Elftes Kapitel – Geologische Aufeinanderfolge organischer Wesen

Langsames und successives Erscheinen neuer Arten. — Verschiedenes Maß ihrer Veränderung. — Einmal untergegangene Arten kommen nicht wieder zum Vorschein. — Artengruppen folgen denselben allgemeinen Regeln des Auftretens und Verschwindens, wie die einzelnen Arten. — Erlöschen der Arten. — Gleichzeitige Veränderungen der Lebensformen auf der ganzen Erdoberfläche. — Verwandtschaft erloschener Arten mit andern fossilen und mit lebenden Arten. — Entwicklungsstufe erloschener Formen. — Aufeinanderfolge derselben Typen im nämlichen Ländergebiete. — Zusammenfassung dieses und des vorhergehenden Kapitels.

Sehen wir nun zu, ob die verschiedenen Tatsachen und Gesetze hinsichtlich der geologischen Aufeinanderfolge der organischen Wesen besser mit der gewöhnlichen Ansicht von der Unabänderlichkeit der Arten, oder mit der Theorie von deren langsamer und stufenweiser Abänderung durch natürliche Zuchtwahl übereinstimmen.

Neue Arten sind im Wasser wie auf dem Lande nur sehr langsam, eine nach der andern zum Vorschein gekommen. Lyell hat gezeigt, dass es kaum möglich ist, sich den in den verschiedenen Tertiärschichten niedergelegten Beweisen in dieser Hinsicht zu verschließen und jedes Jahr strebt die noch vorhandenen Lücken zwischen den einzelnen Stufen mehr auszufüllen und das Prozentverhältnis der noch lebend vorhandenen zu den ganz ausgestorbenen Arten mehr und mehr abzustufen. In einigen der neuesten, wenn auch in Jahren ausgedrückt gewiß sehr alten Schichten kommen nur eine oder zwei ausgestorbene, und nur je eine oder zwei für die Erdoberfläche oder für die Örtlichkeit neue Formen vor. Die Secundärformationen sind mehr unterbrochen; aber in jeder einzelnen Formation hat, wie Bronn bemerkt hat, weder das Auftreten noch das Verschwinden ihrer vielen jetzt erloschenen Arten gleichzeitig stattgefunden.

Arten verschiedener Gattungen und Klassen haben weder gleichen Schrittes noch in gleichem Verhältnise gewechselt. In den älteren Tertiärschichten liegen einige wenige lebende Arten mitten zwischen einer Menge erloschener Formen. Falconer hat ein schlagendes Beispiel ähnlicher Art berichtet, nämlich von einem Crocodile noch lebender Art, welches mit einer Menge fremder und untergegangener Säugetiere und Reptilien in Schichten des Subhimalaya beisammen lagert. Die silurischen Lingula-Arten weichen nur sehr wenig von den lebenden Spezies dieser Gattung ab, während die meisten der übrigen silurischen Mollusken und alle Kruster großen Veränderungen unterlegen sind. Die Landbewohner scheinen sich schnelleren Schrittes als die Meeresbewohner verändert zu haben, wovon ein treffender Beleg kürzlich aus der Schweiz berichtet worden ist. Es ist Grund zur Annahme vorhanden, dass solche Organismen, welche auf höherer Organisationsstufe stehen, sich rascher als die unvollkommen entwickelten verändern; doch gibt es Ausnahmen von dieser Regel. Das Maß organischer Veränderung ist nach Pictet’s Bemerkung nicht in allen aufeinanderfolgenden sogenannten geologischen Formationen dasselbe. Wenn wir aber irgend welche, ausgenommen zwei einander auf’s engste verwandte Formationen mit einander vergleichen, so finden wir, dass alle Arten einige Veränderungen erfahren haben. Ist eine Art einmal von der Erdoberfläche verschwunden, so haben wir keinen Grund zur Annahme, dass dieselbe identische Art je wieder zum Vorschein kommen werde. Die anscheinend auffallendsten Ausnahmen von dieser Regel bilden Barrande’s sogenannte »Colonien« von Arten, welche sich eine Zeit lang mitten in ältere Formationen einschieben und dann später die vorher existierende Fauna wieder erscheinen lassen; doch halte ich Lyell’s Erklärung, sie seien durch temporäre Wanderungen aus einer geographischen Provinz in die andere bedingt, für vollkommen genügend.

Diese verschiedenen Tatsachen vertragen sich wohl mit meiner Theorie. Ich glaube an kein festes Entwicklungsgesetz, welches alle Bewohner einer Gegend veranlasste, sich plötzlich oder gleichzeitig oder gleichmäßig zu ändern. Der Abänderungsprozess muss ein langsamer sein und wird im Allgemeinen nur wenig Spezies zu einer und derselben Zeit ergreifen; denn die Veränderlichkeit jeder Art ist ganz unabhängig von der aller andern Arten. Ob sich die natürliche Zuchtwahl solche Veränderlichkeit oder individuelle Verschiedenheit zu Nutzen macht, und ob die in größerem oder geringerem Maße gehäuften Abänderungen stärkere oder schwächere bleibende Modifikationen in den sich ändernden Arten veranlassen, dies hängt von vielen verwickelten Bedingungen ab: von der Nützlichkeit der Veränderungen, von der Möglichkeit der Kreuzung, vom langsamen Wechsel in der natürlichen Beschaffenheit der Gegend, von dem Einwandern neuer Colonisten, und zumal von der Beschaffenheit der übrigen Organismen, welche mit den sich ändernden Arten in Konkurrenz kommen. Es ist daher keineswegs überraschend, wenn eine Art ihre Form viel länger unverändert bewahrt, während andere sie wechseln, oder wenn sie in geringerem Grade abändert als diese. Wir finden ähnliche Beziehungen zwischen den Bewohnern verschiedener Länder, z. B. auf Madeira, wo die Landschnecken und Käfer in beträchtlichem Maße von ihren nächsten Verwandten in Europa abgewichen, während Vögel und Seemollusken die nämlichen geblieben sind. Man kann vielleicht die anscheinend raschere Veränderung in den Landbewohnern und den höher organisierten Formen gegenüber derjenigen der marinen und der tieferstehenden Arten aus den zusammengesetzteren Beziehungen der vollkommeneren Wesen zu ihren organischen und unorganischen Lebensbedingungen, wie sie in einem früheren Abschnitte auseinandergesetzt worden sind, herleiten. Wenn viele von den Bewohnern einer Gegend abgeändert und vervollkommnet worden sind, so begreift man aus dem Prinzip der Konkurrenz und aus den vielen so höchst wichtigen Beziehungen von Organismus zu Organismus in dem Kampfe um’s Leben, dass eine jede Form, welche gar keine Änderung und Vervollkommnung erfährt, der Austilgung preisgegeben ist. Daraus ersehen wir denn, warum alle Arten einer Gegend zuletzt, wenn wir nämlich hinreichend lange Zeiträume betrachten, modifiziert werden; denn, wenn nicht, müssen sie zu Grunde gehen.

Bei Gliedern einer und derselben Klasse mag vielleicht der mittlere Betrag der Änderung während langer und gleichem Zeiträume nahezu gleich sein. Da jedoch die Anhäufung lange dauernder an Fossilresten reicher Formationen dadurch bedingt ist, dass große Sedimentmassen während einer Senkungsperiode abgesetzt werden, so müssen sich unsere Formationen notwendig meist mit langen und unregelmäßigen Zwischenpausen gebildet haben; daher denn auch der Grad organischer Veränderung, welchen die in aufeinander folgenden Formationen abgelagerten organischen Reste an sich tragen, nicht gleich ist. Jede Formation bezeichnet nach dieser Anschauungsweise nicht einen neuen Akt der Schöpfung, sondern nur eine gelegentliche, beinahe aus Zufall herausgerissene Scene aus einem langsam vor sich gehenden Drama.

Man begreift leicht, warum eine einmal zu Grunde gegangene Art nicht wieder zum Vorschein kommen kann, selbst wenn die nämlichen unorganischen und organischen Lebensbedingungen nochmals eintreten. Denn obwohl die Nachkommenschaft einer Art so angepasst werden kann (was zweifellos in unzähligen Fällen vorgekommen ist), dass sie den Platz einer andern Art im Haushalte der Natur genau ausfüllt und sie ersetzt, so können doch beide Formen, die alte und die neue, nicht identisch die nämlichen sein, weil beide fast gewiß von ihren verschiedenen Stammformen auch verschiedene Charaktere mitgeerbt haben und bereits von einander abweichende Organismen auch in verschiedener Art variieren werden. So könnten z. B., wenn unsere Pfauentauben ausstürben, Taubenliebhaber durch lange Zeit fortgesetzte und auf denselben Punkt gerichtete Bemühungen möglicherweise wohl eine neue von unserer jetzigen Pfauentaube kaum unterscheidbare Rasse zu Stande bringen. Wäre aber auch deren Urform, unsere Felstaube, im Naturzustande, wo die Stammform gewöhnlich durch ihre vervollkommnete Nachkommenschaft ersetzt und vertilgt wird, zerstört worden, so müsste es doch ganz unglaubhaft erscheinen, dass ein Pfauenschwanz, mit unserer jetzigen Rasse identisch, von irgend einer andern Taubenart oder selbst von einer andern guten Varietät unserer Haustauben gezogen werden könne, weil die successiven Abänderungen beinahe sicher in irgend einem Grade verschieden sein und die neugebildete Varietät wahrscheinlich von ihrem Stammvater einige charakteristische Verschiedenheiten erben würde.

Artengruppen, das heißt Gattungen und Familien, folgen in ihrem Auftreten und Verschwinden denselben allgemeinen Regeln, wie die einzelnen Arten selbst, indem sie mehr oder weniger schnell in größerem oder geringerem Grade sich verändern. Eine Gruppe erscheint niemals wieder, wenn sie einmal untergegangen ist, d. h. ihr Dasein ist, so lange es besteht, continuirlich. Ich weiß wohl, dass es einige anscheinende Ausnahmen von dieser Regel gibt; allein es sind deren so erstaunlich wenig, dass Ed. Forbes, Pictet und Woodward (obwohl dieselben alle drei die von mir verteidigten Ansichten sonst bestreiten) deren Richtigkeit zugestehen; und diese Regel entspricht genau meiner Theorie. Denn alle Arten einer und derselben Gruppe, wie lange dieselbe auch bestanden haben mag, sind die modifizierten Nachkommen früherer Arten und eines gemeinsamen Urerzeugers. So müssen z. B. bei der Gattung Lingula die Spezies, welche zu allen Zeiten nach einander aufgetreten sind, von der tiefsten Silurschicht an bis auf den heutigen Tag durch eine ununterbrochene Reihe von Generationen mit einander im Zusammenhang gestanden haben.

