man nur zu sehen – wenn ein Stein auf einen Marmorboden geworfen wird –, eine Kante von dem Stein bricht ab: diese Kante ist nun in alle Ewigkeit ab, sie kann nur durch einen Entschluß Gottes wieder am Stein befestigt werden.« – »Nun?« »Der Herzog weiß, wer er ist. Er hat es in Regensburg gemerkt. Es paßt ihm nicht, er verzeiht es nicht, daß er so ist, unser, der Kaiserlichen Majestät Feldhauptmann, und weiter nichts.« Ferdinand biß mit gerunzelter Stirn an seinem Handknöchel, er arbeitete mit dem Zeigefinger an seiner Unterlippe, brachte hervor: »Seht einmal, Lamormain. Ist es Euer Eindruck – hat man dem Herzog irgend etwas in den Weg gelegt.« »Nicht doch«, lachte behaglich Lamormain. »Oh, warum lacht Ihr denn«, Ferdinand seufzend, flehend, »sagt mir doch, was ist.« Mit großer Weiche der Jesuit: »Majestät wollen wissen, was man dem Herzog in den Weg gelegt hat. Nichts. Es hätte keiner wagen können. Er hat ja die ganze Macht allein.« Erleichtert Ferdinand: »Nun also.« Lamormain mußte ein anspielendes Lächeln unterdrücken: »Es genügt ihm nicht.« Unsicher Ferdinand, an seinem Gesicht, an seinen Händen hängend, die ganze schwarze starke Gestalt des Jesuiten mit den Augen verschlingend: »Es ist ihm nicht genug.« Und im Hintergrund fühlte er sich etwas regen, ganz unerwartet sich aus dem Grauen Tiefen schieben, etwas mit tausend Füßen, das lief, lief, das ihm entgegenlief, dem er entgegendrängte, gegen das er sich stemmte. »Puh, puh«, spie er. Das wieder. Dahin, dahin wieder.
Er stand aus dem Sessel auf, das Kleid Eleonorens rauschte neben ihm, es duftete stark neben ihm; sie war, wie der Ekel sein Gesicht entstellte, zu ihm gedrängt. Sie gingen nebeneinander Arm in Arm über die Teppiche der Galerie. Lamormain stellte sich an die Brüstung der Galerie. »Es ist ihm nicht genug«, flüsterte Ferdinand, als sie an Lamormain vorbeizogen, hielt etwas an. Sein ausgerenktes Gesicht. Er hielt Eleonore an beiden Armen vor sich fest. Die Mantuanerin halb weinend: »Er ist ein Teufel.« Von der Seite Lamormain schwer, traurig: »Kein Teufel. Ein armer Mensch.«
Er hielt noch die Mantuanerin umfaßt, stierte ihre Augen an wie Fremdkörper, ihre verkräuselten Haare, ihren auseinandergezogenen Mund, ihre abwärts gesenkten Mundwinkel, einen Finger hob er: »Dies ist es. So sind die Menschen. Der Pater hat es gesagt.«
Und wieder wimmelten über ihn die tausend kleinen krebsartigen Füßchen, der schuppentragende langgestreckte Leib; der Leib war so dicht über ihm, er hatte Neigung, sich zu bücken.
»Was sagst du dazu?« Sie mit tränenerfüllten Augen, gebrochener Stimme, ihn im Gehen fortziehend; sie suchte ihrer Stimme einen leichten Ton zu geben: »Es wird nicht schwer sein, etwas gegen ihn zu tun. Wir brauchen darum nicht zu sorgen. Wir werden morgen den Fürsten Eggenberg und unseren lieben Schlick bitten. Sie werden uns erzählen, was zu tun ist.«
Der Kaiser ließ sich, ihren Arm ablösend, in seinen breiten Abtstuhl nieder; die geschnitzten Menschen empfingen ihn, über die Lehne fließend, Männer Kinder Frauen, abgleitend, sich hebend, er fragte Lamormain: »Ehrwürden?« Der trat seitlich, mit dem Stock stampfend, plump hervor, pflanzte sich hinter seinem Stuhl auf, die Lehne angeklammert: »Dies alles ist uns nichts Neues. Die Kirche kennt seit langem die Menschen. Wir rechnen mit diesen Menschen. Wir müssen sie brechen auf irgendeine Weise.« Ein Zittern hatte den Kaiser befallen: »So sind die Menschen. Ihr habt recht. So bin ich wohl auch. Wir können es nur ändern, wenn wir uns der heiligen Kirche unterwerfen.« Der Priester redete leise: »Die Menschen sind böse. Sie haben teil an der Erbsünde.« An Eleonore wandte sich, zu ihr aus der Tiefe des Sessels die Arme ausstrekkend, der Kaiser hauchend: »Siehst du. Wir sind davon befallen.« »Ich weiß es, Ferdinand.«
Das schuppentragende lange Reptil schurrte rauschte klapperte über ihn; Entsetzen lag auf Ferdinands Gesicht.
»Der Friedländer zahlt mir’s heim. Was bin ich anders. Wir werden morgen den Fürsten Eggenberg zu uns bitten.« Lamormain lächelnd, die schwere Faust hebend: »Wir brauchen keine Sorge haben. Er wird bewältigt werden, der verräterische Mann.« »Seht Ihr, seht Ihr, wie gut«, hauchte zitternd, zaghaft zu ihm aufsehend der Kaiser, der ihn und Eleonore mit weißlichen Blicken übergoß. Dabei kaute er an seinem Schnurrbart. Durch ihn fuhr, er erlitt es, es machte seine Schultern schwach, füllte seinen Mund mit lauem Speichel: daß er die Worte eines andern sprach, daß ihn dies alles gar nichts anging. Er war durchkreuzt; der Friedländer war ein starker Feldherr; was tun solche Feldherrn: er konnte seine Gedanken nicht daran annageln. Halbe Minuten dachte er: die Kurfürsten werden sich zufrieden geben, ich werde den Friedland entlassen. Er war ja in Wien, in Wien. Er kaute wieder an seinem Schnurrbart.
Vor seinem Bett stand er nachts in seinem Schlafmantel, hob die Arme vor die Stirn, stieß mit den Ellbogen beiseite, schnob, daß der Leibkammerdiener aufhorchte: »Gebt Raum, gebt Raum.« Er durchmaß den fast finsteren Raum, rieb das Gesicht am metallenen Leib Christi, keuchte, drohte. Er schlug mit beiden Fäusten gegen die nackte Brust, als wenn er seine Besinnung herrufen wollte.
Wie er am nächsten Tage in Wolkersdorf war, zog er seine schmutzige Handwerkertracht an, gab seinem Kämmerer Bescheid; sie spazierten ziellos durch den Wald. Aber es war ersichtlich, daß der Kaiser einen Weg suchte. Sie kamen zu einer Kohlenbrennerei, und als sie ein Stück weiter gegangen waren, begegneten ihnen drei Männer, zwei dicke Bauern, die Ferkel im Sack auf dem Buckel trugen, und ein lustiger Dominikaner. Die beiden Männer schlossen sich ihnen an. Der Mönch erzählte lange muntere Geschichten, bis bei einer Gelegenheit herauskam, daß seine beiden bäurischen Begleiter Neugläubige waren. Da wand er sich, bekreuzigte sich, schlug die Hände zusammen. Sie gaben trotzig lustige Antwort, setzten ihm auf jede Schulter ein weißes quiekendes Ferkelchen, daß die Tierchen sein Lamento überschrien. Der Kämmerer redete ihnen gütlich zu; der Dominikaner, ihm dankend, wandte sich eifrig, hochrot, an die Bauern, ob sie denn nicht geneigt wären, in dieser schönen freien Gottesnatur wenigstens ihn anzuhören, ihn sprechen zu lassen. Es gab eine Debatte über das Recht der Ferkelchen, sich auch vernehmen zu lassen. Sie versenkten dann die Tierchen wieder in den Sack. Der Dominikaner sprach auf sie ein. Er sprudelte.
Was sie denn nur wollten. Warum passe ihnen der alte Glaube nicht. Hätten sie sich ihn ausgewachsen, den alten Wams. Ei, und er paßte doch so gut. Warum denn nur die albernen neuen Moden. Wüßten denn auch die Bauern, wie die feinen Bürger und Edlen in der Stadt französisch aufgeputzt dahermarschierten. Welche Äfferei. Sie, wackere Bauern, Ferkelchen im Sack, und Neugläubige! Wenn sie es nicht sagten, würde man es nicht glauben. Sie möchten doch einmal die Ferkelchen fragen, ob sie einen anderen Glauben hätten als ihre Eltern und Ureltern und weiterer Voreltern und Ahnen bis in die Arche Noahs hin. Bei Jesus, solch Tierchen ist den weisen, weisen Menschen über. Man wirft nicht Dinge holterdiepolter in die Asche. Immer sachte, immer vorsichtig, taugt noch alles was. Wer wird so lumpen, einen neuen Glauben, wenn der alte noch ganz gut ist. Hä, und ist er nicht gut?
Da gaben die beiden nur zum Bescheid, er rede so flink und glatt daher. Solle er nur weiterreden, sie hörten gern zu. Der Kammerdiener nickte.
Ja, es gäbe nichts, was nachsichtiger wäre als der wohltemperierte, allen angemessene alte katholische Glaube. Sie könnten schon immerhin, wenn sie sonst etwas glaubten, es glauben. Störe sie niemand darin; wer wird gleich schimpfen, wer wird einem Menschen nicht erlauben, ein bißchen zu glauben, was ihm beliebe. Der katholische Glaube sei wie ein Lämmlein oder wie ein Geblendeter, den man am Bändchen führt; er folge völlig den Menschen. Seht hin, ich zeig’ euch, wie das Lämmlein lagert und fromm spielt. Das katholische Christentum wolle nichts vom Menschen, keinen Zwang, kein bißchen Gewalt. Aber die lutherischen Prädikanten schwatzen großmächtig daher von »Überzeugung« und dem »inneren Glauben« und was noch, das das Christentum verlange. Verlangen könne man schon, aber wer solle das leisten. Wer hätte denn Zeit für all das Zeug? Wieviel Menschen hätten denn Lust, sich soweit mit diesen hohen und gar schweren Sachen abzugeben; müßten sich ja fürchten, sich daran zu vergreifen in ihrer Einfalt. Da wolle das gute fromme katholische Christentum von seinen Gläubigen nichts als ein bißchen Händefalten, einen sonntäglichen Spaziergang, Geflüster, einen Kniefall.
