KAPITEL 10

Ohne mich umzudrehen, wusste ich, zu wem die Stimme gehörte.
»Hi, Craig«, murmelte ich mit möglichst wenig Lippenbewegung. Aber Neil und Jorge waren sowieso in ein Gespräch über Getränkeabrechnungen vertieft und achteten nicht auf mich.
»Aha.« Craig setzte sich auf den Barhocker neben mir. »So arbeiten Mittler also? Sie ruinieren sich die Füße und leiern dann den Geschwistern Verstorbener eine Heimfahrt aus dem Kreuz?«
»Nein, normalerweise läuft das anders«, raunte ich leise.
»Oh.« Craig spielte mit einer Packung Streichhölzer herum, die auf der Theke gelegen hatte. »Ich hatte mich schon gewundert. Echt tolle Methoden hast du drauf. Hast dir ein regelrecht himmlisches Programm ausgedacht, um meinen Fall zu lösen, was?«
Ich seufzte. Nach allem, was ich heute durchgemacht hatte, war ein toter Typ, der auf Scherzkeks machte, so ziemlich das Letzte, was ich gebrauchen konnte.
Aber verdient hatte ich seinen Sarkasmus schon.
»Und, wie geht es dir?«, fragte ich betont leichthin. »Ich meine, wie kommst du jetzt klar, mit dem Totsein und so?«
»Ach, das ist einfach großartig«, sagte Craig. »Ich genieße jeden Augenblick.«
»Du wirst dich schon noch dran gewöhnen.« Meine Gedanken wanderten zu Jesse.
»Aber klar doch«, sagte Craig und starrte zu Neil hinüber.
Das hätte mich stutzig machen sollen. Aber ich war zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt, vor allem mit meinen Füßen.
Neil reichte Jorge sein Klemmbrett, gab ihm die Hand und wandte sich dann mir zu.
»Und, bist du soweit, Susan?«, fragte er.
Ich machte mir nicht die Mühe, ihm mitzuteilen, wie ich wirklich hieß, sondern nickte nur und glitt vom Barhocker. Ich musste nach unten schauen, um sicherzugehen, dass meine Füße auch wirklich am Boden angekommen waren, denn spüren konnte ich sie ja nicht mehr.
»Mann, da hast du dir ja echt was eingebrockt«, sagte Craig.
Aber anders als sein Bruder schlang er mir hilfsbereit einen Arm um die Taille und begleitete mich zur Tür, wo Neil mit dem Autoschlüssel in der Hand auf mich wartete.
Ich muss ziemlich merkwürdig ausgesehen haben, als ich so auf ihn zukam – krumm und windschief, weil halb auf Craig gestützt, was Neil aber natürlich nicht sehen konnte.
»Ähm … Susan … Bist du sicher, dass du gleich nach Hause willst? Vielleich sollte ich dich doch erst mal ins Krankenhaus fahren …«
»Nein, nein«, wehrte ich ab. »Mir geht’s gut.«
»Klar, supergut«, kicherte Craig mir ins Ohr.
Mit seiner Hilfe schaffte ich es dann bis zu Neils Auto – ein BMW-Cabrio, genau wie bei Paul. Nur dass Neils Wagen ein gebrauchter zu sein schien.
»Hey!«, schrie Craig, als er den fahrbaren Untersatz erblickte. »Das ist mein Auto!«
Die natürliche Reaktion eines Typen, der feststellt, dass jetzt jemand anderer seinen Wagen fährt. Auch Jake hätte dasselbe gesagt.
Craig unterdrückte seine Empörung zumindest lange genug, um mir auf den Beifahrersitz zu helfen. Ich wollte ihn schon dankbar anlächeln, als er plötzlich hinten auf den Rücksitz kletterte. Aber selbst jetzt kam mir das Ganze nicht merkwürdig vor. Ich nahm an, Craig wollte einfach mitfahren. Warum auch nicht? Soweit ich wusste, hatte er schließlich nichts Besseres zu tun.
Neil startete den Motor, und sofort erschallte Kylie Minogue aus dem CD-Player.
»Unglaublich, dass er diesen Müll hört«, keifte Craig angewidert vom Rücksitz aus. »Und zwar in meinem Wagen.«
»Ich mag Kylie«, entgegnete ich.