Wir haben im letzten Kapitel gesehen, dass es zuweilen irrthümlich so erscheint, als seien die Arten einer Gruppe ganz plötzlich in Masse aufgetreten, und ich habe versucht diese Tatsache zu erklären, welche, wenn sie sich richtig so verhielte, meiner Theorie verderblich sein würde. Aber derartige Fälle sind gewiß nur als Ausnahmen zu betrachten; nach der allgemeinen Regel wächst die Artenzahl jeder Gruppe allmählich zu ihrem Maximum an und nimmt dann früher oder später wieder langsam ab. Wenn man die Artenzahl einer Gattung oder die Gattungszahl einer Familie durch eine Verticallinie ausdrückt, welche die übereinander folgenden Formationen mit einer nach Maßgabe der in jeder derselben enthaltenen Artenzahl veränderlichen Dicke durchsetzt, so kann es manchmal fälschlich scheinen, als beginne dieselbe unten plötzlich breit, statt mit scharfer Spitze; sie nimmt dann aufwärts an Breite zu, hält darauf oft eine Zeit lang gleiche Stärke ein und läuft dann in den oberen Schichten, der Abnahme und dem Erlöschen der Arten entsprechend, allmählich spitz aus. Diese allmähliche Zunahme einer Gruppe steht mit meiner Theorie vollkommen im Einklang; denn die Arten einer und derselben Gattung und die Gattungen einer und derselben Familie können nur langsam und allmählich an Zahl wachsen; der Vorgang der Umwandlung und der Entwicklung einer Anzahl verwandter Formen ist notwendig nur ein langsamer und gradweiser: eine Art liefert anfänglich nur zwei oder drei Varietäten, welche sich langsam in Arten verwandeln, die ihrerseits wieder auf gleich langsamen Schritten andere Varietäten und Arten hervorbringen und so weiter (wie ein großer Baum sich allmählich von einem einzelnen Stamme aus verzweigt), bis die Gruppe groß wird.

Erlöschen

Wir haben bis jetzt nur gelegentlich von dem Verschwinden der Arten und der Artengruppen gesprochen. Nach der Theorie der natürlichen Zuchtwahl sind jedoch das Erlöschen alter und die Bildung neuer und verbesserter Formen aufs innigste mit einander verbunden. Die alte Meinung, dass von Zeit zu Zeit sämtliche Bewohner der Erde durch große Umwälzungen von der Erde weggefegt worden seien, ist jetzt ziemlich allgemein und selbst von solchen Geologen, wie Elie de Beaumont, Murchison, Barrande u. A. aufgegeben, deren allgemeinere Anschauungsweise sie auf dieselbe hinlenken müsste. Wir haben im Gegenteil nach den über die Tertiärformationen angestellten Studien allen Grund zur Annahme, dass Arten und Artengruppen ganz allmählich eine nach der andern zuerst von einer Stelle, dann von einer andern und endlich überall verschwinden. In einigen wenigen Fällen jedoch wie beim Durchbruch einer Landenge und der nachfolgenden Einwanderung einer Menge von neuen Bewohnern in ein benachbartes Meer, oder bei dem endlichen Untertauchen einer Insel mag das Erlöschen verhältnismäßig rasch vor sich gegangen sein. Einzelne Arten sowohl als Artengruppen dauern sehr ungleich lange Zeiten; einige Gruppen haben, wie wir gesehen haben, von der ersten bekannten Wiegenzeit des Lebens an bis zum heutigen Tage bestanden, während andere nicht einmal den Schluss der paläozoischen Zeit erreicht haben. Es scheint kein bestimmtes Gesetz zu geben, welches die Länge der Dauer einer einzelnen Art oder einer einzelnen Gattung bestimmte. Doch scheint Grund zur Annahme vorhanden, dass das gänzliche Erlöschen einer ganzen Gruppe von Arten gewöhnlich ein langsamerer Vorgang als ihre Entstehung ist. Wenn man das Erscheinen und Verschwinden der Arten einer Gruppe ebenso wie im vorigen Falle durch eine Verticallinie von veränderlicher Dicke ausdrückt, so pflegt sich dieselbe weit allmählicher an ihrem oberen dem Erlöschen entsprechenden, als am untern die Entwicklung und Zunahme an Zahl darstellenden Ende zuzuspitzen. Doch ist in einigen Fällen das Erlöschen ganzer Gruppen von Wesen, wie das der Ammoniten gegen das Ende der Secundärzeit, den meisten andern Gruppen gegenüber, wunderbar plötzlich erfolgt.

Die ganze Frage vom Erlöschen der Arten ist ohne Grund in das geheimnisvollste Dunkel gehüllt worden. Einige Schriftsteller haben sogar angenommen, dass Arten geradeso wie Individuen eine regelmäßige Lebensdauer haben. Durch das Verschwinden der Arten kann wohl Niemand mehr in Verwunderung gesetzt worden sein, als ich selbst. Als ich im La Plata-Staate einen Pferdezahn in einerlei Schicht mit Resten von Mastodon, Megatherium, Toxodon und andern ausgestorbenen Ungeheuern zusammenliegend fand, welche sämtlich noch in später geologischer Zeit mit noch jetzt lebenden Conchylien-Arten zusammengelebt haben, war ich mit Erstaunen erfüllt. Denn da ich sah, wie die von den Spaniern in Süd-Amerika eingeführten Pferde sich wild über das ganze Land verbreitet und in beispiellosem Maße an Anzahl vermehrt haben, so musste ich mich bei jener Entdeckung selber fragen, was in verhältnismäßig noch so neuer Zeit das frühere Pferd zu vertilgen vermocht habe, unter Lebensbedingungen, welche sich so außerordentlich günstig erwiesen haben? Aber wie ganz ungegründet war mein Erstaunen! Professor Owen erkannte bald, dass der Zahn, wenn auch denen der lebenden Arten sehr ähnlich, doch von einer ganz anderen nun erloschenen Art herrühre. Wäre diese Art noch jetzt, wenn auch schon etwas selten, vorhanden, so würde sich kein Naturforscher im mindesten über deren Seltenheit wundern, da es viele seltene Arten aller Klassen in allen Gegenden gibt. Fragen wir uns, warum diese oder jene Art selten ist, so antworten wir, es müsse irgend etwas in den vorhandenen Lebensbedingungen ungünstig sein, obwohl wir dieses Etwas kaum je zu bezeichnen wissen. Existirte das fossile Pferd noch jetzt als eine seltene Art, so würden wir es in Berücksichtigung der Analogie mit allen andern Säugetierarten und selbst mit dem sich nur langsam fortpflanzenden Elephanten und der Geschichte der Naturalisation des domestizierten Pferdes in Süd-Amerika für sicher gehalten haben, dass jene fossile Art unter günstigeren Verhältnisen binnen wenigen Jahren im Stande sein müsse, den ganzen Kontinent zu bevölkern. Aber wir hätten nicht sagen können, welche ungünstigen Bedingungen es waren, die dessen Vermehrung hinderten, ob deren nur eine oder ob es ihrer mehrere waren, und in welcher Lebensperiode des Pferdes und in welchem Grade jede derselben ungünstig wirkte. Wären aber jene Bedingungen allmählich, wenn auch noch so langsam, immer ungünstiger geworden, so würden wir die Tatsache sicher nicht bemerkt haben, obschon jene fossile Pferdeart gewiß immer seltener und seltener geworden und zuletzt erloschen sein würde, denn ihr Platz würde von einem andern siegreichen Concurrenten eingenommen worden sein.

Es ist äußerst schwer sich immer zu erinnern, dass die Zunahme eines jeden lebenden Wesens durch unbemerkbare schädliche Agentien fortwährend aufgehalten wird und dass dieselben unbemerkbaren Agentien vollkommen genügen können, um eine fortdauernde Verminderung und endliche Vertilgung zu bewirken. Dieser Satz bleibt aber so unbegriffen, dass ich wiederholt habe eine Verwunderung darüber äußern hören, dass so große Tiere wie das Mastodon und die älteren Dinosaurier haben untergehen können, als ob die blosse Körperstärke schon genüge um den Sieg im Kampfe um’s Dasein zu sichern. Im Gegenteile könnte gerade eine beträchtliche Größe, wie Owen bemerkt hat, in manchen Fällen des größeren Nahrungsbedarfes wegen das Erlöschen beschleunigen. Schon ehe der Mensch Ost-Indien und Africa bewohnte, muss irgend eine Ursache die fortdauernde Vervielfältigung der dort lebenden Elephantenarten gehemmt haben. Ein sehr fähiger Beurteiler, Falconer, glaubt, dass es gegenwärtig hauptsächlich Insekten sind, die durch beständiges Beunruhigen und Schwächen die raschere Vermehrung der Elephanten hauptsächlich hemmen; dies war auch Bruce’s Schluss in Bezug auf den africanischen Elephanten in Abyssinien. Es ist gewiß, dass sowohl Insekten als auch blutsaugende Fledermäuse auf die Ausbreitung der in verschiedenen Teilen Süd-Amerika’s eingeführten größern Säugetiere bestimmend einwirken.

Wir sehen in den neueren Tertiärbildungen viele Beispiele, dass Seltenwerden dem gänzlichen Verschwinden vorangeht, und wir wissen, dass dies der Fall bei denjenigen Tierarten gewesen ist, welche durch den Einfluss des Menschen örtlich oder überall von der Erde verschwunden sind. Ich will hier wiederholen, was ich im Jahr 1845 drucken ließ: Zugeben, dass Arten gewöhnlich selten werden, ehe sie erlöschen, und sich über das Seltenwerden einer Art nicht wundern, aber dann doch hoch erstaunen, wenn sie endlich zu Grunde geht, – heißt so ziemlich dasselbe, wie: Zugeben, dass bei Individuen Krankheit dem Tode vorangeht, und sich über das Erkranken eines Individuums nicht befremdet fühlen, aber sich wundern, wenn der kranke Mensch stirbt, und seinen Tod irgend einer unbekannten Gewalttat zuschreiben.

Die Theorie der natürlichen Zuchtwahl beruht auf der Annahme, dass jede neue Varietät und zuletzt jede neue Art dadurch gebildet und erhalten worden ist, dass sie irgend einen Vorteil vor den konkurrierenden Arten an sich habe, in Folge dessen die weniger begünstigten Arten fast unvermeidlich erlöschen. Es verhält sich ebenso mit unsern Kulturerzeugnissen. Ist eine neue und unbedeutend vervollkommnete Varietät gebildet worden, so ersetzt sie anfangs die minder vollkommenen Varietäten in ihrer Umgebung; ist sie bedeutend verbessert, so breitet sie sich in Nähe und Ferne aus, wie es unsere kurzhörnigen Rinder getan haben, und nimmt die Stelle der anderen Rassen in andern Gegenden ein. So sind das Erscheinen neuer und das Verschwinden alter Formen, natürlicher wie künstlicher, enge miteinander verbunden. In manchen wohl gedeihenden Gruppen ist die Anzahl der in einer gegebenen Zeit gebildeten neuen Artformen wahrscheinlich zu manchen Perioden größer gewesen als die Zahl der alten spezifischen Formen, welche ausgetilgt worden sind; da wir aber wissen, dass gleichwohl die Artenzahl wenigstens in den letzten geologischen Perioden nicht unbeschränkt zugenommen hat, so dürfen wir im Hinblick auf die spätern Zeiten annehmen, dass eben die Hervorbringung neuer Formen das Erlöschen einer ungefähr gleichen Anzahl alter veranlasst hat.