»Und ist das schwer. Es ist fürwahr nicht so schwer, wie diese Säcke zu tragen und daheim sich mit seinem Hauskreuz herumzuplacken. Ein kleiner Spaziergang, o je, wieviel mehr verlangen die Herren Richter, die Lehrer in der Schule von einem Kind; solch Kind wird gequält. Ja freilich, man muß manchmal fasten. Das lass’ ich gelten, es ist nicht jedermanns Sache; aber zehn Heller, zwanzig Heller: ein anderer fastet für dich, oder der Priester erläßt es dir. Das katholische Christentum erlaubt jedem, der ihm anhängt, sich in der erhabensten Gesellschaft der Märtyrer und Heiligen einheimisch zu fühlen. Kein Betrüger kann ein einfacheres und wirksameres Mittel erfinden, um hoch und höher zu kommen; und keiner kann sich ein Ziel stecken, das höher ist. Welche großmächtige Gewalt besitzt die katholische heilige Kirche. Und gibt es eine Gewalt, die ihre Macht sanfter gebraucht; sie kann im Diesseits und Jenseits die meisten Menschen spießen, sieden, brennen, schmoren lassen. Statt dessen stellt sie ihnen schöne Bilder hin in hohen Gotteshäusern und man braucht sie nur anzugucken. Sie tut Orgeln und die geübtesten feinsten Sänger auf die Chöre, und man braucht sich nur hinzusetzen und zuhören; währenddessen hat man nichts nötig als sich das Fluchen und Gotteslästern zu verkneifen, das auch sonst nicht schön klingt. Alles liefert die Kirche den Menschen, sie setzt ihnen reiche, ja königliche Häuser hin. Wenn man es recht betrachtet, was ist denn die Kirche anders als ein Fürstenhof, an den alle, Bauern Bettler Edle Ritter und Grafen Barone bis zum Römischen Kaiser hinauf, gleichmäßig geladen sind, um sich zu ergötzen. Jeder kann an ihren Vergnügen teilnehmen, jeder kann sich als Fürst vorkommen, er ist in seinem Haus. Ihr Törichten, was wollt ihr. Ihr braucht nicht beten, braucht euch nicht bemühen. Alles wird euch abgenommen. Wir sind die Schlösser an der Himmelstür: Ihr braucht uns nur bitten, wir machen auf. Das Himmelreich kann euch nicht entgehen. Wir haben so viel Gnade geerbt, die Märtyrer haben uns davon hinterlassen, daß wir und unsere Gläubigen bequem Jahrtausende davon in dulci jubilo leben können. Und haben dabei gar nicht nötig, arg hauszuhalten. Wo sollen wir nur hin mit den ganzen Scheuern der Gnade. Wir werden ja manchmal Lust bekommen, so einem armseligen Protestantlein, das unter dem Tisch hockt, ein Knöchelchen hinzuwerfen. Und ihr – ihr könnt nur immer tun, was ihr wollt. Wer katholisch ist, kann ruhig inzwischen auf Erden seines Weges ziehen. Für ihn ist gesorgt. Es ist alles vorbereitet; er braucht sich nicht drum zu bemühen. Geht hin, wohin ihr wollt, es nimmt euch keiner was weg. Ihr habt zu pflügen, zu düngen, das Vieh zu füttern, die Pferde zu striegeln, von den Kindern ist eins bockig, euer Nachbar zankt mit euch. Es gibt für euch soviel schöne und wichtige Sachen, Wein Musik Tanz kleine gelustige Fräuleins Kartenspiele Hahnenschlagen Kirmes. Und die Raufereien und dem Nachbarn die Zähne zeigen. Wir werden euch nicht stören dabei. Wir hüten schon euren himmlischen Besitz.«
Der Dominikaner wackelte vergnügt mit dem Finger: »Gell, eine feine Religion? Was sagt ihr zu meiner Religion?« »Läßt sich hören«, sagten die beiden Bauern. Sie setzten sich zu fünf in eine Mulde des Waldbodens; die Bauern zogen Schinken und Brot hervor. Während die Bauern schmatzend den Dominikaner hießen, noch mehr Späße oder Frommes zu erzählen, schlichen die beiden Männer davon.
Sie kamen in eine öde Gegend.
Einen singenden Bettler fragte der Kaiser, während der andere zurückblieb, nach allerhand. Der Bettler führte den Kaiser, nahm, als sie einen kleinen Bergpfad erreicht hatten, Abschied, trabte singend weiter. Den Kopf gesenkt, zog Ferdinand des Wegs. Bäume traten auf, ratlos sah der Kaiser zwischen die Stämme. Er erwartete den anderen; wo die Höhle des Einsiedlers, des frommen Jeremias, sei, wußte er nicht. Sie setzten sich auf den Boden. Ein kleines Mädchen mit einem Körbchen kam an. Sie gingen ihr nach, eine Waldschneise hinauf. Sie lief über einen Steinhaufen. Als sie zurückkam, gab ihr der Kaiser eine Handvoll Heller; sie möchte dem frommen Jeremias sagen, ein armer Mann begehre zu ihm. Sie lief, und als sie wiederkam, meinte sie, der fromme Einsiedler hätte gesagt, er sei selbst ein armer Mann und brauche kein Geld. Ihren kleinen Kopf streichelte Ferdinand; sie möchte die Heller behalten; möchte sie doch noch einmal zu dem Einsiedler gehen; er begehre nach seinem Wort.
Darauf erschien drüben hinter dem Steinhaufen barhäuptig ein schlanker jüngerer braunbärtiger Mann, der lange schweigend ihnen gegenüberstand. Er blinzelte eine geraume Zeit gegen das Licht, hatte eine schrecklich tiefe Blässe des mageren Gesichts. Die Steine rollten; leise fragte er, als sie herangekommen waren, unsicher zwischen beiden hin und her blickend, was sie wollten. Ferdinand stammelte etwas. Der Kammerdiener ging zurück.
Und wie Ferdinand seinen versunkenen Blick zu dem Mann hob, war dessen rechtes Ohr und halbe Wange abgefressen; Stumpfe und Löcher, Geschwüre und Hautfetzen, tiefdunkelrot mit schmierigen Belägen; die Nase des Mannes fein, an einer Nüster angefressen. »Laßt nur«, winkte Ferdinand, als ihn der Einsiedler vor die stallartige Höhle geführt hatte, »ich will hier sitzen und Euch zusehen.« Der Einsiedler, nach einigen unschlüssigen Bewegungen, gab ihm einen Rosenkranz in die schlaffe Hand; Ferdinand setzte sich auf die bloße Erde, während ihm die Perlen entrollten. Mit trüben Augen, müdem Ausdruck stand der junge Einsiedler vor ihm, verschwand wortlos in dem Dunkel, aus dem bald ein leises, heftiger werdendes, wieder abschwellendes Gemurmel und Ächzen kam.
Nach zwei Stunden trat der Diener an Ferdinand heran. Der Mönch schoß aus der Höhle hervor. Sie verabschiedeten sich. Voll Wehs suchte der Mönch die Augen des anderen, dessen Mienen sich nicht entspannt hatten. Er gab ihm den Rosenkranz mit, bekreuzigte sich hinter ihm, kniete betend an die Stelle hin, wo jener gesessen hatte.
Der Kaiser kehrte langsam durch die Schneise zurück in den Wald.
Plötzlich war mitten auf breitem Waldpfad ein starkes Flügelschlagen hinter ihm. Er schloß die Augen, blieb stehen, hielt den Kopf steif nach vorn.
Flügelschläge, mächtige Flügel, Flügelpaare, die den Sand peitschten, wehenden Wind vor sich warfen. Er wurde fast nach vorn gehoben.
Er erduldete es einige Sekunden. Zögernd schritt er weiter. Noch einmal gab es ein Wehen, Flügelschlagen von riesigen niedersausenden, sich steil aufstellenden Adlern hinter ihm. Ihm stand das Herz still.
Wie er zehn Schritt weitergegangen war, sah sich sein völlig versteintes Gesicht nach dem Diener um. Der pendelte ruhig einige Male über den Weg. Arm in Arm ging er mit dem bestürzten Mann. »Das ist mehr, als ein Mensch ertragen kann.«
DIE SCHWEDISCHEN Heere über das Reich verstreut. Oxenstirn hielt sie im Zaum. In Thüringen Wilhelm von Weimar, in Bremen Verden Leslie, in Magdeburg Lohausen, in Schlesien Oberst Duwall. Oberrheinischer kurrheinischer Kreis Georg von Lüneburg, Feldmarschall Horn Elsaß und schwäbischer Kreis. Geschleudert war in die Flanke Wallensteins, als er sich regte, der junge Fürst, der einmal Oberst von Gustavs Leibregiment zu Pferde war, Bernhard von Weimar, als Friedland ihnen den Rücken kehrte und glaubte, sie seien in Vergessenheit versunken. Wie die Kaiserlichen hinter den böhmischen Gebirgsmauern verschwanden, fingen die schwedischen Obersten, Offiziere und Gemeine an, deutsches Land zu schlucken. Von Bayern, der herrenlosen Kur, Würzburg, Bamberg wurden Stücke abgetrennt, ihnen als Rekompens zugeteilt; Schweden behielt sich die Oberherrlichkeit vor. Dem hochfahrenden Bernhard fiel aus Bamberg und Würzburg ein Herzogtum Franken zu, rechtens Mannlehen der Krone Schweden; er schwur eine ewige und unwiderrufliche Konföderation mit Schweden.
Friedland lag stumm in Böhmen. Da zwang sich, ungewandelt, Oxenstirn die vier oberländischen Kreise unter. Der Sachse, bitter der fremden Herrschaft im protestantischen Direktorium widerstrebend, suchte die oberdeutschen Reichskreise zu sich herüberzureißen, aber Oxenstirn behielt die Oberhand. Zu Heilbronn mußten die Deutschen geloben, die notwendigen Armeen für den Schweden zu unterhalten; Oxenstirn, ein Schwede, setzte sich hin als Direktor des Bundes und oberste Entscheidung in allen Kriegssachen.
Geführt von dem französischen Gesandten, von englischen Herren begleitet, erschien auf diesem winterlichen Kongreß zu Heilbronn eine schwarz verschleierte Frau, glühende Augen, lässige Fülle; sie setzte sich mit Feuquières auf eine besondere Bank, hörte den Beratungen zu. Dann sprach in langer entschlossener Rede ein kleiner Mensch für sie, Rusdorf. Er schilderte das Schicksal des Pfälzer Kurfürsten, erwählten Böhmenkönigs Friedrich, der wie das Gewissen dieses Krieges gelebt habe. Sein Unglück habe mit dem Prager Treffen begonnen, sei geendet bald nach dem Tod des gottseligen Schwedenkönigs. Er habe gelebt und sei gestorben als guter Deutscher und protestantischer Kurfürst. Seine Sache dürfe und werde nicht mit ihm welken. Dieser Konvent werde nicht umhin können, eine Entscheidung über seine Sache herbeizuführen. Es dürfe nicht scheinen, als hätte man sich des Kurfürsten Friedrich bedient zu eigenen Zwecken, wie die Widersacher verleumderisch in die Welt setzen. In allen, die protestantisch im Römischen Reiche seien, lebe auch fort die hoheitsvolle Gestalt seines Herrn, der am ersten die Schlange beim Kopf gepackt hätte und von ihrem Biß nicht gesundet wäre.
