– Wie gesagt. Die können mich am Arsch lecken.

Sie wirft die Arme in die Luft.

Fett, Mann!

Sie nimmt die Arme wieder runter und vergräbt sich in den Kissen.

– Das ist voll fett.

Ich blicke zu den Sternen auf und schaue ihr dann ins Gesicht.

– Was wirst du jetzt machen?

Sie schüttelt den Kopf.

– Also, hm. Ich bin total abgebrannt. Ich muss mir Geld ziehen. Dann gehe ich mit Sela shoppen. Als Dankeschön. Und danach – keine Ahnung. Sie hat gesagt, ich darf so lange bleiben, wie ich will. Aber ich fahr lieber nach Hause. Nur mal Hallo sagen. Dass sich keiner mehr Sorgen macht. Und wenn da alles klar ist, kann ich wieder auf Tour gehen. Aber ich will erst ein bisschen Kohle zusammenkratzen. Vielleicht darf ich bei Sela wohnen. Den ganzen Sommer lang. Das wäre voll cool. Sie ist so krass. Ich will mit ihr trainieren. Dann bin ich fit und zäh, wenn die Schule wieder anfängt.

– Toller Plan.

Ich stehe wieder auf. Sie schält sich aus den Kissen.

– Schaust du mal wieder vorbei? Bist du oft bei Sela?

– Eigentlich nicht.

– Okay.

Sie fällt wieder auf die Kissen zurück.

– Cool. Wie auch immer.

– Ja.

– Hey. Darf ich den haben?

Sie deutet auf die halbe Handschelle, die noch immer meinen Unterarm ziert. Ich hole einen Dietrich aus meinem Mäppchen. Handschellen sind leicht zu öffnen. Dann hocke ich mich wieder hin.

– Streck deinen Arm aus.

Sie streckt ihn aus. Ich halte ihr den geöffneten Ring hin.

– Du musst mir was versprechen.

Sie nickt.

– Wenn du nach Hause kommst, werden dir viele Leute viele Fragen stellen. Lass mich aus der Geschichte raus. Wer auch immer dich fragt, deine Eltern oder so: Ich war nicht dabei.

– Okay.

– Versprich es.

– Okay.

– Und halt dich dran.

Ja doch.

– Gut.

Ich lasse den Ring um ihr Handgelenk einschnappen. Sie schaut ihn sich an.

– Geil.

Dann gehe ich. Sela hält mir die Tür auf.

– Wie lange soll ich sie hierbehalten?

Ich deute auf den Fernseher.

– Wenn sie morgen die Nachrichten sieht, wird sie sowieso erst mal nach Hause gehen.

– Warum?

– Weil ihre Eltern dann tot sind.

– Hast du was damit zu tun?

Ich denke an Marilee, die ich getötet habe, und Horde, bei dem ich leider zu spät kam.

– Ich wollte, es wäre anders gelaufen.

Sela nickt. Lange Dreads fallen über ihre Schultern.

– Wird’s Ärger geben?

– Nicht für dich. Sie mag dich.

Sie tippt mit einem ihrer rubinrot lackierten Fingernägel gegen meine Brust.

– Und was ist mit dir?

Ich trete hinaus auf den Flur.

– Schwester, sie kennt noch nicht mal meinen Namen.

 

Auf dem Weg nach Hause hole ich mir bei Nino’s eine Pizza. Eine große Peperoni, kein Knoblauch. Dann gable ich noch ein Sixpack und ein paar Päckchen Luckies auf. Daheim sperre ich hinter mir ab und schalte die Alarmanlage ein. Nicht, dass es gegen Predos Jungs helfen würde. Oder gegen Daniels Geist. Aber das ist mir im Moment scheißegal. Ich gehe nach unten, setze mich aufs Bett und schalte CNN ein. Ich verdrücke die ganze Pizza und habe immer noch Hunger. Im Kühlschrank im ersten Stock finde ich Reste von chinesischem Essen und pfeife mir das auch noch rein. Das verschafft mir ein gewisses Völlegefühl im Magen. Der andere Hunger, der richtige Hunger, ist noch da. Aber schließlich ist er immer da, da kann ich auch noch einen Tag warten. Ich verfolge die Nachrichten und trinke Bier. Dann geht mir das Bier aus und ich sitze im Dunkeln vor dem Fernseher und rauche.