Die Konkurrenz wird gewöhnlich, wie schon früher erklärt und durch Beispiele erläutert worden ist, zwischen denjenigen Formen am ernstesten sein, welche sich in allen Beziehungen am ähnlichsten sind. Daher werden die abgeänderten und verbesserten Nachkommen einer Spezies gewöhnlich die Austilgung ihrer Stammart veranlassen: und wenn viele neue Formen von irgend einer einzelnen Art entstanden sind, so werden die nächsten Verwandten dieser Art, das heißt die mit ihr zu einer Gattung gehörenden, der Vertilgung am meisten ausgesetzt sein. So muss, wie ich mir vorstelle, eine Anzahl neuer von einer Stammart entsprossener Spezies, d. h. eine neue Gattung, eine alte Gattung der nämlichen Familie ersetzen. Aber es muss sich auch oft ereignet haben, dass eine neue Art aus dieser oder jener Gruppe den Platz einer Art aus einer andern Gruppe einnahm und somit deren Erlöschen veranlasste; wenn sich dann von dem siegreichen Eindringlinge aus viele verwandte Formen entwickeln, so werden auch viele diesen ihre Plätze überlassen müssen, und es werden gewöhnlich verwandte Arten sein, die in Folge eines gemeinschaftlich ererbten Nachteils den andern gegenüber unterliegen. Mögen jedoch die Arten, welche ihre Plätze andern modifizierten und vervollkommneten Arten abgetreten haben, zu derselben oder zu verschiedenen Klassen gehören, so kann doch oft eine oder die andere von den Benachteiligten in Folge einer Befähigung zu irgend einer besonderen Lebensweise, oder ihres abgelegenen und isolierten Wohnortes wegen, wo sie eine minder strenge Konkurrenz erfahren hat, sich so noch längere Zeit erhalten haben. So überleben z. B. einige Arten Trigonia in dem australischen Meere die in der Secundärzeit zahlreich gewesenen Arten dieser Gattung, und eine geringe Zahl von Arten der einst reichen und jetzt fast ausgestorbenen Gruppe der Ganoidfische kommt noch in unseren Süsswassern vor. Und so ist denn das gänzliche Erlöschen einer Gruppe gewöhnlich, wie wir gesehen haben, ein langsamerer Vorgang als ihre Entwicklung.

Was das anscheinend plötzliche Aussterben ganzer Familien und Ordnungen betrifft, wie das der Trilobiten am Ende der paläozoischen und der Ammoniten am Ende der sekundären Periode, so müssen wir uns zunächst dessen erinnern, was schon oben über die wahrscheinlich sehr langen Zwischenräume zwischen unseren verschiedenen aufeinander folgenden Formationen gesagt worden ist, während welcher viele Formen langsam erloschen sein mögen. Wenn ferner durch plötzliche Einwanderung oder ungewöhnlich rasche Entwicklung viele Arten einer neuen Gruppe von einem Gebiete Besitz genommen haben, so werden sie auch in entsprechend rascher Weise viele der alten Bewohner verdrängt haben; und die Formen, welche ihnen ihre Stellen hiermit überlassen, werden gewöhnlich mit einander verwandt sein, da sie irgend einen Nachteil der Organisation gemeinsam haben.

So scheint mir die Weise, wie einzelne Arten und ganze Artengruppen erlöschen, gut mit der Theorie der natürlichen Zuchtwahl übereinzustimmen. Das Erlöschen darf uns nicht wunder nehmen; wenn uns etwas wundern müsste, so sollte es vielmehr unsere einen Augenblick lang genährte Anmaßung sein, die vielen verwickelten Bedingungen zu begreifen, von welchen das Dasein einer jeden Spezies abhängig ist. Wenn wir einen Augenblick vergessen, dass jede Art außerordentlich zuzunehmen strebt und irgend eine, wenn auch nur selten von uns wahrgenommene Gegenwirkung immer in Tätigkeit ist, so muss uns der ganze Haushalt der Natur allerdings sehr dunkel erscheinen. Nur wenn wir genau anzugeben wüssten, warum diese Art reicher an Individuen als jene ist, warum diese und nicht eine andere in einer gegebenen Gegend naturalisiert werden kann, dann und nicht eher als dann hätten wir Ursache uns zu wundern, warum wir uns von dem Erlöschen dieser oder jener einzelnen Spezies oder Artengruppe keine Rechenschaft zu geben im Stande sind.

Über das fast gleichzeitige Wechseln der Lebensformen auf der ganzen Erdoberfläche

Kaum ist irgend eine andere paläontologische Entdeckung so überraschend als die Tatsache, dass die Lebensformen einem auf der ganzen Erdoberfläche fast gleichzeitigen Wechsel unterliegen. So kann unsere europäische Kreideformation in vielen entfernten Weltgegenden und in den verschiedensten Klimaten wieder erkannt werden, wo nicht ein Stückchen des Kreidegesteins selbst zu entdecken ist. So namentlich in Nord-Amerika, im äquatorialen Süd-Amerika, im Feuerlande, am Cap der guten Hoffnung und auf der Ostindischen Halbinsel; denn an all’ diesen entfernten Punkten der Erdoberfläche besitzen die organischen Reste gewisser Schichten eine unverkennbare Ähnlichkeit mit denen unserer Kreide. Nicht als ob überall die nämlichen Arten gefunden würden; denn manche dieser Örtlichkeiten haben nicht eine Art mit einander gemein, – aber sie gehören zu denselben Familien, Gattungen und Untergattungen und ähneln sich häufig in so gleichgültigen Punkten, wie Sculpturen der Oberfläche. Ferner finden sich andere Formen, welche in Europa nicht in der Kreide, sondern in den über oder unter ihr liegenden Formationen vorkommen, auch in jenen Gegenden in ähnlicher Lagerung. In den verschiedenen aufeinander folgenden paläozoischen Formationen Russlands, West-Europas und Nord-Amerikas ist ein ähnlicher Parallelismus im Auftreten der Lebensformen von mehreren Autoren wahrgenommen worden, und ebenso in den europäischen und nordamerikanischen Tertiärablerungen nach Lyell. Selbst wenn wir die wenigen fossilen Arten ganz aus dem Auge lassen, welche die Alte und die Neue Welt mit einander gemein haben, so steht der allgemeine Parallelismus der aufeinanderfolgenden Lebensformen in den verschiedenen Stöcken der paläozoischen und tertiären Gebilde so fest, dass sich diese Formationen leicht Glied um Glied mit einander vergleichen lassen.

Diese Beobachtungen beziehen sich jedoch nur auf die Meeresbewohner der verschiedenen Weltgegenden; wir haben nicht genügende Nachweise, um zu beurteilen, ob die Erzeugnisse des Landes und des Süßwassers an entfernten Punkten sich einander gleichfalls in paralleler Weise ändern. Man möchte es bezweifeln, ob sie sich in dieser Weise verändert haben; denn wenn das Megatherium, das Mylodon, Toxodon und die Macrauchenia aus dem La-Platagebiete nach Europa gebracht worden wären ohne alle Nachweisung über ihre geologische Lagerstätte, so würde wohl Niemand vermutet haben, dass sie mit noch jetzt lebend vorkommenden Seemollusken gleichzeitig existierten; da jedoch diese monströsen Wesen mit Mastodon und Pferd zusammen existierten, so lässt sich daraus wenigstens schließen, dass sie in einem der letzten Stadien der Tertiärperiode gelebt haben müssen.

Wenn vorhin von der gleichzeitigen Veränderung der Meeresbewohner auf der ganzen Erdoberfläche gesprochen wurde, so darf nicht etwa vermutet werden, dass es sich dabei um das nämliche Jahr oder das nämliche Jahrhundert, oder auch nur um eine strenge Gleichzeitigkeit im geologischen Sinne des Wortes handelt. Denn, wenn alle Meerestiere, welche jetzt in Europa leben, und alle, welche in der pleistocenen Periode (eine in Jahren ausgedrückt ungeheuer entfernt liegende Periode, indem sie die ganze Eiszeit mit in sich begreift) da gelebt haben, mit den jetzt in Süd-Amerika oder in Australien lebenden verglichen würden, so dürfte der erfahrenste Naturforscher schwerlich zu sagen im Stande sein, ob die jetzt lebenden oder die pleistocenen Bewohner Europas mit denen der südlichen Halbkugel am nächsten übereinstimmen. Ebenso glauben mehrere der sachkundigsten Beobachter, dass die jetzige Lebenswelt in den Vereinigten Staaten mit derjenigen Bevölkerung näher verwandt sei, welche während einiger der letzten Stadien der Tertiärzeit in Europa existiert hat, als mit der noch jetzt da wohnenden; und wenn dies so ist, so würde man offenbar die fossilführenden Schichten, welche jetzt an den nordamerikanischen Küsten abgelagert werden, in einer späteren Zeit eher mit etwas älteren europäischen Schichten zusammenstellen. Demungeachtet kann, wie ich glaube, kaum ein Zweifel sein, dass man in einer sehr fernen Zukunft doch alle neuen marinen Bildungen, namentlich die obern pliocenen, die pleistocenen und die im strengsten Sinne jetztzeitigen Schichten Europas, Nord- und Süd-Amerikas und Australiens, weil sie Reste in gewissem Grade mit einander verwandter Organismen und nicht auch diejenigen Arten, welche allein den tiefer liegenden älteren Ablagerungen angehören, in sich einschließen, ganz richtig als gleich-alt in geologischem Sinne bezeichnen würde.

Die Tatsache, dass die Lebensformen gleichzeitig (in dem obigen weiten Sinne des Wortes) miteinander selbst in entfernten Teilen der Welt wechseln, hat die vortrefflichen Beobachter de Verneuil, und d’Archiac sehr frappirt. Nachdem sie auf den Parallelismus der paläozoischen Lebensformen in verschiedenen Teilen von Europa Bezug genommen haben, sagen sie weiter: »Wenden wir, überrascht durch diese merkwürdige Folgerung, unsere Aufmerksamkeit nun nach Nord-Amerika, und entdecken wir dort eine Reihe analoger Tatsachen, so scheint es gewiß zu sein, dass alle diese Abänderungen der Arten, ihr Erlöschen und das Auftreten neuer, nicht blossen Veränderungen in den Meeresströmungen oder anderen mehr oder weniger örtlichen und vorübergehenden Ursachen zugeschrieben werden können, sondern von allgemeinen Gesetzen abhängen, welche das ganze Tierreich beherrschen.« Auch Barrande hat ähnliche Wahrnehmungen gemacht und nachdrücklich hervorgehoben. Es ist in der Tat ganz zwecklos, die Ursache dieser großen Veränderungen der Lebensformen auf der ganzen Erdoberfläche und unter den verschiedenen Klimaten im Wechsel der Seeströmungen, des Klima’s oder anderer physikalischer Lebensbedingungen aufsuchen zu wollen; wir müssen uns, wie schon Barrande bemerkt, nach einem besonderen Gesetze dafür umsehen. Wir werden dies deutlicher erkennen, wenn von der gegenwärtigen Verbreitung der organischen Wesen die Rede sein wird; wir werden dann finden, wie gering die Beziehungen zwischen den physikalischen Lebensbedingungen verschiedener Länder und der Natur ihrer Bewohner sind.