Er blickte, als er sich setzte, die Dame neben sich an. Sie stand kopfsenkend auf, schob den Schleier beiseite. Die englische Elisabeth lächelte freundlich und schelmisch verlegen; sie hatte rote runde Wangen wie immer. Sie sagte, ein Kichern kaum unterdrückend, der gelehrte Herr Rusdorf habe wohl und genugsam gesprochen; sie freue sich, die Herren wiederzusehen, die ihrem seligen Gemahl nahegestanden hätten und oft ihre Gäste gewesen wären. Darauf, schweigend und von unten blickend, stärker in den Saal lächelnd, weil sie einzelne Edle erkannte, drückte sie, plötzlich seitlich gewandt, die Rechte ausstreckend, dem Feuquières die Hand, der verständnisinnig nickte, nach ihr sich erhob und eine feine prahlende sentimentale Rede losließ, die den tapferen Friedrich feierte und als ein Hauptziel des Krieges bezeichnete, sein Haus wieder einzusetzen und sein Schicksal zu rächen.
Trotz schwedischen Widerstrebens kam nach tagelangem Diskutieren ein Beschluß zustande, besonders auf Drängen des Franzosen, der den Schweden nicht das Zuviel an Macht gönnte. Die deutschen Stände verlangten, von Rusdorf gejagt, diesen Beschluß; sie wollten auch irgend etwas erreichen. Dem Gefolge Oxenstirns war bekannt, daß hinter diesem ganzen Überfall mit dem Erscheinen der Kurfürstin und dem Eingreifen des Franzosen nur Rusdorf steckte; Rusdorf wußte, daß sein Leben bedroht war, aber tapfer agitierte das ergraute Männchen hinter den Deutschen, trug dem vornehmen Franzosen jeden neuen Winkelzug zu. Es wurde den Schweden abgerungen die eroberte Rheinpfalz; sie war sofort dem Hause Friedrichs zu übergeben. Nicht entringen ließen sich die Schweden die Kontrolle über die Festungen und über das Kirchenwesen. Laut sagte Rusdorf bei der Verkündung des Beschlusses, daß er ihn als Vertreter des pfälzischen Hauses annehme. Für den Augenblick gebe man sich damit zufrieden. Er werde aber nicht ruhen, bis auch die letzten Einschränkungen gefallen seien. Als er im Begriff war zu erklären, daß der Beschluß bei dem Widersacher ein hämisches Lachen über die Uneigennützigkeit der Fremden auslösen werde, drückte ihn begütigend Feuquières auf die Bank; die Schweden hatten ihn schon verstanden.
Trauerreich und glückvoll war die Einreise der Kurfürstin und des Bruders Friedrichs, eines phlegmatischen Ludwig Philipp von Simmern, in die schöne sanfte Pfalz. Und als sie zum erstenmal den Neckar mit seinem blanken flachen Spiegel wiedersah, an die prunkvolle Fahrt mit Friedrich in dem Brautschiff dachte und an das jäh sich erhebende niederknatternde Unglück, Prag, Dänen, Schweden, Krieg, endloser Krieg, sie alle gepreßt, jahrelang gewalzt, verblichen der feine von ihr fast übersehene Friedrich, da weinte sie hysterisch, wollte stundenlang nicht weiterfahren, verlangte nach England, zu ihrem Bruder, dem König Karl. Sie wollte nichts wissen von diesem Deutschland. Auch Rusdorfs Herz war erbebt beim Anblick der dunklen Platte des sich hinschlängelnden stillen Neckars. Er besänftigte sie; erzählte, sich bezwingend, von den schönen Gemächern, die sie erwarteten. Mit Mühe konnte er sie später abbringen vom Jammern um die zerschossenen eingeäscherten Flügel des Schlosses. Er selbst, in Freude erweichend, lief über die Dörfer, setzte die Amtsleute ein, knüpfte alte Fäden. Schrieb an seinen alten leidenden Freund Pawel, der in den Niederlanden saß, lud ihn zu kommen, des Grams ein Ende zu machen; bald werde die Kurpfalz von allen Fremden befreit sein. Er lobte neckisch seine eigene Zähigkeit, die er mit der Art einer Bremse verglich.
Genau einen Monat nach seiner Rückkehr auf Heidelberg wurde er an der Tür seines Quartiers angenagelt gefunden. Er lebte noch, als man ihm unter furchtbaren Schmerzen die Nägel aus den Handtellern gezogen hatte; die aus den Füßen konnte man nicht herausreißen, sie waren durch die Knochen getrieben. Es war schwedische Arbeit, wie er sterbend angab; er bat, die Sache nicht zu verfolgen, sie sei aussichtslos. Pawel fand ihn nicht mehr lebend vor. Die Beisetzung seines Freundes übernahm er. Viele hohe Herren der rheinischen Kreise, auch fremde, waren zugegen; sie lobten den kleinen entschlossenen Mann, beklagten seinen überraschenden Tod. Die Gerüchte über die Todesart wurden unterdrückt.
Pawel bat sich die Tür aus, an der sein Freund gehangen hatte. Er überlegte lange, ob er der Kurfürstin und dem Administrator nachgeben sollte und Nachfolger Rusdorfs werden. In den Papieren Rusdorfs fand er dann Aufzeichnungen, aus denen hervorging, daß Rusdorf selbst es war, der ihn damals in Wien fast ermordet hatte, aus Scham und in Sorge um ihre Aufgabe. Aus Briefen mit einem Prädikanten, den der Tote eingeweiht hatte, ging hervor, daß er lange verfolgt war von dem wahnhaften Gedanken, Pawel wirklich ermordet zu haben, und dagegen Hilfe suchte.
Den Kopf senkend, erklärte sich Pawel bereit, an die Stelle des Toten zu treten.
DIE GERÜCHTE, daß der Herzog zu Friedland an der Spitze einer großen Armada plane, vom Kaiser abzufallen, überall verbreitet, erregten die böhmischen landflüchtigen Exulanten und die Unruhigen in Prag und auf dem Lande. Niemand verstand diesen Mann, der offenbar die Sachsen ins Land gelockt hatte, sie dann heraustrieb, mit Graf Thurn konspirierte, ihn gefangennahm, freiließ. Von dem Dresdener Komitee wurde Sesima Raschin, der schwarzhaarige Fanatiker, zum Herzog beordert. Er traf in Prag die wohlbekannte Situation an: das Heer ringsherum in Winterquartieren, im Hauptquartier scharfe Tätigkeit für neue Werbungen, Finanzpläne. Eine Anzahl neuer Gesichter in der Umgebung Friedlands; Schweden Franzosen Sachsen im Palast aus- und einkehrend.
Raschin wurde vorgelassen; mißtrauisch horchte ihn der Herzog aus. Er hatte geglaubt, der Kundschafter käme vom sächsischen Hofe; als er von Böhmen hörte, schimpfte er; ob wohl der alte Narr Thurn, das Großmaul, dahinter stecke. Wieder und wieder versicherte Sesima, daß im Lande alles vorbereitet sei, gespannt auf ihn warte, daß die Schweden ihm behilflich sein würden; man hätte gute Kunde von Bernhard von Weimar, daß er dem Herzog zu Friedland wohl vergönne, sich in den Besitz Böhmens zu setzen. »Ihr Schelme allesamt«, keifte Wallenstein, der nur aus einem Auge blickte; das andere, gichtisch entzündet, war mit schwarzem Tuch dick verbunden, »ihr haltet mich für eine Leiche, daß ich euch für alle Gaunereien gut genug dünke. Macht eure üblen gefährlichen Geschäfte allein; seid wohl schon tief im Morast, daß ich euch herausziehen soll.«
Sesimas Audienz war kurz; als er sogleich, schwer gekränkt und enttäuscht, abziehen wollte, wurde er vom Grafen Trzka und einem Grafen Kinsky am Arm gefaßt und im Schloß festgehalten. Sie erwiesen sich als orientiert über das Vorhaben Raschins, schienen auch genaue Kenntnis über die friedländischen Pläne zu haben, baten ihn, zu verweilen, sei alles im Fluß, es dränge dem Frieden zu, er möchte nicht Mißstimmung unter die Böhmen und nach Sachsen tragen. Graf Kinsky erzählte heimlich dem jungen aufhorchenden Böhmen, er möchte nicht darüber sprechen, auch von französischer Seite habe man dem Herzog das Königreich Böhmen angetragen, Sesima möchte sich im Hintergrund halten, der Herzog schwanke, man wisse nicht genau, womit er umgehe. Daß er dem Kaiser böse wolle wegen seiner Absetzung, sei sicher; es drehe sich nur darum, ihn, den Herzog, in die Zange zu bekommen, daß er sich nicht rühren könne, ihn aus seinen Zweifeln zu lösen. Die Stunde der Schilderhebung rücke näher. Sesima war über diese Neuigkeiten sehr beglückt, fragte, wie man denn den Herzog in die Zange kriegen werde. Das sei nicht einfach, meinte Kinsky, der ein schlauer eitler älterer Kavalier mit blassem bartlosem faltigem Gesicht war, es gehe darum – nun, dem Herzog zu helfen; Friedland schwanke, das müsse man ausnutzen, man muß es dahin bringen, daß die kaiserliche Sache für ihn ganz unannehmbar werde, dann gäbe es kein Besinnen mehr. Raschin merkte auf; staunend äußerte er, das sei aber ein hohes Spiel. Selbstgefällig Kinsky kichernd: was hohes Spiel; er sei in Paris zu Hause, in Fontainebleau ginge er aus und ein; beim Pater Joseph und dem großen Kardinal würde ganz anders gespielt, schlau, mutig und – gottlos. Darüber freute er sich sehr: gottlos, ja so seien die französischen Diplomaten, aber das sei die wahre, rechte, die einzige Schule. Und er gab dem Böhmen den Rat, sich nicht zu oft vor Wallenstein blicken zu lassen, am Hof zu bleiben, in Böhmen und Sachsen ruhig alles weiter zu betreiben, als werde der Herzog ihnen zufallen. Beim Abschied flüsterte Kinsky, die Augen aufreißend und drehend, er könne ihm noch nicht alles verraten, aber der Herzog sei ihnen sicher; »sucht Euch schon jetzt ein Stück aus Niederösterreich oder Steiermark aus; was haltet Ihr von Graz? Appetitlich, appetitlich, gelt?«
Kinsky, der ein Schloß in Teplitz besaß, verbannt war, zwischen Pirna und Paris vagierte, die französischen Verhandlungen Wallensteins führte, machte es sich zum Ehrgeiz, vor den Herren in Fontainebleau seine Sache zu einem glänzenden Abschluß zu bringen. Reich wie er war, steckte er sich die französischen Dukaten ohne Dank in die Tasche; seine Arbeit war mit nichts zu hoch bezahlt. Den Herzog vom Kaiser abbringen: eine famose Aufgabe, und dabei gar nicht schwer; er war nur ein Glückspilz, daß ihm das zugefallen war. In den Konventikeln der konspirierenden Edlen ließ er sich feiern; hin und her geschleudert war man von den Ereignissen; man rüstete, opferte für Waffen und heimliche Anwerbung große Summen; der Augenblick des großen Schlages rückte näher, der Bezwinger der Dänen und Schweden, Friedland, hatte ihre Sache zu seiner gemacht.