Neil sah mich an. »Wie bitte?«
Oh Mann. »Ach nichts«, sagte ich hastig.
»Okay.«
Ohne ein weiteres Wort – sehr viel Wert schien er auf die Kunst der Konversation nicht zu legen – fuhr Neil das Auto vom Parkplatz des Sea Mist Cafés und bog auf den Scenic Drive ein, Richtung Altstadt von Carmel. Dort mussten wir auf dem Weg zu mir nämlich durch. Die Altstadt zu durchfahren, war nie so leicht, weil sie immer voller Touristen war, und Touristen wissen nie so recht, wo sie hinsollen, weil die Straßen weder über Straßenschilder noch über Ampeln verfügen.
Ganz besonders gefährlich ist eine Fahrt durch die Altstadt von Carmel-by-the-Sea dann, wenn man zufällig einen Geist mit Mordabsichten auf dem Rücksitz hat.
Das fiel mir natürlich nicht sofort auf. Ich konzentrierte mich nämlich erst darauf, meine Mittler-Rolle mal auf ganz andere Art und Weise zu spielen – indem ich vermittelte. Ich dachte, wenn ich die beiden Brüder schon so eng beisammenhätte, könnte ich doch genauso gut versuchen, sie irgendwie zu versöhnen. Wobei ich zu der Zeit keine Ahnung hatte, wie miserabel die Beziehung zwischen den beiden mittlerweile wirklich war.
»Ähm … Neil …«, setzte ich an, während wir in beachtlichem Tempo den Scenic Drive entlangbrausten. Der Meerwind zerrte an meinen Haaren, was sich nach der ewigen Hitze, die ich heute hatte ertragen müssen, richtig gut anfühlte. »Ich hab das mit deinem Bruder gehört. Tut mir echt leid.«
Neil wandte den Blick nicht von der Straße ab, aber ich sah, wie er das Lenkrad fester umklammerte.
»Danke«, sagte er leise.
Es gilt ja gemeinhin als unhöflich, sich in die Privattragödien anderer Leute einzumischen, vor allem wenn die Opfer dieser Tragödien das Gespräch nicht von sich aus angefangen haben, aber für einen Mittler gehört Unhöflichkeit nun mal zum täglichen Geschäft. »Muss wirklich schlimm gewesen sein, da draußen auf dem Boot und so …«
»Katamaran«, verbesserten mich Neil und Craig wie aus einem Munde – Neil geduldig, Craig verächtlich.
»Auf dem Katamaran«, sagte ich. »Wie lange musstest du gleich noch mal im Wasser ausharren? Acht Stunden oder so?«
»Sieben«, antwortete Neil leise.
»Sieben Stunden«, wiederholte ich. »Das ist lang. Und das Wasser war bestimmt sehr kalt.«
»Ja.« Der Typ war wirklich extrem wortkarg. Aber davon ließ ich mich nicht beirren.
»Dein Bruder soll ja ein super Leistungsschwimmer gewesen sein«, fuhr ich fort.
»Da hast du verdammt recht«, sagte Craig vom Rücksitz. »Ich war landesweiter …«
Ich hielt Ruhe gebietend eine Hand hoch. Craig war im Moment nicht derjenige, dessen Meinung mich interessierte.
»Super Schwimmer, super Segler …« Neils Stimme war kaum lauter als das Schnurren seines BMW-Motors. »Egal was – Craig konnte alles besser als jeder andere.«
»Siehst du?« Craig beugte sich zu mir vor. »Er hätte sterben sollen, nicht ich! Er gibt es selber zu!«
»Pst«, zischte ich Craig zu. »Das muss viele ziemlich überrascht haben«, wandte ich mich wieder an Neil. »Ich meine, dass du den Unfall überlebt hast und dein Bruder nicht.«
»Überrascht? Ich würde es eher enttäuscht nennen«, murmelte Neil gerade laut genug, dass ich ihn hören konnte.
Und Craig auch.