Diese große Tatsache von der parallelen Aufeinanderfolge der Lebensformen auf der ganzen Erde ist aus der Theorie der natürlichen Zuchtwahl erklärbar. Neue Arten entstehen aus neuen Varietäten, welche einige Vorzüge vor älteren Formen voraus haben, und diejenigen Formen, welche bereits der Zahl nach vorherrschen oder irgend einen Vorteil vor andern Formen derselben Heimat voraus haben, werden natürlich die Entstehung der größten Anzahl neuer Varietäten oder beginnender Arten veranlassen. Wir finden einen bestimmten Beweis dafür darin, dass die herrschenden, d. h. in ihrer Heimat gemeinsten und am weitesten verbreiteten Pflanzenarten die größte Anzahl neuer Varietäten hervorbringen. Ebenso ist es natürlich, dass die herrschenden veränderlichen und weit verbreiteten Arten, die bis zu einem gewissen Grade bereits in die Gebiete anderer Arten eingedrungen sind, auch bessere Aussicht als andere zu noch weiterer Ausbreitung und zur Bildung fernerer Varietäten und Arten in neuen Gegenden haben. Dieser Vorgang der Ausbreitung mag oft ein sehr langsamer sein, indem er von climatischen und geographischen Veränderungen, zufälligen Ereignissen oder von der allmählichen Acclimatisirung neuer Arten in den verschiedenen von ihnen etwa zu durchwandernden Klimaten abhängt; doch wird im Verlaufe der Zeit die Verbreitung und das endliche Vorherrschen der überwiegenden Formen gewöhnlich durchgreifen. Die Verbreitung wird bei Landbewohnern geschiedener Kontinente wahrscheinlich langsamer vor sich gehen als bei den Organismen zusammenhängender Meere. Wir werden daher einen minder genauen Grad paralleler Aufeinanderfolge in den Land- als in den Meereserzeugnissen zu finden erwarten dürfen, wie es auch in der Tat der Fall ist.

So, scheint mir, stimmt die parallele und, in einem weiten Sinne genommen, gleichzeitige Aufeinanderfolge der nämlichen Lebensformen auf der ganzen Erde wohl mit dem Prinzip überein, dass neue Arten von sich weit verbreitenden und sehr veränderlichen herrschenden Spezies aus gebildet worden sind; die so erzeugten neuen Arten werden, weil sie einige Vorteile über ihre bereits herrschenden Eltern ebenso wie über andere Arten besitzen, selbst herrschend und breiten sich wieder aus, variieren und bilden wieder neue Spezies. Diejenigen älteren Formen, welche verdrängt werden und ihre Stellen den neuen siegreichen Formen überlassen, werden gewöhnlich gruppenweise verwandt sein, weil sie irgend eine Unvollkommenheit gemeinsam ererbt haben; daher müssen in dem Maße, als sich die neuen und vollkommeneren Gruppen über die Erde verbreiten, alte Gruppen vor ihnen aus der Welt verschwinden. Diese Aufeinanderfolge der Formen wird sich sowohl in Bezug auf ihr erstes Auftreten als endliches Erlöschen überall zu entsprechen geneigt sein.

Noch bleibt eine Bemerkung über diesen Gegenstand zu machen übrig. Ich habe die Gründe angeführt, weshalb ich glaube, dass die meisten unserer großen fossilreichen Formationen in Perioden fortdauernder Senkung abgesetzt worden sind, dass aber diese Ablagerungen, so weit Fossile in Betracht kommen, durch lange Zwischenräume getrennt gewesen sind, wo der Meeresboden stät oder in Hebung begriffen war, und auch wo die Anschüttungen nicht rasch genug erfolgten, um die organischen Reste einzuhüllen und gegen Zerstörung zu bewahren. Während dieser langen und leeren Zwischenzeiten nun haben nach meiner Annahme die Bewohner jeder Gegend viele Abänderungen erfahren und viel durch Erlöschen gelitten, und große Wanderungen haben von einem Teile der Erde zum andern stattgefunden. Da nun Grund zur Annahme vorhanden ist, dass weite Strecken die gleichen Bewegungen durchgemacht haben, so sind wahrscheinlich auch oft genau gleichzeitige Formationen auf sehr weiten Räumen derselben Weltgegend abgesetzt worden; doch sind wir hieraus ganz und gar nicht zu schließen berechtigt, dass dies unabänderlich der Fall gewesen sei und dass weite Strecken unabänderlich von gleichen Bewegungen betroffen worden seien. Sind zwei Formationen in zwei Gegenden zu beinahe, aber nicht genau gleicher Zeit entstanden, so werden wir in beiden aus den in den vorausgehenden Abschnitten auseinandergesetzten Gründen im Allgemeinen die nämliche Aufeinanderfolge der Lebensformen erkennen; aber die Arten werden sich nicht genau entsprechen; denn sie werden in der einen Gegend etwas mehr und in der andern etwas weniger Zeit gehabt haben abzuändern, zu wandern und zu erlöschen.

Ich vermute, dass Fälle dieser Art in Europa selbst vorkommen. Prestwich ist in seiner vortrefflichen Abhandlung über die Eocenschichten in England und Frankreich im Stande, einen im Allgemeinen genauen Parallelismus zwischen den aufeinander folgenden Stöcken beider Gegenden nachzuweisen. Obwohl sich nun bei Vergleichung gewisser Etagen in England mit denen in Frankreich eine merkwürdige Übereinstimmung beider in den Zahlenverhältnisen der zu einerlei Gattungen gehörigen Arten ergibt, so weichen doch diese Arten selbst in einer bei der geringen Entfernung beider Gebiete schwer zu erklärenden Weise von einander ab, wenn man nicht annehmen will, dass eine Landenge zwei benachbarte Meere getrennt habe, welche von verschiedenen, aber gleichzeitigen Faunen bewohnt gewesen seien. Lyell hat ähnliche Beobachtungen über einige der späteren Tertiärformationen gemacht, und ebenso hat Barrande gezeigt, dass zwischen den aufeinanderfolgenden Silurschichten Böhmens und Skandinaviens im Allgemeinen ein genauer Parallelismus herrscht; demungeachtet findet er aber eine erstaunliche Verschiedenheit zwischen den Arten. Wären nun aber die verschiedenen Formationen dieser Gegenden nicht genau während der gleichen Periode abgesetzt worden, indem etwa die Ablagerungen in der einen Gegend mit einer Pause in der andern zusammenfiele, – hätten in beiden Gegenden die Arten sowohl während der Anhäufung der Schichten als während der langen Pausen dazwischen langsame Veränderungen erfahren: so würden sich in diesem Falle die verschiedenen Formationen beider Gegenden auf gleiche Weise und in Übereinstimmung mit der allgemeinen Aufeinanderfolge der Lebensformen anordnen lassen, und ihre Anordnung würde sogar fälschlich genau parallel scheinen; demungeachtet würden in den einzelnen einander anscheinend entsprechenden Lagern beider Gegenden nicht alle Arten übereinstimmen.

Über die Verwandtschaft erloschener Arten unter sich und mit den lebenden Formen

Werfen wir nun einen Blick auf die gegenseitigen Verwandtschaften erloschener und lebender Formen. Alle gehören zu einigen wenigen grossen Klassen; und diese Tatsache erklärt sich sofort aus dem Prinzip gemeinsamer Abstammung. Je älter eine Form ist, desto mehr weicht sie der allgemeinen Regel zufolge von den lebenden Formen ab. Doch können, wie Buckland schon längst bemerkt hat, die fossilen Formen sämtlich in noch lebende Gruppen eingereiht oder zwischen sie eingeschoben werden. Es ist gewiß ganz richtig, dass die erloschenen Formen weite Lücken zwischen den jetzt noch bestehenden Gattungen, Familien und Ordnungen ausfüllen helfen; da indes diese Angabe oft vernachlässigt oder selbst geläugnet worden ist, so dürfte es sich der Mühe verlohnen, hierüber einige Bemerkungen zu machen und einige Beispiele anzuführen. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit entweder auf die lebenden oder auf die erloschenen Spezies der nämlichen Klasse allein richten, so ist die Reihe viel minder vollkommen als wenn wir beide in ein gemeinsames System zusammenfassen. In den Schriften des Professor Owen begegnen wir beständig dem Ausdruck »generalisierter Formen« auf ausgestorbene Tiere angewandt, und in den Schriften Agassiz’s spricht er von prophetischen oder synthetischen Typen. Diese Ausdrücke sagen eben aus, dass derartige Formen in der Tat intermediäre oder verbindende Glieder darstellen. Ein anderer ausgezeichneter Paläontolog, Gaudry, hat nachgewiesen, dass viele von ihm in Attica entdeckten fossilen Säugetiere in der offenbarsten Weise die Scheidewände zwischen jetzt lebenden Gattungen niederreißen. Cuvier hielt die Ruminanten und Pachydermen (Wiederkäuer und Dickhäuter) für zwei der verschiedensten Säugetierordnungen; es sind aber so viele fossile Verbindungsglieder ausgegraben worden, dass Owen die ganze Klassification zu ändern gehabt und gewisse Pachydermen in dieselbe Unterordnung mit Wiederkäuern gestellt hat; so füllte er z. B. die anscheinend weite Lücke zwischen dem Schwein und dem Kamel mit abgestuften Formen aus. Die Ungulaten oder Hufsäugetiere werden jetzt in Paarzehige und Unpaarzehige eingeteilt; die Macrauchenia von Süd-Amerika verbindet aber in gewissem Maaße diese beiden großen Abteilungen. Niemand wird läugnen, dass das Hipparion in der Mitte steht zwischen dem lebenden Pferde und gewissen andern ungulaten Formen. Was für ein wundervolles verbindendes Glied in der Kette der Säugetiere ist das Typotherium von Süd-Amerika, wie es der ihm von Prof. Gervais gegebene Name ausdrückt, welches in keine jetzt bestehende Säugetierordnung gebracht werden kann. Die Sirenien bilden eine sehr distincte Säugetiergruppe, und eine der merkwürdigsten Eigentümlichkeiten bei dem jetzt lebenden Dugong und Lamantin ist das vollständige Fehlen von Hintergliedmaßen, ohne auch nur ein Rudiment gelassen zu haben. Das ausgestorbene Halitherium hatte aber nach Professor Flower ein verknöchertes Schenkelbein, welches »in einer wohlumschriebenen Pfanne am Becken articulirte«, und bietet damit eine Annäherung an gewöhnliche huftragende Säugetiere dar, mit denen die Sirenien in andern Beziehungen verwandt sind. Die Cetaceen oder Waltiere sind von allen übrigen Säugetieren weit verschieden; doch werden die tertiären Zeuglodon und Squalodon, welche von manchen Naturforschern in eine Ordnung für sich gestellt wurden, von Professor Huxley für unzweifelhafte Cetaceen betrachtet, welche »Verbindungsglieder mit den in Wasser lebenden Fleischfressern darstellen«.