Als der Herzog Kinsky den sonderbaren Brief Slawatas gab, wonach dem Herzog von Wien Gefahr drohte – Wallenstein nickte finster: »vielleicht hat mein Vetter selbst etwas gegen mich vor« –, erwog Kinsky für sich: es wird schon etwas dran sein an dem, was sein alter Freund Slawata schrieb. Er kam, liebäugelnd mit seinen Gedanken, auf den genialen Einfall, mit dem Grafen Slawata, kaiserlichen Geheimen Rat, eine private Korrespondenz zu beginnen, ihre alte Bekanntschaft zu erneuern. »Ich treibe meine eigene Politik«, sagte er entzückt zu sich, als er den ersten schwadronierenden Brief nach Wien losließ, erklärte sich für einen besonderen Intimus des Generalissimus. Er gedachte Tropfen um Tropfen Gift in Slawatas Ohr zu träufeln, bis er den Herzog unmerklich so weit hatte, wie er wollte, und der Herzog gebunden wäre. »Wir werden sie kriegen«, seufzte er glückstrahlend, sich in seinem Klingenbeschlag spiegelnd, »wir werden sie kriegen. Die Herren an der Seine werfen sich zu sehr in die Brust. Es ist nicht nötig. Es ist überflüssig, meine Herren; habt nur etwas Geduld.« Laut sprechend erhob er sich von seinem Schreibkabinett, schneidender Ton in der Stimme: »Der Kardinal von Richelieu, Armand du Plessis, der Pater Joseph! Sieh da, wohlan, sieh da.«
In dem Augenblick, wo der Herzog seine Neigung offenbart hatte, mit den Widersachern in eine nicht genauer bestimmte Verbindung zu kommen, hatte es in seiner Umgebung zu wallen begonnen. Aus bloßen Dienern und Schleppenträgern wurden Akteure, die sich mit Röllchen und Röllchen nicht begnügten, Lust bekamen, sich zu emanzipieren und um sich Zirkel zu bilden. Man trat von außen an sie heran, lockte sie, das Geld lockte, die Eitelkeit lockte, der Wunsch, einander den Rang abzulaufen. Immer stieß der Friedländer mit gewaltiger Faust dazwischen; rasch wie nach einem Platzregen ebnete sich wieder die Erde, der Schwarm schloß sich, wogte um ihn. Er brauchte sie, keine geschriebene Zeile gab er von sich, die Menschen schwatzten.
Der blonde naive Graf Trzka hatte sich erhoben; er riß in diesem schweren schwingenden Winter an Arnim, dem sächsischen Feldmarschall. Erst saß er in Arnims Quartier, suchte ihn zu verlocken, zum Herzog überzugehen, ohne den Kursachsen zu befragen, da Wallenstein vorhatte, vom Kaiser abzuziehen. Davon wollte Arnim gar nichts wissen; er ruhe im Vertrauen seines kurfürstlichen Herrn und werde es nicht täuschen; und dann fand er, daß Friedlands Verhalten im vergangenen Sommer und Herbst nah an Betrug gegrenzt habe; es sei alles schon leidlich im Wege gewesen, als Friedland Zwang üben wollte. Sachsen habe er verwüstet; die kursächsische Durchlaucht habe einen Eid von einigen tausend Sakramenten geschworen nach den geschehenen Untaten, sie wolle nichts mehr von solchen betrügerischen Traktaten wissen. Als Trzka überlegen lächelte, den Kopf schüttelte, geschickt die letzten Daten zusammenstellte, wonach Wallenstein fast nichts übrigbliebe, als vom Kaiser abzufallen, ja, daß Wallenstein entschlossen, vielleicht gezwungen sei, in Kürze mit offenen Karten zu spielen, erklärte sich Arnim, immer dem Herzog im Innern anhängend und ihn verehrend, bereit, Trzka weiter zuzuhören, und faßte ihn fast ängstlich bei der Hand.
Er möchte, bat der Böhme, doch dem Herzog als erster nachgeben. Man stehe sich zweifelnd gegenüber, könne nicht von der Stelle; peinvoll sei die Situation des Herzogs, wenn er den ersten Schritt tun solle, der doch für ihn der einzige wäre: zum Sachsen gehen, die Heere zusammenwerfen. Hinter Wallenstein stünde nichts, kein ererbtes anhängendes Land; er sei im Moment vogelfrei; man müsse sich in ihn versetzen, und wer kenne nicht seine Wut auf Wien.
Leidenden Herzens folgte Arnim dem geschickten Unterhändler, suchte seinen Kurfürsten auf. Vor dem jovialen dikken Herrn und seinem spitznäsigen Kammerdiener keine Andeutung von den friedländischen Machenschaften. Arnim hätte alles riskiert; ein Untergebener, der mit seinem Gehorsam spielt, war Johann Georg ein abscheuliches verächtliches aberwitziges Vieh. Unaufrichtig brachte Arnim vor, was er wollte: er fühlte sich gezwungen und verstrickt in das friedländische Netz. Nach Ringen und Würgen gewährte mißlaunig Johann Georg ein neues Verhandlungsrecht; aber daß Arnim das Heer nicht in mißliche Position brächte. Ihn hatte das brutale Vorgehen der Schweden in Heilbronn, die Übervorteilung der wehrlosen Pfälzerfamilie heftig gekränkt; er wollte ab von Schweden. Wieder hoffte er, mit seinem gnädigen Herrn, der erwählten Römischen Majestät, in fürstlich treue Verbindung zu kommen.
»Her, her!« schrie Wallenstein, der völlig blind auf einer Bank inmitten der Ritterstube saß, die verdunkelt war; beide Augen lagen unter heißen Tüchern, die der stille Doktor Stroperus sehr oft am Ofen wechselte; »seid Ihr allein, Arnim, wer ist mit Euch?« Da war noch der rotbäckige muntere Oberst Burgsdorff, ein Brandenburger. Das erfreute den Herzog; er nannte sich ein geblendetes Huhn, das auf einmal zwei Körner gefunden habe. »Aber will Eure fürstliche Gnaden uns pikken?« – Nein, er vermöchte zur Zeit nicht gut den Schnabel zu führen, die Schelmereien säßen ihm in den Augen und Füßen; ob sie nicht wüßten, daß der Kaiser vorhabe, ihm einen Strick um das Bein zu legen, damit er nicht zu ihnen schwenke. – Sie kamen auf die Friedensbedingungen. Rittmeister Neumann las vor, was Wallenstein entworfen hatte: die böhmischen Aufständischen sollten amnestiert und entschädigt werden, die Jesuiten heraus aus dem Reich, Religionsfreiheit, Rekompens an die schwedische Krone.
Burgsdorff, Arnim anstoßend: das sei recht schmackhaft, aber man sei nicht sicher, daß so aufgetafelt werde. – Warum nicht. – Wegen des katholischen Satzes: dem Ketzer sei keine Treue zu halten. »Gottes Schand’. Wie bin ich den Hundsfotten, den Jesuiten, gram, die das Wort aufgebracht haben. Ich wollte, der Teufel hätte sie geholt, wollte sie ihm nicht aus dem Rachen ziehen. Gott soll kein Teil an meiner Seele haben, Ihr Herren, wenn ich anderes meine. Und will der Kaiser nicht Frieden, so will ich ihn dazu zwingen. Und der Bayerfürst hat das Spiel angefangen. Ihm soll das Land ruiniert werden, daß weder Hahn noch Henne noch Mensch drin zu finden ist. Denn ich will einen ehrlichen beständigen aufrichtigen Frieden im Reich stiften.«
Das befriedigte sie beide sehr. Sie fixierten gemeinsam mit Neumann, rittlings auf ihren Schemeln sitzend, die Punkte auf ihren Schreibtafeln.
Friedland bot indessen, den Stroperus am Hals umschlingend, mit ihm durch den Saal tappend, ein sonderbares Bild. Er schien, den grauen unordentlichen Kopf vorgebeugt, durch die Tücher gierig sehen zu wollen. Es machte auf die beiden fremden Herren einen schrecklichen angsterregenden Eindruck, wie er, an den Wänden entlanggeführt, der Unterkiefer herabgefallen, sich nach dem Schall orientierte, den vorgestreckten Kopf hindrehte. Man sah ihm in den roten Mund, fast in den Rachen; die geschwollene Zunge lag und wälzte sich im nassen Speichel. Er sprach mit schwerer schnarchender Stimme; sein Gesicht lang, Mulden an den Schläfen Wangen. An den Tisch geführt, stehend an der Kante sich haltend, fragte er stolz und hämisch knurrend, was die Herren von seinen Vorschlägen hielten. Sie gaben schreibend zurück, es sei gutes Fahrwasser. – Das solle es wohl sein. »Machen wir uns keine Sorge, was die andern denken. Wer viel fragt, kriegt viel Antwort. « So blieb er stehen, horchte wie sie schrieben. »Was haltet Ihr von den Türken«, fing er plötzlich an; »man soll sie nicht aus den Augen lassen. Wir zanken uns hier alle auf dem Ätna. Dem Schweden ist der Türke nicht grün gewesen, wie er einen Gesandten hingeschickt hat. Die Römische Majestät fand ihren Gesandten auch nicht besser empfangen. Der Großherr ist uns allesamt nicht grün. Der hat seine Lust an unseren Kriegen.« Und dann marschierte er wieder herum mit Stroperus, schwadronierte von der gemeinsamen Christenfront gegen den Sultan; das würde ein Spaß werden; die Kreuzzüge seien der europäischen Christenheit noch immer im Leibe; er warf mit Angriffsplänen um sich. Wie sie sich verabschiedeten, forderte er Trzka vor sich.
»Bist du da, Trzka?« tastete er sein Gesicht. »Die Bürschchen, die Bürschchen. Dem Ketzer ist keine Treue zu halten. Dazu ist es not, Ketzer zu sein. Es geht sogar gänzlich ohne Taufe, hoho. Das sind Helden. Wir führen Krieg, ich stell’ ihm ein Bein, und das ehrbare Fräulein seufzt: Das schickt sich nicht; ich hab’s nicht so gelernt; bei der Muhme Ulrike ging’s anders zu.« Trzka wollte Neumann entfernen; Wallenstein, der es merkte, donnerte: »Das ist mein Blut, laß ihn, befiehl ihm nichts. Setz mich, Stroperus. Was willst du sagen, Trzka.« Er donnerte in falscher Richtung.
DAS LAGER bei Pilsen. Um die Mauern Holzhütten, Zelte, Höhlen, Gehöfte, in die Nachbardörfer übergehend, meilenweit ausgedehnt, Stoppelfelder Gehölze zwischen sich fassend. Nahe der Stadt, von Sümpfen umgeben, durch Gräben Wolfsfallen abgegrenzt, nur auf Brücken zugänglich die Artillerie, lärmende qualmende Schmieden, wandernde Posten, Kanonenrohre auf Wagen, auf Heu, von Segeln überspannt, einsame schwarze Kugelhaufen. Vor den Hütten kriechende schleppende reitende Söldner, über die Ziehbrunnen schwärmend, schimpfend, Ochsen und Schweine treibend. Übende Fähnlein von Musketieren; Weiber vor Hütten und Erdlöchern an Feuern, kochend, lachend, im Geschrei mit Kindern. Hohe breite Reisewagen, leinenüberzogen, von Reitern eskortiert, über die Äcker in der Anfahrt auf Pilsen, mit Offizieren.