Sie bringen es um sechs Uhr morgens. Über den Bildschirm flimmern die Fotos eines verknautschten, ausgebrannten Jaguars. Es sieht genauso dramatisch aus, wie Predo es prophezeit hat. Man hat das Auto in den frühen Morgenstunden auf einer leeren Straße neben dem Highway 27 gefunden.

Der Nachrichtensprecher erklärt, die Autobahn sei zu diesem Zeitpunkt kaum befahren gewesen und es gäbe keine Zeugen. Die Feuerwehr hätte den Wagen bereits völlig ausgebrannt vorgefunden. Glücklicherweise sei jedoch das Nummernschild abgebrochen und von den Flammen verschont worden. Das Auto gehörte einem gewissen Dr. Dale Edward Horde. Allem Anschein nach hatten er und seine Frau spontan beschlossen, zu ihrem Anwesen in den Hamptons zu fahren.

 

Als ich wieder aufwache, berichten sie gerade, dass es sich bei den Insassen des Wagens unzweifelhaft um die Hordes handelt. Ihre Tochter wird vermisst. Anschließend gibt es ein großes Palaver, weil ein paar Aasgeier von der Presse die Story für zu gut halten, um wahr zu sein. Dann kommt die Meldung, dass sich Amanda bei der Polizei gemeldet hat. Sie war vor einer Woche weggelaufen und hat es eben erst aus dem Fernsehen erfahren. Als sie die Polizeistation wieder verlässt, wird sie von einer ganzen Armee von Bodyguards, Anwälten und Kameramännern begleitet. Sie gilt jetzt schon als der reichste Teenager New Yorks.

Ich schalte den Fernseher aus und rauche eine.

 

Am Abend kommt ein Paket für mich. Es wird von einem privaten Kurierdienst gebracht, der keine Unterschrift von mir haben will. Ich trage das Paket in den Keller und ziehe eine Styroporschachtel aus der Kartonverpackung. In der Schachtel sind ein paar Kühlelemente und ungefähr fünf Liter Blut. Sowie ein Zettel:

 

Als Entgelt für geleistete Dienste.

D. Predo

 

Ich nehme einen der Blutbeutel heraus und denke an die Droge, die Horde mir im Cole verpasst hat. Es war wohl doch nicht Predo, der mich außer Gefecht setzen wollte, um meinen Vorrat zu klauen. So viel weiß ich inzwischen. Wahrscheinlich war es Hordes Idee. Vielleicht wollte er mich umbringen, oder er hatte vor, mich so lange unschädlich zu machen, bis sein Leibwächter und Predos Gorilla ihre Arbeit erledigt hatten. Scheiße, möglicherweise wollte er auch nur sehen, wie das Vyrus auf das Zeug reagiert. Ich betrachte das Blut und überlege, was noch alles in dem Beutel sein könnte. Dann leere ich ihn. Und noch zwei. Danach ist es mir so was von egal, was Predo, Terry oder Daniel für Pläne schmieden; oder ob Amanda den Cops was über mich erzählen wird oder nicht. Mir ist einfach alles nur noch scheißegal.

Im Moment zumindest.

Hätte Predo das Blut vergiftet, wäre er mich jetzt los. Hat er aber nicht. Mit solchem Kleinkram kann er sich im Moment nicht abgeben. Bald wird er alle Hände voll zu tun haben, die Horde-Sache zu regeln und aufzupassen, dass nichts an die Presse dringt. Danach wird er sich um das Gebiss kümmern müssen. Er wird alles daran setzen, es zu zerstören oder zu verhindern, dass es in Terrys Hände fällt. Nur blöd für ihn, dass Terry es bereits hat.

Terry hat’s sofort kapiert. Ich habe ihm erzählt, wozu die Zähne gut sind, und das reichte ihm. Die Geschichte dazu wollte er gar nicht hören und auch keine Namen. Ich musste nicht mal Predo erwähnen. Für Terry war klar: Es gibt nur einen Grund, dass jemand so ein Ding herstellt, und nur einen Clan, der daran Interesse hat. Er wird sich gut überlegen, was er mit dem Gebiss macht. Und ihm wird was Besseres einfallen als simple Erpressung. Predo wird auf keinen Deal eingehen, bei dem er das Gebiss nicht zurückbekommt. Aber er hat nichts, wogegen er es eintauschen kann.

Terry könnte das Gebiss den anderen Clans zeigen. Wenn er das tut, bricht ein Krieg aus. Ein Krieg, den wir nicht mehr vor der Welt verheimlichen können. Ein Krieg, von dem Terry behauptet, dass er ihn nicht will. Also wird er lange, lange drauf sitzen bleiben und auf die richtige Gelegenheit warten.