Selbst der weite Abstand zwischen Vögeln und Reptilien wird, wie der eben erwähnte Forscher gezeigt hat, zum Teil in der unerwartetsten Weise ausgefüllt, und zwar auf der einen Seite durch den Strauss und den Archaeopteryx, auf der andern Seite durch den Compsognathus, einen Dinosaurier, also zu einer Gruppe gehörig, welche die gigantischsten Formen aller terrestrischen Reptilien umfasst. Was die Wirbellosen betrifft, so versichert Barrande, gewiß die erste Autorität in dieser Beziehung, wie er jeden Tag deutlicher erkenne, dass, wenn auch die paläozoischen Tiere in noch jetzt lebende Gruppen eingereiht werden können, diese Gruppen aus jener alten Zeit doch nicht so bestimmt von einander verschieden waren, wie in der Jetztzeit.

Einige Schriftsteller haben sich dagegen erklärt, dass man irgend eine erloschene Art oder Artengruppe als zwischen lebenden Arten oder Gruppen in der Mitte stehend ansehe. Wenn damit gesagt werden sollte, dass die erloschene Form in allen ihren Charakteren genau das Mittel zwischen zwei lebenden Formen oder Gruppen halte, so wäre die Einwendung wahrscheinlich begründet. In einer natürlichen Klassification stehen aber sicher viele fossile Arten zwischen lebenden Arten, und manche erloschene Gattungen zwischen lebenden Gattungen oder sogar zwischen Gattungen verschiedener Familien. Der gewöhnlichste Fall zumal bei von einander sehr verschiedenen Gruppen, wie Fische und Reptilien sind, scheint mir der zu sein, dass da wo dieselbigen heutigen Tages, nehmen wir beispielsweise an durch ein Dutzend Charaktere von einander unterschieden werden, die alten Glieder der nämlichen zwei Gruppen in einer etwas geringeren Anzahl von Merkmalen unterschieden waren, so dass beide Gruppen vordem einander etwas näher standen, als sie jetzt einander stehen.

Es ist eine gewöhnliche Meinung, dass je älter eine Form sei, sie um so mehr geneigt sei, mittelst einiger ihrer Charaktere jetzt weit getrennte Gruppen zu verknüpfen. Diese Bemerkung muss ohne Zweifel auf solche Gruppen beschränkt werden, die im Verlaufe geologischer Zeiten große Veränderungen erfahren haben, und es möchte schwer sein, den Satz zu beweisen; denn hier und da wird selbst immer noch ein lebendes Tier wie der Lepidosiren entdeckt, das mit sehr verschiedenen Gruppen zugleich verwandt ist. Wenn wir jedoch die älteren Reptilien und Batrachter, die älteren Fische, die älteren Cephalopoden und die eocenen Säugetiere mit den neueren Gliedern derselben Klassen vergleichen, so müssen wir einige Wahrheit in der Bemerkung zugestehen.

Wir wollen nun zusehen, in wie fern diese verschiedenen Tatsachen und Schlüsse mit der Theorie einer Descendenz mit Modifikationen übereinstimmen. Da der Gegenstand etwas verwickelt ist, so muss ich den Leser bitten, sich nochmals nach dem im vierten Kapitel gegebenen Schema umzusehen. Nehmen wir an, die numerirten cursiv gedruckten Buchstaben stellen Gattungen und die von ihnen ausstrahlenden punctirten Linien die dazu gehörigen Arten vor. Das Schema ist insofern zu einfach, als zu wenige Gattungen und Arten darauf angenommen sind; doch ist dies unwesentlich für uns. Die wagrechten Linien mögen die aufeinander folgenden geologischen Formationen vorstellen und alle Formen unter der obersten dieser Linien als erloschene gelten. Die drei lebenden Gattungen a14, q14, p14 mögen eine kleine Familie bilden; b14 und f14 eine nahe verwandte oder eine Unterfamilie, und o14, e14, m14 eine dritte Familie. Diese drei Familien zusammen mit den vielen erloschenen Gattungen auf den verschiedenen von der Stammform A auslaufenden Descendenzreihen werden eine Ordnung bilden; denn alle werden von ihrem alten und gemeinschaftlichen Urerzeuger auch etwas Gemeinsames ererbt haben. Nach dem Prinzip fortdauernder Divergenz des Charakters, zu dessen Erläuterung jenes Bild bestimmt war, muss jede Form, je neuer sie ist, im Allgemeinen um so stärker von ihrem ersten Erzeuger abweichen. Daraus erklärt sich eben auch die Regel, dass die ältesten fossilen am meisten von den jetzt lebenden Formen verschieden sind. Doch dürfen wir nicht glauben, dass Divergenz des Charakters eine notwendig eintretende Erscheinung ist; sie hängt allein davon ab, dass hierdurch die Nachkommen einer Art befähigt werden, viele und verschiedenartige Plätze im Haushalte der Natur einzunehmen. Daher ist es auch ganz wohl möglich, wie wir bei einigen silurischen Fossilen gesehen, dass eine Art bei nur geringer, nur wenig veränderten Lebensbedingungen entsprechender Modifikation fortbestehen und während langer Perioden doch stets dieselben allgemeinen Charaktere beibehalten kann. Dies wird in dem Schema durch den Buchstaben F14 ausgedrückt.

All’ die vielerlei von A abstammenden Formen, erloschene wie noch lebende, bilden nach unserer Annahme zusammen eine Ordnung, und diese Ordnung ist in Folge des fortwährenden Erlöschens der Formen und der Divergenz der Charaktere allmählich in mehrere Familien und Unterfamilien geteilt worden, von welchen angenommen wird, dass einige in früheren Perioden zu Grunde gegangen sind und andere bis auf den heutigen Tag währen.

Das Bild zeigt uns ferner, dass, wenn eine Anzahl der schon früher erloschenen und angenommenermaßen in die aufeinander folgenden Formationen eingeschlossenen Formen an verschiedenen Stellen tief unten in der Reihe wieder entdeckt würde, die drei noch lebenden Familien auf der obersten Linie weniger scharf von einander getrennt erscheinen müssten. Wären z. B. die Gattungen a1, a5, a10, f8, m3, m6, m9 wieder ausgegraben worden, so würden diese drei Familien so eng mit einander verkettet erscheinen, dass man sie wahrscheinlich in eine große Familie vereinigen müsste, etwa so wie es mit den Wiederkäuern und gewissen Dickhäutern geschehen ist. Wer nun etwa gegen die Bezeichnung jener die drei lebenden Familien verbindenden Gattungen als »intermediäre dem Charakter nach« Verwahrung einlegen wollte, würde in der Tat insofern Recht haben, als sie nicht direkt, sondern nur auf einem durch viele sehr abweichende Formen hergestellten Umwege sich zwischen jene andern einschieben. Wären viele erloschene Formen oberhalb einer der mittleren Horizontallinien oder Formationen, wie z. B. Nr. VI –, aber keine unterhalb dieser Linie gefunden worden, so würde man nur die zwei auf der linken Seite stehenden Familien – a14 etc. und b14 etc. – in eine Familie zu vereinigen haben, und es würden zwei Familien übrig bleiben, welche weniger weit von einander getrennt sein würden, als sie es vor Entdeckung der Fossilen waren. Wenn wir ferner annehmen, die aus acht Gattungen (a14 bis m14) bestehenden drei Familien auf der obersten Linie wichen in einem halben Dutzend wichtiger Merkmale von einander ab, so würden die in der früheren mit VI bezeichneten Periode lebenden Familien sicher weniger Unterschiede gezeigt haben, weil sie auf jener früheren Descendenzstufe von dem gemeinsamen Erzeuger der Ordnung noch nicht so stark divergirt haben werden. So geschieht es dann, dass alte und erloschene Gattungen oft in einem größeren oder geringeren Grade zwischen ihren modifizierten Nachkommen oder zwischen ihren Seitenverwandten das Mittel halten.

In der Natur wird der Fall weit zusammengesetzter sein als ihn unser Schema darstellt; denn die Gruppen werden viel zahlreicher, ihre Dauer wird von außerordentlich ungleicher Länge gewesen sein und die Abänderungen werden mannigfaltige Abstufungen erreicht haben. Da wir nur den letzten Band der geologischen Urkunden und diesen in einem vielfach unterbrochenen Zustande besitzen, so haben wir, einige seltene Fälle ausgenommen, kein Recht, die Ausfüllung großer Lücken im Natursysteme und so die Verbindung getrennter Familien und Ordnungen zu erwarten. Alles was wir zu erwarten ein Recht haben, ist, diejenigen Gruppen, welche erst innerhalb bekannter geologischen Zeiten große Veränderungen erfahren haben, in den frühesten Formationen etwas näher an einander gerückt zu finden, so dass die älteren Glieder in einigen ihrer Charaktere etwas weniger weit auseinander gehen, als es die jetzigen Glieder derselben Gruppen tun; und dies scheint nach dem einstimmigen Zeugnisse unserer besten Paläontologen häufig der Fall zu sein.

So scheinen sich mir nach der Theorie gemeinsamer Abstammung mit fortschreitender Modifikation die hauptsächlichsten Tatsachen hinsichtlich der wechselseitigen Verwandtschaft der erloschenen Lebensformen unter einander und mit den noch lebenden in zufriedenstellender Weise zu erklären. Nach jeder andern Betrachtungsweise sind sie völlig unerklärbar.

Aus der nämlichen Theorie erhellt, dass die Fauna einer jeden großen Periode in der Erdgeschichte in ihrem allgemeinen Charakter das Mittel halten müsse zwischen der zunächst vorangehenden und der ihr nachfolgenden. So sind die Arten, welche auf der sechsten großen Descendenzstufe unseres Schema’s vorkommen, die abgeänderten Nachkommen derjenigen, welche schon auf der fünften vorhanden gewesen, und sind die Eltern der in der siebenten noch weiter abgeänderten; sie können daher nicht wohl anders als nahezu intermediär im Charakter zwischen den Lebensformen darunter und darüber sein. Wir müssen jedoch hierbei das gänzliche Erlöschen einiger früheren Formen und in einem jeden Gebiete die Einwanderung neuer Formen aus andern Gegenden und die beträchtliche Umänderung der Formen während der langen Lücke zwischen zwei aufeinander folgenden Formationen mit in Betracht ziehen. Diese Zugeständnisse berücksichtigt, muss die Fauna jeder großen geologischen Periode zweifelsohne das Mittel einnehmen zwischen der vorhergehenden und der folgenden. Ich brauche nur als Beispiel anzuführen, wie die Fossilreste des devonischen Systems sofort nach Entdeckung desselben von den Paläontologen als intermediär zwischen denen des darunterliegenden Silur- und des darauffolgenden Steinkohlensystemes erkannt wurden. Aber eine jede Fauna muss dieses Mittel nicht notwendig genau einhalten, weil die zwischen aufeinander folgenden Formationen verflossenen Zeiträume ungleich lang gewesen sind.