In der kalten Morgensonne trugen schläfrige Stückknechte auf den Schultern Bandhaken, langstielige Ladeschaufeln, Hebebäume nach dem Artilleriepark herüber. In kleinen Verschlägen klöppelten Tischler an Spannbänken für die Sehnen der Armbrüste. Von Zeit zu Zeit wütendes Gekläff, gelle Menschenrufe.
Musik; Kompagniefeldspiel im langsamen Schritt vor der Stadtmauer herüber; baßtiefe Soldatenstimmen: »Wir zogen in das Feld, wir zogen in das Feld, da hatten wir weder Säckel noch Geld. Wir kamen vor Siebentor, wir kamen vor Siebentor, da hatten wir weder Wein noch Brot. Wir kamen vor Friaul, wir kamen vor Friaul, da hatten wir allesamt leeres Maul. Strampede mi, strampede mi, a la mi, presente al vostra, signori.« Der Fähnrich spazierte neben dem federwallenden Hauptmann, die Rennfahne am Gürtel vor dem Bauch aufgestemmt, lange Stange mit steifem Blatt, darauf das bunte Wappen des Hauptmanns, junge Vögelchen, aus einem Neste die Hälse reckend. Der Hauptmann ging in ein kleines Haus am Weg, die Kompagnie löste sich.
Drei Musikanten spielten vor dem Häuschen weiter, Schellenspieler Trommler Pfeifer, zierlich die Beine lüpfend, bekleidet mit bauschigen Hosen bis zu den Knien, mit langen seitlich fallenden Schleifen bebändert; an den Füßen spitze Schuhe mit Band und Schnalle. Sie trugen auf den Köpfen große breitrandige Hüte mit Puscheln. Kinder und Hunde liefen um sie.
Dem Trommler hing über der rechten Schulter der knopfbeschlagene Ledergurt, daran die Trommel vor dem linken Bein. Während die eine Hand lässig auf dem blitzenden Trommelrand lag und fein, wie unwillkürlich, Wirbel rollte, lauter leiser wie eine gurrende Nachtigall, hob sich die andere, rechte, elastisch mit wippenden Bewegungen, warf knappe Schläge hin. Unentwegt die Linke; die Rechte schloß sich ihren langziehenden Wirbeln manchmal an, wie mitgerissen, dann prasselte rasselte sie über das Fell, daß der Trommelsarg über dem angehobenen folgsamen Knie schütterte und ihm bis in die Zehen der Wirbel drang. Er lächelte, seine Augen zuckten. Der Schellenspieler war ein blitzjunger Mensch. Er hielt die linke Hand sanft in die Hüfte gestemmt. Die fliegende Seidenschärpe wehte nach rückwärts um ihn. In der rechten Hand trug er den meterhohen Stock, an der Spitze ein blinkender Stern mit Glöckchenbehang. Er sah, als wenn er vor niemandem spielte, schweifend über die Kinder, schien von nichts gefesselt zu werden. In einer Pose, in die er sofort mit Anmut versank, stand er fest, nichts bewegte sich an ihm, nicht Kopf, Fuß, Rumpf, nur zwei Augen, ihre Lider und der rechte Arm. Und auch der war meist an den Rumpf gedrückt, der Unterarm angehoben; spielendes Handgelenk. Mit den kleinsten Rucken Drehungen wußte er den Schellenbehang zum Zwitschern Klingen Klappern, stolzen lockenden Schmettern wie aus Tausenden Vogelschnäbeln zu bringen; und wenn er seinen Stock wie eine Fahnenstange hochschwang, die Beine wechselte, senkte er den Kopf, blickte trotzig auf seine Schuhspitzen. Der Pfeifer führte sie. Am Bandelier zur Rechten hing ihm die Gabel herab. Er ruhte nicht, folgte selbst seiner Melodie. Sein Mund, seine laufenden Finger ergingen sich, spreizten sich, drückten sich an das runde Rohr. Sie erregten, besänftigten es liebevoll wie ein Tier. Schmachtend blickte er aus schwarzen Augen.
Unter trübem Regen- und Schneewetter kamen nach Pilsen gefahren Graf Schlick und Questenberg. Sie hatten am ersten Tage einen Besuch des liebenswürdigen Grafen Trzka und Rittmeisters Neumann zu überstehen, die sich im Auftrage des Generalhauptmanns nach Quartier und Befinden, ersichtlich auch nach ihrem Vorhaben erkundigen sollten. Vor den Generalhauptmann von Trzka geführt, hatten Schlick und Questenberg die gleiche schreckliche Empfindung wie einmal Kaiser Ferdinand: daß dieser Mann gegen den Tod rang, der ihm schwere Gewalt antat. Jede Bewegung stieß eine Hemmung nieder; wund die Gelenke, trocken der Körper; Wein und Wasser schüttete der Herzog in sich hinein; es verdampfte wie auf einer heißen Pfanne. Aber keine Spur von Hilflosigkeit, Verbitterung; nur häufiger als sonst Wut und knirschende Ausfälle. Questenberg sah erschüttert, wie er seinem alten Gönner die knochige schwache Hand drückte und streichelte, daß Wallenstein blind war für das, was ihm geschah.
Der trübe bigotte Schlick gesackt in lauernder Stumpfheit auf dem eigentümlich hohen Schemel, den man ihm zugeschoben hatte. Ein holländisch gebautes Gemach in dem Pilsener Wohnhaus; mattes Tageslicht aus vielen niedrigen Fenstern, weiß-rote Steinfliesen am Boden, Schiffsbilder über der dunkelbraunen Wandtäfelung, auf dem viereckigen grünverdeckten Tisch Äpfel und Weintrauben in Glasschalen. Im Hintergrund in die Wand verschoben niedrig riesig ein Bett, darüber ein grünseidener flacher Himmel. Vor dem Bett der Herzog, verwittert, zittrig. Wein im Becher neben sich, allein auf der Bank. Er vor dem Bett erkundigte sich, seine Lippen auffallend schlaff und lang, die Augen rot und vorgetrieben, mit alter geräuschvoller Heftigkeit nach dem Befinden der Herren, ihrer Reise, der Römischen Majestät, der er bald wieder eine Aufwartung zu machen gedächte. Und ob es wahr sei, daß die Majestät sich von den politischen Geschäften zurückzuziehen gedächte. Schlick sprach von einfältigen Geschichtenträgern. – Der Herzog sich anlehnend: so, der Kaiser betriebe also die Geschäfte wie zuvor, bekümmere sich, nähme an den Beratungen teil. – Schlick sehr ruhig: wie sonst. – Das sei herrlich. Denn er hätte sich Gedanken gemacht, wie sie einem kommen könnten, der weit vom Schuß sei. Es sei auch Art der Römischen Majestät gewesen, an ihn persönlich ein Brieflein mitzugeben, wenigstens sonst, – oder trügen sie es vielleicht noch bei sich und hätten es vergessen. – Nein, sie hätten vom Kaiser keinen Brief; es sei alles mündlich beredet. – Darauf langes Schweigen, Graf Trzka trat neben die Bank des Herzogs. Der blitzte den Grafen Schlick an. Nach Austausch eines Blickes mit Schlick erörterte Questenberg die schwierige finanzielle Lage des Erzhauses; fast demütig schließlich die Frage: ob sich das Heer nicht besser etwa in Thüringen finden würde, damit die Erblande sich etwas erholen könnten. – Ob dies vom Kaiser stamme. – Es sei in mehreren Beratungen des Hofkriegsrats und des Geheimen Rates besprochen worden. – Der Herzog, ohne die Augen zu erheben: also welche Quartiere sie für ihn vorhätten. – Wie gemeldet, Thüringen. – Sie wüßten, es stünde ihm frei nach seinem Vertrage, sich die Erblande zum Rückzug zu nehmen. – Es sei ein Wunsch, sie wüßten es. – Man habe nicht vor, an dem Vertrag zu rütteln? Er fixierte beide scharf. – Keineswegs; ein Wunsch. – »Man wird mich nicht mit einem Vertrag aufs Glatteis locken und im enscheidenden Augenblick mir ein Bein stellen.« Dann: er werde es sich überlegen. – Schlick immer gleichtönig: es käme nicht auf vierundzwanzig Stunden an; sie könnten einige Tage in dem artigen Städtchen verweilen. – Wallenstein: er werde ihnen im Lager Unterhaltungen verschaffen, italienische Sänger, Schlittenfahrten, wenn das Wetter es gäbe. – Schlick kalt: er sei ein alter Mann; führe nur Befehle aus. Und es sei ihnen schließlich nicht unangenehm, einige Tage im Lager zu verweilen. Sie hätten Lust, die neuen Offiziere kennenzulernen, welcher Geist in den jüngeren Generationen stecke; man belebe sich gern an ihnen. – Questenberg spie plötzlich, aufstehend: er hasse den Schreibbetrieb aufs Blut; wolle nicht gar so tief in das Lager blicken; bekäme vielleicht Lust, wieder die Pike auf die Schulter zu nehmen. – Der Herzog knurrte ihn freundlich an, leicht höhnisch: wem ginge es nicht so; aber schließlich seien schon bald dreizehn Jahre um, daß man sich herumbalge. Werde er nun sehen und sich angelegen sein lassen, den Krieg zu beenden. – Questenberg freudig: dazu möchte Gott seinen Segen geben.
Runzelte Schlick seine niedrige Stirn, schob den Kopf in die Höhe, den Hals reckend, wie ein Laternenträger, der das Licht an der Stange anhebt; so reiche sein Verstand nicht so weit, er sähe noch kein Ende des Krieges; würden alle Schlachten geschlagen sein, damit am Schluß die Feinde triumphierten und sich freuten, so gut davongekommen zu sein. – Oh, oh, lächelte der Herzog, der Herr Graf sei schon lange nicht an der Spitze einer Armee gestanden. – Er denke schon, saß Schlick da, daß seine Erfahrungen ausreichten. Der Krieg gestern sei nicht anders als der vorgestern. – Nein, der Herzog, nur die Bleiplatten an den Sohlen, mit denen man zur Schlacht gehe, seien schwerer geworden. – Mit Bleiplatten, Schlick stärker grollend, könne man auch am Fleck stehen bleiben. Mit Bleiplatten könne man ein Heer zu Hause behalten. Mit Bleiplatten brauche man kein Heer. – Immer abgekühlter freundlich der Herzog: es sei auch unter Umständen das Beste. – Dann brauche man eben kein Heer. – Eben. – Dann, dann, Schlick mit sich ringend, zum Wutausfall bereit, sei ja alles überflüssig, alles. – Ihr meint, ich auch. – Wartend der andere, dumpf erregt, ihn anglotzend. – Wallenstein stieß ein Lachen heraus. »Wovon wir da reden. Was meint ihr, Questenberg, Trzka. Wir sind Schuhmacher; wir reden von Bleiplatten an den Sohlen.«
Der mit Silber und Samt ausstaffierte sporenrasselnde Trzka warf, an den kleinen Fenstern wandernd, erregt seine Locken; lachte mit unnatürlich starrem Gesicht und feuchten Augen, den Herzog willkürlos nachahmend: die Bleiplatten; er kenne ein Märchen, ob er es erzählen dürfe.