Der lehnte sich mit einem triumphierenden Lächeln zurück. »Sag ich doch.«
»Ich bin sicher, deine Eltern hat Craigs Tod schwer getroffen«, sagte ich, ohne auf den Geist hinter mir zu achten. »Du musst Geduld mit ihnen haben, Neil. Aber sie sind bestimmt glücklich, dich nicht auch noch verloren zu haben. Das weißt du.«
»Nein, sind sie nicht«, widersprach Neil unbewegt, als würde er nur über den blauen Himmel sprechen. »Sie haben Craig mehr geliebt als mich. Jeder hat Craig mehr gemocht als mich. Ich weiß, was sie denken, was alle denken. Dass es mich hätte treffen müssen. Ich hätte sterben sollen, nicht Craig.«
Wieder beugte sich sein Bruder nach vorn. »Siehst du? Er sagt es selber. Er hätte hier hinten sitzen sollen, nicht ich.«
Aber im Augenblick interessierte mich der lebende Bruder mehr als der tote. »Neil, das kannst du doch nicht ernst meinen.«
»Warum denn nicht?« Neil zuckte mit den Schultern. »Ist doch die Wahrheit.«
»Nein, ist es nicht«, beharrte ich. »Es gibt bestimmt einen Grund dafür, dass du überlebt hast und Craig nicht.«
»Ach was«, entgegnete Neil trocken. »Der alte Herr da oben hat einfach was durcheinandergebracht.«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht. Craig hat einen Schlag auf den Kopf bekommen. Daran hat es gelegen, schlicht und einfach. Es war ein Unfall, Neil. Ein Unfall, an dem dich keinerlei Schuld trifft.«
Für einen Moment sah Neil aus, als wäre plötzlich über ihm die Sonne aufgegangen – nach endlosen Monaten voller Regen. Als könne er kaum glauben, was er da hörte.
»Meinst du wirklich?«, fragte er.
»Absolut«, antwortete ich. »Ganz genau so sehe ich die Sache.«
Während das Neils Tag – oder seine ganze Woche – aufgehellt zu haben schien, runzelte Craig auf dem Rücksitz jedoch finster die Stirn.
»Was soll das?«, brummte er. »Er hätte sterben müssen! Nicht ich!«
»Anscheinend ja nicht«, sagte ich so leise, dass nur Craig mich hören konnte.
Aber das war wohl nicht das gewesen, was er hätte hören wollen. Zwar war es die Wahrheit, aber die schien Craig ganz und gar nicht zu gefallen. Kein bisschen.
»Wenn ich schon tot sein muss«, zischte er, »dann soll er das auch sein.«
Damit stürzte er nach vorn und griff ins Lenkrad.
Wir fuhren gerade eine besonders malerische Straße entlang, die von Bäumen beschattet und von unzähligen Touristen bevölkert wurde. Kunstgalerien und Quilt-Läden – die meine Mutter liebte und ich wie die Pest mied – reihten sich links und rechts der Straße aneinander. Wir krochen im Schneckentempo voran, denn vor uns tuckerte ein Wohnmobil vor sich hin, und vor dem wiederum ein Reisebus.
Aber als Craig ins Lenkrad griff, wurde das Heck des Wohnmobils mit einem Schlag riesengroß – und zwar weil Craig es gleichzeitig geschafft hatte, ein Bein nach vorne zu schwingen und seinen Fuß über den von Neil aufs Gaspedal zu rammen, was Neil aber nicht spüren konnte. Er wusste nur, dass er nicht aufs Gas getreten war. Hätte Neil nicht sofort reagiert, indem er den anderen Fuß auf die Bremse stemmte, und hätte ich nicht ebenfalls reagiert, indem ich das Lenkrad hart zurückriss, wir wären sicher dem Wohnmobil hinten reingekracht, oder schlimmer noch, in einen dichten Touristenpulk, was nicht nur uns, sondern auch eine Handvoll Unschuldiger ins Jenseits befördert hätte.
»Was soll der Scheiß?«, brüllte ich Craig an.
Neil bezog die Frage natürlich auf sich und antwortete mit zittriger Stimme: »Das war ich nicht, ich schwör’s. Das Lenkrad hat sich plötzlich zur Seite gedreht, ich hab gar nichts gemacht …«
Aber ich hörte ihm nicht zu, sondern schrie weiterhin Craig an, der anscheinend genauso durch den Wind war wie sein Bruder. Er starrte auf seine Hände, als hätten sie das Lenkrad ganz ohne sein Zutun herumgerissen.