Es ist kein wesentlicher Einwand gegen die Wahrheit der Behauptung, dass die Fauna jeder Periode im Ganzen genommen ungefähr das Mittel zwischen der vorigen und der folgenden Fauna halten müsse, darin zu finden, dass gewisse Gattungen Ausnahmen von dieser Regel bilden. So stimmen z. B., wenn man Mastodonten und Elephanten nach Dr. Falconer zuerst nach ihrer gegenseitigen Verwandtschaft und dann nach ihrer geologischen Aufeinanderfolge in zwei Reinen ordnet, beide Reihen nicht mit einander überein. Die in ihren Charakteren am weitesten abweichenden Arten sind weder die ältesten noch die jüngsten, noch sind die von mittlerem Charakter auch von mittlerem Alter. Nehmen wir aber für einen Augenblick an, unsere Kenntnisse von den Zeitpunkten des Erscheinens und Verschwindens der Arten sei in diesem und ähnlichen Fällen vollständig, was aber durchaus nicht der Fall ist, so haben wir doch noch kein Recht zu glauben, dass die nacheinander auftretenden Formen notwendig auch gleich lang bestehen mussten. Eine sehr alte Form kann gelegentlich eine viel längere Dauer als eine irgendwo anders später entwickelte Form haben, was insbesondere von solchen Landbewohnern gilt, welche in ganz getrennten Bezirken zu Hause sind. Kleines mit Großem vergleichend wollen wir die Tauben als Beispiel wählen. Wenn man die lebenden und erloschenen Hauptrassen unserer Haustauben nach ihren Verwandtschaften in Reihen ordnete, so würde diese Anordnungsweise nicht genau übereinstimmen weder mit der Zeitfolge ihrer Entstehung noch, und zwar noch weniger, mit der ihres Untergangs. Denn die stammelterliche Felstaube lebt noch, und viele Zwischenvarietäten zwischen ihr und der Botentaube sind erloschen, und Botentauben, welche in der Länge des Schnabels das Äußerste bieten, sind früher entstanden als die kurzschnäbeligen Purzler, welche das entgegengesetzte Ende der auf die Schnabellänge gegründeten Reihenfolge bilden.

Mit der Behauptung, dass die organischen Reste einer zwischenliegenden Formation auch einen nahezu intermediären Charakter besitzen, steht die Tatsache, worauf die Paläontologen bestehen, in nahem Zusammenhang, dass die Fossilen aus zwei aufeinander folgenden Formationen viel näher als die aus zwei entfernten mit einander verwandt sind. Pictet führt als ein bekanntes Beispiel die allgemeine Ähnlichkeit der organischen Reste aus den verschiedenen Etagen der Kreideformation an, obwohl die Arten in allen Etagen verschieden sind. Diese Tatsache allein scheint ihrer Allgemeinheit wegen Professor Pictet in seinem festen Glauben an die Unveränderlichkeit der Arten wankend gemacht zu haben. Wer mit der Verteilungsweise der jetzt lebenden Arten über die Erdoberfläche bekannt ist, wird nicht versuchen, die große Ähnlichkeit verschiedener Spezies in nahe aufeinander folgenden Formationen damit zu erklären, dass die physikalischen Bedingungen der alten Ländergebiete sich nahezu gleich geblieben seien. Erinnern wir uns, dass die Lebensformen wenigstens des Meeres auf der ganzen Erde und mithin unter den allerverschiedensten Klimaten und andern Bedingungen fast gleichzeitig gewechselt haben, – und bedenken wir, welchen unbedeutenden Einfluss die wunderbarsten climatischen Veränderungen während der die ganze Eiszeit umschließenden Pleistocenperiode auf die spezifischen Formen der Meeresbewohner ausgeübt haben!

Nach der Descendenztheorie ist die volle Bedeutung der Tatsache klar, dass fossile Reste aus unmittelbar aufeinander folgenden Formationen, wenn auch als verschiedene Arten aufgeführt, nahe mit einander verwandt sind. Da die Ablagerung jeder Formation oft unterbrochen worden ist und lange Pausen zwischen der Absetzung verschiedener successiver Formationen stattgefunden haben, so dürfen wir, wie ich im letzten Kapitel zu zeigen versucht habe, nicht erwarten, in irgend einer oder zwei Formationen alle Zwischenvarietäten zwischen den Arten zu finden, welche am Anfang und am Ende dieser Formationen gelebt haben; wohl aber müssten wir nach Zwischenräumen (sehr lang in Jahren ausgedrückt, aber mäßig lang in geologischem Sinne) nahe verwandte Formen oder, wie manche Schriftsteller sie genannt haben, »stellvertretende Arten« finden, und diese finden wir in der Tat. Kurz wir entdecken diejenigen Beweise einer langsamen und kaum erkennbaren Umänderung spezifischer Formen, wie wir sie zu erwarten berechtigt sind.

Über die Entwicklungsstufe alter Formen im Vergleich mit den noch lebenden

Wir haben im vierten Kapitel gesehen, dass der Grad der Differenzirung und Spezialisirung der Teile aller organischen Wesen in ihrem reifen Alter den besten bis jetzt aufgestellten Maßstab zur Bemessung der Vollkommenheits- oder Höhenstufe derselben abgibt. Wir haben auch gesehen, dass, da die Spezialisirung der Teile ein Vorteil für jedes Wesen ist, die natürliche Zuchtwahl streben wird, die Organisation eines jeden Wesens immer mehr zu spezialisieren und somit, in diesem Sinne genommen, vollkommener und höher zu machen; was jedoch nicht ausschließt, dass noch immer viele Geschöpfe für einfachere Lebensbedingungen bestimmt, auch ihre Organisation einfach und unverbessert behalten und in manchen Fällen selbst in ihrer Organisation zurückschreiten oder vereinfachen, wobei aber immer derartig zurückgeschrittene Wesen ihren neuen Lebenswegen besser angepasst sind. Auch in einem anderen und allgemeineren Syine ergibt sich, dass die neuen Arten höhere als ihre Vorfahren werden; denn sie haben im Kampfe um’s Dasein alle älteren Formen, mit denen sie in nahe Konkurrenz kommen, aus dem Felde zu schlagen. Wir können daher schließen, dass, wenn in einem nahezu ähnlichen Klima die eocenen Bewohner der Welt in Konkurrenz mit den jetzigen Bewohnern gebracht werden könnten, die ersteren unterliegen und von den letzteren vertilgt werden würden, ebenso wie eine sekundäre Fauna von der eocenen und eine paläozoische von der sekundären überwunden werden würde. Der Theorie der natürlichen Zuchtwahl gemäß müssten demnach die neuen Formen ihre höhere Stellung den alten gegenüber nicht nur durch diesen fundamentalen Beweis ihres Siegs im Kampfe um’s Dasein, sondern auch durch eine weiter gediehene Spezialisirung der Organe bewähren. Ist dies aber wirklich der Fall? Eine große Mehrzahl der Paläontologen würde dies bejahen; und es scheint, dass man diese Antwort wird für wahr halten müssen, wenn sie auch schwer ordentlich zu beweisen ist.

Es ist kein gültiger Einwand gegen diesen Schluss, dass gewisse Brachiopoden von einer äußerst weit zurückliegenden geologischen Periode an nur wenig modifiziert worden sind, und dass gewisse Land- und Süßwassermollusken von der Zeit an, wo sie, so weit es bekannt ist, zuerst erschienen, nahezu dieselben geblieben sind. Auch ist es keine unüberwindliche Schwierigkeit, dass Foraminiferen, wie Carpenter betont hat, selbst von der Laurentischen Formation an in ihrer Organisation keinen Fortschritt gemacht haben; denn einige Organismen müssen eben einfachen Lebensbedingungen angepasst sein, und welche passten hierfür besser, als jene niedrig organisierten Protozoen? Derartige Einwände wie die obigen würden meiner Ansicht verderblich sein, wenn sie einen Fortschritt in der Organisation als wesentliches Moment enthielte. Es würde auch meiner Theorie verderblich sein, wenn z. B. nachgewiesen werden könnte, dass die eben genannten Foraminiferen zuerst während der Laurentischen Epoche, oder die erwähnten Brachiopoden zuerst in der cambrischen Formation aufgetreten wären; denn wenn dies bewiesen würde, so wäre die Zeit nicht hinreichend gewesen, um die Organismen bis zu dem dann erreichten Grade entwickeln zu lassen. Einmal bis zu einem gewissen Punkt fortgeschritten, ist nach der Theorie der natürlichen Zuchtwahl keine Nöthigung vorhanden, den Prozess noch fortdauern zu lassen; dagegen werden sie während jedes folgenden Zeitraumes leicht modifiziert werden müssen, um ihre Stellung im Verhältnis zu den ändernden Lebensbedingungen behaupten zu können. Alle solche Einwände drehen sich um die Frage, ob wir wirklich wissen, wie alt die Welt ist und in welchen Perioden die verschiedenen Lebensformen zuerst erschienen sind; und dies dürfte wohl bestritten werden.