Mit fast gehässigem Blick auf ihn sank Schlick in sich. Wallenstein schluckte Wein, krächzte: nur reden sollte er; die Herren würden es gern verstatten. Müßte aber spaßig sein.
»Es gibt einen Schwarzspecht, man findet schwer den Baum, wo er nistet. Hat man den Ort gefunden, so muß man ihn sich merken und warten, bis das Vöglein brütet. Und wenn die Brutzeit vorbei ist, soll man hinauf, wenn der Vogel aus ist, die Öffnung verspunden. Der Specht kommt wieder, und sobald er merkt, die Öffnung ist verspundet, fliegt er fort, halbe Tage lang, und sucht und findet einen Ort, da wächst ein Kraut, das heißt Springwurzel, und bringt es. Rasch soll man auf eine Leiter vor das Nest, ein rotes Tuch vors Gesicht gebunden, einen kleinen grünen Wedel in die Faust, und immer nicken, nicken damit und mit dem Fuß klappen, als täte er’s selbst am Baum. Dann erschrickt der Specht, weil er glaubt, es seien seine Jungen ein so närrisches entartetes Volk oder es gehe ein Zauber um, schreit, läßt die Springwurzel fallen, schreit nochmal, flattert davon. Das Kraut aber soll man mit dem roten Tüchel vom Boden aufheben und sorgsam bewahren und einwickeln, man kann damit verschlossene Türen öffnen, Geleimtes Gelötetes lösen, Ketten sprengen.«
Trzka lachte heiser, erregt nach vorn gebeugt zum Grafen Schlick herüber: »Ich bin schon fertig.« Wallenstein: »Habt Ihr solch Kraut, Trzka?« »Nein, Eure Durchlaucht. Ich nicht. Vermute aber, des Grafen Schlick Liebden sei in solchem Besitz und Vermögen. Hat er doch etwas mit den Bleiplatten vor, die Eure Durchlaucht an den Füßen tragen.« Schallender Lachausbruch Trzkas, zusammentönend mit Friedland und Questenberg. Trzka stammelnd: »Und da ich so viel von solchem Wunderkraut gehört habe, hätte ich gern gesehen, wie es sich besieht und befühlt. Muß gar artig und klein sein, da es schon solch winzig Tier im Schnabel führen kann. Möcht’ gar sehr darum bitten, es mir zu zeigen, wenn Ihr’s im Sack tragt.«
Stöhnend hielt Wallenstein im Lachen sich die Rippen; dann mit den Armen abwinkend: »So laßt den Herrn Bruder zu Wort, so redet nicht. Ich bin gar begierig.«
Das phlegmatisch schwere Wesen schien von der Unterhaltung wenig berührt. Er wüßte nicht, worauf des Herzogs Durchlaucht so begierig wäre; hätte er und Questenberg schon alles berührt, was sich sagen ließe; vermißten sie doch nur das Wort Wallensteins. Trzka fast triumphierend: »Ihr habt es berührt, daß die Armee sich nicht genug schlage.« »Berührt, gesagt, als Auftrag und als eigene Meinung.« »Das ist es ja. Und so müßt Ihr doch die Wurzel bei Euch haben, mit der Ihr den Herzog, meinen Schwager, springen machen wollt.« Schlick stand drohend auf: »So muß ich Herzogliche Durchlaucht fragen, mit wem ich verhandle, ob mit dem Generalfeldhauptmann oder mit dem Herrn Grafen, des Herrn Schwager.« Da hatte Wallenstein einen langen scharfen Blick auf Trzka und den Grafen Schlick gerichtet. Leise bat er seinen Schwager, die Possen zu lassen. »Die Auffassung in Wien ist«, Schlick, »daß die Kaiserliche Majestät ein großes Unrecht tat, als sie den bayrischen Kurfürsten hilflos im Stiche ließ gegen den Schweden. Es hat sich das Gewissen bei uns geregt, stärker und stärker, in Anbetracht der großen uns von Wittelsbach zuteil gewordenen Wohltaten, die im ganzen Reich bekannt sind, daß wir nicht zusehen können, wie er die Beute des Feindes wird. Er hat dem Erzhause in Böhmen und bei tausendfältiger Gelegenheit anderer Art geholfen aus dringender Lebensgefahr. Das soll von einem edlen Kaiser unvergessen bleiben. Auch der Geheime Rat hat sich diesen Bedenken nicht entziehen können. Und so ist nach vieler Überlegung beschlossen worden, unvorgreiflich Eurer Herzoglichen Durchlaucht Entscheid, auf Beschleunigung der Kriegshandlungen zu dringen.« Leise Wallenstein: »Genug, Herr Bruder. Was wollt Ihr.« »Die Winterquartiere müssen abgebrochen werden; Euer Heer ist kaum geschwächt; der Abbruch des Angriffs auf Regensburg hat die ganze Welt verblüfft, man lacht über die Maßnahmen der Armee unserer Kaiserlichen Majestät.« »Wer wird das wohl sein, der lacht; wer war verblüfft.« »Die Italiener spotten, die Spanier. Herr Bruder, lassen wir das, was hat Er vor, sprech’ Er sich aus, sollen wir den Bayern vergehen und verderben lassen.« »Die Italiener und Spanier. Was haben die Väter der Jesugesellschaft gesagt. Sie haben doch nicht geschwiegen.« »Lassen wir das, Herr Bruder. Sprech’ Er sich aus.« »Die Herren von der Jesukompagnie haben sich dahinter gesteckt, und nachdem sie die heilige Kirche regieren, glauben sie auch ein Heer und die Politik regieren zu können. Wir werden aber selbst wissen, wie wir zu marschieren haben.«
Questenberg wollte sprechen; Friedland wischte an seinen roten Augen, aus denen es troff, senkte seine Stimme, schob ihnen Wort für Wort hin: »Es ist genug gekriegt im Reich. Verludert und vernichtet ist genug. Es kann sich jeder damit zufriedengeben, Soldat und Geistlicher. Sei den Herren gewiß: mir liegt nicht an der ewig fortwährenden Verwüstung. Wär' ja ein Instrument des Satans, wenn ich’s täte. Es bleibt dabei: wir steuern auf den Frieden zu. Wenn man auch und wer auch zetert.«
Questenberg: »Soll uns doch nichts willkommener sein.«
»Herr Questenberg. Sind andere kriegerischer als wir Soldaten. Ich werde einen Krieg um den Frieden zu führen haben.«
Questenberg milde: »Graf Schlick hat gezeigt, woran uns liegt und was uns herführt. Wir wollen erfahren, was Euer Durchlaucht im Sinn haben, verkennen gewiß nicht die Schwierigkeit der Lage.« »Das weiß ich. Fragt aber einmal den Herrn Bruder hier, was die Väter der Jesugesellschaft begehren.« Schlick hochgestemmt, brüllend: »Ich bin im Auftrag der Kaiserlichen Majestät da. Wir haben kaiserliche Aufträge abzulegen.«
»Und ich sitze hier, Herr Bruder, im Auftrag derselben Kaiserlichen Majestät. Habe schon lange ein kaiserliches Heer geführt und Siege errungen. Zeige mir der Herr Bruder seine Vollmacht.« »Was soll das heißen.« »Daß ich weiß, daß nicht Ferdinand der Andere sie unterzeichnet hat, sondern – vielleicht der Herr Bruder selber, oder mein alter Freund Eggenberg oder Trautmannsdorf.« »Meine Vollmacht wird der Herr Bruder sehen. Die Kaiserliche Majestät hat sie gezeichnet.« »Werde mir mein Urteil über Euren Auftrag zu bilden wissen. Setze sich der Herr Bruder. Es tut mir leid, ihn zu kränken.« Als sie eine geraume Zeit geschwiegen hatten, brachte wieder stumpf und ruhig der graue Schlick, der die Augen nicht von den Steinfliesen hob, hervor, daß sie sich bereit halten würden die nächsten Tage, die Antwort des Herzogs auf das noch schriftlich anzubringende Ersuchen entgegenzunehmen. Die Herren verabschiedeten sich feierlich.
Wo Friedland gesessen hatte, fanden Trzka und Neumann, die die beiden Herren auf die Diele begleitet hatten, als sie zögernd zur Türe hereintraten, einen bekleideten Körper auf der Bank vor dem Bett, rückwärts gelehnt, den Kopf, das ausgehöhlte Gesicht zurückgebogen. Er brüllte vor Gelächter. In grenzenlosem Schwall. Der Raum tönte, der Herzog erfüllte ihn wie ein Tier mit seinem Geräusch und saß mitten in dem Lärm, den er erzeugte. Fremdartig, monologisch war das Gelächter, daß sie erschreckt und in peinlicher Beschämtheit zur Türe zurückgriffen. Der Kammerdiener brachte den Herzog zu Bett.
Sie setzten sich, wieder eingelassen, um den grünverdeckten Tisch. Aus dem Bett rollte es: »Habt Ihr verstanden, was vorgeht. Sie greifen an die Wiederkehr von Regensburg. Und weil es nicht so leicht geht mit dem Absetzen, ein anderes Plänchen: die Armee ruinieren. Was ist er, der Friedland, wenn er keine Armee hat.« Trzka, sich quer auf die Bank vor dem Bett setzend: »Der Plan soll ihnen vergehen. Es ist der Bayer, der dahinter steckt.« »Recht, Trzka, die Jesuiten und der Bayer, der Hundsfott. Er will wieder hochkommen. Beißen will er mich, weil ich ihm nicht pariert habe. In Zirndorf. Soll ihm der Schwede das Land verwüsten. Nicht Hahn noch Henne soll er drin lassen.« Neumann flehentlich: »Wird Euer Durchlaucht wieder nachgeben?« Er hatte Tränen in den Augen; der Anblick seines Herrn griff ihn an. »Was wieder?« »Vermeine wie zu Regensburg.« Der Herzog böse lachend: »War nicht nachgegeben zu Regensburg. War aufgeschoben bis zum nächsten Male. Bis ich sie haben würde. Der Bayer hatte den Kaiser untergekriegt. Und jetzt ist er eben dabei. Ich – – gebe nicht nach, und wenn mich darüber der Satan mit Zangen in die Hölle holt.« Neumann leise: »Die Armee bleibt, wo sie ist«; sein Gesicht leuchtete. »Ja, eher schmeiße ich sie mit dem Schweden zusammen und wir überziehen gemeinsam den Uranfänger des Krieges, den schlimmen Bayern, es wäre meine Lust.«
Da hatte Trzka einen gesiegelten Bogen an der Tür aufgehoben, der ihm vorher in der Eile aus dem Arm gerutscht war, brachte ihn pfeifend an: »Ah, sieh da. Lest vor, Neumann. Questenberg gab es mir vorhin, er hätte es versäumt bei der Unterhaltung.« Es war die schriftliche Fixierung des kaiserlichen Ansuchens an den Herzog. Klagen über den schlimmen Verlauf des Sommerfeldzuges, über das traurige Schicksal Bayerns, dann Hoffnungen auf baldige Befreiung Regensburgs, die Verlegung der Winterquartiere. Schließlich ein Nachtrag betreffend den Mailänder Gouverneur Feria und die spanischen Truppen: der Herzog zu Feria rücke nach den Niederlanden, wo der Infantin Isabella Hoheit auf den Tod darniederliege und tägliches Ableben zu erwarten sei. Des Herzogs zu Friedland Durchlaucht wurde ersucht, dem heraufziehenden Mailänder und seinen spanischen Truppen nichts in den Weg zu legen und ihn in jeder Weise zu befördern, wenn er auf dem Kriegsschauplatze erscheine. Der Spanier würde einem Wunsch des Königs Philipp zufolge sich dem bedrohten Kurfürsten von Bayern attachieren; man wünsche, Aldringen mit den kaiserlichen Truppen möge nunmehr völlig dem Bayern unterstellt werden.