Ich bezweifle, dass ich lange genug lebe, um die ganze Scheiße noch mitzukriegen. Hoffentlich nicht.

 

Das Vyrus heilt mich. Der Schorf fällt ab, und das weiße Narbengewebe darunter verwandelt sich in gesunde Haut. Meine Eingeweide flicken sich wieder zusammen. Es kostet mich drei Liter und ein paar Tage, aber dann bin ich wieder ganz der Alte. Zeit, die Geschichte zu Ende zu bringen.

 

Am Sonntag verlasse ich um Mitternacht das Haus.

Ich schaue auf einen Sprung ins Niagara Falls. Billy steht hinter der Bar.

– Joe, was gibt’s Neues?

– Nichts, was diese Bezeichnung wirklich wert wäre.

– Na gut. Ein Drink?

– Ja.

Er gibt mir einen doppelten Bourbon.

Ich nehme einen Schluck.

– Philip?

Er deutet mit dem Daumen ins Hinterzimmer.

– Ist grad an mir vorbeigeschlichen, das Wiesel.

– Hast du bekommen, was er dir noch schuldet?

– Nö.

Irgendjemand schreit nach Billy. Er zeigt ihm über die Schulter hinweg den Finger.

– Leck, mich, Arschloch! Halts Maul oder ich polier dir die Fresse.

Der Typ hält das Maul. Ich kippe den Rest Bourbon. Billy schenkt nach und klopft auf den Tresen. Ich hebe mein Glas.

– Danke. Und jetzt besorg ich dir deine Kohle.

– Klar, Joe. Wär’ aber nicht unbedingt nötig.

– Ist mir ein Vergnügen.

Ich gehe ins Hinterzimmer und nehme mir vor, mich nicht aufzuregen. Cool bleiben. Ich will nicht, dass Billy in seiner Schicht Ärger bekommt. Dann sehe ich ihn. Er quasselt auf ein Mädchen ein, das ihr Bestes tut, um ihn zu ignorieren.

Nicht aufregen klappt nicht.

Ich stelle mich hinter ihn und trete ihm den Stuhl unterm Arsch weg. Er geht zu Boden, und das Mädchen stößt einen spitzen Schrei aus. Ich packe ihn am Kragen und zerre ihn ins Klo. Dann trete ich die Tür hinter uns zu und drücke ihn auf eine der Toilettenschüsseln. Sein dünner Arsch rutscht durch die Brille und taucht ins Wasser. Seine Beine heben vom Boden ab. Als er sich befreien will, ramme ich ihn noch fester rein.

– Wollen mal sehen, ob du durch das Rohr passt.

– Nein.

– Dann beweg dich nicht.

– Klar, Joe. Kein Problem, Joe.

– Halt’s Maul.

Ich greife mir eine halb volle Rolle Klopapier vom Waschbecken.

– Wenn du auch nur ein Wort sagst, stopf ich dir das ins Maul.

Er nickt.

Ich lasse das Klopapier fallen und schlage ihm ins Gesicht. Seine Nase bricht.

– Ich hab dir gesagt, dass du Billy sein Geld geben sollst.

Ich schlage ihn noch mal, sodass sein Kiefer kracht.

– Oder ich mach dich fertig.

Ein weiterer Schlag, und seine Backe platzt auf.

– Und jetzt mach ich dich fertig.

Ich packe ihn an der Tolle und reiße seinen Kopf nach oben, damit er mir ins Gesicht sehen kann.

– Von jetzt an tust du, was ich dir sage, Phil. Wenn du mich noch mal verarschst, verfütter’ ich dich an einen Scheißzombie. Kein Scheiß, Phil. Ich steck dich mit einem Zombie in eine Holzkiste und schau zu, wie er deine Scheißvisage auffrisst. Und dazu mampfe ich Popcorn. Verstanden?

Er nickt wie wild.

– Jetzt gib mir das Geld.

Er ist zu groggy, um in seine Tasche zu greifen. Ich ziehe ihn aus der Schüssel und reiße ihm die Hosentaschen auf. Ich nehme das Bündel Geldscheine und setze ihn wieder auf die Schüssel.