Das Problem, ob die Organisation im Ganzen fortgeschritten ist, ist in vieler Hinsicht außerordentlich verwickelt. Der geologische Bericht, schon zu allen Zeiten unvollständig, reicht nicht weit genug zurück, um mit nicht miszuverstehender Klarheit zu zeigen, dass innerhalb der bekannten Geschichte der Erde die Organisation große Fortschritte gemacht hat. Sind doch selbst heutzutage, wenn man die Glieder der nämlichen Klasse betrachtet, noch die Naturforscher nicht einstimmig, welche Formen als die höchsten zu betrachten sind. So sehen einige die Selachier oder Haie wegen einiger wichtigen Beziehungen ihrer Organisation zu der der Reptilien als die höchsten Fische an, während Andere die Knochenfische als solche betrachten. Die Ganoiden stehen in der Mitte zwischen den Haien und Knochenfischen. Heutzutage sind diese letzten an Zahl weit vorwaltend, während es vordem nur Haie und Ganoiden gegeben hat; und in diesem Falle wird man sagen, die Fische seien in ihrer Organisation vorwärts geschritten oder zurückgegangen, je nachdem man sie mit dem einen oder dem andern Maßstabe mißt. Aber es ist ein hoffnungsloser Versuch die Höhe von Gliedern ganz verschiedener Typen gegen einander abzumessen. Wer vermöchte zu sagen, ob ein Tintenfisch höher als die Biene stehe: als dieses Insekt, von dem der große Naturforscher v. Baer sagt, dass es in der Tat höher als ein Fisch organisiert sei, wenn auch nach einem andern Typus. In dem verwickelten Kampfe um’s Dasein ist es ganz glaublich, dass solche Kruster z. B., welche in ihrer eigenen Klasse nicht sehr hoch stehen, die Cephalopoden, diese vollkommensten Weichtiere, überwinden würden; und diese Kruster, obwohl nicht hoch entwickelt, würden doch sehr hoch auf der Stufenleiter der wirbellosen Tiere stehen, wenn man nach dem entscheidendsten aller Kriterien, dem Gesetze des Kampfes um’s Dasein urteilt. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die es an und für sich hat zu entscheiden, welche Formen die in der Organisation fortgeschrittensten sind, haben wir nicht allein die höchsten Glieder einer Klasse in je zwei verschiedenen Perioden (obwohl dies gewiß eines der wichtigsten oder vielleicht das wichtigste Element bei der Abwägung ist), sondern wir haben alle Glieder, hoch und nieder, in diesen zwei Perioden mit einander zu vergleichen. In einer alten Zeit wimmelte es von vollkommensten sowohl als unvollkommensten Weichtieren, von Cephalopoden und Brachiopoden; während heutzutage diese beiden Ordnungen sehr zurückgegegangen und die zwischen ihnen in der Mitte stehenden Klassen mächtig angewachsen sind. Demgemäß haben einige Naturforscher geschlossen, dass die Mollusken vordem höher entwickelt gewesen sind als jetzt; während andere sich für die entgegengesetzte Ansicht auf die gegenwärtige ungeheure Verminderung der Brachiopoden mit um so mehr Gewicht berufen als auch die noch vorhandenen Cephalopoden, obgleich weniger an Zahl, doch höher als ihre alten Stellvertreter organisiert sind. Wir müssen auch die Proportionalzahlen der oberen und der unteren Klassen der Bevölkerung der Erde in je zwei verschiedenen Perioden mit einander vergleichen. Wenn es z. B. jetzt 50,000 Arten Wirbeltiere gäbe und wir dürften deren Anzahl in irgend einer früheren Periode nur auf 10,000 schätzen, so müssten wir diese Zunahme der obersten Klassen, welche zugleich eine große Verdrängung tieferer Formen aus ihrer Stelle bedingte, als einen entschiedenen Fortschritt in der organischen Bildung auf der Erde betrachten. Man ersieht hieraus, wie gering allem Anscheine nach die Hoffnung ist, unter so äußerst verwickelten Beziehungen jemals in vollkommen richtiger Weise die relative Organisationsstufe unvollkommen bekannter Faunen aufeinander folgender Perioden in der Erdgeschichte zu beurteilen.

Wir werden diese Schwierigkeit noch richtiger würdigen, wenn wir gewisse jetzt existierende Faunen und Floren ins Auge fassen. Nach der außergewöhnlichen Art zu schließen, wie sich in neuerer Zeit aus Europa eingeführte Erzeugnisse über Neuseeland verbreitet und Plätze eingenommen haben, welche doch schon vorher von den eingeborenen Formen besetzt gewesen sein müssen, müssen wir glauben, dass, wenn man alle Pflanzen und Tiere Großbritanniens dort frei aussetzte, eine Menge britischer Formen mit der Zeit vollständig daselbst naturalisieren und viele der eingeborenen vertilgen würde. Dagegen dürfte die Tatsache, dass noch kaum ein Bewohner der südlichen Hemisphäre in irgend einem Teile Europa’s verwildert ist, uns zu zweifeln veranlassen, ob, wenn alle Naturerzeugnisse Neuseelands in Großbritannien frei ausgesetzt würden, eine irgend beträchtliche Anzahl derselben vermögend wäre, sich jetzt von eingeborenen Pflanzen und Tieren schon besetzte Stellen zu erobern. Von diesem Gesichtspunkte aus kann man sagen, dass die Produkte Großbritanniens viel höher auf der Stufenleiter als die Neuseeländischen stehen. Und doch hätte der tüchtigste Naturforscher nach Untersuchung der Arten beider Gegenden dieses Resultat nicht voraussehen können.

Agassiz und mehrere andere äußerst kompetente Gewährsmänner heben hervor, dass alte Tiere in gewissen Beziehungen den Embryonen neuerer Tierformen derselben Klassen gleichen, und dass die geologische Aufeinanderfolge erloschener Formen nahezu der embryonalen Entwicklung jetzt lebender Formen parallel läuft. Diese Ansicht stimmt mit der Theorie der natürlichen Zuchtwahl wundervoll überein. In einem spätern Kapitel werde ich zu zeigen versuchen, dass die Erwachsenen von ihren Embryonen in Folge von Abänderungen abweichen, welche nicht in der frühesten Jugend erfolgen und auch erst auf ein entsprechendes späteres Alter vererbt werden. Während dieser Prozess den Embryo fast unverändert lässt, häuft er im Laufe aufeinander folgender Generationen immer mehr Verschiedenheit in den Erwachsenen zusammen. So scheint der Embryo gleichsam wie ein von der Natur aufbewahrtes Portrait des früheren und noch nicht sehr modifizierten Zustandes einer jeden Spezies. Diese Ansicht mag richtig sein, dürfte jedoch nie eines vollkommenen Beweises fähig sein. Denn fänden wir auch, dass z. B. die ältesten bekannten Formen der Säugetiere, der Reptilien und der Fische zwar genau diesen Klassen angehörten, aber doch von einander etwas weniger verschieden wären als die jetzigen typischen Vertreter dieser Klassen, so würden wir uns doch so lange vergebens nach Tieren umsehen, welche noch den gemeinsamen Embryonalcharakter der Vertebraten an sich trügen, als wir nicht fossilienreiche Schichten noch tief unter den untersten cambrischen entdeckten, wozu in der Tat sehr wenig Aussicht vorhanden ist.

Über die Aufeinanderfolge derselben Typen innerhalb gleicher Gebiete während der späteren Tertiärperioden

Clift hat vor vielen Jahren gezeigt, dass die fossilen Säugetiere aus den Knochenhöhlen Neuhollands sehr nahe mit den noch jetzt dort lebenden Beuteltieren verwandt gewesen sind. In Süd-Amerika hat sich eine ähnliche Beziehung selbst für das ungeübte Auge ergeben in den Armadill-ähnlichen Panzerstücken von riesiger Größe, welche in verschiedenen Teilen von La Plata gefunden worden sind; und Professor Owen hat aufs Schlagendste nachgewiesen, dass die meisten der dort so zahlreich fossil gefundenen Tiere südamerikanischen Typen angehören. Diese Beziehung ist selbst noch deutlicher in den wundervollen Sammlungen fossiler Knochen zu erkennen, welche Lund und Clausen aus den brasilischen Höhlen mitgebracht haben. Diese Tatsachen machten einen solchen Eindruck auf mich, dass ich in den Jahren 1839 und 1845 dieses »Gesetz der Succession gleicher Typen«, diese »wunderbare Beziehung zwischen den Todten und Lebenden in einerlei Kontinent« sehr nachdrücklich hervorhob. Professor Owen hat später dieselbe Verallgemeinerung auch auf die Säugetiere der alten Welt ausgedehnt. Wir finden dasselbe Gesetz wieder in den von ihm restaurirten ausgestorbenen Riesenvögeln Neuseelands. Wir sehen es auch in den Vögeln der brasilischen Höhlen. Woodward hat gezeigt, dass dasselbe Gesetz auch auf die Seeconchylien anwendbar ist, obwohl es der weiten Verbreitung der meisten Molluskengattungen wegen nicht sehr deutlich entwickelt ist. Es ließen sich noch andere Beispiele anführen, wie die Beziehungen zwischen den erloschenen und lebenden Landschnecken auf Madeira und zwischen den ausgestorbenen und jetzigen Brackwasser-Conchylien des Aral-Kaspischen Meeres.

Was bedeutet nun dieses merkwürdige Gesetz der Aufeinanderfolge gleicher Typen in gleichen Ländergebieten? Vergleicht man das jetzige Klima Neuhollands und der unter gleicher Breite damit gelegenen Teile Süd-Amerikas mit einander, so würde es als ein kühnes Unternehmen erscheinen, einerseits aus der Unähnlichkeit der physikalischen Bedingungen die Unähnlichkeit der Bewohner dieser zwei Kontinente und andererseits aus der Ähnlichkeit der Verhältnise das Gleichbleiben der Typen in jedem derselben während der späteren Tertiärperioden erklären zu wollen. Auch lässt sich nicht behaupten, dass einem unveränderlichen Gesetze zufolge Beuteltiere hauptsächlich oder allein nur in Neuholland, oder dass Edentaten und andere der jetzigen amerikanischen Typen nur in Amerika hervorgebracht worden sein sollten. Denn es ist bekannt, dass Europa in alten Zeiten von zahlreichen Beuteltieren bevölkert war; und ich habe in den oben angedeuteten Schriften gezeigt, dass in Amerika das Verbreitungsgesetz für die Landsäugetiere früher ein anderes war als es jetzt ist. Nord-Amerika beteiligte sich früher sehr an dem jetzigen Charakter der südlichen Hälfte des Kontinentes, und die südliche Hälfte war früher mehr als jetzt mit der nördlichen verwandt. Durch Falconer und Cautley’s Entdeckung wissen wir in ähnlicher Weise, dass Nord-Indien hinsichtlich seiner Säugetiere früher in näherer Beziehung als jetzt zu Africa stand. Analoge Tatsachen ließen sich auch von der Verbreitung der Seetiere mitteilen.

Nach der Theorie der Descendenz mit Modifikation erklärt sich das große Gesetz langwährender aber nicht unveränderlicher Aufeinanderfolge gleicher Typen auf einem und demselben Gebiete unmittelbar. Denn die Bewohner eines jeden Teils der Welt werden offenbar streben, in diesem Teile während der nächsten Zeitperiode nahe verwandte, doch etwas abgeänderte Nachkommen zu hinterlassen. Sind die Bewohner eines Kontinents früher von denen eines andern Festlandes sehr verschieden gewesen, so werden ihre abgeänderten Nachkommen auch jetzt noch in fast gleicher Art und Stufe von einander abweichen. Aber nach sehr langen Zeiträumen und sehr große Wechselwanderungen gestattenden geographischen Veränderungen werden die schwächeren den herrschenderen Formen weichen und so ist nichts unveränderlich in Verbreitungsgesetzen früherer und jetziger Zeit.