»Mach das nie, nie wieder!«, kreischte ich. »Nie wieder! Verstanden?«
»Tut mir leid«, rief Neil. »Aber es war nicht meine Schuld. Ehrlich!«
Craig stieß einen jämmerlichen kleinen Seufzer aus – und verschwand. Einfach so. Er dematerialisierte sich und ließ Neil und mich allein in der Tinte sitzen.
Was eigentlich gar nicht so schlecht war. Ich meine, wir waren mittlerweile mitten auf der Straße stehen geblieben, und unser Gekreische hatte zusätzlich dazu beigetragen, dass uns jetzt Dutzende von Augenpaaren anstarrten. Zum Glück waren wir unverletzt – und die Leute da draußen auch. Wir hatten das Wohnmobil nur ganz leicht angetippt. Eine Sekunde später setzte es sich in Bewegung, und wir folgten seinem Beispiel mit wild pochendem Herzen.
»Ich muss den Wagen unbedingt mal zur Inspektion bringen«, sagte Neil und umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. »Vielleicht ist ein Ölwechsel fällig oder so.«
»Oder so.« In meinen Ohren rauschte das Blut. »Gute Idee. Vielleicht solltest du eine Weile lieber mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.« So lange, bis ich weiß, was ich mit deinem Bruder anstellen soll, fügte ich in Gedanken hinzu.
»Ja. Wäre vielleicht besser«, entgegnete Neil matt.
Wie es Neil ging, als wir schließlich vor meinem Haus hielten, weiß ich nicht, aber ich für meinen Teil stand ziemlich neben der Spur. Der Tag war echt ein Knaller gewesen. Es kam nicht oft vor, dass ich innerhalb von ein paar Stunden einen Zungenkuss verpasst bekam und einen Mordversuch überlebte.
Trotz meiner eigenen Verwirrtheit hatte ich jedoch das Bedürfnis, etwas zu Neil zu sagen. Etwas, was ihm das schlechte Gewissen erleichterte, überlebt zu haben, während sein Bruder tot war. Und ihn gleichzeitig wachsam machte im Hinblick auf Craig, der bei seinem Verschwinden eben wütender denn je gewirkt hatte.
Aber mir fiel einfach nichts ein, und am Ende brachte ich nur ein lahmes »Also … Dann danke fürs Heimfahren« heraus.
Na super. Danke fürs Heimfahren. Kein Wunder, dass ich nie für eine Goldene Mittler-Medaille nominiert worden war.
Aber Neil schien mir sowieso kaum zuzuhören. Es kam mir vor, als wollte er mich so schnell wie möglich loswerden. Und ich konnte es ihm nicht verdenken. Ich meine, welcher College-Typ will schon auf Dauer mit einer durchgeknallten Sechzehnjährigen geschlagen sein, die mit riesigen Blasen an den Füßen in sein Auto steigt? Ich kenne jedenfalls keinen.
Ich war kaum ausgestiegen, da sauste er auch schon unsere dicht beschattete, von Kiefern gesäumte Zufahrt wieder hinunter, offenbar unbeeindruckt von der Tatsache, dass er gerade erst an einem Unfall vorbeigeschrammt war.
Oder vielleicht war er auch so erleichtert darüber, mich losgeworden zu sein, dass es ihm egal war, was mit ihm und seinem Wagen passieren konnte.
Auf jeden Fall war er im Handumdrehen verschwunden und ich stand da und hatte den langen, langen Weg bis zur Tür vor mir.
Keine Ahnung, wie ich es schaffte. Ich hab echt keine Ahnung. Langsam – so langsam wie eine greisenhafte Oma – kroch ich die Stufen zur Veranda hoch und trat durch die Tür.
»Ich bin wieder da!«, rief ich für den Fall, dass es jemanden interessieren sollte. Aber nur Max kam auf mich zugerannt und beschnupperte mich überall, weil er wohl hoffte, ich hätte Leckerchen in den Taschen versteckt. Da ich keine hatte, verzog er sich bald wieder, und ich musste den Weg zu meinem Zimmer hinauf alleine schaffen.