– Hier unten bin ich die harte Sau, Phil. Predo ist weit weg auf der Upper East Side, und das hier ist mein Revier. Denk dran, wenn du das nächste Mal für die Koalition rumschnüffelst. Von jetzt an wirst du eine Scheißangst vor mir haben. Und sollte die mal nachlassen, dann kann ich da schnell abhelfen.

Ich verlasse das Klo und werfe das Geld auf den Tresen. Billy hebt es auf.

– Joe, mit so viel war er gar nicht in der Kreide.

Ich gehe zur Tür. Mein Herz schlägt immer noch wie wild.

– Behalte es. Ach übrigens – dein Klo ist verstopft.

 

Sie bemerkt mich, als ich reinkomme, ignoriert mich aber. Obwohl sie mitkriegt, dass ich an der Bar sitze, bedient sie nur am anderen Ende der Theke. Dann bestellt jemand neben mir ein Bier, und sie muss wohl oder übel zu mir rüberkommen. Sie gibt dem Typen sein Bier und schaut mich an.

– Ja?

– Ein Bier.

Sie zieht eins aus der Kühltruhe, macht es auf und stellt es vor mich hin. Ich nehme einen Schluck.

– Danke.

Sie nickt.

– Vier Dollar.

Ich lege einen Fünfer auf die Theke. Sie nimmt ihn mit zur Kasse, bringt einen Dollar Wechselgeld zurück und knallt ihn vor mich hin. Dann schaut sie zur Band und tut so, als würde sie dem Bluegrass zuhören.

– Baby.

Sie starrt die Band an.

– Baby.

Sie dreht sich zu mir um, die Arme vor der Brust verschränkt.

– Ja?

– Nach der Arbeit schon was vor?

Sie schaut in die Kühlbox.

– Tolle Anmache, Joe.

– Baby, es ist nichts passiert.

Ihr Kopf fährt hoch.

– Hab ich dich das gefragt? Geht mich ja wohl nichts an. Ich hab dir gesagt, wenn du jemand ficken willst, dann tu’s. Würde mich nicht wundern.

– Ich hab niemanden gefickt.

– Ist mir scheißegal.

Ich nehme einen Schluck.

– Toll. Alles klar.

Sie legt ihre Hände auf den Tresen.

– Joe. Es ist mir wirklich egal.

Sie beugt sich zu mir vor.

– Ich kann dich nicht ficken. Ich werd dich nie ficken. Wenn du ficken willst, ist das okay für mich. Aber...

Sie verschränkt wieder die Arme und hört sich die Band an.

– Aber was, Baby?

Sie sieht weg.

– Aber Dienstagabend ist unser Abend, und du hast mir erzählt, dass du unglaublich beschäftigt wärst, und dann fickst du einfach eine andere. Eine andere mit einer Scheißlimousine. Arschloch!

Sie zieht einen Lappen aus ihrem mit Nieten besetzten Ledergürtel und wirft ihn mir ins Gesicht. Er fällt auf die Theke und über mein Bier. Jemand bestellt ein paar Margaritas, und sie geht weg, um sie zu mixen. Ich nehme den Lappen von meinem Bier und zünde mir eine Zigarette an. Eine Minute später ist sie wieder da und beobachtet die Band.

– Das war Teil meiner Arbeit, Baby. Ich weiß, das hört sich jetzt scheiße an, aber die Frau war der verdammte Job.

Sie sieht mir wieder ins Gesicht.

– Und was ist dein Job? Ich hab keine Ahnung, was du tust, Joe. Ich weiß nicht, warum du so lange wegbleibst und verprügelt wirst, wo du so viel Geld herhast und warum du eine Waffe brauchst und was in diesem kleinen Kühlschrank ist. Sind da Drogen drin, Joe?

Sie hat sich vorgebeugt und flüstert mir zu.

– Sind es Drogen? Das ist kein Problem, das macht mir nichts. Ich will’s nur wissen. Also, was ist dein verdammter Job?

Ich lasse die Glut meiner Zigarette am Aschenbecher entlanggleiten und streife die Asche ab.

– Er ist hart, Baby. Der Job ist hart.

Sie dreht sich wieder um.

– Toll. Danke. Jetzt weiß ich alles.

Ich spiele weiter mit meiner Zigarette.

– Der Job ist hart. Aber du bist härter, Baby.

Sie dreht sich nicht um.

– Du bist richtig harte Arbeit.

Schaut die Band an.

– Aber jede Minute wert.

Sie steckt sich eine rote Haarsträhne hinters Ohr.

– Gib her.

Sie nimmt die Zigarette aus meinen Fingern und nimmt einen tiefen Zug.