Wallenstein aufgesetzt, den Kopf eingezogen, der Ausdruck wechselnd zwischen Hohn und Freude. »Wir haben sie bei den Ohren, die tapferen Kriegshelden. Sie haben nicht gewagt, es abzugeben. Es hätte mich zu arg gebissen, meinen sie. Bei den Ohren. Mein alter Questenberg, sieh da.«
Trzka: »Ein trauriges außerordentliches Schelmenstück.«
»Ich will mit den Bestien einmal reden. Witzig genug will ich sein; sie wissen bald nicht, wohin sie den Kopf stecken sollen.«
Der blonde Trzka schmetterte seinen Degen über den Tisch: »Der Spanier dem verruchten Bayern beigesellt. Aldringen dazu.«
»Die Jesuiten wissen, was sie vornehmen. Wenn’s übel ausgeht, finden sie ein anderes Kollegium, der Kaiser aber kein anderes Land. Trzka, du wirst dein kleines Weibchen eine Weile nach Kaunitz schicken müssen. Wir werden einige heiße Wochen bekommen. Sieh an, sie zwingen mich. Sie setzen uns den krummen Feria auf die Nase. Es ist mir keine Freude, ich hatte es anders vor. Ein Wunsch des Königs Philipp, den giftigen Bayern zu unterstützen: haha, das setzen sie mir vor. Der Feria soll sich nicht mißbrauchen lassen, er ist mir unterstellt, er mag es mit mir aufnehmen.« Der Herzog diktierte im Bett den Befehl an den Mailänder, sich seiner Wege zu scheren und nicht unaufgefordert sich in deutsche Kriegshändel zu mischen. Es werde ein deutsches Fähnlein ihm entgegengesandt werden, um ihn den richtigen Weg durch Deutschland und aus Deutschland heraus zu führen. Friedland legte sich zurück: »Die Jesuitenkanaille riecht den Braten.« Neumann, die Schreibtafel ablegend: »Ilow trifft heute ein aus den Quartieren; wir werden ihn orientieren müssen.« »Heiße Wochen, Neumann. Ilow soll das Lager kommandieren.« »Ilow wird sich freuen.«
Der Herzog stellte den beiden Fremden Schlitten zu Fahrten zur Verfügung. Sie machten davon keinen Gebrauch; sie fürchteten, daß sie von den Fahrten nicht lebend heimkommen würden. Theaterspiele lehnten sie ab, suchten, unmerklich von Spionen des Herzogs umgeben, Berührung mit den hohen Offizieren des Lagers. Es erregte die Freude Trzkas und auch des Herzogs, als es schien, die Herren näherten sich besonders dem Grafen Gallas, dem strengen würdigen Mann, der von dem Herzog hoch geehrt war; an ihn ließen sie sie gern heran. Gallas konnte dem spionierenden Trzka dann aber nichts Rechtes von den Unterhaltungen berichten; die beiden Fremden hätten ihn nur über Lagerzucht und wie fest die Kriegsoffiziere und Obersten zu ihrem Feldhauptmann stünden ausgeholt.
Graf Gallas vermeldete nicht, was die beiden kaiserlichen Gesandten ihm auf Zetteln, da sie nicht zu reden wagten vor Lauschern, zugetragen hatten: daß man den zu Friedland einer zweifelhaften Gesinnung zeihe angesichts gewisser zugekommener Nachrichten. Daß man befürchte, er werde sich des Heeres in kaiserfeindlichem Sinne bedienen. Ob man vertrauen könne, daß sich Graf Gallas seines Eides besänne. Diese Zettel waren ein Werk Schlicks, das er zum knirschenden Widerstand Questenbergs unternommen hatte. Wie ein Kind wurde von dem harten engstirnigen Schlick der dicke Questenberg durch das Lager gezerrt; jeder Besuch enthüllte Questenberg mit Schrecken, daß ein feindlicher Geist im Lager und in Pilsen wehte; die sonderbar fremde beobachtende Haltung Trzkas Neumanns Kinskys, besonders dieses Kinsky, der herausfordernd offen in Pilsen sich bewegte, obwohl er verbannt war und der Herzog ihn in Eisen schlagen mußte. »Wir haben einen Unsinn angerichtet, der Herzog wird kopfscheu vor uns gemacht«, stöhnte Questenberg, als der Boden ihm unter den Füßen versank; er sann jemanden zu Hilfe zu rufen, Trautmannsdorf oder Eggenberg. Aber Schlick ging rasch und gnadenlos vor. Dem war alles klar, der kannte nicht Wallenstein, trieb wie ein losgerissenes Floß im Strom, riß Brückenpfeiler ab, schrammte das Ufer, kippte Boote.
In seiner Not um Friedland brachte es Questenberg über sich, den harmlosen freundlichen Grafen Trzka zur Rede zu stellen und insgeheim vieles mit ihm zu durchsprechen. Er gab seiner innigen Liebe zu Friedland Ausdruck; es läge ihm daran, alles ins gleiche zu bringen, man möchte ihm helfen dabei; Trzka sähe doch selbst, daß sich ein Abgrund zwischen dem Herzog und dem Kaiserhause auftun müsse, wenn jedes auf seinem Schein bestehen bliebe. Der andere war auch wirklich gerührt von dem herzlichen Ton des Gesandten, bat nichts zu unternehmen, was den Konflikt verschärfen könnte, er werde sich an den General wenden. Dann aber, wie Trzka schleppend auf dem Weg zu Friedland war, schämte er sich; die Aufgabe war sehr peinlich, er fühlte sich schwach. Dem Questenberg gegenüber schämte er sich seiner Untätigkeit, faselte von Friedlands Geneigtheit nachzugeben; der Kaiserliche freute sich, dankte überströmend; Trzka log sich die Aufgabe vom Leibe.
Und so ließ Questenberg, im Vertrauen auf die vorgehende Versöhnungsaktion, dem bösen wilden Schlick freie Hand, auch gegen Gallas. Er bekam es fertig, hoheitsvoll über diese Aktionen zu lächeln und sich in Vertrauen auf seine Gegenaktion zu wiegen. So von ihm befreit, wütete der stiernackige Schlick im Lager des Friedländers.
Die kühne nacktgesichtige lange Panthergestalt des Feldmarschalls von Ilow ritt aus den böhmischen Landquartieren in Pilsen ein. Die beiden Fremden wichen dem unerhört groben Gesellen aus. Er hatte am gleichen Tag heraus, was im Lager vorging; wollte die beiden beim Kragen nehmen. Das Reiterrecht, protzte er gegen Trzka ab, solle über sie entscheiden.
Der Generalissimus befahl nach seiner Ankunft, die Obersten und anwesenden Generalspersonen zusammenzurufen, unter dem Vorsitz Ilows über das kaiserliche Ersuchen betreffend Verlegung der Winterquartiere und sofortigen Angriffskrieg zu beraten. Der Befehl machte sogar den frechen Ilow blaß. Sein verschnürter Oberleib hing über dem Bett Friedlands; Ilow stammelte, die Obersten werden sich nicht trauen. Friedland: »Die Herren wissen, daß niemand ihnen an den Leib kann als ich und mein Reiterrecht.« »Der Beschluß wird dem Grafen Schlick gemeldet?« »Mir, Herr Bruder. Ihr sollt aber dabei sein, wenn ich den Präsidenten damit abfinde.«
Lange Sprünge Ilows zu Trzka. Zweistimmiger herrischer Jubel, Händedrücken, tanzende Umarmung.
Gallas war mehr Zuschauer bei der abendlichen Beratung und der erfolgenden Ablehnung des kaiserlichen Plans.
In der Abschiedsaudienz ließ Schlick kein Wort von der unerhörten Beleidigung des Kaisers über die Lippen. Einsilbig höflich, scheinheilig freundlich, verabschiedeten sich die Gesandten von Wallenstein, der lag, und seinen steifen herausfordernden Herren. Über den Spanier werde Friedland den Hofkriegsrat schriftlich bescheiden.
Sie hörten nicht, aber sie fühlten, Schlick mit Freude, Questenberg gebrochen, daß der Herzog hinter ihnen den Kopf vom Kissen hob: »Die Herren von der Federprofession werden nicht noch einmal von Wien herüberkommen.« Und wie die Herren meckerten und die Degen bewegten.
DER SPANISCHE Botschafter Oñate ließ nicht die Hand vom Würfelbecher. Er spielte mit den edelsten Herren des Hofes, dem Grafen Wratislaw von Fürstenberg, dem Kammerherrn und Verwalter der kaiserlichen Finanzen Baron Breuner, der niemals Rechnung legen brauchte. Der Hofkanzler Verda von Werdenberg, Graf Johann Baptist, der italienische Emporkömmling, fand sich gelegentlich im spanischen Quartier ein. Der geschmeidige Oñate verlor große Summen. Er hatte auf das ihm zugekommene Schreiben des Gouverneurs von Mailand keinerlei Schritte getan, legte, zu stark von seiner Leidenschaft okkupiert, der ganzen Sache kein Gewicht bei. Feria hatte seinen Befehl aus Madrid, das übrige war militärischer Kleinkram.