Vielleicht fragt man mich mit Spott, ob ich glaube, dass das Megatherium und die andern ihm verwandten Ungethüme in Süd-Amerika das Faultier, das Armadill und die Ameisenfresser als ihre degenerirten Nachkommen hinterlassen haben. Dies kann man keinen Augenblick zugeben. Jene großen Tiere sind völlig erloschen, ohne eine Nachkommenschaft hinterlassen zu haben. Aber in den Höhlen Brasiliens sind viele ausgestorbene Arten in Größe und andern Merkmalen nahe verwandt mit den noch jetzt in Süd-Amerika lebenden Spezies, und einige dieser Fossilen mögen wirklich die Erzeuger noch jetzt dort lebender Arten gewesen sein. Man darf nicht vergessen, dass nach meiner Theorie alle Arten einer und derselben Gattung von einer und der nämlichen Spezies abstammen, so dass, wenn sechs Gattungen jede acht Arten in einerlei geologischer Formation enthält und in der nächstfolgenden Formation wieder sechs andere verwandte oder stellvertretende Gattungen mit gleicher Artenzahl vorkommen, wir dann schließen dürfen, dass nur eine Art von jeder der sechs älteren Gattungen modifizierte Nachkommen hinterlassen habe, welche die verschiedenen Spezies der neueren Gattungen bildeten; die anderen sieben Arten der alten Genera sind alle ausgestorben, ohne Erben zu hinterlassen. Doch möchte es wahrscheinlich weit öfter vorkommen, dass zwei oder drei Arten von nur zwei oder drei unter den sechs alten Gattungen die Eltern der neuen Genera gewesen und die andern alten Arten und sämtliche übrigen alten Gattungen gänzlich erloschen sind. In untergehenden Ordnungen mit abnehmender Gattungs- und Artenzahl, wie es offenbar die Edentaten Süd-Amerikas sind, werden noch weniger Genera und Spezies abgeänderte Nachkommen in gerader Linie hinterlassen.

Zusammenfassung des vorigen und des jetzigen Kapitels

Ich habe zu zeigen gesucht, dass die geologische Urkunde äußerst unvollständig ist; dass erst nur ein kleiner Teil der Erdoberfläche sorgfältig geologisch untersucht worden ist; dass nur gewisse Klassen organischer Wesen zahlreich in fossilem Zustande erhalten sind; dass die Anzahl der in unseren Museen aufbewahrten Individuen und Arten gar nichts bedeutet im Vergleiche mit der unberechenbaren Zahl von Generationen, die nur während einer einzigen Formationszeit aufeinander gefolgt sein müssen; dass an mannigfaltigen fossilen Spezies reiche Bildungen, mächtig genug um künftiger Zerstörung zu widerstehen, sich beinahe notwendig nur während der Senkungsperioden ablagern konnten und daher große Zeitzwischenräume zwischen den meisten unserer aufeinander folgenden Formationen verflossen sind; dass wahrscheinlich während der Senkungszeiten mehr Aussterben und während der Hebungszeit mehr Abändern organischer Formen stattgefunden hat; dass der Bericht aus diesen letzten Perioden am unvollständigsten erhalten ist; dass jede einzelne Formation nicht in ununterbrochenem Zusammenhang abgelagert worden ist; dass die Dauer jeder Formation wahrscheinlich kurz ist im Vergleich zur mittleren Dauer der Artformen; dass Einwanderungen einen großen Anteil am ersten Auftreten neuer Formen in irgend einer Gegend oder Formation gehabt haben; dass die weit verbreiteten Arten am meisten variirt und am öftesten Veranlassung zur Entstehung neuer Arten gegeben haben; dass Varietäten anfangs nur local gewesen sind. Endlich ist es, obschon jede Art zahlreiche Übergangsstufen durchlaufen haben muss, wahrscheinlich, dass die Zeiträume, während deren eine jede der Modifikation unterlag, zwar zahlreich und nach Jahren gemessen lang, aber mit den Perioden verglichen, in denen sie unverändert geblieben sind, kurz gewesen sind. Alle diese Ursachen zusammengenommen werden es großenteils erklären, warum wir zwar viele Mittelformen zwischen den Arten einer Gruppe finden, aber nicht endlose Varietätenreihen die erloschenen und lebenden Formen in den feinsten Abstufungen mit einander verketten sehen. Man sollte auch beständig im Sinn behalten, dass zwei oder mehrere Formen mit einander verbindende Varietäten, die gefunden würden, wenn man nicht die ganze Kette vollständig herstellen kann, als ebensoviel neue und bestimmte Arten betrachtet werden würden; denn wir können nicht behaupten, irgend ein sicheres Criterium zu besitzen, nach dem sich Arten von Varietäten unterscheiden lassen.

Wer diese Ansichten von der Unvollkommenheit der geologischen Urkunden verwerfen will, muss auch folgerichtig meine ganze Theorie verwerfen. Denn vergebens wird er dann fragen, wo die zahlreichen Übergangsglieder geblieben sind, welche die nächstverwandten oder stellvertretenden Arten einst mit einander verkettet haben müssen, die man in den aufeinanderfolgenden Lagern einer und derselben großen Formation übereinander findet. Er wird nicht an die unermesslichen Zwischenzeiten glauben, welche zwischen unseren aufeinander folgenden Formationen verflossen sein müssen; er wird übersehen, welchen wesentlichen Anteil die Wanderungen, – die Formationen irgend einer großen Weltgegend wie Europa für sich allein betrachtet, – gehabt haben; er wird sich auf das offenbare, aber oft nur scheinbar plötzliche Auftreten ganzer Artengruppen berufen. Er wird fragen, wo denn die Reste jener unendlich zahlreichen Organismen geblieben sind, welche lange vor der Bildung des cambrischen Systems abgelagert worden sein müssen? Wir wissen jetzt, dass wenigstens ein Tier damals existierte; die obige Frage kann ich aber nur hypothetisch beantworten mit der Annahme, dass unsere Ozeane sich schon seit unermesslichen Zeiträumen an ihren jetzigen Stellen befunden haben, und dass da, wo unsere auf und ab schwankenden Kontinente jetzt stehen, sie sicher seit dem Beginn des cambrischen Systems gestanden sind; dass aber die Erdoberfläche lange vor dieser Periode ein ganz anderes Aussehen gehabt haben dürfte, und dass die älteren Kontinente, aus Formationen noch viel älter als irgend eine uns bekannte bestehend, sich jetzt nur in metamorphischem Zustande befinden oder tief unter dem Ozean versenkt liegen.

Doch sehen wir von diesen Schwierigkeiten ab, so scheinen mir alle andern großen und leitenden Tatsachen in der Paläontologie wunderbar mit der Theorie der Descendenz mit Modifikationen durch natürliche Zuchtwahl übereinzustimmen. Es erklärt sich daraus, warum neue Arten nur langsam und nach einander auftreten, warum Arten verschiedener Klassen nicht notwendig zusammen oder in gleichem Verhältnise oder in gleichem Grade sich verändern, dass aber alle im Verlaufe langer Perioden Veränderungen in gewisser Ausdehnung unterliegen. Das Erlöschen alter Formen ist die fast unvermeidliche Folge vom Entstehen neuer. Wir können einsehn, warum eine Spezies, wenn sie einmal verschwunden ist, nie wieder erscheint. Artengruppen wachsen nur langsam an Zahl und dauern ungleich lange Perioden; denn der Prozess der Modifikation ist notwendig ein langsamer und von vielerlei verwickelten Momenten abhängig. Die herrschenden Arten der größeren und herrschenden Gruppen streben viele abgeänderte Nachkommen zu hinterlassen, welche wieder neue Untergruppen und Gruppen bilden. Im Verhältnise als diese entstehen, neigen sich die Arten minder kräftiger Gruppen in Folge ihrer von einem gemeinsamen Urerzeuger ererbten Unvollkommenheit dem gemeinsamen Erlöschen zu, ohne irgendwo auf der Erdoberfläche eine abgeänderte Nachkommenschaft zu hinterlassen. Aber das gänzliche Erlöschen einer ganzen Artengruppe ist oft ein langsamer Prozess gewesen, da einzelne Arten in geschützten oder abgeschlossenen Standorten kümmernd noch eine Zeit lang fortleben konnten. Ist eine Gruppe einmal vollständig untergegangen, so erscheint sie nie wieder, denn die Reihe der Generationen ist unterbrochen.

Wir können einsehn, woher es kommt, dass die herrschenden Lebensformen, welche weit verbreitet sind und die größte Zahl von Varietäten ergeben, die Erde mit verwandten jedoch modifizierten Nachkommen zu bevölkern streben, denen es sodann gewöhnlich gelingt, die Plätze jener Artengruppen einzunehmen, welche ihnen im Kampfe um’s Dasein unterliegen. Daher wird es denn nach langen Zwischenräumen aussehen, als hätten die Bewohner der Erdoberfläche überall gleichzeitig gewechselt.

Wir können einsehn, woher es kommt, dass alle Lebensformen, die alten wie die neuen, zusammen nur wenige große Klassen bilden. Es ist aus der fortgesetzten Neigung zur Divergenz des Charakters begreiflich, warum, je älter eine Form ist, sie um so mehr von den jetzt lebenden abweicht; warum alte und erloschene Formen oft Lücken zwischen lebenden auszufüllen geeignet sind und zuweilen zwei Gruppen zu einer einzigen vereinigen, welche zuvor als getrennte aufgestellt worden waren, obwohl sie solche in der Regel einander nur etwas näher rücken. Je älter eine Form ist, um so öfter hält sie in einem gewissen Grade zwischen jetzt getrennten Gruppen das Mittel; denn je älter eine Form ist, desto näher verwandt und mithin ähnlicher wird sie dem gemeinsamen Stammvater solcher Gruppen sein, welche seither weit auseinander gegangen sind. Erloschene Formen halten selten direkt das Mittel zwischen lebenden, sondern stehen in deren Mitte nur in Folge einer weitläufigen Verkettung durch viele erloschene und abweichende Formen. Wir ersehen deutlich, warum die organischen Reste dicht aufeinander folgender Formationen einander nahe verwandt sind; denn sie hängen durch Zeugung eng mit einander zusammen. Wir vermögen endlich einzusehen, warum die organischen Reste einer mittleren Formation auch das Mittel in ihren Charakteren halten.

Die Bewohner der Erde aus einer jeden folgenden Periode ihrer Geschichte haben ihre Vorgänger im Kampfe um’s Dasein besiegt und stehen insofern auf einer höheren Vollkommenheitsstufe als diese und ihr Körperbau ist im Allgemeinen mehr spezialisiert worden; dies kann die allgemeine Annahme so vieler Paläontologen erklären, dass die Organisation im Ganzen fortgeschritten sei. Ausgestorbene und geologisch alte Tiere sind in gewissem Grade den Embryonen neuerer zu denselben Klassen gehöriger Tiere ähnlich; und diese wunderbare Tatsache erhält aus unserer Theorie eine einfache Erklärung. Die Aufeinanderfolge gleicher Organisationstypen innerhalb gleicher Gebiete während der letzten geologischen Perioden hört auf geheimnisvoll zu sein und wird nach dem Grundsatze der Vererbung verständlich.

Wenn daher die geologische Urkunde so unvollständig ist, als es viele glauben (und es lässt sich wenigstens behaupten, dass das Gegenteil nicht erweisbar ist), so werden die Haupteinwände gegen die Theorie der natürlichen Zuchtwahl in hohem Grade geschwächt oder verschwinden gänzlich. Andererseits scheinen mir alle Hauptgesetze der Paläontologie deutlich zu beweisen, dass die Arten durch gewöhnliche Zeugung entstanden sind. Frühere Lebensformen sind durch neue und vollkommenere Formen, den Produkten der Variation und des Überlebens des Passendsten ersetzt worden.