– Ich habe gerade meine Meinung geändert.

Sie hält mir die Zigarette wieder hin. Ich nehme sie.

– Ja?

– Ja. Es ist nicht okay, wenn du andere Frauen fickst. Oder andere Männer. Oder überhaupt jemanden.

Ich betrachte die Spur ihres Lippenstifts auf dem Filter und schließe meine Lippen darüber.

– Kein Problem.

– Und du musst mich zum Essen ausführen.

– Kein Problem.

– Heute, nach der Arbeit. Und nicht irgendwohin. Ich will ins Blue Ribbon und Austern essen.

– Kein Problem.

– Und ich will bei dir schlafen.

– Kein Problem.

Sie verengt ihre Augen zu Schlitzen.

– Bist du sicher, dass du die Schlampe nicht gefickt hast?

– Ja.

– Okay.

Sie holt ein Bier aus der Kühltruhe und stellt es vor mich hin.

– Ich muss an die Arbeit.

– Kein Problem.

Sie kümmert sich um die Stammgäste, die geduldig gewartet haben, bis sie sich mit ihrem Freund zu Ende gestritten hat.

Ich trinke Bier, rauche und nutze die Zeit, bis sie fertig ist. Ich nutze sie, um Daniels Versprechen einzuhalten. Ich denke über mein Leben nach.

Ich denke über das nach, was ich tue und wie lange es wohl noch so weitergeht. Wie lange es dauert, bis Predo endgültig der Geduldsfaden reißt; wie lange Terry mich noch auf seinem Gebiet duldet; und wann Tom seine Gang von Anarchisten von der Leine lässt und mir in einer Seitenstraße auflauert. Ich denke darüber nach, was Daniel gesagt hat: Dass man sich irgendwann verkriechen muss.

Ich könnte zu Terry gehen und wieder meinen alten Job antreten. Er würde Tom rauswerfen. Das wäre kein Problem für Terry – er würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aber dann wäre ich da, wo ich vor über zwanzig Jahren schon einmal war – derjenige mit der Peitsche in der Hand. Außerdem könnte es Terry irgendwann mal stören, dass außer ihm noch jemand weiß, dass er das Gebiss hat. Also keine echte Option – ich war lange genug bei der Society. Der Verein ist nichts für mich.

Ich könnte mich Christian anschließen. Mein eigenes Bike haben. Im Klubhaus der Dusters abhängen – der alte Pike-Street-Traum. Sie würden sich freuen, mich an Bord zu haben. Die Dusters freuen sich über jeden guten Mann, der an ihrer Seite kämpft. Aber ich müsste ihre Farben tragen, ihre Uniform – und in einem Zylinder sehe ich beschissen aus.

Ich könnte die Stadt verlassen und mein Glück in einem der Außenbezirke versuchen. Vielleicht finde ich ja ein stilles Plätzchen. Irgendwo in Red Hook, Coney Island. Könnte interessant werden. Die Unabhängigen verjagen, einen eigenen Clan gründen. Sich einen Namen machen. Der Boss sein. Aber das dauert lange und bringt ein hohes Risiko mit sich. Ein sehr hohes Risiko. Und ich bin noch nicht bereit, dieses Risiko einzugehen.

Oder ich könnte mich der Enklave anschließen, wie es Daniel vorgeschlagen hat. Mein Schicksal und meine Natur akzeptieren. Lernen, wie man das Vyrus beherrscht. Ein Leben voller Disziplin. Und wenn es dann so weit ist, soll das Vyrus die Kontrolle übernehmen, und ich werde sehen, wo es mich hinbringt. Vielleicht überlebe ich. Daniel ist überzeugt davon. Aber Daniel ist verrückt. Er stirbt. Und ich bin kein Messias.

Amanda Horde weiß das.

Außerdem ist in allen diesen Alternativen kein Platz für Evie.

 

Die Band spielt »Silver Dagger«. Ich beobachte Evie, wie sie Bierflaschen öffnet. Ab und zu winkt sie mir zu oder kommt rüber und flüstert mir was Lustiges ins Ohr.

Wenn ich mein Leben so betrachte, mag es ein paar gravierende Mängel aufweisen. Aber es ist mein Leben. Jeden Tag komme ich dem Abgrund ein Stück näher. Und eines Tages falle ich einfach runter.

So ist das nun mal.

Warum sollte sich mein Leben auch großartig von dem anderer Leute unterscheiden?