Doktor Jesaias Leuker auf die Kunde, daß sich spanisch-italienische Regimenter von Mailand in Bewegung gesetzt hatten, bedrängte den Marquis, daß er dem noch unsicheren Mailänder Mut mache und beschleunigten Anmarsch befehle. Leukers plumpe Methode, dem scharfen hochmütigen Spanier Abneigung gegen den Friedländer durch Zuträgereien einzuflößen, verfing nicht; der große Herr ließ sich von ihm Vortrag im Bad und beim Messeweg halten, durchschaute ihn, hielt ihn schweigend hin. Nur einmal wurde er wild, als Leuker zutraulich von einem spanisch-bayrischen Bündnis anfing; da konnte sich der sehr zeremonielle Mann nicht beherrschen: ob der Rat Leuker ihn für gedächtnisschwach hielte, möchte er doch unter seine Pasteten nicht solche Mucken wirken, er litte genug Strafe, daß er ihn anhören müßte. Der Feria sei ein Narr, daß er sich hier einmische; er werde es ihm bedeuten. Die Durchlaucht in München bedürfe wohl gerade des Mitleidens und Erbarmens, und dazu sei die Krone Spanien gut genug, ihn aus lächerlichem Flennen zu ziehen. Hinge doch sonst so herzlich am König Ludwig, liebte doch früher in Brüssel solch Bündnis nicht. Pfui des Prahlens und der Aufschneiderei. Ein Dutzend Kinder könnten sich an solcher Säugamme vergiften.
Worauf der Bayer klein abzog. Nach Leuker wollte sich der junge Küttner an die Sache begeben. Er war ganz in der Hand Wilhelms von Slawata, der ihn nur für Tage und halbe Wochen aus Wien fortließ zur Berichterstattung bei Maximilian. Der elegante junge Mensch wollte es von sich aus übernehmen, diese kühne Aufgabe zu lösen: Oñate zu beherrschen und den Schlag gegen Wallenstein zu forcieren. Slawata schwankte lange, ob er ihn an den Spanier heranlassen sollte; es war möglich, daß die eigentümliche Süßigkeit Küttners Oñate verführte, ihn anzuhören; aber der Spanier war vom Spiel in diesen verhängnisschweren Tagen ganz hingerissen. Es waren keine Versuche mehr zu machen; der schöne vornehme Slawata setzte sich selbst am Würfeltisch dem Spanier gegenüber.
Sie spielten, ohne die Mienen zu verändern, um steigend hohe Summen. Sofort setzte Slawata mit großen Beträgen ein, er sah, daß sein Partner lethargisch in das Spiel versunken war, daß er spielte, spielte und nur durch Ungeheuerliches aufzureißen war. Die eigentümliche Genußstimmung, in der er diese Wintermonate über war – Küttner war ihm begegnet, den Hof wollte er nicht verlassen, sein Herz war gefesselt –, verstärkte sich jäh vor diesem hageren Gesicht mit den winklig hoch aufgestellten schwarzen Augenbrauen; »erwecken, erwecken!« flutete drängte es in ihm, »wir spielen.«
Als die Würfel immer schlecht für den Böhmen fielen, rang sich der Spanier das Wort ab: »Warum strengt sich Euer Liebden so an? Ihr seid im Nachteil.« »Ich kann in Vorteil kommen.« Ernst der Marquis: »Wie der Herr will.« Wie die Einsätze Slawatas in die Tausende gingen, begann der Spanier zu zögern; er war in Brand, unsicher fragte er den andern: »Was ist mit Euch? Spielen wir oder nicht?« Slawata hörte kaum, was er für Zahlen sagte; er beobachtete nur die Wirkung auf das Gesicht seines Gegners; entzückt lächelte er: »Ich hab’ noch mehr.« Die Lippen sich leckend, zum Sprung gerüstet der Spanier. »Eure Sache, Herr Slawata. Ich bin nicht Euer Vormund.« »Was denkt Ihr von Spanien?« fing Slawata an. »Was ist mit Spanien?« »Es muß schön bei Euch sein. Ich möchte spanischer Botschafter sein.« »Slawata, Herr, was tätet Ihr da anderes als ich?« »Was?« »Spielen.« »Das weiß ich nicht so genau. Also dreitausend.« »Also dreitausend, Herr Slawata. Ihr verspielt Euren Kopf. Da, fünfzehn, Ihr habt verloren.« »Was macht das. Ich verrate meinen Heiland darum nicht. Aber ich wüßte, was ich täte, wenn ich spanischer Botschafter wäre.« »Wieviel?« »Setzt Ihr.« »Dreitausend.« »Dreitausend. Marquis, seid überzeugt, ich säße nicht hier. Keine Minute litte es mich hier.« »Die Böhmen sind allesamt sonderbare Käuze.« »Ich achtete hier auf den Hof.« »Ich achte auf Euch schon gut.« »Was ist auf mich zu achten. Ich verliere so tapfer an Euch. Nein seht, diesmal Ihr.« »So hab’ ich doch recht.« »Eine Ausnahme, Marquis. Also fünftausend.« »Das nehm’ ich nicht an.« »Spielt, Herr Oñate. Gerüttelt, geschüttelt.« »Fünftausend!« »Keinen Heller mehr. Ihr müßt auf den Hof achten, da werdet Ihr noch öfter staunen. Ihr werdet hier nicht mehr lange sitzen.« »Graf Slawata wird sich nicht darum sorgen, wo der spanische Botschafter sitzt, an den er selbst sein Geld verliert.« »Fünftausend.« »Ich spiele nicht fünftausend.« »Also sechstausend, Marquis.« »Ich spiele, Herr Graf, ich versichere, ich spiele.« »Was seid Ihr erregt um meine Habe. Ich bin doch ein Bettler.« »Was ist das?« »Was, Herr Oñate?« »Daß Ihr Bettler seid?« Slawata lachte freundlich: »Ach, Ihr meint, ich hätte schlechtes Geld oder langes. Nein. Es kommt nur nicht drauf an, ob ich etwas noch habe.« »Es bleibt bei sechstausend? Sechstausend Gulden?« »Taler, Marquis.« Oñate ließ den Würfelbecher aus der schlaffen linken Hand unter den Tisch fallen: »Nein.« Ernst, melancholisch der Böhme: »Ich hab’ Euch zu verraten, daß ich spiele. Ich liebe meine Habe nicht wie ein Jüngling, der eine verschleierte Geiß für eine Jungfrau anspricht. Ich bin schon ein Bock zu meiner Geiß.« Mit tiefer Stimme, sich vorbeugend, der Spanier: »Ich bitte um Verzeihung, daß ich Euch so weit verlockt habe.«
Und wie Slawata ruhig ablehnte und weiterzuspielen begehrte, saß der Spanier sehr nachdenklich da, nahm zögernd den Becher wieder auf und fragte ganz heimlich, wieviel also der Herr setzen würde und worauf. Und würfelte dann, ohne den andern es sehen zu lassen, auf einer Tischkante, rasch die Hohlhand über die Würfel deckend; stand momentan auf, mit einer traurigen Miene: »Wir wollen abbrechen.«
Ein sonderbares Geschick fügte es, daß am nächsten Tag Slawata am selben Elbenholztisch im selben Maße Zug für Zug verlor, derart, daß er erschrak, wild und tief erschrak und zur Beschaffung von Geld aufbrach und vom Hofe Urlaub nehmen mußte; er konnte nicht am Hofe erraten lassen, was er trieb. Auf der Fahrt erst kam dem Böhmen die Ungeheuerlichkeit seines Verlustes zu Bewußtsein und betäubte ihn; er mußte in Kürze seinen Stand verlieren. In trüben Gedanken ging er nach Prag und verschaffte sich Gelder; ziellos hing er einige Tage hier, grollte matt sich, dem Friedländer. Er lahmte einmal zu einem Konvent des Adels; wie er die Türklinke berührte, empfand er aber in sich einen Schlag, dunkel stand er vor der Schwelle, sein Kopf hing vor der Brust; er fühlte sich fortgetrieben, gestoßen von der Klinke. Hier war nicht seine Sache, er trieb sein eigenes Spiel. Er ging, mußte seinen Wagen nehmen, reiste schon ab; es kam ihm vor, als ob er wieder zu sich käme; mußte seinen Körper nach Wien fahren. Und unterwegs erwachte er. Es erhob sich in ihm wieder, er fühlte sich gefüllt, ein Leben flutete über seine Brust und Arme. Es gab Küttner, Oñate, den riesigen Herzog Friedland. Er langte in Wien beim Spieltisch des Marquis an. Er war glücklich, dazusitzen und sich ganz zu finden. Als gleich die ersten Züge das Unglück des Grafen anzeigten, suchte der Marquis, zum erstenmal während eines Spiels aufstehend, den ruhigen anderen zu einem Spaziergang oder einer Fechtübung einzuladen.
Oñate setzte sich dann nicht wieder mit Slawata an den Ebenholztisch. Sie wechselten die Tische, die Plätze, er suchte ihn ganz vom Spiel abzubringen. Slawata duldete alles in einer eigentümlichen bittersüßen Beklommenheit. Er fühlte: er fuhr.
Er hatte es bald sehr leicht bei dem Spanier. Slawata sah sich wie ein Kranker behandelt und beschenkt. Er hatte sein halbes Vermögen an den Spanier verspielt, ein dunkles Geschick hatte das vollzogen. Lockenschüttelnd entzückt sah der Böhme den Spanier mit dem olivenfarbenen Gesicht vor sich stehen und über den Tisch aus seinem grünen Beutel klingelndes Gold schütteln, das er ihm aufdrängen wollte. Er konnte es sanft vom Tisch wischen mit dem Unterarm, hatte es nicht darauf abgesehen, der Spanier war schon im Begriff zurückzuzahlen.
Sie sprachen vom Friedländer; er entblößte sich, es war rasch geschehen. »Ihr haßt den Friedländer auch«, fragte mit aufleuchtenden Augen zähnefletschend der Spanier; und Oñate begann von dem schamlosen Bestechungsversuch vor Jahren zu reden, ihn auszuforschen. Er gestand lächelnd, an einer Auffassung der Situation durch die Beteiligung Bayerns gehindert zu sein. Aber man müsse sich wohl auf die Sprünge machen, wenn es so stehe, und dabei pfiff er schon durch die Zähne. Er hatte mit dem ihm wohlgefallenden vornehmen Böhmen noch öfter Unterredungen; es freute ihn, mit dem Böhmen übereinzustimmen, daß Friedland ein böses gefährliches Tier sei, dessen man sich vielleicht von Zeit zu Zeit mit Umsicht bedienen dürfe. Er war sehr begierig, Slawata zu Diensten zu sein.
Nun wurde er mit Leichtigkeit von den Jesuiten belauert, vom Grafen Schlick angegriffen. Der Mailänder Gouverneur erhielt mit einmal, wie er schon zögernd durch die Lombardei marschierte, die leidenschaftlich erregte Anweisung vom spanischen Geschäftsträger in Wien, seinen Weg so zu nehmen, wie ihm vom Grafen Schlick, als dem kaiserlichen Kriegsratspräsidenten, vorgeschrieben werde, insbesondere gute Verbindung mit dem stark gefährdeten bayrischen Kurfürsten zu suchen, auch jeglichen anderen Befehl abzuweisen. Große Beschleunigung der Reise wurde ihm ans Herz gelegt.
Die spanische Armee erklomm in wenigen Tagen das Vorgelände der Alpen, sie durchzog die Pässe bei strengem Frost; die angeworbenen Neapolitaner litten sehr. Nach drei Wochen hatten sie die Paßhöhen überwunden, stiegen nach Deutschland herunter.