Schritt für Schritt quälte ich mich die Treppe hoch. Es muss mindestens zehn Minuten gedauert haben. Normalerweise hüpfe ich in Nullkommanix da hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Nicht so an diesem Tag.
Sollte ich jemand anderem als Max über den Weg laufen, würde ich eine ganze Menge zu erklären haben, das wusste ich. Aber derjenige, den ich jetzt am allerwenigsten gebrauchen konnte, würde garantiert derjenige sein, den ich als Allerersten zu Gesicht bekam: Jesse nämlich. Sehr wahrscheinlich, dass er in meinem Zimmer war, wenn ich hineinhumpelte. Er würde ganz sicher nicht verstehen, was ich in Paul Slaters Haus zu suchen gehabt hatte. Und es würde sicher auch nicht leicht werden, ihm zu verheimlichen, dass ich gerade mit einem anderen Typen Zungenfechten gespielt hatte.
Und dass ich es sogar irgendwie genossen hatte.
Das war alles Jesses Schuld, redete ich mir ein, als ich die Hand auf den Türknauf legte. Dass ich losgezogen war und mit einem anderen herumgeknutscht hatte. Denn hätte Jesse in den vergangenen Wochen auch nur einen Hauch von Zuneigung mir gegenüber gezeigt, hätte ich nie auch nur im Traum dran gedacht, Pauls Kuss zu erwidern. Nie im Leben.
Ja, genau. Es war alles bloß Jesses Schuld.
Was ich ihm natürlich niemals sagen würde. Wenn es sich irgendwie machen ließ, würde ich nicht einmal Pauls Namen erwähnen. Ich musste mir irgendeine Lügengeschichte ausdenken, um meine geschundenen Füße zu erklären …
… und meine aufgeplatzten Lippen.
Aber als ich die Tür zu meinem Zimmer aufmachte, war Jesse nicht da. Puh, Erleichterung. Spike saß auf dem Fenstersims und putzte sich. Sein Herrchen war nirgends zu sehen. Dieses eine Mal ausnahmsweise nicht.
Halleluja.
Ich schleuderte Tasche und Schuhe zu Boden und eilte ins Badezimmer. Im Moment war nur eines wichtig: mir die Füße zu waschen. Vielleicht mussten sie nur mal kräftig geschrubbt werden. Wenn ich sie lange genug in eine schöne, warme Seifenlauge tunkte, vielleicht würde ich dann auch wieder Gefühl in ihnen kriegen …
Ich drehte die Wasserhähne der Badewanne voll auf, steckte den Stöpsel ein, setzte mich auf den Rand und schwang meine Beine unter Schmerzen in die Wanne und ins warme Wasser.
Die ersten zwei Sekunden war es herrlich. Die reinste Wohltat.
Dann drang das Wasser an meine aufgeschürften Blasen und ich klappte vor Schmerzen regelrecht zusammen. Nie wieder!, schwor ich und umklammerte den Badewannenrand, um bloß nicht ohnmächtig zu werden. Nie wieder Designerschuhe. Von jetzt an würde ich nur noch flache Treter tragen, egal wie hässlich die waren. Kein noch so guter Look war diese Leiden wert.
Nach einigen Minuten war der Schmerz soweit abgeklungen, dass ich einen ersten Anlauf mit Seife und Schwamm wagen konnte. Erst nach fünf Minuten, als ich mich durch die letzte Schmutzschicht gerubbelt hatte, erhielt ich die Antwort auf die Frage, warum ich in den Fußsohlen kein Gefühl mehr hatte: Sie waren übersät – ja, wirklich übersät – mit riesigen roten, teilweise blutgefüllten Brandblasen, die mit jeder Minute größer wurden. Entsetzt wurde mir klar, dass es Tage, wenn nicht gar eine Woche dauern würde, bis die Schwellungen abgeklungen sein würden und ich wieder normal laufen oder gar in Schuhe schlüpfen konnte.
Ich saß da und verfluchte Paul Slater aus tiefster Seele – neben Jimmy Choo -, als ich plötzlich hörte, wie auch Jesse einen Fluch ausstieß, der mir, obwohl er auf Spanisch war, regelrecht in den Ohren brannte.